Die Tonkunst, eine Rhapsodie

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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Die Tonkunst, eine Rhapsodie
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aus: Zerstreute Blätter (Fünfte Sammlung) S. 320–326
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1793
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: Google und Commons
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[336]
Die Tonkunst.
––––
Eine Rhapsodie.


Die du droben den Reihn der Sterne
Und der Unsterblichen führst,
In ewig-jungem schwebenden Jubeltanz
Nah und näher hinan des Allvollkommenen Thron,

5
Und tief hienieden im Erdenthal

Unter des Himmels heiligem Blau
In leisen Tönen, im verlohrnen Laut
der Ahndung, unser Herz
in die Chöre der Himmel erhebst:

10
     Ewige Harmonie!

Kling’ ein in meine Saiten.
Heilige Harmonie!
Kling’ ein in meine Seele.
Sie fühlet dich, sie will, sie wird dich fühlen!

[337]
15
Des Wohllauts ewige Kette zieht

Auch meinen Geist. Es wallt mein Herz
Im Strome der Melodie zum hallenden Ocean
Der Allvollkommenheit.
     Wach auf in mir, du leiser Himmelston,

20
Der meine Seele ward.

Aus keiner Engelsharf’ entquollest du. Dich
hauchte
Der Ewige selbst mir ein.
Und bist mir Ewigkeit,
Bist Gottes-Gefühl in mir, der unendlichen Hamonie

25
Vorahndende Verkünderin.

Wenn einst mein Geist
Vom Erdenstaube sich hebt empor,
Und seiner Fesseln sanft sich windet los;
Zu Hülfe komm’ ihm dann, du heilger Strom

30
Von Tönen andrer Welt,

Umström’ ihn ganz, und trag’ ihn sanft hinüber.
     Des Himmels Gabe bist du uns,
O Tonkunst! bist ein Tropfe

[338]

Von jenem hellen melodischen Wohllustmeer

35
In dem das Weltall wallt,

Ein Meer von Zahl und Maas und Lieb’ und Tanz und Leben! –
Der Tropfe floß hernieder
Dem Wandrer zur Erquickung,
Zur Labung ihm, hin in sein Vaterland,

40
Ein ziehend Sehnen nach dem vollen Strom. – –

Als Adam, als die erste Mutter einst
Den ersten Todten sahn, ach ihren Sohn,
Und den erschlagnen kalten Leichnam, (nun
Auf ewig kalt, auf ewig todt!)

45
Mit starrer Hand umfaßten.

Und ihre Seelen untergehn,
Versinken wollten im verstummten Schmerz;
Da wars, da regten Töne sich
Des Mitgefühles einer andern Welt;

50
Der Ewigkeit verschlossenes

Gewölbe brach; Musik erklang auf Erden.
     Des Seraphs Laute in der Hand
Schwebt über ihnen der Gestorbene

[339]

In unsichtbarem Glanz. Es sangen leise Töne

55
Den Armen Trost ins Herz. Es träufelte

Mit jedem neugehörten Ton
Der Ruhe Thau in ihr zerlechzetes
Gebein. – Der unsichtbare
Sang mächtiger, zog aus den Himmelssaiten

60
Den Ton der Unvergänglichkeit,

Des ewgen Wallens hin zu höherm Licht,
Des steten Sehnens nach dem vollern Strom;
Er sang das Lied der Sterne,
Den Wandelgang um ihres Vaters Thron;

65
Den ewigguten Vater

In aller seiner Liebe.
Und stieg, ein selger Geist,
Stieg auf dem letzten, innigsten der Töne,
Der ewig tief in ihrem Herzen blieb,

70
Gen Himmel wieder auf.

     Wenn in des Lebens Labyrinth,
Im dunkeln Hain der bangen Mitternacht,
Umringt von Thiergeheul’ und Höllenstimmen,
Mein Herz erbebt,

[340]
75
Und über sich verzagt,

Und nirgend Ausgang findet;
Des Himmels Tochter, süße Zauberinn,
Nicht mit Syrenen- nicht mit Feenklang
Erscheine mir; ein Lied der Andacht flöße

80
Mir Ruh ins Herz.

Wie wird mir? Hör’ ich nicht
Ihr Kommen? Fühl’ ich nicht
Ihr sanftes Schweben wie im Mondesstral?
Sie spricht mir zu; ein Engel spricht zu mir,

85
Ein Himmelswesen, das unmittelbar

Mein Herz berührt, die weinende
Gerührte Laute! und den Klageton
Schnell in Triumph verwandelt.

          „Verlassener, was zagest du

90
     In trüber Einsamkeit?

     Gott, der den Gang der Sterne kennt,
     Kennt auch der Menschen Herz.

          Er giebt dem Schiffe seinen Weg,
     Den Winden ihre Bahn;

[341]
95
     Er wird auch Dir, im Wellenmeer

     Des Lebens, Weg verleihn.
          Was zagest du? Der Erde Noth
     Geht wie ein Traum vorbei.
     Und was Dir heute Mislaut dünkt,

100
     Ist morgen Harmonie.

„Schau gen Himmel und sieh! Am hohen Tempelgewölbe
     Funkeln Sterne; da glänzt Gottes unsterbliche Schrift.
Kann dein Auge sie zählen? Dein Ohr die Stimme vernehmen,
     Die des Erschaffenden Ohr ewig und ewig vernimmt.

105
So tönt Alles um Dich. Ein Stral der Sonnen erklingt dir.

     Sieben Töne des Lichts, golden und heilig im Klang’.
Allenthalben strömet dir zu das große Geheimniß
     Deiner Vollendung; du lernst ewig und ewig daran.

[342]

Maas, Bewegung und Zahl im Kampf der liebenden Eintracht

110
     Spricht in Tönen dir zu: Eines in Allem ist Gott!


     O Harmonie, ich flehe dir,
Du Freundin meines Seyns zum höhern Seyn,
Du Seele meiner Seele. Rufe mir,
Aus jedem Wesen rufe

115
Den reinen Ton hervor, zu dem es klingt.

O Führerin durchs Leben! Freundschaft ist
Der Seelen Einklang. Lieb’ und Güte sind
Der süße Wohlklang, der in Allem tönt,
Der immer reiner, immer höher steigt –

120
Wohin? wohin? zu welcher Symphonie

Der Symphonieen – –