Don Carlos (Schiller-Galerie)
Die deutsche Dichtkunst hat kein Werk, in welchem die Natur des Absolutismus, die unausbleiblichen Wirkungen desselben auf die nächste Umgebung des Herrschers, sowie auf alles, was er überhaupt zu erreichen vermag, mit gleicher oder auch nur annähernder Meisterschaft gezeichnet wäre, als in „Don Carlos“. Das charakteristische Moment des Despotismus ist die Unterdrückung aller wahren Productivität, weil jede Production einen Fortschritt bedingt, der Absolutismus aber jeden negirt und negiren muss, weil die Production als etwas Organisches sich nach ihren innern Gesetzen entwickelt und daher dem äussern Zwang überall widerstrebt. Die Despotie, in welcher Form sie auch auftrat, als monarchischer, demokratischer oder kirchlicher Absolutismus, ist daher von jeher ihre geschworene Feindin gewesen, hat immer das Streben gezeigt, das Organische zum Mechanischen zu verkehren und herabzuwürdigen.
Dies letztere Moment ist es denn auch, welches Schiller zuerst zeigt, da er uns in das Hof- und Staatsleben von Madrid einführt; es gelingt ihm dadurch leicht, uns mit jenem Schauder und Widerwillen gegen die Tyrannei zu erfüllen, deren Erregung wol jedenfalls eine Absicht seines Stücks sein musste. Indem wir aber diese culturfeindliche Wirkung zuerst gewahren, werden wir natürlich gestimmt, die Ursache zu hassen, um so mehr, als uns sofort die herrschende Rechtlosigkeit gezeigt wird. Der Vater hat dem Sohn die geliebte Braut geraubt; der heiligste Anspruch also des nach dem Tyrannen höchstgestellten Mannes im Staat gilt nichts, hier gibt es blos Recht für den einen, – für alle andern existirt es nicht. Neben dem unterdrückten Sohn sehen wir nun noch die Werkzeuge der Unterdrückung. Da ihnen die Lust [Ξ] des freien Schaffens versagt ist, so kennen sie nur noch Ein Interesse, das eigene. Priester, Feldherren, Würdenträger aller Art, ja die meisten Frauen selbst kennen alle nur dieses Ziel, und der rücksichtsloseste Egoismus lauert überall unter der kalten, glatten, seelenlosen Form höfischer Manieren, höfischer Sprache; dass niemand sich anders äussert, ja anscheinend sogar denkt und empfindet, als officiell vorgeschrieben ist, zeigt uns am klarsten die Stärke des Drucks, der auf allen lastet; nicht genug, dass die sanfte Mondecar sich freut, dass man ihr ein Auto da Fé versprochen: „Es sind ja Ketzer, die man brennen sieht“, so bebt selbst die leichtsinnige Eboli vor dem Gedanken zurück, dass man sie für eine schlechtere Christin halten könnte, als die Marquisin Mondecar. Diese beiden Züge zeigen uns trefflich, wo wir sind, die gewaltsame Verkehrung der natürlichsten Gefühle bereitet uns am besten auf das Auftreten dessen vor, der der Repräsentant des Absolutismus sein soll. Seine erste Aeusserung gilt denn auch der Aufrechthaltung des äussern Anstandes, dessen Strenge bekanntlich überall mit der innern Fäulniss zu wachsen pflegt. Die unverhältnissmässige Härte, mit der Philipp eine leichte Verletzung desselben ahndet, der Hohn, mit dem er die Strafe begleitet, zeigen uns sofort das Kalte, Steife, bis zum Uebermass Argwöhnische, sowie endlich das Grausame seines Charakters. Philipp ist nichtsdestoweniger ein König durchaus, man fühlt ihm überall den geborenen Herrscher an, selbst das Gemeine thut er mit einer gewissen Würde, die Majestät, die Gewohnheit des Gebietens, verlässt ihn keinen Augenblick; er zeigt sich aber auch als den pedantischen Träger eines Systems, das zuletzt ihn mit gleicher bleierner Schwere drückt wie die andern. Bleibt er aber, selbst wo er eifersüchtig und neidisch wird, doch immer ein vornehmer Mann, so zeigt mit unnachahmlicher Meisterschaft uns der Dichter bei ihm den Unterschied, welcher zwischen dem blos Vornehmen und dem wirklich Edeln besteht; letzteres erreicht Philipp nie, wenn er gleich ebenso wenig je trivial wird.
Philipp’s unfruchtbare Grossartigkeit ist durchaus unfähig zu jeder positiven Gestaltung, er kann blos zerstören durch seinen despotischen [Ξ] Instinct, welcher nie das Recht der Persönlichkeit achtet, selbst nicht beim Sohn, dem er gleich vorwirft:
Mir gefallen
Die Söhne nicht, die bessre Wahlen treffen,
Als ihre Väter.
Philipp’s Absolutismus ist aber nicht ein Erbstück, das er etwa überkommen und dessen getreuer Bewahrer er nur ist, er hat im Gegentheil seine Quelle lediglich in seinem finstern und grausamen Naturell, für dessen Befriedigung er sich erst dieses System ausgebildet hat, dessen Blutgier überall durchbricht. Er ist durchaus Tigernatur und heuchelt nur die Grossmuth des Löwen. Jede Nachsicht erscheint ihm als Schwäche, dagegen ist er unerschöpflich in Gründen zur barbarischen Strenge. Das schlechte Gewissen, welches sich nicht durch ein sophistisches System beschwichtigen lässt, das Gefühl des Grauens vor der Mischung von Wollust und Grausamkeit in der eigenen Natur ist denn auch die Quelle seines Argwohns, mit dem er niemand verschont, ja die Nächststehenden am meisten quält, wie er denn gleich zu Carlos sagt:
Mein bestes Kriegsheer deiner Herrschbegierde?
Das Messer meinem Mörder?
Der dem Despoten so nothwendige Macchiavellismus zeigt sich ebenso, wenn er gegen Alba äussert:
Gern mag ich hören,
Dass Carlos meine Räthe hasst; doch mit
Verdruss entdeck’ ich, dass er sie verachtet –
als der Hass gegen die Freiheit überall durchbricht, wie und wo immer sie erscheine. In dieser Beziehung ist wol einer der feinsten Züge des Stücks, dass er es nicht ertragen kann, den Marquis Posa frei zu sehen, selbst da er ihn eben zu lieben angefangen:
Diesen Stolz
Ertrag’ ich nicht. Ihr seid von heute an
In meinen Diensten. – Keine Einwendung!
Ich will es haben.
[Ξ] Es ist die Strafe aller Despoten, dass sie nothwendig früher oder später zur Einsicht kommen müssen, wie sich Liebe und Wärme nur im Sonnenschein der Freiheit entwickeln, sie selbst also, die diese nicht aufkommen lassen, auch jener nie theilhaft werden, sie weder gewinnen noch verdienen können; das Gefühl dieser Isolirung muss mit Naturnothwendigkeit die eigene unerwiderte Neigung bei jeder Wahrnehmung in grenzenlosen Hass um so mehr verkehren, als sie aufrichtig war, muss gerade gegen den Gegenstand derselben tückisch und grausam machen. Es ist dies ein tragisches Verhängniss, dem wir denn auch Philipp endlich erliegen sehen, dessen verrathene Liebe zu Posa, der ihn aufgibt, sobald er sein Naturell erkennt, in die fürchterlichste Rachsucht gegen die Menschheit, welche jener ihm vorgezogen, umschlägt.
Der Künstler hat uns im Bild des stolzen Königs vorzugsweise jenes improductive, bigote und tückische Wesen gezeigt und es mit der echtesten Vornehmheit zu verbinden gewusst. Seiner Arbeit liegt das berühmte Bild Tizian’s zu Grunde, eines seiner unübertrefflichsten Porträts, das mit erschütternder Kraft ein Zeugniss von dem Charakter dieses Mannes ablegt, das ihn für alle Ewigkeit ebenso unwiderruflich als unwidersprechlich verdammt.
[Ξ]
Zwang entnervt und entmuthigt schlaffe Gemüther, edle und starke Seelen jedoch werden durch ihn empört und zum Widerstand gereizt; sie lieben dann nur um so reiner und glühender die Freiheit, die ihnen versagt ist.
Dies lehrt uns besonders die majestätische Figur der Elisabeth, welcher vom Dichter eine Feinheit der Charakteristik, ein Reichthum an sicher treffenden Zügen verliehen ist, wie wir ihn bei den frühern Stücken höchstens an dem ganz genreartig gehaltenen Bilde der Geigersfrau in „Kabale und Liebe“ gewahren, während es ihm hier bereits gelingt eine Gestalt voll Hoheit und Seelengrösse mit voller Naturwahrheit zu bilden, um so den ganzen Fortschritt zur Reife, die höhere Lebenserfahrung und genauere Kenntniss des menschlichen Herzens zu zeigen, die er bereits, besonders im Umgang mit Charlotte von Kalb, die damals sein Herz fesselte, gewonnen.
Gleich die Eingangsscene in Aranjuez malt uns mit unübertrefflicher Meisterschaft die schwierige Lage der königlichen Frau, wie die Sicherheit, mit der sie sich in ihr bewegt, und welche überall ein so hervorstechendes Moment ihres Charakters bildet. Die erlauchte Tochter des heitern Frankreich, in den humanen Traditionen des aufgeklärten, Künste und Wissenschaften wie jede Freiheit des Geistes ehrenden Regiments Franz’ I. aufgezogen, kann sich niemals mit der bleiernen Atmosphäre der finstern, bigoten, pedantischen Gravität befreunden, wie sie am Hofe von Madrid jede lebendige Regung erstarren macht, und sehnt sich nach der Luft des Vaterlandes aus [Ξ] diesem eisernen Zwang der Etikette heraus. Während aber selbstische Naturen die Freiheit blos für sich erobern wollen, so wünschen hochsinnigere sie den andern zu verschaffen und zu erhalten. Dass Elisabeth zu diesen gehört, sehen wir sofort aus der Art, wie sie sich über die Heirath äussert, die der Eboli aufgedrungen werden soll:
Der Mann, den ich
Mit einer Eboli belohne, muss
Ein würd’ger Mann sein. . . .
Doch
Wir wollen wissen, ob er lieben kann
Und Liebe kann verdienen? . . . .
Es ist
Ein hartes Schicksal, aufgeopfert werden.
Ihre Denkungsart offenbart sich noch mehr, als sie den Marquis Posa empfängt und ihm Glück wünscht, dass er sich selbst zu leben gesonnen sei:
Ein grössrer Fürst in Ihren stillen Mauern,
Als König Philipp auf dem Thron – ein Freier! –
oder da sie ihm später sagt:
Wie sollt’ es
Mich freuen, Marquis, wenn der Freiheit endlich
Noch diese Zuflucht in Europa bliebe!
Das Königliche, die Herrschernatur ihres Wesens veredelt jedes Wort, das sie sagt, zeichnet sich nicht nur in dem Mass und der Würde, die sie überall begleiten, in dem Verständniss, das sie für alle grossen Interessen zeigt, sondern auch vorzugsweise in der Bereitwilligkeit, mit der sie ihnen die eigenen persönlichen Wünsche, ja die geheimsten Neigungen ihres Herzens unterordnet. Posa kann daher allerdings mit einiger Wahrscheinlichkeit dem eifersüchtigen Philipp von ihr sagen:
Mit Empfindlichkeit sieht sie
In ihrer stolzen Hoffnung sich getäuscht
Und von des Thrones Antheil ausgeschlossen.
[Ξ]
Des Prinzen rasche Jugend bot sich ihren
Weitblickenden Entwürfen dar – ihr Herz –
Ich zweifle, ob sie lieben kann.
Ihr Gefühl für den Infanten ist auch offenbar mehr Mitleid als Liebe; sie nimmt an ihm theil, weil sie ihn leiden sieht, nicht weil er ihr Bewunderung oder Verehrung einflösste. Diese hat sie entschieden aber für Posa. Bei ihm allein fühlt sie, dass sie vollkommen verstanden und gewürdigt wird, zu ihm blickt sie hinauf, zu Carlos herunter, und wenn sie dem Marquis von ihrem Verhältniss zu diesem sagt:
Ihr Freund erfüllte Sie so ganz, dass Sie
Mich über ihm vergassen –
so dürfte dies Geständniss offenbar weit mehr ihm als den Prinzen gelten, was noch mehr aus ihrer Antwort hervorgeht, da er ihr erwidert:
Für alle Weiber, nur für eines nicht.
Auf eines schwör’ ich . . . .
Versprechen Sie mir, ewig ihn zu lieben,
Unwandelbar und ewig ihn zu lieben,
Versprechen Sie mir dieses? . . . .
Königin.
Mein Herz,
Versprech’ ich Ihnen, soll allein und ewig
Der Richter meiner Liebe sein –
und fortfährt:
Sie gehen, Marquis – ohne mir zu sagen,
Wann wir – wie bald – uns wiedersehn?
Marquis. (das Gesicht abgewendet).
Gewiss!
Wir sehn uns wieder.
Königin.
Ich verstand Sie, Posa –
Verstand Sie recht gut. – Warum haben Sie
Mir das gethan?
Marquis.
Er oder ich.
[Ξ]
Königin.
Nein, nein!
Sie stürzten sich in diese That, die Sie
Erhaben nennen. Leugnen Sie nur nicht.
Ich kenne Sie, Sie haben längst danach
Gedürstet. . . .
Sie haben
Nur um Bewunderung gebuhlt. . . .
Ist keine Rettung möglich?
Marquis.
Keine. . . .
Königin (verlässt ihn und verhüllt das Gesicht).
Gehen Sie!
Ich schätze keinen Mann mehr.
Marquis (in der heftigsten Bewegung vor ihr niedergeworfen).
Königin!
– O Gott, das Leben ist doch schön!
Wie kühl nimmt sich neben dieser kaum verhüllten Leidenschaft ihr Ton gegen Carlos aus in der letzten Scene:
Wir wollen
Einander nicht erweichen, Carl. . . .
Er hat sich geopfert
Für Sie! Mit seinem theuern Leben
Hat er das Ihrige erkauft. – Und dieses Blut
Wär’ einem Hirngespinst geflossen? – Carlos!
Ich selber habe gut gesagt für Sie.
Auf meine Bürgschaft schied er freudiger
Von hinnen.
Selbst das Geständniss der Neigung, das sie ihm macht, erscheint doch nur mehr als eine Abfindung und Genugthuung, als die Erfüllung des Vermächtnisses, das ihr der Todte hinterlassen, und kann nicht aufkommen dagegen, dass sie diesen um jeden Preis halten wollte, während sie Carlos fortschickt, und uns gerade dadurch beweist, dass sie eine viel höhere und begabtere Natur ist als dieser, ein echteres Herrscherrecht hat als er.
[Ξ]
Carlos’ Naturell musste nothwendig aus Philipp’s Erziehungssystem hervorgehen; denn unter die verderblichsten Wirkungen des Despotismus, in welcher Form er auch auftrete, gehört die, dass sein eiserner Druck jedes selbständige Wachsthum zerstört, dass frühzeitig in die vorgeschriebene Form gezwängt, in seiner Sphäre sich kein starker Charakter gesund zu entwickeln vermag. So finden wir denn in dem Schiller’schen Carl – der in manchen nicht unwesentlichen Zügen von dem historischen abweichen dürfte – einen liebenswürdigen, hochsinnigen, feinen, reizbaren, eigensinnigen und capriciösen, edeln aber schwachen Menschen, gleich unfähig zum Thun wie zum Lassen, – jetzt verschlossen und mistrauisch, im nächsten Augenblick unvorsichtig und auffahrend, vor allen Dingen aber unthätig, improductiv und apathisch; denn da ihm keine freie Thätigkeit erlaubt ist, so freut ihn bald überhaupt keine mehr.
Das erste Bedürfniss des Mannes, das kräftigste Heilmittel für alle Krankheiten der Seele wie des Leibes ist die Arbeit. Das Ringen mit einer grossen selbstgewählten Aufgabe bringt ihn zum Bewusstsein seiner Kraft und stellt das richtige Gleichgewicht der Seele in ihm her. Dieses Heilmittel ist aber dem einstigen Erben zweier Welten versagt, seitdem er von der Hochschule zurückgekehrt ist, und mit ihrer Entbehrung beginnt auch die Verirrung seines Gemüths. Weil seiner Kraft gesunde Aufgaben nicht gestattet sind, so richtet sie sich mit krankhafter Leidenschaft auf die unnatürlichsten Ziele, der Wille wird zur Caprice; denn etwas anderes können wir in dieser Liebe des Königsohns zu der Mutter, die er ja nie nur halbwegs kennen gelernt hat, kaum erblicken. Elisabeth selbst sagt ganz richtig von ihr:
[Ξ]
Trotz ist es
Und Bitterkeit und Stolz, was Ihre Wünsche
So wüthend nach der Mutter zieht.
Sie entspringt im Grunde blos aus der unbewussten Feindschaft gegen den Tyrannen, der ihm die Existenz verkümmert, dessen Vaterrechte ihm ein blosser abstracter Begriff sind, welcher freilich keine Macht über seine Seele haben kann. Hören wir ihn selbst:
Kann ich dafür, wenn eine knechtische
Erziehung schon in meinem jungen Herzen
Der Liebe zarten Keim zertrat? Sechs Jahre
Hatt’ ich gelebt, als mir zum ersten mal
Der Fürchterliche, der, wie sie mir sagten,
Mein Vater war, vor Augen kam. Es war
An einem Morgen, wo er steh’nden Fusses
Vier Bluturtheile unterschrieb. Nach diesem
Sah ich ihn nur, wenn mir für ein Vergehen
Bestrafung angekündigt ward.
Wo soll da die Liebe herkommen, die wie jedes andere Gut errungen, gewonnen, verdient werden will? Nächst dem Thätigkeitstrieb ist aber das Bedürfniss nach ihr der mächtigste Factor im menschlichen Herzen. Man liebt an andern nicht das, was man hat, sondern das, was einem fehlt. Dem kranken Carlos fehlen Seelenstärke und Freiheit, die er beide bei der Königin voraussetzt und bei Posa findet: sie sind’s, die seine schwächere Natur so sehr an beide ketten. Er spricht diesen Grund seiner Neigung selber aus, als er den wiedergefundenen Freund an die Jugendzeit erinnert, da
Kein Schmerz mich drückte, als von deinem Geiste
So sehr verdunkelt mich zu sehn – ich endlich
Mich kühn entschloss, dich grenzenlos zu lieben,
Weil mich der Muth verliess, dir gleich zu sein.
So edel diese Empfindung ist, so zeigt sie doch eigentlich eine weibliche Natur. Die Neigung männlicher Gemüther richtet sich mehr auf das Allgemeine, auf die Ideen und Dinge, die der weiblichen aufs Individuelle, auf die Personen.
[Ξ] Carlos liebt die Freiheit, solange ihm Posa davon spricht; da ihm der Vermittler fehlt, so sinkt er in jenen Zustand zurück, den er mit den Worten malt:
Auch mir hat einst von einem Carl geträumt.
Dem’s feurig durch die Wangen lief, wenn man
Von Freiheit sprach – doch der ist lang’ begraben.
Den du hier siehst, das ist der Carl nicht mehr,
Der in Alcala von dir Abschied nahm,
Der sich vermass in süsser Trunkenheit
Der Schöpfer eines neuen goldnen Alters
In Spanien zu werden. – O, der Einfall
War kindisch, aber göttlich schön! Vorbei
Sind diese Träume.
Hat er das würdigste Ziel, das er sich stecken kann, für einen Traum angesehen, sobald seine Stütze wegfällt, so charakterisirt es die weibliche Schwäche ebenso gut, wenn er später, da er Posa wiederfindet, ausruft:
Arm in Arm mit dir,
So fordr’ ich mein Jahrhundert in die Schranken! –
was sicherlich ebenfalls keine männliche Empfindung ist, da ein wirklicher Mann, besonders ein genialer, diese Aufgabe sich jedenfalls selbst vorbehalten hätte, wie das Posa auch wirklich thut! Schwache Menschen haben fast immer Mistrauen und verzweifeln leicht nicht nur an andern, auch an sich: so Carlos, wie ihn uns der Künstler zeigt in der Scene, da er nach Lerma’s Eröffnungen über Posa’s Handeln sich von diesem verrathen glaubt und in die Worte ausbricht:
Ich hab’ ihn
Verloren. O, jetzt bin ich ganz verlassen! –
und dabei Posa’s Charakter allerdings richtig beurtheilt, wenn er sagt:
Soll ihm
Das Vaterland nicht theurer sein als Einer?
Grossherzigkeit begreifen und besitzen sind freilich immer noch so gar verschiedene Dinge!
Nicht minder malt sich das Hilfsbedürftige seines Naturells in [Ξ] seinem Verhältniss zu der Königin und der Eboli. Für einen Mann ist die Liebe kein Lebensziel, nie räumt er ihr den ersten Platz ein: den hat sie nur bei der Frau. Ein wirklicher Mann würde die schöne Eboli nicht umsonst seufzen lassen, und die grossartige herrschsüchtige Königin schwerlich geliebt, sondern blos verehrt haben; im Gegentheil liegt etwas – Knabenhaftes.
Der Gipfel der „Jugendeselei“ – dass wir ein treffendes Heine’sches Wort brauchen – aber ist es, wenn Carlos, nachdem er die schöne Herausforderung der Eboli nicht angenommen, sie noch obendrein zur Vermittlerin machen will. Es ist dies überdies ein ganz deutscher Zug, wie denn der ganze Carlos durchaus nichts Südliches hat, sondern sehr germanisches Wesen in seiner Denkungsart sich ausspricht.
Während Philipp, Alba, Domingo, ja selbst Posa die nationale Färbung mehr oder weniger zeigen, so herrscht in Carlos das Flamändisch-Germanische – das Blonde vor, weshalb ihn der Künstler so hätte darstellen müssen, wenn ihn nicht auch schon die authentischen Bildnisse des historischen Carlos allein dazu berechtigt hätten, in denen das Bübisch-Tückische freilich mehr heraustritt, als hier erlaubt sein konnte.
Erschütternde Schicksale können schwache Menschen wohl zu grossen Entschlüssen treiben, nicht aber ihnen die Kräfte zur Ausführung verleihen; wenn wir daher Carlos durch Roderich’s Tod zum Verzicht auf seine Liebe und zur Erfassung seiner wahren Aufgabe getrieben sehen, wie er dies zu Elisabeth in den Worten ausspricht:
Es gibt ein höher, wünschenswerther Gut,
Als dich besitzen. – Eine kurze Nacht
Hat meiner Jahre trägen Lauf beflügelt,
Frühzeitig mich zum Mann gereift –
so muss gerade diese gewaltsame Veränderung seiner Natur ihn mit Nothwendigkeit dem Untergang entgegenführen, da das Tragische eben darin liegt, dass ihm zu seiner Aufgabe zwar nicht der Wille, aber die Kraft fehlt.
[Ξ]
Niedrige Naturen haben keine idealen Zwecke, gewöhnliche vermögen sie nur in der Jugend festzuhalten, edle nehmen sie auch in das Mannesalter hinüber, erweitern und vertiefen sie dort. Zu diesen letztern gehört Schiller’s Posa, in dem der Dichter mit solcher Meisterschaft jene echte Seelengrösse zu schildern gewusst hat, deren heiliges Feuer in ihm selbst loderte.
Tritt bei Don Carlos das weibliche Element des Charakters aufs entschiedenste hervor, so bei Posa das männliche. Philipp wie Carlos, am meisten die Königin, trotz ihrer so ganz verschiedenen Standpunkte fühlen überall heraus, dass ihm grosse ideale Interessen durchaus über die persönlichen gehen. Dass ihm ein einzelner auch noch so theurer Freund gegen die ganze Menschheit nichts gilt, das malt sich gleich in der Scene des Wiedersehens mit Carlos, wo er, ohne sich um Carlos’ Seelenschmerz viel zu kümmern, fast nur seiner Enttäuschung Raum gibt, ihn nicht so zu finden, wie er gehofft:
So war es nicht, wie ich Don Philipp’s Sohn
Erwartete. . . .
Das ist
Der löwenkühne Jüngling nicht, zu dem
Ein unterdrücktes Heldenvolk mich sendet. . . .
Ein Abgeordneter der ganzen Menschheit
Umarm’ ich Sie – es sind die flandrischen
Provinzen, die an Ihrem Halse weinen
Und feierlich um Rettung Sie bestürmen.
Es verstand sich beinahe von selbst, dass der Künstler ihn in dieser Scene auffassen musste, wo das Heroische, Thatkräftige, Entschlossene [Ξ] dieses Charakters den wohlthätigsten Gegensatz zu dem edeln aber weichlichen Wesen des Carlos bildet.
Nichtsdestoweniger ist Posa, obwol genialer Denker, glänzender Redner, kühner Soldat, dennoch kein Staatsmann, sollte es nach des Dichters Intention auch wol nicht sein: dafür hat er viel zu viel Vorliebe für die verwegensten Mittel, zu viel Schwärmerei, und lässt sich bei seinem Handeln allzu sehr von der augenblicklichen Stimmung leiten. Er ist Prophet einer neuen Zeit, kein Politiker. Schon sein Versuch, Carlos für die Sache der Provinzen zu gewinnen, während er doch dessen Schwäche, also die Unfruchtbarkeit dieses Bemühens, selbst im Falle es gelang, zu kennen vermochte, spricht nicht dafür, noch weniger aber sein Abspringen von diesem Plan in der Unterredung mit Philipp, ein so glänzendes Meisterstück der Beredsamkeit sie auch sonst ist. Einen sechzigjährigen Despoten zu bekehren unternimmt ein Staatsmann sicherlich nicht, sondern blos ein Schwärmer, und Philipp betrachtet ihn mit Recht consequent auch als solchen, obgleich er ihn persönlich lieb gewinnt.
Ist Posa nach dem allen kein consequenter Charakter, so ist er also doch ein um so geistreicherer Mensch, der in allem, was er äussert, die merkwürdigste Gedankentiefe zeigt, so schon vor dem Eintritt zum König durch die Art, wie er seinen Versuch vor sich selbst motivirt:
Wie komm’ ich aber hierher? – Eigensinn
Des launenhaften Zufalls wär’ es nur,
Was mir mein Bild in diesen Spiegeln zeigt? . . . .
Ein Zufall nur? Vielleicht auch mehr. – Und was
Ist Zufall anders, als der rohe Stein,
Der Leben annimmt unter Bildners Hand?
Den Zufall gibt die Vorsehung – zum Zwecke
Muss ihn der Mensch gestalten. . . .
Ich weiss,
Was ich – ich mit dem König soll – und wär’s
Auch eine Feuerflocke Wahrheit nur,
In des Despoten Seele kühn geworfen –
Wie fruchtbar in der Vorsicht Hand!
[Ξ] So einverstanden man mit dem theoretischen Vordersatz sein wird, so wenig kann man es mit der Anwendung sein, die er davon macht, die eben den Schwärmer kennzeichnet, da die Despoten durch der Wahrheit Feuerflocken wohl verbrannt, nicht aber geschmolzen werden.
Erscheint das Thun des Marquis nicht überall ausreichend motivirt, so hat der Dichter es um so meisterhafter verstanden die Wirkung, die er überall hervorbringt, uns deutlich zu machen durch den Glanz und Adel, die er über alles gebreitet hat, was er sagt. Es ist zugleich eine verhaltene Macht der Begeisterung, eine stille Glut der Empfindung, eine Hoheit des Gedankens darin, deren bezaubernder Wirkung niemand entgeht, die uns selbst erklärlich machen, dass der bedrängte, durch Eifersucht und Argwohn aufs tiefste verwundete Philipp zu dem Manne, der solche Meinungen so vorträgt, Vertrauen fasst, sich gestehen muss:
Gift also selbst,
Find’ ich, kann in gutartigen Naturen
Zu etwas Besserm sich veredeln. . . .
Ich habe
Solch einen Menschen nie gesehen. . . .
Ihr kennt
Den Menschen, Marquis. Solch ein Mann hat mir
Schon längst gemangelt, Ihr seid gut und fröhlich
Und kennet doch den Menschen auch.
Am feinsten und schönsten aber ist die Schilderung seines Verhältnisses zur Königin, wie es sich in den Worten der hohen Frau malt, wenn sie von ihm sagt:
Der erste seiner Nation, der mich
Den Ruhm empfinden lehrte, Königin
Der Spanier zu sein –
und er mit echt spanischer stolzer Galanterie erwidert:
Damals träumte
Mir nicht, dass Frankreich noch das Einzige
An uns verlieren würde, was wir ihm
Beneidet hatten.
[Ξ] Posa ist es allein, der ihr eine Aussicht in die sonst so trüb verhüllte Zukunft öffnet, der ihr noch einen Strahl von Hoffnung und Genugthuung zu gewähren vermag; – er allein beweist ihr, dass im männlichen Charakter Edelmuth nicht immer blos mit Schwäche, Stärke blos mit der Grausamkeit Hand in Hand gehen können. Dieses stille und schöne Vertrauen erwidert er mit einer ähnlichen Empfindung und einer Begeisterung für sie, die sich überall auf die zarteste Weise ausspricht, ob er nun zu Philipp sagt:
Und etwas lebt noch in des Weibes Seele,
Das über allen Schein erhaben ist
Und über alle Lästerung – es heisst
Weibliche Tugend! –
oder endlich, da er sein keckes Spiel verloren, ihr und durch sie erst dem Freunde seine heissesten Wünsche ans Herz legt:
Hier,
Hier – hier – auf diesem heiligen Altare,
Im Herzen seiner Königin leg’ ich
Mein letztes kostbares Vermächtniss nieder,
Hier find’ er’s, wenn ich nicht mehr bin. . . .
Sagen Sie
Ihm, dass er für die Träume seiner Jugend
Soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird,
Nicht öffnen soll dem tödtenden Insekte
Gerühmter besserer Vernunft das Herz
Der zarten Götterblume – dass er nicht
Soll irre werden, wenn des Staubes Weisheit
Begeisterung, die Himmelstochter, lästert.
Posa geht mit Nothwendigkeit unter, eben weil er wohl eine neue Zeit begreift, seine Kraft aber nicht ausreicht sie herbeizuführen. Er zeigt den Weg ins Gelobte Land, vermag es aber nicht zu erobern, wie die meisten Propheten.
[Ξ]
Ist es das glückliche Vorrecht der Töchter des Südens, gewöhnlich ein so starkes Naturell zu besitzen, dass sie der Reflexion weder bedürfen, noch sie brauchen können, indem sie in allen Stücken, die ihr innerstes Leben berühren, doch blos jenem zu gehorchen vermögen, so benutzen sie auch in der Regel Verstand und Ueberlegung blos dazu, sich der Mittel zu versichern, um seinen Forderungen Genüge leisten zu können. Durch diese Sicherheit des Willens erhalten sie jenen göttlichen Aplomb, der den Nordländer so unwiderstehlich fesselt, und ihnen unter allen Umständen so gut steht. Die südlichen Frauen stehen deshalb meistens nicht nur der Natur sehr viel näher, sondern sind auch viel thatkräftiger als die des Nordens, die Cultur vermag wenig über sie, ändert nichts an ihnen, leiht ihnen höchstens schärfere Waffen, sie ersetzen dieselbe meistens durch die angeborene Feinheit des Geistes, dessen Schlagfertigkeit eben durch das rasche und sichere Naturell unendlich erhöht wird.
Einen solchen Charakter, dessen Kern in einem stark sinnlichen Leben gesucht werden muss, führt uns der Dichter in seiner Eboli vor, bei der er noch durch eine eigenthümlich pikante Anmuth das zu ersetzen gewusst hat, was ihr an weitem Horizont abgeht.
Die muntern Augen der Prinzessin quälen
Mich schon den ganzen Morgen. Sehen Sie,
Kaum weiss sie ihre Freude zu verbergen,
Weil sie vom Lande Abschied nimmt –
so wird uns durch Königin Elisabeth das reizende Geschöpf eingeführt, welches des Vaters Wünsche entflammt, während sie selbst [Ξ] für den Sohn eine heisse Glut in dem leicht entzündlichen Herzen birgt. Dass dies Herz nicht von Schwärmerei für Maikäfer und Abendröthe ausgefüllt wird, dass sie sich um die todte Natur gar nichts kümmert, sondern blos um die Menschen; dass ihr das, was man bei uns Deutschen Gemüth nennt, vollständig abgeht, ist ein so bezeichnender Zug für die heissblütige Spanierin, wie ihn nur die höchste Genialität so richtig herausfinden konnte, ohne den Süden und seine schönen Bewohnerinnen jemals aus eigener Anschauung kennen gelernt zu haben. Er ist ein glänzender Beweis für die Stärke der künstlerischen Intuition bei unserm Dichter. Die schwarzäugigen Töchter von Rom wie von Madrid halten es in diesem Stück ganz gleich: ihr Naturgenuss besteht beiderseits darin, den staubigen Corso oder Prado spazieren zu fahren, gerade so weit als alle Welt fährt, um gesehen zu werden und zu sehen.
So weit wie alle Welt geht die Eboli auch in allen andern Dingen, die ihr innerlich gleichgültig sind. Kaum schlägt man ihr aber eine Heirath vor, die ihr nicht gefällt, so empört sich auch ihr Blut dagegen und sie stösst das Anerbieten rücksichtslos von sich; da hat die Convenienz sofort ein Ende bei ihr.
Dieser Heirathsantrag, der sie an eine Creatur des Königs und dadurch diesem selbst verkuppeln soll, beschleunigt in den aufgeregten Sinnen der Prinzessin nur den Entschluss, den, welchen sie wirklich liebt, nun auch definitiv zu erobern. Ist sie aber erst an die Ausführung ihres Plans gegangen, so malt sich das heisse Blut des Südens, das allemal den Roman da anfängt, wo er im Norden aufhört, auch gleich in den ungeduldigen Worten gegen den Pagen:
Wie glücklich wär’ er schon
In so viel Zeit gewesen, als du brauchtest,
Mir zu erzählen, dass er’s werden wollte!
Der Künstler hat sie uns mit seltener Meisterschaft in dieser Situation, den Geliebten erwartend, gezeichnet. Es ist die schönste Inspiration, die Perle unsers Werks! Und er that wohl daran, uns gerade diese vorzuführen: kennt doch ihr Leben eigentlich nur zwei [Ξ] Beschäftigungen, die, sich auf den Geliebten vorzubereiten und die, ihn zu besitzen. Alles andere berührt sie nicht, interessirt sie nicht, oder doch nur so weit, als es eben Einfluss auf diese zwei Hauptmomente hat. Wo sie liebt, wird sie witzig, scharfsinnig, geistreich, bedeutend, so leer sie in allen Dingen ist, die nicht mit dieser Hauptaufgabe ihres Lebens zusammenhängen, der sie mit rücksichtsloser Glut alles opfert, für die sie aber auch alles verlangt. Wie reizend ironisirt sie in dem berühmten Tete-à-Tete Carlos’ Angst und weiss sie durch die graziöseste Herausforderung zu beantworten, wenn sie ihm sagt:
Bei so viel Tugend
Erholt sich jedes Mädchens Angst . . . .
Sie – der im ganzen strengen Rath der Weiber
Bestochne Richter sitzen hat . . . .
– O Himmel,
Der du ihm alles, alles gabst, warum,
Warum denn nur die Augen ihm versagen,
Womit er seine Siege sieht?
Die Liebe ist die einzige Materie, über welche die schöne Fürstin jemals reiflich nachgedacht hat; wenn sie aber sagt:
Sie ist
Das Einzige auf diesem Rund der Erde,
Was keinen Käufer leidet, als sich selbst . . . .
Ich theile meine Freuden nicht. Dem Mann,
Dem Einzigen, den ich mir auserlesen,
Geb’ ich für alles alles hin. Ich schenke
Nur einmal, aber ewig –
so ist das freilich nur eine allgemeine Theorie, von der die specielle Praxis einige leichte Abweichungen zu zeigen pflegt; und bei ihr denn freilich am allermeisten! Bekanntlich behauptet jede Dame auch in andern Ländern als Spanien, und nicht nur dem Geliebten, sondern auch sich selbst gegenüber, nur ihn, den dermal Begünstigten, wirklich und wahrhaft geliebt zu haben und für immer und ewig zu lieben. Eine Deutsche würde, getäuscht in ihren schönsten Hoffnungen, wie die Eboli, sich vielleicht allenfalls aus Convenienz verheirathen; an einen Wüstling aber ihre Person verschenken, blos aus Eifersucht, um [Ξ] sich für die Verschmähung zu rächen – schwerlich. Die Eboli dagegen raisonnirt als echte Spanierin, die die Theorie der Entsagung nicht kennt, und mit dem richtigen Schönheitsstolz der Frau, wenn sie von Carlos’ Verhältniss zur Königin sagt:
Dass er ganz ohne Hoffnung lieben sollte!
Ich kann’s nicht glauben. – Hoffnungslose Liebe
Besteht in diesem Kampfe nicht. Zu schwelgen,
Wo unerhört der glänzendste Monarch
Der Erde schmachtet. – Wahrlich! solche Opfer
Bringt hoffnungslose Liebe nicht.
Opfert sie aber der Liebe rücksichtslos alles, so thut sie es auch für die Rache; ihr ganzes Naturell malt sich durch die Art, in der sie der ihrigen erwähnt:
Es kostet
Mir einen ungeheuern Preis, doch – das
Entzückt mich, das ist mein Triumph – doch ihr
Noch einen grössern –
und Posa urtheilt ganz richtig, wenn er zweifelt, dass sie es je vergeben könne, verschmäht zu sein:
Liebe war
In ihre Tugend wörtlich einbedungen.
Du hast sie nicht belohnt – sie fällt.
Der Instinct der Frauen ist scharf und sie beurtheilen einander selber viel richtiger, als es die Männer thun. So fühlt denn auch die Eboli, sobald sie mit der Königin von Carlos spricht, heraus, dass ihn diese nicht liebt, und von diesem Augenblicke an erwacht ihre Leidenschaft für ihn wieder von neuem und die wildeste Reue, als sie ihn bedroht sieht durch ihren Fehltritt. Ob aber der Zug, dass sie es bis zur Verehrung derjenigen bringt, die in seinem Herzen doch, wenn auch ohne es zu wollen, ihre Nebenbuhlerin ist, nicht eher einer deutschen, als einer südlich leidenschaftlichen Natur angehöre, das freilich müssen wir dahingestellt sein lassen.
[Ξ]
Nur ein Philipp kann einen Alba bilden, weil nur er ihn brauchen kann. Wie der Herr, so der Knecht. Dieser Gehülfe eines Tyrannen ist kalt und schneidig, nicht wie ein Schwert, sondern wie ein Beil. Da der Absolutismus alles, was der Sache gehört, der Person zuwendet, so ist denn auch der Herzog, wenn auch nicht in seiner, wenigstens in aller andern Meinung nicht sowol Diener des Staats, als blos Werkzeug seines Herrn; nichts fällt deshalb auch so an ihm auf, als die Abwesenheit aller höhern Gesichtspunkte. Nur einmal im ganzen Stück nimmt er einen andern Anlauf, da er von Carlos gereizt und beleidigt ist, da sagt er endlich, auf seine Verdienste um Philipp hinweisend, vom König:
Ihm mocht’ es wol bekannt sein, wie viel leichter
Die Sache sei, Monarchen fortzupflanzen,
Als Monarchien – wie viel schneller man
Die Welt mit einem Könige versorge,
Als Könige mit einer Welt. . . .
Und wie viel Blut,
Blut Ihres Volkes fliessen musste, bis
Zwei Tropfen Sie zum König machen konnten.
Dieser Vordersatz müsste offenbar zu ganz andern Consequenzen führen, aber als echter Absolutist zieht er sie nicht, denn da ihn Carlos um die Anwendung fragt, so hören wir weiter nichts als:
[Ξ]
Dies Schwert
Schrieb fremden Völkern spanische Gesetze,
Es blitzte dem Gekreuzigten voran
Und zeichnete dem Samenkorn des Glaubens
Auf diesem Welttheil blut’ge Furchen vor:
Gott richtete im Himmel, ich auf Erden –
was jeder Henker etwa auch sagen kann; er hat keine andere Idee als die der rohen Gewalt, er stützt, was besteht, gleichviel ob gut oder schlecht; Carlos erwidert ihm daher ganz richtig:
Gott oder Teufel, gilt gleich viel! Sie waren
Sein rechter Arm –
und weist ihm damit seinen Platz als blosses Werkzeug an.
Alba ist nach den gewöhnlichen Begriffen wie nach seinen eigenen ein Ritter und ein Mann von Ehre, wie er sie versteht, und wie leider noch viele andere sie verstehen; denn sein Ehrbegriff hindert ihn nicht, alle möglichen Ehrlosigkeiten zu begehen, an den Thüren zu horchen, zu intriguiren, seines Herrn Kuppler zu machen, Briefe stehlen zu lassen, überall ein Henker zu sein, er hindert ihn blos es zu leiden, dass man ihm dergleichen vorwirft; das wäre eine Beleidigung, die er unfehlbar mit Blut abwaschen würde, die ihn selbst gegen seines Herrn Sohn das Schwert ziehen lässt. Auch hier bleibt er im Grunde ganz in seiner Stelle als Werkzeug: wer es an der Schneide anfasst, wird verletzt.
Indessen sowenig der Herzog höhere Gesichtspunkte hat, etwas anderes will als blosser Arm oder noch lieber rechte Hand sein, eins will er auf jeden Fall noch mehr: – sich. Er ist conservativ, um sich zu conserviren vor allen Dingen, und wird er bedroht, seine Stellung gefährdet, so wird er allenfalls selbst revolutionär, wie andere Conservative. Auch dies sieht man am besten aus der Unterhaltung mit Domingo, wo die beiden Edeln ihre Ansichten über die damalige Weltlage austauschen. Seiner Rolle getreu, war der Priester noch klüger als er, schwieg aber, denkend: „Entwischte Worte sind beleidigte Vertraute“, doch da Alba anfängt, so hält auch er nicht länger mit den [Ξ] Geständnissen einer schönen Seele zurück; der Prinz ist ihrer beider Feind, das ist klar, und da gerathen freilich durch seine eventuelle Herrschaft nach ihrer Theorie sofort der Thron und Altar in Gefahr:
Er denkt!
Sein Kopf entbrennt von einer seltsamen
Chimäre – er verehrt den Menschen. – Herzog,
Ob er zu unserm König taugt?
Alba erwidert zwar aus guter historischer Kenntniss:
Das geht vorbei,
Trifft ihn einmal die Reihe, zu befehlen –
da er aber nichtsdestoweniger auf die Intrigue eingeht, beweist er ebendadurch nur um so mehr, wie es ihm viel mehr um sich als um den Staat zu thun ist. Wenn es ihm Vortheil bringt, so zeigt der Herzog überhaupt ein überraschendes Talent, die Dinge von sehr verschiedenen Seiten anzusehen, er wird allenfalls auch Staatsdiener; sagt er doch zu Philipp:
Dem Reiche bin ich mein geheimstes Wissen
Und meine Einsicht schuldig. Was ich sonst
Vermuthe, denke oder weiss, gehört
Mir eigen zu.
Freilich äussert er das nur, um sein Geheimniss theuerer zu verkaufen:
Nicht Alles,
Was klar vor meiner Seele steht, ist reif
Genug für meinen König. Will er doch
Befriedigt sein, so muss ich bitten, nicht
Als Herr zu fragen –
aber er macht es in solchen Fällen, wie wir gleich darauf sehen, leicht zu plump und verfehlt das Ziel. Deutlich genug malt sich die innerlich gemeine Denkungsart in den ersten Worten, die er an Posa richtet:
Der König ist
In Ihren Händen. Nützen Sie, so gut
Sie können, diesen Augenblick –
[Ξ] und die Krone setzt er ihr auf, da er, mit Domingo sich von Posa verdrängt glaubend, sich wieder an die Königin anzuschliessen sucht, die er noch eben ins Unglück stürzen wollte, natürlich blos zum Wohle des Staats, dessen getreuesten Diener er sich nennt.
Das Gesicht des Herzogs, das der Künstler treu nach den vorhandenen Bildnissen des historischen Alba zeichnete, da es dem Schiller’schen vollständig entspricht, zeigt uns in seiner starren Ruhe und Kälte ganz den erbarmungslosesten Egoismus, der den Grundzug des Charakters ausmacht; jene Weltanschauung spiegelt sich in ihm, die nur die Brutalität der Thatsachen, die Gewalt, sonst aber keine andere Regung anerkannte. Es gibt ein Alter, das verehrungswürdig ist, weil es milder und gerechter, edler und intelligenter macht, dies ist aber nur das Alter der edlern Naturen, gemeine werden nur kälter, härter und egoistischer dadurch, blos ihre Unversöhnlichkeit, ihr Eigensinn und ihre Intoleranz steigen mit der Last der Jahre, die edelmüthigen Regungen, die Hingebung und das Lächeln der Freude sind das einzige, was der Schnee des Greisen unter seiner weissen Decke erstarren liess: dieser letztern Art gehören auch die starren Züge des eisernen Herzogs an, auf dem der Fluch der Jahrhunderte ruht und dessen Bild uns der Dichter in so bewunderungswürdig charakteristischen Zügen gezeichnet.