Eine neue classische Stätte Alt-Weimars

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Autor: Robert Keil
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Titel: Eine neue classische Stätte Alt-Weimars
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 402–405
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Wittumspalais (Weimar)
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Eine neue classische Stätte Alt-Weimars.

Von Robert Keil.

Die classische Literaturepoche, die in Weimar ihren Mittelpunkt hatte, hat die Stadt an der Ilm, ihr Schloß und ihren Park, ihr Goethe- und Schiller-Haus, ihre Bibliothek etc. für alle Zeit zu classischen Stätten reicher Erinnerungen geweiht. Ihnen reiht sich jetzt in treuer Wiederherstellung eine neue an, die um so bedeutungsvoller uns erscheinen muß, als sie das Wesen, Leben und Walten der Begründerin des Musenhofs, der geistvollen und liebenswürdigen Herzogin Anna Amalia, uns lebendig veranschaulicht.

Wendet man sich vom Schiller-Hause dem Theater zu, so erblickt man ein die Schiller-Straße abschließendes alterthümliches Gebäude, dessen Seitenflügel den Theaterplatz begrenzt und dessen Dach mit Urnen und einer Amorettengruppe geschmückt ist. Vor hundert Jahren war die Umgebung des Hauses freilich eine [403] wesentlich andere als heute. Damals schloß sich an dasselbe ein freundlicher Garten. Damals stand auch von den Häusern dem Schiller-Hause gegenüber noch kein einziges, es floß vielmehr dort im „Schützengraben“ der Bach offen dahin, und mit mehreren Baumreihen besetzt zog sich an dem nachmaligen Wohnhause Schiller’s vorüber die „Esplanade“ bis zu jenem Hause, das damals noch neu war und zu den ansehnlicheren Gebäuden der kleinen Stadt gehörte. Der Geheime Rath von Fritsch hatte im Jahre 1767, als er sich vermählte, zum Empfange seiner jungen Gattin das Haus erbaut. Als aber am 6. Mai 1774 das Residenzschloß ein Raub der Flammen geworden war, beeilte er sich, seiner verehrten Herzogin dieses Haus zur Verfügung zu stellen, Während der Erbprinz Karl August das neu erbaute und noch unvollendete Landschaftshaus, welches später Fürstenhaus genannt wurde, zu seiner Wohnung wählte, bezog die Herzogin das Haus an der Esplanade und fand sich dort bald behaglicher, als vorher in den weiten Räumen der Wilhelms-Burg. Sie behielt diese Wohnung auch dann, als sie im nächsten Jahre die Regierung in die Hände des Sohnes legte, ja sie hat dieses Haus, welches seitdem den Namen Witthums-Palais führte, fast dreiunddreißig Jahre lang bis zu ihrem Tode bewohnt.

Wohl pflegte sie im Frühling und Sommer meist in Ettersburg und Tiefurt zu verweilen, wo in Frohsinn und Ungezwungenheit, von Liebhabertheater und geistigem Verkehr belebt, die Tage und Wochen idyllisch dahinflossen. Die übrige Zeit des Jahres aber brachte sie, fern aller Einmischung in die Staatsgeschäfte und frei von äußerem Zwang und lästigen Förmlichkeiten, zu Weimar in der einfachen Häuslichkeit dieses Palais bei heiterer Geselligkeit zu.

Obgleich als Braunschweiger Prinzessin nach der damaligen Sitte der Höfe in Vorurtheil gegen alles Deutsche erzogen, aber im Umgang feingebildeter Menschen aufgewachsen, hatte sie sich, neben ihrer echten Humanität, neben inniger Freude an der Natur und warmer Liebe zu Kunst und Wissenschaft, zugleich einen deutsch-nationalen Sinn und lebhafte Sympathie für nationale Geistesentwickelung bewahrt. So war sie einst in die Residenzstadt an der Ilm eingezogen, so hatte sie, die junge Wittwe, als Vormünderin und Regentin, während sturmbewegter Zeit segensreich gewirkt, so mit schöpferischem Geiste aus dem damaligen, an Kleinstädtern reichen, an geistigem Interesse armen Weimar unter Heranziehung bedeutender Männer, vor allem Wieland’s, einen Musensitz geschaffen, der die Augen von ganz Deutschland auf sich lenkte. Jetzt von den Regierungssorgen befreit, konnte sie sich in stiller Zurückgezogenheit der Pflege der Künste und Wissenschaften, und insbesondere ihrer leidenschaftlichen Liebe zu Musik und Literatur ganz und voll hingeben. Sie that es mit der ihr angeborenen Lebhaftigkeit, Liebenswürdigkeit, Lebenslust und Milde, und wurde mit ihrem großen Sohne das Centrum jenes Kreises genialer Geister, welche Karl August in Weimar versammelte. Mit Recht konnte daher Wieland in einem noch ungedruckten vertrauten Briefe an seinen Schwiegersohn, den berühmten Philosophen K. L. Reinhold, vom 4. September 1802 von der Herzogin Amalie sagen: „eine Bessere in ihrer Art und von ihrem Stande giebt es wohl schwerlich auf diesem Erdenrund.“ Mit Recht konnte er von ihr singen:

„Sie würd’ als Schäferin
Die Flur entzücken;
Sie würd’ als Königin
Die Welt beglücken;
Doch immer würd’ in ihr
Sie selbst geliebt.“

Goethe charakterisirt sie ebenso treffend wie kurz als „vollkommene Fürstin mit vollkommen menschlichem Sinn und Neigung, zum Lebensgenuß.“ In Ettersburg, in ihrem Tiefurt und im Witthums-Palais wurde und blieb sie der Mittelpunkt der seltensten Vereinigung von Männern und Frauen, die ohne Ansehen der Geburt nur durch Geist und Gemüth allein Hoffähigkeit und Zutritt bei ihr fanden. Die vertrautesten von allen aber waren die geistvolle Hofdame Fräulein von Göchhaufen und Wieland, zumal erstere mit im Palais und letzterer seit 1803 in der Nähe desselben wohnte.

„Ich bin,“ schrieb der gute Alte an Reinhold, „von der Herzogin Amalie kaum dritthalbhundert Schritte und vom Komödienhause nur fünfzig bis sechszig entfernt.“

Von seinem Fenster aus konnte er seine Fürstin in den Gartenanlagen am Palais lustwandeln sehen. Der feinsinnige Gelehrte und Dichter stand mit ihr seit seinem Eintritt in Weimar und bis zu ihrem Tode in lebhaftem Gedankenaustausch, wie über antike Werke so über die modernen Literaturerscheinungen.

Das Palais mit seiner Pflege der Künste, mit seinen edeln geselligen Freuden sollte aber auch gar trübe Tage erleben, und diese Tage sollten für die Herzogin verhängnißvoll werden. Am 14. October 1806, dem Tage der Jenaer Schlacht, verließ auf inniges Bitten der edeln regierenden Herzogin Louise die Herzogin-Mutter Amalie mit ihrer Enkelin Prinzessin Karoline die Stadt Weimar und flüchtete über Erfurt und Göttingen nach Kassel. Von Sehnsucht getrieben, kehrte sie am 30. October nach Weimar zurück. Sie fand das schwerste Unglück und Elend vor. Zwar hatte das Palais selbst, da es bald eine Sauvegarde bekam, während der brutalen Plünderung der Stadt wenig gelitten, nur die dort aufbewahrten Kunstschätze und die Kellervorräthe waren von der Einquartierung theilweise geschädigt. Aber die ganze furchtbare Katastrophe, das grenzenlose Unglück, das über Deutschland und zumal über Weimar und über ihre eigene Familie so plötzlich hereingebrochen war, hatte die Herzogin auf das Tiefste erschüttert. Hören wir Goethe’s rührenden Bericht:

„In diesen letzten Zeiten, da der unbarmherzige Krieg uns endlich und sie ergriff, da sie, um eine herzlich geliebte Jugend aus dem wilden Drange zu retten, ihre Wohnung verließ, eingedenk jener Stunden, als die Flammen sie aus ihren Zimmern und Sälen verdrängten, nun bei diesen Gefahren und Beschwerden der Reise, bei dem Unglück, das sich über ein hohes verwandtes, über ihr eigenes Haus verbreitete, bei dem Tode des letzten einzig geliebten und verehrten Bruders, in dem Augenblick, da sie alle ihre auf den festesten Besitz, auf wohlerworbenen Familienruhm gebauten jugendlichen Hoffnungen, Erwartungen von jener Seite verschwinden sah: da scheint ihr Herz nicht länger gehalten und ihr muthiger Geist gegen den Andrang irdischer Kräfte das Uebergewicht verloren zu haben. Doch blieb sie noch immer sich selbst gleich, im Aeußeren ruhig, gefällig, anmuthig, theilnehmend und mittheilend, und Niemand aus ihrer Umgebung konnte fürchten, sie so geschwind aufgelöst zu sehen. Sie zauderte, sich für krank zu erklären, ihre Krankheit war kein Leiden, sie schied aus der Gesellschaft der Ihrigen, wie sie gelebt hatte.“

Am 10. April 1807 entschlief sie, und der geistvolle Fernow sprach nur das allgemeine Gefühl aus, als er dem Ausdruck der tiefsten Trauer die Worte beifügte: „Sie wußte den Fürsten und den Menschen in sich zu vereinigen. Sie zog die besseren Geister an, wo sie sie fand. Wir wollen uns glücklich preisen, daß wir in dieser Zeit gelebt und diese Fürstin gekannt haben; eine bessere sehen wir nicht wieder, auch ihres Gleichen nicht.“

Das Witthums-Palais stand verwaist. Die Räume desselben dienten zeitweise der Loge, eine Zeit lang dem Landtag und dessen Präsidenten, später dem Lese-Museum, und Weimars größter Künstler, der Landschaftsmaler Friedrich Preller, schuf hier, von echter Kunst und homerischem Geiste beseelt, jene einzig-schönen Odyssee-Bilder, deren Ausführung das Weimarische Museum als dessen höchste Zierde schmückt. Viele Gegenstände, die einst diese Räume gefüllt hatten, waren in andere Schlösser und Kunstsammlungen, sowie in das Theater übergegangen. Doch die ehemalige Wohnung der Herzogin Amalie sollte in all der alten traulichen und behaglichen Einrichtung, als treues Bild ihrer Zeit neuerdings wieder erstehen. In pietätvoller Verehrung für seine Ahnin und die klassische Weimarische Epoche, deren Mittelpunkt sie mit ihrem großen Sohne war, hat der Großherzog Karl Alexander seit den letzten Jahren die Wiederherstellung des Witthums-Palais in den Zustand, als Anna Amalie es bewohnte, betrieben und hat mit genauer Kenntniß der Einzelheiten Alt-Weimars unter Beistand des Hausmarschalls Grafen Wedel diese schwierige Ausgabe gelöst. Aus den großherzoglichen Schlössern, den Kunstsammlungen und dem Theater sind fast alle die Möbels und Bilder, die zu Amaliens Zeit deren Wohnräume schmückten, wieder herbeigeschafft und, so weit möglich, treu dem damaligen Standort wieder ausgestellt und geordnet worden. So geben nun diese Zimmer uns wieder ein Gesammtbild von dem Heim, in welchem Herzogin Amalie einst gelebt und gewaltet hat. Mit dankenswerther Munificenz ist auch diese neue klassische Stätte Alt-Weimars dem Besuche des Publicums geöffnet. Treten wir ein!

[404] Ein freundlich helles Treppenhaus empfängt uns, in welchem durch sinnig angebrachte Medaillonbilder das Andenken Friedrich Prellers gefeiert wird. Wir gelangen zunächst in das Speisezimmer der Herzogin. Mit der grünen Holztäfelung, den grünen Vorhängen und gleichfarbigen Stühlen, den großen Wandleuchtern, dem schwarzen, eine Büste tragenden Ofen und dem alten, mit der Abbildung einer Ilm-Partie gezierten Ofenschirm macht dieses Zimmer einen gemüthlichen, anheimelnden Eindruck. Auf einem marmornen Spieltische stehen alte schöne Armleuchter, auf einem andern Tische eine große Urne, auf dem Tische vor einem Spiegel ein kleiner Obelisk, kleine Urnen, bronzene Figuren und andere Tafelaufsätze und Nippsachen, die zum Theil wohl die Herzogin von ihrer italienischen Reise heimgebracht hatte. Die eine Wand wird von einem sehr anmuthigen und schönen Kniebild der Mutter der Herzogin geschmückt.

Die unbegreifliche Kälte und Abneigung, welche die Mutter gegen ihre Tochter bekundete, hat diese mit Liebe und liebevollem Andenken erwidert. Der Hauptschatz dieses Zimmers aber ist das prächtige Bild des jugendlichen Friedrich’s des Zweiten, welches der große Preußenkönig selbst seiner Nichte, der Herzogin Amalie, geschenkt hat. Es stellt ihn in blauem Kleide, mit Stern, an einem Tische stehend, dar.

Es dürfte kaum ein zweites Bild existiren, welches Geist, Genie und Charakter des jungen Königs so treffend wiedergiebt wie dieses. Der Herzogin war es lieb und theuer, und mit freudigem Stolze pflegte sie dasselbe den sie Besuchenden zu zeigen.

Die beiden folgenden, in rother Seide und rothen Möbeln elegant ausgestatteten Zimmer versetzen uns mitten in den Kreis der bedeutenden Persönlichkeiten, die den Weimarischen Musenhof bildeten.

In dem nächsten, dem Empfangszimmer, finden wir ein treffliches Bild des durch seine launigen Dichtungen, seine Liebenswürdigkeit und Zerstreutheit bekannten Freundes der Herzogin, des Oberhofmeisters von Einsiedel, in den Ecken Büsten von Knebel’s und des Fräuleins von Göchhausen. In dem folgenden, dem Dichter-Zimmer, die Portraits Wieland’s, Goethe’s, Herder’s und Schiller’s, in einer Ecke eine Büste Karl August’s als Knabe, und an der Hauptwand ein großes, reizendes Bild der Herzogin selbst. In weißem Atlaskleid sitzt sie lesend neben dem Clavier, während ihr kleiner Hund an ihr in die Höhe springt. Mit ihren großen, geistreichen Augen sieht sie vom Buche auf und den Beschauer so lebhaft an, als wenn sie in Wirklichkeit lebte.

Wie einfach sie lebte, veranschaulicht in wahrhaft rührender Weise das anstoßende Gemach, es ist das Schlaf- und Sterbezimmer der Herzogin. Die Wände mit grüner Seide bedeckt und mit den Bildern der nächsten braunschweigischen und weimarischen Verwandten geziert, auf einem halbrunden sogenannten Kommodchen eine alterthümliche Uhr und Nippsachen, hat dieses kleine Zimmer den Charakter des Inniges und Traulichen. In einer Nische ein einfaches Bett (ehemals als Himmelbett eingerichtet), daneben auf einem Tischchen ein Paar rothe, gestickte Schuhe der Herzogin, mit den damals üblichen hohen Absätzen, über dem Bett ein kleines Bild ihrer Mutter und ihm gegenüber die Bilder ihrer Kinder: ein allerliebstes Bild Karl August’s als Kind, ein Bild von ihm als Militär und ein Portrait ihres in den Jugendjahren „von der Parze entrissenen“ Sohnes, des Prinzen Constantin, dem die trauernde Mutter im Tiefurter Park ein Denkmal errichtet hat. Wenn sie Morgens die Augen öffnete, fiel ihr erster Blick auf die Bilder ihrer lieben Kinder.

Neben dem Schlafzimmer befindet sich das ebenso enge wie einfache Toilettenzimmer. Zahlreiche kleine Masken- und Costümbilder, historisch interessante Darstellungen der Ruinen des niedergebrannten Weimarischen Schlosses, italienische Landschaften u. dergl. m. zieren das Gemach. Ein Kniebild der Herzogin zeigt sie im reiferen Alter, in Morgen-Toilette, mit ernstem Gesichtsausdruck. Es finden sich ferner hier ein sehr hübsches Wachs-Relief Karl August’s, eine Silhouette der Herzogin und in einem Glaskasten ein Fächer von ihr, ihr Spazierstock und zahlreiche andere Reliquien.

Wir treten auf den schmalen Corridor heraus. Die Wände desselben sind mit kleinen Landschaften, z. B. Ansichten vom „Stern“ im Weimarischen Parke, namentlich aber mit Portraits der Damen geschmückt, mit denen als den Zierden des Musenhofs die Herzogin so gern verkehrte. Jedem Besucher werden zwei Gemälde unvergeßlich bleiben, die hier gegenüber hängen. Auf der einen Seite die höchste Zierde des fürstlichen Liebhabertheaters, die erste Iphigenie, Goethe’s Freundin und Geliebte, die große und edle Künstlerin Corona Schröter, in anmuthiger Schönheit, in weißem, blauverziertem Gewande, den Kopf leicht auf die klassisch schöne Hand gestützt, im reichen Haare geschmackvollen Perlen- und Federschmuck. Sie war die Hof- und Kammersängerin der Herzogin Amalie. Ihr gegenüber das musterhaft gemalte Portrait einer andern berühmten Frau der weimarischen Glanzepoche: eine Dame von üppiger, vollerblühter Schönheit, mit blondem, leicht gepudertem Haare, mit blauen Altgen voll Geist und sinnlichem Reize und mit lächelndem Munde. Es ist die Geliebte Schiller’s, welche auf den Dichter und seine Dichtungen so starken Einfluß geübt hat, welche auch in der Gesellschaft regelmäßig ihren Platz neben ihm hatte, welche auch bisweilen von Herzogin Amalie gemeinschaftlich mit Schiller, wie zwei Personen, die nun einmal zu einander gehören, nach Tiefurt eingeladen wurde – es ist die Freundin Goethe’s, Herder’s, Jean Paul’s, die ebenso geistreiche als tiefunglückliche Frau Charlotte von Kalb.

Wenden wir uns nach dem oberen Stocke des Hauses, so gelangen wir in drei Zimmer, in denen die Herzogin dem geistigen Verkehre und der Pflege der Künste sich hingab, ein jedes in seiner Art von besonderer Bedeutung. Das erste, der sogenannte Ecksalon, in elegantem Blau gehalten, hat ein noch wohlerhaltenes Deckengemälde von Oeser. Schöne Vasen mit Leuchter schmücken das Zimmer; das werthvolle Bild eines englischen Malers, die Rückkehr Friedrich’s des Zweiten und seiner Generäle von der Parade darstellend, und mehrere Familienbilder zieren die Wände. Besonders aber erfreuen uns prächtige italienische Landschaften, z. B. der Wasserfall des Belino bei Terni u. a. m. Sie gehören wohl mit „zu den Bildern und Zeichnungen, welche die Herzogin aus Italien als ewig süße Erinnerungen der schönen da verlebten Zeit mitgebracht hatte“, und welche Sophien von La Roche, der sie dieselben gezeigt, nachher zu dem Ausrufe veranlaßten: „wie viel Geist und Geschmack des Wahren, Großen und Schönen liegt in der Auswahl der Gegenstände dieser Bilder und Zeichnungen!“

Frau von La Roche gedenkt auch eines „prächtigen, in der feinsten und vollkommensten Mosaik gearbeiteten Gemäldes des Triumphbogens von Constantin“, das Papst Pius der Sechste der Herzogin zum Andenken geschenkt habe. Leider scheint dies Kunstwerk unter den jetzigen Kunstschätzen des Palais nicht enthalten zu sein. Wir werden durch ein schönes Medaillonbild Goethe’s, „von J. Ph. Melchior nach dem Leben modellirt 1775“, durch viele reizende Gegenstände aus der Zeit Alt-Weimars entschädigt. Manche davon waren als Andenken an die Herzogin in Privatbesitz übergegangen und sind nun zu Bereicherung der Palaissammlung in dankenswerther Weise zurückgegeben worden. Von besonderem Interesse ist eine von Herrn Justizrath Gille zu Jena hierher verehrte Tasse mit einem Miniaturbildchen, das die Herzogin Amalie, Fräulein von Göchhausen und die Herren von Einsiedel und von Wolfskeel beim Kartenspiele darstellt – ehemals ein Geschenk Amaliens an von Wolfskeel – und ein sprechend ähnliches kleines Medaillonbild der Herzogin aus dem Besitze des Fräuleins Obstfelder zu Weimar.

In diesem Salon hatte die Herzogin ihre geistig belebten Gesellschaften, hier verlebte sie in edler Geselligkeit, in vertrautem Verkehre mit den berühmten Männern und Frauen, welche Weimar zu einem Sitze der Musen umgeschaffen hatten, und im Genusse der neuesten Produkte der Literatur glückliche Stunden.

„Unsere Herzogin ist eine recht wackere Frau und es lebt sich recht gut in ihrer Gesellschaft,“ schrieb Schiller am 10. Oktober 1803 an Körner. Der Letztere verkehrte damals in ihrem Cirkel bei ihrem Besuche Dresdens, und sein Bericht darüber an Schiller dient auch zur Veranschaulichung ihrer weimarischen Gesellschaften.

„Die Herzogin hat viel Sinn für feinern Lebensgenuß und ist sehr gutmüthig dabei. Einsiedel ist ein gebildeter Mann, mit dem sich allerlei sprechen läßt. Auch die Göchhausen mag ich recht gern. Sie hat sehr hübsche Attentionen, den ungezwungenen Ton immer zu erhalten, und paßt recht gut zu ihrer Stelle. Kurz, wenn ich in Weimar lebte, ich würde viel in diesem Cirkel sein.“

Vielleicht gab es aber auch wohl Momente, die jenes Bild boten, das die Gräfin Henriette von Egloffstein von den Tiefurter [405] Gesellschaften der Herzogin so anschaulich mit den Worten gezeichnet hat:

„Vermöge der zwanglosen Freimüthigkeit, womit Jeder in Gegenwart der Herzogin Amalie seine individuellen Ansichten aussprechen und vertheidigen durfte, knüpften sich zwischen den hochbegabten Besuchern die geistreichsten Unterhaltungen an, doch gingen diese nur allzu oft in heftige Diskussionen über, bei welchen Wieland’s launenhafte Krittelei, Herder’s persiflirender beißender Witz, sowie Knebel’s unbezähmbare Leidenschaftlichkeit, vor Allem aber Goethe’s dictatorisches Genie kräftig hervortraten und den Streitenden nicht selten scharf verletzende Worte auf die Zungen legten, die den stets vorhandenen Brennstoff in den Gemüthern so gewaltsam anfachten, daß selbst Amaliens Gegenwart und ihre versöhnende Milde nicht hinreichten, die hoch auflodernden Leidenschaften zu dämpfen.“

Das nächste Gemach mit dem kleinen Malertische ist das Malzimmer der Herzogin. Mit Eifer versuchte sie sich in dieser Kunst. Zu Goethe’s „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“ malte sie im Verein mit Goethe und Kraus das Gemälde vom „Bänkelsänger“, das nach dem Zeugniß des Fräuleins von Göchhausen „von Kennern und Nichtkennern für ein rares und treffliches Stück Arbeit gehalten wurde“, und sandte später eine kleine Copie desselben nach Frankfurt an Frau Rath „für das Weimarische Zimmer“. Die talentvolle Schauspielerin Christiane Neumann („Euphrosyne“) wurde als Göttin der Gerechtigkeit, als welche sie in ihrem zehnten Jahre einen Prolog von Schiller gesprochen, von der Herzogin in Oel gemalt.

Das Witthums-Palais in Weimar.
Nach einer Photographie.

Das dritte Zimmer war das Musikzimmer der Herzogin. In Braunschweig hatte sie an Fleischer einen tüchtigen Lehrer der Musik gehabt und nährte ihr ganzes Leben hindurch eine leidenschaftliche Liebe zu dieser Kunst. Sie war nicht nur Kennerin der Musik, sie componirte auch selbst. Die Arien zu Goethe’s „Erwin und Elmire“ sind ihr Werk. Als Zeugen dieser musikalischen Studien und Genüsse der Herzogin finden sich hier noch ihre schöne Laute, ihre reich decorirte, doch jetzt saitenlose Harfe, und ihr Clavier, das lange Zeit im Theater bei Proben gedient haben soll, nun aber die alte Stelle wieder eingenommen hat. Ein Heft Noten von Haydn liegt auf dem alten Clavier. Es ist, als ob die Herzogin an den Schöpfungen des Meisters sich soeben erst ergötzt, soeben erst das Zimmer verlassen hätte.

Wir treten endlich in den Saal. In einfach-schöner architektonischer Gliederung, in rothmarmorirter Stückarbeit, mit einer erhöhten Decke, die mit einem großen Gemälde von Oeser geschmückt ist, ist der Saal nicht nur trefflich erhalten, sondern bietet auch in seiner ganzen Ausstattung, in treuer Durchführung des Stiles jener Zeit einen wohlthuenden harmonischen Anblick.

Hier veranstaltete die Herzogin jene Concerte, in denen ihre Kammersängerin Corona Schröter seit ihrem Eintritt in Weimar (16. November 1776) mitwirkte und mit ihrem meisterhaften Gesange die Herzen gewann. Hier erfreute sich Amalie bisweilen dramatischer Aufführungen, z. B wiederholt der „stolzen Basti“ von Gotter, und öfters auch des bunten Maskenscherzes, der zu den liebsten Neigungen der lebenslustigen Fürstin gehörte. Hier war es aber auch, wo Goethe im Jahre 1813 die vollendet schöne Rede zu Wieland’s Todtenfeier hielt, an welche jetzt eine in diesem Saale ausgestellte Büste Wieland’s sinnig mahnt. Hier schuf später Meister Preller seine genialen Odyssee-Bilder. Und als die Wiederherstellung des alten Heims der Herzogin Amalie ihrem Urenkel gelungen war, veranstaltete er, wie zur Feier dieser Vollendung, am 20. Februar 1882 in diesem Saale ein Costümfest, das mit einer Schäferquadrille aus dem Zeitalter des Rococo, mit Anmuth, Lust und Scherz, im Sinne der lebensfrohen Herzogin Amalie deren einstige Räume wieder belebte.

Wir haben unsern Rundgang vollendet, doch unmöglich können wir das Witthums-Palais verlassen, ohne noch einen kleinen Corridor, der mit vielen italienischen Landschaften (zum Theil wohl ebenfalls Erinnerungen an Rom) geschmückt ist, durchschritten und die beiden anstoßenden Mansardenzimmer besucht zu haben. Sie sind mit Herder’s Stuhl, Arbeitspult und Tisch, und mit vielen seltenen Bildern von Personen, die zu dem Kreise der Herzogin gehörten und in deren Palais verkehrten, angefüllt.

Aber mehr als alle diese Gegenstände müssen die Zimmer selbst interessiren; waren sie doch die Wohnung der treuesten Freundin Amaliens, des körperlich unschönen, weil verwachsenen, aber geistvollen und witzigen Fräuleins von Göchhausen, der „Thusnelda“, wie ihr Scherzname lautete. In diesen beiden freundlichen Zimmerchen pflegte sie jeden Sonnabend Vormittag eine bald größere, bald kleinere Gesellschaft zum sogenannten Freundschaftstage zu versammeln, an dem auch von Einsiedel, Heinr. Meyer, Böttiger, Bertuch und Andere, bisweilen auch Wieland, zu lebhafter geistiger Unterhaltung sich einfanden. Hier wurden auch die dramatischen Ausführungen für die Herzogin vorbereitet. Hierher lud sich Goethe, als im Jahre 1800 der Herzogin Amalie zu ihrem Geburtsfeste eine Ueberraschung bereitet werden sollte, bei den Hofdamen zum Frühstück, und zwar auf Punsch ein, versammelte die Personen, denen er Rollen zugedacht, um sich und dictirte dem Fräulein von Göchhausen die verschiedenen Rollen in die Feder, während er selbst im Zimmer gravitätisch auf- und abschritt. War eine Rolle bis auf einen gewissen Punkt dictirt, so mußte sie sofort memorirt und mit der entsprechenden zweiten probirt werden, wobei Goethe auf das Lebhafteste antrieb und vorspielte. So wurde in zwei Vormittagen Goethe’s Festspiel „Paläophron und Neoterpe“ fertig. Fast wäre noch im letzten Augenblick Alles am Gelbschnabel und Naseweiß gescheitert, da die dazu gewählten Kinder sich die Nasenmasken durchaus nicht anhängen ließen; doch Goethe wußte Rath: rasch wurden ein paar Kinder vom Theater eingeübt, und zu höchster Freude der Herzogin Amalie wurde das Festspiel glücklich aufgeführt.

Wir aber, indem wir von diesem erinnerungsreichen Heim der kunstsinnigen Herzogin Amalie scheiden, gedenken des schönen Wortes Leonorens in Goethe’s „Tasso“:

„Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,
Ist eingeweiht; nach hundert Jahren klingt
Sein Wort und seine That dem Enkel wieder!“