Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)/Oculi

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Am Sonntage Oculi.

Ephes. 5, 1–9.
1. So seid nun Gottes Nachfolger, als die lieben Kinder. 2. Und wandelt in der Liebe, gleichwie Christus uns hat geliebet und sich selbst dargegeben für uns, zur Gabe und Opfer, Gott zu einem süßen Geruch. 3. Hurerei aber und alle Unreinigkeit, oder Geiz, laßet nicht von euch gesagt werden, wie den Heiligen zustehet; 4. Auch schandbare Worte und Narrentheidinge, oder Scherz, welche euch nicht ziemen; sondern vielmehr Danksagung. 5. Denn das sollt ihr wißen, daß kein Hurer, oder Unreiner, oder Geiziger (welcher ist ein Götzendiener) Erbe hat an dem Reich Christi und Gottes. 6. Laßet euch niemand verführen mit vergeblichen Worten; denn um dieser willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Unglaubens. 7. Darum seid nicht ihre Mitgenoßen. 8. Denn ihr waret weiland Finsternis, nun aber seid ihr ein Licht in dem HErrn. 9. Wandelt wie die Kinder des Lichts. Die Frucht des Geistes ist allerlei Gütigkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit.

 JE tiefer hinein in die Passionszeit die Kirche geht, desto theilnehmender an dem, was sie die ganze Zeit bewegt, wird auch der Sonntag. Werden die Sonntagstexte auch nicht geradezu Passionstexte, so zeigen sie doch immer mehr den HErrn und Seine Kirche im Kampfe. Der Leidende ist auch ein Kämpfender, der Kampf ist dem Leiden verwandt; so besteht eine Verwandtschaft zwischen den sonntäglichen und wöchentlichen Lectionen der Passionszeit. Schon das Evangelium des vorigen Sonntags zeigt uns den HErrn im Kampfe gegen die Dämonen. Doch erscheint da der Kampf noch so leicht, daß man eher von einem Siege, als von einem Kampfe reden könnte. Ganz anders ist es in dem heutigen Evangelium. Da erscheint nicht bloß ein Kampf und Sieg Christi wider die Dämonen in der Heilung des Stummen, sondern der HErr zeigt in den darauffolgenden Reden, wie Er und Sein Reich gegenüber dem Reich des Teufels in einem beständigen Gegensatz und Kampfe seien. Der Schleier, der vor unserm blöden Auge das Leben und Weben der bösen Geisterwelt bedeckt, wird von dem HErrn gelüftet. Da sieht man also des HErrn Geduld und große Arbeit, da kann man vom Evangelium des Tages aus schließen, welch’ einen Kampf der HErr auch in Seinem Leiden und Sterben gegen den Teufel gehabt haben wird. Stehen auch von diesem Kampfe in der Passionsgeschichte wenige Zeichen zu Tage, so sind ihrer doch genug vorhanden, um den Schluß zu rechtfertigen, den wir aus dem heutigen Evangelium machten. Zu den Evangelien stimmen die Episteln. Wenn in diesen überhaupt der Gang der Kirche erscheint, wie er neben dem Gange des Herrn JEsus einherläuft, so sieht man insonderheit in den Episteln der Passionszeit die Kämpfe der Kirche Gottes neben den Kämpfen JEsu dahinlaufen, welche die Passionsevangelien beschreiben. Zeigt sich in den Evangelien des heutigen und vorigen Sonntags der Kampf JEsu gegen die Dämonen, so sehen wir die heutige Epistel im Zusammenklang mit der vorigen die Kämpfe der Kirche| darstellen, welche sie gegen die stärkste Hand des Teufels, gegen die heftigste und andauerndste, gewöhnlichste Anfechtung, nemlich von Seiten der bösen Lust und der Habsucht zu bestehen hat. Einerlei Thema haben die beiden Evangelien, einerlei die beiden Episteln, nur daß von beiderlei Texten immer der zweite der stärkere und mächtigere ist. Wie die Texte, so die Auslegungen. An beiden Sonntagen haben sie gleichen Inhalt. Es ist auch gar nicht Ursache, sich vor einer doppelten Besprechung derselben Gegenstände von dieser Stelle aus zu scheuen. Jeder von den beiden heutigen Texten hat sein Besonderes vor denen des vorigen Sonntags voraus, so daß wir reicher von dannen gehen können, wenn wir wollen, als am Schluße der vorigen Sonntagsbetrachtung. Dazu kommt ja auch die hohe Noth der Zeit, die Wichtigkeit der Sachen, die Größe der Gefahren, in welchen die Kirche steht. Wir werden daher wohl thun, uns freudig und willig darein zu schicken, das ähnliche Wort des Apostels Paulus, welches er an die Ephesier von Unreinigkeit und Habsucht schreibt, in’s Auge zu faßen, so wie wir am vorigen Sonntag das Wort gleichen Inhalts an die Thessalonicher betrachtet haben.

 Unser heutiger epistolischer Text umfaßt die neun ersten Verse des fünften Kapitels an die Epheser. Von diesen neun Versen enthalten zwei, der dritte und vierte, den Brennpunkt des Ganzen, die eigentliche Warnung vor den Sünden, die wir im Allgemeinen bereits genannt haben. Drei Verse, nemlich 5–7, verstärken die Warnung, indem sie mit großem Ernste auf die göttliche Strafe hinweisen, welche denen folgen soll, die trotz des apostolischen Wortes und Verbotes sich dennoch den Sünden hingeben werden. Die beiden Anfangs- und die beiden Schlußverse des Textes aber sind allgemeinerer Art, leiten den Ernst der beiden mittlern Theile des apostolischen Wortes ein und aus. So fügt sich das Ganze harmonisch zusammen und empfiehlt sich jedem Leser und Hörer zu tiefster Würdigung und treuer Prüfung. – Wir folgen dem Gang des apostolischen Wortes mit treu betrachtendem Auge. –

 Im Eingang spricht der Apostel: „So seid nun Gottes Nachfolger als die lieben Kinder“. Hier, meine lieben Brüder, wird uns gezeigt, daß wir können und dürfen, was wir nicht gedacht und nicht geahnt, haben. Man sagt uns wohl, wir sollen dem und dem Menschen nachfolgen, und wir verstehen und begreifen eine solche Vermahnung sehr wohl, denn was ist natürlicher, als daß ein Mensch dem andern nachfolgt. Wenn wir aber von irgend einem andern als von einem Apostel ermahnt würden, Gottes Nachfolger zu werden, so würden wir wohl die Antwort geben: „Gott kann und darf man nicht nachfolgen oder Ihm nachahmen. Wir sind nur Staub, und wenn man auch einen gewaltigen Schlag in den Staub thut, um ihn aufzuregen und fliegend zu machen der Sonne entgegen, der Sonne nach, so fliegt er doch nicht hoch und nicht lang, sondern er fällt wieder zur Erde. Was kann der Staub Gott nachahmen? Welch ein Hochmuth ist es, es zu wollen? Wenn einer der Sonne nachfolgen wollte in ihrem reißenden Strahlengange, so würde man ihn für unsinnig halten; was soll man aber von Einem sagen, der Gott nachfolgen will?“ So würde man sprechen können, und wahrlich, man könnte in dieser Sprache eine große Wahrheit finden. Allein da steht nun eben ein Apostel, ein Abgesandter Gottes, und befiehlt uns in Seinem Namen, was wir weder zu können, noch zu dürfen glaubten. Wir sollen Gottes Nachfolger werden, und der Grund, warum, ist uns angesagt: „Seid Gottes Nachfolger als die lieben Kinder“. Also weil wir Kinder sind, aus Gott geboren, so können und dürfen und sollen wir dem Vater nachfolgen, aus dem wir geboren sind; und weil wir nicht allein aus Gott geboren und Gottes Kinder, sondern auch von Ihm geliebt, jetzt noch geliebt sind, so haben wir in der Liebe unsers Vaters noch einen Zug mehr zu allem Guten und zu alle der Nachfolge unsers allerliebsten himmlischen Vaters. Da finden wir uns also durch Sein eignes Wort getrieben, zu werden, was wir nie gehofft: „Nachahmer Gottes“, und weil wir ja allerdings Gottes Kinder sind durch Seine Taufe, so wallen und regen sich in uns die Kräfte der neuen Creatur, wenn uns von außen her, ja aus unsers Vaters Hause, ein Zuruf kommt, dem Vater nachzuarten. Unser Herz verlangt vor allem nur zu wißen, worinnen wir, die wir Staub sind, in der Kraft der neuen Creatur, die aus Gott ist, unserm HErrn und Gott nachfolgen dürfen und können; denn daß wir es doch nicht in jedem Stücke dürfen, ist am Tage. – Antwort auf| unsre Frage gibt uns der Text selber; denn der Apostel fährt im Eingang, und zwar im zweiten Verse des Kapitels, in folgender Weise fort zu reden: „So seid nun Gottes Nachfolger, als die lieben Kinder, und wandelt in der Liebe, gleichwie auch Christus uns geliebt, und sich selbst für uns dargegeben hat, zur Gabe und Opfer, Gott zum Geruche des Wohlgefallens“. Bei diesem letzten Verse könnte man nun wohl sagen: es sei viel mehr zur Nachfolge Christi, als zur Nachfolge Gottes aufgefordert; aber es erscheint uns eben Gott selbst in Christo JEsu, und es wird uns in dem eingebornen Sohne klar, was das sei, darinnen wir dem Vater nachahmen dürfen. Es ist die Liebe zu denen, welche der Vater liebt und der Sohn. Nicht hat der Vater und der Sohn und wir einerlei Liebeserweisungen. Denn dem Vater wird geopfert, ER aber opfert nicht und liebt dennoch das menschliche Geschlecht; – der Sohn opfert sich dem Vater zur Gabe und zum Opfer, und Sein Opfer steigt auf wie ein süßer Gott wohlgefälliger Geruch; darinnen erweist ER die Liebe zu denen, die Sein Vater liebt; – wir hingegen können weder wie der Vater lieben, von dem alle Dinge sind, noch wie der Sohn, durch den alle Dinge sind, dennoch aber sollen wir lieben wie beide, und wenn wir auch nicht Gabe und Opfer werden können für unsre Brüder, so sollen wir uns dennoch für andere thätig und leidend hingeben und in Liebe und aus Liebe zu den Brüdern auch Kreuz und Tod nicht scheuen. Da wird uns nun auf diese Weise und durch diesen Eingang Grund und Uebergang so schön für den besondern Inhalt dieser Epistel gelegt und gezeigt. Der Gehorsam gegen den besondern Inhalt erscheint als Liebe und diese Liebe als Nachahmung Gottes, und ob wir uns wohl bei diesem Eingange länger nicht aufhalten können, so wollen wir doch nicht vergeßen, im weitern Verlauf des Textes bei jeder Einzelheit uns wieder zu besinnen, wie sich darin Liebe und Nachfolge Gottes und Christi zeigt.
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 Wir stehen bei dem dritten und vierten Verse unsers Textes. Diese sind es, in welchen die entschiedenste Aehnlichkeit mit der vorigen Epistel zu Tage tritt. Die Summe der beiden Verse ist wie die der vorigen Epistel zusammengefaßt, wenn wir sagen, es sei der Uebertretung des sechsten und siebenten Gebotes gewehrt. Dabei aber ist das, was von der Uebertretung des sechsten Gebotes gesagt wird, weitläufiger und mehr in’s Einzelne gehend, als der gleichartige Inhalt der vorigen Epistel. Und zwar ist die Deutung des sechsten Gebotes auf Lebensgebiete verfolgt, für welche sich das Fleisch im Menschen, um nicht zu sagen im Christen, gerne die Freiheit vorbehält, wie das alle Tage an allen Orten und Enden zu sehen ist. Laßt uns einmal mit vorläufiger Uebergehung deßen, was in unserm Texte das siebente Gebot betrifft, die apostolischen Worte etwas genauer betrachten. M. Luther übersetzt die Verse, bei denen wir stehen, vortrefflich in folgender Weise: „Hurerei aber und alle Unreinigkeit, oder Geiz, laßet nicht von euch gesagt werden, wie den Heiligen zusteht, auch schandbare Worte und Narrentheidinge oder Scherz, welche euch nicht ziemen, sondern vielmehr Danksagung.“ Im erstern Verse ist der Wortlaut des Textes etwas anders. Es heißt nicht: „Hurerei aber und alle Unreinigkeit, oder Geiz, laßet nicht von euch gesagt werden,“ sondern: „Sie sollen unter euch nicht einmal genannt werden“. Nun ist es aber offenbar, daß der Apostel nicht der Meinung sein kann, es sollen die Worte „Hurerei, Unreinigkeit, Habsucht“ in der Christenheit nicht gebraucht werden, auch nicht, wo es gilt, vorhandene Sünden zu strafen. Wäre das der Sinn, so würde der Apostel selbst in dieser und in andern Stellen wider sein Gebot und seine Regel handeln. Daher können die Worte keinen andern Sinn haben, als den: Hurerei, Unreinigkeit und Habsucht sollen so wenig unter euch vorkommen, daß man auch nicht einmal Grund und Ursache findet, sie zu nennen. Dies aber ist mit schärfern und eingehendern Worten nichts anderes, als was Luther mit allgemeinerem Ausdruck in der Stelle seiner Uebersetzung andeutet: „Laßet nicht von euch gesagt werden“. Die Forderung des Apostels ist eine gewaltige. Welche heutige Gemeinde wird von sich sagen können, sie lebe in der Erfüllung dieser apostolischen Worte? Alle Stände unsrer Gemeinden pflegen von bösem Gewißen in Betreff des sechsten Gebotes innerlich angenagt und zerfreßen zu sein; beide Geschlechter in allen Ständen haben gleiche Beichten von sich abzulegen, die äußre Bildung oder Rohheit macht hierin wenig Unterschied; ein und dieselbe Last drückt Alle. Böse Beispiele| ohne Zahl finden sich in allen Schichten der Bevölkerung, so daß auch nicht ein Schein vorhanden ist von jenem Gehorsam gegen ein apostolisches Gebot, nach welchem nicht einmal eine Ursache vorhanden sein soll, in einer christlichen Gemeinde die Namen „Hurerei oder Unreinigkeit“ zu nennen. – Der Apostel wußte wohl, welch eine hohe, dem Fleische unmögliche Forderung er stellte und wie wenig Gehorsam zu hoffen stand; dennoch stellte er die Forderung, die zu Rechte besteht, man genüge ihr oder nicht. Er gehörte nicht zu denen, welche das Gebot verringern und lindern, wenn es sich zeigt, daß keine Aussicht auf Gehorsam ist. Die geringe Leistung, die er findet, nimmt ihm so wenig den Muth zur Forderung, als das Recht. Er bedarf die gestrenge Forderung zur Erweckung tiefer Buße, wenn er auch die gewünschte und ersehnte Stufe der Heiligung damit nicht erreicht. Er will auch nicht haben, daß wir in unsern Forderungen an uns selbst und in unsern Zielen hinter ihm selbst und seinen Worten zurück bleiben, sondern auch wir sollen Großes fordern, weil es recht ist, und damit wir wenigstens die Reizung zu tiefer Buße finden, wenn wir die Macht nicht haben, Großes in der Heiligung zu leisten. –

 Sehen wir auf das Einzelne, was der Apostel fordert, so finden wir eine größere Ausführlichkeit, als in der vorigen Epistel. Es wird nicht allein die Hurerei genannt, sondern neben ihr zuerst die Unreinigkeit. In dieses Wort eingeschloßen sind alle Arten von Verunreinigung der Seele durch Fleischeslust, welche in das Wort „Hurerei“ sich nicht einschließen laßen. Doch scheint nach des Apostels Meinung nur thätliche Verunreinigung unter dem Worte verstanden zu sein; es würden sonst nicht diejenigen Versündigungen gegen das sechste Gebot, welche insonderheit durch die Zunge geschehen, von dem Apostel ausdrücklich und besonders genannt sein. Er nennt aber im vierten Verse „schandbare Worte, Narrentheidinge und Scherz“. Von diesen dreien ist das erste selbstverständlich, während rücksichtlich der beiden letztern die Bemerkung zu machen sein wird, daß der Scherz, den der Apostel meint und der er an und für sich selbst so unlöblich und unehrlich im Reiche Gottes ist, wie die Narrentheidinge, doch in Verbindung mit etwas mehr Bildung und Schliff des Lebens zu faßen ist, als die Narrentheidinge, die mehr mit Rohheit verbunden scheinen. Uebrigens wird wohl von den drei zuletzt verbotenen Dingen zu sagen sein, daß an ihnen allen ein Anstrich von Unkeuschheit und Unzucht hängt. – Möglich ist es, meine lieben Brüder, daß bei der vorigen Epistel sich unreine Herzen leichter den Vorwürfen ihres Gewißens entwinden konnten, weil vielleicht von den dort gebrauchten Worten keines diejenige Art, oder den Grad von Verunreinigung bezeichnete, der gerade bei ihnen stattfindet. Durch die Worte des heutigen Textes aber kann manchem Leser und Hörer der Dienst gethan werden, den sie bedürfen; es wird vielleicht seine Sünde genannt und ans Licht gezogen sein. So ist z. B. nicht immer der Vorwurf der Hurerei bei einem Menschen anzuwenden, während das Wort „Unreinigkeit“, gerade weil es so weit ist, auch desto schärfer trifft. Du nimmst es nicht genau, du läßest dich gehen, verunreinigst Leib und Seele unzählige Male, fast ohne es zu bemerken. Du entschuldigst dich dabei auf eine leichtfertige Weise, weil du ja Doch kein Hurer seist; allein was hilft es, dich zu entschuldigen, wenn dich doch das Wort „unrein“ schlägt? Derselbe Geist, welcher die Hurerei tadelt und straft, straft und tadelt auch die Unreinigkeit, und, läßt ihr nicht einmal zu, diese für etwas beßer als jene zu halten. Im Gegentheil, indem dir in einer Reihe das eine wie das andere verboten wird, wird dein Gewißen aufgeweckt, beides für gleich sträflich zu halten. Möchte das letztere nur in recht hohem Grade der Fall sein, und du dadurch auch von jener niederträchtigen Selbstgerechtigkeit befreit werden, bei welcher der Mensch zwar nur an sich zu tadeln hat, aber schon dadurch in seiner Sicherheit und Ruhe erhalten wird, daß er glaubt annehmen zu dürfen, er sei doch wenigstens nicht so sündenbeladen als Andere, also z. B. wenn er gleich über und über von Unreinigkeit beschmutzt sei, so sei er doch kein Hurer. –

 Besonders aber wird unser Text geeignet sein, denjenigen unter uns zu dienen, welche in ihren Thaten und ihrem Verhalten weder Unreine noch Hurer genannt werden können, dafür aber ihren Mund auf die gewißenloseste Weise beständig wieder in schandbare Worte, Narrentheidinge und Scherz eintauchen. Wie wenn kein Unterschied wäre zwischen Hurerei und Unreinigkeit einerseits und andrerseits diesen Zungensünden, führt der Apostel diese mit| jenen in einer Reihe an. Wahrlich, er hat dazu auch hohe Ursache. Denn wenn St. Jakobus in seinem Briefe die Zunge ein Feuer, eine Welt voll Ungerechtigkeit nennt, so könnte man dasselbe kleine Glied auch eine Welt voll Schmutz, voll Unzucht und Unreinigkeit nennen; so unermüdlich dreht und wendet sie sich bei manchem Menschen im Schlamme gemeiner, niederträchtiger Lüste. Der rohe, ungezogene Bauernbursche, das freche, schamlose Dorfmädchen, ergießen sich, wenn sie unter ihres gleichen verweilen und ihnen recht wohl wird, in Narrentheidinge und Possen, die keinem Menschen gefallen können. Bei den sogenannten vornehmen Ständen nimmt die Sache nicht immer, aber zuweilen einen etwas feineren Anstrich an, es verbindet sich damit ein wenig mehr Witz und geistreich sein sollende Schalkheit. Die Sache aber bleibt sich völlig gleich. Der Apostel sagt von allen Arten unzüchtiges Gewäsche vorzubringen, daß sie den Christen nicht geziemen. Wie viele Menschen sind, die mit sich und ihren Kindern ganz wohl zufrieden sind, wenn sich ihr unverschämtes Herz nur in weiter nichts als Worten ergießt, und doch könnten sie an sich selbst leicht merken und inne werden, daß kaum etwas die Seele mehr verunreinigt, eitel, leer, unzufrieden und lebensmüde macht, als die Hingabe in unsittliches Geschwätz, so plump oder fein es geformt sei. Es ist etwas Süßes um das Bewußtsein, sich in Worten christlich erzeigt zu haben; die ungeheuchelte Weisheit, nur Göttliches von den eignen Lippen kommen zu laßen, gehört im menschlichen Verhalten zu demjenigen, was am sichersten ein heiteres Wohlsein erzeugt. Dagegen aber wird das ganze innere Leben krankhaft, unrein und unbefriedigend, wenn sich die Zunge nicht immer auf’s Neue in Christi heilsame, schweigsame Schule ergibt, und das Herz nicht lernt gute Worte führen. Unter euch sind die meisten das Hören und Nachsagen unschöner Redensarten von Kind auf so gewohnt, daß man wohl zwanzig Jahre predigen, und zum Glück eines reinen Herzens einladen kann, ohne Frucht zu bemerken. Es geht mit der Unreinigkeit wie mit der Unreinlichkeit: mancher stirbt dahin, ohne auch nur zur Erkenntnis zu kommen, wie verwerflich vor Gott beide sind. Daher haben wir auch alle Ursache, immer auf’s Neue die Reinigkeit zu predigen und dem Sinn entgegen zu wirken, der vom Schmutze des täglichen Lebens unrein geworden ist und immer unreiner wird. Und das, meine lieben Brüder, das zu predigen, ist besonders heute meine heilige Pflicht und eure hohe Nothdurft. Ich warne euch daher namentlich vor den Sünden, deren Erwähnung die heutige Epistel kennzeichnet, vor schandbaren Worten, Narrentheidingen und Scherz. Ich weiß, wie leichtfertig sich Viele über diese Sünden hinwegzusetzen pflegen, wie vielfach sie geduldet, oder doch entschuldigt werden. Aber gerade deshalb ziemt es mir, euch die Worte des Apostels entgegen zu rufen: „Sie geziemen euch nicht“. Ein Christ soll unabläßig die ewige Heimat in Gedanken haben, mit den Sitten der Fremde sich nicht befreunden, seines himmlischen Vaterlandes würdig leben; wie könnte er da für schandbare Worte, Narrentheidinge und Scherz eine Entschuldigung finden! Der HErr und Sein Apostel sprechen: „Das geziemt euch nicht“. Was gerecht, was keusch, was lieblich, was wohl lautet, was für Lob und Tugend gerechnet werden kann im Reiche Gottes, das geziemt sich, das sucht ein Christ; vor dem aber, was ein übler Geruch ist vor dem Angesicht des HErrn, vor dem Unflath, den die weltliche Zunge aus weltlichem Herzen ausspeit, flieht ein Christenmensch, wie ich euch das oftmals gesagt habe. Fast so oft ich es euch sagte, habe ich immer in der darauf folgenden Sonntagsnacht den Ungehorsam der hiesigen Jugend zu erfahren bekommen. Niemals habe ich mehr unzüchtiges, häßliches Geschrei, Narrentheidinge und Scherz bei nächtlicher Weile auf den Gaßen gehört, als wenn ich am Morgen vorher dagegen geredet hatte. Vielleicht wird auch am heutigen Abend demselben sündlichen Vergnügen gefröhnt. Das aber weiß ich dennoch gewis, daß euer Gewißen euch dafür straft, daß ihr in solchem Fall immer wider beßeres Wißen und Gewißen handelt, daß ihr wohl wißet, solche Dinge geziemen euch als Christen nicht. Ihr werdet auch dieses Widerspruchs gegen Christum und Seine heiligen Apostel und Propheten niemals froh werden können, denn ihr habt die Wahrheit zu oft gehört und der Geist des HErrn hat euch zu oft und tief gefaßt. Es ist ein Streit und ein Gericht in euch, von dem ich nur wünsche, daß es hinaus gehen möge zum Sieg, nemlich zum Siege JEsu, zum Siege eures eignen beßren Selbstes.
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 Möge der HErr, der heilige Geist, der schon| mehr als einen unzüchtigen und ungezogenen Jüngling erneut und zum lautern Manne bekehrt hat, Sein Werk in euch nicht aufgeben, bis daß der Bekehrten unter euch viele werden, und bis nicht allein des Apostels Verbot alles ungeziemenden Wesens in Buße und Treue von euch angenommen, sondern auch Sein heiliges Gebot in selige Uebung gebracht wird, denn unser Text verbietet nicht bloß, sondern er gebietet auch, er verbietet die Unreinigkeit, sonderlich auch in Worten, und gebietet die Danksagung. Dem Fleische angenehm scheinen wenigstens schandbare Worte, Narrentheidinge und Scherz, dem Geiste angenehm ist Danksagung. „Das ist ein köstlich Ding, dem HErrn danken, und Deinen Namen loben, Du Höchster“, singt man im Psalm, und wenn ein Mensch erneut ist und der Geist JEsu Christi in ihm wohnt, dann wird es ihm heilige Seelenlust und Wonne, heraus zu brechen in Lob und Preis und Danksagung des HErrn, seines Gottes. Ihr selbst wißt das, wenigstens zum Theil, ja auch manche unter euch, die bisher nicht haben den unreinen Brunnen der schandbaren Worte und Narrentheidinge beherrschen können, haben nichts desto weniger auch ein gewisses Maß von Erfahrung, wie selig die Seele ist, wenn der Geist der Danksagung Herz und Lippen bewegt. Stellet eine Vergleichung an, prüfet euch, wann waret ihr seliger und fröhlicher, wenn euer Mund Gott lobsang und danksagte, oder wenn der Schmutz und Schlamm der bösen Lust von ihm troff? Sagt auch ja nicht: Es ist wahr, Lobgesang und Dank ist reinere Freude, aber beide gehören nicht überall hin, sondern in’s Haus des HErrn. Beide gehören überall hin, in eure Häuser, auf eure Felder, auf eure Gassen, bei Tag und Nacht, ja sie gehören auch in eure Schenken: wo sie nicht hingehören sollen, da gehört auch kein Christ hin, und wo der Dank und Preis Gottes und Seines Christus nicht gehört, nicht angestimmt werden darf, da soll auch kein Christ gesehen werden, noch erscheinen, da kann es auch kein rechter Christ aushalten, da kann kein Kind der himmlischen Freude bleiben, denn da darf ja der Dank, des Christen süßeste Freude, nicht zum Worte kommen. Möchtet ihr doch das, meine lieben Freunde und Brüder, überlegen und euch darnach richten und einmal dem Geiste Gottes Raum geben, der euch im Worte der Apostel zu einem geziemenden Leben leitet.

 Merkwürdig ist es, daß mitten in diesen zweien Versen, die hauptsächlich vom sechsten Gebote handeln, ein Wort steht, welches in das siebente Gebot eingreift, nemlich das Wort Geiz, wie Luther übersetzt, oder Habsucht, wie es eigentlich heißt. Es ist dieselbe Verbindung des sechsten und siebenten Gebotes, welche wir in der vorigen Sonntagsepistel bemerken konnten und dieselbe Verbindung der Uebertretungen beider Gebote, welche uns bereits in der vorigen Epistel begegnet ist. Eine Verbindung ist es, welche sich aber auch im Leben sehr häufig zeigt. Daß Geiz im eigentlichen Sinne, das ist jene Art des Mammonsdienstes, welche die zeitliche Habe zusammenhält und sich aufs reine Sparen legt, weit mehr mit dem Scheine eines gottseligen und heiligen Lebens gepaart vorkommt, als mit Unreinigkeit und Unzucht, ist eine bekannte Sache. Diejenigen, welche die inneren Vorgänge des menschlichen Lebens erforscht und beschrieben haben, lehren uns also. Dagegen aber findet man das Laster, von dem der Apostel eigentlich redet, die Habsucht, jene Gier der Seele nach Mehrung des Vermögens, nicht gerade, um es einzusperren, sondern um es desto eigenwilliger gebrauchen zu dürfen, sehr häufig mit der zügellosen Begierde der geschlechtlichen Lust vereinigt. Beide sind wie Früchte eines und desselben Baumes, des Baumes nemlich der selbstsüchtigen Begier und des selbstsüchtigen Genußes. Beide sind einander ebenbürtig und wirken im Herzen deßen, der sie zusammenschaut, jenen gründlichen, eckelhaften Widerwillen, von welchem die Seele immer erfaßt wird, wenn ihr eine und dieselbe Sünde in Mannichfaltigkeit erscheint. Ja wahrlich, kaum kann eine Verbindung gedacht werden; die einen widerwärtigeren Eindruck hinterläßt, wo überall sie unter Christen erscheint. Daher verbietet sie auch der Apostel nicht blos in der vorigen, sondern ebenso in der heutigen Epistel, daher liest die Kirche an zwei aufeinander folgenden Sonntagen diese beiden Episteln. Es gilt nicht allein, jede von diesen beiden einzelnen Sünden zu bekämpfen, sondern es gilt, die Verbindung selbst zu verwerfen, und ich möchte das besonders um Derjenigen willen betonen, welche, wie sie unreine Lippen und unsittliches Geschwätz für ehrlich halten, so auch die Habsucht mehr für eine Tugend als für ein Laster achten.

|  Indem wir nun zu der göttlichen Drohung übergehen, welche die drei nächsten Verse enthalten für alle Diejenigen, welche den Inhalt der beiden vorigen nicht beachten, sollte uns schon beim ersten Blick in diese Verse ein Schrecken anwandeln über den furchtbaren Ernst, welcher sich in den Worten Gottes und Seines Apostels ausspricht. „Das sollt ihr wißen, schreibt der Apostel, daß kein Hurer oder Unreiner, oder Habsüchtiger, der da ist ein Götzendiener, Erbe hat im Reiche Christi und Gottes“. Das ist eine Offenbarung aus dem ewigen Heiligtum, welche für uns die Kraft der stärksten Warnung haben sollte und mit der Macht einer göttlichen Drohung auf unser Herz eindringen könnte. Das Reich Christi und Gottes ist das Ziel der Weltgeschichte, das Ende aller Wege Gottes. Es beginnt hier in der Zeit, in der sichtbaren Kirche, es bereitet sich in himmlischer Glorie, in der für sterbliche Augen verborgenen ewigen Stadt Jerusalem, und wird dereinst zu der vom Vater festgesetzten Stunde auch in leiblicher Verklärung und Herrlichkeit hernieder kommen auf die neue Erde. Alle erlösten Seelen werden ewige Freude und Wonne darin haben, und ewig weh wird denen sein, die keinen Theil an diesem Leben der Ewigkeit bekommen können. Unter diesen bedauernswürdigen Menschen werden unserm Texte gemäß die Hurer, die Unreinen und die Habsüchtigen sich befinden. Selig werden sein die Traurigen, denn sie werden getröstet werden; selig die Gebeugten, die Niedergedrückten, denn sie werden das Erdreich besitzen; aber wehe den Wollüstlingen, von ihnen flieht ferne die ewige Lust und Freude des Reiches Christi und Gottes; wehe den Habsüchtigen, sie werden ewiglich verarmen! Das ist die Drohung, die unser fünfter Vers enthält. – Aber auch der sechste Vers enthält seine Drohung. „Laßet euch niemand verführen mit vergeblichen Worten, spricht St. Paulus, denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Unglaubens“. Während also im fünften Verse nur dasjenige angegeben ist, was die Uebertreter des göttlichen Wortes entbehren und verlieren werden, zeigt der sechste Vers, was ihnen Erschreckliches an der Stelle des Entbehrten und Verlornen wird gegeben werden. Ihr Erbe im Reiche Gottes verlieren sie, und dagegen kommt über sie, über die Kinder des Unglaubens und Ungehorsams, der Zorn des lebendigen Gottes, deßen allmächtige Kraft sie niederwerfen wird in den glühenden Aufenthalt derer, die Gottes Angesicht ewig nicht mehr sehen. Wenn man den sechsten Vers unseres Textes, von welchem wir reden, ansieht, so kommt einem leicht der Gedanke, der göttliche Zorn, von welchem hier die Rede sei, sei wohl nicht der ewige Zorn, sondern ein zeitlicher; jener Zorn, welcher die cananäischen Völker, die in den hier genannten Sünden wandelten, ergriffen hat und sie vom Angesicht der Erde schonungslos ausrottete; jener Zorn, den wir auch mehr als einmal bei ähnlichen Anläßen unter den Kindern Israels hausen sahen: jener Zorn, der auch jetzt noch zuweilen unter den abtrünnigen Kindern einher geht und mit unwiderstehlicher Kraft in der Zeit schon niederwirft und verderbt. Allein wo dieser Zorn ist, da ist auch der ewige. Die Seinigen züchtigt der HErr wohl, damit sie nicht mit der Welt verloren gehen; er richtet sie, damit Er sie nicht verdammen darf; die abtrünnigen Kinder hingegen, die Kinder des Unglaubens und Ungehorsams, ergreift Er hier und vernichtet sie dort; hier zerscheitert, dort zermalmt Er sie und bezahlt ihnen doppelt in Zeit und Ewigkeit den Lohn ihrer irdischen Arbeit, d. h. die wohlverdiente Strafe. So schreitet also auf alle Fälle die Drohung gegen die Uebertreter des sechsten und siebenten Gebots in unserm Texte vorwärts, und die Steigerung, die wir lesen, ist eine von dem Apostel und dem Geiste, der ihn treibt, beabsichtigte. Der Apostel weiß wohl, was für eine Auffaßung der genannten Sünden in der Welt gang und gäbe ist und wie sich alles bemüht, Sinn und Gewißen für die Uebertretung des sechsten und siebenten Gebotes zu ertödten, jeder Begierde aber, das Recht ihrer Erfüllung zuzusprechen. Er weiß, wie die Knechte und Sklaven aller Lüste und Begier den als Verführer am Lebensweg Anderer stehen und sie zu sich hinüber zu locken bemüht sind. Er weiß, wie Viele der Lockung erliegen, die Stimme vom Zorne Gottes verlachen und die Reden von einer ewigen Pein und Strafe der Ungehorsamen als Ammenmährchen verhöhnen. In unsern Zeiten erleben wir sogar, daß nicht bloß lebende Ungläubige, sondern Poltergeister, Erscheinungen und Teufel uns Lebende zur Gleichgiltigkeit gegen die Drohungen des göttlichen Zornes zu bringen und uns alle Furcht| vor einer ewigen Pein zu benehmen suchen. Das aber alles ist vorausgesehen, und das Geschwätz aller Unholde dieser und jener Welt ist vom Apostel mit den Worten verworfen: „Laßet euch niemand verführen mit vergeblichen Worten, werdet nicht Mitgenoßen der Kinder des Ungehorsams“. Abgemahnt werden wir von aller Hingabe an die Verführer, von allem Leichtsinn rücksichtlich der Uebertretung des sechsten und siebenten Gebotes, und die Abmahnung geschieht mit ernster Hinweisung auf die vorhandenen Drohungen Gottes.

 Es ist eine wunderliche Sache, meine Lieben, daß man bei uns Protestanten eine Hölle, eine ewige Qual und Pein, ein Feuer, das nicht verlischt, und deßen Rauch von Ewigkeit zu Ewigkeit aufsteigt, wohl annimmt, daß man aber oftmals gar nicht zugeben will, was doch mit der Annahme so eng zusammen hängt, daß man sich also, vor Hölle, Pein und Feuer scheuen müße. So wie man keinen Gnadenlohn der Ewigkeit glaubt hoffen und begehren zu dürfen, so will man auch nichts von einer Furcht vor der ewigen Vergeltung des Bösen wißen. Man hält es allenfalls für kindlich schön und rührend, aber doch auch für irrthümlich und nach Umständen für thöricht, an Strafen der Ewigkeit zu denken. Warnt ein Prediger vor dem, das kommen wird, schildert er mit biblischen Worten die Höllenpein der Verfluchten; so kann es kommen, daß einer oder der andre selbst gerührt wird von den Worten des Predigers, dabei aber hält man doch alles nur für Declamation und Redekunst und im Ernste glaubt man das alles nicht nehmen zu dürfen. Die Apostel zwar haben alles geglaubt und sich gefürchtet, sie sind ehrwürdige Menschen; aber die Weisen des Tages abstrahieren sich aus ihren Reden nur dies und das, wirkliche Strafen der Ewigkeit glauben sie nicht. Sie wißen’s zu sagen und zu demonstrieren, warum nicht? Der HErr aber nennt alle ihre Weisheit durch Seinen Apostel vergebliche Worte und eitles Geschwätz, und behauptet seinerseits desto fester und majestätischer, daß es ewigen Lohn und ewige Strafe gebe. Wer wird denn Recht haben in solchem Zwiespalt, St. Paulus oder die Kinder der Welt? Wer wird ein Verführer sein und als solcher gestraft werden, der Apostel oder seine Gegner? Die Antwort ist leicht. Die echte Weisheit ist kenntlich. Wer Verstand hat, der fürchtet Gott und Sein Gericht und meidet das Böse. Man sage nicht, es sei nicht nöthig, daß man sich fürchte, die Furcht solle im Christenmenschen nicht sein, der HErr wolle keine knechtische Furcht, sondern nur eine kindliche haben. Wir sind beides, Knechte und Kinder, und je nachdem das eine oder das andere hervortritt, fürchten wir uns, entweder kindlich oder knechtisch. Unser Zustand schwankt hin und her, bald haben wir gutes, bald böses Gewißen, da haben wir dann auch verschiedene Arten, von Furcht. „Ich fürchte mich vor Dir, daß mir die Haut schauert,“ sagt der heilige Sänger, und gewis wußte er warum. Als er dieses sagte, war er sicherlich in Erkenntnis seiner Sünde. Ich denke aber, es fallen manchmal die Schrecken Gottes auch über Gottes Kinder, und wenn sie auch allmählich wieder davon frei werden und zur gewohnten heiteren Thätigkeit zurückkehren, so erscheinen sie doch zur Zeit ihrer Furcht als zerschlagene, die unfähig sind kindliche oder knechtische Furcht zu unterscheiden. Ich möchte die Stunden des Schreckens in keinem Christenleben völlig vermissen. Vielleicht könnte man sagen: die sich gar nie vor Gott und Seinem Gerichte fürchten, seien sichere Weltkinder. Es ist ja offenbar, daß von Natur niemand Gott und Sein Gericht fürchtet, daß es schon eine Wirkung des heiligen Geistes ist, sich nur einmal recht ernstlich vor Gott zu fürchten, daß einem die Haut schauert. Es ist das nicht die höchste Gnadenwirkung Gottes und Seines Geistes, die Liebe ist eine höhere Offenbarung als die Furcht, aber immerhin ist schon gesegnet der Mensch, der sich fürchtet, und es kann daher keiner, der ohne Furcht und Schrecken des HErrn und Seines Gerichtes dahin lebt, der niemals empfunden hat, wie arm er Gott gegenüber steht, seinen Zustand und seine Erfahrung so ohne Weiteres rühmen. Von Furcht zur Liebe, von den Schrecken des Gerichtes zur Hoffnung des ewigen Lebens ist überdies ein gesegneter Schritt, den uns Gott Allen gönne. Er zerstöre in uns durch das Feuer der Furcht das Böse, und die Flamme der Liebe entzünde in uns alles Gute.

 Wir stehen am Schluße des Textes, der so schön zum Anfang desselben zurückkehrt. Dort lasen wir: „So seid nun Gottes Nachfolger als die lieben Kinder und wandelt in der Liebe“. Dies Wort warf auf all den besondern Inhalt unsrer Epistel seinen hellen Schein. Hurerei, Unreinigkeit und Habsucht, schandbare Worte, Narrentheidinge und Scherz erscheinen nach dem| Eingange, der von der Nachfolge Gottes in der Menschen, und Bruderliebe handelt, wie eitel Gegentheil der Liebe, wie lauter Haß und Gift, welches von dem Sünder wider das sechste und siebente Gebot auf seine Umgebung trieft. Und in der That, sie erscheinen nicht bloß so im Zusammenhang unsres Textes, sondern sie sind es. Es ist ein Thema, reich und mannichfaltig an Anwendung, aber leicht von jedem auszuführen und zu behandeln, daß Uebertretung des sechsten und siebenten Gebotes eitel Lieblosigkeit, ja mörderischer Haß der Brüder ist. Was verdirbt mehr Seelen und Leiber, was zerstört mehr Unschuld, Glück und Freude, als die Selbstsucht und Maßlosigkeit des Hurers, des Unreinen, des Habsüchtigen? Was macht das Leben niederträchtiger und gemeiner, als schandbare Worte, Narrentheidinge und Scherz? – So wie nun der Eingang des Textes auf all den besonderen Inhalt desselben die Deutung und Erklärung der Lieblosigkeit bringt, so wirft das Ende der Epistel einen starken Schatten rückwärts auf die Mitte des Inhalts, auf Vers 3–7. „Ihr waret einmal Finsternis, nun aber seid Ihr ein Licht in dem HErrn, wandelt als Kinder des Lichtes, denn die Frucht des Lichtes ist allerlei Gütigkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit“. Ihr seid ein Licht in dem HErrn, das heißt ja wohl hier nichts anders als: Ihr seid in dem HErrn, ihr seid Christen und mit Christo vereinigt, so muß auch euer Beispiel hinaus leuchten in eitel gutem Werk der Liebe und Reinigkeit. Ehedem waret ihr Finsternis, da leuchtetet ihr niemand, niemand konnte euch folgen, jetzt aber soll euer Verhalten andern zum Lichte dienen und ihnen die Wege weisen, an euch sollen alle, die noch in Finsternis und Todesschatten sitzen, sehen können, wie schön JEsus Christus, wie heilig und rein das Leben in Ihm ist, und ihr sollt, soviel auf euch ankommt, durch euer Leben und Verhalten alle Menschen um euch her reizen und bewegen, euren Weg zu gehen. Wie ein wunderbarer Baum des Lichtes, soll euer ganzes Leben übergehen von allerlei Frucht des Lichtes, von allerlei Gütigkeit, Gerechtigkeit und Wahrheit. Statt jener hurerischen Liebe, welche ihren Gegenstand niederzieht in Verderben und Verdammnis, soll euch die reine Güte erfüllen, die selbst gut ist und andern Gutes mittheilt. Statt der Unreinigkeit soll euch Gerechtigkeit durchdringen, jenes heilige Leben, das Gott gefällt. Statt der Habsucht soll gleichfalls Güte und Gerechtigkeit der Trieb eures Herzens sein, und anstatt aller schandbaren Worte, Narrentheidinge und Scherz, soll eitel Ausfluß der göttlichen Wahrheit und eines wahrhaftigen Gemüthes von euch kommen; wie ein Waßer des Lebens und wie reine Lüfte sollen euch überallhin, wohin ihr euch begebet, die holdseligen, Liebe, Friede und Gotteswort athmenden Gespräche eurer Lippen begleiten. Das soll sein, und wenn es nicht ist, dann ist es wieder finster geworden in euch, finster wird es wieder um euch, dann legt sich der Schatten des göttlichen Tadels und Misfallens über euch hin, und alle die in der Mitte des Textes gestrafte Uebertretung zeigt sich dann als wiederkehrende Macht des Heidentums, des Abfalls von Gott, der Selbstsucht, die alles Gute erstickt, vor welcher Gott und Sein guter Geist zurück weicht.
 „Ihr waret weiland Finsternis, aber ihr seid nun ein Licht in dem HErrn“. Zu wem sagt das der Apostel? Wer darf sich diese Rede zueignen? Mein sehnsüchtiger Blick, mein forschendes Auge geht suchen, ob zu euch, meine Freunde, der Apostel rede, ob ihr euch aneignen dürft, was gelesen ist? Kennen wir einander nicht? Wißen wir nicht, wie es bei und mit uns steht? Wenn ihr als Kinder des Lichtes wandelt, dann seid ihr ein Licht in dem HErrn, dann seid ihr keine Finsternis mehr. Wie ist es mit eurem Wandel? Die Alten nannten die Taufe eine Erleuchtung des Menschen, und sie hatten ja Recht, weil in der Taufe der Geist des Lichtes über die Täuflinge ausgegoßen wird. Nun seid ihr ja allerdings getauft, und seid eben deshalb erleuchtet; wie aber steht es gegenwärtig mit euch? Soll man etwa den Spruch des heiligen Paulus umkehren? Muß man etwa sagen: Ihr waret ehedem ein Licht in dem HErrn, nun aber seid ihr Finsternis? In einem der nächstfolgenden Verse unsres Kapitels sagt der Apostel: „Habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, strafet sie aber vielmehr“. Es gibt allerlei Werke der Finsternis; von welcher Art aber auch die seien, deren sich der Mensch schuldig macht, sie sind alle unfruchtbar, nutzlos und heillos, und haben mit einander allzumal das gemein, daß der Mensch, der sie verübt, immer zu einem Baume der Finsternis, ja| selbst zu einer Finsternis wird. Wie leicht habt ihr da die Prüfung, wie bald und schnell kann man Antwort geben! Wie schnell fühlt ein Gewißen unter dem Zufluß des göttlichen Lichtes das heraus, ob es in einem Kinde des Lichtes, oder in einem Kinde der Finsternis schlägt. Ich fürchte, meine Lieben, daß bei angestellter Prüfung weitaus die meisten bekennen müßen, sie seien kein Licht mehr in dem HErrn, das sei längst wieder vorbei, sie seien Kinder der Finsternis. Ich denke, es wird kaum ein anderes Gefühl und ein anderes Urtheil sich mit der Wahrheit vertragen, als das der Buße, der Reue, des Selbstgerichtes und der eigenen Anklage vor Gottes Angesicht. Man kann auch nicht sagen, es habe überhaupt niemand, der in der Wahrheit stehe, ein anderes Gefühl und Urtheil über sich selbst. Da man ja ein Kind des Lichtes sein kann, so muß man sich auch ohne Hochmuth als ein Kind des Lichtes fühlen können, und da Gott etwas Gutes in uns schaffen kann, so haben wir auch gar kein Recht, das Gute, das in uns von Ihm geschaffen ist, zu verleugnen. Nicht Verkennung, sondern Erkenntnis des Guten ziemt dem Menschen, mit demüthigem Danke soll er die Gnade Gottes dahinnehmen und in sich tragen; er soll es und kann es, und es ist auch je und je oft genug geschehen zum Preise Gottes und ohne Gefahr der Seelen, daß der Mensch das Gute, das in ihm war, erkannte und bekannte, und zum Preise des ewigen Erlösers anwendete. Wenn das nicht wäre, so würde z. B. der heilige Johannes nicht schreiben dürfen: „Kindlein, wir wißen, daß wir vom Tode zum Leben hindurchgedrungen sind“. Da es aber also ist, so ist die Frage desto ernster, die ich an euch gethan habe, die nemlich, ob ihr aufgehört habt, Kinder des Lichtes zu sein, ob ihr Kinder der Finsternis seid. Nothwendig ist es nicht, das Letztere zu sein, wir können allzumal Kinder des Lichtes sein und in der Kraft Gottes wieder werden, wenn wir aufgehört haben, es zu sein. Also desto schlimmer, wenn man immer bleibt, was man geworden ist, wenn wir uns nicht erneuen laßen, sondern den Brunnen unsrer Taufe, der neben und in uns sprudelt bis an unser Ende, immer wieder mit allem Fleiße verstopfen, und immer wieder uns in die alte Finsternis der Seele niederlegen. – Diese Schlußreden des heutigen Vortrags sollen nach meiner Absicht eine Gewißensregung für euch sein, eine Anfachung des vorhandenen Funkens, ein Rütteln an den Schläfern, die neben dem Abgrund eingeschlafen sind, und leicht hinabstürzen können. Insonderheit euch meine ich, die der eigentliche Kern und die Mitte des Textes trifft, die Hurer, die Unreinen, die Habsüchtigen, die schandbare Worte, Narrentheidinge und ungeziemenden Scherz im Munde zu führen gewohnt sind. Dies zahlreiche Volk, diese große Einwohnerschaft möchte ich nicht leer aus diesem Hause gehen laßen. Ich wünsche, daß sie merken, sie seien gemeint, sie seien gestraft, gewarnt, und auf sie paße der Text. Wenn ich das erreichte, wäre meine arme Rede nicht umsonst aus meinem Munde gegangen.

 Der HErr aber gebe mir mehr als das: Er laße uns nicht bloß merken, wo es uns fehlt, Er heile auch und bringe uns wieder zu aller Gnade unsrer Taufe, mache uns aufs Neue zu Kindern des Lichtes und des ewigen Tages. Amen. –




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