Fliegende Blätter Heft 27 (Band 2)

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Titel: Fliegende Blätter Heft 27 (Band 2)
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aus: Fliegende Blätter, Band 2, Nr. 27, S. 17–24.
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
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Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg, Commons
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[17]



Nro. 27.
3. II. Band.
Bestellungen werden in allen Buch- und Kunst- Erscheinen wöchentlich. Subscriptionspreis
handlungen, sowie von allen Postämtern und für den Band von 24 Nummern 3 fl. 54 kr.
Zeitungsexpeditionen angenommen. 2 Rthlr. 5 Sgr. Einzelne Nummern 9 kr. od. 2½ Sgr.


Lenardo und Blandine.
Tragische Pantomime in 5 Aufzügen nebst einem Vorspiele. Musik von Kapellmeister Sulzbeck.




Personen.


Der König von Burgund, ein kieselherziger Vater, der fremden Einflüsterungen Gehör gibt, zuletzt einen silbernen Sarg anfertigen läßt und an einem Apfel stirbt.
Blandine, seine Tochter, die schönste Prinzessin der Welt, die durch eine Messalliance elendiglich zu Grunde geht, und ihren Sommer-Aufenthalt in einem Kellergewölbe aufgeschlagen hat.
Molch, der Prinz von Spanien, ein eifersüchtiger Liebhaber mit schwerem Herzen und feinen Ohren. Er richtet, wie man sehen wird, viel Unheil an, und fällt, ein Opfer seiner Rache.
Lenardo, Lakai der Prinzessin, ein blutjunger, unerfahrener Mensch, und sich selbst unbewußter Liebhaber derselben, stirbt an einer heimlichen Zusammenkunft.




Fürsten, Grafen, Herren; eine silberne Schüssel; Lenardos Herz; Aepfel in einem silbernen Körbchen; ein Apfelbaum; ein Liebesbrief; ein heimlicher Gang; Käuze und Fledermäuse; Zähneknirschen und Racheschnauben des Spaniers; blinkende Dolche; Liebesgeflüster; Herzklopfen; Leichengeruch; ein zerbrochener Ring; verschiedene Lakaien in Trauerflor; Silber und Purpurgewand; ein silberner Sarg; Aechzen und Stöhnen in der Luft; Geister und Schatten; ein Nachtwächter; ein Reichsapfel; Furien; die preußische Allgemeine.

Ort der Handlung: im Königreich Burgund. Dauer derselben: unbestimmt.



[18]

Vorspiel.



Großer Saal. Fürsten, Grafen und Herren auf beiden Seiten, welche ununterbrochen liebeflammende Blicke auf Blandinen schleudern, unter ihnen der spanische Prinz, genannt Molch, er spielt zähneknirschend mit der Spitze seines Dolches und weiß zur Zeit noch nicht, wen er damit erstechen soll. In der Mitte auf dem Throne der König von Burgund, neben ihm Blandine, zu Füßen derselben in reicher Livree Lenardo. Blandine sieht hin, Lenardo sieht her, woraus eine sehr angenehme Unterhaltung entsteht, die nur von dem Zähneknirschen des Molchs und dem Herzpochen der Freier Blandinens unterbrochen wird. Lakaien serviren allenthalben auf silbernen Tellern Gefrornes, um die innerliche Hitze abzukühlen.

Große Pause. Endlich fällt der Vorhang aus langer Weile langsam herab, und hinterläßt in den Herzen der Zuschauer ein bänglich süßes Sehnen, verbunden mit dunklen Ahnungen einer traurigen Zukunft[1] und vermischt mit der leisen Regung einer gänzlichen Ungewißheit, was das Vorspiel habe bedeuten sollen.




Erster Akt.



Schloßgarten. In der Mitte ein Apfelbaum, von dem Lenardo Früchte bricht. Rechts eine Wiese, links ein verstecktes Nachtigallennest. Im Hintergrunde Nesseln, Disteln und Dornen, die ein wichtiges Geheimniß verbergen. Blandine theilt aus einem silbernen Korbe Aepfel aus, welche von ihren Freiern mit Heißhunger verschlungen werden. Lenardo erhält den letzten mit Aktionen, welche den folgenden Versen entsprechen:


Blandine.

Nimm hin den Apfel hier, mein treuer Hoflakai,
Iß ihn gesund und froh und denk’ an mich dabei.
Schön ist die Frucht und reif, gar reizend anzuseh’n,
Doch was darinnen steckt, ist wohl dreimal so schön!


Lenardo.

Wie komm’ ich zu der Gnad’, o schönste Prinzessin!


Blandine.

Frag’ nicht erst lange nach! Sieh nur, was steckt darin!

[19]

Lenardo kann vor Staunen keine Antwort finden, schleicht zur Seite, beißt in den Apfel, und zieht mit den Zähnen einen Liebesbrief heraus, dessen Inhalt er vor männiglich verheimlicht, und gibt seine Verwunderung durch unterschiedliche Purzelbäume, Luftsprünge, anmuthige Grimassen und schnelles Farbwechseln kund. Ihn beobachtet heimlich der Molch.


Molch (für sich, agirt sehr deutlich folgendes):

Was sieht mein rollend Aug! Was muß mir werden kund?
Blandine, Falsche du, mit deinem Rosenmund!
Du treibst dein Minnespiel so offen und so frei,
Und ziehst uns Allen vor den schlechten Hoflakai?
Du wirfst dein nobles Herz so weg an die Bagage?
Und hast dich ganz vergafft in eine Kindsvisage?
Ha! wie mein heißes Blut durch Hirn und Adern tobt –
Mein Dolch, dreischneidig, werd’ an jenem Kerl erprobt! – –



Das Ende dieses herz- und gemüthvollen Monologs wird durch einige Fledermäuse abgebrochen, welche sich auf eine höchst störende Weise unter die Gesellschaft mischen, so daß diese in völliger Verwirrung aufgelöst, schnell die Köpfe zusammensteckt, über welche höchst malerische Gruppe der Vorhang majestätisch langsam sich herabsenkt.

Ende des ersten Aktes.

(Fortsetzung folgt.)




Minona Blümchen,
die unermüdliche Briefschreiberin.

Hier ein Blatt aus dem Lebensbuche eines meiner Bekannten. Er hatte eine ältere Freundin, um so zu sagen eine Ehrenfreundin (wie es Ehrendamen giebt) Minona Blümchen. Sie war eine bemittelte Wittwe, in den Classikern belesen, durch das Conversationslexicon gebildet, trotz ihren hohen Jahren etwas sentimental. Namentlich war er dazu verpflichtet, ihr neu erschienene Bücher zur Lektüre vorzuschlagen, solche zu verschaffen und überhaupt dies und jenes zu besorgen. Den Tag, wo sie keinen Auftrag ertheilt, keinen Brief geschrieben, hielt sie für verloren, und mein Bekannter war gutwillig genug, sich ihr zur Befriedigung dieser Liebhaberei dienstwillig herzugeben. Er wohnte in der Hauptstadt, sie in Rosenloch, einem vielbesuchten, als Vergnügungsort beliebten und angesehenen Landstädtchen in der Nähe der Residenz. Die Briefcommunication war somit durch Posten, Landkutschen, Landboten, ankommende und abgehende Bekannte ungemein gefördert.

Der Inhalt der Briefe gestaltete sich beispielsweise etwa folgendermaßen.


Rosenloch, den 1. Mai.

Der Wonnemond, theuerster Freund, ist wie eine junge Rosenknospe aufgebrochen. Wie bedauere ich Sie in Ihrer großen Stadt, wo Sie einen stundenlangen Weg brauchen, um zu wissen, daß Frühling ist. Hier in Rosenloch tritt man, um so zu sagen, mit jedem Schritte auf den Frühling. Die Bäume grünen, die Blumen blühen und die Vögel singen. Ich gehe täglich spazieren, Vor- und Nachmittags, denn ich bekenne meine Schwäche, eine Freundin der Naturschönheiten zu sein. Wenn ich Sie und die Natur nicht hätte, so stände ich ja Mutterseelen allein. Da sitze ich denn bei dem künstlichen Wasserfalle auf einem der großen bemoosten Felssteine, achte der Tropfen nicht, die auf mein Gewand spritzen, und lese in irgend einem der schönen Bücher, die ich durch Ihre gütige Vermittlung erhalte.

Apropos! Ich bin in Verlegenheit um einen Sommerhut, wie ihn die Mode vorschreibt. Nicht wahr, theuerster Freund! Sie besorgen mir einen solchen? Sie kennen ja Madame Strusel, sie war neulich hier in Rosenloch, und trug einen Sommerhut, der mir außerordentlich wohl gefiel. Sie wird Ihnen sagen, in welchem Gewölbe Sie einen solchen erhalten können. Nicht wahr, Sie haben die Güte? Mit Geist und Herz

Ihre Freundin Minona Blümchen.


Rosenloch, den 3. Mai.

Herzlichen Dank Ihnen, theuerster Freund! für die prompte Besorgung. Der Sommerhut hat ganz meinen Beifall. Beiliegend erfolgt auch die Auslage mit herzlich wiederholter Darlegung meines innigsten Dankgefühls, auch ein Paar Vergißmeinnicht, welche ich mit eigner Hand hinter unserm Hause gepflückt habe. Ich habe mir dabei, mit Respekt zu sagen, die Füße erkältet, indem ich in das trügliche Blumenufer des Grabens hinunterglitt. Der Husten, den ich mir dabei geholt, macht mich unendlich glücklich, weil ich mir ihn für Sie geholt habe.

Beglücken Sie doch einmal Rosenloch mit Ihrer schätzbaren Gegenwart! Auch darf ich Sie wohl bitten, mir ein Tütchen mit Malzzucker gegen meinen Husten zu besorgen. In unserm

[20] armseligen Rosenloch ist so etwas leider nicht aufzutreiben. Armselig, sage ich? O nein, wir sind hier unendlich reich, denn der Mai überschüttet uns mit seinen reichlichsten Gaben. Fliegen Sie hieher in die Arme der Natur, eine Matrone wie ich darf leider nicht sagen in die Arme Ihrer Freundin

Minona.



Rosenloch, den 6. Mai.

Sie verpflichten mich unendlich durch die schnelle, gütige Besorgung meiner Aufträge, womit ich Sie zu belästigen so dreist bin. Vielleicht gewährt es Ihnen eine Genugthuung, wenn ich bekenne, daß mir der Malzzucker außerordentlich wohlgethan, und mir meine in Ihrem Dienst leidend gewordene Brust wesentlich erleichtert hat.

Aber wie soll ich es deuten, daß Sie den Malzzucker nicht mit einigen Zeilen begleitet haben? Ich wundere mich, daß er trotzdem doch seine Wirkung gethan hat, denn ich war wie vom Schlage gerührt, als ich das Schächtelchen öffnete und darin nichts als den Zucker fand. Nicht wahr, böser Mann, Sie haben keine Zeit übrig gehabt, an Ihre Sie so hochschätzende Minona einige Zeilen zu richten? Ich weiß ja, Sie haben so viele Geschäfte, da muß ich armes Wesen schon zurückstehen.

Die Schönheiten der Natur in und um Rosenloch nehmen immer mehr überhand. Da wird auch Minona zur Dichterin und macht folgenden Vers:

Ach, wie schön die Vögel singen,
Ach, wie schön die Blumen blühn!
Ja, das muß wohl Freude bringen,
Hätte ich nur Ihn, ja Ihn!

Mit dem Ihn meine ich Sie, theuerster Freund! denn was hilft aller Reiz, alle Schönheit der Natur, wenn man den Genuß nicht mit einem Freunde theilen kann, dessen edles, reines Herz den Wirkungen der schönen Natur geöffnet ist? Die Menschen in Rosenloch sind so kalt, so engherzig! Kommen Sie doch ja einmal nach Rosenloch herüber, um den Naturgenuß mit mir zu theilen, denn mir allein ist er zu stark.

Walter Scotts Ivanhoe, Kosegartens Jucunde, Tiedge’s Urania (bereits zum zwölftenmale gelesen), Goethe’s Wahlverwandtschaften, Heine’s Buch der Lieder, Strauß’s Glockenklänge, Sue’s Mysterien folgen hierbei mit größtem Dank zurück. Darf ich Sie wohl um andere gleich interessante Bücher ersuchen?

Minona.


Rosenloch, den 7. Mai.

In der größten Besorgniß setze ich mich an den Schreibtisch, und ergreife die Feder, diese Vertraute meines Herzens, um Ihnen meine Angst und meinen Kummer auszudrücken.

Noch immer keine Antwort, nicht einmal auf meinen wichtigen Brief von gestern. Sind Sie verreist? Sind Sie krank? Sind Sie meiner überdrüßig? Haben Sie die zurückgesandten Bücher erhalten? Wollen Sie die Güte haben mir neue zu besorgen? Ist Ihnen unser Rosenloch so zuwider geworden, daß Sie es selbst absichtlich zu meiden scheinen? Ach, was hätte ich nicht Alles zu fragen; aber immer hoffte ich auf ein paar Zeilen von Ihrer geistreichen Feder; jetzt werfe ich diese wenigen Worte auf’s Papier, und fort mit ihnen auf die Post; sonst kommen sie zu spät. Ihre mütterlich besorgte

Minona.


Rosenloch, den 8. Mai Vormittags.

Was soll ich denken? Noch immer keine Antwort! Sollte Ihre Freundschaft wirklich –? Schrecklicher Gedanke –! Ihnen zur Strafe nur diese paar Zeilen.

Minona.


Rosenloch, den 8. Mai Nachmittags.

Meine Angst wächst! Theurer, theuerster Freund! habe ich Sie irgendwie beleidigt? Sind Sie krank? Nur um ein Paar Worte bittet flehentlichst

Minona.


Rosenloch, den 8. Mai Abends.

Es ist bereits Abend – und noch immer kein Brief! Ich bin in Verzweiflung, Worte habe ich nicht mehr, sondern nur noch Gefühle. Die in Angst und Schmerz als treue Freundin so oft erprobte Feder versagt mir dießmal ihren Dienst. Erhalte ich morgen kein Lebenszeichen von Ihnen, so bin ich übermorgen. trotz des herrlichen Wetters und der schönen Gegend von Rosenloch, in.der Hauptstadt, um vielleicht das mir ach so Schreckliche zu vernehmen, daß Ihre Freundschaft für mich erkaltet ist. Ihre in Angst und banger Erwartung sich verzehrende

mütterliche Freundin Minona.



Diese Drohung dünkte meinem Bekannten doch zu gefährlich; es blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Abneigung gegen das Briefschreiben zu überwinden, und seiner zarten Freundin die Versicherung zu ertheilen, wie sehr er fortdauernd ihr Freund sei, und wie nur die dringendsten Geschäfte ihn abhalten konnten, ihre freundlichen Zeilen pflichtgemäß zu erwidern. Den Sommer, den Frühherbst durch war er ein sehr geplagter Mann; er erhielt täglich von Minona Blümchen Briefe und Aufträge, manchen Tag mehrere; sein ganzer Papierkorb, trotz des Verbrauchs an Fidibus, war von unten bis oben mit Billetchen von Madame Blümchen angefüllt.

Gegen den Winter hin bezog Minona ein Quartier in der [21] Stadt. Mein Freund hoffte, von jetzt an wenigstens minder belästigt zu sein. Vergebene Hoffnung! die Plage nahm bis zum Unerträglichen überhand. Bald brachte der Briefbote, bald ein eigens für die Besorgung von Briefschaften bezahlter Laufbursche, bald die Hausmagd ein zierliches in der Geheimkanzlei der Madame Blümchen ausgefertigtes Billetchen. Auch Andere litten unter dieser Manie der seltsamen Frau, keiner aber in so unleidlichem Maße, als mein bejammernswerther, nur allzuwillfähriger Freund. Zum Frühkaffee fragte die Dame an, wie er geschlafen, und verband damit einen Strauß Blumen und zugleich eine Kritik des Buches, mit dessen Lektüre sie sich am Abend vorher beschäftiget hatte; gegen 11 Uhr war irgend ein Auftrag zu besorgen oder ein Buch abzuholen: Nachmittag drückte sie ihren Wunsch aus, daß ihm das Mittagessen wohl bekommen sein möge; Abends wünschte sie ihm einen gesunden Schlaf und einen angenehmen Traum u. s. f.

Endlich ergriff mein Freund die sich darbietende Gelegenheit, ein Quartier in dem von Madame Blümchen bewohnten Hause zu beziehen, ihr täglich im Vorübergehen zu verschiedenen Zeiten die Aufwartung zu machen, und sich persönlich nach ihrem Befinden und ihren Aufträgen zu erkundigen. Auch dieses heroische Mittel verfehlte seinen Zweck. Kaum wieder auf seinem Zimmer angelangt, wurde ihm auch ein Brief eingehändigt, vielleicht des Inhaltes:

Ihr in unsrer letzten leider nur allzu kurzen Unterredung gethaner geistreicher Ausspruch, theuerster Freund! daß nämlich die Menschen sich so oft mißverstehen, weil sie einander zu verstehen sich nicht die Mühe geben, hat mich eine Viertelstunde lang ungemein beschäftiget. Sie haben vollkommen Recht: die Menschen mißverstehen sich darum so häufig, weil sie einander zu verstehen nicht die Mühe geben. Ach, und es ist doch eine so süße, leichte und angenehme Mühe! Man braucht sich ja nur in einander hineinzuleben, um sich verstehen zu wollen. Was man will, das kann man auch, wie Sie so treffend bemerkten. Leider habe ich das Unglück, daß man mich nur zu oft mißversteht und verkennt, daß man mich falsch beurtheilt. Sie allein, theuerster Freund! mißkennen mich nicht; Sie haben meine leisesten Herzensregungen belauscht; Sie horchen auf das zarteste Klopfen meines Herzens, auf den geheimsten Ton, den die Saiten meiner Seele von sich geben. Mein Gemüth liegt offen vor Ihnen da, wie dieser Brief, welchen Sie so eben entfaltet haben. Darum Dank, heißesten Dank Ihnen, mein verständiger zartfühlender Freund! Ihre

Minona.

Oder der Bursche brachte eine Feder und folgendes Billet: Zürnen Sie mir nicht, theuerster Freund! wenn ich Sie in Ihren wichtigen Geschäften unterbreche, und Sie mit der prosaischen Bitte belästige, mir die beifolgende Feder zu corrigiren, da ich damit nicht zu Stande kommen konnte. Ich bitte aber: keinen zu langen Spalt! – Ach, warum braucht der Mensch überhaupt Federn, um seine innersten Empfindungen denen mitzutheilen, die er liebt und versteht? Warum hat es der Schöpfer in seiner Weisheit nicht angeordnet, daß die Gedanken zärtlich fühlender Seelen sich auf dem Wege der bloßen Sympathie einander mittheilen? Sie glauben gar nicht, theuerster Freund, wie ungerne ich Briefe schreibe, wie sehr sie mich quälen und anstrengen, und doch sind sie mir nothwendig als die fliegenden Boten meiner Gefühle, als die rasch hin und wieder schießenden Sternschnuppen meiner Gedanken. Wann sehen wir uns wieder? Im Geist und in der Wahrheit Ihre Freundin

Minona.

Später ist mein Freund nach Nordamerika ausgewandert, wie ich vermuthe, nur um dieser ihn unablässig plagenden Correspondenz zu entgehen. Minona war trostlos. Ihre vielen Briefe blieben unerwidert. Bald darauf starb sie. Der Gram um ihren hartherzigen Freund mochte ihr das Herz gebrochen haben; sie welkte hin wie ein Vergißmeinnicht im Sonnenbrande.




Der wackere Trinker.



Vor Zeiten, wie man noch so trank,
Daß mancher unter der Bank versank;
Was heute selten mal passirt,
Weil Tugend Jedermann genirt: –

5
Da ging ein Zecher einst nach Haus

Von einem großen Kirmesschmaus:
     Hei di, hei di, hei trallerallalah!
     Wie war dem Männlein schwüle da!



Er kam zum Steg am Unkenmoor:

10
Der Steg kam ihm nicht breit genug vor;

Da war er gar zu aufgebracht,
Daß man den Steg nicht breiter macht!
Und wie er sagt: so breit muß er sein!
Da fällt er, plump! ins Wasser drein.

15
     Hei di, hei di, hei trallerallalah!

     Wie ward dem Männlein kühle da!



Nun glaubt man wohl, mit dem Juchhei
Bei diesem Schelmen war’s vorbei ? –
Doch hatt’s mit dem noch keine Gefahr,

20
Weil er gewöhnt an’s Trinken war:

Er trank das ganze Wasser aus,
Und ging mit trocknem Fuß nach Haus. –
     Hei di, hei di, hei trallerallalah!
     Da war ein guter Zug, ha, ha! ha, ha, ha, ha!

[22]

Gambrinias.
(Fortsetzung.)

V. Gesang.
Wie die Schlacht ward geschlagen.



145
Als Alles nun gerüstet und wohl gemustert war,

Da zog dem Feind entgegen die kühne Helden-Schaar;
Voran der Held Gambrinus auf einem Fasse Bier,
Daß er in seiner Glorie auch mächtig imponir’,[2]
Von Zinken und von Pfeifen, von Schlachtenruf umschallt,

150
Daß in den Hopfengärten es ringsum wiederhallt.

Und da die kühnen Recken den Feind alsbald ersah’n,
Da huben sie zu dampfen und aufzuschäumen an; –
Von Kampfeslust entglommen, von Feindeshaß berauscht,
Hat da so manches Schlachtschwert die blaue Luft durchrauscht.

155
Und alsobald erhob sich ein Schlachtruf weit und breit.

Wie regt sich da und rühret sich Alles rings zum Streit!
Wie schlugen sich die Recken, die wilden nah und fern,
Mit Kolben und mit Schwertern, mit Speer und Morgenstern!
Voran Herr Bock, der Fiedler, der haut gar muthig d’rein,

160
Und stoßet in die Lenden den edlen Franzenwein.


[23]

Die Bayern auch und Schwaben die schlugen wacker ein,
Und gerbeten die Franken und all’ die Herr’n vom Rhein
Mit Maisch- und Hopfenstangen, wohl auch mit derber Faust,
Daß es den feinen G’sellen hart um die Ohren saust!

165
Aus Brandenburg Herr Todtschlag, das war der Bombardeur –

Wie flogen aus den Krügen Kartätschen rings umher!
Doch hatten all’ zusammen wohl einen schweren Strauß;
Denn Bacchus und die Seinen die hielten wacker aus.
Da gab’s nach allen Seiten viel’ Schläge hageldicht,

170
War Keiner sehr zu neiden, wie uns die Mähr’ bericht. –


     Beim Observationscorps, da stund der Held Gambrin,
Sah, wie die Seinen litten und stritten rings um ihn.
Es dauerte das Kampfspiel schon eine bittre Stund’,
Wohl hob sich manche Beule, wohl klafft viel große Wund’:

175
Da überkam dem Helden ein menschliches Gefühl,

Und schicket seinen Herold just mitten ins Gewühl,
Läßt kunden da dem Bacchus und seinem Heer zumal,
Wie denn fürbaß der Wunden wär eine große Zahl. –
Auch zöge schon hernieder der Abend auf den Grund,

180
Daß man vom heißen Werke des Tags ausruhen kunnt.

Und als er so ließ künden, der weise, fromme Held,
Da bliesen die Trompeten zum Rückzug in’s Gezelt;
Da zogen Freund und Feinde in’s Lager ungehemmt!
Und han mit kühlem Trunke die Sorgen weggeschwemmt!

(Schluß folgt.)




Kunstcorrespondenz.
„London im October.


     a. Sie haben, wie ich von Ihnen hoffen will, meinen Aufsatz in der Times vom 4. September a. c. gelesen. Mein Urtheil über die niedere Stufe der Kunst in Deutschland gegenüber Altenglands Schule, „der einzig lebenden Erbin der großen Grundsätze der Naturnachahmung, wie sie von den Griechen, Römern, Venezianern, Spaniern, Flamländern überliefert worden“ und von deren Existenz Sie höchst wahrscheinlich noch gar nichts gehört haben, wurde indeß in mehreren kleinen deutschen Zeitschriften, z. B. in der Allgemeinen Zeitung[3] von Augsburg mit Bemerkungen abgedruckt, die ich beinahe für Ironie halten möchte. –



Mag indeß die deutsche Begriffsfähigkeit [24] sein, wie sie wolle, so findet mein Urtheil dennoch durch das Bild unsers wackern Landsmannes Mr. Turner Esq., so sich gegenwärtig in der Kunstausstellung zu München befindet, in einer Weise seine Bestätigung, die es selbst dem Continent richtig erscheinen lasten muß.

Gehe hinein, unbefangener[4] Beschauer, in die mit Bildern aus allen Schulen und Ländern reichbedeckten Räume, mustere die mangelhaften Arbeiten, welche Frankreich, Belgien, Holland und Deutschland lieferten, und prüfe das Benehmen der betrachtenden Menge denselben gegenüber. Man ist still, steigt bescheiden von einer reichumrahmten Leinwand zur andern, flüstert sich hie und da eine Bemerkung zu, blättert in dem Cataloge, bleibt aber kalt und ruhig, trocken und[5] nüchtern, wie die deutsche Malerei selbst. Jetzt nahst Du aber dem Bilde Mr. Turners Esq.: „Walhalla“ nach der Natur gemalt, aber überdeckt mit dem Nebel und der Grazie Alt-Englands. Siehe die verklärten Mienen der Beschauer, diese Heiterkeit, welche selbst im Stande ist, ein deutsches Antlitz schön zu machen; welch ein Staunen, welche Bewunderung über das Niegeahnte, über den Muth, ein solches Bild über den Canal zu senden. Wohin wendest Du Dein Auge zuerst? auf den von einem englischen Pinsel verklärten Kunsttempel, den mystisch daher fluthenden Donaustrom, oder auf die mit dem Schleier der Isis bedeckten Gestalten im Vordergrunde, Nebelfiguren voll süßen Wahnsinns in sitzend-liegend-schwebender Stellung, umgeben[6] von Emblemen, die poetischen Gedanken Mr. Turners Esq. repräsentirend? –

Mr. Turner Esq., mit seinen Erfolgen noch nicht zufrieden, will indeß die deutsche Nation vollendet bekehren, und zwar auf eine Weise, die durch alle Länder deutscher Zunge ihren Weg findet. Mr. Turner sendet durch mich der resp. Redaktion der fliegenden Blätter eine Zeichnung, von welcher derselbe die Aufnahme in die fliegenden Blätter wünscht. Das Kunstblatt ist ganz in seiner bekannten[7] Nebelmanier ausgeführt. – Es ist die Reise der Königin Victoria nach Stolzenfels. Her gracious majesty steht auf dem Verdecke des über den lebhaften Wellenschlag dahineilenden Dampfbootes, ihr zur Seite Prinz Albert und Graf Aberdeen. Musik und jubelnde Menschenmassen im Vordergrunde. Im Hintergrunde Stolzenfels, das gastliche Ritterschloß mit donnernden Kanonen. – Das Wetter war an jenem Tage zweifelhaft, Mr. Turner Esq. drückt dieses „zweifelhafte“ sehr glücklich in dem Bilde aus. –

Die deutschen Zeitungen haben uns zwar durch unlesbar lange Artikel als eben so lange Illustrationen vollkommen überzeugt, daß seit Napoleons Zug nach Moskau nichts Interessanteres in Europa sich ereignet hat; um so erfreulicher ist es, dieses Bild nicht nur als ein Specimen englischer Anschauungsweise der großartigen Rheinnatur, sondern auch als ein ewig bleibendes Denkmal dieses merkwürdigen Weltereignisses bezeichnen zu können.




Eine Hütte und ein Herz.
Bürgerliches Seelengemälde in zwei Tableaux.



Zwischen beiden Tableaux liegt ein Zeitraum von 5 Jahren.






Redaction: Caspar Braun und Friedr. Schneider. – München, Verlag von Braun & Schneider.
Kgl. Hof- und Universitäts-Buchdruckerei von Dr. C. Wolf & Sohn in München.

  1. In der Vorlage: Zunkunft.
  2. In der Vorlage: importier’.
  3. In der Vorlage: Leitung.
  4. In der Vorlage: unbefangeuer
  5. In der Vorlage: and
  6. In der Vorlage: nmgeben
  7. In der Vorlage: bekannteu