Friedrich Hecker (Die Gartenlaube 1881/16)

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Autor: Unbekannt
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Titel: Friedrich Hecker
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aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 264-266
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Friedrich Hecker.

Nun ist der alte Volkstribun von Achtundvierzig, den das Volk in unzähligen Liedern verherrlichte, im fernen Amerika gestorben. Der unerbittliche Tod hat das schwache Fähnlein deutscher Republikaner in diesem Jahre stark gelichtet; dem Ruge, dem Heinzen ist am 24. März auch Friedrich Hecker zu der großen Armee gefolgt. Nicht in Amt und Würden, wie seine früheren Gesinnungsgenossen, die sich mit der neuen Ordnung der Dinge versöhnt hatten, hat er auf heimischem Boden sein mühevolles Leben beschlossen; er starb in freiwilliger Verbannung als schlichter Privatmann, weil er an den Principien der radicalen Freiheit treu festhielt und den alten Groll gegen das monarchische Wesen beharrlich im Herzen trug. Aber auch alle diejenigen, welche mit uns in dem constitutionellen Kaiserreich das Heil unseres Volkes erblicken, werden ihm schwerlich aus diesem Republikanismus einen Vorwurf machen können; denn das ideale Ziel, welches als ein leitender Stern der Entwickelung der Völker voranleuchtet, muß stets höher dastehen, [265] als das wirklich Erreichbare; denn stets erreichen wir weniger, als wir erstreben, und um unsere Freiheit wäre es heute ohne Zweifel schlimm bestellt, wenn nicht einst der donnernde Ruf der republikanischen Kämpfer unser Vaterland durchhallt hätte. Von diesem Standpunkte aus würdigen wir heute den ehemalige Liebling des deutschen Volkes, und scheuen uns nicht, wiewohl unser altkluges Geschlecht in der Zeit der Denkmalswuth dem Vertreter des „naiven Republikanismus“ keine Standsäule errichten wird, einen Immortellenkranz dankbarer Erinnerung auf Hecker's frisches Grab niederzulegen.

Friedrich Hecker wurde am 28. September 1811 zu Eichtersheim in Baden geboren, in dem Lande, welches lange Zeit hindurch für die Wiege deutscher Freiheitsbestrebungen galt. Auf der Hochschule zu Heidelberg bildete er sich zur juristischen Laufbahn heran und wurde schon im Jahre 1842 in die badische Kammer gewählt. Hier verdiente er sich die ersten Sporen, indem er das reactionäre Ministerium Blittersdorff stürzen half; in derselben Kammer protestirte er auch zuerst gegen Dänemarks Uebergriffe in der schleswig-holsteinischen Frage, und – wohlgemerkt! – war diese seine Rede die erste öffentliche Stimme in Deutschland, die sich für die Wiedervereinigung der Herzogthümer vernehmen ließ. In Süddeutschland hatte schon damals sein Name einen guten Klang; populär in ganz Deutschand wurde er aber erst im Jahre 1845, als er während seines vorübergehenden Aufenthaltes in Berlin durch die preußische Regierung aus Preußen ausgewiesen wurde, welche bureaukratische Maßregel allgemeines Staunen und allgemeine Entrüstung hervorrief. Bald aber sollte er auch von seinen näheren Gesinnungsgenossen Spott und Hohn genug ernten. Als im Jahre 1846 die letzte große Hungersnoth in Deutschland hereingebrochen war, stellte er in der badischen Kammer den Antrag, jeder wohlhabende Mann solle einige arme Arbeiter an seinen Tisch nehmen. Dieser menschenfreundliche, aber unausführbare Vorschlag charakterisirte ihn als einen Anhänger der socialistischen Partei, und bis auf unsere Tage ist Hecker hauptsächlich in Folge dessen als Socialdemokrat verspottet und verschrieen worden. Wahr ist es, daß seine Jugendpläne ein wenig von socialistischen Ideen angehaucht waren, aber von diesem feinem Socialismus bis zur wirklichen Socialdemokratie ist ein weiter Weg, den er niemals zurückgelegt hat. Als echter Demokrat bekämpfte er vielmehr im spätere Alter die Hirngespinnste der von Lassalle begründeten anarchischen Partei.

Friedrich Hecker.
Nach einer photogr. Aufnahme gelegentlich seines letzten Aufenthalt in Deutschland

In erster Linie war Hecker ein reiner Republikaner, und als solcher handelte er auch in der politischen Sturm- und Drangperiode. So stellte er in dem Vorparlament den ultraradicalen Antrag. „Das Vorparlament möge sich in Permanenz erklären“, dessen Annahme allerdings der deutschen Erhebung einen entschiedeneren Charakter verliehen hätte. Als man aber seinen Antrag zurückwies, und als er sogar bei der Wahl in den Fünfziger-Ausschuß durchfiel, zog er sich scheinbar von der ganzen Bewegung zurück. Jedoch schon am 12. April 1848 tauchte er in Konstanz wieder auf und proclamirte die bewaffnete Volkserhebung für eine Freistaatsverfassung. Gustav Struve, sammelte er sofort die Freischaaren, und damals entstand auch das bekannte Hecker-Lied:

„Maikäfer flieg’
Der Hecker zieht in Krieg.
Der Struve zieht in's Oberland
Und macht die Republik bekannt.“

Aber die Erhebung war verfrüht. Am 20. April stießen die Freischaaren auf die badischen Regierungstruppen. Zunächst erfolgte auf der Brücke von Kandern eine Unterredung der beiden Führer, Hecker’s und des Generallieutenants Friedrich von Gagern, nach welcher bekanntlich Gagern durch einige Schüsse aus dem nahegelegenen Walde getödtet wurde. Hecker hatte zwar keinen Antheil an diesem Frevel, aber die ganze Schwere der Strafe für die Indisciplin seiner Freischaaren traf ihn vor Allem. Nach einem kurzen Gefecht wurde sein Freicorps gesprengt, und Hecker flüchtete sich nach der Schweiz, während sowohl die badische Landeskammer wie das Parlament ihn für einen Hochverräther erklärten. Aber die Sympathie des Volkes blieb ihm erhalten, und nun sang man herausfordernd ein anderes Hecker-Lied:

„Wenn man euch thut fragen,
was macht Hecker doch?
Könnt ihr ihnen sagen. Hecker hänget hoch!
Aber nicht am Galgen, nicht an einem Strick
Sondern an der Spitze uns’rer Republik.“

Inzwischen wurde Muttenz in der Schweiz, wo Hecker nunmehr verweilte und seinen „Volksfreund“ redigirte, ein wahrer Wallfahrtsort für die deutschen Republikaner; auch sein Wahlbezirk Thiengen blieb ihm treu und wählte ihn wieder, die Wahl des Hochverräthers wurde aber als ungültig cassirt, und Hecker, an der Sache der Freiheit verzweifelnd, wanderte nach Amerika aus. Noch einmal rief ihn die badische Erhebung im Jahre 1849 in die alte Heimath zurück. In Begleitung einiger amerikanischer Officiere kam er jedoch zu spät auf den Kriegsschauplatz und beobachtete von Straßburg aus nur noch das Todeszucken der deutschen Revolution. Als er sich zum zweiten Male in Havre nach Amerika einschiffte, schrieb er an einen Freund in Deutschland:

„Mit bitterem Gefühle nehme ich den umgekehrten Griffel und wische zwölf Jahre des redlichen rastlosen Wirkens und Kämpfens aus den Tafeln meines Lebens, um mit achtunddreißig Jahren von vornen zu beginnen und in dem kleinen Kreise eines westlichen Bauern zu wirken und zu schaffen. Das Scheiden wird mir aber leichter, wenn ich das, was ich seit meiner Ankunft auf dem Continent erfahren habe, zusammen nehme. Ich selbst von der Polizei als Vagabund behandelt und fortgejagt, und so lange ich geduldet wurde, nichts hörend, als lediglich Anklagen des Einen gegen den Andern, bin dieses widrig wüsten Treibens, dieser vollkommenen Polizeistaaten so entsetzlich müde, daß ich den Tag glücklich preise, an welchem ich wieder meine Art nehmen und das Waldland klären kann.“

In Deutschland war er inzwischen noch lange der Abgott des Volkes; zwar konnte die Väter nicht mehr ihre Sohne auf den Händen in die Höhe heben und, auf den redenden Tribunen hinweisend, [266] zu den Knaben sagen. „Das ist der Hecker!“, zwar fahndete die Polizei auf den breiten Heckerhut mit der rothen Gocklerfeder und ließ die Heckerbärte rasiren, aber lange noch erhielt sich im Volke der Spottruf gegen die Polizei „Der Hecker soll leben!“ Und ein humoristischer Sagenkreis bildete sich in der düsteren Reaktionszeit um diesen verpönten Ruf. So erzählt man, daß einmal ein Handwerksbursche bei Constanz in den Bodensee gefallen war, während zwei Gensd’armen am Ufer auf- und abgingen. Auf die Hülferufe des Ertrinkenden achteten die Biedermänner nicht. Da griff der Handwerksbursche zu einem Radicalmittel und rief aus Leibeskräften. „Der Hecker soll leben!“ Flugs sprangen die Polizisten in’s Wasser und retteten den Hochverräther, um ihn zu verhaften.

In der neuen freien Heimath erfüllte Hecker mit Ruhe seine Bürgerpflicht, und wie er dort das Waldland klärte und auf seiner Farm in der Nähe von Summerfield in dem Staate Illinois fleißig hinter dem Pfluge ging, das Alles hat schon früher die „Gartenlaube“ ausführlich ihren Lesern berichtet. (Vergl. Jahrg. 1872, Nr. 24) Als aber in dem Secessionskriege die Sache der Freiheit bedroht wurde, da griff auch Hecker zum Schwert, und mit seinem alten Kampfgenossen Sigel führte er dem General Fremont ein Regiment zu.

Er wußte würdig seine Stellung in diesem Freiheitskriege zu behaupten, und schwere Wunden trug er in der Schlacht bei Chancellorsville davon. In den Jahren des Friedens war er dagegen ein eifersüchtiger Hüter der inneren Freiheit der Union; er stand vor Allem auf den Schanzen, wo es galt, die andrängende Fluth der Römlinge zurückzudämmen, und ein Abschnitt aus dem letzten Briefe Hecker’s an den unvergeßlichen Begründer unseres Blattes, seinen treuen persönlichen Freund, wird ohne Zweifel für unsere Leser diesseits und jenseits „des großen Teiches“ von Interesse sein:

„Sie haben wohl gelesen lieber Freund,“ schreibt er an Ernst Keil, „wie die Schwarzen unseren Freischulen den Krieg erklärt haben, und welchen Kampf wir gegen dieselben zu kämpfen hatten und noch kämpfen. Anfangs herrschte hier in der Nation eine bodenlose Gleichgültigkeit. Die Amerikaner sind eben wie die Franzosen, was außer Amerika liegt, ist ihnen total fremd. Von der Organisation, Einheit, Macht und dem Einfluß des Vaticans haben sie der weitaus größten Mehrzahl nach auch nicht den blassesten Begriff, besonders da in ihrer Geschichte keine Kämpfe mit Rom, wie in der alten Welt, verzeichnet sind. Endlich ist das Volk aus seiner Indifferenz aufgerüttelt worden, hat die Gefahr wenigstens theilweise begriffen und ist zu seinem Freischulsystem gestanden. Im Staate New-Jersey haben trotz allen Anstrengungen von der Kanzel herab, im Beichtstuhle und in den Familien die Schwarzen es doch zu nicht mehr als 2000 Stimmen bei einem katholischen Votum von über 20,000 gebracht, sind also ferm gehauen worden. Es ist auch das Kriegsgeschrei gegen die ‚gottlosen confessionslosen Freischulen‘ im Augenblicke schon mehr verstummt, und scheint die Losung: „eifrige stille Wühlerei“ ausgegeben zu sein. Daß die schwarze Wühlerei sich auf Seite der demokratischen Geldverwässerer geschlagen hat, ist nicht zu verwundern. Sie wissen recht gut, diese Pfaffen, daß ihr Weizen nie besser blüht und trägt, als in Zeiten allgemeiner Calamität, Zusammenbruchs und Bankerotts; darum sind sie für Nationalbankerott, besonders da sie hier gewaltiges Vermögen sturmsicher angelegt haben.

Seit Jahr und Tag habe ich gegen diese finstere Bande auf der Bresche gestanden und fast ohne Beistand gekämpft und habe nun die Befriedigung, nicht erfolglos mein canonisches kirchenrechtliches und kirchengeschichtliches, altes und nettes Rüstzeug hervorgeholt zu haben.

Glauben Sie mir, lieber Freund, hier ist die Gefahr größer als drüben, da man hier die republikanische Freiheit für finstere Zwecke gebraucht und zur Erwürgung der Freiheit mißbraucht.

Bald haben wir hier mehr Klöster, Congregationen und Vereine, als Italien und Frankreich zusammen und das steuerfreie Vermogen der Vaticanler wächst in mächtigen Proportionen; Geld aber ist Macht. Wenn Sie Sadlide’s ‚Catholic Directory, New York 1875‘ durchgehen würden Sie erstaunen, welche Macht Rom hier bereits besitzt, und das Buch des Redemptoristen-Vater Michael Müller, ‚Public school education, New York 1875‘, würde Ihnen einen Begriff geben, mit welcher maßlosen Frechheit und verlogener Unverschämtheit die Schwarzen bereits hier auftreten.“

Aber in der neuen Welt, in der er Glück und Ruhe fand, wurde er keineswegs seiner alten Heimath untreu. Für die deutsche Sache schlug stets sein Herz. Er vertrat mit Nachdruck die Interessen des Deutschthums in den Vereinigten Staaten, und mit Freuden begrüßte er 1871 in seiner zu St. Louis gehaltenen großen und glanzvollen Rede das neuerstandene Reich; wenn er aber mit der inneren Gestaltung desselben sich nicht zufrieden gab, wenn sich sein Freiheitsdrang in dem Rahmen unserer Gesetze zu stark beengt fühlte, wer konnte gerade ihm das verargen; war er denn nicht ein „naiver Republikaner“?

Selbst der Besuch, den Hecker seiner alten Heimath im Jahre 1873 (vergl. „Gartenlaube“ Jahrg. 1873, S. 17, 382, 526 u. 659) abstattete, konnte ihn nicht versöhnen. Ja, er ging wieder über das Meer, nachdem er mit der Polizei, seiner alten Feindin, in einen leichten Conflict gerathen war. Als Hecker nämlich in Frankfurt am Main im „Brüsseler Hofe“ abgestiegen, beabsichtigte die „Deutsche Volkspartei“ ihm einen Fackelzug zu bringen. Schon wurden die Fackeln hergeschafft – aber ebenso schnell von der Polizei confiscirt, Da zog die Menge ohne Lampions vor den „Brüsseler Hof“, doch Hecker, der nichts Gutes ahnte, zeigte sich nicht. Endlich trat er, durch eine Deputation bewogen, vor das Portal. Aber in demselben Augenblicke rief ein Polizeicommissar mit heiserer Stimme: „Hier darf keine Volksversammlung abgehalten werden; im Namen des Gesetzes fordere ich alle Anwesenden auf, aus einander zu gehen.“ Ohne ein Wort gesprochen zu haben, zog sich der alte Achtundvierziger zurück; Deutschland war kein Boden mehr für seine Bestrebungen. Aber drüben nahm er regen Antheil an der weiteren Entwickelung des Reichs und vor Allem an den Fortschritten der deutschen Wissenschaft und den Werken deutscher Kunst. Nun bringt der elektrische Funke die Nachricht von seinem Tode, die Nachricht, die ihn, den Halbvergessenen, noch einmal lebhafter in die Erinnerung unseres Volkes zurückruft.

So schroff er auch unserem heutigen Streben, da wir uns in anderen Bahnen bewegen gegenüberstand, eines müssen wir wiederholen: im Herzen des deutschen Volkes verdient er ein dankbares Andenken; denn sein Streben war auf die Größe und Freiheit des Vaterlandes gerichtet, und sein Streben war edel und gut!