Glas und Ton
„Man zeige die töpfe, die ein volk hervorbrachte und es läßt sich im allgemeinen sagen, welcher art es war und auf welcher stufe der bildung es sich befand“ sagt Semper in der vorrede zu seiner „keramik“.*)[1] Nicht nur den töpfen wohnt diese offenbarungskraft inne, möchte man hinzufügen. Jeder gebrauchsgegenstand kann uns von den sitten, dem charakter eines volkes erzählen. Aber die produkte der keramik besitzen diese eigenschaft am sinnfälligsten.
Semper gibt uns gleich ein beispiel. Er bildet das gefäß ab, mit dem in Ägypten, und das, mit dem in Hellas das wasser von den frauen ins haus gebracht wurde. Das erstere ist der nileimer, die situla, ein gefäß, beiläufig jenen kupferkesseln ähnlich, mit dem die venetianer ihr wasser schöpfen. Es gleicht einem oben abgeschnittenen riesenkürbis, hat keinen fuß und einen henkel wie ein feuereimer. Die ganze gestaltung des landes, seine topographie, seine hydrographie kann uns dieser schöpfeimer offenbaren. Wir wissen sofort: das volk, das sich dieses gefäßes bedient, muß in der tiefebene, an den ufern eines trägen flusses leben. Wie sehr unterscheidet sich aber davon das griechische gefäß! Semper sagt über dieses: „… die hydria, deren bestimmung darin besteht, das wasser nicht zu schöpfen, sondern es, wie es vom brunnen fließt, aufzufangen. Daher die trichterform des halses und die kesselform des rumpfes, dessen schwerkraftmittelpunkt hier der mündung möglichst nahe gelegt [56] ist; denn die etruskischen und griechischen frauen trugen ihre hydrien auf ihren häuptern, aufrecht, wenn voll, horizontal, wenn leer. Wer den versuch macht, einen stock auf seiner fingerspitze zu balanzieren, wird dieses kunststück leichter finden, wenn er das schwerste ende des stockes zu oberst nimmt: dieses experiment erklärt die grundform der hellenischen hydria (der rumpf gleicht nämlich einer herzförmigen rübe), die ihre vervollständigung erhält durch zwei horizontale henkel, im niveau des schwerpunktes, zum heben des vollen, und einen dritten, vertikalen, zum tragen und aufhängen des leeren gefäßes, vielleicht auch als handhabe für eine zweite person, welche der wasserträgerin beisteht, das volle gefäß auf den kopf zu heben.“
So Semper. Idealen menschen hat er damit sicherlich einen stich ins herz gegeben. Wie, diese herrlichen griechischen vasen mit ihren vollendeten formen, formen, die nur allein geschaffen scheinen, von dem schönheitsdrange des hellenischen volkes zu erzählen, sie verdanken diese formen der baren nützlichkeit? Der fuß, der rumpf, die henkel, die größe der mündung wurden nur vom gebrauche diktiert? Ja, dann sind ja diese vasen am ende gar praktisch! Und wir haben sie immer für schön gehalten! Wie einem das nur passieren konnte! Denn, so wurde uns stets gelehrt: das praktische schließt die schönheit aus.
In meinem letzten artikel habe ich das gegenteil zu behaupten gewagt, und da mir so viele zuschriften zugekommen sind, die mir bewiesen, daß ich im unrecht bin, muß ich mich schon hinter die alten hellenen verschanzen. Ich will ja nicht in abrede stellen, daß unsere kunstgewerbetreibenden auf einer höhe stehen, die jeden vergleich mit einem anderen volke oder einer anderen zeit vollständig [57] ausschließt. Aber ich möchte zu bedenken geben, daß sich die alten griechen doch auch ein wenig auf die schönheit verstanden. Und die arbeiteten also nur praktisch, ohne im geringsten an schönheit zu denken, ohne einem ästhetischen bedürfnisse nachkommen zu wollen. Wenn dann ein gegenstand so praktisch war, daß er nicht mehr praktischer gemacht werden konnte, dann nannten sie ihn schön. So taten auch die kommenden völker, und auch wir sagen: diese vasen sind schön.
Gibt es heute noch menschen, die so wie die griechen arbeiten? Oh ja! Es sind die engländer als volk, die ingenieure als stand. Die engländer, die ingenieure sind unsere hellenen. Von ihnen erhalten wir unsere kultur. Sie sind die vollendeten menschen des neunzehnten jahrhunderts …
Die griechischen vasen sind schön, so schön wie eine maschine, so schön wie ein bicycle. Unsere keramik kann sich mit den erzeugnissen des maschinenbaues in dieser beziehung nicht messen. Natürlich nicht vom wiener standpunkte aus gesehen, sondern vom griechischen. Am anfange des jahrhunderts war unsere keramik ganz im klassischen fahrwasser. Auch hier griff der architekt „rettend“ ein.
Ich war einmal in einer operette, die in Spanien spielte. Darin wird anläßlich einer freudigen festlichkeit – ich glaube, daß der hausherr geburtstag feiert – ein chor von estudiantes herbeigeholt, um auf diese weise dem komponisten gelegenheit für ein spanisches lied, dem kostümierer aber betätigung für so und so viele hosenrollen zu bieten. Diese estudiantes singen – ob hochzeit, geburtsfest, kindstaufe, ob jubiläum oder namenstag zu feiern ist, das ist ihnen gleich – denn:
[58]
Wir haben nur ein lied,
Das paßt auf alle fälle,
Wir sind damit zur stelle
Das zauberlied lautet:
Wir lassen ihn, wir lassen ihn, wir lassen ihn hoch leben.
Ich zitiere ungenau aus dem gedächtnisse, da die aufführung schon zehn jahre her ist.
Solche estudiantes waren unsere architekten. Sie wußten auch nur ein lied. Es hatte zwei strophen: das profil und das ornament. Und mit demselben profil und demselben ornament wurde alles bearbeitet und gearbeitet, fassaden und notentaschen, tintenfässer und klaviere, schlüsselschilder und ausstellungen. Auch glas- und tonwaren. Zuerst wurde ein strich gezogen und dann links oder rechts davon, je nachdem der künstler rechts- oder linkshändig war, darauf losprofiliert, profiliert, daß es eine freude war, zuzusehen. Die profile flossen nur so aus dem bleistift heraus. Plättchen, hohlkehle, plättchen, wulst, plättchen, hohlkehle, plättchen, wulst, dazwischen mal ein karnies. Dann wurde dieses profil herübergepaust, und der rotationskörper war fertig. Nun kam die zweite strophe: das ornament. Auch das wurde mit hilfe der geometrie gelöst, mit der man allerdings, wie es im liede heißt, nicht den inhalt der gurke ergründen, aber rotationskörper abwickeln kann. Kurz, es war herrlich.
Da kamen die bösen engländer und trübten den herren vom reißbrett die freude. Sie sagten: Nicht zeichnen, sondern machen. Geht ins leben, damit ihr wißt, was verlangt wird. Und wenn ihr das leben erfaßt habt, dann stellt euch vor den schmelzofen oder vor die drehscheibe. Da ließen neunundneunzig perzent der künstler das töpfemachen sein.
[59] Hier ist man allerdings noch nicht so weit. Aber der englische geist ist auch schon in unsere handwerker gefahren und rebelliert gegen die vorherrschaft der architektur. Mit geheimer freude hörte ich neulich, wie sich ein kollege bei mir darüber beschwerte, daß ihm ein töpfer rund heraus erklärt habe, nach seiner zeichnung nicht arbeiten zu wollen. Nicht einmal den versuch wollte er machen. Er wollte sich eben nicht mehr „retten“ lassen. „Recht hat der mann“, erklärte ich dem architekten. Der hat mich wohl für einen narren gehalten.
Es ist die höchste zeit, daß sich unser handwerk auf sich selbst besinnt und jede unberufene führung von sich abzuschütteln sucht. Wer mitarbeiten will, sei willkommen. Wer vor der surrenden töpferscheibe in der arbeitsschürze, vor dem glühenden schmelzofen mit entblößtem oberkörper mitschaffen will, sei gepriesen. Jene dilettanten aber, die vom bequemen atelier aus dem künstler (kunst kommt von können), dem schaffenden, vorschreiben, vorzeichnen wollen, was er schaffen soll, mögen sich auf ihr gebiet beschränken, das der graphischen kunst.
Aus England kam die emanzipation des handwerkers, und daher zeigen die neuen gegenstände alle englische formen. Aus England kam der neue glasschliff (cut glass), den wir steindlschliff oder walzenschliff nennen. Linien von prismatischem querschnitt bilden ein geometrisches ornament über das ganze glas. Das geradlinige ornament erhält den ersten, das rundlinige den zweiten namen. Diese technik hat bei uns eine solche höhe erreicht, daß wir schon mit Amerika konkurrieren können (einem lande also, wo sie in höchster blüte steht), was uns bei der geschicklichkeit unserer glasschleifer nicht wundernehmen darf. Viele sachen sind bei uns sogar feiner, vornehmer, [60] distinguierter in der form. Die amerikanischen steindlschliffe zeigen alle einen überschwang der form, der mir nicht zeitgemäß scheint. Fast alle aussteller geben gute proben ihrer arbeit.
Zum erstenmal sieht man auf österreichischem boden verfertigte Tiffanygläser. Der sohn des amerikanischen goldschmiedes Tiffany, Louis C. Tiffany, hat mit hilfe venetianischer glasarbeiter ein durch die neuesten errungenschaften der glasflußtechnik ermöglichtes neues dekorationsprinzip für das glas entdeckt. Nicht durch schleifen oder malen, sondern durch kunstreiches eintauchen in verschiedenfarbige glasmassen wird während des blasens aus einem stück – anders als bei der arbeitsart der venetianer, die während des blasens zusammenschweißen – eine gefäßform gebildet, die wohl das höchste dessen vorstellt, was uns moderne arbeit zu bieten imstande ist. Die gegenstände aus Neuwelt sind, besonders in der farbengebung, recht zahm. Aber immerhin, der anfang ist gemacht.
Nicht so zuversichtlich kann man über die tonindustrie sprechen. Die porzellanmalerei hält noch an der geleckten tradition des vorigen jahrhunderts fest. In steingut und majolika gibt es formen, formen! Man findet da unter anderm eine aschenschale, die aus dem konkaven schilde unseres kaiserhauses besteht. Gibt’s da kein heroldsamt, das sich einmischen könnte? Unter den glaswaren ist sicherlich viel minderwertiges. Man geht stillschweigend daran vorüber. Aber in der keramischen abteilung lesen wir die selbstbewußte aufschrift: „Alle dessins und formen sind in allen ländern gesetzlich geschützt.“ Du lieber gott! Sollte man nicht eher alle länder vor diesen dessins und formen gesetzlich schützen? [61] Solche gedanken müssen einem kommen, wenn sich das geschmacklose so vorzudrängen sucht.
In der umfangreichen exposition der firma Wahliß bilden die musterteller zu den bisher gelieferten großen servicen wieder das entzücken aller. Hier hat diese firma eine höhe erklommen, die auf der welt einzig dasteht. Alle fürstenhäuser und die geburts- und geldaristokratie aus allen weltteilen lassen sich hier ihre porzellanservice anfertigen. Der teller des indischen rajah und der des amerikanischen krösus liegen nebeneinander. Wie ein symbol für den beginn der herrschaft einer kultur in der gesamtweIt muten mich diese teller an.
- ↑ *) Gottfried Semper: der stil, zweiter band, München 1879, Seite 3 Internet Archive