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Malerei und Plastik (1914)

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Textdaten
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Autor: Berthold Haendcke
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Titel: Malerei und Plastik
Untertitel:
aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band, Elftes Buch, S. 44–63
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
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Erscheinungsort: Berlin
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[1576]
Malerei und Plastik
Von Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Haendcke, Königsberg


Seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts, um nicht einiger Einzelerscheinungen wegen noch weiter zurückzugreifen, wird in der deutschen Malerei der Kampf um die Farbe geführt. Von den Venezianern des 16. und von den Flamländern des 17. Fahrhunderts kamen die leuchtenden, herrlich schmückenden Farben, welche, von tiefen Schatten gestützt, die Bilder jahrzehntelang überfluteten. In der Schule von München-Wien wurde der Höhepunkt einer dekorativ-realistischen Stoffmalerei erreicht, der am letzten Ende eine peinlich genaue Abschilderung des äußeren Daseins mit künstlerischem Takt am höchsten stand. Ähnliche Erfolge wurden gleichzeitig auf einem der Malerei verwandten Gebiete, auf dem der lebenden Sinnestäuschung, dem Theater von den „Meiningern“ in ihren stilgerechten Szenenbildern erstritten. Obwohl uns diese Nachahmung von Wirklichkeiten oder die gewollte Untertänigkeit unter fremde Vorbilder als ein Ablenken vom Wege zur hohen Kunst erscheint, so müssen wir trotzdem hierin ein Zeugnis des vordringenden Realismus erblicken, denn in der „packenden Wahrheit und Echtheit“ der Koloristik sah diese entwicklungsfreudige Zeit die Zaubergewalt der irrtümlich an den Dingen selbst wahrgenommenen Farbe versinnbildlicht. Der wohl abgewogene Rhythmus der reich bewegten und gut durchgezeichneten Formenwelt in den Gemälden verstärkte diesen lebenswirklichen Eindruck. Die mächtig angeregte Vorstellungskraft, welche den Deutschen nicht zum mindesten zum Kunstgenuß treibt, tat das Ihrige hinzu, so daß man in einer Glanzzeit der Kunst zu leben glaubte. Abseits von dieser farbentrunkenen Historienmalerei stand die Schilderung der natürlichen Umwelt, obgleich die deutsche Malerei im 19. Jahrhundert ihre triebkräftigsten Anreize von der Landschaft erhalten hat. Hier boten lichtreiche Stimmungsmalereien aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts neuen Anregungen die Hand, welche aus England (Constable) nach Berlin und München, und von Frankreich (Barbizon) vornehmlich nach München gekommen waren. Dazu traten immer häufiger werdende Reisen in den lichtfunkelnden, farbenstarken Süden. Auch auf diesem Felde der Malerei breitete sich, etwas nivellierend, die altmeisterliche Farben- bzw. Tonbehandlung aus. Aber die inneren Kräfte der Landschaft, zu der die Deutschen so innige Beziehungen haben, brachen schnell und kraftvoll durch, als abermals von Frankreich der Anreiz zu einer realistischen Lichtmalerei erfolgte. Diesmal galt es, das weiße, scharf leuchtende und vielfältig von der Atmosphäre zerlegte und reflektierte Sonnenlicht als Herrscherin in der Landschaft, im Freiraum mit dem Pinsel zu fangen.

[1577]

Lichtmalerei.

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Man gewann durch dieses farbige Licht die Erkenntnis, daß kein Ding eine Farbe „an und für sich“ besitze, sondern nur in wechselseitiger Abhängigkeit von andern Farbwerten. Die scheinbar realistische Farbigkeit in der herrschenden Historienmalerei mußte deshalb allmählich als unwahr erkannt werden. Die Farbe hatte ihre Rolle ausgespielt, das Licht triumphierte. Damit vollzog sich gleichzeitig ein Umschwung in der Bewertung, der künstlerischen Vorwürfe. Mit jenen strahlenden, glühenden, berauschenden Farben war über die deutsche Malerei nochmals die ganze Gewalt der Geschichte, die Deutschland seit Anfang des 19. Jahrhunderts beherrschte, gekommen, und hatte die Schilderung der Großtaten der Menschen wieder völlig in den Vordergrund geschoben. Als dann in Deutschland nicht nur Weltgeschichte gelehrt, sondern auch gemacht wurde, da stand die realistische Gedankenmalerei im Zenit. Der Gegenschlag war unvermeidlich. Die Geschichtswissenschaft wurde von der fast gleichzeitig emporgewachsenen Naturwissenschaft abgelöst, die logische Folgerung von dem beweisenden Experiment beiseitegedrängt. Dies brachte zuerst, wie bemerkt, der für wahr gehaltenen Farbe den Untergang und bewies, daß es nur ein farbiges Licht gäbe, welches alle Farbwerte in Relation setze. Diese Erfahrung, dies Experiment war aber nur vor der Sonne selbst, im Freiraum zu machen, denn in einem geschlossenen Raum ist, selbst bei den größten Lichtöffnungen, die Lichtkraft nicht entfernt so stark und so mannigfach, wie in der bewegten Atmosphäre der Landschaft. Damit war gleichzeitig die Malerei der heimischen landschaftlichen Natur zur Oberherrschaft gelangt.

Im Jahre 1860 war von einem deutschen Maler (Lenbach) in Italien, der, wie man schrieb, „nackte photographische Sonnenschein“ gemalt worden, und in den siebziger Jahren sagte ein österreichischer Landschafter, ihn reize nichts mehr als das starke Licht des strahlenden Sonnenscheins, die Alten hätten nur den Begriff Licht aus der Natur genommen, alles andere aber aus sich selbst geschaffen. In Leben und Kunst war also der Boden für eine naturalistische Malerei vorbereitet. Es bedurfte jetzt nur noch der entscheidenden Tat, d. h. aus dem von einem gleichmäßigen Licht erfüllten Atelier in die von tausend Reflexen durchschwirrte Luft des Freiraums hinauszutreten. Dies geschah im offenen Kampfe gegen die Atelier-Tradition in Deutschland in den ersten achtziger Jahren unter dem Einfluß des bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts solchen Problemen nachgehenden, französischen Landschaftsmalerei. Mittels der wasserreichen, leicht dunstigen und tonreichen Luft Hollands erfaßten die deutschen Maler endgültig das Prinzip der seit den siebziger Jahren zunächst als Freilichtmalerei, dann, spöttisch, als Impressionismus entwickelten Malerei des flimmernden Lichtes in der durchleuchteten Atmosphäre, die alles Tun und Treiben des Menschen umgibt.

Kaiser Wilhelm II. – Impressionismus.

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Deutschland war in jenen Jahren an einem Wendepunkt angelangt, Kaiser Wilhelm II. zur Regierung gekommen. Mit diesem Monarchen begann das Deutsche Reich erst wirklich in den Genuß der politischen Errungenschaften von 1870–1871 einzutreten. Der junge Herrscher brachte den Willen mit, eine Friedenszeit in Waffen heraufzuführen. [1578] Dem Deutschen Reiche wurden dadurch die Mittel geboten, auch der Repräsentationspflicht seiner Machtstellung zu genügen. Die also nicht zum mindesten von politischen Gesichtspunkten aus energisch betonte Neigung zur Prachtentfaltung mußte allerorten die Anteilnahme an künstlerischen Fragen mächtig steigern. Es darf festgestellt werden, daß Kaiser Wilhelm II. nicht nur der nie ermüdende Freund und Gönner der bildenden Künste gewesen, sondern auch der starke Anreger für hoch und niedrig im ganzen Deutschen Reich geworden ist. Das Deutsche Reich konnte ferner erst von dieser Zeit an mit ungehemmter Kraft in den internationalen Wettkampf eingreifen. Durch den allen ständig bewußter werdenden Gegensatz der im besonderen Sinne deutsch-europäischen und überseeischen Interessen erwuchs eine Überschau über die ganze bewohnte Welt in so großen Bruchteilen unseres Volkes wie nie zuvor. Allgemeingut wurde in steigendem Maße das Verständnis für Weltgeschichte. Das stetig wachsende völkische Bewußtsein ließ die Deutschen, zu ihrem Glück, in schnellerem Tempo immer mehr Tatsachenmenschen werden. Jedes bewußte Streben nach einem bestimmt erfaßten Ziel muß aber Schroffheiten auf sich nehmen; deshalb kann es uns kaum wundern, daß gerade in dieser Zeit unbedingt gewollten Aufstieges auch die Künstler in Deutschland rücksichtslos über Bord warfen, was ihr Schiff beschwerte und hemmte. Radikal, wie die kraftbewußte Jugend ist, wurde aller „Atelierplunder“, wurden alle Kostüme und Farbenrezepte wie historische Überlieferungen jeder Art zum alten Gerümpel gepackt, und hochaufatmend setzte der Maler sich der Natur gegenüber, in die vom farbenfressenden Sonnenschein überleuchtete freie Gotteswelt. Hier floß der Born der Kunst, nicht im Atelier, wo der Künstler die Sage oder die Dichtkunst mit vielem Können, aber innerlich unfrei als Stilist illustrierte. Um unbedingt aller Verführung der Gedankenmalerei zu entfliehen, bevorzugte der Maler die alltäglichsten, reizlosesten Motive, suchte die Natur in ihrem schlichten Alltagsgewand auf. Diese Richtung, einfache Vorwürfe zu bevorzugen, bestand übrigens längst, insbesondre in der Münchener Schule, die Tendenz wurde jetzt nur schärfer betont, fast möchte ich sagen, spezialisiert, als Malerei von Kartoffelfeldern, Kohlfeldern, eines Stückchens Graben mit Heideland und ähnlichem mehr. Die Art und Weise der Interpretation der Umwelt seitens der sogenannten Impressionisten war allerdings eine grundsätzlich verschiedene. Sie wollten nicht das Auge begrifflich oder nach Art eines Kurzsichtigen von einem Motiv zum andern wandern lassen, sondern im schlichten, schnellen Sehverkehr vom Subjekt zum Objekt nur das Wesentliche erfassen, mit Licht- und Tonwerten die Seele der Landschaft erwecken. Das impressionistische Sehen sollte ein vergeistigtes, von aller Verstandesarbeit freies Wahrnehmen sein. Der Maler wollte elementar wirken, unbedingt aufrichtig sein; denn durfte der Mensch sich herausnehmen, die Natur verbessern zu wollen? Das Selbständigkeitsgefühl der einzelnen Künstler wuchs durch eine solche Auffassung fraglos, denn es war überall ganz auf sich gestellt, insbesondre weil der Maler über den Entwurf hinaus zu dem in sich abgeschlossenen fertigen Werk gelangen sollte. Die Aufgabe war um so schwieriger, als die Malerei des lichtstarken Eindruckes in der Natur in erster Linie darauf bedacht war, nach Möglichkeit jeweilig die Illusion hervorzurufen, als verdanke das Kunstwerk einem glücklichen Schöpferaugenblick sein Dasein. Hieraus darf man [1579] nicht den Vorwurf beabsichtigter Täuschung herleiten wollen. Es liegt im Gegenteil der Beweis vor, daß die Maler damals von einer erhebenden Selbstlosigkeit erfüllt waren, denn daß sie keine Verkaufsware herstellten, bewies ihnen das Publikum sehr schnell. Der Impressionismus mußte vorwiegend auf die Landschaft sich beschränken, weil er seinen Ursprung von der Beobachtung der Wirkung des prismatisch zerlegten strahlenden weißen Sonnenscheins auf die von der Atmosphäre umgebenen Dinge nahm. Das Licht wurde dadurch in eine ganz andere Stellung zum Bilde gebracht. Es war jetzt der bestimmende Faktor des künstlerischen Aufbaues geworden, während es in dem im Atelier entstandenen Gemälde einen Teil der Komposition ausmachte. Durch diese alles beherrschende Stellung des Himmelslichtes wurde die Aufmerksamkeit für die landschaftliche Natur in solchem Maße gesteigert, daß der Mensch zu einem Teil der Umwelt, gleich irgendeinem Stück der Landschaft, wurde. Die Eindruckmalerei will koloristisch nichts anderes geben, als die optischen Reize eines unbefangen angeschauten, unvoreingenommen empfundenen Ausschnittes der Natur. Diesen will der Künstler auf sich wirken lassen, mit seinen Malmitteln in Kunstform übersetzen und mit seiner Hingebung an alle Schönheit der Welt erfüllen. Deshalb mieden (und meiden) die Maler die großen Städte und zogen sich einzeln oder in Gruppen auf das Land zurück. Die Berechtigung dieses Gefühls wird neuerdings durch die Art und Weise, wie die jüngsten Kunstakademien errichtet werden, anerkannt. Eine derartige Flucht aufs Land bringt dann besonders köstliche Früchte, wenn der Künstler in seiner Heimat bleibt; denn dort, wo uns das kleine Zufällige von langher bekannt ist, wird das Große, das Typische am ehesten erkannt. Weil nun in jedem einzelnen Menschen das Weltgefühl lebendig ist, je nach dem Grade seiner Seelenkraft, so kann ein großer Landschafter auch in dem anspruchslosesten Stückchen Erde seine Schöne, seinen Charakter, das Ewige sich wiederspiegeln lassen. Wenn dieser Naturalismus des Impressionismus oft Gefahr lief, nur ein Inventarium der Landschaft, nicht eine Übertragung in künstlerische Form zu liefern, so lag das in erster Linie daran, daß der Deutsche für reine Formgedanken – das Wort im umfassenderen Sinne genommen – bei weitem nicht das Organ wie der Franzose besitzt. Es ist aber die Sache eines jeden Einzelnen zu entscheiden, ob und wie er von derartigen Werten ergriffen wird. Wir können hier nur historisch jene Absicht, welche ganz unleugbar bestand, feststellen.

Technische Behandlung.

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Da der vorwiegend lichtreiche, helltonige Eindruck von und vor der Natur festgehalten werden sollte, so mußte die Methode der Versinnbildlichung von Grund aus geändert werden. An die Stelle einer sorgsamen Einzelarbeit mußte ein kühnes Zusammenfassen, das blitzschnell über nutzlose Einzelheiten hineilt, treten, um sich an den wesentlichen Formgedanken, an der Wahrheit des Gesamteindruckes genügen zu lassen. Das Haschen nach Licht brachte demzufolge bei den Ölfarben ein pastoses, brutales Malen, das leicht in befremdende, ja abstoßende Halbfertigkeit ausarten konnte. Auf der andern Seite ist es aber auch richtig, daß die breite Behandlung zwingt, die charakteristischen Eigenheiten des jeweilig gewählten Dinges sehr klar herauszuheben, und daß [1580] bei dieser Art der Wiedergabe das vibrierende Leben des unmittelbar Empfundenen erhalten bleibt, daß die künstlerische Interpretation sicherer vor dem Erstarren bewahrt wird. Ein Verlust an feinerer Formgebung konnte auf der anderen Seite insofern eintreten, als das Freilicht die zarteren Abstufungen der Töne in der großen Helligkeit nicht genügend zur Wahrnehmung gelangen ließ. Auch die Kraft der Farbe litt unter ihr. Die hellen kreidigen Bilder „hungerten“ diese aus. Bald nach dem Aufstreben der lichtbringenden Hellmalerei sahen die Künstler dies auch ein. Wollte man das ersehnte Ziel, das Sonnenlicht in all seiner strahlenden farbigen Helligkeit auf die Leinewand zu bannen, erreichen, so mußte eine Veränderung in der Technik dahin vorgenommen werden, daß hell und dunkel wieder in einen Kontrast gebracht wurden. Dies versuchte der sogenannte Neoimpressionismus, der damit aber bei allem gutgemeinten Streben einen Schritt weiter in das Artistische hineintat; denn man erwarb sich im Grunde nichts als ein technisches Ausdrucksmittel, jedoch keine künstlerische Handschrift. Die Naturwissenschaft kam den Malern bei ihrem Kampf um Licht und Farbe mit der seit 1860 ständig verfeinerten Spektralanalyse zu Hilfe. Die Farbenlehre hatte aus ihr die Erkenntnis gezogen, daß das Nebeneinander der reinen Farbwerte ein stärkeres Licht gibt, als das Übereinanderlegen und das Ineinandermischen der Farbenkörper. Sobald man die reinen Pigmente nebeneinander legte, malte man mit Licht, während man vorher mit „Farben“ gearbeitet hatte. Mit all diesem stand die neue Eindruckmalerei unstreitig auf dem Boden ihrer Zeit, die so vorwiegend praktischen Zielen zustrebte, daß sogar die Universitäten von den technischen Hochschulen zurückgedrängt schienen. Die einem bestimmten Zweckbedürfnis zugewandte Arbeit besiegte das voraussetzungslose Forschen. In solchem Hinblick war demnach der Impressionismus durchaus berechtigt. Ein Gut hat er zudem unbedingt allen, selbst seinen Widersachern gebracht, ein verfeinertes Wahrnehmungsvermögen für das farbige Licht, für die durchleuchtete Atmosphäre, für die Einheit der Tonwirkung, und mit alledem eine erstaunliche Raumkraft. In Norddeutschland wurde der Impressionismus reichlich scharfsinnig-doktrinär, in Süddeutschland gemütvoller aufgefaßt. Hier erhielt die neuzeitliche Auffassung auch zuerst Bürgerrecht. Im Jahre 1888, also vor 25 Jahren, öffneten sich ihr die Pforten des Glaspalastes.

Überall wurde von den Gegnern der Vorwurf erhoben, daß die als fertig angebotenen Bilder im Grunde nur Skizzen seien. Die Eindruckmaler wollten sich aber auf „Ausführung“ nicht einlassen, da sie um die Frische der malerischen Wirkung bangten. Sie konnten sich auf die alte Tatsache berufen, daß gar zu oft aus geistreichen und lebensprühenden Entwürfen langwellige, tote Bilder geworden seien. Allerdings mißlang auch den Impressionisten oft die unleugbare Absicht, durch innere Einheit das Bild über die Studie zu erheben.

Graphik.

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Wie tief aber dies ehrliche und leidenschaftliche Ringen um das lebenschenkende tonreiche Licht wurzelte, beweisen eine Reihe von Begleiterscheinungen, so fand vor 25 Jahren, im Jahre 1888, die erste große Ausstellung von Aquarellen, Pastellgemälden und Handzeichnungen (in Dresden) statt. Diese drei Techniken [1581] haben damals ihre selbständige Lebensfähigkeit erwiesen, besonders die Wassermalerei, da ihr durch die englischen Farben ein wesentlich besseres und breiteres Fundament bereitet wurde. Die Aquarelltechnik, die längst von den Künstlern bevorzugt war, um besonders interessante Farben und Formeindrücke schnell vor der Natur festzuhalten, gliederte sich also dem Bestreben der Freilichtmalerei unmittelbar an. Die Lichtfreudigkeit war derartig gesteigert worden, daß sie sich sogar die Graphik, die zeichnenden Künste, unterwarf. Im Jahre 1887 wurde in Berlin der Verein für Originalradierung begründet, und schon 1889 war es jedermann klar, daß die malerisch wirkende Radierung die Führung unter den Griffelkünsten besitze. Im Jahre 1892 brachte eine Ausstellung der farbigen Kupferstiche den Wunsch nach Erneuerung dieser bedeutsamen Technik (bzw. der farbigen Radierung), und seit 1893 wurde die Lithographie (zunächst von der Federzeichnung aus) ebenfalls weiter entwickelt. Die Ausbildung des Steindruckes erfolgte dann besonders unter dem Einflusse des großflächig kolorierten altdeutschen und japanischen Holzschnittes und des modernen französischen Plakats. Die farbige Lithographie erkannte man, eigne sich ganz besonders zu einer abgekürzten Wiedergabe der Erscheinungen der Umwelt. Die einfache und zusammenhaltende Tönung entspricht überdies einer technischen Grundforderung. In der Lithographie erstand der farbenzerlegenden Eindruckmalerei, wie wir sehen werden, ein weitgreifender Gegner. Die in diesen schlichten Künstlerlithographien beschlossene starke Empfindung und ernste Kraft wurde bereits 1900 in London rückhaltlos anerkannt. Der erzieherische Wert dieser Kunstblätter ruht nicht zum mindesten in der Tatsache, daß sie billig herstellbar sind, und deshalb ein sehr beliebter Wandschmuck in den Häusern der weniger bemittelten Bevölkerungsschicht werden können.

Erneute Betonung der Farbe.

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Seit dem Beginn der neunziger Jahre ist auch der Holzschnitt zu neuem Dasein erweckt. Der zunächst nur leicht moderne Einschlag wurde konsequent weiterentwickelt, so daß bereits ca. 1896 Abdrücke von stark impressionistischer, erstaunlicher Lichtkraft in gewaltiger Zusammenfassung und von tiefer Beseelung dargeboten wurden. Diese Wirkung wird technisch hervorgerufen durch eine Vereinigung des Schemas der Grenzlinie und der Tonschatten. Schwarz und weiß stellen sich in prachtvoller Vereinfachung in breiten Massen einander gegenüber. Seit kurzem feiert aber auch die Farbe in Holzschnittblättern ihre Triumphe, in flächiger Behandlung oder in diffizilster Abwägung der farbigen Lichtwerte. Seit ca. 1896 ist ferner ein neuartiger Illustrationsstil im Entstehen, der auf der mehr oder weniger karikierenden Schilderung des Tuns und Treibens im modernen Alltag beruht. Unter Einwirkung der japanischen Zeichenkunst und des impressionistischen Sehens des Milieus wird die Form charakteristisch hervorgehoben, das Wesentliche mit der einfachen Schwarzweißwirkung oder in farbigen Drucken, die, nach allgemeiner Übereinstimmung, in ihrer Vollendung einzig dastehen, darzustellen unternommen. In ungefähr 25 Jahren hat sich also die Griffelkunst von der Stellung einer dienenden Kunst zu voller Selbständigkeit emporgearbeitet. Jede Provinz der Schneide- und Zeichenkunst besitzt heute ihre Führer. Diese Feststellung allein, daß die Graphik an Originalarbeiten so reich ist, darf uns mit freudiger Genugtuung erfüllen; denn dies ist nur dann [1582] möglich, wenn der Reichtum der künstlerischen Phantasie sich in solchem Maße angehäuft hat, daß die Tafelmalerei ihn nicht mehr fassen kann. In jedem Fall müssen wir es als Tatsache anerkennen, daß der Grundgedanke der neuzeitlichen Malerei entsprechend dem individualistischen Charakter unserer Zeit, „das wahrnehmende Subjekt zu verehren und an die Stelle der Treue gegen das Objekt die Treue gegen das subjektive Empfinden zu stellen“, stetig und allerorten, wenn auch nicht überall gleich stark durchgedrungen ist. Gegen die Mitte der neunziger Jahre dürfte ungefähr die eigentliche Eindruckmalerei mit dem farbenverschluckenden Sonnenlicht in Deutschland den Kulminationspunkt erreicht haben. Man wünscht seit dieser Zeit eine mehr flächige und auch farbensattere Malerei bei starker Durchleuchtung festzuhalten, die farbigen Werte zu geschlossenerer Farbenwirkung zusammenzuziehen. Unter erneutem französischen Einfluß (Cézanne und vornehmlich Van Gogh) wuchs diese Richtung und wurde allmählich in stetig sich steigernder Weise zur maßgebenden Auffassung. Gleichzeitig gewann allmählich, trotz impressionistischer Auffassung der Einzelheiten, die Linie wieder an Geltung, so daß sie und die lichtvollen Farbflächen die Anlage der jüngst gemalten Landschaften mit fast architektonischem Zwange beherrschen.

Szenenmalerei.

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Der Widerstand gegen die Impressionisten und verwandte Auffassungen, der zu keiner Zeit völlig niedergerungen gewesen war, nahm seine Kraft aus dem innersten künstlerischen Empfinden des deutschen Volkes, welchem reine Formvorstellungen, die „Übertragung der Natur in eine neue Einheit“ nicht genügen. Wir Deutsche erfreuen uns an der Gedankenmalerei, wir wollen im Kunstwerk uns selbst genießen. Wer dies nicht verstehen kann, oder dem Deutschen hier andere künstlerische Ideale wünscht, ist uns blutfremd. Man empfand deshalb im allgemeinen in Deutschland für den reinen Impressionismus verhältnismäßig wenig Liebe. Er besaß zwar in seiner erlernbaren Sachlichkeit für viele Charakter, aber keine hinreißende innere Macht. Man empfand ihn direkt als fremdartig, und warf den Malern vor, daß das Nur-Malen die Armut der Geistesbildung fördere, und hindere, große künstlerische Gedanken zu fassen, aus der Wirklichkeit den Anstoß zur Weltschilderung zu nehmen. Durch die Untertänigkeit unter die angeschaute Natur mit ihren Zufallswerten war der Künstler überdies zwar über den literarischen Vorwurf hinausgelangt, aber in anderer Hinsicht wieder unter die Herrschaft eines Stoffes, eben der „richtig“ wiederzugebenden Natur gelangt. Auch war die Abkehr von der Anekdote letzten Endes keine so unbedingte, wie es die Wortführer wahr haben wollten. Man floh zwar, um der Gefahr der Verschönerung zu entgehen, die Lebenskreise, welche durch ein gewisses Maß kultureller Entwicklung eine bestimmte Form erhalten haben, und wandte sich den niedrigeren Volksschichten zu, in der berechtigten Meinung, hier einfachere, unmittelbarere Lebensäußerungen und damit mehr die „Form an sich“ zu finden, einem gewissen „Inhalt“ konnte man deshalb doch nicht entgehen. Die Künstler bewiesen anderseits hier wieder, müssen wir hinzufügen, ihre Fähigkeit, die im Volke reif werdenden Regungen zu spüren. Die großen sozialen Gesetzgebungen in den achtziger Jahren, die Aufhebung des Sozialistengesetzes hatten die Anteilnahme an dem Handarbeiter in hohem Maße gesteigert. Die Künstler als die [1583] Dolmetscher des Sollens und Wollens der Völker schilderten demzufolge das Leben dieser Massen. Im Jahre 1888 sah man auf einer Ausstellung 86 Genrebilder, unter diesen war auf 65 das Leben der Bauern, der Arbeiter und der dienenden Klasse dargestellt. Da es sich in diesem Falle meistenteils um eine Schilderung von verhältnismäßig wenig bewegten Menschen handelte, die sich vielfach im Freien oder im neuzeitlichen Hellraum aus Glas und Eisen aufhielten, so konnte die Lichtmalerei überdies etwas unbekümmerter ihren besonderen Zielen nachgehen, d. h. auch den Menschen als Lichtträger und Raumwert verwenden. Immerhin stieß der Impressionismus bei der Interieurmalerei von vornherein auf Widersprüche. Es gab modernste Künstler, die erklärten, im Zimmer gäbe es, trotz der Eselsbrücke des holländischen Fensters, keine Luft. Hier wollte man gern der Nahsicht, der Einzelform, der Linie und der ruhigen, geschlossenen Beleuchtung ihr Recht lassen. Denn sobald die Maler die Grundsätze der Impressionsmalerei auf das Genre und das Porträt folgerichtig übertrugen, kamen diese in die ernsteste Gefahr von dem schnellgleitenden, vielfarbige Reflexlichter verteilenden Sonnenstrahl im innersten Wesen zerstört zu werden. Aus diesem Grunde traten damals tatsächlich Szenenmalereien von feinerem geistigen Gehalt, wie auch das Porträt zurück, oder man faßte das Bildnis als Momenteindruck auf, womit es natürlich ebenfalls nicht unwesentlich seines Charakters beraubt wurde. Die neuzeitliche Malerei war also bei der Schilderung des Menschen und seiner Handlungen stark in das Gebiet des Abschreibers von Naturerscheinungen gekommen, da sie sich zu einseitig einer an sich hochkünstlerischen Aufgabe hingegeben hatte. Aber Übertreibungen dieser Art beweisen noch keine grundsätzliche Verirrung oder eine Erkrankung. Wir brauchen nur etwas weiter umzuschauen, etwa die Literatur zu beachten, um von neuem die Gewißheit zu erhalten, daß die Malerei in ihrem Grundprinzip, stets und überall „Natur“ sein zu wollen, auf dem Boden ihrer wirklichkeitsfrohen Gegenwart stand. Auch die redenden und darstellenden Künste hatten die Absicht, sich von allen novellistischen Zutaten freizuhalten, unbefangen aus dem Motiv heraus das jeweilige Lebensereignis zu versinnbildlichen, wie etwa in den Aufführungen der „Freien Bühne“ zu Berlin (1891), wo das Leben und die Leiden der niedrigeren Volkskreise dargestellt wurden. Eine neue Art schauspielerischer Darstellungsweise suchte ebenfalls den neuzeitlichen Anforderungen durch ein realistisches Spiel gerecht zu werden. Man begünstigte also auch hier nicht mehr den Kothurn, sondern eine naturalistische Richtung, die in der Wirklichkeitsschilderung ihre Wahrheit fand. Auch die angewandte Kunst, das Kunstgewerbe, begann ungefähr gleichzeitig in den Bann einer werkmäßigen Logik zu treten. Genug, in ganz Deutschland, bei den jungen wie auch bei vielen älteren Künstlern beherrschte der Naturalismus, scharf ausgedrückt, die im großen und ganzen wahllose Schilderung der sichtbaren Welt.

Betonung des Innenlebens.

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Fast in derselben Stunde, in welcher dieser Naturalismus in Deutschland Herrscher geworden war, setzte der Umschwung ein. Die Engländer (Whistler) und die Schotten sind die treibenden Kräfte geworden. Durch jene gelangten unsere Maler zu der „grauen“ [1584] Palette, zu einer Tonmalerei, die nur Stimmungen, Seelenschwingungen und so gut wie keine irgendwie bestimmter umrissene Form kannte, durch diese kam eine tonige, stimmungsvolle und doch farbige Behandlung der natürlichen Umwelt zur Geltung, die einer realistischen Auffassung nicht entgegenstand. So war die Künstlerschaft auf dem Wege zu einer stimmungsvollen, farbenfreudigen Gegenwartskunst. Das Verhalten des kunstsinnigen Laien bot diesen Malern eine Stütze. Es wurde immer klarer, daß die unstreitig vorhandene verstehende Anteilnahme des großen Publikums an den neuzeitlichen Schöpfungen der Landschaft- und Genremalerei, an den Stilleben und Porträten erlahmte, je mehr die neue Technik ausgebildet, festgefügtes Eigentum der Künstler geworden und nun der tote Punkt erreicht war. Das Gesetz der Ermüdung erzwang sich Geltung. Man war der Vereinfachungen, die nicht gar zu selten in Formzerfetzungen steckengeblieben waren, der prismatisch zerlegten, farbigen Lichtwerte, die sich oft in keiner Entfernung im Auge mischen wollten, allmählich überdrüssig geworden; man wünschte wieder die bestimmt ausgezeichnete Form zu sehen, und die geistigen, die Seelenmächte interpretiert zu erhalten. Wer die Formsprache beherrscht, kann über den Stoff nachdenken. Die Künstler begannen, überreich an den vor der Natur gewonnenen Licht-, Farb- und Formwerten, einzusehen, daß deren freie geistige Verarbeitung nicht nur möglich, sondern wertvoll sei, und daß bei dem künstlerischen Schaffen ein feinfühliges Sehen, ein treues Gedächtnis und Erfahrung Hand in Hand zu gehen habe. Demzufolge bemerken wir, zunächst in der Landschaft seit ca. 1895, eine Komposition in dem Sinne, daß die unmittelbar gewonnenen Natureindrücke durch ein starkes rhythmisches Gefühl für Stoff und Farbenmassen stilisiert werden, und daß die dichterische Neigung, sich in das eigene Leben wieder zu vertiefen, von neuem eindringt. Man sucht seit etwa diesen Jahren nach dem Gleichgewicht eines formalen Aufbaues der Bilder, jedoch ohne Rücksichtnahme auf überlieferten Dogmatismus. Die immanente Massenproportion beginnt in der räumlichen Anschauung zu herrschen, und damit ein wesentlicher Faktor aller künstlerischen Arbeit sich wieder einzuschieben, die Phantasie, die gestaltende Vorstellungskraft. Es dominiert nicht mehr die oft ganz unbewußte Bevorzugung überraschender Lichtreflexe, sondern das Streben nach einer ausgeglichenen farbigen Harmonie, nach der Kultur einer lichtstarken satten Farbe. Gleichzeitig gewinnt die Ateliermalerei wieder an Kraft. Die Maler fürchten sich auch nicht mehr vor landschaftlichen Motiven, welche die Phantasie des Beschauers anregen. Dies äußert sich nun allerdings nicht wieder in alter Weise durch topographische Ausstattung der gewählten Gegend, sondern dadurch, daß die Künstler in Übereinstimmung mit den Triebkräften unserer Gegenwart die Orte aufsuchen, wo das schaffende Leben pulst, wie etwa die Seehäfen oder die Zeugnisse des Lebenswerkes unseres Kaisers, die machtvollen Kriegsschiffe in Sonnen- und Sturmwetter, Segel- und Ruderregatten, oder die Straße der hastenden Großstadt im hellen Lichte der elektrischen Lampen, die Bahnhöfe und ähnliches mehr. Man strebte in weiterer Folge von der Internationalität, welche der Impressionismus in allen seinen Spielarten der Malerei verliehen hatte, zu einem nationalen Charakter zurück. Diese Umwertung der Ergebnisse der Freilichtmalerei wurde naturgemäß zunächst mit einer Überbetonung bezahlt, aus der die Malerei sich erst allmählich wieder [1585] zur Beruhigung, zu einer Klärung durchrang. Den zeichnenden Künsten ist hier in gewissen Grenzen ein Verdienst zuzuweisen.

Figurenmalerei.

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Mit dem Erstarken der Griffelkünste, welcher die reizvolle japanische Zeichenkunst immer von neuem viele Anregung geboten hatte, mußte gleichzeitig die deutsche Vorliebe für zyklische Darstellung, welche ebenfalls den Sinn für geistige und seelische Werte in der Malerei pflegt, neu gekräftigt werden. Wir lesen schon 1893, „Wenn den Franzosen das Verdienst der Technik zuzuweisen ist, so sind für die seelische Erfüllung der modernen Kunst mit poetischem Gehalt die reichsten Keime, Blüten und Früchte in deutschem Erdreich zu finden“. Ein erhöhter Wohlstand befördert überdies das Herausbilden des Bewußtseins der Persönlichkeit, und Deutschland war reich geworden. Mit all diesem wird der Mensch wieder mehr in den Vordergrund geschoben. Jener oben betonte Mangel an bewegten figurenreichen Bildern in der Periode der eigentlichen Herrschaft des Impressionismus erklärt sich zum Teil auch aus dem sehr starken Widerwillen der jungen Strebenden gegen den nach ihrer Meinung unwahren Theaterrealismus in der dem Menschen allein gewidmeten Historienmalerei jeder Art. Es herrschte hier, nach ihrer Ansicht, zuviel Reflexion, zuviel Verstandesarbeit, zuwenig Anschauung, zuwenig Erlebnis. Im Jahre 1893 fanden sich unter den Bewerbern des großen Staatspreises in Preußen für Geschichtsmalerei keine Maler, sondern nur sechs Bildhauer. Am freiesten konnte sich von den Vorwürfen der Unwahrheit ein geschichtlicher Stoff halten, dessen Inhalt allen gefühlsmäßig so innig vertraut war, daß die literarische Limitierung überall zurücktreten mußte, die religiöse Malerei. Deshalb bemerken wir auch, daß trotz des Eindringens der naturalistischen französischen Freilichtmalerei die religiösen Stoffe immer von neuem behandelt werden. Ja, gerade die Auffassung, welche die unmittelbare Gegenwartswirkung im Bilde verlangte, mußte darauf verfallen, die Schilderung der Heilslehre, die immer allgegenwärtig ist und sein soll, gleichwie zu Lebzeiten des Heilandes, mit den Mitteln dieser naturalistischen Kunst auszustatten. Es ist von allgemeinem Werte, sehr bestimmt festzustellen, daß auch unter der Herrschaft der Eindruckmalerei die religiöse Malerei sich nach mannigfachen Richtungen zu entwickeln versucht, und daß sie stetig an Ausdehnung gewonnen hat. Wir können allerdings lediglich von einer protestantischen Malerei der Heilslegende sprechen, da sogar die Richtung der katholischen Malerei, welche bewußt eine Regeneration bringen wollte, trotz aller guten Absichten gänzlich in das Gebiet der Tradition zurückgetreten ist. Unter den religiösen Malereien seit den achtziger Jahren finden wir große Freskenzyklen, Panoramen und Staffeleigemälde in der verschiedenartigsten Auffassung. Es sind die Männer und Frauen unserer Zeit um den Heiland versammelt, es ist versucht worden, das „Religiöse“ aus dem modernen Seelenleben zu schöpfen und modernes landschaftliches Stimmungsleben mit diesem zu verketten, es ist der Orient als Hintergrund gewählt worden, die Reformationszeit hat ihr Kleid, ihre Form wie ihre Farben, Rembrandt sein zauberisches Helldunkel herleihen müssen, es wurde der Somnambulismus beschworen, und es hat die von unmittelbarer Gegenwartswirkung befreite phantasiegewaltige [1586] Schwarzweißkunst sich in den Dienst der Erhebung durch religiöse Kunstwerke gestellt; man hat das Wagnis unternommen, durch Abstraktion von der überlieferten Formenwelt und durch neue Allegorien das moderne, von anthropomorphen Vorstellungen befreite, dem „Wort“ zugewandte geistig-seelische, religiöse Gefühl zu befriedigen. Wie immer man dies heiße, hingebungsvolle Ringen seinen Ergebnissen nach einschätzen mag, die Tatsache dieser vielgestalteten Arbeit spricht von ebendemselben hohen und echten Idealismus, welcher die Erforscher der Erde und der Elemente, Tag um Tag, Gut und Leben ihren Zielen opfern heißt. Aus solchen und anderen kleineren und größeren inneren Werten nimmt meiner Ansicht nach die neue Monumentalmalerei ihren Ursprung. Eine maßgebende Vorbedingung hierzu ist, das Vermögen, den Menschen, besonders den Akt künstlerisch tadellos darstellen zu können.

Nacktkunst.

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Hier hatte der Impressionismus mit seiner summarischen Behandlungsweise und seiner Betonung der Wirkung des Sonnenlichtes im freien Raum, seiner Fernsicht und Vernachlässigung der Nahsicht sowie Gleichgültigkeit gegen die besonderen geistigen und körperlichen Eigenschaften des Menschen entschieden eine verderbliche Einwirkung gehabt. Wenn trotzdem die Figurenmalerei nicht gänzlich übersehen ist, so haben dafür einesteils die Überlieferung in den Akademien, andernteils die Neoklassizisten gesorgt. Diese um so mehr, als sie zum Teil noch der altmeisterlichen Farbenmalerei treu geblieben sind. Max Klinger hat am eindringlichsten den Wert der Darstellung des Körpers für die Kunst charakterisiert, wenn er schreibt: „Der Kern und Mittelpunkt aller Kunst, von dem sich die Künste in der weitesten Entwicklung loslösen, bleibt der Mensch und der menschliche Körper. Es ist die Darstellung des menschlichen Körpers, die allein die Grundlage einer gesunden Stilbildung geben kann. Alles, was künstlerisch geschaffen wird in Plastik wie Kunstgewerbe, in Malerei wie Baukunst hat in jedem Teil engsten Bezug zum menschlichen Körper. Die Form der Tassen wie die Bildung des Kapitäls stehen jedes in Proportion zum menschlichen Körper. Auf dem Verständnis und der gleichmäßigen Ausbildung dieser Verhältnisse kann allein eine selbständige Naturauffassung sich entwickeln. Denn wie kann ich ein Nebending charakteristisch vereinfacht darstellen, wenn ich die Hauptsache, auf die es Bezug hat, nicht charakteristisch zu formen weiß. Wer eine Hand nicht zu bilden weiß, wird auch keine Handhabe darstellen können, ausgenommen, er stiehlt anderswoher. Und so leben wir heutzutage in jeder Kunst auf Raub. Das Studium und die Darstellung des Nackten sind das A und O jeden Stiles.“ Solche künstlerischen Ansichten fanden in einer Reihe von begleitenden Erscheinungen allgemein kulturellen Ursprungs kräftige Unterstützung. Ich erwähnte bereits, daß seit ca. 1895 in der Landschaftsmalerei ein Streben nach glanzvollen Raumdichtungen sich zu äußern beginnt, und daß das Individuum von neuem in bestimmenderer Weise auf den Plan trat. Gerade um diese Zeit kam unsere gesamte völkische Entwicklung wieder ein wenig aus dem Sprunghaften und Unruhigen heraus. Es machte sich überall trotz und wegen der großen wirtschaftlichen Verbände aller möglichen Art, und im Gegensatz zu der allerdings sehr notwendigen Spezialisierung die einzelne Persönlichkeit in sicherer Kraft wieder geltend. Die Weltanschauung des Sozialismus begann sich von neuem mit der schöpferischen Macht des Einzelwesens auseinanderzusetzen, und dessen Schale senkte sich diesmal. In der [1587] Kunst widerspiegelte sich diese Entwicklung nicht zum mindesten darin, daß das Porträt stetig eine erhöhte Wertschätzung zurückgewann. Es wurde jetzt auch als ein in sich geschlossenes Bildnis, nicht als ein Milieubild verlangt. Mit derartigen Aufgaben wuchs gleichzeitig die Beobachtung, das detaillierte Studium des menschlichen Körpers. Auch hier trieben zum Voranschreiten scheinbar abgelegene Ansichten und Vorstellungen, die sich einen immer größeren Bruchteil unseres Volkes eroberten. Der Sport – hygienische Nacktkultur trat hinzu – hatte die Prüderie besiegt, und Kenntnis wie Verständnis der Körperwelt verallgemeinert. Was früher nur flüchtig angesehen, wurde jetzt von beiden Geschlechtern ruhig betrachtet. Der Künstler stand dadurch auf einer breiteren Basis, wenn er sich der Darstellung des Menschen um seiner Leibesschönheit willen zuwandte. Wir begegnen jetzt wieder Bildern, die über das Motiv hinaus unbekleidete Menschen, wie etwa bei einer Geißelung, darstellen, lediglich aus der Freude an dem schönsten Gebilde, das die Erde trägt, und im Bewußtsein, einer richtigen Auffassung zu begegnen. Erinnerungen an die Sinnesart der Renaissance dürfen sich hier einstellen. Aus solchen enger und weiter greifenden künstlerischen Absichten heraus ist die deutsche Malerei heute in den Besitz einer Nacktkunst gelangt, wie sie ihr in dieser künstlerischen Reinheit und in solch sicherer und mannigfach gearteter malerischer Interpretation noch nie zu eigen gewesen ist. Unter allen Umständen dürfen wir zunächst sagen, daß die Nacktmalerei, deren Farbenbehandlung in nicht geringem Maße an altmeisterliche Werke erinnert, und deren Oberflächenschilderung von einem derben Realismus (Corinth) zeugt, eine solche Vollendung besitzt, wie sie die deutsche Malerei noch nicht aufweisen konnte. Weiterhin ist das Vermögen, feinste Lichtwerte auf der Haut malerisch darzustellen, ohne die Form zu beeinträchtigen, außerordentlich hoch gestiegen, und endlich ist in den Nacktwerken der Neoklassizisten eine solch sichere Zeichnung der plastischen Formwerte zu erkennen, daß sie höchstes Lob verdienen. Wenn nicht alles täuscht, so scheinen wir im Begriff zu sein, aus dem Studium der alltäglichen Formenwelt heraus eine erhöhte Gattung Mensch in der Malerei entstehen zu lassen. Es gewinnt also den Anschein, als ob sich aus der Weltkunst eine höhere Heimatkunst entwickeln wolle. Allerdings kann dies letzten Endes nur auf der Grundlage von allgegenwärtigen Idealen geschehen, deren berufener Dolmetscher die Wandmalerei ist. –

Monumentalmalerei.

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Seit den neunziger Jahren hören wir ernste Klagen, daß die fundamentalen Unterschiede zwischen der Freskomalerei und dem leicht beweglichen Staffeleigemälde nicht genügend anerkannt würden, so daß 1891 sogar ein Privatmann (von Biel) eine Summe zur Ausbildung der Akademieschüler in der echten Freskomalerei stiftete. Die Berechtigung zu solch abfälligem Urteil ist nicht ohne weiteres abzuweisen. Es hat allerdings an einer Pflege der Wandmalerei nicht gefehlt. Gerade in Preußen sind eine ganz erhebliche Anzahl von Wandmalereien entstanden, und 1888 glaubte man mit der Ausmalung des Zeughauses zu Berlin einen Höhepunkt der Monumentalmalerei erreicht zu haben. Die Staatsbehörden, die Kommunen und Banken und Private haben zudem fortgesetzt steigend Wandmalereien verlangt. Die Maler waren sich auch durchaus klar darüber, daß „das realistische Studium durch die Anforderung der Wand von selbst zum Stil werden – solle“, denn tatsächlich leiden die meisten [1588] Arbeiten dieses Zeitabschnittes unter einem dem Freskostil abträglichen Zuviel an Raumillusion und malerischer Bewegtheit. Diesen Wandmalereien fehlt trotz vorzüglicher und energischer Zeichnung, trotz starker Bewegung und bedeutender Gebärden, trotz sorgfältig zugespitzter Komposition und der Erzielung eines gewissen Freskotones die monumentale Linien- und Flächenkraft, d. h. der Freskostil. Diese Werke berühren sich zu sehr mit der Tafelmalerei. Dabei ist es zunächst gleichgültig, ob sie in altmeisterlicher oder neuzeitlicher Art und Weise behandelt sind. Allerdings kann auch Tafelgemälden Monumentalität eigen sein, aber stets nur in beschränktem Maße, weil sich hier durch die Technik der Ölfarbe der Alltag mit seinen vielen störenden Einzelheiten unwillkürlich einschleicht. Am einschneidensten mußte aber die Pleinairmalerei mit ihren Folgeerscheinungen wirken, denn der Freilichtmaler kann nur Tafelmaler sein. Er sieht alle Gegenstände gleichmäßig von der Atmosphäre im Raum umschlossen, deutet jede Einzelheit einzig den wesentlichen Formen nach an, läßt überall aufzehrend oder verhüllend das Licht wirken. Das Fresko verlangt jedoch seinerseits starke führende Linien und breite Farbenflächen, die für den ganzen mit einem einzigen Blick zu erfassenden Aufbau des Werkes maßgebend sind. Sobald ein Schade erkannt ist, erwacht der Wunsch, ihn zu beseitigen. So regt sich denn auch hier bereits seit ca. 1890 neues Leben. Den zeichnenden Künsten gebührt an dieser Stelle eine Hervorhebung und unter diesen vornehmlich der Lithographie wegen ihrer Erziehung zur großen Linie, zur ausdrucksvollen Massengliederung und flächigen Farbenbehandlung. Als oberstes Gesetz gilt, in der Wandmalerei die ganze Fülle „wissenschaftlicher“ Einzelforschung zu künstlerischer Synthese zusammenzufassen. Dies wäre – müssen wir gerechterweise jetzt feststellen – nicht in dem Maße möglich gewesen, wie es tatsächlich stattfindet, ohne jenes Vollsaugen der Vorstellungskraft an bleibenden und schnell vorübergehenden Erscheinungen der ganzen sichtbaren Welt, wie dies die einfallmäßige Kunst der Eindruckmalerei geboten hatte. Seite an Seite mit modernsten Arbeitsergebnissen wirken die grundsätzlichen Lehren des Trecento und des italienischen Quattrocento förderlich ein; vornehmlich für das Erkennen der Raumfrage, wie der Farbenwerte des Freskos mit seinen ungebrochenen kräftigen, aber kühlen Kontrasten und breiten Flächen gegenüber dem schmeichelnden Glanze und der schimmernden Durchsichtigkeit der Ölfarbe. Auch ragt hier die neuzeitliche, gewaltige architektonische Entwickelung herein, welche von der in unerhörten Maßen ihr abverlangten neuen Raumdisposition ihren Ausgang nahm. Der architektonische Sinn, der alle Kunst heute wieder durchdringt, eröffnet auch der Wandmalerei neue Möglichkeiten. Es muß schließlich in diesem Zusammenhang mit einem Worte der modernsten Glasmalerei gedacht werden, weil sich in dieser ein hervorragend sicheres Gefühl für dekorative farbige Flächenkunst, für Linienwirkung und Hintergrundbehandlung äußert.

Inhalt der Monumentalmalerei.

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Die alles zusammenschweißende Gewalt muß die feurige künstlerische Durchdringung des Menschen und der Natur bringen. Einzig dann ist es möglich, mit den Formen der Umwelt so souverän zugunsten eines inneren Erlebens und Vorstellens zu schalten, daß der Schöpfer das Werk abhängig machen kann von freiwillig auf sich genommenen, einschränkenden äußeren und inneren Bedingungen. Dies kann wiederum nur dann erfolgen, wenn in [1589] dem schaffenden Künstler Ideen wiederklingen, an denen das ganze Volk mitgearbeitet hat. Der Monumentalmaler muß vor allen andern imstande sein, das Ohr an das Herz seines Volkes zu legen, um dessen starke Töne unmittelbar zu vernehmen. Aber weder die deutsche Mythologie, noch die antike Götter- oder Heroensage, noch die Großtaten einzelner Völkerstämme oder Männer längst versunkener Tage besitzen die Macht, im Künstler den Schöpfer erstehen zu lassen, der zu seinem Werke spricht: „Werde“. Ich will damit nicht in Abrede gestellt haben, daß in jenen Überlieferungen, namentlich in der Mythenwelt, höchste Menschheitswerte ruhen, welche der Versinnbildlichung in jeder Hinsicht würdig sind; aber sie sind bereits gefestigtes Eigentum unserer Kultur geworden, nicht von dem starken Atemzuge aus unseres lebenden Volkes Brust durchweht. Und große Helden vergangener Zeiten können wir immer nur gleich dem Geiste unserer eigenen Gegenwart schildern. Der darstellende Künstler muß in solchen Fällen trotz aller persönlichen Begeisterung zum Illustrator werden, und ein solcher ist niemals, selbst nicht in der Vollkommenheit, Herr der Monumentalität. Die große Zeit von 1870 hatte allerdings eine Reihe von bedeutenden, auch im äußeren Umfange hervorragenden Bildern gebracht, die als Spiegel und Chronik dieser gewaltigen Ereignisse von weltgeschichtlicher Bedeutung gelten müssen. Aber Persönlichkeiten wie Handlungen sind zu sehr gesättigt von den Impulsen der Gegenwart. Die Künstler waren gezwungen, auf dem Stande des Schilderers von Begebenheiten stehenzubleiben. Wir bedürfen, um zu einer in sich kernhaften Monumentalmalerei zu gelangen, großer vaterländischer Ideale, wie es die Kaiseridee gewesen ist, die ja als treibende Kraft in der ganzen profangeschichtlichen Historienmalerei des 19. Jahrhunderts gewirkt hat, aber einen unmittelbaren Ausdruck nicht hatte finden können. Wir brauchen also machtvolle, allseitig bewegende Ideen. Ob hier das „größere“ Deutschland, wie es sich in diesen 25 Jahren unter Kaiser Wilhelm II. entfaltet hat, mit den gewaltigen Erinnerungen an das letzte Jahrhundert, mit seinem überall erhöhten Ichbewußtsein, mit allen seinen zutage tretenden und noch halb verborgenen Aspirationen auf Weltstellung die befruchtende Kraft sein wird? Das unverkennbar immer stärker emporwachsende Bedürfnis nach Monumentalmalerei kräftigt solche Meinung; allerdings kämpft unsere Zeit besonders schwer um den Grundsatz, alle Kunst ist Symbol, da sie im tiefsten Herzen naturalistisch ist. Sie predigt, daß alle Kunst nur Sehen ist, während die Monumentalkunst alles Sein in eine zeitlose Sphäre entrücken, vom Alltage befreien muß.

Wenn nicht alles täuscht, möchte ich nochmals aussprechen, ist also unsere lebende Stunde im Begriff, für die neuzeitlichen Lebensgefühle in unserem Vaterlande einen Ausdruck in der Monumentalmalerei zu finden, welcher dem zwar realistisch gewandten, aber trotzdem von hohen weltbeherrschenden Idealen erfüllten Sollen unserer Tage entspricht. Unsere Wandmalerei ist offensichtlich bestrebt, einerseits aus dem unmittelbar Angeschauten, nicht aus einer mittels gelehrter Studien gewonnenen Welt ihren Stoff zu nehmen, andrerseits gewillt, der gestaltenden Phantasie, der Gefühlswelt ihr Recht ungeschmälert zu lassen. Diese frohe Hoffnung und Erwartung, daß unsere Maler einstmals als die Verkünder vorwärtsdrängender Ideale im deutschen Volke erkannt werden, erhält eine Stärkung durch das gleichartige Schaffen auf dem Gebiet der Schwesterkunst, der Bildhauerei.

[1590]

Bildhauerei.

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Vor etwa 25 Jahren stand die Bildhauerei unter dem maßgebenden Einfluß des gegenständlichen Inhaltes und des malerisch-naturalistischen Barocks mit seinem Überreichtum an Einzelzügen. Hand in Hand ging damit die Freude an freien Phantasieschöpfungen, die in stark bewegten Gegensätzen aufgebaut und in strenge durchgeführtem Oberflächenrealismus ausgearbeitet wurden. Diese Lebenswirklichkeit wurde durch eine lockere impressionistische Behandlung der Formen noch gesteigert. Am besten sind diese Eigenschaften der damaligen Revolutionäre gegen die herrschende Kompromißantike an den Porträten zu erkennen, die in sehr wirkungsvoller und starker, dem Augenblick abgelauschter Bewegung gehalten sind. Mit ihrer malerisch-naturalistisch wiedergegebenen äußeren Erscheinung, bei der mit kleinen geistreichen Mätzchen nicht gekargt wurde, sind diese Meißelarbeiten nicht selten von gefangennehmender Wirkung. Das Leben selbst scheint sich überall unter der Oberfläche zu regen, so daß der Beschauer die bedenklich malerischen Eigenheiten dieser Plastiken zunächst übersieht. Diese Besonderheiten treten ferner sehr bemerkbar in den technisch ganz vortrefflich behandelten Nacktfiguren hervor, deren Lebenswirklichkeit oft eine geradezu frappierende ist. Diese Anteilnahme schwindet jedoch bei längerer Betrachtung gerade wegen der „wirklichkeitsechten“ äußeren Formbehandlung und der eleganten, momentanen, reizvollen Bewegungen. Diese Aktfiguren sind also von einer vorgefaßten Absicht und von der körperlichen Modellerscheinung abhängig, aber nicht in erster Linie von einer plastischen Formvorstellung. Diese bedenkliche Vermischung von Motiven mehr oder weniger gedanklichen Ursprunges, von Plastik und Malerei erkennt man am schärfsten an den Reliefs, deren Vordergrund dreidimensional, also plastisch, deren Hintergrund aber wie eine Zeichentafel behandelt ist. Die Großplastik in Nacktfiguren trat damals in sicherer gefühlsmäßiger Erkenntnis der Sachlage zurück, und die Nacktkunst bewegt sich vornehmlich und mit Anmut im Gebiete der Kleinplastik, ohne schon damals in gutem Materiale eine größere Ausdehnung zu gewinnen. Die Monumentalkunst kam überall leicht in die Gefahr, einem effektvollen Pathos und einer manchmal peinlich wirkenden äußerlichen Erscheinung zu verfallen. In einem Atemzuge mit diesem Eingeständnis müssen wir feststellen, daß damals eine ganze Reihe von vortrefflich gearbeiteten Denkmälern aller Art errichtet sind. Die „Barockkünstler“, also jene seinerzeit neue Richtung, wie die ältere, die realistisch-klassizistische Auffassung haben beide teil an diesen Werken. Mit besonderer Hingabe wurden natürlich die Standbilder der deutschen Fürsten und der Helden des großen Krieges geschaffen, obwohl die Arbeit ebenso selbstverständlich nach mancher Seite hin durch einengende Gesichtspunkte, die sich aus dem noch zu geringen historischen Abstande ergeben mußten, erschwert wurde. Einen reichen Stoff boten inhaltlich die Denkmale für die im Feldzuge gefallenen Krieger. Die Künstler haben im reichen Maße ihre Erfindungsgabe glänzen lassen, aber auch hier versagte oft das Verständnis für echte Monumentalität, das gerade in diesem Falle von rein künstlerischem Standpunkte aus dringend zu wünschen gewesen wäre. Das tiefe Empfinden, das in den oft außerordentlich feinfühlig gewählten Motiven sich Bahn bricht, entschädigt, wenn der Beschauer mit demselben warmherzigen, deutschen Verständnis für das Gegenständliche im Kunstwerk sich diesen Vorwürfen nähert, mit dem sie der Bildner sich erwählt hatte.

[1591]

Aktdarstellung.

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Bei der Nacktkunst, der edelsten Aufgabe des Bildhauers, setzten die Gegner dieser barockimpressionistischen Bildhauerei am schärfsten ein. Es sind zunächst die Neoklassizisten. Sie wollen – wenigstens grundsätzlich – von der Gedankenkunst nichts wissen und einzig unmittelbar empfangenen Formvorstellungen folgen. Sie streben, obwohl sie sich nicht völlig von der Antike bzw. dem italienischen Quattrocento zu befreien vermögen, einer erhöhten Gattung Mensch in der Nacktkunst mit neuzeitlichem Gepräge in der äußeren Erscheinung und einer im engeren Sinne des Wortes plastischen Vorstellung erfolgreich zu. Sie bekennen als ihr Programm, daß sie sich nicht mit einem Modell begnügen, sondern künstlerische Eindrücke überall suchen, um sie in einem Werke verdichtet darzustellen. Von besonderem Einfluß wurde es, daß die Künstler wieder begannen, die Figur selbst aus dem festen Stoff herauszuholen, sie von dem Stein zu befreien, denn durch das Fortnehmen der Materie wird die innere Vorstellungs- und damit auch die Gestaltungskraft unablässig und energisch angeregt wie gestrafft. Der Block, der jetzt vom Bildner respektiert werden muß, zwingt zu einem Zusammenraffen der Körperformen. Dadurch entsteht nicht selten eine etwas gezwungene Haltung der Figuren, die aber, wie seinerzeit in der Renaissance, hoffentlich nur ein Übergang zu dem Grundsatz ist, möglichst viel Leben auf möglichst geringem Raum darzustellen. Man gelangt mit alledem, allgemein gesprochen, von der individuell-realistischen zu der stilistisch-tektonischen Auffassung. Diese fast architektonisch geregelte Melodik einer klaren Gesichtsvorstellung in den Werken der Neoklassizisten suchte auch Fühlung mit der Farbenfreudigkeit der Zeit entweder durch eine realistische Bemalung oder durch eine farbige Tönung, endlich sogar durch die Verbindung verschiedenartiger Materialien zu einer farbigen Wirkung. Auch in das gleitende, schimmernde Licht der umhüllenden Atmosphäre hofften die Bildner, durch feinste Meißelschläge, durch Polieren ihre Werke sich einschmiegen zu sehen. Diese Bemühungen um Farbe und Licht sind allerdings ziemlich vereinzelt geblieben. Bei der weiteren Entwicklung zur stilistisch-tektonischen Behandlung spielt in der Bildhauerei die angewandte Kunst eine ähnliche Rolle wie die Lithographie in der Malerei.

Angewandte Kunst und Sport.

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Das Kunstgewerbe zwingt den Zweck des Gegenstandes voranzustellen, damit tritt unwillkürlich ein architektonischer Formenwert hervor, gleichzeitig soll jener aber einem persönlichen Bedürfnis entsprechen und einen angemessenen Schmuck erhalten. Wegen der allgemeinen Beziehung des kunstgewerblichen Erzeugnisses zum täglichen Leben bevorzugt man vielfach als Dekor die nackte oder nur ganz dünn bekleidete menschliche Gestalt im Hinblick auf ihre volle, energisch gegliederte Form und die fließenden, aber wiederum bestimmt akzentuierten Linien. Da nun alle Plastik von der angeschauten Nacktkunst in erster Linie abhängig ist, so wurde diese Art der Verwendung der Kleinplastik im Alltage von erheblichem Werte für eine weitgreifende, verständnisvolle Anteilnahme an der Nacktkunst.

Es dürfte ferner richtig sein, wenn man eine der Wurzeln dieser gemessenen, neoklassizistischen Kunst in einem, natürlich unbeabsichtigten, Widerstreit gegen das unruhige Großstadtleben, das unsere Zeit kennzeichnet, findet. Weit höher ist für die Entfaltung dieser Art der Bildhauerei, ja der Plastik überhaupt, die in ganz Deutschland wachsende [1592] Beliebtheit der verschiedenartigsten körperlichen Übungen anzuschlagen. Es wurde dadurch dem Künstler Gelegenheit gegeben, den fast oder ganz unbekleideten Körper in einer Fülle von Bewegungsmotiven auf dem Wasser und auf der Erde, im Wasser und in der Luft zu studieren, wie nie zuvor in Deutschland. Auf der anderen Seite wurde das Auge der Masse der Laien unwillkürlich für plastische Werte erzogen. Diese ganz unmittelbare Zurückerziehung des Großstädters zur Natur kommt der bildenden Kunst als „Nachfrage“ zugute, denn ihr verdanken wir das stetig größer werdende Verlangen nach Nacktfiguren, die nicht durch literarische Anregung, sondern einzig von künstlerischer Formvorstellung ins Dasein gerufen worden sind. Diese stilistisch-tektonische Richtung in der Plastik fördert weiterhin Aufgaben, welche die Plastik in eine freiere oder engere Beziehung zu architektonischen Formgedanken setzten. Ganz vornehmlich gewann die Denkmalplastik. Sie erreichte dadurch den Grad geschlossener Monumentalwirkung, die in früheren Jahren so oft vergeblich erstrebt war.

Es muß sogar in den Fällen, in denen Bedenken über die Qualität der Kunstwerke geäußert sind, zugegeben werden, daß die Verbindung von plastischen und baukünstlerischen Werten die bildhauerischen Arbeiten jedenfalls aus der gefährlichen Isolierung, in der sie sich vor wenigen Jahren durchschnittlich befanden, errettet haben.

Das Relief.

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Ich möchte neben der Denkmalkunst in diesem Zusammenhange noch die steinernen Brückenbauten, die Brunnenanlagen und die Friedhofkunst erwähnen, da sie vornehmlich auf die Behandlung des Reliefs sehr erzieherisch einwirken. Solche Aufgaben zwingen besonders den Reliefbildner – ähnlich wie bei der neuzeitlichen Plaketten- bzw. Medaillenplastik – sich mit der architektonischen Form und mit dem eng umgrenzten Raum so abzufinden, daß die Komposition als selbstverständlich, die Formgebung als in sich harmonisch erscheint. Das Relief bildet gleichermaßen Künstler wie Laien, denn es vereint Gesichts- und Bewegungsvorstellungen; es zwingt den Künstler, alle Einzelformen übersichtlich, also nicht „malerisch“, anzuordnen, den Beschauer, die Formen abzulesen und mit dem Auge abzutasten. Das Relief erzählt, wendet sich also bewußt an den Intellekt und als Formwert zugleich an das plastische Verständnis des Betrachters. Das Relief kommt weiterhin der besonderen Freude des Deutschen an der Erzählung, am Bilderreichtum entgegen. Das starke Wiederaufblühen der stilistisch vorzüglich behandelten Flachkunst, vornehmlich in Süddeutschland, erweist diese enge Verbindung von Kunst und Leben. Diese gute Wirkung ist natürlich einzig bei verständnisvoller Verbindung von Plastik und Architektur zu erreichen. Es geschieht dies in der Tat zurzeit wieder mit vollem Bewußtsein der künstlerischen Zusammenhänge. Das Relief ist, wie bemerkt, vornehmlich als geeignet befunden, große Flächen zu beleben, aber auch die Rundplastik wird immer mehr von der Baukunst in ihren Dienst gezogen. Die Architektur verlangt heute vorwiegend eine Plastik, welche auf in sich geschlossene Wirkung, auf vereinfachte wuchtige Formen und eine offen zutage liegende ruhige Gesetzmäßigkeit in der Formenbehandlung und Flächenverteilung ausgeht. Jeder Impressionismus im übleren Wortsinne soll abgestreift werden, ohne die Energie der unmittelbaren Lebensbetätigung zu beseitigen. Diese Tendenz, architektonische und plastische Formwerte zu verbinden, birgt auf der andern Seite zweifelsohne Gefahren in sich, so daß Übertreibungen in der vereinfachten [1593] und zusammengefaßten Steinform oder zu starke Unterstreichungen der Einzelform, eine übermäßige Betonung der Bewegungsmotive oft genug vorkommen. Diese Einschmiegung in die Architektur und eine gewisse Furcht vor dem Zuviel in der Natur hat auch reichlich intensiv den Blick auf architektonisch und stilistisch streng gebundene Bildhauereien verflossener Zeiten, wie etwa auf die der Ägypter und Assyrer gelenkt, weil man hier nicht die rhythmisch-architektonische Anlage der Griechen, sondern eine symmetrisch-architektonische Linie antraf, deren manchmal etwas schroffe Eckigkeit an die Bilder der Momentphotographie zu erinnern scheinen, und deshalb in doppeltem Maße als richtig angesehen werden. Alle Nachteile erscheinen jedoch geringer als der eine große Vorteil, allmählich zu einem neuen Typus in der Menschendarstellung zu gelangen.

Menschentypus.

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Es sind unbestreitbar starke Ansätze vorhanden, aus dem überlieferten, im wesentlichen auf der Antike und der Renaissance ruhenden Menschentypus zu einer neuen Aktgestalt durchzudringen, die germanischen Grundcharakter aufweist. Die Bildhauer werden von einem formal schöpferischen Sollen ins Große über alle Tradition hinausgedrängt, und damit wird von den lebenden Steinbildnern eine gar nicht überschätzbare Leistung vollbracht oder, besser gesagt, vorbereitet. Diese Beobachtung wurde schon 1892 gemacht. Die Eigentümlichkeit des deutschen Künstlers, von den individuellen Eigenschaften auszugehen, um von dort zur Einheit zu gelangen, also in einem gewissen Gegensatz zur Antike sich nicht von objektiven Gesichtspunkten beherrschen zu lassen, tritt klar heraus. Nicht minder, daß der Akzent auf die durch körperliche Übungen gleichmäßig durchgearbeitete Form, auf die Kraft und nicht auf die flüssige Eleganz der Linien und der sich weich ineinanderschmiegenden Flächen gelegt wird. Dabei braucht man nicht zu übersehen, daß das Studium der Körperbildungen afrikanischer und orientalischer Völker die Gefahr des von Überallhernehmens in sich trägt, aber die Kenntnisnahme von noch nicht der Konvention untertänigen Menschen schließt auch Bereicherungen allgemeiner Art in sich ein. Das Fremdartige schärft zudem das Auge für die einheimische Art. Der lebhafte Wunsch der Künstler, immer neue Materialien zu verwenden, beweist das schaffensfreudige Vorwärtsdrängen. Der Muschelkalk mit seiner eigenartig zerklüfteten Oberfläche begünstigt z. B. das Streben nach neuzeitlichen Lichtwerten und das unbemalte Holz in seiner spröden Weichheit unterstützt, besonders im Porträt, eine gefällige Herbheit. Wie immer wir über Einzelheiten und Einzelbestrebungen urteilen wollen oder müssen, es wird jedenfalls für den, der unbefangen zu urteilen sich bemüht, feststehen, daß die „männliche“ Kunst der Bildhauerei seit ca. 25 Jahren stetig mehr betont und heute wieder in die erste Reihe der bildenden Künste einzutreten berechtigt ist. Diese Annahme wird gekräftigt durch die Wahrnehmung, daß sich ebenso wie bei den Malern, so auch bei den Bildhauern, die einseitig hervorgehobenen Besonderheiten der älteren und der neuen Bestrebungen abzustumpfen beginnen. Der gegenseitige Respekt vor den positiven Leistungen ist gestiegen. Die mehr oder weniger altmeisterlichen Realisten, die scharfsichtigen Naturalisten, die Neoklassizisten, die impressionistisch auffassenden Bildhauer, die stilistisch-tektonischen Bildner beginnen gemeinsame Gesichtspunkte zu erhalten. Allerorten herrscht jedenfalls das Erfolg verbürgende Gefühl, voranzuwollen. [1594] Nach den Lehren der Kunstgeschichte kann eine allgemeine Freude an der körperlichen Erscheinung wie an der körperlichen Kraft bei vorhandenem Trieb zur Plastik und eine angemessene Verbindung der Skulptur mit der Baukunst, bei Anerkennung der beiderseitigen Rechte, die Hoffnung erfolgreicher Entwicklung zu einer stilsicheren Bildhauerei als berechtigt erscheinen lassen. Beide Grundbedingungen dürften heute, kaum bestreitbar, vorhanden sein.


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Verfallzeit oder Kunstblüte?

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Obwohl es richtig ist, daß die Geschichte erst 50 Jahre nach rückwärts in der Zeitenrechnung beginnt, und niemand, der mitten in der Fülle der Ereignisse steht, objektiv ein Urteil fällen kann, so will ich doch nicht ganz der vielmals umstrittenen Frage ausweichen, ob sich unsere künstlerische Entwicklung in aufsteigender oder abfallender Linie bewegt. Die Antwort muß vorwiegend von allgemeinen Erwägungen aus erteilt werden. Es ergibt sich hierbei sofort eine Wahrnehmung, die meiner Ansicht nach von bedeutender Tragweite ist. Es ist eine unbezweifelbare Tatsache, daß zu einer sogenannten Verfallzeit – tatsächlich gibt es eine solche bei einem Stande der Kultur, wie wir sie erreicht haben, überhaupt nicht – das Beharren bei einer glücklich gefundenen Form gehört. Die Zeugnisse, die wir uns haben geben können, sprechen im Gegensatze hierzu von kraftvollem und von unablässigem Suchen nach neuen künstlerischen Ausdrucksmitteln. Allerdings beweist emsige Tätigkeit für sich allein noch nicht, daß wirklich beachtenswerte Fortschritte gemacht werden. Der vielgeschäftige Dilettantismus ist bekannt genug, und es läßt sich sehr wohl auch für unsere künstlerische Arbeit ein hier und da etwas bedenkliches Überallhinblicken und -hingreifen feststellen, aber angesichts der Stetigkeit in der Fortführung der maßgebenden Grundlinien in der Malerei wie Plastik dürfen wir trotzalledem berechtigterweise von fruchtreichen und von fruchtbringenden Erfolgen reden. Es gehört ferner zu den Glaubenssätzen aller Kulturgeschichte, daß die Künstler am innigsten mit dem Wesen ihrer Zeit verbunden sind. Wohin wir aber in unserem Vaterlande blicken, nirgendwo macht sich das leiseste Anzeichen von faulem Genießen und Beharren geltend, sondern überall herrscht an den in Frage kommenden Stellen ein von dem klaren Wollen und der zielsicheren Kraft des Mannes geleitetes Vorwärtsdrängen zu der uns gebührenden Stellung. Und da sollten gerade die Künstler direktionslos herumirren, ausgeschieden sein aus diesem weiten Kreise zielbewußt und erfolgreich schaffender Männer? Das erscheint mir geradezu widersinnig. Es kann meiner Ansicht nach auch gar keinem Zweifel unterliegen, daß wir in ganz Deutschland sowohl über eine sehr große handwerkliche Ausbildung als auch über eine bedeutende Summe an lebenstarker künstlerischer Kraft verfügen. Unablässig werden mit der Hingabe der ganzen Persönlichkeit neue Probleme in der Malerei wie in der Plastik auf- und angegriffen, von denen eine große Anzahl schneller oder langsamer das Laienpublikum anzuziehen vermag. Auch die Tatsache, daß die Zahl der Ankäufe von Werken der bildenden Kunst in unserem Vaterlande ständig wächst, und daß sie aus den entlegensten Gegenden beordert werden, spricht für die [1595] innere Gesundheit unserer künstlerischen Tätigkeit. Wenn die bildenden Künstler nicht aus dem Herzen unseres Volkes schaffen würden, so wäre ein derartig stattlicher, materieller Erfolg nicht möglich. Deutschland ist zwar im Schutz des „goldenen Friedens“, der in Wahrheit ein friedlicher, aber energischer Kampf Aller gegen Alle ist, zu nie geahntem Reichtum gelangt, jedoch der durchaus überwiegende Teil unserer Volksgenossen gehört nicht zu den Reichen, sondern zu den Wohlhabenden, die sich keine „Galerie“ gründen wollen, sondern nach ihrem Wohlgefallen bestellen und kaufen. Die Triebfeder liegt dann natürlich einzig in der Freude am Kunstwerk. Und woran erkennt der rückschauende Historiker eine Blüte der Künste, wenn nicht an der inneren Anteilnahme der Gesamtheit an der Kunst und an der materiellen Förderung der Gaben der Künstler, welche dadurch für den jeweiligen Zeitabschnitt qualifiziert werden. Über unser persönliches Geschmacksurteil müssen wir die Betrachtung der allgemeinen und besonderen künstlerischen Zustände vornehmlich dann stellen, wenn wir uns fragen: sind die Künste heutigentags in guter Entwicklung begriffen? Von jenen rein sachlichen Gesichtspunkten aus dürfen und müssen wir meiner Ansicht nach diese Frage mit „ja“ beantworten. –