Ob-Ost/Ob. östliche Presse

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Friedenswerk Ob-Ost
von Fritz Hartmann
Allerleirauh
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VIII. Ob. östliche Presse
Hannover, den 21. November.

Ein Gottesgelehrter wurde einmal gefragt, was nach seiner Ansicht wohl Jesus täte, wenn er, um der Menschheit die Botschaft des Heils aufs neue zu künden, abermals auf die Erde niederstiege. Denn selbst er würde doch auch dem Wandel der Jahrtausende Rechnung tragen. „Ohne Frage,“ war die Antwort: „er würde eine Zeitung gründen.“

Ein wahres Wort; findest Du nicht? Die Presse ist das mächtigste Werkzeug geworden, die öffentliche Meinung in die Hand zu bekommen. Wir haben es zu unserem Schaden empfinden müssen, daß in dieser Hinsicht die Feinde uns an Weitblick überlegen gewesen. Aber wir haben gelernt und stellen der Macht ihrer Lüge die Wucht unserer Wahrheit immer erfolgreicher gegenüber.

Im Kriege von 1870/71 hat die Presse noch eine winzige Rolle gespielt. Moritz Busch ist damals für Bismarck das ein und alles an [62] journalistischen Mitarbeitern gewesen, und der „Nouvelliste de Versailles“ das einzige dürftige Blättchen, das wir im besetzten Gebiete herausgaben.

Das mußte sich von Grund auf ändern. Nicht nur haben alle unsere Oberstäbe eigene fachmännische Preßabteilungen, sondern es sind auch überall im fremden Lande Zeitungen gegründet. Im Ob. Ostbereiche allein 19.

Aber man muß unterscheiden. Einige sind nur für das Heer bestimmt. Fast jede große Kampfgruppe hat ihr besonderes Blatt. Da finden wir eine „Zeitung der 10. Armee“, eine „Feldzeitung der Bugarmee“; da gibt es eine „Deutsche Kriegszeitung von Baranowitschi“, eine „Wacht im Osten“ und andere mehr.

Ferner bestehen Privatunternehmungen von Landeseingesessenen, die sich durch ein Vertragsverhältnis dem Oberbefehlshaber untergeordnet haben. Das sind namentlich die deutschen Zeitungen Kurlands. Sie bestanden schon vor dem Kriege und ihre Schriftleiter führen zuweilen den russischen Hofratstitel. Ihr deutsches Fühlen wird indessen dadurch nicht beirrt. Daneben haben sich anderssprachige aufgetan, wie der [63] polnische „Dziennik Wilenski“, der weißrussische „Homan“ (Volksstimme), die lettischen „Damtenes Sinas“ und die jiddischen „Letzten Nais“. Eine litauische Zeitung „Dabartis“ hat der Reichstagsabgeordnete Steputat in Kowno gegründet. Die Presseabteilung Ob. Ost hält den Grundsatz aufrecht, jedes Volkstum zu Worte kommen zu lassen; alle Tintenfehde zwischen ihnen jedoch kräftig zu unterbinden. Schiedlich, friedlich. Das ist freilich nötig, denn sie lieben durch die Bank einander ebensowenig, wie insgesamt den Russen.

Bleibt eine dritte Gruppe. Von dem Heere gegründet, jedoch nicht für das Heer geschrieben. Nicht Schützengrabenzeitungen, sondern Ortsblätter zur Belehrung der Einwohner über die Kriegslage und deren Erfordernisse. Demgemäß erscheinen einige mehrsprachig. So die Bialystoker Zeitung neben Deutsch auch Polnisch und Jiddisch. Dies letztere wird in hebräischen Lettern gesetzt. Während sonst die ganzen Betriebe vom Hauptschriftleiter herunter feldgrau sind, mußten für diesen Sonderzweck zum Teil auch einheimische Zivilsetzer angenommen werden. Außerdem sind nur die Straßenverkäufer Stadtkinder. Meist geschäftstüchtige Bengels, die, wenn wir beim [64] Frühstück sahen, sich an den Fenstern des Erdgeschosses die Nasen breitquetschten, um uns das „Naiste“ verlockend vor den Augen tanzen zu lassen.

Wir haben natürlich, wie sich das gehörte, das Handwerk gegrüßt. Die Kollegen – hier Hauptmann, dort Gefreiter oder Landstürmer, wie’s trefft – freuten sich unseres Besuches und versäumten nicht, ihm in der Lokalspalte einen dankbaren Artikel zu widmen. Sie führten uns in ihren Betrieben herum und wir stellten fachmännisch fest, daß alles in sicheren Schuhen schreitet. Die großen Papierrollen in den Höfen, der Gußgeruch in der Stereotypie; es heimelt durchaus. Höchstens bei der Rotationsmaschine heißt es entschuldigend: „Sehen Sie sich das Ding nicht an. Ein veraltetes russisches Ungeheuer, das wir verbrauchen müssen, wie es ist. Es war arg verwahrlost, erfüllt aber jetzt zur Not seinen Zweck. Eine neue ist übrigens bestellt, nur dauert es so lange, bis sie kommt. Wir warten schmerzlich.“

In der Geschäftsstelle herrscht reges Kommen, Gehen und Verhandeln. Ihre Tätigkeit ist verwickelter als in der Heimat. Schon wegen der [65] Sprachen. Dann aber auch wegen der Spionage. Es ist festgestellt, daß manche Anzeige feindlichen Zwecken diente. Deshalb muß sich jeder Aufgeber genau ausweisen. Außerdem wird sein Inserat in völlig anderen Wortlaut umgegossen.

Allein diese Anzeigen dürften dermaleinst Kulturdokumente sein. Die Nöte wie die Bedürfnisse der Zeit spiegeln sich. Oft scherzhaft; manchmal erschütternd. „Wer gibt Auskunft über meinen verschollenen Bruder, den Unteroffizier B. vom Xten Landwehr-Regiment?“ „Gegen deutschen Unterricht möbliertes Zimmer abzugeben.“ „Offizier sucht gutes Klavier zu mieten.“ „Wohltätigkeitskonzert. Die Karten gelten als polizeilicher Ausweis für den Heimweg bis 11 Uhr.“ Ich habe mir einen Sammelband oböstlicher Zeitungsnummern angelegt, der einen namhaften Erinnerungswert besitzen wird. Hoffentlich kann ich ihn Dir später einmal vorlegen und erläutern.

Es wäre überhaupt grundverkehrt, in diesen Heerblättern nur eine Gruppe örtlicher Amtsverkündiger zu erblicken. Es sind geschickt aufgemachte Preßorgane, denen nichts fremd bleibt, wessen eine weitsichtige Zeitung sich annehmen [66] muß. Sie bieten reichen und farbigen Lesestoff; haben Auflagen bis zu 45000! Sie bringen Leitartikel, die alle Weltgeschehnisse ebenso unbefangen würdigen, wie wir in der Heimat beflissen sind, es zu tun. Sie pflegen einen Unterhaltungsteil, der sich sehen lassen kann. Sogar Romane, wie die Krafft von Illzach und ältere Novellen von E. T. A. Hoffmann oder Achim v. Arnim liest man unterm Strich. Die Theaterkritiken gehen den Leistungen der Darsteller verständnisvoll nach. Auch die jiddischen; so belustigend dem deutschen Ohr klingt, zu hören über „Nathan de Chochem vün Lessing, den Jiden vün Mendelsohn Zaten, welcher redt sich oben auf.“ „A herrlich Bild is die Szene, wenn Nathan derzeilt dem Sultan san Muschal (Beispiel) mit ’n Keenig ün sane 3 Sihn.“ „Zü eintönig ün ibertrieben ist gewen ’en Herr Walther Hauser in der scheener Rolle fün jünge Tempelherr.“

Die meisten Blätter haben sich sogar zu illustrierten Beilagen aufgeschwungen. Schon deren Namen prägen die militärische Eigenart des Unternehmens glücklich aus. „Liebesgabe“, „Scheinwerfer“, „Seelenachse“ – liegt da nicht [67] schon eine ganze Regimentsmusike drin? Selbst farbige Bilderbogen im Reim und Stift Wilhelm Buschs kommen heraus und werden reißend abgesetzt.

So wird achtbare selbständige Arbeit geleistet. Unsere feldgrauen Plauderer haben die Augen überall im fremden Lande. Der eine sucht geschichtliche Stätten auf und führt in die Vergangenheit des besetzten Gebietes ein, der andere hält die Gegenwart in farbensatten Schilderungen fest. Der Landsturmmann Herbert Eulenberg läßt sich in Kowno keinen merkwürdigen Winkel, kein bezeichnendes Straßenbild, keine jüdische Marktschönheit entgehen, und der Landstürmer Hermann Struck liefert zu dem feinen Wort des Kameraden die stimmungsvollen Steinzeichnungen. Ihre Skizzen aus Litauen, Weißrußland und Kurland“ sind als wertvolles Werk erschienen. Für Wilna hat Paul Monti ähnliches geleistet und seine „Wanderstunden“ haben gleichfalls in Buchform gesammelt werden können.

Der Tagespresse hat sich nämlich schon ein erfreulicher Schrift- und Kunstverlag angegliedert. Zunächst bot das gängige Ansichtskartengeschäft [68] die geldliche Unterlage zu größeren Arbeiten. Es folgten Straßenführer von Wilna und Kowno, die unsere Truppen anleiten, die fremden Städte mit Verstand zu sehen, zugleich aber durch ein kameradschaftliches Warnwort vor gefährlichen Lockreizen dankenswerte sittliche Zwecke verfolgen. „Bleibt Deutsch!“ „Entehrt nicht das Andenken Eurer Lieben und das deutsche Geld!“

Man ist aber schon längst über die Marktware hinweg zu größeren Aufgaben vorgeschritten. Kunstblätter von großer Schönheit werden hergestellt. Die „Kownoer Ztg.“ hat – neben dem Struck-Eulenbergschen Werke – einen „Atlas der Völkerverteilung in Westrußland“ herausgegeben, der die wirren Mischverhältnisse des Gebietes auf Grund statistischer Aufnahmen in 17 Karten reinlich auseinanderlegt. Kulturarbeit! Der Feldbuchhandel ist dem Stilkeschen Verlage überwiesen; in allen Städten sind seine Läden eröffnet. Auch seine Verkäufer sind abkommandierte Feldgraue; er hat aber dafür die Hälfte des Reingewinns an Ob. Ost abzuführen. Das Geschäft geht gut; der deutsche Wehrmann will auch auf dem schriftstellerischen Felde nichts von Krebsgängen wissen.

[69] In seiner Einführung zu dem oben erwähnten Skizzenbuche schreibt Herbert Eulenberg, selten sei an die Erschließung eines fremden Landes so viel Ernst und Kraft gesetzt worden, wie hier im Osten. Vom höchsten General bis zum einfachsten Musketier hätten alle als freudige Angehörige des „barbarischen Volkes“ sich bemüht, die „Unterjochten“ vor dem kulturellen Hungertode zu bewahren, indem man ihnen Zeitungen und Schulen schenkte. Ein Wort, dem ich nichts als ein rückhaltloses „ja, so ist’s“ hinzuzufügen habe. Und wenn er als Selbstmitwirkender schließt: „Alle unsere Wege führen nach Deutschland“ – auch das soll ein Wort sein, Landsturmmann Eulenberg!