Ob-Ost/Rückblick

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Schlüsse Ob-Ost
von Fritz Hartmann
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XII. Rückblick
Hannover, den 9. Dezember.

Nach den Schlüssen laß mich zum Schlüsse kommen. Auf Deinen lernbegierigen Wunsch habe ich Dir Einblicke gegeben, so gut ich's vermochte. Ich bin ja nicht wie Carlyles geflickter Schneider ein Professor der Allerleiwissenschaften, sondern nur ein einfacher Sachbeschauer. Dann habe ich mir Ausblicke erlaubt, wobei Verstand und Gemüt sich zu gleichem Kriegsziel zusammenfanden. Nun möchte ich zum Ausgang zurück kehren und mit Rückblicken enden.

Wie die Balten, so beklagen auch unsere Ob. Ost-Offiziere die Ungewißheit der Zukunft. Vieles, so sagen sie, ließe sich heute schon planen und als Notstandsarbeit beginnen, wenn man ganz sicher wüßte, daß Litauen und Kurland deutsch blieben. So kribbelt es den Wilnaer Kriegsbehörden in den Fingern, den Kampf gegen Ungeziefer, Seuchen und Schmutz auf noch breitere Grundlagen als bisher zu stellen. Nämlich durch den Abbruch der furchtbarsten [96] Wohnviertel und menschenwürdigen Wiederaufbau.

Nichtsdestoweniger aber tut jeder in seinem Amtskreise seine Schuldigkeit, und mehr als sie in einer Weise, wofür kein Lobeswort ausgiebig genug ist. Ludendorffs Marschbefehl: „in alt preußischer Pflichttreue und Sparsamkeit mit Wenigem Viel erreichen“, ist gewissenhaft befolgt worden. Die ganze Ob. Ost-Verwaltung kostet dem Reiche keinen roten Heller. Sie erhält sich selber aus den alten Landessteuern, ergänzt durch einige Monopole.

Als vor hundert und etlichen Jahren die Franzosen in diesen Gebieten waren, spotteten sie über deren Rückständigkeit. La boue sei das fünfte Element Litauens. Wenn ihre Truppen durch den knietiefen Schlamm stapften, da riefen sie mit komischem Entsetzen: „Et cela s’appelle une patrie.“ Damit war ihnen aber auch die Sache erledigt. Man hatte sie auf eine Formel gebracht; sich mit ihr abgefunden durch ein Witzwort. Das ist französische Art.

Voriges Jahr lag, wie Du weißt, mein älterer Sohn monatelang in Litauen zu Felde. Auch er war entsetzt über dies Gemisch von [97] Gräuel und Schmutz. Als er jedoch hier hatte blühen, reifen und ernten gesehen, da schrieb er eines Tages: „Und trotzdem kann man dieses Land lieb gewinnen. Was läßt sich nicht alles daraus machen!“ Das ist deutsche Art.

Auf meiner Reise wurde mir eine Stelle aus „Soll und Haben“ wieder wach, die viele Jahre im Unterbewußtsein geschlummert. Fritz von Fink, obwohl selber im Innern grunddeutsch, verspottet deutsche Art und lobt sich die Verstandeskälte des Amerikaners, die jeden Besitz nur gerade so lieben wie den Dollarwert, in dem er sich ausdrücken lasse. Der Deutsche hingegen ziehe um seine ganze Umgebung die Spinnweben seiner Empfindsamkeit. Selbst wenn er nach Jahresfrist entdecke, daß er sich in einer bösartigen Sumpfgegend niedergelassen, sei er schon nicht mehr loszubekommen – aus Gemütsgründen.

Es steckt was drin in dem Worte. Der Deutsche liebt die Arbeit um der Arbeit willen. Das Geschaffene ist ihm heilig; aus dem Gefühle heraus, womit er geschaffen. Es tut ihm leid, den Unterstand zu verlassen, worin er die schwersten Stunden seines Lebens verbracht. [98] Am liebsten möchte er ihn als Andenken mitnehmen. Sicher wird er, wenn’s irgend geht, nach Jahren noch den längst wieder eingeebneten Acker besuchen und seinen Kindern sagen: „Hier herum muß es gewesen sein.“

Ich habe gefühlt, daß unsere Ob.-Ost-Leute sich geradezu freuten, soviel Verwahrlosung angetroffen zu haben. Das gab ihnen ja Gelegenheit, so recht aus dem Vollen heraus zu schaffen; ermöglichte ihnen, Urzustände ohne Durchgangsstufen sofort auf die Entwicklungshöhen der neuesten Neuzeit zu schrauben.

Ich schilderte Dir schon, wie die Russen das Rathaus von Wilna verschweint hatten. Vierzehn Tage lang hatten sechzig Reinemacheweiber unter deutscher Aufsicht die Hände zu rühren. Dann hielt der Oberbürgermeister P. seinen Einzug als Stadthauptmann. Auch hierin steckt wieder etwas Symbolisches. Moskowitische Art und deutsche Art! Wo die Russen in Ostpreußen hinkamen, haben sie gezündet und eingeäschert. Eine unserer ersten Taten in Wilna hingegen war, eine leistungsfähige Feuerwehr zu gründen. Sie wurde vor unseren Augen alarmiert und rückte binnen drei Minuten aus.

[99] Wohl noch nie, so sagte Bethmann gerade heute vor einem Jahre im Reichstag, sei in einem Kriege hinter der Front so viel Friedensarbeit geleistet worden. Das unterschreibe ich freudig. Was ich geschaut an Neuschöpfungen einer kurzen Frist, das hat mich mit staunender Bewunderung durchdrungen. Auch in der Staffel wird treueste Vaterlandsarbeit getan. Auch die Etappe hat mich stolz gemacht auf unser Volkstum.

Überall fühlt man Wirken und Streben. Der Boden ist aufgebrochen und bestellt, die Kultursaat gesät und reift verheißungsvoller Ernte entgegen. Wenn die Russen noch einmal kämen, würden sie gereinigte Städte, ein gesünderes Volk zurückerhalten. Binnen zehn Jahren spätestens wäre freilich der alte Zustand wieder erreicht. Das aber kann der deutschen Mühe Endzweck wahrlich nicht sein. Als Herakles den Augiasstall säubern mußte, geschah es als Sühne für Frevel. Wir jedoch haben ein reines Gewissen. In dieser Hinsicht sind wir ihm ungleich, so viel Herakleisches wir in 28 Monaten auch geleistet haben. Nein, was wir tun, das soll für uns getan sein. Der Russe hat volle hundert Jahre [100] Zeit gehabt, zu zeigen was er kann. Aber er hat es versäumt. Damit ist mit dem kriegerischen auch das moralische Recht verwirkt. Er hat die Länder ausgesogen und verwahrlost. Nicht mit so eiskalter Folgerichtigkeit wie die Engländer in Irland und Indien es tun. sondern wilder und fahriger, allein nicht weniger gründlich. Da kann kein Anspruch mehr gelten, als der des besseren Pflegers. Laß uns zwanzig Jahre im Lande sein, und die Bauern werden nicht mehr in zerfetzten Bastschuhen durch das fünfte Element steigen. In ihren Schafspelzen sind keine Läuse mehr und ihre Kinder können lesen.

Schon beginnen sich die Einwohner auf den Übergang einzuleben. Ich sah Uniformschneidereien. An den Firmenschildern waren noch die russischen Tschakos, Säbel und Schulterstücke angemalt, die früher hier verkauft wurden, allein im Schaufenster stand bereits als stolze Leistungsprobe unser feldgrauer Rock in vorschriftsmäßiger Bauart.

Immer mehr deutsche Inschriften tauchen im Straßenbilde auf. Die Absicht ist klar; weniger der Ausdruck. „Frihstakstube“ und [101] „Flaischgescheft“; nun ja – ob aber der Geldwechsler Isaak seine „Umtäuschungsstelle“ für eine Empfehlung ansieht?

Ich habe oben ein Wort aus „Soll und Haben“ angezogen. Als ich nachschlug, fand ich es nicht gleich. Ich blätterte und las mich dadurch wieder in einige Kapitel hinein. Dabei ward ich gewahr, wie vieles darin doch auch auf Ob. Ost paßt. Es ist ja der Roman von deutscher Tüchtigkeit und Schaffensfreude.

Anton Wohlfahrt ist Verwalter auf dem polnischen Gute des Freiherrn von Rothsattel. Emsig müht er sich, gegen alten Schlendrian und neue Schurkerei geordnete Zustände zu schaffen. Allein gelingt es ihm freilich nicht. Jedoch Fritz von Fink greift ein und seine großzügigere Art im Bunde mit seinem stattlichen Vermögen setzt sich siegreich durch.

Die wackeren von Ob. Ost sind alle sowohl ein Stück Fritz wie ein bißchen Anton. Tatkraft und Pflichttreue durchdringen einander. Als ein gutes Omen nahm ich daher die Worte, mit denen Gustav Freytag diesen Teil seines Romans abschließt:

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„„Den Mann, welcher jetzt im Schloß gebietet, kümmert es wenig, ob eine Dohle schreit oder eine Lerche; und wenn ein Fluch auf seinem Boden liegt, er bläst lachend in die Luft und bläst ihn hinweg. Sein Leben wird ein unaufhörlicher siegreicher Kampf sein gegen die finsteren Geister der Landschaft; und aus dem Slawenschloß wird eine Schar kraftvoller Knaben herausspringen, und ein neues deutsches Geschlecht, dauerhaft an Leib und Seele, wird sich über das Land breiten: ein Geschlecht von Kolonisten und Eroberern!““

Damit Schluß und Punkt. Hab’ ich Dir Neues sagen können, dann freut es mich. Wenn Du nach Deinem Worte Dich mit Bildern von der Westfront erkenntlich zeigen willst, dann wird der Gegendienst dankbar und angeregt aufgenommen. Aber vorläufig hast Du Dringlicheres zu tun. Zwar ist in den letzten Tagen das Sommegetöse verflaut, allein, auf wie lange? Freilich bleibt es auch – des bin ich sicher – in neuen Kämpfen beim alten Worte: Durch kommt keiner. Weder bei Euch, noch in Ob. Ost. Im Süden aber geht’s blendend vorwärts. Bukarest gefallen!

Auch im Geschützdonner waltet die ewige Weisheit. Gott befohlen denn! Du und alle Feldgrauen! Aber ich bin gewiß: wir sehen uns wieder im siegjauchzenden Vaterlande. [103] Noch eine zweite Hoffnung schwebt mir vor. Wir beide durchwandern noch einmal gemeinsam das Land zwischen Weichsel und Düna, uns deutscher Leistung zu freuen. Auf manchem baltischen Herrensitz ist mir schon gastfreie Herberge angeboten. Dann erscheine ich eines guten Tages vor Deiner Tür und schmettere Dich heraus mit dem uralten Kreuzritterliede: „Gen Ostland wollen wir reiten!“

Mit deutschem Händedruck
Dein
treuer Freund und Vetter
Fritz Hartmann.