RE:Commeatus 1

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Urlaub
Band IV,1 (1900) S. 718721
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Commeatus. 1) Urlaub. Der Begriff Urlaub setzt einen Urlaub Nehmenden und einen Urlaub Gebenden voraus. Darum ist er mit dem Begriffe der römischen Magistratur unvereinbar, weil die Magistratur kein Dienst, sondern eine Ehre ist und der souveräne Magistrat keinen Vorgesetzten hat; auch dem Volke ist er nicht untergeben, sondern die beiden souveränen Gewalten existieren nebeneinander.

Entstanden ist der Begriff C. im Militärdienste und zwar wahrscheinlich erst dann, als das ursprüngliche Bürgerheer, das nur für den bestimmten Feldzug gesammelt wurde, sich allmählich in ein stehendes umzuwandeln anfing, also während und nach den punischen Kriegen. Soweit es mir bekannt ist, begegnen wir dem Worte c. im angegebenen Sinne zuerst bei Livius (III 46), bei der Schilderung der Unruhen nach der Frevelthat des Decemvir Appius Claudius. Natürlich ist es hier nur Übertragung späterer Zustände auf ältere Zeit. In der kriegsreichen Zeit Ende des 3. und Anfang des 2. Jhdts. v. Chr. werden die Erwähnungen des C. häufiger (z. B. Liv. XXI 21 [Übertragung römischer Sitten auf karthagische Truppen]. XXVIII 24. XXXIII 29 u. ö.). Aus diesen Erwähnungen darf man nur schliessen, dass der Urlaub den Soldaten vom Feldherrn erteilt wurde, zuweilen massenhaft, so dass die Armee dadurch geschwächt wurde (Liv. XXXIII 29. XLIII 11. 14: multos .... incertis commeatibus ... abesse u. ö.). Die Beurlaubten blieben öfters auf dem Kriegsschauplatz und trieben Geldgeschäfte (Liv. XXXIII 29, vgl. V 8, 3). Über die Regulierung des Verfahrens bei dem Beurlauben sind wir nicht unterrichtet.

Ebenso wie die Soldaten werden auch die Officiere beurlaubt (Sallust. b. Iug. 64; vgl. Vellei. II 11, 2 [‌Marius erbittet sich den Urlaub – bei Sallust missio – von Metellus]. Sallust. ebd. 73 [domum dimittit]; s. auch Caes. b. G. I 29 und [719] Tac. Agric. 5; vgl. Cic. Verr. V 111 [Beurlaubung seitens des Propraetors eines Schiffscapitäns der sicilischen Flottel). In dieser, wie in anderen Beziehungen behandelte man die militia nicht anders wie das stipendium (vgl. Mommsen St.-R. III 539ff.).

Seitdem das Heer unter Augustus definitiv zum stehenden geworden war, wurde auch das Beurlauben besser reguliert; wenigstens wissen wir jetzt davon etwas mehr als in der vorhergehenden Periode, dank besonders den Rechtsquellen. Urlaub wurde in der Regel nur sehr sparsam erteilt (Veget. de re mil. II 19, 14–15; vgl. III 4. 15. Dig. XLIX 16, 12, 1. Hist. Aug. Hadr. 10) und den Soldaten untersagt, sich während des Urlaubes mit Handels- und Geldgeschäften abzugeben (Dig. XLIX 16, 9; vgl. Cod. Iust. IV 65, 31. XII 34. 35, 15). Diese Regel wurde aber nicht immer eingehalten, und wir begegnen öfters Klagen, dass ganze Truppenkörper durch massenhafte Urlaube geschwächt wurden und dass die Soldaten sich in der Provinz zum Schaden der Provincialen bereicherten (z. B. Tac. ann. XV 10; besonders hist. I 46, wo ganz dieselben Zustände geschildert werden, wie bei Liv. XXXIII 29). Urlaub wird den Soldaten, wie auch den Officieren vom Feldherrn selbst erteilt (s. die citierten Stellen und besonders Tac. Agric. 5) und zwar nur in seltenen Fällen und nur unter Angabe der Gründe seitens des zu Beurlaubenden; (Hist. Aug. Hadr. 10: nunquam passus aliquem a castris iniuste abesse. Veget. de re mil. II 19, 14). Nur wenige dieser Gründe werden in den Quellen erwähnt; so z. B. wenn der Soldat auf längere Zeit abcommandiert wird (Suet. Tib. 12); wenn er nach Rom reist, um sich dort ein Avancement zu verschaffen (CIL VIII 2554: collega proficiscens ad spem suam confirmandam) und ähnliches. Jeder Urlaub wurde registriert (Veget. de re mil. II 19, 14–15), der Beurlaubte genoss alle die Privilegien des Soldatenstandes, aber nur während der Frist des Urlaubes und bei der Erfüllung aller der Bedingungen, die in seinem Entlassungsscheine angegeben wurden (Dig. LI 1, 2, 6, vgl. Sen. dial. X 18, 3). Er galt aber nicht als abcommandiert, d. h. nicht als abwesend reipublicae causa (Dig. XLIX 16, 1). Jeder der nach Ablauf der Urlaubszeit bei der Fahne nicht erschien, galt als desertor oder emansor, wenn er für seine Verspätung keine gewichtigen Gründe angeben konnte (Dig. XLIX 16, 3. 7; vgl. ebd. 14 pr.).

Nach Diocletian blieben dieselben Regeln in Kraft. Die Verbote, Urlaub mehr wie nötig zu erteilen, wurden verschärft und den Befehlshabern der Truppen im Falle der Unbotsamkeit mit strengsten Strafen gedroht (Cod. Theod. VIII 12. 1. Cod. Iust. XII 42, 1. 16, 2–5); besonders streng verfuhr man an den Grenzen und in Kriegszeiten. Urlaub wird jetzt von den praepositi, decuriones und tribuni cohortium gegeben (die ang. Stellen und Gothofredus zur ersten); nach einem Erlasse des Kaisers Anastasius konnten nicht mehr wie 30 Soldaten gleichzeitig beurlaubt werden (Cod. Iust. XII 16. 2–5). Die Abwesenden bekamen regelmässig ihren Sold aus der Staatscasse, wenn aber mehr als 30 abwesend waren, bezahlte ihnen der Tribun aus eigenen Mitteln den Sold (Cod. Iust. a. a. O.). [720]

Wir haben schon erwähnt, dass der Begriff Urlaub ebenso von dem Begriffe Magistratur ausgeschlossen, wie vom Begriffe Beamtentum geradezu gefordert wird. Deswegen müssen wir dem C. auch bei der Regulierung der Lage der kaiserlichen Beamten begegnen. Über die Lage der kaiserlichen ritterlichen Beamten und des Hofgesindes sind wir für die ersten zwei Jahrhunderte sehr schlecht unterrichtet; wir wissen aber, dass alle kaiserlichen Beamten, wenn sie ihren Posten in der Provinz oder in der Stadt Rom verliessen, genötigt waren, sich vom Kaiser Urlaub zu erbitten. Ausdrücklich ist dies bezeugt für die Aerarpraefectur unter Traian, Plin. epist. III 4, 2: cum publicum opus mea pecunia inchoaturus in Tuscos excucurrissem accepto ut praefectus aerari commeatu, vgl. X 8. 9 (Plinius Bittschrift und Traians Genehmigung des C). Plinius sagt ausdrücklich, dass er des C. nicht als Senator (s. u.), sondern als kaiserlicher Beamter bedurfte. Wir dürfen dieses ohne weiteres auch auf andere ritterliche Beamten beziehen. Zu erklären ist das natürlich dadurch, dass das kaiserliche Beamtentum sich hauptsächlich aus dem Ritterdienste entwickelt hat, die militia aber in dieser wie in anderen Beziehungen dem stipendium gleichgesetzt wird. Schwieriger ist die Frage in Bezug auf die kaiserlichen Hofbeamten. Solange die Hofstellungen rein privater Natur waren, darf man natürlich vom Urlaube für das kaiserliche Gesinde als staatsrechtlichem Begriffe nicht reden. Im weiteren Verlaufe der Geschichte, endgültig seit Diocletian, werden aber auch die Gesindestellungen als militia behandelt und bleiben nur für Freie zugänglich (Mommsen Herm. XXXIV 1899, 151ff.); die militia aber, wie wir gesehen haben, sowohl als Beamten- wie als Militärdienst bedarf von Anfang an des Urlaubes, und wirklich sehen wir in der späteren Kaiserzeit alle militantes bei ihrer Abwesenheit aus der Hauptstadt mit Urlaub ausgestattet und im Falle der Verspätung mit Strafen bedroht (Cod. Theod. VII 12, 2 = Cod. Iust. XII 42, 2. Cod. Theod. VII 18, 16 [17] = Cod. Iust. XII 42, 3; vgl. Cassiod. var. VII 36). Reguliert wird hier der Urlaub ebenso wie im Militärdienste (Cod. Theod. VII 12, 3 und die Anmerkung des Gothofredus) und wird in unseren Rechtssammlungen im Zusammenhange mit diesem behandelt. Bezeichnend ist es, dass in den Digesten vom Urlaube der Beamten keine Rede ist. Gothofredus ad Cod. Theod. VII 12. Walter Geschichte des röm. Rechts³ § 418. G. Humbert in Daremberg et Saglio Dictionnaire des antiquités I 1402.

Als Mitglieder eines Rates, der jederzeit zur Verfügung der Magistratur stehen muss, sind die Senatoren verpflichtet, ihren Wohnsitz in Rom zu haben (Lex Iulia municip. c. 91 [Bruns Fontes⁴ 18] und bes. das Fragmentum Tarentinum Z. 26ff. [Monumenti antichi d. Lincei VI 406ff. und Bull. d. Ist. di dir. Rom. 1897, 8ff. 20ff.]; diese municipalen Verordnungen sind wahrscheinlich eine Ableitung aus den städtischen, wie der Vergleich mit Cicero bei Non. p. 269 und Dio XLI 31, 3 lehrt, s. Scialoja Bull. d. Ist. di dir. Rom. 1898, 32ff.; wenigstens bezeugt der Vergleich diese Verpflichtung der Senatoren, ihren Wohnsitz in Rom zu haben, für das erste vorchristliche Jahrhundert, [721] wenn Scialoja mit seiner Datierung des Fragments Recht hat). Darum bedürfen sie bei weiterer Entfernung aus der Stadt eines Urlaubes, obwohl sie nicht direct gezwungen werden können, in der Stadt selbst zu verbleiben. Nur in Ausnahmefällen, in Zeiten schwerer Kriegsnot, werden sie durch consularisches Edict in Rom festgehalten oder in die Stadt zurückgerufen (Liv. XXVII 50, 4. XXXVI 3, 3. XLIII 11, 4). Nur für die Entfernung aus Italien bedürfen die Senatoren unbedingt eines Urlaubs, der ihnen in der spätrepublicanischen Zeit gewöhnlich in der Form einer legatio libera durch den Senat erteilt wird (Schol. Bob. p. 245 [legationes liberas] nunc commeatus appellamus, vgl. Willems Le sénat de la République romaine I 149). Diese Massregel wird von Caesar auch auf die Senatorensöhne angewandt (Suet. Caes. 42). In der Kaiserzeit waren Italien und Sicilien, seit Claudius auch Gallia Narbonensis den Senatoren frei (Tac. ann. XII 23. Dio LII 42), für weitere Entfernungen bedürfen sie des Urlaubes. Die Verpflichtung aber, in Rom ein Domicil, eigenes oder gemietetes Haus, zu haben, verblieb (Suet. Tib. 35. Scialoja a. a. O. 36) auch für die Senatoren, die aus der Provinz stammten (Dig. I 9, 11), selbst die Relegierten hatten rechtlich ihr Domicil in Rom (Suet. Gai. 29. Dig. L 1, 27, 3). Der Urlaub wurde den Senatoren vor Claudius vom Senat, seit Claudius vom Kaiser persönlich erteilt (Suet. Claud. 23. Dio LX 25, 6. 29; vgl. Suet. Nero 35. Suid. s. Κλαύδιος. Dig. L 1, 22, 6. Cod. Theod. VI 4, 11 und Cassiod. var. III 21). Manche Senatoren blieben jahrelang ausserhalb Roms; ihnen wurde der Urlaub von Zeit zu Zeit verlängert (Suet. Gai. 29. Dio LX 25, 5); falls dies nicht geschah, wurden sie aus der Senatorenliste gestrichen. Gewöhnlich aber war man in dieser Hinsicht sehr nachlässig (Suet. Galb. 3, vgl. Tac. ann. VI 40). Die Verpflichtung für die Senatoren, Rom und Italien nicht zu verlassen, hörte erst dann auf, als die beiden Senate zu Municipalräten wurden und der provinciale Senatorenstand sich entwickelt hatte (Cod. Iust. XII 1, 15. Kuhn Die städt. und bürg. Verfassung I 174ff.). Mommsen St.-R. III 912ff. Scialoja Bull. d. Ist. di dir. Rom. XI (1898) 32ff.