RE:Demotionidai

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Attische Phratrie
Band V,1 (1903) S. 194202
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Demotionidai (Δημοτιωνίδαι), eine der Phratrien in Attika, nach anderen ein Geschlecht (Szanto Rh. Mus. XL 508. Paton Amer. Journ. of Arch. VI 316) oder Vereinigung mehrerer von Kleisthenes neugeschaffener Phratrien, die vor ihm eine Einheit bildeten (C. Schäfer a. a. O. 30). Die Kenntnis dieser Phratrie, als welche die D. zu gelten haben und von den meisten Gelehrten anerkannt worden sind (Pantazides, U. Koehler, Sauppe, R. Schoell, Toepffer , G. Gilbert, Thumser, Busolt , v. Schoeffer), verdankt man einer Inschrift, die auf beiden Seiten einer bei Tatvi = antikem Dekeleia gefundenen Stele eingegraben war (CIA II Add. 8416 und die später entdeckte Rückseite: Ἐφ. ἀρχ. 1888, 1 = CIA IV 2, 841 b, zusammen Dittenberger Syll.² 439) und ein ganzes Actenfascikel der Beschlüsse derselben enthält. Dieselben stammen der Hauptmasse nach aus dem Archontat des Phormion (496/95) und enthalten Neuordnungen oder Ergänzungsbestimmungen über die Einführung und Aufnahme neuer Mitglieder in dieselbe. Es ist das einzige attische Document, welches einen genaueren Einblick in die Phratrienorganisation gestattet, und ist in diesem Sinne von den oben genannten und anderen Gelehrten verwertet und in möglichste Übereinstimmung mit den sonstigen Zeugnissen über die Phratrien gebracht worden; eine solche Ausnutzung des Documentes ist von selbst geboten, darf aber nicht auf die Spitze getrieben werden, denn wie die abgerissenen Notizen bei den Rednern, ja am besten die Inschrift selbst beweist, gab sich jede Phratrie ihre Gesetze selbst, und bei aller selbstverständlichen Übereinstimmung mussten sie auch vielfache Abweichungen untereinander zeigen; besser ist es also, die Organisation der D. einzeln zu behandeln und nur die allgemeinsten Züge für die Phratrienordnung (s. Phratria) zu verwerten. Die zwei ersten Decrete sind wohl sicher gleichzeitig unter dem Drucke besonderer Verhältnisse gefasst worden, wie sowohl der Inhalt des ersten Beschlusses, wie dessen Datum beweisen; infolge der Verwirrungen der letzten Jahre des peloponnesischen [195] Krieges und namentlich der Besetzung von Dekeleia, wo der sacrale Mittelpunkt der Phratrie war, durch ein spartanisches Heer, war Unordnung auch in die Organisation der Phratrie eingerissen – weder konnten die Opfer des Apaturienfestes, an dem die neuen Mitglieder aufgenommen wurden, zu bestimmter Zeit an dem gewöhnlichen Orte dargebracht werden, noch die Anmeldungen über die Neuaufzunehmenden und die diesbezügliche Abstimmung in regelmässiger Weise nach dem Νόμος τῶν Δ. vorgenommen werden. Es handelte sich also vor allem um die Säuberung der Phratrie von allen zweifelhaften Elementen, die sich in dieselbe eingeschlichen hatten (wie ja um dieselbe Zeit das Gesetz des Perikles vom J. 451 über die Vollbürtigkeit der Bürger ἐξ ἀστῆς καὶ γαμετῆς, Aristot. Ἀθ. πολ. 26, 4, durch Nikomenes [Schol. Aisch. I 39. Is. VI 47. VIII 43. Ps.-Dem. LVII 30] erneuert worden war und auch in manchen Demen eine διαψήφισις über die Demotenregister stattfand, wovon sich ein lebendiges Zeugnis in der ps.-demosthenischen Rede LVII erhalten hat). Weiter wurden in demselben auf Antrag des Hierokles gefassten Beschlüsse und in dem Zusatzantrage des Nikodemos die Modalitäten für die weiter, also nach dem Archontat des Phormion Neuaufzunehmenden festgesetzt, oder vielmehr, da doch das Grundgesetz augenscheinlich nicht angetastet wurde, genauer präcisiert und erweitert. Zu gleicher Zeit wurden auch die Gebühren aufgezeichnet, welche dem Priester von den Opfern zukamen, und zwar, da ihm die Sorge um die Aufstellung der Stele übertragen war, fanden sie ihren Platz noch vor den Beschlüssen der Phrateren. Einige Jahrzehnte später (um die Mitte des 4. Jhdts., wie U. Koehler nach der Schrift bestimmt, wie Tarbell annimmt, im 3. Jhdt.) wurde noch ein Zusatzantrag gemacht, über den sich aber wenig sagen lässt wegen starker Verstümmelung. Im allgemeinen darf man wohl behaupten, dass die Beschlüsse nicht mit der wünschenswerten Klarheit redigiert sind, ausserdem aber noch auf das ,Gesetz der D.‘ und (im zweiten) auf die ,früheren Decrete‘ Rücksicht nehmen, so dass die Uneinigkeit der Gelehrten über ihre Deutung verständlich wird; hier können nicht alle Streitpunkte berührt, sondern nur die wichtigsten hervorgehoben werden. Die erste Frage ist, ob der Zusatzantrag des Nikodemos mit dem Hauptbeschluss gleichzeitig ist; dagegen scheint zu sprechen, dass im Anfang von den ,früheren Beschlüssen‘ die Rede ist, was auf den Antrag des Hierokles gedeutet werden könnte, wie auch am Ende desselben befohlen wurde, denselben auf der Stele hinzuzusetzen, was darauf hinweisen dürfte, dass die Stele des ersten Beschlusses schon errichtet worden sei; aber für die Gleichzeitigkeit der beiden Decrete zeugt nicht nur der unmittelbare Anschluss (mitten in der Zeile) des zweiten an den ersten und die Grösse der Marmortafel (der Priester, dem die Kosten zukamen, würde keine so grosse für ein Decrer gewählt haben, das nur mit ein paar Zeilen über die Vorderseite hinausgriff), sondern noch mehr der Umstand, dass aus den ,früheren Beschlüssen‘ Bestimmungen erwähnt werden, die sich im ersten Decret nicht finden. Auffällig könnte allerdings erscheinen, dass nur im ersten Beschlusse zweimal [196] das Haus der Dekeleier erwähnt wird, während im zweiten verschiedene Thiasoi, in welche die Phratrie zerfiel, eine bedeutende Rolle zu spielen bestimmt sind, was eine Veränderung in der Organisation der Phratrie annehmen liesse, aber diese Incongruenz erklärt sich daraus, dass eben beide Beschlüsse nur in schwachem Zusammenhang untereinander stehende Zusätze zu dem Grundgesetz enthielten. Trotzdem aber, um nicht diese scheinbare Incongruenz zu verdecken, sei in Kürze der Inhalt beider Beschlüsse in ihrer Abfolge mitgeteilt. In dem ersten wird auf Antrag des Hierokles bestimmt, dass die vor dem Archontat des Phormion in die Phratrie ohne Diadikasie Aufgenommenen sich sofort einer solchen unterwerfen müssten, wobei die Phrateren nach Eidesleistung vor Zeus Phratrios die Stimmsteine von seinem Altar nehmen sollen; wer durch Stimmenmehrheit ausgeschlossen würde, dessen Name solle vom (Priester und vom Phratriarchen sowohl in der Stammlistc im Heiligtum der D., als auch in der (wohl vom Phratriarchen bewahrten) Copie derselben ausgelöscht werden, und derjenige, der ihn eingeführt hatte, in eine Busse von 100 Drachmen verfallen, welche durch die beiden Obrigkeitspersonen einzutreiben sei unter Androhung eigener Verantwortlichkeit. Für die Folgezeit wird bestimmt, dass die Diadikasie für alle Neuaufzunehmenden je ein Jahr nach der Darbringung des κούρειον genannten Opfers an dem dritten Tage (κουρεῶτις) der Apaturien (s. d.) vorzunehmen sei, wobei die Formalitäten dieselben sein sollen; nur wenn einer der Abgewiesenen sich nicht bei dieser Entscheidung beruhigt, wird seine Angelegenheit im processualischen Wege vor den D. von neuem verhandelt, wobei das ,Haus der Dekeleier‘ fünf Anwälte (συνήγοροι) von mindestens 30 Jahren bestellt, welche gegen den Appellanten als Vertreter der Reinheit der Phratrie auftreten müssen und zu diesem Zweck vom Priester und dem Phratriarchen vereidigt werden; im Falle der Verurteilung zahlt der Appellant 1000 Drachmen Busse an den Zeus Phratrios, deren Eintreibung dem Priester aus dem Hause der Dekeleier obliegt, widrigenfalls er dieselbe selbst bezahlen muss. Dem Phratriarchen komme es zu, darauf zu achten, dass jedes Jahr über die zur Diadikasie Verpflichteten abgestimmt würde, bei Versäumung dieser Pflicht habe er eine Busse von 500 Drachmen zu zahlen, die vom Priester oder jedem beliebigen Mitglied der Phratrie eingetrieben werden dürfe. Die Phratrienopfer, sowohl die μεῖα wie die κούρεια, welche eine solche Bedeutung für die Aufnahme besitzen, dürfen in Zukunft nur am Altar in Dekeleia verrichtet werden bei 50 Drachmen Strafe, ausser im Falle besonderer Verhinderungsgründe (etwa Krieg u. s. w., nach wahrscheinlicher Ergänzung von Sauppe), wo dann das Opfer an einem vom Priester bestimmten Orte stattfinden muss, den derselbe fünf Tage vor der δορπία (dem ersten Tage des Apaturienfestes) auf einer an dem städtischen Versammlungsort der Dekeleier aufgestellten handbreiten Tafel bekannt machen soll. Alle diese Bestimmungen und die betreffenden Opfergebühren (es sind für das μεῖον ein Hinterschenkel, Zunge und ein Ohr des Opfertieres und ausserdem 3 Obolen, für das κούρειον dieselben Fleischstücke, ein Brot vom Gewicht [197] eines Choinix, ein halber Chus Wein und eine Drachme Geld) soll der Priester auf eigene Kosten auf einer Marmorstele vor dem Altar in Dekeleia aufzeichnen lassen. Der Zusatzantrag des Nikodemos enthält zwei Ergänzungen zu den Modalitäten der Diadikasie. Er bestimmt, 1. dass die bei der Voruntersuchung (ἀνάκρισις) geforderten drei Zeugen (die wohl im Grundgesetz vorkamen), wenn möglich, aus dem Thiasos des Einzuführenden genommen werden und ihr Zeugnis unter einem Eidschwur beim Zeus Phratrios, seinen Altar mit der Hand berührend, ablegen sollten – nur in dem Falle, dass ein Thiasos nicht so viele Männer enthielte, dürften die Zeugen aus den übrigen Phrateren gestellt werden; 2. dass bei der Abstimmung die Thiasoten des Einzuführenden und die übrigen Phrateren gesondert ihre Stimmsteine abgeben sollten, wobei die letzteren die entscheidende Instanz zu bilden hätten. Es waren nämlich folgende Fälle zu berücksichtigen: entweder stimmten die Thiasoten für die Aufnahme des Betreffenden, dann konnten die übrigen Phrateren dies Urteil bestätigen oder verwerfen – in letzterem Falle zahlten die Thiasoten 100 Drachmen Busse, diejenigen ausgenommen, welche offen gegen die Aufnahme protestiert hatten – oder dieselben verweigerten die Aufnahme, dann durfte der Abgewiesene an die übrigen Phrateren appellieren, und ihr Urteil war auch in diesem Falle entscheidend, aber wenn dasselbe ebenso ungünstig für den Appellierenden ausfiel, musste er 100 Drachmen Busse zahlen. Schliesslich ist noch der Eidschwur der drei Zeugen beim Zeus Phratrios hinzugefügt: ,Ich bezeuge, dass derjenige, den der Betreffende einführt, sein ebenbürtiger Sohn von seiner rechtmässigen Gattin ist‘, worauf die gewöhnliche Verwünschungsformel folgte. Wie schon oben hervorgehoben worden ist, besteht eine gewisse Incongruenz zwischen beiden Beschlüssen darin, dass in letzterem dem Thiasos des Aufzunehmenden eine bedeutende Mitwirkung beigelegt wird, von dem im ersten gar keine Rede ist, während hier dagegen das ,Haus der Dekeleier‘ eine nicht unwichtige Rolle als Hüter der Phratrienreinheit spielt, welches dort ganz unerwähnt bleibt. Letzteres liesse sich leichter begreifen – der Antragsteller hatte eben dem schon Bestimmten nichts hinzuzufügen – der erstere Umstand dagegen fällt schwerer ins Gewicht, besonders da er sich mit einer Unklarheit des ersten Decretes combinieren lässt: wie soll man sich die Procedur bei der Appellation denken, die von einem bei der Diadikasie Abgewiesenen an die D. gerichtet werden durfte (Paton a. a. O. 314)? wie konnte das geschehen, wenn bei der Diadikasie die Versammlung der Phrateren, d. h. dieselben D., schon ihr Urteil gefällt hatten? Wenn man nicht die Meinung C. Schäfers (a. a. O. 30) annimmt, dass die vorkleisthenische Phratrie der D. später sich in mehrere selbständige Phratrien gespalten habe und nur in Fällen solcher Appellation als höhere Instanz eine Rolle spielte (diese Ansicht ist ganz unhaltbar, denn die Hypothese der Spaltung selbst angenommen, konnten sich die selbständig gewordenen Phratrien in ihren inneren Angelegenheiten nicht dem Urteilsspruch einer nicht mehr existierenden Einheit unterwerfen), so scheint die von Sauppe (De phratriis [198] att. II 6) vertretene Erklärung das meiste für sich zu haben, dass nämlich nur der unklare Ausdruck des Decretes an der Zweideutigkeit Schuld sei; die erste Diadikasie sei auch in diesem Falle von den Thiasoten vorgenommen und dem von ihnen Abgewiesenen die Appellation an die Gesamtphratrie gestattet worden – der ganze Unterschied zwischen dem Decret und dem Zusatzantrag bestehe nur darin, dass in letzterem die betreffende Busse von 1000 auf 100 Drachmen ermässigt sei. Abgesehen von der Schwierigkeit, dass in zwei nebeneinander stehenden, gleich gültigen Beschlüssen eine Busse auf zwei Summen normiert wäre, ohne ausdrücklichen Vermerk der Abänderung, spricht gegen diese Erklärung die Unmöglichkeit, dass der erste Antragsteller nur mit einer Hindeutung sich begnügt hat in Betreff der Procedur, deren Modalitäten erst von seinem Nachfolger, wie schon aus der Ausführlichkeit der Darstellung hervorgeht, zuerst ins Leben gerufen wurden. Aus demselben Grunde ist auch die Hypothese v. Wilamowitz-Moellendorff a. a. O. II 261 nicht haltbar, dass nach dem Gesetze der D. dem Hause der Dekeleier das Vorrecht zustand, über die Aufnahme oder Zurückweisung neuer Mitglieder zu entscheiden, welches Hierokles durch die Appellation an die Gesamtphrateren einschränkte, Nikodemos aber ganz abschaffte, indem er an Stelle des Hauses der Dekeleier die einzelnen Thiasoi setzte; eine so ungeschickte Fassung des Beschlusses, wobei die einander entgegengesetzten Bestimmungen friedlich nebeneinander gestellt waren, darf man auch einem Dorfschulzen nicht zutrauen, abgesehen von der Unwahrscheinlichkeit, dass bis zum Beginn des 4. Jhdts. die Praerogative einer Einzelgruppe unter den Phrateren bestanden hätte über die Legitimität, folglich auch über das Bürgerrecht jedes Mitgliedes endgültig zu entscheiden. Dann bleibt für die schwierige Stelle nur eine Erklärung möglich, diejenige Tarbells (Amer. Journ. of Arch. V 152) und R. Schoell (a. a. O. 8), nämlich, dass wirklich sowohl bei der Diadikasie, wie in der Appellationsinstanz dieselbe Versammlung der D. functionierte. So seltsam das klingt, so ist doch dabei nichts Unmögliches; soviel aus beiden Urkunden hervorgeht, wurde die allgemeine Diadikasie auf die Zeugenaussage und etwaige kurze Einwürfe hin ganz summarisch vorgenommen, während bei der Appellation ein regelrechtes gerichtliches Verfahren eingehalten wurde, wie schon die Ernennung der fünf Anwälte beweist, wogegen auch dem Appellanten nicht verweigert werden konnte, sowohl Zeugnisse, als auch Sachwalter mitzubringen – dass dieser Fall im zweiten Decret, welches nur die erste Instanz sozusagen verdoppelt, durch gesonderte Abstimmung der Thiasoten und der übrigen Phrateren nicht nochmals erörtert wird, ist desto begreiflicher, da er in praxi höchst selten vorkommen musste sowohl wegen Identität der entscheidenden Versammlung, als in Anbetracht der hohen Busse. Mit dieser Deutung fällt auch die Hauptschwierigkeit fort, die so oft genannte Phratrie mit den D. zu identificieren; dass letzterer Name nur beiläufig genannt wird, ist ein stilistischer Fehler der Abfassung, welcher aber sich sehr leicht erklärt, da die Phratriengenossen über den Sinn des Beschlusses [199] nicht in Zweifel sein konnten. Ebenso unvermittelt erscheint die plötzliche Erwähnung des ,Hauses der Dekeleier‘, welches demselben Schicksal der Missdeutung verfallen ist, wie die D.; kein geringerer als Sauppe hat den Ausdruck zu buchstäblich als Local aufgefasst (a. a. O. 6), das er in Verbindung mit dem Altar des Zeus Phratrios setzte, wogegen C. Schäfer mit Recht Widerspruch erhob (a. a. O. 17); andere haben darunter die Gesamtheit der zur Phratrie gehörigen Demoten von Dekeleia gesehen (so Schoell a. a. O. 21); aber die meisten haben doch richtig das ,Haus‘ als ,Geschlecht‘ der Dekeleier erklärt (wie ja zwischen οἶκος und γένος der Unterschied eher quantitativer Art und der Übergang von dem einen zum andern ein ganz unmerkbarer ist: eine grosse Familie ist einem kleinen Geschlechte gleich, und nur das Gefühl der engeren oder weiteren Gemeinschaft trennt beide), und diese Erklärung ist von Töpffer (Att. Genealogie 289) zur Gewissheit erhoben durch den Nachweis eines Geschlechtes der Dekeleier, welches seinen Ursprung vom Heros Dekelos ableitete (Herod. IX 73), also wohl sicher als Eupatridengeschlecht gelten darf (dies gegen diejenigen, welche behaupteten, dass in der Phratrie der D. kein Adelsgeschlecht sich erhalten hatte und deshalb die demselben zukommende Ehrenstellung an das genannte ,Haus‘ übergegangen sei, Schoell a. a. O. 13. v. Wilamowitz 273). Zweifelhaft dagegen ist es, ob dasselbe die fünf zu wählenden Anwälte aus eigener Mitte (Schöll a. a. O. 18) oder aus allen D. (Schäfer a. a. O. 15. Töpffer a. O. 290) bestellen durfte; weder für das eine, noch für das andere lässt sich aus dem Wortlaut etwas Sicheres entnehmen, und der Hinweis, dass die Zahl von ,fünf‘ erwachsenen Männern für ein Adelsgeschlecht zu stark sei, ist von keinem Gewichte; andererseits wäre das Vorrecht des activen Wahlrechts allein doch zu geringfügig, und auch die Unbestimmtheit des Ausdruckes würde erklärlicher sein, wenn ein ,aus ihrer Mitte‘ ausgelassen wäre; möglich ist es aber auch, dass diese Unbestimmtheit beabsichtigt war, indem es dem Gewissen der Wähler überlassen wurde, alle fünf aus ihrer Mitte zu bestellen oder diesen und jenen tüchtigen Mann aus der Phratrie hinzuzuziehen. Jedenfalls muss dieses Vorrecht als schwaches Rudiment betrachtet werden aus einer Zeit, als noch der Einfluss der Adelsgeschlechter über die Aufnahme in die Phratrie oder die Zurückweisung eines neuen Mitgliedes entschied. Und eben solchen Überrest eines alten Privilegiums müsste man darin erkennen, dass die im Falle einer abgewiesenen Appellation geschuldete Busse von 1000 Drachmen von dem Priester dieses Geschlechtes eingetrieben werden sollte, wenn es nur ganz sicher wäre, dass derselbe als Geschlechtspriester von dem sonst häufig genannten Priester des Zeus Phratrios unterschieden werden dürfe. Dies wäre ja unbestreitbar (wie C. Schäfer a. a. O. 31. Töpffer a. a. O. 16. Sauppe a. a. O. 6 behaupten), wenn nur auf den schon so häufig getadelten Ausdruck des Decretes mehr Verlass wäre; da aber auch der Name der D. nur ganz zufällig genannt wird, so ist nicht unwahrscheinlich, dass hier ebenfalls eine Nachlässigkeit vorliegt und dieser vermeintliche [200] Geschlechtspriester mit dem sonst genannten identisch ist, desto mehr, da er die von ihm eingezogene Busse nicht in die Geschlechtscasse abliefert, sondern an dieselbe Casse des Zeus Phratrios, wie auch sein mutmasslicher College (so Busolt Griech. Alt. 145. Paton a. a. O. 317; Schöll a. O. 22 etwas anders). In diesem Falle würde es ein Privileg des Hauses der Dekeleier sein, den Phratrienpriester zu stellen, was gut passen würde zu dem Charakter dieser alten Geschlechter als Hüter der sacralen Institutionen. Gut würde dazu auch die bevorzugte Stellung dieses Priesters sogar dem jährlich bestellten Phratriarchen gegenüber stimmen; nicht nur wird er bei allen wichtigeren Acten, den Vorsitz in der Phratrienversammlung abgerechnet, gemeinschaftlich mit letzterem und zwar an erster Stelle genannt, sondern wichtige Befugnisse, wie die Eintreibung aller Bussen, ja die Aufzeichnung aller Phratrienbeschlüsse sind ihm allein übertragen, und danach wird man nicht irren, wenn man annimmt, dass das γραμματεῖον, d. h. das Phratrienverzeichnis, welches in dem Heiligtum der D., also wohl beim Altar des Zeus Phratrios in Dekeleia (wo auch die Stele aufgestellt war), bewahrt wurde, sich in seinem Gewahrsam befand, während der Phratriarch sich mit der Copie desselben begnügen musste (damit erledigt sich auch die müssige Frage C. Schäfers a. a. O. 16, warum das Verzeichnis der D. in zwei Exemplaren vorhanden war, während der Demos Halimus nur eines besass – im Demos gab es nur einen Vorsteher, den Demarchen, in der Phratrie der D. zwei, den Priester und den Phratriarchen). Auf den Reichtum des Priesters weisen mehr, als die bedeutenden ihm zustehenden Gebühren, die Bestimmungen hin, dass er sowohl die Decrete auf eigene Kosten aufzeichnen, als auch für die nicht eingetriebenen Bussen aus seinen Mitteln Ersatz, leisten musste. Viel leichter und sicherer ist die Deutung der im zweiten Decrete erwähnten Thiasoi; es waren kleinere Verbindungen von Genossen innerhalb der Phratrien, manche derselben so klein, dass sie nicht drei erwachsene Männer zählten, welche den Adelsgeschlechtern, z. B. dem Haus der Dekeleier, in Bezug auf die Blutsverwandtschaft ihrer Mitglieder entsprachen, nur dass diese Verwandtschaft bei den Demoten (aus denen im Gegensatz zu den Eupatriden diese Thiasoi bestanden) eine in engere Grenzen eingeschlossene gewesen sein wird – ein Gemeinfreier hat weniger Musse und auch weniger Ursache, den weiteren Geschlechtszusammenhang zu wahren, als ein Adeliger, folglich zerfallen bei ersteren die Geschlechter viel leichter und schneller in kleinere durch gemeinsamen Hauscult zusammengehaltene Verbände; nicht geleugnet soll werden, dass manche Mitglieder dieser Thiasoi (selbstverständlich nur Neubürger) nach dem Princip freier Association aufgenommen waren. Es ist eine sehr ansprechende Hypothese, in den Thiasoten die ὀργεῶνες, wie in den Dekeleiern die ὁμογάλακτες oder γεννῆται des Philochoros zu erkennen (frg. 94), wie das die Meinung von Busolt, Sauppe, Schöll, Tarbell ist. Die im Zusatzantrag des Nikodemos verfügten Neuerungen, welche eine Verschärfung des früheren Gesetzes zum Zwecke hatten, liefen auf folgende Bestimmungen hinaus: 1. während [201] früher die drei Zeugen des Neuaufzunehmenden beliebig der Zahl der Phrateren entnommen werden durften, sollten sie in der Folgezeit aus dem Kreise der Thiasoten, als der in alle Verhältnisse des Betreffenden am besten eingeweihten Personen gewählt werden, wobei infolge der Kleinheit dieser Verbände häufig wohl von einer Auswahl nicht die Rede sein konnte, da der Antragsteller selbst den Fall ins Auge fassen muss, dass in einem Thiasos keine drei erwachsenen Zeugen aufzutreiben wären, wo dann die frühere Modalität wieder in Kraft tritt. 2. Dieselben nächststehenden Personen sollen bei der Aufnahme zuerst ihr Gutachten abgeben, wobei sie durch Strafandrohung von etwaiger Conivenz oder Lässigkeit in der Urteilsfindung abgeschreckt werden. 3. Bei der entscheidenden Abstimmung der Phrateren werden gerade die Thiasoten als wegen ihres nahen Verhältnisses zum Einzuführenden der Parteilichkeit sowohl zu seinen Gunsten als Schaden trotz des geforderten Eides verdächtige Richter ausgeschlossen – ganz so wie in einer anderen Phratrie zuerst die Genneten des Aufzunehmenden, dann erst die Phrateren ihre Stimmen abgaben (Is. VII 15. Ps.-Dem. LIX 59). Aber auch alle diese Vorsichtsmassregeln erwiesen sich als ungenügend, denn in dem viel später (vgl. o.) erlassenen Antrage des Menexenos wurden dieselben gegen die Eindrängung unbefugter Personen in die Phratrie, wie es scheint, noch verschärft; wenigstens in dem erhaltenen Anfang ist die Bestimmung getroffen, dass schon im Jahre vor der Darbringung des κούρειον, also mehr denn ein ganzes Jahr vor der schliesslichen Abstimmung über die Aufnahme, die an der folgenden κουρεῶτις stattfand, der Name des Aufzunehmenden samt dem Namen des Vaters nebst Demotikon und dem Namen der Mutter, ihres Vaters und dessen Demotikon schriftlich beim Phratriarchen anzumelden sei und von diesem im Versammlungslocal der Dekeleier, wie vom Priester im Heiligtum der Leto (wohl in Dekeleia) durch Anschlag bekannt gemacht werden müsse. Dies ist, was sich aus der genauen Interpretation der Inschrift für die Verhältnisse der D. feststellen lässt; einige weitere Fragen, wie z.B. über die Beziehungen derselben zum Demos Dekeleia, dürften besser in grösserem Zusammenhange behandelt werden (vgl. Phratria), wo auch die Übereinstimmungspunkte mit dem Statut der delphischen Labyadai (s. d.) zu erörtern sind.

Litteratur: Szanto Rh. Mus. XL 1885, 506-520. G. Gilbert Jahrb. f. Phil. 1887, 23-28. Sauppe De phratriis atticis 1886, 12f. (alle vor Entdeckung des zweiten Teiles der Inschrift). Pantazidis Ἐφ. ἀρχ. 1888. 1f. Lolling Δελτ. ἀρχ. 1888, 159f. C. Schäfer Altes und Neues über die attischen Phratrien. Naumburg a./S. 1888. Tarbell Amer. Journ. of Arch. V 135-154. Paton und Tarbell ebd. VI 314f. Buermann Berl. phil. Woch. 1889 nr. 7f. R. Schöll Die kleisthenischen Phratrien, S.-Ber. Akad. München 1889, 1–25. Sauppe De phratriis atticis comm. altera. 1890. Toepffer Attische Genealogie 11. 289. v. Schoeffer Bürgerrecht und Volksversammlung in Athen I 1891, 277. v. Wilamowitz-Moellendorff Aristoteles und Athen II 259ff. Die Handbücher der griech. Staatsaltertümer [202] von Busolt 208. G. Gilbert I² 214. Hermann-Thumser 326.