RE:Apaturia 2

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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altes ionisch-attisches Geschlechterfest
Band I,2 (1894) S. 2672 (IA)–2680 (IA)
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2) Ἀπατούρια, Name des alten ionisch-attischen Geschlechterfestes, dessen Feier in Attika in den Monat Pyanopsion fiel, Theophr. Char. 3. Schol. Aristoph. Ach. 146. An welchen Monatstagen das mehrere Tage in Anspruch nehmende Fest begangen wurde, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen, da uns die Kalenderzeit der Apaturien nicht überliefert ist. Eine Fülle sehr hypothetischer Ausführungen hierüber bei A. Mommmsen Heortologie 302ff. Vgl. auch A. Schmidt Griech. Chronol. (Jena 1888) 278ff. P. Stengel Griech. Kultusaltert. 160. Boeckh-Fränkel Staatshaush. der Ath. II 10. Die richtige dem Wesen des Festes entsprechende Etymologie des Wortes giebt der Scholiast zu Aristoph. Acharn. 146: οἱ δέ φασιν ὅτι τῶν πατέρων ὁμοῦ συνερχομένων διὰ τὰς τῶν παίδων ἐγγραφὰς οἷον ὁμοπατόρια λέγεσθαι τὴν ἑορτήν· ὁποίῳ τρόπῳ λέγομεν ἄλοχον τὴν ὁμόλεκτρον, καὶ ἄκοιτιν τὴν ὁμόκοιτιν, οὕτω καί Ὁμοπατόρια Ἀπατόρια (vgl. Suid.). O. Müller Prolegom. zu einer wiss. Mythol. 401ff.; Dorier I 82. Boeckh CIG II p. 159. Welcker Aesch. Tril. 288; Nachtr. 202. Meier de gent. att, 11. Hermann Gottesd. Alterth. § 56, 29. G. Curtius Griech. Etymol. 598. A. Mommmsen Heortol. 317. v. Wilamowitz Herm. XXI (1886) 112, 2. Dagegen leitet die Festlegende den Namen der Feier vom Worte ἀπάτη ab und knüpft die Entstehung des Festes an einen Grenzstreit zwischen Attika und Boiotien. Es handelt sich in diesem Rechtsstreit um das an der boiotisch-attischen Landesgrenze gelegene Gebiet von Oinoe-Eleutherai oder [2673] Panakton-Melainai. Die Sage ist uns in verschiedenen Fassungen erhalten. Hellanikos im Schol. Plat. symp. 208. Schol. Plat. Tim. 21. Bekker An. I 416. 417. Etym. Magn. s. Κουρεῶτις u. Ἀπατούρια. Schol. Aristoph. Ach. 146 (Suid. s. Ἀπατούρια); Pax 890. Schol. Aristid. Panathen. III p. 111. Konon 39. Nonnos XXVII 304. Ephoros bei Harpokr. s. Ἀπατούρια. Polyaen. I 19. Strab. IX 393. Apost. III 31. Nach der Sage soll der Boioter Xanthos oder Xanthios den athenischen König Thymoites, den Sohn des Theseiden Oxyntes, zum Zweikampf aufgefordert haben. Da Thymoites sich weigerte, den Zweikampf einzugehen, so erbot sich Melanthos, ein aus Messenien vertriebener Angehöriger des Neleidengeschlechtes, den Kampf für ihn zu bestehen, unter der Bedingung, dass ihm, falls er den Gegner überwinden sollte, die königliche Herrschaft zu teil würde. Man nahm die Bedingung an, und als Xanthos und Melanthos zum Kampfe zusammentraten, erschien hinter dem Rücken des Xanthos ein mit einem schwarzen Ziegenfell bekleideter Mann. Melanthos machte seinen Gegner darauf aufmerksam, dass er gegen die Kampfgesetze handle, indem er einen Begleiter mit in den Zweikampf nehme, und als sich dieser darauf nach dem Begleiter umwendet, tötet ihn Melanthos hinterrücks. Zur Erinnerung an diese List (ἀπάτη) gründen die Athener das Apaturienfest (Ἀπατούρια) und stiften dem Dionysos mit dem schwarzen Ziegenfell (Μελάναιγις) zum Dank für seinen Beistand im Kampfe einen Altar. Dieses ist der wesentliche Inhalt der in Einzelheiten von einander abweichenden Quellenberichte. Die Differenzen sind nicht von Belang und brauchen im einzelnen hier nicht erörtert zu werden. Auch Zeus Apaturios wird in die Festlegende hineingezogen, doch ist die Rolle, welche er in derselben spielt, ziemlich unverständlich und dunkel. Sicher ist, dass im Kultus seiner gedacht wurde; vgl. Bekker An. I 416. Konon 39. Preller-Robert Griech. Mythol. I 148. Toepffer Att. Geneal. 231. Maass Gött. Gel. Anz. 1889, 804ff. Die uns erhaltene Fassung der Apaturienlegende ist nicht älter, als das fünfte Jhdt. (Hellanikos). v. Wilamowitz (Hermes XXI 112, 2) hat darauf hingewiesen, dass auch die Sage nicht wohl älter sein könne: ,Denn ein Grenzstreit um Oinoe ist erst um 508 denkbar, und im Geschlechterstaat konnte die Bedeutung der ἀπατόρια = ὁμοπάτρια nicht vergessen werden, geschweige die Aitiologie von ἀπάτη aufkommen‘. Das ursprüngliche Local der Sage ist der attische Demos Μελαιναί, denn Μέλανθος ist der Eponymos dieses Ortes. Vgl. auch v. Wilamowitz Aristot. und Athen II 129. Die Sage lässt den Μέλανθος aus Messenien einwandern und macht ihn zum Ahnherrn einer neuen Dynastie der Athener. Er spielt in Attika sonst keine Rolle, denn seine Nachkommen, das Königsgeschlecht der Athener, sollen nicht von ihm, sondern von Medon ihren Namen erhalten haben (Paus. IV 5, 10 τοὺς γὰρ ἀπὸ Μελάνθου, καλουμένους δὲ Μεδοντίδας). Es scheint, dass er nur das Bindeglied war, welches die athenischen Medontiden mit den messenischen Neleiden verknüpfen sollte, um dann nach Asien hinüberzuführen. Beachtenswert ist ferner die Verbindung dieses Heros, der in der Sage nur locale Bedeutung hatte, mit Eleusis, [2674] dessen Priester ihn auf seinem Wege von Messenien nach Attika aufgenommen haben sollen (Demon bei Athen. III 96). Leider steht diese Nachricht ganz vereinzelt da, doch scheint es bei den alten Kultbeziehungen zwischen Messenien und Eleusis, dass der beiden Orten gemeinsame Poseidondienst bei der Erklärung dieser Tradition heranzuziehen ist. Der Kithairon und Eleusis liegen auf dem Wege von Messenien nach Athen. Die messenischen Neleiden verehrten den Poseidon als ihren göttlichen Ahnherrn und Eleusis war eine Hauptstätte seines Kultes. Der Gott der Meereswogen führt selbst den Beinamen Μέλανθος (Lykophr. 767 u. Schol.). Das ist sehr berücksichtigenswert. Der Heros Melanthos berührt sich in seinem Wesen mit Poseidon ebenso wie mit Dionysos Μελάναιγις, dem zu Ehren man in Hermione ein Wetttauchen veranstaltete (Paus. II 35, 1. Toepffer Att. Geneal. 231, 3). Er kann deshalb sehr gut Heros Eponymos von Μελαιναί gewesen sein, was mit Unrecht bestritten worden ist (Maass a. a. O. 805, 3). Wie Melainai, so hängen auch die Orte Oinoe (in der aitolischen Heldensage sind Melos und Oineus Brüder, Il. XIV 117) und Eleutherai mit dem Dionysoskultus eng zusammen und spielen in den Sagen, die an diesen Gott anknüpfen, eine Rolle. Diod. III 66. IV 2. Suid. s. Μελαναίγιδα. Über das Verhältnis von Oinoe zu Eleutherai vgl. v. Wilamowitz Herm. XXI 112. In Panakton (Melainai) sind, wie wir aus einer Inschrift ersehen, im 3. Jhdt. v. Chr. die Apaturien von der dort stationierten Garnison begangen worden (Philios Ἐφ. ἀρχ. 1884, 135 Z. 29. v. Wilamowitz a. a. O. 112, 3).

Für die inhaltliche Beurteilung der Apaturienlegende ist das bei Polyaen. I 19 erhaltene pythische Orakel von Belang: Τῷ Ξάνθῳ τεύξας ὁ Μέλας φόνον ἔσχε Μελαινάς. Diese Gegenüberstellung des ‚Blonden‘ und ‚Schwarzen‘ ist keine zufällige. Den Kampf, den hier die Heroen ausfechten, haben in einem früheren Stadium der Sagenbildung zwei Götter gekämpft. Wie Μέλανθος nichts anderes als ein heroisierter Beiname des Poseidon ist, so ist Ξάνθος ein zum Heros erstarktes Beiwort des Apollon. Der Streit zwischen diesen beiden Gottheiten bildet den ursprünglichen Inhalt der attischen Apaturiensage. Dieser Inhalt ist in der uns erhaltenen Fassung der Legende stark verdunkelt. v. Wilamowitz (a. a. O. 112) hat die Vermutung ausgesprochen, dass ,der König Ξάνθιος oder Ξάνθος, der ,Blonde‘, der von der Hand des ‚Schwarzen‘ fällt, als Boioterkönig erst von Hellanikos d. h. der Atthis eingeführt sein wird, um so mehr, als es niemals Könige von Boiotien gegeben hat‘. Diese Vermutung ist sehr ansprechend. Wir besitzen eine bei Pausanias (IX 5, 16) erhaltene Version der Sage, nach der nicht Melanthos, sondern Andropompos als Gegner des Xanthos im Zweikampf erscheint (τοῦ Δαμασίχθονος Πτολεμαῖος, τοῦ δὲ Ξάνθος, ὃν Ἀνδρόπομπος μονομαχήσαντά οἱ δόλῳ καὶ οὐ σὺν τῷ δικαίῳ κτείνει). Andropompos gehört der ionisch-attischen Colonialsage an, er ist ,der den Wanderern das Geleite giebt‘ und hat nur als Name Bedeutung. Toepffer Att. Geneal. 225f. 235. v. Wilamowitz Aristot. II 129. Die an ihn geknüpfte Sage weiss von der hülfreichen List des Gottes [2675] (Μελάναιγις) nichts, sondern lässt den Boioterkönig eine Unredlichkeit im Kampfe begehen. An diesen Zweikampf wird dann ein Wandel in der Regierungsform der Thebaner geknüpft. Wir haben es hier augenscheinlich mit einer späteren (boiotischen) Sagengestaltung zu thun, die auf Grund der Apaturienlegende entstanden sein wird.

Es ist beachtenswert, dass der in die Apaturiensage und -Feier verflochtene Gott Dionysos auch bei dem alten Geschlechterfest der Theoinia, ἐν οἷς οἱ γεννῆται ἐπέθυον (Harpokrat. s. Θεοίνια), eine hervorragende Rolle spielte; vgl. Phot. s. Θεοίνια. Bekker An. I 264. Hesych. s. Θεοίνια· θυσία Διονύσου Ἀθήνησιν· καὶ θεὸς Θέοινος Διόνυσος. Dionysos wurde an diesem Fest als πατὴρ Θέοινος mit seinem schwärmenden Gefolge, den Mainaden, gefeiert (Aischylos FTG 397). In diesem Zusammenhang ist die Erklärung für die ὀργεῶνες und θίασοι in der attischen Bürgerschaft zu suchen, für die wir aus den Inschriften nähere Aufklärung erwarten dürfen. Die aus alten Adelsgeschlechtern gebürtigen 14 Gerairai schworen alljährlich in Athen am Anthesterienfeste, dass sie nach Väterweise und zur festgesetzten Zeit die Theoinienfeier begangen hätten (Urkunde d. Rede gegen Neaira 78. Toepffer Att. Geneal. 12). In derselben Rede des Lykurgos (Diadikasie der Krokoniden gegen die Koironiden), aus der Harpokration die Theoinia citiert, geschah auch der Oinoptai Erwähnung, die ebenfalls mit dem dionysischen Religionskreise im Zusammenhang stehen (Athen. X 425). Diese Oinopten bildeten ein wählbares Beamtencollegium, das bei der Apaturienfeier für das körperliche Wohl der Festteilnehmer zu sorgen hatte (Eupolis Kock CAF I 314. Schol. Aristoph. Ach. 146. Phot. s. οἰνόπται· ἐπιμεληταὶ τοῦ τοὺς φρατέρας ἡδὺν οἶνον ἔχειν). Diese Thätigkeit der Oinopten bezog sich offenbar auf den Festschmaus der Phrateren am Apaturienfeste, zu dem die Väter der neuaufzunehmenden Kinder Weinspenden und andere Opfergaben beisteuerten; vgl. Pollux III 52. Steph. Byz. s. φατρία. Über das Verhältnis der Apaturien zu den Theoinien lässt sich bis jetzt leider nichts Näheres sagen, da die Nachrichten über die letzteren zu spärlich fliessen, um uns eine klare Vorstellung von diesem Fest zu geben. Schon im späteren Altertum scheint über dasselbe nur wenig bekannt gewesen zu sein.

Der erste Tag des Apaturienfestes hiess δορπία oder δορπεία, an welchem die Phratoren sich des Abends zu einem gemeinsamen Festessen versammelten. Die Thätigkeit der Oinopten und Protenthen hängt mit diesem Festmahl zusammen. Sie hatten dafür zu sorgen, dass die Phratoren genügend Getränke erhielten, Athen. IV 171 D. Apost. III 31. Bekker An. I 417. Schol. Plat. 424. Suid. Hesych. s. Ἀπατούρια u. δορπία. Schol. Aristoph. Ach. 146; Pax 890; Nub. 1198. Näheres bei Meier De gent. att. 12. Mommmsen Heortol. 307. Toepffer Att. Geneal. 106 und in den Handbüchern.

Der zweite Feiertag wurde ἀνάρρυσις genannt, nach dem ἀναρρύειν der Opfertiere, die an diesem Tage geschlachtet wurden. Die Opfer sollen nach Schol. Aristoph. Ach. 146 dem Zeus Phratrios und der Athena Phratria dargebracht worden sein; vgl. Suid. s. ἀνάρρυσις. Et. M. 533, [2676] 48. Schol. Aristoph. Pax 890. Bekker An. I 417. Die Zeugnisse der Schriftsteller widersprechen sich vielfach. Näheres bei Hermann Gottesd. Altert. § 56, 29. Mommmsen Heortol. 309. Meier De gentil. att. 13. Daremberg et Saglio Dictionnaire I 301. Toepffer Att. Geneal. 13. v. Wilamowitz Aristot. II 259ff.

Der dritte Festtag hiess κουρεῶτις. An ihm wurden die Kinder zur Aufnahme in die Phratrie den versammelten Phratoren vorgestellt und ihre Namen von dem Phratriarchos in die Listen der Phratrie eingetragen. Der Vater des Kindes hatte den Schwur zu leisten, dass er dasselbe mit einer ihm rechtmässig vermählten Frau erzeugt habe, worauf die Abstimmung über das Kind erfolgte. Jeder, der ein Kind zur Aufnahme in die Phratrie anmeldete, war zur Leistung einer Opfersteuer verpflichtet. Die an den Apaturien stattfindende Aufnahme in die Phratrie gab häufig Anlass zu Streitigkeiten und Processen und die uns erhaltenen attischen Gerichtsreden sind voll von juristischen Details, die sich auf die Approbation und Reception der neu aufzunehmenden Kinder beziehen. Vgl. die Handbücher über die griechischen Staatsaltertümer von Hermann-Thumser, G. Gilbert, Meier-Schoemann und G. Busolt.

Durch die Auffindung des umfangreichen Receptionsgesetzes der Demotionidenphratrie in Dekeleia (aus dem Archontatsjahre des Phormion 396/5 v. Chr.) ist unsere Kenntnis des Aufnahmemodus um viele Einzelheiten bereichert und die staatsrechtliche Stellung der attischen Phratrien in vielen Punkten aufgeklärt worden (CIA II 841 b. C. Schäfer Altes und Neues über die attischen Phratrien, Naumburg 1888. Pantazides Ἐφημ. ἀρχ. 1888, 1ff. Lolling Δελτίον ἀρχ. 1888, 159ff. Tarbell Papers of the American school at Athens 1889. Toepffer Att. Geneal. 9ff. R. Schöll S.-Ber. Akad. Münch. 1889, 1ff. A. Mommmsen Jahresber. LX 1889, 247ff. H. Sauppe De phratriis atticis commentatio altera, Göttingen 1890. v. Wilamowitz Aristot. II 259ff.). Die Demotionideninschrift lehrt uns, dass die Phratriensacra nicht, wie man früher annahm, sämtlich in Athen begangen wurden, sondern dass dieselben in den einzelnen, local über ganz Attika zerstreuten Phratriencentren stattfanden. Was die Bedeutung der bisher nur aus den nicht widerspruchsfreien Grammatikerangaben bekannten, am Tage der κουρεῶτις stattfindenden Opfer μεῖον und κούρειον betrifft, so steht jetzt durch die Demotionideninschrift fest, dass das μεῖον sowohl für Knaben als auch für Mädchen dargebracht wurde, und die Ansicht, welche in dem μεῖον ein Opfer für die Mädchen, in dem κούρειον eins für die Knaben sah, unrichtig ist. Das κούρειον hat mit der Aufnahme der neugeborenen Kinder nichts zu schaffen, sondern bezeichnet das Opfer, welches bei der zweiten Aufnahme der Jünglinge dargebracht wurde, während für die Jungfrauen bei ihrer Verheiratung, die ihren Übertritt in die Phratrie des Mannes bedingte, von ihrem Gatten die γαμηλία geopfert wurde. Vgl. R. Schöll S.-Ber. Akad. Münch. 1889, 7. H. Sauppe De phratriis atticis comm. altera 9ff. v. Wilamowitz Aristot. II 271. Mit dem Kureionopfer hängt wohl die Sitte zusammen, die Knaben an dem Kureotistage [2677] Proben ihrer Fortschritte im Unterricht ablegen zu lassen. Plat. Tim. p. 21 B. Stengel Griech. Sacralaltert. 160. Von beiden Opfern, sowohl vom μεῖον als auch vom κούρειον, erhält der Priester der Phratrie seinen Opferanteil. Auffallend ist es, dass in dem Demotionidendecret nur von dem Opfer an Zeus Φράτριος die Rede ist, während wir wissen, dass Athena unter dem Beinamen Φρατρία ebenso an dem Phratrienkultus Anteil hatte (Plat. Euthyd. p. 302 D. Schol. Aristoph. Ach. 146. Preller-Robert Griech. Myth. I 219. Toepffer Att. Geneal. 13). Eine Erklärung dieser religionsgeschichtlich beachtenswerten Thatsache ist noch nicht gefunden; vgl. H. Sauppe a. a. O. 10. Neben Zeus und Athena hatten die Phratrien alle natürlich noch ihre besonderen Gottheiten, v. Wilamowitz Aristot. II 268. Die Besprechung der zahlreichen, die Aufnahme in die Phratrie betreffenden Einzelheiten, die wir durch das Decret der Demotionidai kennen lernen, gehört in eine staatsrechtliche Erörterung über die attischen Phratrien, nicht in eine Behandlung des heortologischen Artikels Apaturien.

Über die Zeitdauer der Apaturienfeier schwanken unsere Nachrichten aus dem Altertum. Während die meisten Quellen drei Festtage angeben, werden in anderen vier Tage auf die Feier des Festes gerechnet: Hesychios s. Ἀπατούρια· ἑορτὴ Ἀθήνησιν ἐπὶ ἡμέρας τέσσαρας, ὧν ἡ πρώτη δόρπεια καλεῖται, ἡ δευτέρα ἀνάρρυσις, ἡ τρίτη κουρεῶτις, ἡ τετάρτη ἔπιβδα. Vgl. Simplicius zu Aristot. Phys. IV p. 167 A. Doch beruht die Angabe, dass die Feier sich auf vier Tage ausgedehnt habe, wohl auf einem Irrtum, da man mit dem Worte ἔπιβδαι allgemein die Tage bezeichnete, die auf ein Fest folgten (Phot. s. μεθέορται. Pollux I 34). Vgl. Meier De gentil. attica 14. Hermann Gottesd. Altert. § 46, 8. 56, 30. Boeckh-Fränkel Staatsh. d. Athener II 10. Die athenischen Behörden hatten während der Apaturien fünftägige Ferien: Athen. IV 171 D: εὑρίσκω δὲ καὶ ψήφισμα ἐπὶ Κηφισοδώρου ἄρχοτος Ἀθήνησι γενόμενον, ἐν ᾧ ὥσπερ τι σύστημα οἱ προτένθαι εἰσί, καθάπερ καὶ οἱ παράσιτοι ὀνομαζόμενοι, ἔχον οὕτως· Φῶκος εἶπεν· ὅπως ἂν ἡ βουλὴ ἄγῃ τὰ Ἀπατούρια μετὰ τῶν ἄλλων Ἀθηναίων κατὰ τὰ πάτρια, ἐψηφίσθαι τῇ βουλῇ ἀφεῖσθαι τοὺς βουλευτὰς τὰς ἡμέρας ἅσπερ καὶ αἱ ἄλλαι ἀρχαὶ αἱ ἀφεταὶ ἀπὸ τῆς ἡμέρας ἧς οἱ προτένθαι ἄγουσι πέντε ἡμέρας. Die frühere Praxis ist aus Xen. Hell. I 7, 8 ersichtlich.

Als specielle Beschützer der Apaturien wurden in den verschiedenen Ländern verschiedene Gottheiten verehrt. Neben Zeus Φράτριος und Athena Φρατρία spielt in Attika namentlich Dionysos Μελάναιγις als Apaturiengott eine Rolle. Über das historische Verhältnis seines Kultes zu dem der beiden anderen Apaturiengottheiten lässt sich nichts mit Sicherheit sagen. Die Bedeutung dieses Gottes für die Apaturienfeier können wir fast nur aus der Legende erschließen, weniger aus kultlichen Thatsachen ermitteln (Et. M. 118, 54 Ἀπατούρια· ἑορτὴ ἐπιτελουμένη τῷ Διονύσῳ τῷ Πυανοψιῶνι μηνί). Die sacrale Vereinigung und merkwürdige Häufung so verschiedenartiger Gottesdienste ist wohl auf eine nationale Ausgleichung ehemals unverbundener Bevölkerungselemente zurückzuführen. [2678] Nach Istros bei Harpokr. s. λαμπάς wurde an den Apaturien auch des Hephaistos gedacht. Wie Istros bezeugt, pflegten die Athener am Apaturienfeste (ἐν τῇ τῶν Ἀπατουρίων ἑορτῇ) Fackeln am Heerde anzuzünden und in Prachtgewändern dem Hephaistos zu opfern. Wir sind nicht imstande, dieses Hephaistosopfer mit einem bestimmten Festtage der Apaturien in Verbindung zu bringen. Ebenso problematisch ist der Versuch, die von Istros erwähnte apaturische Fackelfeier mit dem Fest der Hephaisteia zu identificieren (A. Mommmsen Heortol. 311). Vgl. Meier De gentil. att. 13. N. Wecklein Herm. VII 449ff. Schömann Gr. Altert. II 495. Preller-Robert Griech. Myth. I 180. P. Stengel Gr. Kultusaltert. 160, 15. A. Schmidt Handb. d. Chronol. (Jena 1888) 281. Hesychios (s. Κουρεῶτις) berichtet, dass an dem dritten Festtage der Apaturien der Artemis ein Haaropfer dargebracht worden sei: κουρεῶτις μηνὸς τοῦ Πυανοψιῶνος ἡμέρα, ἐν ᾗ τὰς ἀπὸ τῆς κεφαλῆς τῶν παίδων ἀποκείραντες τρίχας Ἀρτέμιδι θύουσιν; vgl. Diod. V 73 (Artemis Κουροτρόφος). Paus. IV 34, 3 (Artemis Παιδοτρόφος). Hermann Gottesd. Altert. § 56, 29. Preller-Robert Gr. Myth. I 319. Auch die Sitte der troizenischen Jungfrauen, dem Hippolytos vor ihrer Vermählung ihr Haar zu weihen, gehört in diesen Zusammenhang, Eurip. Hippol. 1425. v. Wilamowitz Eurip. Hippolytos (Berlin 1891) 24ff. Ferner waren Zeus Ἑρκεῖος und Apollon Πατρῷος nicht nur Geschlechts-, sondern auch Phratriengötter und werden demgemäss auch bei der Feier der Apaturien eine Rolle gespielt haben. Vgl. Plat. Euthyd. 302 D. Dittenberger Syll. 360 n. 7. Preller-Robert Gr. Myth. I 147. 273. R. Schöll S.-Ber. Akad Münch. 1889, 25. Artemis neben Apollon Πατρῷος CIA III 176. Man wird überhaupt annehmen dürfen, dass alle speciell von Phratrien verehrte Gottheiten auch mit der Feier der Apaturien in irgend einer Weise verflochten waren. Dittenberger Syll. 360. CIA II 1652. 1653. 1657. 1664 u. s. Bull. hell. IV 168. V 224. R. Schöll a. a. O. 25, 1. v. Wilamowitz Aristot. II 267ff. Wie das Vorhandensein von Phratrien und Phratriengottheiten, so gewährt auch das Vorhandensein des Monats Apatureon oder Apaturion (in Delos, Samos, Tenos, Iasos, Kyzikos, Zelea, Olbia; vgl. E. Bischoff De fastis Graecorum antiquioribus, Lpz. 1884) einen sichern Anhaltspunkt für die Annahme, dass an dem betreffenden Orte die Apaturien gefeiert wurden.

Für die Frage nach der Verbreitung und Ausdehnung der Apaturienfeier giebt uns Herodot eine grundlegende Nachricht, indem er die Feier dieses Festes als Kennzeichen und Merkmal des reinen Ionertums hinstellt I 147 : εἰσὶ δὲ πάντες Ἴωνες, ὅσοι ἀπ’ Ἀθηνέων γεγόνασι καὶ Ἀπατούρια ἄγουσι ὁρτήν· ἄγουσι δὲ πάντες πλὴν Ἐφεσίων καὶ Κολοφωνίων· οὗτοι γὰρ μοῦνοι Ἰώνων οὐκ ἄγουσι Ἀπατούρια, καὶ οὗτοι κατὰ φόνου τινὰ σκῆψιν. Die Thatsache, dass in Ephesos und Kolophon im Gegensatz zu der allgemein ionischen Sitte die Apaturien nicht begangen wurden, muss tiefere Gründe gehabt haben, als Herodot angiebt, und wird wohl dadurch zu erklären sein, dass die alteingesessene Bevölkerung hier nicht in dem Grade in den ionischen Zuwanderern aufgegangen [2679] war, wie an anderen Orten des ionischen Küstengebietes.

Apaturienfeier in anderen Staaten. Von der Feier der Apaturien hören wir durch die Zeugnisse der Schriftsteller und Inschriften in den ionischen Colonien am schwarzen Meere. Strabon XI 495 bezeugt uns in der teischen Tochterstadt Phanagoreia ein ἱερὸν τῆς Ἀφροδίτης ἐπίσημον τῆς Ἀπατούρου. Der Kultus dieser Göttin ist von den Teieren zur Zeit der Bedrängnis durch die Perser an die Küste der Maiotis Limne getragen worden; vgl. Neumann Die Hellenen im Skythenlande 559ff. Der Feier der Apaturien hat in diesen Gegenden eine andere Legende zu Grunde gelegen als in Attika. Dieselbe ist erhalten bei Strabon a. a. O.: ἔστι δὲ καὶ ἐν τῇ Φαναγορίᾳ τῆς Ἀφροδίτης ἱερὸν ἐπίσημον τῆς Ἀπατούρου· ἐτυμολογοῦσι δὲ τὸ ἐπίθετον τῆς θεοῦ μῦθόν τινα προστησάμενοι, ὡς, ἐπιθεμένων ἐνταῦθα τῇ θεῷ τῶν Γιγάντων, ἐπικαλεσαμένη τὸν Ἡρακλέα κρύψειεν ἐν κευθμῶνί τινι, εἶτα τῶν Γιγάντων ἕκαστον δεχομένη καθ’ ἕνα τῷ Ἡρακλεῖ παραδιδοίη δολοφονεῖν ἐξ ἀπάτης; vgl. Steph. Byz. s. Ἀπάτουρον. Auch in dieser Sagenfassung ist der Begriff des Betruges (ἀπάτη) der Etymologie der Ἀπατούρια zu Grunde gelegt worden; vgl. M. Mayer Giganten und Titanen (Berlin 1887) 186. Aus den Inschriften ersieht man, dass Aphrodite Ἀπάτουρος oder Ἀπατουριάς in dem Kultus der ionischen Colonien am schwarzen Meere eine hervorragende Rolle spielte. Das Fest, welches ihrer Verehrung insonderheit gilt, werden die Apaturien gewesen sein. Latyschew Inscript. or. sept. P. Eux. II 19 Z. 11 Ἀπφροδ[ε]ίτῃ Οὐ[ρανίᾳ Ἀπατούρ]ου μεδεούσηι. Unter dem Ἀπάτουρον ist, wie der Herausgeber der Inschrift richtig bemerkt, das Heiligtum der Göttin zu verstehen. Vgl. noch Latyschew a. a. O. 28. 343. 352. 469. Röhl IGA 350. A. Kirchhoff Studien zur Gesch. des griech. Alphabetes (Gütersloh 1887) 37. Über die von Strabon erwähnte Apaturiensage und ihren Zusammenhang mit Aphrodite als Apaturiengöttin vgl. O. Müller Prolegomena zu einer wiss. Mythologie 401. Boeckh CIG II p. 159. Hermann Gottesdienst. Altert. § 66, 32. Engel Kypros II 238. Preller-Robert Griech. Myth. I 348, 1. 378. Latyschew a. a. O. II p. 18.

Eine andere Fassung der Apaturiensage wird uns aus Troizen überliefert. Nach Pausanias II 33, 1 wurde Athena hier unter dem Namen Ἀπατουρία verehrt, einem Beinamen, den sie von Aithra erhalten haben soll, die als Stifterin ihres Kultes angesehen wurde. Nach der Sage, die uns Pausanias überliefert, soll nämlich Aithra durch einen Traum veranlasst haben, sich auf die Insel Sphaira bei Troizen zu begeben, um hier dem Heros Sphairos, dem Wagenlenker des Pelops, zu opfern, und bei dieser Gelegenheit von Poseideon verführt worden sein. Zur Erinnerung an dieses Ereignis stiftete Aithra auf der Insel einen Tempel der Athena Ἀπατουρία und begründete den Brauch, dass jede troizenische Jungfrau bei ihrer Vermählung dieser Göttin einen Gürtel weihte. Auch in der troizenischen Legende ist die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Ἀπατουρία missverstanden und der Begriff des Betruges (ἀπάτη) demselben untergelegt worden. Es unterliegt keinem Zweifel, dass der Dienst [2680] der Athena Ἀπατουρια in Troizen mit der Feier des ionischen Apaturienfestes zusammenhängt und dass die troizenische Apaturia der athenischen Athena Φρατρία entspricht, die als Beschützerin der Apaturien verehrt wurde. Vgl. eine andere Version der Sage bei Hygin. fab. 37. O. Müller Kleine Schriften II 167ff. Schömann Griech. Altert. II 548. PrellerRobert Griech. Myth. I 219. S. Wide De sacris Troezeniorum (Upsala 1888) 16.

Ferner liegt uns über die Apaturienfeier auf der Insel Samos ein Zeugnis vor. In der ps.-herodoteischen Biographie Homers (29 p. 15 Westerm.) wird berichtet, dass Homer auf der Reise nach Hellas auf Samos gelandet sei, wo man gerade das Apaturienfest gefeiert und den Sänger aufgefordert habe, an dem Fest teilzunehmen. Doch wurde Homer der Legende zufolge von der Priesterin der Kurotrophos vom Opfer zurückgewiesen, worauf er sie in Hexametern verfluchte (Ὅμηρος ἐς Ἑλλάδα βουλόμενος ποιήσασθαι τὸν πλοῦν προσίσχει τῇ Σάμῳ· ἔτυχον δ’ οἱ ἐκεῖσε τὸν τότε καιρὸν ἄγοντες ἑορτὴν Ἀπατούρια· καὶ τις τῶν Σαμίων ἰδὼν τὸν Ὅμηρον ἀπιγμένον, πρότερον αὐτὸν ὀπωπὼς ἐν Χίῳ, ἐλθὼν ἐς τοὺς φράτορας διηγήσατο, ἐν ἐπαίνῳ μεγάλῳ ποιεύμενος αὐτόν. οἱ δὲ φράτορες ἐκέλευον ἄγειν αὐτόν. ὁ δ’ ἐντυχὼν τῷ Ὁμήρῳ ἔλεξεν· ‚ὦ ξένε, Ἀπατούρια ἀγούσης τῆς πόλιος καλουσί σε οἱ φράτορες οἱ ἡμέτεροι συνεορτάζοντα‘. ὁ δ’ Ὅμηρος ἔφη ταῦτα ποιήσειν, καὶ ᾔει μετὰ τοῦ καλέσαντος· πορευόμενος δ’ ἐγχριμπτεται γυναιξὶ Κουροτρόφῳ θυούσαις ἐν τῇ τριόδῳ· ἡ δ’ ἱέρεια εἶπε πρὸς αὐτὸν δυσχεράνασα τῆ ὄψει· ‚ἄνερ ἀπὸ τῶν ἱερῶν‘). Welche Göttin auf Samos unter dem Namen der Kurotrophos an den Apaturien verehrt wurde, wissen wir nicht; auch die Legende, die der samischen Apaturienfeier zu Grunde lag, ist uns nicht erhalten.

Nachträge und Berichtigungen

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Band S I (1903) S. 99 (EL)–100 (EL)
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S. 2673 zum Art. Apaturia Nr. 2:

Einen Bericht über den Ursprung des Festes der A. bringt auch der arabische Literarhistoriker Ibn al-Ḳifṭi (1172—1248) in seiner ,Geschichte der Philosophen‘. Als Gewährsmann nennt er selbst Theon d. i. der Smyrnaeer Theon (um 140 n. Chr.); die Erzählung bei Ibn al-Ḳifṭi stimmt im wesentlichen überein mit der Darstellung im [100] Scholion zu Platons Symposion; hier wie dort wird der ursprüngliche Naine des Festes als Ἀπατηνόρια angegeben. Vgl. J. Lippert Ibn al-Ḳifṭi über den Ursprung der Apaturien, ZDMG XLVIII 486ff.

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Band R (1980) S. 34
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Apaturia

2) Ion.-att. Fest. (L) S I.