RE:Dendrophori
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Band V,1 (1903) S. 216–219 | |||
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Dendrophori (gr. δενδροφόροι, Lydus de mens. IV 59 [41]). Wir erfahren aus Strabon (X 468), dass in mehreren griechischen Culten δενδροφορίαι gefeiert wurden, d. h. dass ein Baum, der wohl die Stelle des Gottes vertritt, feierlich herumgetragen wurde. Solche Processionen fanden besonders zur Ehre von Dionysos, der ja δενδρίτης heisst (Plut. quaest. conv. V 3, 1), und von Demeter statt. Es waren oft Sclaven, die den heiligen Baum trugen (Artemid. oneir. II 37 p. 134).
Dass ein solcher Umzug auch im Orient dem Kybeledienst angehört hat, ist kaum zweifelhaft, obwohl wir ihn erst in Rom kennen lernen. Am 22. März, zur Zeit der Frühlingsnachtgleiche, wurde eine Fichte, mit Wollenbinden umwickelt und mit Veilchen geschmückt, welche den verstorbenen Attis darstellte (s. o. Bd. II S. 2249), mit grossem Pomp zum Palatintempel gebracht (Calend. Philoc. XI kal. Apr. Arbor intrat. Baehrens Poet. lat. min. III 292 v. 108: Arboris excisae truncum portare per urbem, vgl. Mommsen CIL I² p. 313). Dieses Fest wurde durch Kaiser Claudius in Rom eingeführt (Lydus de mens. IV 59 [41]), und es ist wohl mit Recht vermutet worden, dass die Sorge, den Baum abzuschneiden und einzubringen, den fabri lignarii übertragen wurde, welche seitdem den griechischen Namen dendrophori übernahmen. Diese fremde Bezeichnung ist die einzig übliche, denn der Titel der hastiferi ist schwerlich eine Übersetzung des Wortes D., wie man angenommen hat (Maué Philol. N. F. I 1889, 487f.; vgl. o. S. 396). Seit dem Ende des 1. Jhdts. erscheinen diese D. auf römischen Inschriften (CIL VI 641 [J. 97], vgl. 30 973. 642. 1040 [Septimius Severus]. 29 691 [J. 206], 29 725. Orelli 4412 [J. 107]: vgl. Hülsen Röm. Mitt. 1891, 109). Ihre Vereine wurden, wohl seit der Zeit des Claudius, vom Senat rechtlich anerkannt (Collegium dendrophor. Romanor. quibus ex S. C. coire licet CIL VI 29 691, vgl. V 7881).
Mit dem Dienst der Mater magna verbreiteten sich die collegia dendrophorum in ganz Italien und den lateinischen Provinzen. In Ostia sind ihre Inschriften besonders zahlreich (CIL XIV 33 [J. 143]. 45. 53. 67 [J. 142]. 69. 71 [J. 196]. 97 [J. 139]. 107. 280 [J. 147], 281–283. 309. 324 [J. 203]. 364. 409). Sie kommen vor in Mittelitalien zu Tusculum (XIV 2634). Gabii (XIV 2809 [J.220], Signia (X 5968), Verulae (X 5796 [J. 197]), Antinum (IX 3836f. 3842). Alba Fucens (IX 3938), Carsioli (IX 4067f.). Faesulae (XI 1551f.), Luna (XI 1355). Asisium (XI 5416), Fanum (XI 4086). Ocriculum (XI 6362 [J. 202]), Sassina (XI 6520), Sentinum (XI 5749 [J. 261]). Pisaurum (XI 6362), Ariminum (XI 377), Parma (XI 1059), Falerio (IX 5439); in Süditalien zu Cumae (X 3699 [J. 251]. 3700), Puteoli (X 1786 [J. 196]. 1790). Suessula (X 3764), Ligures Baebiani (IX 1459. 1463). Atina (X 8100), Volceii (X 8107). Eburum (X 451); [217] im Silarusthal (X 445), zu Regium Iulium (X 7 [J. 79]), vgl. IX 939. X 435; in Ligurien und Cisalpina zu Cemenelum (V 7904), Pollentia (V 7617. 7618), Mediolanium (V 5465. 5840. 5902), Comum (V 5275. 5296), Bergomum (V 5128. 5135), Brixia (V 4341 [3. Jhdt.]. 4388. 4418), Verona (V 3312), Bellunum (Cagnat Année épigr. 1888 nr. 132) , Berua (V 2071), Feltria (ebd.), Patavium (V 2794), Aquileia (V 1012), Pola (V 81. 82); in Dalmatien zu Salona (III 8823); in den Donauprovinzen zu Igg (III Suppl. 10 738), Siscia (10 858), Apulum (III 1217). Gergina (III 7516), Tomi (III 763), Troesmis (III 7505, nach 170); in Gallien zu Massilia (XII 411), Nemausus (XII 5953), Valentia (XII 1744), Vienna (XII 1878. 1917), Lugdunum (XIII 1723. 1751 [J. 160]. 1752 [J. 190]. 2026), Amsoldingen (XIII 5153); in Africa zu Mactaris (Cagnat Année épigr. 1892 nr. 18), Carthago (VIII 12 570 unter Probus), Thugga (VIII 15 527), Cirta (VIII 6940f.), Thamugadi (VIII 17907), Rusicade (VIII 7956), Sitifis (VIII 8457 [J. 288]), Caesarea (VIII 9401. Ephem. epigr. V 1027). Die älteste datierte Inschrift ist also CIL X 7 (Regium) des J. 79 n. Chr., und in Rom VI 642 des J. 97, die jüngste VIII 8457 (Sitifis) des J. 288. Die meisten gehören dem 2. und dem Anfang des 3. Jhdts. an.
Das Geschäft der D. als Handwerker lässt sich nicht genau feststellen. Sind sie Holzfuhrleute (so Maué), Holzhauer oder Holzhändler, die Texte geben uns darüber keine Auskunft. Ein Relief aus Bordeaux- (abgeb. Daremberg et Saglio Dict. II 102 fig. 2330) scheint D. darzustellen, die einen Baumstamm mit Seilen tragen. Jedenfalls stehen sie mit den fabri und centonarii (s. d.) in enger Verbindung und werden in den Inschriften oft zusammen mit ihnen genannt, weil ihnen im Verein mit diesen beiden anderen Collegien der Feuerlöschdienst oblag. Alle drei nahmen in den Municipien eine angesehene Stellung ein, sie sind die tria collegia principalia oder kurz tria collegia (CIL V 7881. XI 5749). Sie trugen also einen officiellen Charakter, der sich mit der Zeit immer mehr verschärfte. Sie hatten wohl im 4. Jhdt. die Lieferung des Holzes für den öffentlichen Dienst und die öffentlichen Bäder zu besorgen (Cod. Theod. XI 16, 15. 18. Symmach. relat, 14, 3: vgl. Maué a. a. O. 21). Ein Gesetz von Constantin (315 11. Chr.) verordnet (Cod. Theod. XIV 8, 1): ut in quibuscumque oppidis dendrophori fuerint, centonariorum atque fabrorum collegiis annectantur, quoniam haec corpora frequentia hominum multiplicari expediet.
Die innere Organisation der D. unterscheidet sich von derjenigen der anderen Zünfte nicht. Sie werden von einflussreichen patroni unterstützt (III 1217. 10 738. V 1012. 2071 u. s. w.. eine mater dendrophorum III 7505), durch ein Jahr fungierende magistri (V 7904) oder fünf Jahre fungierende quinqennales geleitet (VI 641. 1925. 29 691. 30 973. XIV 281. 324, quinquennalis perpetuus VI 641. 1925. XIII 1752. XIV 281), die ausnahmsweise rector quinquennalis (X 5968 oder bisellarius [s. o. Bisellium] XI 1355) heissen. Ihre Güter werden von curatores (VIII 6940f. XIII 1961: curator perpetuus XIV 281), denen zuweilen ein quaestor beistand (XIII 2026), verwaltet. Wie die fabri und centonarii haben sie [218] einen praefectus (XIV 2634, vgl. Waltzing a. a. O. II 353), der die Löschmannschaft commandiert. Sie besitzen eine gemeinsame Casse, die bedeutsame Geschenke und Legate bekommt (z. B. V 4388. VI 1925), und ein eigenes Versammlungslocal (schola), das oft prunkvoll eingerichtet (V 7904. XIV 2634; porticus XI 1552) und mit Statuen geschmückt ist (V 3312. XIV 53. 67ff.). Solche scholae sind in Rom auf dem Caelius (VI 30 973; vgl. Hülsen Röm. Mitt. 1891, 109ff. Bieńkowski Eranos Vindobonensis 1893, 285ff.) und in Ostia neben dem Metroon (Visconti Ann. d. Inst. 1868, 365ff. Mon. d. Inst. VIII 60) entdeckt worden. In diesen Sälen versammelten sich die Mitglieder für die Vereinsfestmahle, bei welchen mitunter auch Sporteln verteilt wurden (IX 3842. X 451. 3699. 5958. XII 411. 1878, vgl. V 7904. Cod. Theod. XVI 10, 20 § 2). Es waren oft Gedächtnismahle zur Ehre eines Verstorbenen, welche mit jährlichem Totenopfer verbunden waren (VI 1925. XI 6520. Orelli 4412). Es wurde auch den D. Geld ausgesetzt, damit sie die Verpflichtung des Grabes übernahmen (V 4418 in tutelam, 5840. XI 6520), wie ja überhaupt das Collegium für das Begräbnis der einzelnen Mitglieder zu sorgen oder doch dazu beizutragen hatte (V 81 [gemeinsames Grab]. 5296. IX 939. 1463. X 445. 8100. 8107f.).
Wie überhaupt alle Handwerkerzünfte, standen die D. unter dem Schutze einer besonderen Gottheit. Es ist wohl anzunehmen, dass ursprünglich die Holzarbeiter Silvanus, den Waldgott und Spender des von ihnen verarbeiteten Materials, als Schutzpatron gewählt hatten. Noch später ist von einem Silvanus dendrophorus die Rede (VI 641. 642; vgl. XIV 53). Als der Verein in nähere Beziehung zu dem Kybeledienst trat, machte er Attis zu seinem Beschützer, indem Attis einfach mit Silvanus identificiert wurde (IX 3375 = Bücheler Carm. epigr. 250, vgl. o. Bd. II S. 2250), aber wegen der höheren Bedeutung der Grossen Mutter in dem phrygischen Cultus, wurde sie auch als Schutzgöttin der D. betrachtet. Sie heissen officiell in Rom collegium dendrophorum Matris deum magnae Idaeae et Attis (VI 30 973, vgl. 641) und werden mit den Cannophoren (s. d.) verbunden (V 5840. XIV 34ff. 116ff.). Wie das Haupt des Clerus ein archigallus war (s. d.), so wurde ihr religiöser Vorsteher ein archidendrophorus (III 763), ihre Mitglieder sind oft als Priester oder Geweihte der Magna mater ausdrücklich bezeichnet (V 81. VI 29 625. VIII 8457. 9401 [vgl. Cagnat Anneé épigr. 1892 nr. 18]. XIV 53) und, wie gesagt, lag in Ostia ihre schola neben dem Metroon.
So wie der gesamte phrygische Dienst, standen die D. unter der Aufsicht der römischen Quindecimvirn (ex s(enatus) c(onsulto) dendrophori creati qui sunt sub cura XVv(irorum) s(acris) f(aciundis) X 3699. Sie wurden wohl von der städtischen curia mit Genehmigung der quindecimviri ernannt (VIII 7956 dendroforus decretarius, vgl. V 4341. X 1786). Sie heissen sogar zuweilen dendrophori augustales (XIII 1961. 2026 [Lyon]. 5153 [Amsoldingen]), was auf eine Verbindung mit dem Kaisercultus hinzuweisen scheint (vgl. sevir et dendrophorus V 5275 und 3312). Was ihre religiöse Thätigkeit betrifft, so hatten sie nicht nur am 22. März den heiligen Baum, [219] zu tragen, sondern waren auch bei der Verrichtung der Taurobolien (s. d.) beteiligt, welche sie allerdings freiwillig und sogar privatim, nicht pflichtmässig zu opfern scheinen (XII 1744. XIII 1751. 1752. Cagnat Anneé épigr. 1892 nr. 18). Dies, d. h. dass sie Taurobolien pro salute imperatoris verrichten, wird wohl der gesetzliche Grund gewesen sein, weshalb ihnen die Immunität erteilt wird (Fragm. iur. Vatic. § 148, s. o. Archigallus. CIL V 4341; dagegen ist der dendroforus immunis X 3764 einfach von den Vereinspflichten befreit und dem dendroforus munificus XII 1917 entgegengestellt). Wegen des sacralen Charakters, der bei den D. viel stärker als bei den übrigen Handwerkervereinen ausgeprägt war, wurden ihre Güter durch ein Gesetz vom J. 415 n. Chr. eingezogen (Cod. Theod. XVI 10, 20 § 2). Seitdem hört man nichts mehr von den D. – das Gesetz vom J. 315 (s. o.) muss schon ihr Verschwinden vorbereitet haben – obwohl Holzarbeiter natürlich später noch existieren.
H. C. Maué Die Vereine der Fabri, Centonarii und Dendrophori im römischen Reich, Frankfurt am Main 1896, 3. 19ff. 33ff. Waltzing Etude hist. sur les corporations professionelles chez les Romains 1895–1900, I 240ff. II 195ff. u. sonst, wo (I 241, 1) eine vollständige Litteratur zu finden ist. Vgl. E. Kornemann o. Bd. IV S. 395f.