Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Die Wunder Elisabeths

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Landgraf Ludwigs Tugend Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Vom Kreuzzuge Landgraf Ludwigs V.
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96.
Die Wunder Elisabeths.

Das ganze Leben der Landgräfin Elisabeth war eine Kette von Edelthaten, ein Kelch voll Leiden und eine Dornenkrone von Schmerzen und Mißgeschicken. Sie leerte den Kelch und trug die Krone mit der Sanftmuth einer Heiligen, und obschon sie, als sie noch im irdischen Leben wandelte, den verdienten Dank nicht allenthalben ärntete, Undank und Verkennung aber im vollsten Maaße, so ward ihr reiner herrlicher und makelloser Wandel doch von der Nachwelt anerkannt und dankbar gepriesen, ja es gediehe dahin, daß sie der höchsten irdischen Verherrlichung endlich theilhaft wurde, die einer Staubgeborenen zu Theil werden konnte.

Vieles offenbarte sich an der Landgräfin Elisabeth, was übernatürlich erschien, was schon ihre Mitwelt als ein Wunder empfand, und als Wunder der gläubigen Nachwelt überlieferte. Diese Wunder sind die unverwelklichen Goldblätter am Lebensbaume Elisabeths; die Sage hat sie abgepflückt und treulich aufbehalten. Die Sage muthet keinem zu, diese Goldblätter für untersiegelte Pergamene zu halten.

Elisabeth liebte sich stets möglichst einfach zu kleiden, [169] war allem Prunke und aller Hoffahrt abhold, und ging für gewöhnlich so gering einher, daß man sie wol eher für eine dienende Frau des Hauses als für die Herrin des stolzen Wartburgschlosses und des gesammten Landes Thüringen hätte halten können. Diese übertriebene Einfachheit blieb nicht ohne Mißbilligung und erschien nicht stets am rechten Orte. Bald nach ihrer Vermählung waren vier edle Ungarn auf einer Betfahrt zu Aachen gewesen, allwo man viele Heilthümer ausgestellt und großen Ablaß verkündet hatte; diese waren vom Könige Andreas beauftragt worden, auf ihrer Rückkehr durch Thüringen die Wartburg zu besuchen und Kunde mit in die Heimath zu bringen, wie es Elisabeth ergehe. Sehr willkommen war dieser Besuch, aber dem Landgrafen, als er die Magnaten mit seiner Gemahlin empfangen wollte, erschien Elisabeths Anzug doch allzu gering und schmucklos, und sie besaß auch kein schönes Gewand, denn ihre prachtvollen Brautkleider hatte sie zerschnitten und die Stoffe zu wohlthätigen Zwecken verwendet. Da sagte der Landgraf zu ihr: Aber liebe Schwester, schämen muß ich mich doch vor Deinen Landsleuten, wenn sie, die so prachtvoll gekleidet einher gehen, Dich in solchem armseligen Gewande erblicken! Sie werden das meiner Kargheit zuschreiben und denken und sagen, daß ich Dir es am nöthigsten fehlen lasse. Darauf erwiederte Elisabeth: Lieber Bruder, lasse Gott walten! – Darauf ging sie in ihre Kleiderkammer, und ward hernach von den edeln Ungarn mit großer Verwunderung geschaut in einem wundervoll schönen hyacinthenfarbenen Kleide, das war ganz übersäet mit Perlen und Edelsteinen, schöner, als noch je das Kleid der reichsten Königin auf Erden erblickt worden war. Da nun hernach, [170] da sie wieder allein bei einander waren, der Landgraf fragte, wo das herrliche Kleid hergekommen, das er ja nie an ihr erblickt, da antwortete sie herzinnig: Lieber Bruder, Gott kann, was er will.

Ehe noch Landgräfin Elisabeth ihren ersten Sohn gebar, reisete sie mit ihrem Gemahl zum Besuch an den Hof ihres Vaters nach Ungarn mit großem und stattlichem Gefolge gräflicher und ritterlicher Männer und Frauen. Dabei sollen gewesen sein ein Graf Heinrich von Schwarzburg, Günther von Kefernburg, Heinrich von Stolberg, Gottfried von Ziegenhain, auch wieder der alte getreue Graf Reinhard von Mülberg und Walter Schenk von Vargila mit Rudolf, seinem Sohne, zum Theil mit ihren Frauen und Töchtern und vielen anderen. Da richtete König Andreas noch einmal eine Hochzeit aus und übereignete dem landgräflichen Paare abermals einen reichen Schatz von Kostbarkeiten aller Art, und begabte die Begleiter und Begleiterinnen je nach Rang und Geschlecht in freigebigster Weise.

Als Elisabeths Schwägerin Agnes das Hochzeitmahl auf Schloß Wartburg festlich ausgerichtet wurde, und das Haus von Gästen wimmelte, fehlte, als man zur Tafel gehen wollte, die Landgräfin. Diese war vor der Treppe im Mushause auf einen fast nackten Armen gestoßen, der sie flehentlich um Almosen und um Bedeckung seiner Blöße anrief, und anhielt mit Bitten, wie das kananäische Weiblein. Da nun Elisabeth bereits alles weggegeben hatte, was sie bei sich trug, so warf sie dem Armen ihren seidenen Mantel über. Nun war es aber Zeitsitte damals, im Mantel zur Tafel zu gehen, und als Elisabeth ohne solchen erschien, fragte der Landgraf, wo sie ihn gelassen [171] habe? Erschrocken bebten ihr die Worte von den Lippen: Herr, in meiner Kammer. Alsbald sandte der Landgraf eine der dienstthuenden Hoffräulein hin, den Mantel zu holen, und siehe, da ward ein Mantel gebracht, der war von himmelblauem Stoff, mit kleinen goldenen Bildchen bestreut, und so fein und rein, daß er später lange zu einem Meßgewande gedient hat, das im Barfüßerkloster zu Eisenach aufbewahrt wurde.

Die große Milde, welche die fromme Landgräfin Elisabeth unablässig gegen die Armen bewieß, wurde noch mehr in Anspruch genommen und gesteigert, als eine Zeit schrecklicher Hungersnoth das Thüringerland heimsuchte. Täglich schritt sie, von Dienerinnen gefolgt, welche die Gaben ihrer Milde trugen, soviel nicht die Landgräfin selbst zu tragen vermochte, zum Fuße der Wartburg nieder, allwo die Armen ihrer harrten, und vertheilte Almosen und Lebensmittel in Fülle. Elisabeths Mißgünstige äußerten sich nicht selten tadelnd gegen den Landgrafen, daß seine Gemahlin allzuviel verschenke, ja auch sich selbst zuviel vergebe durch den persönlichen Verkehr mit dem nicht sauberen hungernden und lungernden Gesindel, und da geschahe es, daß eines Morgens Elisabeth, wie sie gewohnt war, zu thun, ein Körbchen mit Lebensmitteln tragend, aus der Burg schritt, und der Landgraf, der wol schon gegen sie über ihre allzugroße Freigebigkeit sich mißbilligend ausgesprochen haben mochte, zu ihr trat und nicht gerade freundlich fragte: Was trägst Du da? Erschrocken und zagend gab die edle Herrin zur Antwort: Herr, Blumen! – Ich will sie sehen, zeige her! rief der Landgraf, und hob die Hülle vom Korbe. Und siehe, der Korb war übervoll Rosen. Der Landgraf stand staunend [172] vor der Gemahlin und beschämt, und als später die Mißgünstigen aufs neue Klagen erhoben über die allzugroßen Spenden der Frau Landgräfin, so sprach er: Lasset sie nur immerhin Almosen austheilen, da sie daran ihre Freude hat, wenn sie Uns nur nicht die Wartburg, Eisenach und die Neuenburg hinschenkt. – Oft war es auch, als wenn in Elisabeths Hand die Gaben sich verdoppelten und an ihren Gewanden kein Zergang sei. Auch der Kranken pflegte Elisabeth mit besondrer Sorgfalt, bediente sie häufig selbst, scheute nicht zurück vor ekelm Aussehen, kannte keine Furcht vor Ansteckung, ward auch von letzterer nie befallen.

In einer kleinen Felshöhle nahe der Wartburg lebte ein armer Einsiedel, des Namens Eli, der erkrankte und schleppte sich krank auf die Burg hinauf, und Elisabeth wollte seiner absonderlich warten und pflegen. Aber der Landgraf war nicht daheim, und niemand wollte dem kranken Alten eine Stätte einräumen, und die helfende Hand bieten, ihn zu betten. Da nahm Frau Elisabeth ihn mit in die eigenen Gemächer, die sie selbst bewohnte, und wusch und pflegte den Alten säuberlich, und bereitete ihm ein Bad, und nach dem Bade legte sie ihn in ihr eigenes Bette. Darüber wurde Frau Sophia, die Schwiegermutter, über alle Maßen ungehalten, und zürnte laut, und sagte, daß dieses zu weit gehe und konnte sich nicht beruhigen. Und indem so kehrte unverhofft ihr Sohn zurück, und die Mutter eilte ihm entgegen, und verkündete ihm spottweise, welch raren Schatz sein Ehegespons Zeit seiner Abwesenheit sich gewonnen, Eli, den alten Betbruder, habe sie aufgenommen und gepflegt und in ihr und sein Bette gelegt. Er werde das am eigenen Leibe lange spüren. [173] Unwillig folgte der Landgraf seiner Mutter in Elisabeths Gemächer nach, schritt zur Lagerstätte und riß die Decke herunter. Siehe, da wurden ihm die inneren Augen aufgethan, und es lag vor ihm im Bette Christus, der Weltheiland, wie er am Kreuze hing, auf dem Haupte die Dornenkrone, im Antlitz die Milde der Gottheit. Das bewegte den Landgrafen übermächtig, und er sprach zu Elisabeth: Meine liebe Schwester, solcher Gäste magst Du oft und viel in unser Bette legen, das thust Du mir wol zu Danke, denn ich erkenne: was man armen kranken Leuten in der Liebe Gottes thut, das ist Christo unserm Herrn selbst gethan. So hatte der Landgraf viele Freude an dem Christusbilde, seiner Mutter aber grausete, denn sie sahe selbes nicht; sie sahe nur einen jämmerlichen aussätzigen Kranken vor sich in dem Bette liegen. Der arme Einsiedel Eli aber lebte in seiner Felsklause geruhig fort, und sagte auf späteres Befragen aus, daß er weder krank gewesen, noch zu jener Zeit hinauf aufs Wartburgschloß gekommen sei. Seine Höhle zeigt man in dessen Nähe noch immer.

Als wahre Mutter und Wohlthäterin der Armen erwieß sich Elisabeth fort und fort. Sie spann unablässig mit ihren Dienerinnen Wolle und Linnen, und ließ daraus bei den Minoriten in Eisenach Kleiderstoffe weben, die sie für die Armen verwendete. Am Burgberge sprang eine frische Quelle, dort wusch sie oft die Kranken oder deren Kleider. Sie schöpfte Fische daraus, was außer ihr niemand gelang; die Quelle quillt noch heute und wird der Elisabethbrunnen genannt. Eine andere Stätte heißt die Armenruhe. In Eisenach richtete Elisabeth ein Kranken- und Verpflegungshaus ein, und als die Hungersnoth immer [174] höher stieg, der Landgraf aber auf einem Heereszuge begriffen war, ließ die Landgräfin die Fruchtspeicher öffnen, ließ täglich Brod backen, und vertheilte dieses täglich an 300 Arme, andere nennen sogar 900. Auch die Tafelreste wanderten zur Burg hinaus, wo die Armen in Schaaren lagerten, darüber das Burggesinde nicht wenig murrte. Wenn es immer noch nicht reichte, denn je mehr gegeben ward, je mehr Arme gab es, die zu nehmen geneigt waren, verkaufte Elisabeth selbst ihre kostbaren Gewänder und Kleinodien, und theilte das Geld aus. Wenn sie in Eisenach in die Kirche ging, konnte sie jedesmal vor Bettlern kaum hinein, und so hatte sie einst schon alle ihr Geld hingegeben, als noch ein alter Mann ihr den Weg verstellte, und auf das beweglichste mit Bitten anhielt, auch ihm etwas zu schenken, und sie bis in die Kirche hinein verfolgte. Da zog Elisabeth einen ihrer mit Silber gestickten Handschuhe aus, und gab diesen dem unabweisbaren Alten. Das sahe ein Ritter, der auch in die Kirche sich begab, der lösete alsbald von dem Alten den Handschuh um vieles Geld ein, und befestigte denselben dann als ein Kleinod auf seinem Helme, zog in das heilige Land und kämpfte stets siegreich, denn der Handschuh der hehren Frau schützte ihn wie ein wunderbarer Talisman. Dann hat der Ritter den Handschuh zum ewigen Danke in sein Wappen aufgenommen.

Es offenbarte sich an der frommen Landgräfin mehr und mehr eine göttliche Kraft; sie heilte Kranke durch das Auflegen ihrer Hände, machte Blinde sehend, und richtete gekrümmte Glieder wieder gerade. Ein Heilmittel, von ihrer Hand gereicht, verfehlte nie seiner Wirkung. Daher begann das Volk sie als eine auserwählte Lieblingin [175] Gottes zu verehren, und an ihre Wunder zu glauben; es fehlte nur noch das Martyrthum, um sie als Heilige anzubeten. Auch das Martyrthum sollte ihr nicht ausbleiben.