Ueber Regierungsformen

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Textdaten
Autor: J. M. Afsprung
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Titel: Ueber Regierungsformen
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aus: aus: Braunschweigisches Journal, 3. Band, 1790
Herausgeber: E. Chr. Trapp
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1790
Verlag: Schulbuchverlag
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Erscheinungsort: Braunschweig
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Quelle: pdf bei Commons, zugleich UB Bielefeld
Kurzbeschreibung: Bericht über eine Diskussion über Regierungsformen
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[376]
10.
Ueber Regierungsformen.

Wenn unser Herr Rector von reisenden Gelehrten Besuch erhält, (welches oft geschieht) so läßt er mich gemeiniglich dazu einladen, wobei ich oft Gelegenheit habe, die abgründigen Einsichten mancher dieser Herren zu bewundern, noch öfter aber mich höchlich verwundern muß, wie mühsam und kunstreich diese Herren den gemeinen Menschenverstand zu verwirren wissen; jedoch muß ich – um nicht undankbar zu seyn – gestehen, daß ich auch schon je zuweilen etwas dabei gelernt habe.

Zu einer solchen Gesellschaft theils benachbarter, theils fremder Gelehrten ließ mich der gute Rector auch vor einigen Tagen rufen. Außer vielen wichtigen Dingen, worüber die Herren philosophirten, zankten[1] sie auch über die verschiedenen Staatsverfassungen, und zwar mit vieler Gründlichkeit, welches aber nicht zu verwundern, da jede Fakultät zwei bis drei Repräsentanten dabei hatte. Die meisten Stimmen waren für die [377] monarchische Verfassung, die besonders ein Doctor der Gottesgelahrtheit in seinen heiligen Schutz nahm, indem er die kanonischen und apokryphischen Bücher der heil. Schrift strapazirte, um zu beweisen, daß nur die monarchische Regierung orthodox und göttlichen Ursprunges sey, welches die andern nicht gelten lassen wollten, ob sie gleich eben so standhafte Vertheidiger dieser Regierungsform waren. Besonders widersprach ihm ein Doctor der Weltweißheit und Lehrer der Staatswirthschaft sehr lebhaft, und bewies mit zierlicher Gründlichkeit die Vortreflichkeit der monarchischen Regierungsform dadurch, daß er sie für die geschickteste erklärte, die Glückseligkeit der Bürger zu befördern, wovon aber der Doctor der Gottesgelahrtheit nichts hören wollte, indem es hierbei, wie er sagte, gar nicht auf die Glückseligkeit oder Unglückseligkeit der Unterthanen, sondern lediglich auf den Willen und die Ehre Gottes ankomme etc. Nur ein alter Offizier und ein unscheinbarer[2] Landprediger sprachen für die Republikanische Verfassung, konnten jedoch die andern Herren von ihrem Erbglauben[3] [378] nicht abbringen, so viel sie auch Einwürfe und Bedenklichkeiten wider die herrschende, und Gründe für ihre Meinung vorbrachten. Nachdem sie sich endlich an Leib und Seele müde disputirt hatten, ohne weiter gekommen zu seyn, als sie vorher waren, so wurde diese Unterredung von einem sehr gelehrten Herrn[4] mit folgenden orakelmäßigen Ausspruche beschlossen: „da alle Einrichtungen der Menschen gebrechlich sind, wie sie selbst, so lasset uns in diesem leben mit der monarchischen Regierungsform, als der für uns Erdenmenschen angemessensten, zufrieden seyn, und hoffen, daß wir dereinst, wenn wir hier als fromme Christen, und was unmittelbar daraus folgt, als gehorsame Unterthanen gelebt haben, in jener Welt alle mit einander in der schönsten Republik ewig leben werden.“ So sehr ich über diesen Ausspruch des weisen Mannes erstaunt war, so ward ich es doch noch weit mehr, als ich sah, mit welchem Beifalle fast die ganze Gesellschaft diesen Spruch annahm; nur der Landprediger schien mir durch ein jedoch kaum [379] merkliches Kopfschütteln seinen Beifall zweifelhaft zu machen. Ich aber dachte bei mir selbst: wie ist es doch möglich, daß Männer, welche vorgeblich ein Geschäft daraus machen, ihre Vernunft zu bearbeiten, alle Begriffe so sehr verwirren und alle Verhältnisse so ganz umkehren können? Muß man nicht höchst irrige Begriffe von den Staatsverfassungen, von der menschlichen Natur, von diesem Leben, von jenem Leben und von Gott haben, um so zu deraisonniren? Wie? Hier in diesem Leben wo lauter gebrechliche Menschen sind, wie die Herren sagen, (und durch ihre Reden kräftigst beweisen) sollen sich Millionen Menschen von einem Einzigen – nicht Gott noch Engel, sondern Menschen – beherrschen lassen, und in jenem Leben, wo Gottes ewige und unendliche Weisheit regieren wird, sollen sie republikanisch leben? Welcher Unsinn! Wie sehr dem geraden schlichten Menschenverstande zuwider, obgleich in der Schulmethode sehr gewöhnlich!

Würden solche Herren ihre Vernunft nicht lebenslänglich unter dem Gehorsam der Schule gefangen halten, sondern sich vielmehr ermannen, um auf sich selbst und auf andere Menschen aufmerksam zu seyn, und mit freier Seele die Geschichten zu forschen, so könnte es ihnen unmöglich verborgen bleiben, daß die bürgerliche Gesellschaft [380] weder durch einen göttlichen Befehl, noch durch einen Unterwerfungs-Vertrag (oder was es sonst noch für nonsensicalische Worte geben mag) entstanden sey, sondern daß sich die Menschen allein zur wechselseitigen Vertheidigung wider wilde Thiere, Räuber, Ueberschwemmungen und dergleichen zerstörende Unfälle in gesellschaftliche Verbindung gesetzt haben. Sicherheit ist also der Endzweck aller bürgerlichen Gesellschaft, und gemeinschaftliche Beschützung das Mittel diesen Endzweck zu erlangen. Wenn die Philosophen von diesem Punkte ausgehen und – wie es vernünftigen Leuten ziemt – ohne Seitensprünge auf dem geraden Wege fortgehen wollten, so würden sie auf ganz andere Lehren treffen und wenigstens mit der That und Wahrheit nicht beweisen können, daß dieser Endzweck in der monarchischen Verfassung besser als in der Republikanischen zu erreichen sey, wenn man auch gleich in Venedig und Nürnberg nicht so viel Sicherheit genießen sollte, als in Constantinopel und Petersburg. - So würden sie sich und andere nicht länger mit dem vornehmen und unsichern Worte „Glückseligkeit“ täuschen; denn wenn sie darunter nichts als die versicherte Besitzung und Genießung des Eigenthumes verstehen, so wäre es besser, das Wort „Sicherheit“ beizubehalten; verstehen sie aber unter [381] Glückseligkeit den Genuß, welcher aus der Vervollkommung der menschlichen, das ist, der thierischen und moralischen Natur entstehet, so gibt es unter allen Ungereimtheiten, welche müßige und träumerische Köpfe oder sogenannte Philosophen ausgeheckt haben, nicht leicht eine gröbere, als die Behauptung: „Die Glückseligkeit vieler Millionen könne durch die Einsichten und Anordnungen eines Einzigen besser und sicherer bewirkt werden, als durch die Einsichten und Anordnungen vieler.“ Wie abentheuerlich muß diese Meinung nicht jedem vorkommen, der nur im mindesten auf der Menschen Thun und Lassen acht giebt, und täglich zu bemerken reichliche Gelegenheit haben muß, wie so gar wenige Menschen im Stande sind, ihre und ihrer kleinen Familie Glückseligkeit zu bewirken! und ein Einziger sollte die Glückseligkeit vieler Millionen schaffen können? und was für ein Einziger? Einer der nie die Stimme der Wahrheit gehört, nie die unentstellte Natur gesehen hat, indem man ihm alles, was er etwa hören muß, erst in die mildernde, verfeinernde und verfälschte Hofsprache übersetzt, damit ja der Wahrheit rauher Ton sein Ohr nicht beleidige! dem alles, selbst die Plagen seines Volks durch das verschönernde aber täuschende Glas des Vergnügens gezeigt wird? — Einer der schon als Kind im Purpur gekrochen, der eher gebieten als [382] reden gelernt hat — der im verderblichsten Ueberflusse aufgewachsen ist — der die Leiden und Freuden, die Tugenden und Laster, die Anlagen und Kräfte seines Volkes[5] nicht kennt, auch nicht wohl anders als durch die Dollmetschung[6] seiner Diener und Schmeichler kennen lernen kann! — Und dieser Einzige kann Vorschriften erdenken, oder erdachte prüfen, durch deren Befolgung sein Volk glücklich werden soll???

Daß Diener der Alleinherrschaft und Gelehrte diese Frage mit einem lauten Ja beantworten würden, daran ist nicht zu zweifeln; denn außerdem, daß ihre Vernunft in der Schule Gewalt erlitten hat, ist es ja ganz natürlich, daß es dem Sklaven des Ehrgeizes eben so leicht werden muß, der Sklav desjenigen zu seyn, der seine Leidenschaft befriedigen kann, als ihm allgemeine Gleichheit schwer, ja unerträglich fallen müßte, wodurch er sich unter der Menge verlieren würde, welches er — nicht ganz mit Unrecht — für seinen Tod hält. Um aber ihre Thorheit vor sich selbst, und vor andern zu bemänteln, würden sie eine große Litanei von Uebeln erzählen, die alle von der [383] republikanischen Verfassung unzertrennlich seyn sollen,[7] als da sind Zwietracht, Täuschung, Bestechung etc. gleich als wenn die Herrschsucht der Minister, die oft kindische Eifersucht der Kollegien die Könige nicht täuscheten, und nicht eben so ergiebige Quellen der Zwietracht und der Kabale wären, als bei den Republikanern? Als wenn die Grille oder Rachsucht einer Maitresse nicht eben so viel, wo nicht noch mehr Unheil anrichten könnte, (NB. und schon oft angerichtet hätte) als der beredteste und beliebteste Demagoge? Von der Bestechung mag ich gar nichts sagen; denn daß dieses verabscheuungswürdige und alle Ehrlichkeit zerstörende Verbrechen in republikanischen Ländern mehr als in monarchischen grassire, kann nur derjenige sagen, welcher so unwissend als ein Kind, oder so unverschämt als ein Mäkler ist!

Als ich Tags darauf diese Gedanken gegen meinen Herrn Rector äußerte, stutze er anfangs, erhohlte sich aber bald, und glaubte mir einen unbeantwortlichen Einwurf zu machen, indem er mir folgende Stelle aus Rousseau’s Werken (auf die ich ungemein viel halte, wie mein Herr Rector weiß) vorlas: „Wenn es ein Volk [384] von Göttern gäbe, so würde es sich demokratisch regieren. Eine so vollkommene Regierungsform schickt sich nicht für Menschen.“[8] Allein diese Stelle enthält keinen Beweis ihrer Richtigkeit, und zeiget nur, daß auch Rousseau sich von der Idee hinreissen ließ, daß Glückseeligkeit der Endzweck der bürgerlichen Gesellschaft sey, welche durch Hochgebohrne und Hochgelehrte viel besser geliefert werden könne, als durch unbetitelte und ungraduirte Menschenkinder. Hätte Rousseau nicht vergessen, daß Schutz und Schirm der einzige, wenigstens der erste Endzweck der Vereinigung der Menschen in eine bürgerliche Gesellschaft ist, so würde er nicht so gesagt haben; aber auch selbst, wenn man die Glückseligkeit mit zum Endzwecke der bürgerlichen Gesellschaft rechnet, würde man der Natur und Wahrheit viel gemäßer sagen: „wenn so gebrechliche Menschen regiert werden sollen: so sollte es billig nur demokratisch geschehen; aristokratisch hingegen, wenn sie durch Engel, und monarchisch allein, wenn sie durch Gott regiert werden!“

der Odenwälder.


Anmerkungen im Original

  1. Wie sich Luther von den Unterredungen der Philosophen ausdrückte.
  2. In einigen Gegenden Deutschlandes heißt man Personen und Dinge, deren Vollkommenheiten nicht gleich beim ersten Anblicke in die Augen fallen, sehr passend unscheinbar.
  3. Da man Erbsünde, Erbadel etc. sagt, so ist es wol der Sprachähnlichkeit nicht zuwider, Erbglaube zu sagen.
  4. Welcher Nathan bei dem kleinen David in der Nachbarschaft ist.
  5. Die Schauspieler und Figuranten, die ihn umgeben, muß man nicht für das Volk halten.
  6. Die nicht selten noch untreuer und unzuverlässiger ist, als die Dollmetschung des feilsten Griechen oder Ebräers in der Levante.
  7. Wiewohl es in der thierischen und moralischen Natur Uebel gibt, die weit erträglicher sind, als die Mittel dagegen.
  8. S’il y avoit un peuple de Dieux, il se gouverneroit démocratiquement. Un gouvernement si parfait ne convient pas à des hommes.   Contr. Soc. III, 4.