Was man vom Kukuk sagt

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Autor: Karl Müller-Fraureuth
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Titel: Was man vom Kukuk sagt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 295-299
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[295]

Was man vom Kukuk sagt.

Eine Frühlingsgabe.

Neben der Schwalbe, ja noch mehr als diese, welche nicht immer die untrügliche Vorbotin des wiederkehrenden Sommers ist, gilt seit alten Zeiten der Kukuk dem deutschen Volke als Verkünder des nahenden Lenzes. Zwar ist er keineswegs der erste unter den Vögeln, welche uns das Kommen des Frühlings anzeigen, aber der Kukuk thut uns sein Dasein vernehmlicher und verständlicher kund, als irgend ein anderer Vogel. Er ist es vor Allen, der die Natur gleichsam aus ihrem Winterschlafe weckt mit seinem allerorts erschallenden Rufe, den er oft mehr als hundert Mal und so laut wiederholt, daß er auch in weiterer Entfernung zu hören ist. Daher nennt Uhland den „frühschreierischen Gucku“ mit Recht den berufsmäßigen Stimmführer und Herold des nahenden Sommers. Als solcher erscheint er auch in Schiller’s „Tell“, im Gesange des Hirten:

„Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder,
Wenn der Kukuk ruft, wenn erwachen die Lieder.“

Bezeichnet doch in alten Rechtsformeln die Bestimmung: „bis zu Sanct Walpurge, daß der Gouch guchzet“ geradezu den Frühlingsanfang, und noch heute sagen wir: „er wird den Kukuk nicht wieder rufen hören“ von einem Kranken, der das Frühjahr nicht erleben wird.

Wie wir jedes Jahr neu aufathmen, wenn die Natur uns des einziehenden Frühlings gewiß macht durch das erste Leben, das sie entfaltet, so begrüßten auch unsere Vorfahren den Lenz und seine Boten freudigen, jauchzenden Herzens, und zwar um so mehr, als sie so in täglichem, trautestem Verkehr standen mit Allem, was im Freien sichtbar und regsam ist. So vernahm man denn mit lautem, überschwenglichem Jubel überall den ersten Ruf des Kukuks nach der langen bösen Winterzeit. „Der Kukuk mit sein Schreien macht fröhlich Jedermann“, singt das Volkslied; dem nun ist wirklich und thatsächlich die Herrschaft des Winters zu Ende; der Kampf, welchen nach der Vorstellung unserer Vorfahren der Frühling mit ihm zu bestehen hatte, endet mit dem Tage, an welchem der erste Kukukschrei den unterliegenden Winter „auslacht“.

Wie bei den Griechen derjenige „Botenlohn“ empfing, der zuerst die Einkehr des Storches auszusagen vermochte, so bekam im Westfälischen ein Ei, wer den ersten Kukuksruf anmelden konnte. An dem Tage, an welchem dieser gehört wurde, kommen nach einem lateinischen Gedichte des neunten Jahrhunderts die Hirten zusammen, um dem Kukuk zu lobsingen. Es entspinnt sich ein Streit zwischen Frühling und Winter, welche redend eingeführt werden, über das Lied des Kukuks, als dessen bitteren Feind sich der griesgrämige Winter erweist. Doch die Hirten bringen diesen zum Schweigen, indem sie dem Kukuk fröhliches, ja feierliches Heil zurufen als einem Allen willkommenen Gastfreunde.

Aehnliches findet sich in England. Durch die nahe Verwandtschaft des englisches Volkes mit dem deutschen erklärt es sich, wenn Shakespeare, sicherlich auf Volksgebräuche sich stützend, in seinem Lustspiel „Verlorene Liebesmüh“ Winter und Frühling einen Wettgesang anstellen läßt, wobei der Kukuk als Attribut des letzteren mit seinem lustigen Rufe den Vogel des ersteren, die Eule, verstummen macht. Ein Rest des feierlichen Empfanges, welchen unser Volk ehemals dem Kukuk zu Theil werden ließ, hat sich noch bis nach 1770 im Herzogthum Berg erhalten, wo der Küster den Ruf des Vogels auf der Orgel nachahmte. Und daß man den Ruf des Kukuks auch in den Schlaguhren und im Kinderspielzeug anbrachte, beweist ebenfalls, wie schön und erfreulich dieser Ruf dem Ohre klang.

Was aber diesem Vogel ein so bedeutendes Ansehen verschaffte, war nicht sowohl die Schönheit seines Rufes, als vielmehr ein uraltes, jetzt freilich verdunkeltes Verhältniß, in dem der Kukuk zu dem Gotte des Frühlings und des Wetters steht. Der feierliche Empfang galt weniger dem Vogel, als der Gottheit, die man sich hinter ihm stehend oder in ihm personificirt dachte.

Der Kukuk ist in der indischen Mythologie die thierische Verwandlung des Donnergottes Indra und in der griechischen die des Zeus, welcher die Hesiod unter seiner Gestalt in Sturm- und Regenschauern der Hera naht. Bei den Indern wie bei den Griechen verkündete der Kukuk, seinem Verhältnisse zu der Gottheit des Gewitters entsprechend, die Zeit des fallenden Saatregens, und als Regenvogel kennt ihn auch mannigfacher Glaube unseres Volkes. Allgemein erwartet man Regen oder Sturm, wenn er sich einer Ortschaft nähert, und nach preußischem Glauben naht ein nasser Sommer, wenn im Frühjahr viele Kukuke schreien. Als es einmal in einem Orte Oberfrankens unaufhörlich regnete, schrieb man dies dem Kukuk zu, verjagte ihn – und nun wurde schönes Wetter.

[296] Wenn ferner der germanische Frühlingsgott Donar in Folge seiner Herrschaft über das Wetter zu einer Lebens-, das heißt Leben spendenden Gottheit wurde, welche über Wachsthum und Fortpflanzung der Fauna und Flora waltete, so übertrug sich auch diese Seite des Wirkens der Gottheit auf den ihr beigelegten Vogel, den Kukuk. Von ihm hängt noch heute das Gedeihen oder Mißrathen des Getreides ab, wie aus mehreren Bauernregeln hervorgeht. In Schwaben zählt man seine Rufe, wenn er zum ersten Mal schreit; so viel Mal er ruft, so viel Gulden (ob er sich auf die neue Reichswährung versteht, darüber fehlen die Nachrichten) kostet der Scheffel Korn im Jahre. Theuerung tritt ein, und der Wein wird herbe, wenn der Vogel nach Johannis ruft. Mit der Saat kommt und geht der Vogel; er verstummt, sobald das Korn in die Aehren schießt. Dann bleiben ihm die Gerstengrannen im Halse stecken zum Verderben seiner Stimme, oder er ißt sich drei Mal an Kirschen satt, um dann sein Singen einzustellen.

Auch die häufige Benennung von Pflanzen nach dem Kukuk zeugt für seine schöpferische, göttliche Natur. Wir haben im Deutschen eine Kukuks- oder Gauchblume, ein Gauch- oder Kukuksbrod, einen blauen und einen großen Kukuk, einen Kukukskohl, einen Gauchlauch, Gauchhafer, Gauchwermuth, eine Kukuksorchis und Ackergauchheil. Aehnliche Namen finden sich auch in anderen Sprachen.

Ebenso greift der Kukuk in die Thierwelt ein. In Schweden gilt er als Butterausrufer, steht also in Beziehung zur Kuh, während er es in Westfalen – ländlich, sittlich – mit dem Schweine zu thun hat: die Hausfrau schneidet den frischen Speck nicht eher an, als bis der Kukuk ruft. In Nordheim richten die Kinder ihr Verlangen nach Speck direct an die Adresse des Kukuks in dem Kinderreim: „Kukuk, schnid Speck up.“

Dem Menschen gegenüber offenbart sich seine Macht in einer reichen Fülle mythischer Züge. Wie bei des Kukuks Kommen im Frühling frische Kraft durch alle Adern der Natur schießt, so erweckt er im Menschen fröhlichen Jugendmuth und Gesundheit.

Die frühere Heilkunde gab die Asche des verbrannten Kukuks als wirksames Mittel gegen die Sucht ein. Wachsthum, Schwungkraft und Frische des Leibes und Geistes gehen von ihm oder dem ihm innewohnenden Gott aus. Doch nicht blos dies: sogar das Leben des Menschen steht in seiner Macht, wenigstens besitzt er die Kenntniß seiner Dauer, eine Wissenschaft, die schließlich doch der Ausfluß der ihm zukommenden schöpferischen Kraft ist. Allgemein verbreitet ist die Sitte, den Kukuk, wenn man ihn im Frühling zum ersten Male hört, zu fragen: „Wie viel Jahre soll ich noch leben?“ Die Zahl seiner Rufe nach dieser Frage gilt als die der noch übrigen Lebensjahre. Auf dieser Annahme seiner Allwissenheit beruht denn auch die noch heute vielgebrauchte Redensart: „Das weiß der Kukuk.“

Auf des „heiligen Kukuks“ Orakel baute man namentlich in Heirathsfragen. In vielen Gegenden fragen ihn wohl noch heute die Dorfmädchen, wie lange sie noch „ledig“ sein werden, wie er denn noch bei Goethe einem Liebespaar nahende Hochzeit und Zahl der Kinder verkündet. Aus dem Glauben an seinen Einfluß auf Liebes- und Eheverhältnisse erklärt es sich denn auch, wenn man im Böhmerwalde beim Hochzeitszug auf den Ruf des Kukuks achtet, weil er bedeutsam sei für das Wohlergehen der Hochzeiter. Als Lebensspender ist der Kukuk auch im Stande, dem Körper Schönheit zu verleihen, wie er auch die Kraft hat, ihn zu verunzieren. Die Macht, die man dem Kukuk beilegt, läßt es begreiflich erscheinen, daß das Volkslied zugleich mit dem Dahinscheiden des Frühlings auch das Verstummen seines Vorboten beklagt:

„Kukuk hat sich zu Tod gefallen
Von einer hohlen Weiden;
Wer soll uns diesen Sommer lang
Die Zeit und Weil vertreiben?“

Ein Glück, daß wenigstens ein Ersatz vorhanden ist:

„Ei, das soll thun Frau Nachtigall,
Die sitzet auf grünem Zweige,
Sie singt, sie springt, ist allzeit froh,
Wenn andere Vögel schweigen.“

Welch ein gottbegnadeter Vogel muß der sein, dessen Gesang nur durch den der Nachtigall ersetzt wird, der so tief im Gemüthe des Volkes wurzelt, daß nur die größte Sängerin über seinen Verlust trösten kann! Aber Alles hat zwei Seiten; auch der Kukuk macht diese Fundamentalwahrheit nicht zu schanden.

Das Christenthum war es besonders, welches sich bestrebte, unsern Vogel als einen Vertreter des Bösen hinzustellen. Wie aber so manche einmal im Gemüthe des Volkes eingewurzelte Göttergestalt nicht völlig von der neuen Religion discreditirt werden konnte, so gelang es den Missionären auch nicht, den Gewittergott Donar und seinen Vogel, den Kukuk, gänzlich aus den Vorstellungen des Volkes zu verdrängen. Vielmehr leben beide noch heute fort.

Durch die christlichen Bekehrer wurde Donar zum Teufel par excellence gestempelt, und Alles, was in seinen Kreis gehörte, erhielt nun eine durchaus teuflische Natur. Die verderbliche Macht des Kukuks findet ihren vollen Ausdruck in dem Namen des brasilianischen Kukuks, der Ani, welche nach Buffon[WS 1] geradezu Teufelsvogel oder Savannenteufel genannt wird.

Wie in dieser Bezeichnung seine göttliche Natur in ihr Gegentheil verkehrt ist, wie bei den Mexicanern der Quapachtototl als ein Vogel von schlimmer Vorbedeutung gilt, so finden wir den Kukuk auch im germanischen Aberglauben als Verkörperung einer dämonischen Macht. Aus dem Vogel, welcher nach dem alten Mythus Leben und Segen spendete, ward nun, wenn nicht der Tod selbst, so doch sein Verkünder. Wer frühmorgens nüchtern ihn zuerst sah, hatte den Tod zu fürchten, dem die Letten nur dadurch ausweichen zu können meinen, daß sie Abends ein Stück Brod, „Kukuksmundvoll“ genannt, mit in’s Bett nehmen, um es beim Erwachen sogleich zu essen und so dem Bösen zuvorzukommen. Zum mindesten wird der, welcher ihn hört, ohne gefrühstückt zu haben, auf ein Jahr arbeitsuntüchtig oder taub.

Ihre Höhe erreicht die Furcht vor dem Kukuk mit dem sechszehnten Jahrhundert, wo er geradezu in die Functionen des Teufels eintritt; denn von jener Zeit an scheute man sich mehr und mehr, den Teufel bei seinem Namen zu nennen, und so machte sich, da er nun einmal nicht mehr zu entbehren war, das Bedürfniß geltend, ihn mehr auf verhüllende Weise zu bezeichnen.

So haben wir noch heute eine erkleckliche Anzahl von Redensarten, in welchen der Kukuk mit allen Machtbefugnissen des zum Teufel umgetauften Donar ausgerüstet auftritt. Der Kukuk soll ebenso gut „dreinschlagen“ wie „das heilige Donnerwetter“ oder der Höllenfürst selbst. Bei Christian Weise kommen einmal „Donarskinder“ in dem Sinne von „Teufelskindern“ vor, und wahrscheinlich hat man es mit einem derartigen Sprößling zu thun, wenn man von Einem sagt, „ihn habe der Kukuk geschaffen“. Solchen Leuten gegenüber erscheint es ganz gerechtfertigt, wenn man den frommen Wunsch nicht unterdrücken kann: „der Kukuk möge sie holen!“ oder wenn man sie kurz und bündig „zum Kukuk jagt“. Bei Brentano liest man von einer Pein, „um gleich des Kukuks zu sein“, und Benedix läßt einmal eine seiner Personen „in Kukuks Namen“ Ruhe gebieten. Wen „der Kukuk plagt“, etwas zu thun, der wird gewiß Unannehmlichkeiten davon haben und „in des Kukuks Küche kommen“; unwillkommen sind die, welche „der Kukuk herführt“. Unwahrscheinliches, Lügenhaftes weisen wir zurück mit den Worten: „Das glaube der Kukuk“, und „er ist ganz des Kukuks“ sagen wir mit Recht von Einem, der „wie vom Bösen besessen ist“. Wie schlimm es aber mit Einem steht, wenn „Alles zum Kukuk ist“, werden hoffentlich möglichst Wenige erfahren.

An den Gewittergott Donar erinnert es auch, wenn man zur Bezeichnung eines hohen Grades, z. B. von Schnelligkeit, sagt: „Er läuft wie der Kukuk“, „das ging wie der Kukuk“ (das heißt wie’s der Teufel oder Jemand mit seiner Hülfe kann), wo man ja auch spricht: „das ging wie der Blitz“.

Wenn dieses „wie der Kukuk“ so viel bedeutet wie „im höchsten Grade“, so steht dem scharf gegenüber eine Redensart wie: „dann weißt Du nicht den Kukuk“, wo „den Kukuk“ nicht ein Deut mehr ist als das kahle, unhöfliche und poesielose „Nichts“. In Gellert’s Briefen heißt es einmal: „Nehmen Sie mir’s nicht übel:“ – wie der höfliche Sachse zum Ueberfluß noch vorbaut – „von der Medicin verstehen Sie nicht den Kukuk“. Hieran schließt sich die Stelle bei Hebel: „Diesen Rechtshandel habe ich gut für Euch geführt – den Kukuk hat er.“

Diese der sonst üblichen so scharf gegenüberstehende Ver- wendung des Kukuks zum Ausdrucke des Allergeringsten läßt sich vielleicht auf folgende Weise erklären:

[297] Die Redensarten und Wendungen, in denen der Kukuk einfach verhüllender Ausdruck des Teufels ist, haben eben durch solche bildliche Ausdrucksweise eine bedeutende Abschwächung erlitten; die Schärfe und Rohheit, welche in der Mehrzahl derselben liegen würde, wenn sie den Bösen ungeschminkt mit seinem wirklichen Namen einführten, wird so gut wie nicht gefühlt, wenn der Kukuk an seiner Stelle auftritt.

So scheut sich sogar der fromme Claudius nicht, einmal zu sagen: „Die hole der Kukuk!“ ein Wunsch, zu dessen Ausführung er gewiß nicht den Teufel selbst citirt haben würde. Die Flüche „zum Teufel“ etc. sind zu bloßen Ausrufen der Ungeduld abgeschwächt in: „zum, beim, potz Kukuk!“ (verdorben aus Gotts-Kukuk). Tieck sagt einmal: „Potz Kukuk ist so ein hergebrachter Ausruf, wenn wir nicht gerade fluchen wollen.“ Noch abschwächender ist hier eine abermalige Verhüllung in dem elsässischen „potz güxel“, „hol di der Guxel!“ etc.

Der Kukuk.
Originalzeichnung von F. Specht.

Dieser fast harmlose Gebrauch der sonst stärksten Redensarten und Flüche mag neben Anderem dazu beigetragen haben, den Teufel seines bösartigen Charakters zu berauben. Mehr und mehr sank er aus seiner Machtstellung herab bis zum „dummen Teufel“, der als solcher Gegenstand des Mitleids, aber auch des Spottes und Hohnes wurde. Und so konnte es wohl geschehen, daß der zu seiner Umschreibung dienende Kukuk seinen Namen gleichfalls hergeben mußte zur Bezeichnung des Allergeringsten. Uebertrug sich doch der Spott, welcher auf den erwähnten „dummen Teufel“ gehäuft wurde und wird, auch auf den Kukuk.

Er, der „fromme Kukuk“, als welcher er „sonst“ gefeiert wurde, für dessen Schreien man sich sogar den Aufwand des Wortes „Gesang“ gestattet hatte, wird nach seiner Glanzperiode fast nur erwähnt, um wegen seiner häßlichen, eintönigen Stimme gescholten und verspottet zu werden.

Im siebenzehnten Jahrhundert stellt ihm ein gewisser Lehmann abfällig genug das Zeugniß aus: „Wann der Guckkug tausent Jahr alt würde, so lernt er doch nichts anders denn Guckkug.“[WS 2]

Wollte man aber den Gegensatz, in welchem sein Geschrei zum musikalischen Wohlklang steht, noch besonders scharf ausdrücken, so wurde der Kukuk der Nachtigall gegenüber gestellt – beide galten als die äußersten sich entgegengesetzten Enden der Kunst des Gesanges. Und ehemals war nur die Nachtigall im Stande, den Ruf des Kukuks zu ersetzen! So ändern sich die Ansichten. Auch hier geschah also der Schritt vom Erhaltenen zum Lächerlichen.

Doch der Kukuk hatte es sich wohl selbst zuzuschreiben, wenn sich das Blatt in dieser Weise wendete. Das Bewußtsein von seiner Göttlichkeit, die seinem Gesange gezollte Anerkennung war ihm wahrscheinlich in den Kopf gestiegen – er glaubte, es könne ihm gar nicht fehlen, und hatte sich sogar zu einem Wettgesange mit der Nachtigall verstiegen. Aber was früher als so herrlich gepriesen[WS 3] worden war, erntete nunmehr nur Spott bei dem wankelmüthigen Volke. Das Lied des sechszehnten Jahrhunderts, welches diesen Wettgesang feiert, charakterisirt die musikalische Befähigung des Kukuks noch durch den niederträchtigen Zug, daß es ihn den Esel zum Kampfrichter bestellen läßt, weil dieser sich mit seinen großen Ohren am besten zu einem solchen eigne. So behandelt auch noch Gellert in einer kunstsatirischen Fabel[WS 4] diesen Vorgang; bei ihm heißt es grob genug: „Der Kukuk schrie sein Lied.“

So wurde denn der Name Kukuk sehr bald gleichbedeutend mit: Narr; er wurde die Bezeichnung eines Menschen, der ebenso wenig werth ist, wie der Gesang des Kukuks. Die Pflanzennamen Gauchhafer und Gauchwermuth erklären sich ebenfalls dadurch, daß der erstere durch Unfruchtbarkeit und der letztere durch Geruchlosigkeit sich auszeichnet, wie der Kukuk durch seine geringe musikalische Begabung. Und wenn beim Kegelschieben „von Neunen nicht Einer fiel“, dann ruft der Kegeljunge höhnisch: „Kukuk!“ Es ist dieselbe geringe Meinung vom Kukuk, welcher wir in dem oben berührten adverbialen Gebrauch von „den Kukuk“ begegneten; sie spricht sich auch in Folgendem aus. Eine von Händel componirte Operette enthält die Verse:

Anmerkungen (Wikisource)

  1. w:Georges-Louis Leclerc de Buffon (1707-1788), französischer Naturforscher
  2. Christoph Lehman(n) (ADB:Lehmann, Christoph): Florilegium politicum
  3. Vorlage: gepiesen
  4. Die Nachtigall und der Kukuk, Zeile 14
[298]

„Auweh muß hier das Bier zu Lützeroda heißen,
Wie man zu Wittenberg auch ‚Kukuk‘ findet.“

Diese beiden Verse erlauben Rückschlüsse auf die Qualität dieses Bieres, welche Tieck bestätigt, wenn er sagt: „Kukuk, das ist ein sehr fatales Bier, welches in Wittenberg gebraut wird“, ein Bier also, dem den Namen gegeben zu haben für den Kukuk nicht schmeichelhaft sein kann.

Die nichtige, eitle Thorheit des Kukuks sah man hauptsächlich darin, daß er den Leuten immer nur seinen eigenen Namen in’s Ohr ruft, gleichsam immer auf seine werthe Person aufmerksam macht. So singt Hagedorn ihn an:

„Du nennest immer deinen Namen;
Dein Ausruf handelt nur von dir.
In dieser Sorgfalt scheinst du mir
Beredten Männern nachzuahmen;
Gleichst du dem großen Balbus nicht,
Der immer von sich selber spricht?“

So wurde der Kukuk ein Typus für den immer nur sich selbst rühmenden Egoismus, und sprüchwörtlich sagt man „der Kukuk ruft seinen eigenen Namen“ von einem selbstgefälligen eiteln Menschen. Diese Redensart wird jedoch auch noch in einem andern Sinne angewandt, nämlich von Einem, der an Anderen seine eigenen Fehler tadelt, seine eigene Schande verkündet, sich selbst verräth. Dies trägt dem Kukuk sogar Anerkennung ein von Seiten Luther’s, wenn er sagt: „Dank hab du, lieber Kukuk, daß du so frisch deinen eigenen Namen ausschreiest und rühmest, daß du wollest der Widerchrist sein.“ An einer andern Stelle heißt es: „Papisten schreien sich selbst aus, wie der Kukuk“ und: „der Guckguck muß ihm selbst sein Ohrgicht(-beichte) ausrufen.“

Nicht zu übersehen bei der Erklärung des Mißcredits, in welchen der ehemals so verehrte Vogel beim Volke gerieth, sind auch die Gepflogenheiten, durch welche er sich in seiner Lebensweise von den andern Vögeln unterscheidet. Dem mehr und mehr nach wissenschaftlicher Erkenntniß, namentlich auf naturwissenschaftlichem Gebiete, strebenden Sinne des Volkes stellen sich bei der Beobachtung des Kukuks in seinem Privatleben böse Dinge heraus. „Die Ehe eines Vogelpaares,“ sagt Brehm, „ist die treueste aller Ehen; denn sie scheidet blos der Tod. Nur der Kukuk ist von allen kleinen Vögeln verachtet und gehaßt, weil weder Männchen noch Weibchen besonders viel auf eheliche Treue halten.“ Diese vom Volke schon früh erkannte Thatsache ist in unseren Volksliedern vielfach Gegenstand spöttischer Behandlung.

Der Kukuk galt geradezu als Thier der Wollust, und aus seinem Leben nahm man Bilder für allerlei Störungen der Ehe unter den Menschen. „Ein Kukuk“ bezeichnet noch heute einen wortbrüchigen Bräutigam.

Nur irrt der Volksinstinct insofern, als nicht allein das Männchen so haarsträubende Dinge sich zu Schulden kommen läßt und sich, gelinde gesagt, der Vielweiberei hingiebt, sondern auch das Weibchen, und dies vielleicht in noch schlimmerer Weise, die eheliche Treue bricht und durch ihre Vielmännerei die Eifersucht des Männchens hervorruft. Zwar ist, wie Brehm sagt, die Eifersucht allen Vögeln eigen, der Kukuk aber zeigt sie in einem so ganz besonders hohen Grade, er geberdet sich so toll und wüthend bei Sichtbarwerden eines anderen Männchens in seinem Gebiete, daß man wohl mit Recht auch auf einen ganz besonderen Grund schließen darf, welchen das Kukuksweib dem Gauch durch ihr Verhalten bietet. Es erklärt sich dann auch die im Mittelalter sehr übliche Anwendung des Namens Kukuk auf einen betrogenen Ehemann ganz in dem Sinne von Hahnrei.

„Die Ungebundenheit und Unstetigkeit, um nicht zu sagen Liederlichkeit des Kukuksweibchens,“ sagt Büchner in seinem Buche über das Liebesleben der Thiere, „mag wohl mit zu der eigenthümlichen Gewohnheit Anlaß gegeben haben, daß der Kukuk seine Eier nicht selbst ausbrütet, sondern dieses Geschäft anderen Vögeln überläßt. Ein solches tolles Liebesleben verträgt sich bekanntlich schlecht mit Familiensorgen.“

Und dies war denn der größte Stein des Anstoßes, welchen das Volk an dem Kukuk nahm. Man war einstimmig in der Verdammung eines Vogels, der allein unter allen seinen deutschen Genossen, aller Liebe zu seiner Brut bar, seine Eier regelmäßig der Pflege und Wartung anderer Vögel anvertraut und seine Sprößlinge der öffentlichen Barmherzigkeit überläßt, während er selbst lustig umherstreift, sich auf seine Weise vergnügt, neue Brut in die Welt setzt und diese wieder der Wohlthätigkeit überläßt. Darin, daß die schlechte Mutter ihre Eier auf hinterlistige, diebische Weise in das Haus der schon lange vorher von ihr erkorenen Pflege-Eltern bringt, erblickte das Volk etwas Gespenstisches, einen weiteren Beweis für das dem Kukuk innewohnende teuflische Wesen. Es thut sich nämlich eine neue, bisher noch nicht berührte Verwandtschaft des Kukuks mit den Elfen auf, wenn man sich vergegenwärtigt, daß diese, die Zwerge und Kobolde, die ihrerseits Donar’s, des nachmaligen Teufels, Sippschaft bilden, nach dem Glauben des Volkes Menschenkinder zu stehlen und sie mit ihren „Wechselbälgen“ zu vertauschen trachten. Wenn Luther sagt: „Der Kukuk hat die Natur und Art, daß er der Grasmücke ihre Eier aussäuft und legt seine Eier dagegen in’s Nest,“ so ist diese vom ganzen Volke getheilte Meinung dadurch veranlaßt worden, daß beim Einschieben des Kukukseies oft ein rechtes schon im Neste vorhandenes Ei zerbrochen wird, diente aber bei der Nichtkenntniß dieses Umstandes nur dazu, den Kukuk den Kinder raubenden Kobolden um so ähnlicher erscheinen zu lassen.

Die Annahme, daß der Kukuk einen solchen Kobold in sich berge, konnte sich übrigens auch noch auf einen andern Zug stützen, welchen er mit diesen kleinen Wesen gemein hat. Wie die Kobolde nach dem Volksglauben einen tückischen Charakter haben und Menschen, welche ihnen mißfallen, auf jede Weise zu necken und zu äffen suchen, so hat auch der Kukuk seine Freude an neckischen Streichen. Es mag für Manchen etwas Unheimliches haben, wenn er im stillen Walde plötzlich die laute Stimme des Kukuks in seiner Nähe rufen hört, und schon aus diesem Grunde ist es erklärlich, wenn man dem Kukuk die Absicht beilegte, die Leute zu erschrecken und sie schadenfroh seine dämonische Macht fühlen zu lassen. Sein Ruf scheint zum Folgen aufzufordern, aber ohne dem Suchenden sichtbar zu werden, leitet er diesen, von Baum zu Baum hüpfend, irre, und foppt und höhnt den auf ihn Achtenden durch sein fortwährendes „Kukuk“. Daher rührt ja auch das bekannte Versteckspiel der Kinder, bei welchem diese auch durch den Ruf „Kukuk!“ zum Suchen auffordern. Dieses Spiel wurde im siebenzehnten Jahrhundert lateinisch cuculus genannt.

Daß die Nachkommenschaft des Kukuks, wenn sie kaum herangewachsen ist, schon den bösen Geist der Eltern verräth, daß „die junge Zucht dem edlen Vater gleich ist“, wie Voß sagt, ist erklärlich. Durch seine ihm ähnliche Brut setzt der Böse sein Treiben fort:

„Kann der Kukuk nicht mehr schrein,
Pfeift er’s seinen Jungen ein.“

Brehm sagt von dem jungen Kukuk: „Nicht genug, daß der niemals satte Fresser unglaublich viel Nahrung braucht und beide Eltern kaum im Stande sind, seinen Hunger zu befriedigen, macht er sich auch bald in pöbelhaft undankbarer Weise groß und breit im Neste. Er wächst schneller, als die rechten Kinder des Nestes und nimmt bald den besten Platz desselben ein. Damit ist er aber noch nicht zufrieden. Bei seinem ewigen Dehnen und Recken gelingt es ihm bald, eines seiner Pflegegeschwister nach dem andern auf seinen breiten Rücken zu schaufeln und über Bord zu werfen, das heißt über den Rand des Nestes hinaus zu schleudern. Endlich brüstet er sich allein in der fremden Wiege, in welche seine wahren Eltern ihn legten, und reißt nun den weiten gelben Rachen noch weiter auf, als früher, schreit gieriger nach Nahrung, als erst. – Seit alten Zeiten ist die Behauptung aufgekommen, daß der junge Kukuk seine eigenen Pflege-Eltern verzehre. Dies ist selbstverständlich unwahr, allein es ist sehr natürlich, daß die Beobachter, wenn sie den ungeheuer aufgerissenen Rachen gesehen haben, zu solcher Meinung gekommen sind.“

Wie anspruchsvoll der junge Kukuk noch dazu bei diesen seinen Eigenschaften und Leistungen ist, zeigt, daß er beim Wegzuge sogar zu faul ist, selbst zu fliegen, wie ein Schriftsteller des siebenzehnten Jahrhunderts sagt: „Weil er faul ist und nit wol fliegen kan, so setzt er sich auf die Schultern des weiers.“[WS 1]

Doch nimmt der Kukuk auch noch die Dienste eines anderen Vogels in Anspruch, wenigstens nach dem Sprachgebrauch, nämlich die des Wiedehopfs, welcher als „Kukuksknecht“ oder „Kukukslakai“, am häufigsten wohl als „des Kukuks Küster“ bezeichnet wird und dessen hier auch noch mit einigen Worten gedacht sein möge. Veranlassung zu dieser Bezeichnung mag wohl der Umstand gegeben haben, daß der Kukuk immer einfällt, sobald der Wiedehopf sein dem Kukuksrufe ähnliches „hupp hupp“ hören läßt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Aegidius Albertinus: Der Welt Tummel- vnd Schawplatz, Seite 510

[299] Er selbst singt in dem bekannten Liede:

„Ich bin des Kukuks Küster,
Ich bin der Vogel Wiedehopf
Mit buntem Zopf auf meinem Kopf.“

Auf den Wiedehopf kann man das Sprüchwort anwenden: „Mit gefangen, mit gehangen!“ Er, der Knecht, entspricht durchaus dem Wesen seines Herrn. Bei Claudius „tanzen der Kukuk und sein Küster“ auf dem Blocksberg, womit der Wiedehopf deutlich genug als zur Sippschaft des Kukuks gehörig gekennzeichnet ist. Und wenn es in Zschokke’s Novellen einmal heißt: „das heilige Reich ist zum Kukuk und zum Küster gegangen“, so gemahnt das in verblümter Weise an den „Teufel und seine Großmutter“.

Karl Müller-Fraureuth.

Anmerkungen (Wikisource)