Fragmente aus dem Tagebuche eines reisenden Neu-Franken (1798)

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Autor: Anonym (= Johann Nikolaus Becker)
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Titel: Fragmente aus dem Tagebuche eines reisenden Neu-Franken
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Erscheinungsdatum: 1798
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[Ξ]
Fragmente
aus
dem Tagebuche
eines reisenden
Neu-Franken.

Herausgegeben
von
seinem Freunde
B.

Frankfurt und Leipzig,
1798.



[Ξ]
An F. J. Cl. in D.


Unser Freund trug mir bey der Erlaubniß, diese Bemerkungen drucken zu lassen, ausdrücklich auf, sie Dir als einen Beweis darzulegen, daß die glücklich verlebten Stunden auf der Königinn der teutschen Akademien noch in seinem Gedächtnisse sind. Wenn Dich einige Vorfälle im teutschen Vaterlande noch nicht nach den glücklichen Palmo-Inseln getrieben haben und Dir gegenwärtiges [Ξ] Büchlein wirklich zu Händen kommen sollte, so weiß ich, daß Du darinn unsern Freund ganz wiederfinden und Dich seiner herzlich freuen wirst.

Gruß und Umarmung.

     Warschau. May.
 1797.

B. 



 

[Ξ]
Vorrede des Herausgebers.


Der Herausgeber dieser Fragmente hat an das Publikum nur ein Paar Worte zu erinnern. – Der Verfasser ist einer von denen, die seit einigen Jahren mit ihrem Wolfstornister auf dem Rücken ganze Länder durchziehen, und vor den gewöhnlichen Reisenden das voraushaben, daß sie ihre Nachrichten nicht allein in glänzenden Gesellschaften, in Wirthshäusern oder wohl gar in Bordellen sammeln. Man findet davon in diesem Buche die deutlichsten Beweise. Das Manuscript, aus welchem diese Fragmente gesammelt sind, ist ein ungeheurer Foliant voll [Ξ] von den interessantesten Nachrichten und Anekdoten von Moskau bis Lissabon, und von Norwegens Grenze bis an die äusserste Spitze von Italien. Der Herausgeber macht hier eine Probe, dem Publikum einige Stücke daraus vorzulegen, die gewiß in Rücksicht ihrer Neuheit viele Vorzüge haben, wenn auch der innere Gehalt nicht immer diesen die Wage halten sollte, woran der Herausgeber selbst dann und wann zweifeln möchte. Die Nachrichten über das Reichsgericht zu Wetzlar müssen gewiß jedem Leser angenehm seyn, denn man sucht in allen Reisebeschreibungen nach diesem Orte umsonst. Was die Briefe über Wien betrift, so hat sich der Herausgeber genöthigt gesehen, manche geile Ranke daran zu beschneiden, damit sie nicht an einem oder dem andern Orte Bauchgrimmen [Ξ] erregen möchten. Wenn dieser erste Band einigen Beifall im Publikum finden sollte, so werden noch einige Bände nachfolgen, wovon der zweite eine Ansicht von Warschau und Petersburg und Briefe über Berlin enthalten soll.

Wer vielleicht mit der Auswahl nicht zufrieden seyn sollte, hat sich einzig und allein an den Herausgeber zu halten. Erinnerungen über den innern Gehalt werden dem Verfasser, der von sich sehr mäßig zu denken gewohnt ist, allerdings willkommen seyn, und der Herausgeber wird es dankbar erkennen, wenn er dadurch für den Verfolg einige Fingerzeige bekömmt.


D. H. 




 

[Ξ]
Inhalt.




Seite
Drey Briefe über das Reichskammergericht in Wetzlar. 1
Fünf Briefe über Wien. 63
Etwas über die Juden in Prag. 145
Durchflug durch Böhmen, Mähren und einen Theil von Schlesien. 159
Göttingen gegen einige Brochürenschreiber und Kläffer vertheidigt. 187




 

[1]
Briefe
über
das Reichskammergericht
in Wetzlar.



 

[3]
Erster Brief.

Wetzlar. März. 1796.

Ein Gemälde nach der Natur von dieser wegen des hier befindlichen Reichsgerichts merkwürdigen Stadt würde kein uninteressantes Stück in einer Sammlung teutscher Sonderbarkeiten seyn, wenn es von einer geschickten Hand ausgearbeitet wäre. Es ist davon so viel und doch so wenig gesagt worden, daß es dir vielleicht nicht unangenehm ist, meine Bemerkungen darüber zu hören. Du wirst freilich darinn keine gelehrte Discußionen finden, die auf jedem Blatte einer ungeheuern Anzahl juristischer Trödelwerke anzutreffen sind. Wenn du bedenkst, daß ich mich hier nunmehr schon anderthalb Jahre aufhalte und die schönste Gelegenheit hatte, mich mit vielen Dingen bekannt zu machen, die dem gewöhnlichen Reisenden selten auffallen, oder im eigentlichen Verstande dieses höchste Reichsgericht zu studieren, so wirst du mir die kleine Prahlerey hoffentlich zu gute halten, womit ich dir versichere, daß einige meiner Worte wenigstens das Gepräge der Neuheit tragen. Es kann auch seyn, daß mir da und dort ein Wörtchen entfallen möchte, das nicht [4] jedem Gaumen behagt; ich werde mir aber so viel möglich angelegen seyn lassen, im Ganzen von meinem Gegenstande mit Anstand zu sprechen, damit der unbefangene ehrwürdige Richter nicht die Miene verziehen möge, wenn auch gewisse Kläffer wie gewöhnlich laut werden sollten.

Wetzlar ist eine kleine freie Reichsstadt, die vor den stürmischen Auftritten unter Ludwig XIV. ungleich wohlhabender war, als sie jezt ohne den Aufenthalt des Kammergerichts seyn würde. Damahls blühten hier Manufakturen und Fabriken, die aber durch das Geld des K. G. zu Grunde gerichtet worden sind. Man kann annehmen, daß dieser kleine Staat jährlich wenigstens 100000 fl. in Umlauf bringt und gegen 250000 fl. einnimmt. Dies brachte mich schon lange auf eine Betrachtung, die wohl verdiente von einem größern Kenner, als ich bin, genauer erwogen zu werden. Städte, in denen eben so viel verzehrt wird, als hier, haben sich in einem Menschenalter so verschönert, daß sie kaum mehr zu kennen sind. Wenn man bey Heumann ließt, in welchem elenden Zustande sich Göttingen bey der Stiftung der Universität befand, so muß man erstaunen, wenn man gegenwärtig, ich möchte sagen, an ihrer Stelle eine recht artige Landstadt findet. Aber die Chronik von Wetzlar, die ich vor mir habe, beschreibt diese Stadt lange vor dem Auszuge [5] des K. G. von Speier eben so, wie sie jetzt ist, und man würde gewiß noch auf dem Markte die alten Häusermassen und Mönchsfratzen finden, wenn nicht Vulkan für eine neue Anlage gesorgt hätte. Wenn du es der Mühe werth hälst, dich ein Paar Schritte von deinem Gasthofe zu entfernen, so ist es halsbrechend Werk, und im Winter kann ein Fremder die Straßen ohne Fußhaken gar nicht betreten. Entweder läuft man Gefahr, sich auf den Treppen, deren es hier sehr viele giebt, weil die Stadt in einem Berge liegt, die Rippen einzufallen, oder Abends mit der Nase in einen Misthaufen zu laufen, die vor den Häusern Mannshoch aufgeschüttet sind, oder von einem baufälligen Schornstein erschlagen zu werden. Vielleicht habe ich an einem andern Orte Gelegenheit, einige Betrachtungen hierüber anzustellen. Ich sage dir jetzt nur so viel, daß die Hauptursache davon wohl selbst an den Assessoren und übrigen Mitgliedern des Kammergerichts liegen mag; denn jene bauen sich hier selten an, weil ihr Aufenthalt sich nur auf das Leben des Hauptes der Familie beschränkt, und nach seinem Tode die Familie gewöhnlich abzieht, und von diesen kaum der Sohn das Amt des Vaters übernehmen kann. Eine andere Ursache mag auch die Lage der Stadt selbst, die elende reichsstädtische Verfassung und der dünnethuende Bettelstolz der Bewohner seyn, der hier so weit geht, daß der Bürgermeister, der [6] jetzt ein Lohnlaquai ist, sich einen Reichsstand nennt und vom senatu populoque Wetzlariensi spricht. Sonst weiß ich dir von der Stadt selbst nichts zu sagen, denn man merkt ihr es kaum an, daß das Reichsgericht hier ist, weil die Assessoren sie gar nicht lebhaft machen. Keiner von ihnen zeichnet sich in dieser Rücksicht aus, und der Kammerrichter, der über 16000, rheinische Gulden Einkünfte hat, geht lieber zu Fuße, als daß er mit 4 Pferden zu Rathe fährt. Oeffentliche Lustbarkeiten giebt es kaum, und ein Theater-Unternehmer, der im vorigen Sommer hieher kam, weil er nichts Bessers wußte, mußte schon nach 3 Wochen wieder abziehen, weil der Ruin seiner ganzen Gesellschaft die Folge eines längern Aufenthaltes gewesen seyn würde. Indessen würdest du sehr irren, wenn du hieraus auf einen allgemeinen Fleiß schließen wolltest, den Einige kaum den Namen nach kennen, wie du weiter unten hören wirst.

Das Kammergericht befindet sich jetzt über ein volles Jahrhundert in dieser Stadt, seit es von dem französischen Mordbrennerführer von Speier vertrieben und größtentheils zerstreut ward. Seit dieser Zeit hat es zwar einige Revolutionen in der Verfassung, aber fast keine Veränderung in den Sitten und Gebräuchen des ganzen Personals erlitten. Dies macht hauptsächlich 4 Klassen aus, die gleichsam [7] isolirt leben und nur sehr selten in gewissen Berührungspunkten zusammen treffen. Die erste Klasse machen der Kammerrichter, die Präsidenten und die Assessoren aus. Diese bilden den Adel; denn du mußt wissen, daß jeder Assessor, sobald er sein Amt antritt, vermöge einer alt hergebrachten Gewohnheit sich einen Herrn von nennt und ein gnädiger Herr wird, wenn er auch nur ein Bürgerlicher ist. Dies scheint noch ein Schein des alten Rechtes der Doctoren zu seyn, die im Mittelalter den Rang mit dem Adel hatten. Einige dieser gnädigen Herrn tragen die Nase so hoch, daß man sich ihnen mit Schüchternheit naht. Mit der einförmigen und stillen Lebensart sticht dieser Stolz sonderbar genug ab. Indessen muß man ihnen die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß sie gegen Fremde, die mit dem Gerichte selbst in keine Collision kommen, sehr gesellig und eingenommen sind. Sie geben an Sonntagen abwechselnd Gesellschaft, die aber kein Bürgerlicher, wenn er nicht besonders empfohlen und eingeführt wird, betreten darf. Selbst die Advokaten und Prokuratoren des Gerichts, wenn sie auch von Adel sind, werden davon ausgeschlossen. Eine Ausnahme machen nur die Practikanten, wenn sie Ahnen haben. Du mußt aber nicht denken, daß dieser Unterschied ein sonderlicher Verlust für die Bürgerlichen wäre. Die Gesellschaften sind so fade und leer, daß man alle Lust an ihnen [8] verliert. Ausgenommen, daß man im Staatstalar und Degen dabey erscheinen muß, findest du weder die Schmausereien der Wiener und Münchner, noch den Aufwand der Hamburger darinn. Das wäre nun freilich nicht viel verloren, wenn man auf der andern Seite durch eine gewürzte Unterhaltung entschädigt würde. Aber damit sieht es noch erbärmlicher aus. Sprichst du mit dem Assessor, so dreht sich Alles um mandata S. et C. C. und die Weiber haben entweder schon ihre Cicisbeos, oder sie stecken hinter einem so stinkenden Stolz, daß man davon laufen möchte. Selbst hier behaupten sie einen gewissen Rang unter sich und bilden gleichsam ein weibliches Kammergericht. Die Frauen der kurfürstlichen Assessoren gehen den andern nach einer gewissen Ordnung vor. Sie sitzen auf Faulbetten, während sich die andern mit Sesseln begnügen, reichen dir mit unbeschreiblich affectirter Hoheit die Hand zum Kusse und werden von dem Männervolke mit einem Schwalle von Titulaturen überhäuft, daß es zum Todtlachen ist. Was für erbärmliche Rollen oft hierbey gespielt werden, übersteigt allen Glauben. Da sitzt z. B. die gnädige Frau, die durch die Beförderung ihres Mannes auf einmahl aus dem Bürgerstande getreten ist, und belästigt deine Ohren mit dem abscheulichsten Deutsch oder dem Patois französischer Fischweiber, das ihren Krämer- oder Kammermädchen-Stand nicht verkennen [9] läßt; erzählt dir ihre Abenteuer zu der Zeit, als Karl XII. bey Pultawa geschlagen ward, auch wohl etwas von Butter und Käse u. dgl. Die Andern sind in beständige Parthieen an die Spieltische vertheilt, wo oft sehr hoch gespielt wird, selbst Faro nicht ausgenommen, für das im vorigen Winter von der Frau eines Assessors und einem österreichischen General eine eigene Bank errichtet war.

Die Damen der ersten Klasse halten sich immer in einer weiten Entfernung von der zweiten, und lassen diese ihren Rang selbst öffentlich empfinden. Es ist stadtkundig, daß die adeliche Frau eines berühmten Prokurators, der jährlich seine 10000 fl. Einkünfte hatte, nach der adelichen Gesellschaft lüstern ward, von der sie vermöge des Amtes ihres Mannes ausgeschlossen war. Nachdem ihre Supplike um die Aufnahme einigemahl cum indignatione zurückgegeben war, gelangte sie endlich, aber erst nach dem Tode ihres Mannes, in einer eigenen Sitzung des weiblichen Kammergerichts, worinn es stürmischer als in irgend einer Rathssitzung zugegangen seyn soll, durch die Mehrheit der Stimmen zu dieser Ehre, aber blos für ihre Person und ohne Präjudiz auf künftige Fälle. Du darfst diese Anekdote nicht für ein Bruchstück aus der Aergerchronik dieser Stadt halten; nein! Alles ist hoher ungeheuchelter Ernst, und man nennt dir hier die Namen [10] aller dabey intereßirter Partheien öffentlich und ohne Zurückhaltung. Wenn du mehr von diesen Erbärmlichkeiten lesen willst, so kannst du eine meisterhafte Schilderung von der Hand des vortreflichen Göthe in Werthers Leiden finden, die buchstäbliche Wahrheit ist, und jedem, der selbst hier bekannt ist, ungemeines Vergnügen machen muß. – Willst du dich gut unterhalten, so mußt du einige der Assessoren, die wirklich viele Routine und Weltkenntniß besitzen, besonders besuchen. Wenn du dieses Glück hast, so wirst du in der That Ausbildung, Artigkeit, Liebe zu den schönen Künsten und Wissenschaften und einen muntern Ton finden. Oeffentlich werden aber diese Wenigen von dem allgemeinen Schwalle und einem alten Gebrauche fortgerissen, der sich noch von der Zeit herschreibt, wo Kurfürsten Kammerrichter waren, die den Assessoren für ihre Gesellschaften einen eisernen Freiheitsbrief gaben, auf den, wie gesagt, die meisten jetzt noch pochen.

Der jetzige Kammerrichter, ein Graf Spauer, ist wirklich ein geschickter Mann, der aber ein sehr eingeschränktes und einfaches Leben führt, und dadurch von seinem Vorgänger, dem bekannten Fürsten Hohenlohe seltsam genug absticht. Er ist bey den Arbeiten des Gerichtes unermüdet. Seine Vorträge in Plenarversammlungen, deren ich einige gelesen habe, tragen das Gepräge einer reifen Erfahrung, [11] die er sich seit 30 Jahren erworben hat, seit er seinen ehrenvollen Posten bekleidet. Der Präsidenten giebt es 2, 1. katholischen und 1. protestantischen. Jener, ein Graf Oettingen-Wallerstein, der erst seit einigen Jahren hier ist und vorher Reichshofrath war, ist ein recht artiger und gefälliger Mann, und wirklich ein Freund der schönen Künste. Uebrigens wird von diesen beiden Herren keine tiefe Gelehrsamkeit, sondern nur alter Adel erfodert, um in den Senaten und Audienzen zu präsidiren und conclusa zu fassen, die sie aber in weitläuftigen Sachen meist andern überlassen.

Wenn ich nun meine Augen von den Hauptpersonen abziehe, so machen die Advokaten und Prokuratoren die zweite Klasse aus. Jene sind so zu sagen die Verschnittenen der ersten Klasse. Weil es ihre Hauptabsicht ist, eine Prokuratur zu erhalten, die von den richtenden Personen abhängt, so machen sie diesen auf die niedrigste Art den Hof, selbst mit Vernachläßigung des Wohlstandes durch eine affectirte Unterthänigkeit und abscheuliche Grimassen. Die Prokuratoren sind etwas freier und unabhängiger, weil sie schon die höchste Stufe, zu der sie hier gelangen können, erstiegen haben. Es giebt einige unter ihnen, die in ihrer Einnahme noch einmahl, auch zwey und dreymahl so hoch, als ein Assessor stehen. Aber sie bleiben dennoch, so wie [12] die Advokaten durch eine ungeheure Kluft von den Assessoren entfernt, in deren Zirkel sie gar nicht schmecken dürfen. In ihren Gesellschaften sieht es eben so bunt aus, besonders wenn sich ein Assessor herab läßt, sie mit seiner Gegenwart zu beehren. Es ist in der That unausstehlich zu sehen, wie weit er dann den Sultanismus treibt. Wahrlich es kann an großen Höfen nicht steifer zugehen, wenn sich die Majestät oder Durchlaucht in der Mitte des Adels zeigt. Nichts kam mir aber lächerlicher vor, als daß es den Advokaten und Prokuratoren durch ein eigenes Gesetz verboten ist, sich von ihren Bedienten und Mägden gnädige Herrn nennen zu lassen. Sie suchen sich aber dafür durch eine andere Unart schadlos zu halten und schleppen sich mit einer erbärmlichen Titelsucht. Wenn dir einer begegnet, dem du an der Nase ansiehst, daß er kein Assessor, an der Erbärmlichkeit, daß er keine Kanzelley-Person, oder an den Fingern, daß es kein Schuster ist, so kannst du gewiß darauf rechnen, daß du zum wenigsten einen geheimen Rath, einen Hofrath, einen Finanzrath, einen Justitzrath, einen Kriegsrath, einen Kammerrath, einen Kanzelleyrath, einen Rechnungsrath, oder weiß der Henker was für einen Rath vor dir hast. Dergleichen Titel kauft man sich gewöhnlich von großen und kleinen Reichsständen, die sie für ein Paar Kreuzer Trankgeld zu Dutzenden feil bieten. Der Practikant, wenn er nicht von Adel [13] ist, heißt Herr Doctor, und der Notarius Herr Reichssekretär. Ich könnte dich hier mit hundert Anekdoten ennuyiren, wenn es der Mühe werth wäre, länger davon zu sprechen.

Die dritte Klasse machen die Kanzelleypersonen aus. Hier möchte ich wirklich Hogarths Griffel und Lichtenbergs Zauber des Witzes haben, um dir diese Karrikaturen darzustellen. Sie werden von dem Kurfürsten von Mainz bestellt, und ziehen ihren Gehalt von den Sporteln der Kanzelley. Diese sind aber so mager, daß die armen Leute mit Weib und Kind in der äussersten Dürftigkeit leben. Die Protonotaren stehen unter ihnen oben an und können immer noch auskommen, wenn sie gute Wirthe sind. Einer unter ihnen zeichnet sich als Kameral-Schriftsteller zu seinem Vortheile aus. Sie haben den Rang mit den Advokaten und Prokuratoren. Die Notarien, welche das Protokoll in den Senaten führen, sollten eigentlich studierte Juristen seyn, sind aber meist verlaufene Studenten oder Findelkinder, ohne alle Erziehung und Kenntnisse, und schwerlich ist je einer von ihnen aus den Grenzen seiner schmutzigen Vaterstadt gekommen. Auf der Kammer machen sie die Lakaien der Assessoren, lüften ihnen die Kleider, ziehen ihnen die Stiefel aus, reinigen ihnen die Schuhe, friesieren sie und sind in dieser Rücksicht die gefälligsten Leute von der Welt. Sie sollen [14] besonders geschickt seyn, die gnädigen Herrn mit Anstand aufzuwecken, wenn sie während einer Relation vom Schlafe befallen werden. Die Archivare (Leser) sind von keiner bessern Sorte. Du würdest umsonst nach einem unter ihnen suchen, der die Diplomatik nur dem Namen nach kennte, oder etwas von der Archivkunst verstünde. Alles, alles ist erbärmlich, und dies hängt ganz allein von dem Eigensinne des Reichskanzlers ab, der diese Stellen blos mit Katholiken besetzt und ihnen dadurch eine Unterstützung entzieht, wozu sich die protestantischen Stände wohl verstünden, wenn der Kurfürst auch Protestanten anstellen wollte. Daran läßt sich aber in Teutschland nicht denken. So wird sich also kein Mensch um diese Dienste bewerben, so lange er nicht zum Spaden zu greifen genöthiget ist. Von den eigentlichen Kanzellisten möchte ich nichts sagen, denn sie sind zu tief unter der Kritik und schon Zwierlein schrieb von ihnen, daß sich Gatterer vergebens den Kopf zerbrechen würde, um ihre Handschrift zu lesen. Indessen juckt es mich doch zu sehr in den Fingern, als daß ich nicht eine Anekdote hersetzen sollte, die einzig in ihrer Art ist. Ich war kaum vom Wagen gestiegen und hatte mich in dem Fenster der Gaststube gelagert, als ich einen Mann in dem sonderbarsten Anzuge um die Ecke lenken sah. Seine Hungergestalt fiel mir nicht auf, aber seine wichtige Miene, die ein Mann von Bedeutung nicht [15] besser affectiren kann, machte mich stutzig. Er trug einen zerrissenen Rock von ungewisser Farbe, Schuhe mit ungeheuer großen kupfernen Schnallen, grüne Strümpfe, die über den schmutzigen ledernen Beinkleidern aufgerollt waren. Auf den Schultern hing ein abscheulicher Mantel mit Ermeln, den schwerlich ein Bettler von der Straße aufgelesen haben würde. Seine Frisur war hoch und gewölbt, und hinter eine Art von Beutel aufgeheftet, dessen Enden an den schrofen Hut anstießen, der die Frisur auf dem Kopfe bedeckte. Sein ungeheures Nasengebirge, die behaarten Warzen im viereckigen Angesichte, wie Bürger sagt, die Augbraunen, die wie Fußsäcke herabhingen, die ungewaschenen Hände mit zollangen Nägeln paßten herrlich zu dem Anzuge, den ein alter Sarras an der Seite noch fürchterlicher machte. So wie er um die Ecke herum war, machte er tiefe Bücklinge vor mir, und prieß den Tag glücklich, an dem ich in die Stadt eingezogen wäre. Um mich vor den weitern Sottisen der Unholdsfigur zu retten, schloß ich das Fenster zu und zog mich zurück. Aber das Gespenst war sogleich bey mir auf der Stube, nöthigte mich in einen Sessel niederzusitzen, stellte sich gravitätisch vor mich hin und besang in teutschen, lateinischen und ich glaube auch in chinesischen Knittelversen ausserordentliche Eigenschaften an mir, ob er mich gleich nie gesehen und wegen meiner Unbedeutenheit noch [16] viel weniger von mir gehört haben konnte. Als er zu Ende war, versicherte er mir, daß er noch eine eigene Kantate auf meine Ankunft in der Mache hätte, die ein Meisterstück ihrer Art werden sollte. Ich dankte für die Ehre, warf ihm ein Paar Groschen in den Hut und wollte mich entfernen. Aber da war nicht fortzukommen. Ich mußte den Narren nolens volens mit Schnapse und Brodt bewirthen und er gab mir auf eine sehr deutliche Art zu verstehen, daß er mich auch mit Bedürfnissen zu Bette versorgen könnte. Glaubst du es wohl, daß dieser Mann, vor dem kein Fremder sicher auf der Straße ist, die Würde eines Sekretärs an dem kaiserlichen und Reichskammergerichte bekleidet! – Doch, lassen wir den Vorhang fallen.

Ich komme auf die vierte Klasse, die sich nur zufällig hier befindet, zu den Practikanten und Sollicitanten, von denen ich dir nur überhaupt etwas zu sagen gedenke. Practikanten werden diejenigen genannt, so nach ihrem Abzuge von der Universität sich hieher begeben, um sich auf der Schreibstube eines Assessors zu practischen Geschäftsmännern zu bilden. Gegenwärtig ist einer der geschicktesten Assessoren, Herr von Steigentesch[1], derjenige, welcher [17] sich am meisten mit ihnen abgiebt. Alle sprechen von diesem Manne mit Entzücken und Begeisterung, und ich muß diesen Lobsprüchen mit voller Ueberzeugung beipflichten, seit ich den vortreflichen Mann persönlich kennen zu lernen die Ehre hatte. Er ist die Seele der gesellschaftlichen Unterhaltung, und wo er sich nur blicken läßt, herrscht der angenehmste und munterste Ton. Er ist Philosof und geht mit der Litteratur in 4. lebenden Sprachen fort. Er zeichnet, spielt verschiedene Instrumente und liebt die Kunst bis zur Schwärmerey. Für die Practikanten ist er der unvergleichlichste Mann von der Welt. Er behandelt sie als Freunde und läßt sich keine Mühe verdrießen, ihnen nützlich zu werden. Seine Bibliothek und seine Arbeiten stehen ihnen stündlich offen. Er theilt sie, wie ihre Anzahl größer oder kleiner ist, in 2 oder 3 Abtheilungen. Die erste Abtheilung fängt mit dem Lesen der Acten an, geht dann zu den am Kammergerichte abgelegten Relationen in Appellations- und Mandats-Prozessen über. Die erste Arbeit besteht im Extrahiren der Acten, und es ist fast unbegreiflich, wo der Mann die Zeit hernimmt, diese Extracte aus den ungeheuersten Actenstücken entweder selbst zu lesen und Noten beizuschreiben, oder sich vorlesen zu lassen. Darauf schreitet man zum Referiren selbst, anfangs in leichten Sachen. Bey der Ablegung einer Relation ist er immer selbst gegenwärtig, läßt nach der Reihe [18] votiren, macht seine Anmerkungen über die Arbeit und giebt dann die wirkliche Relation zum Vortrage, wenn sie in einem der Senate schon abgehalten worden ist. Die zweite Abtheilung beschäftigt sich schon mit größern und schwerern Arbeiten, wie sie am K. G. vorkommen. Die Practikanten müssen vor der Aufnahme auf eine Schreibstube vor dem Kanzelley-Verwalter und einem Protonotar den Eid der Verschwiegenheit ablegen und dann stehen ihnen alle Geheimnisse des Gerichts, selbst oft die Protokolle des Plenums offen. Hierinn hat die Praxis am Kammergerichte einen entschiedenen Vorzug vor der am Reichshofrathe. – Sie sind übrigens hier gut gelitten, weil sie den Mädchen des Personals den Hof machen. Diese armen Geschöpfe würden oft ohne Mann bleiben, wenn sich nicht einst einer aus alter Bekanntschaft über sie erbarmte; denn die jungen Männer, die heirathen können, sind hier sehr selten.

Der Sollicitanten giebt es jetzt nicht so viele mehr, wie ehemahls. Sie stehen unter der besondern Jurisdiction des Kammergerichtes und haben Zutritt in die Gesellschaften der ersten Klasse, wenn sie von Reichsständen abgeschickt sind.

Unter den hiesigen Mädchen giebt es recht artige Kinder. Sie sind lieblich, wie die Rosen und munter [19] wie die jungen Rehe. Fast jeder Practikant hat unter ihnen eine Geliebte. Sie geben ihren Liebhabern Rendevous an den Fenstern früh und spat, nehmen Briefe von ihnen an, gehen mit ihnen spatzieren, spielen und tanzen mit ihnen auf mancherley Art, lassen sich von ihnen besingen nach Endreimen und ungebunden, und auch wohl entführen. Dies hat freilich oft nicht die besten Folgen. Es giebt Mädchen hier, die sich seit 3 und 4 Jahren von allen Practikanten nach der Reihe haben lieben lassen, aber eben darum schwerlich je Männer bekommen werden. Auch an Schlägereien fehlt es bey diesem Dienste des kleinen Kriegsgottes nicht, und erst vor kurzem haben sich zwey wegen ihrer Göttinn die Hälse brechen wollen, sich aber doch zuletzt auf eine sehr sonderbare Art verglichen, und wenn ich nicht irre, in diesem Vergleiche sogar die Stunden bestimmt, in denen einer nach dem andern die gemeinschaftliche Geliebte lieben darf. Daß bisweilen sichtbare Spuren einer solchen Liebe zurückbleiben müssen, ist eine ganz natürliche Folge, die aber desto schlimmer ist, wenn beyde Theile in Rücksicht ihrer Geburt oder anderer Verhältnisse so weit von einander entfernt sind, daß an keine Verbindung zu denken ist. Uebrigens ist es hier mehr als irgendwo Sitte, seiner Geliebten untreu zu werden. Man weint freilich bey der Trennung, schreibt sich auch wohl 2. 3. Briefe, aber damit pflegt auch Alles ein [20] Ende zu haben. Ist der Vertrag auf diese Art gebrochen, so schließen die Mädchen augenblicklich mit einem neuen Practikanten den Bund der Liebe, der auf die nämliche Art getrennt wird, und so geht es einige Jahre fort, bis die Reize abgeblüht sind und ausgewuchert haben. Lebe wohl.


Zweiter Brief.

Wetzlar. May. 1796.

Um auf die Geschäfte des Kammergerichts selbst zu kommen, muß ich erst von der Aufnahme eines neuen Assessors sprechen. Diese hängt ganz allein von Verbindungen und dem guten Willen des Gerichts ab. Sobald der praesentatus sich einstellt, wird er zuerst allgemein examinirt über Studium, Geburt, Dienstjahre bey Reichsständen, moralischer Gesundheit u. dgl. Man hat Beyspiele, daß man hier wegen eines unglücklichen Duells auf der Universität Anstand genommen hat. Von dem reichsständischen Dienst wird nach Umständen oft dispensirt, wie dann gegenwärtig wirklich 2. Assessoren hier sind, die nie in einem Gerichte gesessen haben. Darauf werden dem Kandidaten Acten zur Proberelation vorgelegt, die schwerer oder leichter zu bearbeiten [21] sind, wie man ihn mehr oder weniger begünstigt. Sie muß zu Hause ohne fremde Hülfe ausgearbeitet werden. Die Geschichte, wo der Prokurator Haas einem gewissen Grafen die Relation vorgearbeitet hat, ist bekannt genug. Während dieser Zeit macht der Kandidat der Frau seines Censors die Cour, tanzt mit ihr unausschließlich u. s. w. Ist er gar unverheyrathet und macht Miene sich in die Tochter seines Censors zu verlieben, so setzt ihn dieser oft durch seinen Einfluß und seine Autorität ohne weiteres durch. Ist die Relation fertig, so wird sie censirt, der Kandidat darüber examinirt und wegen seiner Aufnahme in pleno votirt, wobey auch schon der Kammerrichter den Ausschlag gegeben hat, wenn gleiche Stimmen waren. Hat sich der Kandidat als ein verträglicher oder gar als ein liebenswürdiger Mann gezeigt, so ist er geborgen. Aber wehe ihm, wenn er einige kleine Nabobs des Gerichts zu Feinden hat. Ich habe in den Protokollen Beyspiele gefunden, wo man ihn gefragt, wie z. B. dieses oder jenes Gesetz wörtlich lautete, unter welchem Titel und Paragraphen, und ich schäme mich, es zu sagen, aus welcher Seite des corporis juris es vorkäme. War der Kandidat gar visitator, und also persona odiosa, so geht es noch schlimmer zu. So hat man vor mehrern Jahren einen sehr geschickten Mann abgewiesen, weil er die Frage: quaenam actio sit instituta? verfehlt [22] haben sollte, und doch hat er eine schöne Abhandlung über die Klagen geschrieben. Aber der Mann war ehemahls Visitator und soll über dies und das räsonnirt haben. Der präsentirende Reichsstand war über das Gericht so aufgebracht, daß er gesagt hat: „ich habe den Herrn meinen besten Mann geschickt und sie haben ihn abgewiesen. Jetzt sollen sie meinen Esel haben.“ Der Esel kam und ward – angenommen. Daß es aber auch oft die Reichsstände bey ihren Präsentationen zu bunt machen, ist unläugbar. Vor ungefähr 12. Jahren kam sogar einmahl Einer daher, der mehr als 300. grammatikalische Fehler in seiner Relation machte. Er war übrigens nicht beliebt, ward abgewiesen, kam nach Hause und sein Herr beförderte ihn zum geheimen Rath, zum Beweise, daß er das Verdienst besser zu schätzen wüßte. Ist Einer ganz verwerflich und man möchte ihn doch nicht so gerade zurück weisen, entweder weil ihn ein Unterrock protegirt, oder weil man seinen Herrn fürchtet, so setzt man ihn um ein Paar Jahre zurück, oder giebt ihm eine neue Arbeit, wie es ganz neuerlich einem galanten Herrchen geschehen ist.

Bey solchen Umständen ist es leicht begreiflich, daß das Personale der Assessoren aus allerley Leuten bestehen müsse. Da findest du Männer, die unermüdet sind und dem teutschen Reiche sowohl in Rücksicht [23] ihres Charakters, als ihrer Geschicklichkeit Ehre machen. Ich darf hier nur einen Steigentesch, Riedesel, Schüler, Huber, Globig, Balemann, den jüngst verstorbenen Spauer u. a. nennen. Aber auf der andern Seite giebt es wieder so ärmliche Wichte, daß man nicht weiß, ob man sie auslachen, oder bedauren, oder verachten soll? Es möchte von ihnen gelten, was der Dichter sagt:

Von meinem Ehrenmann blieb, wenn er blank und baar
Entstaatsperückt, enthalskraus’t, ausgewindelt
Aus seinem großen Amtstalar,
Kurz, wenn er ganz von dem, was er nicht selber war,
Vom Haupt bis auf den Fuß entschindelt
Vor mir erschien; – blieb, sag’ ich, blank und baar
So wenig, daß es kaum der Rede würdig war.

Ich hörte sogar einmahl Einen laut im Theater sagen: es ist doch zum rasend werden, daß man hier so viele Langeweile hat und nicht weiß, wo man die Zeit hinbringen soll. Und doch hatte der Mann gegen 30. unerledigte Extrajudicial-Sachen im Hause, und seit 2. Jahren noch nicht ein einzigesmahl judicialiter referirt; aber dagegen Bälle entreprenirt, Tänze aufgeführt, Lustparthieen gemacht, Gastmäler gegeben, Faro gespielt u. dgl. Eine künftige Visitation wird hier erstaunlich viel auszumisten [24] haben, wenn sie gleich schwerlich Spuren von Bestechungen finden wird, wodurch Nettelbla, Papius (im Götz von Berlichingen Sapuppi) und Reuß ihre Schande verewigt haben. Viele Mitglieder scheinen auch wirklich für die Zukunft bange zu werden, denn man kann sie wirklich nicht mehr erbittern, als wenn man von Visitationen spricht.

Ein sicheres Mittel, der Faulheit Grenzen zu setzen und Eseln den Eingang in das Heiligthum der Themis zu verschließen, wäre gewiß die Preßfreiheit. Verstehe mich recht. Ich begreife darunter nicht die Freiheit über die Gebrechen des Gerichts, ohne Scheu seine Meinung sagen zu dürfen, die jedermann vermöge der teutschen Constitution schon hat, und die sich auch ohne das von selbst verstünde, sondern die allgemeine Freiheit, die Relationen der Beisitzer zu lesen, drucken zu lassen, mit Noten zu begleiten u. s. w. Man komme mir nicht mit dem abgedroschenen Einwurfe: daß dieß der Prozeßsucht Nahrung geben würde. Wenn man bedenkt, daß jeder Prozeß doch einmahl einen Ausgang haben muß, und ihm in den Reichsgesetzen selbst gewisse Schranken bestimmt sind, über welche er nicht hinaus darf, so sehe ich nicht ein, wie man diesen von dabey intereßirten Personen schlau erdachten Einwurf noch machen kann. Und ich bitte, habe ich nicht angebohrne Befugniß, mein Recht, so [25] lange es noch einigen Anschein hat, bis auf den letzten Athemzug zu vertheidigen, und haben nicht auch schon die Reichsgerichte weislich dafür gesorgt, daß keine frivolen Sachen gleich Anfangs angenommen werden sollen? Ich getraue mir die Wette zu wagen, daß die Sachen dadurch nicht um Eine vermehrt werden. Sollte auch ein unruhiger Kopf in den Relationen bisweilen Dinge finden, die ihm anstößig sind, so will ich zugeben, daß er seine Sache weiter verfolgt, was er auch ohne das wahrscheinlich gethan haben würde; aber ist es auch nicht zu hoffen, daß Mancher durch die Gründe seines wackern Referenten so überzeugt wird, daß er schon nach der Extrajudizial-Relation sich beruhigt, ohne den letzten Ausspruch abzuwarten? Und welche Vortheile von der andern Seite! Die Beisitzer würden zum Fleise gezwungen, wenn sie sich nicht vor der ganzen Nation prostituiren wollten; sie würden Meisterstücke liefern, da sie jetzt manchmahl nur auf geradewohl arbeiten; und was gilt’s: wenigstens der vierte Theil nähme schon bey der Vorstellung des fürchterlichen Riesen Preßfreiheit gleich seinen Abschied, und gesellte sich zu den bekannten Thierchen in den Stall, zu denen er besser gehört, als in ein ehrwürdiges Gericht, wo das Wohl und Wehe ganzer Länder entschieden wird. Die Votanten würden bey der Sitzung nicht mehr einschlafen, oder was eben so arg ist, Zeitungen und Journale lesen, [26] sondern den Vortrag aufmerksam anhören, zu Hause darüber nachdenken und dann erst ihre Meinung sagen. Es würde keine Beispiele geben, wie ich eines in den Protokollen gefunden habe, daß ein Beisitzer seit länger dann 12. Jahren in allen Sachen ohne Ausnahme der Meynung des Referenten beitrat, diese mochte übrigens gegründet oder ungegründet seyn. Selbst der schädliche Despotismus gewisser Assessoren, denen man nicht zu widersprechen wagt, weil sie sonst durch ihr Geschrey Himmel und Erde bewegen, oder weil man durch ihr Ansehen geblendet wird, würde in den Annalen des Gerichts nicht mehr erwähnt werden dürfen. Und was noch herrlicher ist: einige wichtige Sachen, z. B. der Unterthanen gegen ihren Fürsten, würden die Sache der ganzen Nation werden, und der teutsche Gemeingeist vielleicht wieder aufblühen. Wenn Alles im werthen teutschen Vaterlande so stünde, wie es von Gott und Rechtswegen stehen sollte, und wenn die Vorstellungen des Bürgers zu Regensburg und Wien Gehör fänden, so lohnte es sich wohl der Mühe, daß ein Mann voll Geist und Kraft sich an diesem Gegenstande versuchte. Doch ist es vielleicht auch zu hoffen, daß die größte Revolution aller Zeiten, nebst so manchen andern wohlthätigen Einflüssen auf Teutschland auch diesen hat, und dadurch eines Theils für die Wunden entschädigt, die sie, freilich nur durch die Unbesonnenheit gewisser Fürsten, [27] geschlagen hat. Wenn die gebrechliche teutsche Staatsverfassung sich noch bis über das kleine Restchen dieses Jahrhunderts hinaus erhält, so wird eine künftige Visitation vielleicht schon hierüber Untersuchungen anstellen.

Es ist wirklich zu bewundern, daß sich das Kammergericht bis jetzt noch erhalten hat, und bey dem asiatischen Despotismus, der sich nach dem westphälischen Frieden, dem Unterdrücker teutscher Freiheit, schwer über das arme Reich legte, hat erhalten können. Die Kammerzieler sind selbst in diesen stürmischen Zeiten von den Ständen so reichlich eingegangen, als kaum vorher. Wenn mir Gott das Leben fristet, so denke ich hierüber in einer eigenen Kritik der teutschen Staatsverfassung, die seit 2. Jahren die Arbeit meiner Nebenstunden ist, dem Publikum meine Meynung vorzulegen.

Daß das Kammergericht im Auslande, besonders bey den Oesterreichern,[2] so verschrieen ist, davon [28] ist die Ursache nicht schwer zu finden. Diese Herrn betrachten die Sache durch ihre eigene Brille, die auf keines andern Menschen Nase paßt. Aber ich getraue mir, ich der Weltbürger, dem du das wohl nicht zutrauen solltest, für die Behauptung mit Degen und Rohr zu Felde zu ziehen, daß durch die Bemühungen des Kammergerichts dem Sankulotismus teutscher Tamerlane zehnmahl mehr gesteuert worden ist, als durch alle Rescripte des Reichshofraths seit seiner Existenz. Athmest du nicht freier, wenn ich dir sage, daß mir ein berühmter Assessor, ein weit und breit umher rauschender Namen bey dem hiesigen Gericht sehr oft wiederhohlt hat: „Glauben Sie mir, ich nehme die Acten in Sachen der Unterthanen gegen ihre Fürsten immer mit dem Glauben zur Hand, daß der Fürst Unrecht hat, denn mir ist seit der langen Zeit, daß ich mein Amt [29] bekleide, noch kein Fall vorgekommen, daß die Klagen der Unterthanen ganz ungegründet gewesen wären.“ Ich habe in den Protokollen Beyspiele gefunden, daß man hier gegen ungerechte Fürsten eine Sprache führt, die, wenn sie bekannt wäre, Bewunderung erregen würde, und gegen welche das Geschrey der brittischen Opposition, die nie handelt, nur leeres Schellengeklingel und Rasseln einer Kinderklapper ist. Ja ich weiß sogar eines, wo der Referent das Diadem eines gewissen Fürsten wie die Schilfskrone eines Faunus behandelte. Die Erkenntnisse gegen den Kurfürsten von Trier, in der Lütticher und Aachner Sache, ein feuerspeiendes Erkenntniß gegen den Fürsten von Speier,[3] u. a. sind Folgen dieser Sprache. Es wird der Rede werth seyn, dir hier etwas von der berüchtigten Neuwieder Sache zu sagen. Vorausgesetzt, daß du den Ursprung davon kennst, kam es darauf an: ob der Fürst ein Narr wäre oder nicht? Zwey der geschicktesten Assessoren, wovon einer schon im vorigen Sommer auf einen höhern Posten abgegangen ist, versuchten sich in einer Re- und Korrelation an dieser mißlichen Frage. Beyde schrieben mit einer seltenen Gründlichkeit und Gelehrsamkeit und einem solchen Zauber der Sprache, daß man sehr auf seiner Huth seyn mußte, um nicht von diesem oder jenem hingerissen zu werden. [30] Der Referent, Herr von Globig, war für, und der Correferent, Baron Fahnenberg gegen den Fürsten. Globig behauptete, daß man ihn im juristischen Verstande nicht für blödsinnig halten könnte. Nachdem der dritte Senat paria gemacht hatte, und ihm der zweyte adjungirt wurde, fiel das Urtheil gegen den Fürsten aus. Die vielen vortreflichen vota in dieser Sache haben mich ungemein vergnügt, und das des Herrn von Bremer hat mir vor andern gefallen. Der Fürst war persönlich hier, um seine Sache zu sollicitiren, nahm darauf den merkwürdigen Rekurs an den Reichstag, und griff in wüthenden Schriften alle Beisitzer namentlich an, die gegen ihn gestimmt hatten, und nannte sie Jakobiner und Mitglieder einer schwarzen Gesellschaft, die auch in Neuwied ihr Wesen triebe.[4] Wenn man die Sache unpartheiisch betrachtet, so ist so viel gewiß, daß der Fürst der Mann nicht ist, dessen Händen man die Regierung eines Landes, sey sie auch noch so unbeträchtlich, anvertrauen kann, wenn man ihn auch nicht gerade für einen juristischen Narren erklären kann, wozu, wie du weißt, sehr viel erfordert wird. Um dir ein Pröbchen von seinem [31] Verstande zu geben, mag Folgendes genug seyn. Er hielt sich darum für einen der unglücklichsten Menschen, weil ihn die Natur mit rüstigen Zeugungswerkzeugen begabt hat.

Ein braver Mann, sagt er, muß keine Kinder zeugen und kein Vieh halten. Je mehr Menschen und Vieh auf der Welt sind, desto mehr Koth ist auf der Welt. Dieser verpestet die Luft, und es entstehen Gewitter, die die Menschen erschlagen. Also wird man, wenn man Vater und Oekonom ist, ein Mörder der Menschheit, statt ihr Fortpflanzer zu werden. Ein Weib, behauptete er ein andermahl, wäre verbunden, sich zu jeder Stunde und selbst in öffentlicher Gesellschaft vor den Augen des Publikums von ihrem Mann befühlen und beschlafen zu lassen. Er bewieß dies so bündig wie oben aus Salomons Sprüchen. Von seiner Gemahlinn verlangte er die widernatürlichste Art der Begattung und behandelte sie überhaupt auf eine unanständige Weise, wobey sie freilich auch nicht von aller Schuld frey seyn mag. Eine seiner Schriften an den Reichstag, die er selbst gemacht zu haben versichert, fängt er mit französischen Versen an und frägt dabey die Gesandten in allem Ernste: ob wohl ein Mann, der solche Verse mache, ein Narr seyn könne? Alles das ist in öffentlichen Deductionen gedruckt, die sich jetzt schon selten gemacht haben und theuer bezahlt werden. Ob die Sache übrigens zu einem Rekurse geeignet war, ist eine andere Frage. Daß sie eine, [32] wenn auch nicht allgemeine Beschwerde der Stände enthält, scheint richtig zu seyn, denn wer weiß, ob nicht das K. G. bald noch einige dergleichen Beyspiele liefern wird, wenn dieses vom Reichstage gut geheißen wird. Einige andere Grundsätze des K. G. sind nicht weniger merkwürdig, z. B. daß ein Fürst schuldig ist, seinen Unterthanen Rechnung abzulegen, weil er nicht Herr der Güter, sondern nur Verwalter ist, (le premier serviteur de l’etat nach Friedrich von Preußen). Dies getraut man sich jetzt in Wien und an einigen andern Orten nicht zu behaupten; – daß kein Fürst seine Staatsbeamten ohne Ursache entlassen darf. Was dieses betrifft, so glaube ich doch, daß eine Ausnahme bey solchen gemacht werden müsse, die nur Einen Beamten haben, wenn er das Vertrauen seines Herrn verloren hat. Doch dies gehört nicht hieher.

Oft giebt es Fälle, wo es einem der hiesigen Wighs, von denen ich oben sprach, gelingt, abscheuliche Dinge durchzusetzen. So wurde z. B. vor einigen Tagen ein Prokurator in Strafe genommen, weil er sich bey einer Sache aus Nordteutschland, die Rubrik ist mir entfallen, zu behaupten unterstanden hatte: es gäbe gewisse angebohrne unveräuserliche Menschenrechte. Bey solchen Strafen möchte man freilich am offenen Fenster Luft suchen. Aber sie kommen gewiß nicht auf die Rechnung des bessern Theils der Beysitzer, eben so wenig als die [33] Sprache eines einzelnen Mannes dem Gerichte aufgemutzt werden kann. Da gab z. B. Einer in einer Relation Folgendes wörtlich von sich: „So kommt nun der Kläger auf seiner scheinbaren Klage wie auf einem edlen Streitrosse angeritten, um mit seinem Gegner eine ritterliche Lanze zu brechen. Dieser stach ihn aber in exceptionibus so kräftig unter die Mähre, daß er auf die Schranken fiel und das Nasenbein seiner Klage zerbrach.“ Ich glaube schwerlich, daß du hierbey lachen wirst, eben so wenig, als der Leser, dem Herr von Kotzebue versichert, daß seine Frau sich nur von ihm habe klystiren lassen wollen.

Es ist auffallend, daß es hier in politischer Rücksicht zwey Hauptpartheien giebt, obgleich die Beysitzer nach der Verfassung verbunden wären, gar keine Verbindungen mit irgend einem Hofe zu haben. Sie haben sich erst seit des preußischen Friedens mit Frankreich gebildet, und theilen sich in die preußische und österreichische. Eine dritte könnte man die neutrale nennen. An der Spitze der einen steht ein gewisser Schüler, der seine Stelle dem preußischen Hofe zu verdanken hat. Einige preußische Gesandten und die Gefahr der Zeit dienen dieser Parthey zum Rückhalte. Die zweyte Parthey ist die österreichische, aber der ersten weit überlegen. Beyde führen unaufhörlichen Krieg, und das Publikum [34] nimmt bisweilen selbst Antheil daran. Als im vorigen Herbst die preußische Demarkationslinie das K. G. und die Stadt gerettet hat, trug die preußische Parthey ihren größten Triumph davon. Aus Dankbarkeit gegen das Militair des Königs, so damahls hier lag, wurden Feten angestellt und Bälle gegeben, an denen aber Niemand von der österreichischen Parthey Antheil nahm. Ja, Schüler machte die Motion, ein freiwilliges Geschenk für die Offiziers und Gemeine zusammen zu bringen, um ihnen doch wenigstens eine Art von Dankbarkeit zu bezeigen. Da hättest du aber sehen sollen, wie die Oesterreicher um sich hieben und ins Horn stießen. Sie waren aber fein genug, die Sache nicht in politischer Rücksicht, sondern nur auf der Seite der Unschicklichkeit anzugreifen. Schüler ist seitdem unter dem Namen des Collecteurs bey der österreichischen Parthey bekannt. Daß man zu Wien sogar von diesem Vorfalle Notitz genommen haben soll, ist mir nicht ganz unwahrscheinlich. Aber wenn auch dieser oder jener Minister klein genug denken sollte, ihn zu rächen, so ist doch ein Beysitzer gegen alle Blitze von dieser Seite hinlänglich gedeckt. Und gewiß sucht Schüler in Oesterreich nicht Gesandter oder Minister zu werden.

Die Geschäfte des K. G. gehen eines Theils sehr langsam, obgleich es auch Beyspiele giebt, daß in [35] Einem Jahre ein großer Prozeß geendiget und die Restitution abgeschlagen worden ist. Es ist der Einwurf einer abscheulichen Unwissenheit, daß keine Prozesse hier geendiget würden, und daß es deren gäbe, die 300. Jahre und drüber alt wären. Ich bitte, wie kann der gesunde Menschenverstand von einem Referenten verlangen, dem ohnedies die beschwerlichen Extrajudicialien so viele Zeit nehmen, daß er auch noch seine Gesundheit in dem Staube halbvermoderter Acten verqualmen soll, wenn es nicht einmahl bekannt ist, ob noch Jemand lebt, der einiges Interesse dabey hat, oder ob die Sache nicht schon längst gütlich beigelegt worden ist? Was die neuen Sachen betrifft, so bin ich freilich der Meinung, daß sie auch sollicitirt werden müssen, doch brauchte das nicht durch eigene Gesandten zu geschehen, die oft Jahre lang hier sitzen, ehe sie nur einmahl über die Sache mit ihrem gnädigen Referenten sprechen können. Warum soll das Sollicitiren der Prokuratoren nicht die nämliche Wirkung haben können, als eines besondern Gesandten? Oder könnte man nicht einen allgemeinen Sollicitator anstellen, den jede besondere Parthey brauchen müßte. Und gewiß läßt sich der geist- und herzvolle Assessor nicht erst antreiben; sein eignes Gefühl muß ihn wecken; und dem pecori campi, das seine 4000. fl. versäuft, verschwelgt, verträumt oder wohl gar verhurt, hätte man längst Einhalt tun sollen. Uebrigens [36] giebt es jetzt keine Beyspiele mehr, daß eine Parthey ihren Referenten bey Mätressen, Bedienten oder Sesselträgern erfragen muß. Dieses alberne Geheimthun ist längst weggefallen, und kein Notarius oder Leser macht sich jetzt mehr ein Gewissen daraus, dir deinen Referenten zu nennen.

Daß es Wege giebt, seine Sache einem gewissen Senate oder wohl gar einem gewissen Assessor, zu dem man ein Zutrauen hat, in die Hände zu spielen, ist wohl unläugbar und ich glaube zu wissen was ich sage. Ausser den ungewöhnlichen und kostbaren Wegen ist dieser der einfachste und wohlfeilste. Man bittet den Hebdomadarius auf irgend eine Art, die quästionirte Sache, wenn sie auch schon in der Audienz übergeben worden ist, so lange zurück zu halten, bis der Kammerrichter meinem beliebten Manne wieder Acten zutheilt; denn dieser hält sich bey dem Vertheilen sowohl in Rücksicht der Senate als der Assessoren an eine gewisse Ordnung die der Hebdomadarius schon kennt.

Nichts ist lächerlicher, als die Audienzen. Hier werden die Urtheile publizirt und die Prokuratoren receßiren gegen einander. Dies geschieht, ich weiß nicht, in welcher Sprache, denn man hört dabey nichts als ein unverständliches Gemurmel, das ich in der That mit einem Truthahnsgekoller vergleichen [37] möchte. Diese Audienzen haben den Vortheil, daß das K. G. der Mühe überhoben ist, die Urtheile einer jeden Parthey besonders insinuiren zu lassen. Sie werden in einem Saale des K. G. Gebäudes mit einem spanischen Ceremoniell gehalten, und Jeder hat Zutritt dazu, zu welchem Behufe eine eigene Gallerie an der einen Seite des Saales angebracht ist. Daß jetzt noch Partheien hier in Ohnmacht fallen, wie ich einige Fälle aus Pütters Munde gehört zu haben, mich erinnere, ist jetzt aus der Mode gekommen.

Das teutsche Gleichgewicht, das besonders seit des Fürstenbundes so großes Aufsehen gemacht hat, ist für die Reichsgerichte von dem entscheidendsten Vortheile. Aber noch größern Einfluß würden sie auf die Fürsten haben, wenn man Oesterreich und Preußen und noch einige andere Häuser in Teutschland gar nicht kennte. Zu geschweigen, daß sie sich von der Jurisdiction der Reichsgerichte völlig losgezählt haben, und selbst in Sachen, die notorisch für dieses Forum gehören, sich an nichts kehren, geben sie den Reichsständen dadurch ein so ärgerliches Beispiel, daß selbst ärmliche Fürstlein, denen man schon zu viel Ehre anthut, wenn man sie mit Namen nennt, sich gegen die Aussprüche der Reichsgerichte mit einem abscheulichen Stolze stemmen, und wenn nicht der Fiskal bisweilen hinterher [38] wäre, so gieng es noch schlimmer. Das K. G. hat bis auf die neuesten Zeiten seine Gerechtsame mit einem Muthe vertheidigt, der in der That lobenswürdig ist. Der Reichshofrath machte in der Zeit dem Hofe die Cour. Wenn es aber noch öfters geschieht, daß Leute, die vorher, als sie noch am Kammergerichte waren, notorisch vor Andern ein Geschrey des Unwillens gegen gewisse Dinge erhoben, auf einmahl selbst öffentlich von völligen Exemtionen schreiben, so steht in die Zukunft nicht viel Gutes zu erwarten.

Das größte Ansehen behauptet das K. G. in den Reichsstädten, die es nicht leicht auf die Erkennung einer Execution ankommen lassen, weil sie für ihre Freiheit zu besorgt sind. Doch hat man auch Beyspiele, daß sie sich den Verfügungen des Gerichts heftig widersetzt haben. So fragte z. B. das K. G. vor einiger Zeit bey dem Magistrate zu Nürnberg wegen seiner Aufnahme an, wenn es wegen der Kriegsunruhen genöthigt seyn sollte, Wetzlar zu verlassen. Aber die Patrizier antworteten in einem Tone, und machten Foderungen, die mich wirklich in Erstaunen setzten. Das K. G. wußte aber gleich ein herrliches Mittel. Man bedeutete dem Magistrate, daß er in Zeit von 14. Tagen unfehlbar zu berichten hätte, wie es auf den Empfang des Gerichts gefaßt wäre, widrigenfalls [39] man den Fiskal zu exzitiren nicht versäumen würde. Das machte Sensation. Noch vor dem Ablaufe des Termins kam der Bericht zur vollen Zufriedenheit des K. G. ein. Indessen sind mir auch Beyspiele bekannt, daß ein unmächtiges Gräflein, dessen papiernen Thron ein einziger Blitz der Execution sogleich entzündet hätte, sich ohne allen Hinterhalt auf eigene Faust widersetzt hat.

Du weißt, daß auch bisweilen Fürsten gegen ihre eigenen Unterthanen hier klagbar werden. Wenn ich eine Stimme hätte, so müßten mir dergleichen Prozesse durchaus abgeschaft werden; nicht, weil sie vielleicht dem Ansehen eines Fürsten zuwider sind, sondern weil Unterthanen, sobald sie mit gemeinen Willen auftreten, eigentlich nie Unrecht haben können, und weil es blos von ihnen abhängt, ihre Fürsten, selbst nach der teutschen Staatsverfassung, nach Belieben einzuschränken. Daß es hier kein altes ersessenes Recht geben könne, ist ausgemacht, und vielleicht erleben wir noch die Freude, diesen Grundsatz in Wetzlar aufblühen zu sehen.

In Rücksicht der Religion hat man wohl jetzt eben nicht viel zu befürchten, obgleich sich dieser Dämon bisweilen noch regt. Es scheinen aber die letzten Moderdüfte aus der Gruft der abgeschiedenen Intoleranz zu seyn. In einer Zunftsache in [40] der Reichsstadt Frankfurt und Kölln war mir dies besonders auffallend. So lange es aber noch Pütter und Comp. giebt, finden dergleichen Dummheiten zur Schande unseres Jahrhunderts immer noch Vertheidiger. In meinem Staate würde ich der Presse bey einer sonst ganz unbedingten Freiheit vielleicht gar nicht erlauben, Schriften zu drucken, welche die Gerechtsame einer Religions-Parthey gegen die andere vertheidigen, und wenn dies zu Regensburg geschähe, so würde manches Aergerniß nicht gegeben worden seyn. Die nämliche Bewandniß hat es mit der Verfügung, daß 12. protestantische und 13. katholische Beysitzer hier seyn sollen. Warum sollen der Katholischen Einer mehr seyn, oder soll es nicht vielmehr völlig einerley seyn, ob man Katholik oder Protestant ist, wenn man nur Geschicklichkeit und Rechtschaffenheit hat? Oder sind vielleicht in Teutschland die Zeiten noch nicht vorüber, wo man darum ungerecht seyn darf, weil der Gegner nicht auch den Rosenkranz betet oder Messe hört? Ich getraute mir auszuführen, daß die Herrnhuter, Wiedertäufer, Juden, Griechen u. a. eben so gut, wenn auch nicht nach der Verfassung, berechtigt wären, sich zu beklagen, daß nicht auch Leute von ihrer Religion am K. G. sitzen.

Die Eintheilung der Assessoren in Senate, die Einigen, besonders denjenigen, die für den Reichshofrath [41] eingenommen sind, so sehr mißfallen, hat meinen ganzen Beifall, und die Vortheile dieser Einrichtung sind auch zu einleuchtend, als daß ich dir etwas davon zu sagen brauchte. Daß in Judizialsachen eine größere Anzahl richten müsse, als in Extrajudizialsachen, ist eben so weise. Aber daß die Sache eines Unmittelbaren oder gar eines Reichsstandes reiflichere Ueberlegung verdiene und wichtiger sey, als die eines Bürgers, ist die unverschämteste Behauptung, die man machen kann, und der Grund dazu läßt sich nur in den teutschen Reichsgesetzen, die noch mehr dumme Streiche gemacht haben, und in dem verbrannten Gehirne kriechender Sklaven suchen. Dergleichen Gesetze zeigen mehr als zu sehr, wie der überflüßige Adel vor dem nothwendigen Bürger und noch nothwendigern Bauern begünstigt wird. So gar bis in die Audienzen erstreckt sich die Albernheit und der Präsident sitzt mit größern Ernste und mehrern Assessoren, wenn Urtheile gegen Stände publizirt werden, als wenn es sich um die Sache eines Privatmannes handelt.

Es ist jedem Teutschen erlaubt, am K. G. zu arbeiten. Aber alle Schriften, die entweder von auswärtigen oder hiesigen Advokaten verfertigt sind, müssen ohne Ausnahme von einem Prokurator unterschrieben und in der Audienz übergeben werden. [42] Die Prüfung eines Advokaten ist schwer und leicht, wie der Kandidat protegirt wird. Er muß entweder Doctor oder Licentiat seyn und einen sogenannten Actum durch alle Instanzen als Anwald und Richter ausarbeiten und ein Examen darüber aushalten. Es giebt Beyspiele, daß Einer dreymahl abgewiesen worden ist; man hat aber auch Leute darunter, die in der That das K. G. prostituiren. Unter den Prokuratoren giebt es einige offene Köpfe und hochgelahrte Leute. Zum Beweise will ich nur Herrn Abel nennen, der wirklich dem K. G. Ehre macht. Ich habe Schriften von ihm gelesen, die mit einer gründlichen Gelehrsamkeit, mit einer bündigen Kraft und dabey mit einem Zauber der Sprache ausgearbeitet waren, die man hier vielleicht nicht zu finden glaubt. Vielleicht wird an keinem ständischen Gerichte in Teutschland von den Advokaten mit solcher Wärme, Würde und Freiheit gesprochen als hier. Die Beweise davon sind auf allen Seiten der meisten K. G. Acten zu finden.

Eigentlich sollte jede Sache mit 2. Schriftsätzen von jeder Seite geschlossen seyn. Ich glaube aber nicht, daß es davon viele Beyspiele giebt, und die Herrn am Bescheidtische geben die Erlaubniß zu weitern Schriftsätzen ohne alle Schwierigkeit. So muß es dann geschehen, daß die Sachen zu einer [43] ungeheuren und fast unbegreiflichen Größe anwachsen. Es werden hier Schriften übergeben, die man unter Einem Arme nicht fortbringen kann, und ich habe gesehen, daß man den struppigen Actenplunder Einer Sache dem Referenten hat zukarren müssen. Es kann also nicht fehlen, daß die Referenten ohne Noth mit Arbeiten überhäuft werden. Schon einen solchen Wust zu lesen, der nach der Duplik gewiß keine taube Nuß mehr werth ist, und gar erst zu extrahiren, fürwahr es ist herkulische Arbeit. Wenn man mit Nachdrucke über der Verordnung hielte, daß keiner weiter verhandeln darf, wenn er nicht die Auffindung neuer Dokumente beweisen kann, so würde gewiß manchem Uebel abgeholfen werden, und es fänden sich gewiß keine Beyspiele, daß um den Pfeffersack eines Frankfurter oder Hamburger Kaufmanns ganze Folianten vollgeschmiert würden. Der Befehl Kaiser Josefs II. an das K. G., über die Abkürzung der Relationen Bericht abzustatten, gab dem Referenten Gelegenheit, auch etwas über die Art der Verhandlung zu sagen. Wenn ich nicht sehr irre, so sprach er auch davon: ob man die Prokuratoren anhalten sollte, in den Senaten zu erscheinen und ihre Sachen mündlich vorzutragen? Aber du lieber Himmel, wie weit müßte es vorher erst noch kommen. Gewiß finden sich unter den hiesigen Prokuratoren kaum 3. oder 4., die im Stande wären, mit Anstand und Geschicklichkeit aufzutreten. [44] Ich will von dem Nachtheiligen dieser Einrichtung in mancher Hinsicht nichts sagen.

Es war sehr interessant für mich, mit Hülfe eines guten Freundes, der Zutritt im Archive hat, und der hiesigen Kalender, die Anzahl der Sachen zusammen zu bringen, die Unterthanen gegen ihre Fürsten seit 24. Jahren am K. G. anhängig gemacht haben, und meine Bemerkungen darüber zu machen. Ich habe gefunden, daß seit 1772. bis 1796. überhaupt 456. Prozesse der Unterthanen gegen ihre Fürsten hieher gebracht worden sind. Es kommen also auf Ein Jahr gerade 19. Davon wurden 324. erkannt, in 17. eine Ordination erlassen und 115. abgeschlagen. Es war mir nicht auffallend, daß in den Jahren 1775. und 1776., also um die Zeit der großen Hungersnoth mehr als gewöhnlich vorkommen. Aber seit 1789. geht die Anzahl jährlich über 24. hinaus. Wer verkennt hier den Einfluß der großen französischen Revolution wohl? Unter 9. Sachen sind 5. gegen geistliche Fürsten gerichtet, ein Beweiß, daß sich unter dem Krummstabe nicht gut wohnen läßt. Bey weitem die meisten sind aus Schwaben, Franken und vom Rhein, und gegen reichsstädtische Magistrate kommen unter 97. Sachen 19. vor. Seit 1788. betreffen unter 3. Klagen etwas über 2. Leibeigenschaft, Verschwendung, Rechnungsablage, widerrechtliche Entsetzungen, Zehnten, Wildbahnen, [45] Kriegssteuer, Rekrutirung u. dgl. Diese Zahlen würden noch interessanter werden, wenn es den österreichischen, preußischen und den Unterthanen anderer großen Reichsstände erlaubt wäre, an den Reichsgerichten zu klagen. Besonders merkwürdig würde ein Verhältniß zwischen Oesterreich und Preußen seyn, und man würde vielleicht manchem österreichischen Schreyer damit besser das Maul stopfen können, als mit den besten Gründen.

Für die Practikanten werden hier von 3. Männern Collegia über den K. G. Prozeß gelesen. Gewiß lies’t ihn Herr Hoscher am besten, und man würde noch mehr mit ihm zufrieden seyn, wenn er in der Praxis eine größere Gewandtheit hätte. Da er den Vortheil vor den Prokuratoren hat, daß ihm die Protokolle und Geheimnisse des Gerichts offen stehen, so kann er seinen Zuhörern manche interessante Sache mittheilen. Er ist übrigens ein sehr gefälliger Mann und auch ein guter Gesellschafter. Die beyden Andern sind der Advokat Bostel und der Prokurator Loskant, wovon sich dieser neuerlich durch eine Sammlung Schriften prostituirt hat, die er als Muster für junge Geschäftsmänner hat drucken lassen. Das Honorarium für eine dieser Vorlesungen beträgt halbjährig 3. Karolin.

Ausser einigen Universitäten und Reichsstädten findest du gewiß keinen Ort in Teutschland, wo die [46] politischen Meinungen so frei sind, als hier. Du kannst dich geradezu für den wärmsten Anhänger der Franzosen erklären, ohne daß du in Gefahr kommst, nur den geringsten Vorwurf zu hören. Die größten politischen Ketzereien und die ungereimtesten Behauptungen finden ihre Vertheidiger. Ich habe noch nirgends in öffentlichen Häusern über die Angelegenheiten der Zeit so ungescheut räsonniren gehört, als hier, und das verschiedene Interesse der disputirenden Partheien giebt nicht selten zu den lächerlichsten Auftritten Anlaß. In allen Stücken ist man hier frei und ungenirt, wenn man nur will, und mit dem Gerichte in keiner Verbindung steht. Man trinkt, schmaus’t, spielt mit Karten und Würfeln, und geht in Bordelle, weil es hier keine Polizeyknechte und keine Beleuchtung giebt. Gesetze, die heute, z. B. gegen die Hazardspiele gemacht werden, sind morgen schon vergessen und übermorgen hört man schon wieder die Würfel in den Gasthöfen rasseln.

Ehe ich diesen Brief schließe, muß ich dir noch etwas von den hiesigen Gasthöfen sagen, so hart es mir auch ankommt. Es giebt deren hauptsächlich zwey, wo ein beständiger Gast für 40. rheinische Kreuzer ohne Wein herrlich bewirthet wird. Der Wirth im römischen Kaiser, Herr Hinkel, ist das Muster eines vortreflichen Wirthes, und gewiß verläßt [47] kein Gast ohne die größte Zufriedenheit sein Haus. Man kann sich diesen Mann in der That unter die Rubrike: honette homme, in sein Wörterbuch zeichnen.


Dritter Brief.

Wetzlar könnte so gut als einer in Teutschland der Ort zur Concentrirung des teutschen Geschmackes seyn, wenn es das eiserne Vorurtheil nicht anders wollte. Hier kommen gebildete Leute aus allen Theilen dieses großen Landes zusammen, die Vermögen und auch Kenntnisse besitzen. Allein der leidige Actenstaub, der schon so manches aufblühende Genie erstickt hat, erstickt auch hier größtentheils den bessern Geschmack und verscheucht die schönen Pierinnen weit über die Grenzen, und wenn sie ja einmahl hier festen Fuß fassen, so dürfen sie doch nur bey einzelnen Männern aus- und eingehen. Man beherzigt es hier wenig, daß Schönheit der Wahrheit nur das Siegel der Vollkommenheit aufdrücken kann. Bis zu dieser Erkenntniß haben wir hier wohl noch manchen Schritt zu thun. Viele der Herrn gehen nicht einmahl mit der Literatur ihres Brodtstudiums fort, wie sollten sie auch an [48] andere Sachen denken? Daher giebt es hier keinen einzigen Buchladen, und Herr Heyer liefert aus Gießen dasjenige, was 2 oder 3 Herrn kaufen. Die übrige Trödelwaare schmuggeln die hiesigen Juden ein. Darum giebt es hier keine Lesegesellschaften und keine Lesebibliothek von Bedeutung. Es trat zwar vor einigen Jahren einmahl ein Mann auf, der berechnet hatte, daß hier eine der elegantesten Lesegesellschaften existiren könnte, und that den Vorschlag dazu, allein er fand keine Unterstützung. Der Assessor fand es unter seiner Würde sich so weit herabzulassen und der Advokat und Prokurator durfte es nicht wagen, sich zu ihm hinauf zu drängen. Das einzige, worinn man nicht zurück bleibt, ist die Kleiderpracht, die sich selbst bis auf die Töchter der ärmsten Advokaten und Canzeley-Personen erstreckt. Diese tragen die feinsten Chemisen von Mousselin und Taffet, und darunter die lumpigste Wäsche. Durch diese Aemulation der ärmern Klasse mit den hiesigen reichen Häusern ist manche Familie selbst an den Bettelstab gekommen. Ich könnte dir sogar Frauenzimmer nennen, die durchaus mit ihrer Börse brouillirt sind, und doch das Modejournal studieren, und mit der neuesten Tracht im Publikum erscheinen. Man weiß sie hier mit Fingern auszudeuten. Häuser die jährlich 400 Thl. einzunehmen haben, verwenden 300 davon auf den Putz ihrer [49] Töchter, während ihre Tische mit Wassersuppe und Habergrütze besetzt sind, und die alten Ringe und Familienstücke zu den Juden wandern müssen.

Oeffentlich vergnügt man sich hier mit Spatzierengehen, mit Concerten und Bällen. Obgleich die Stadt eine recht romantische Lage hat, so fehlt es ihr doch an schönen Spatziergängen, oder richtiger gesagt, die schönen werden nicht besucht. Der Hauptort für die Excursionen ist das eine halbe Stunde von hier entlegene Dorf Garbenheim, wo sich Wetzlars schöne Welt zu allen Jahrszeiten herumtummelt. Zwey Wege führen dahin. Der eine geht über das Gebürg durch eine äußerst romantische Gegend, zum Theil im Schatten von Gebüschen und eines kleinen Waldes, diesen betritt aber Niemand. Der andere führt längst dem linken Ufer der Lahn an der Seite eines weiten Thales an einem Berge hin über eine dürre Straße, wie in den asiatischen Sandwüsten, und man ist dabey von sengender Sonnenhitze geplagt, die an dem steilen Berge zurückstrahlt. Auf diesem wandelt nun die schöne Welt in einer ewigen Staubwolke oder einem tiefen Moraste in die elende Bauernschenke mit einem noch elendern Garten nach Garbenhein. Der Ort ist jedem bekannt, der Anspruch auf Geschmack macht, also auch dir. Ich darf ihn nur mit einem andern Namen nennen. Es ist nämlich der berühmte Ort Waldheim in dem Roman aller [50] Romane. Hier war es, wo Werther–Jerusalem so vergnügte Stunden verlebte, wo er das Wagenrad zeichnete und den Kindern Kreuzer schenkte. Der Henker mag aber seinen Geschmack holen, wenn er auch auf der dürren Straße hin gewandert ist, wie Einige behaupten. Ich glaube es nicht, weil mir der Weg über das Gebürg mehr wertherisch scheint und es auch gewiß ist. Göthe mag uns darüber aufklären. So viel sage ich nur noch, daß man in dieser Gegend die Leiden mit noch einmahl so viel Genuß und Vergnügen ließt, als an jedem andern Orte. An jedem Baum, an jedem bemoosten Steine erinnert man sich, hier saß der wackere Jüngling und dachte seine Lotte; hier stand er und starrte hinüber über die grüne Wiese und den kleinen Hügel nach den glücklichen Thürmen, bey denen sein Eins und Alles unter den Kleinen hingekauert war, oder einen Gang auf dem Flügel machte; hier irrte er hülflos herum am Abend vor jener entscheidenden Nacht; hier an diesem Felsengestein verlor er seinen Hut. Lache mich nicht aus, wenn ich dir sage, daß ich oft tief in der Nacht noch einen Gang hieher gemacht habe, und wenn ich dann an dem Kirchhofe vorüber kam, wo er in einem engen Hause schläft, seinen Hügel mit duftenden Blumen überstreute. Jetzt wird wohl keine zweite Wertheriade [51] mehr veranlaßt werden; denn wenn es hier auch noch einen Werther geben sollte, so haben wir doch gewiß keine Lotte und keinen Göthe, um die Geschichte zu mahlen und mit dem Reichthum seiner Phantasie auszuschmücken. Auf dem Zimmer, wo sich Werther erschoß, liegen jetzt Buchdruckerballen, und kein Stein auf dem Kirchhofe sagt es dem an einer gleichen Herzenswunde leidenden Fremdlinge: Hier ruht dein Bruder. Was übrigens Wahres und Erdichtetes an der ganzen Geschichte ist, habe dir zu sagen jetzt keine Lust. Einer meiner hiesigen Bekannten, der nicht genannt seyn will und mit Werthern sehr vertraut war, hat ihm an einem Orte ein kleines Denkmal errichtet, wo es Niemand suchen sollte. Sehen Sie, sagte er eines Tages zu mir, als er mich damit bekannt machte, wenn ich Jemand ausser meinen vertrautesten Bekannten etwas davon sagte, so würde gleich ganz Wetzlar allarmirt werden, man würde mich einen Schwärmer, einen Narren und weiß Gott wie nennen, besonders die Bekenner der strengen Wissenschaften und vollends der Troß von Brodtstudenten. Das Ganze steht in einer einsamen schauerlich-schönen Gegend zwischen zwey hohen Pappeln und stellt ein Grabmal vor, das zwey traurende Liebesgötter mit Blumenopfer kränzen. Ueber demselben ist ein Leichentuch ausgebreitet, [52] auf dem mit goldener Schrift der Name: Jerusalem steht. Unten sitzt eine Eule und daneben lieget eine zerbrochene Palette, ein Griffel, eine Harfe mit einigen zersprungenen Saiten und ein aufgeschlagenes umgekehrtes Buch, auf dessen Rücken Göthen’s Namen eingegraben ist. Oben schwebt ein Genius, der ein von einem Pfeile durchbohrtes Herz gen Himmel trägt. Das Grab sammt dem Beiwerk ist aus Blankenburger Marmor, von Melchior, wenn ich nicht irre, der ehemals in Höchst wohnte, gehauen nach einer Zeichnung eines bekannten hiesigen Dilettanten.

Der Hauptspatziergang in der Stadt ist ein kleiner Platz neben einer alten Kirche in arabischem Geschmack. Er ist theils gepflastert, theils mit Rasen bewachsen, theils mit Sande überschüttet, ungefähr 50. Schritte lang, 12. breit, mit einer niedrigen Mauer umgeben, kurz, der elendeste Spatziergang, den ich in meinem Leben gesehen habe, aber dabey in einem Betrachte nicht minder wichtig, als weiland die große Allee in Mainz, die Linden in Berlin, die Esplanade in Leipzig und der Augarten in Wien. Hier verschnauft sich der Assessor, wenn er aus dem Senate kommt, und hier werden die Liebesbündnisse eingeleitet und geschlossen. Im Sommer wird dieser Platz von 10 und 11 Uhr Abends [53] niemahls Menschenleer. Er ist auch den Tag über immer vollgestopft, weil man hierhin die Bestellungen macht und aus dem nahe dabey gelegenen Gasthofe gesehen und gegrüßt werden kann. Er ist der Lieblingsplatz der Koquetten und Schäferinnen, zum Ausstellen der Netze und Lagen der Angeln.

Concerte giebt es im Winter und Sommer hier. Im Winter werden sie in einem Saale des Hinkelschen Gasthofes gegeben, und im Sommer in einem Garten vor dem Thore an der Westseite, in dem Sapuppi weiland die Justitz feil bot und der jetzt der reichen Hinkelschen Familie gehört. Wenn ich hier von Concerten spreche, so darfst du aber nicht an eigentliche Concerte denken, wie man sie in andern Städten giebt. Hier sind es blose Versammlungen, um zu sehen und gesehen zu werden, und um Dinge abzuthun, die man anderswo nicht füglich abthun kann. Der Sollicitant und Prokurator sollicitirt hier seine Prozesse, der Referent bespricht sich mit dem Correferenten, der Practikant erschöpft alle Romane, um seine Geliebte zu unterhalten, der Advokat erstirbt im Knechtsgefühl, und die Kartenspieler erinnern an die Fabel: ein Mann, der in der Welt sich treflich umgesehn. Herr Enslin, ein braver Künstler, von dem du einige Lieder recht artig in Musik gesetzt kennen wirst, ist Musikdirector. Aber kein Mensch nimmt Notitz von seiner Kunst und der geplagte Mann ist nicht selten [54] gezwungen, silentium zu rufen, wenn des Lärmens und Schwärmens um ihn kein Ende wird. Bisweilen lassen sich auch Dilettanten und Dilettantinnen hören, aber auch mit wenigem Glücke, weil stärkere Leidenschaften jedes andere Gefühl verdrängen, es müßte dann seyn, daß sich die Göttinn des Tages oder die Lais des Publikums hören läßt. Dann wird freilich jeder Odem angehalten, man drängt sich hinzu, man hebt sich auf die Zehen, es herrscht eine tiefe Stille, die nur selten durch ein unwillkührliches bravo, bravissimo unterbrochen wird, bis sich endlich der Beifall in ein allgemeines Klatschen ausläßt. Man schreit von allen Seiten: herrlich, göttlich, c’est excellent, wir beten dich an u. dgl. Zuletzt endigt sich Alles mit einem kleinen Balle, und dieser ist eigentlich die Lockspeise, welche die jungen Damen und Herrn dahin zieht. Die Alten gehen dann nach Hause, und kein ernster strafender Blick und kein Mentor stört den lauten Ausbruch der Freude mehr. Man spricht, man ras’t, man schwärmt und lärmt, aber man tanzt nicht. Ueberhaupt hat man gar keinen Begriff von der schönen Kunst, die man tanzen nennt, wiewohl es nicht zu läugnen ist, daß es einige recht gute Tänzer hier giebt. Sie werden aber von dem allgemeinen verdorbenen Geschmack fortgerissen, und derjenige würde der Gegenstand des Gespräches du jour werden, der eine Menuet, den schönsten der schönen Tänze aufführen wollte. [55] Wenn du weißt, was die Oesterreicher landlersch nennen, so kannst du dir einen Begriff von den hiesigen Tänzen machen. Der hiesige Walzer geht vor allen über die Grenzen des feinen und gebildeten Kunstgeschmacks hinaus, und ich möchte die Mütter und Väter dabey auf einen Aufsatz in Jakobi’s Taschenbuch: der Walzer aufmerksam machen. Nach 10. Uhr hat Alles ein Ende, und wer dann das wonnevolle Glück hat, ein gefälliges Mädchen nach Hause zu führen, oder wohl gar noch ein Paar Gänge Arm in Arm über den Kirchhof zu machen, der zeichnet den Tag mit beliebiger Farbe in seinem Taschenbuche an.

Die Bälle werden ebenfalls in dem Concertsaal gegeben. Der jüngste Assessor führt sie gewöhnlich auf und tanzt vor. Ein Practikant, der einst in der Unschuld seines Herzens glaubte, hier wäre kein Unterschied, und sich mit seiner Tänzerinn oben an stellte, wurde weggedrängt und mit Arrest und Verbannung bedroht. Hier wird auf eben die Art und mit eben dem Geschmacke getanzt, wie in den Concerten, besonders das sogenannte Langaus, wobey man sich lebhaft an die Verse erinnert:

On the left, and on the right,
     Heaths, and meads, and fallow’s grounds,
Seem receding from their fight;
     How each bruge they pass resounds.
Und immer weiter, hop, hop, hop,
Giengs fort im sausenden Gallopp,

[56]

Daß Karl und Evchen schnoben
Und Kies und Funken stoben.

Diese Bälle machen Monate vorher den hiesigen Mädchen und Frauen die Köpfe wirbelnd, denn bey dieser Gelegenheit sucht man sich wechselweise in dem Anzuge zu übertreffen, und das Modejournal kommt um diese Zeit nicht von der Toilette. Seitdem der Anzug à la Corday schon ein wenig veraltet ist, kleidet man sich à la Vigano und trägt den Bauch à la Vigano, tanzt aber à la Bachante. Hiervon hat einer meiner Freunde Gelegenheit genommen, die berühmten Kupferstiche von Chodowiecki aus der travestirten Aeneis abermahls zu travestiren. Die Zeichnungen davon befinden sich in der Sammlung des Herrn von Steigentesch. Man kennt hier ein Mädchen, dem ihr Liebhaber die Kupferstiche von Wien verschrieb, worauf die berühmte Vigano in verschiedenen Trachten und Stellungen abgebildet ist. Diese berühmte Tänzerinn ist etwas dick bey Leibe, und als das arme Mädchen zum erstenmahle à la Vigano erschien, meinten die witzigen Köpfe, der Anzug wäre wohl von den Kupferstichen kopirt, und von einer weiblichen Hand zusammengesetzt, der Contur des Bauches aber gewiß nicht Kopie à la Vigano und weibliche Erfindung, sondern von dem Liebhaber angelegt und ausgeführt. Die witzigen Köpfe in unsrer Stadt sind lose Vögel.

Die Masken sind hier auf den Bällen nicht üblich. Wer sich maskirt, ist meist bürgerlich, und [57] versteckt sich vor dem Stolze des vielfachen Adels, der ihm anders seinen Stand auf allerley Art empfinden lassen würde. Zu Anfange dieses Winters hatte sich eine Gesellschaft lustiger Mädchen von der zweiten Klasse zusammen gethan; die verlarvt wie die Bachantinnen auf den Straßen herum zogen und die jungen Herrn neckten. Der Spaß dauerte einige Zeit, bis endlich die Gassenjungen dahinter kamen und hinten nach riefen: seht, seht, die H., die B., die doweljou, u. dergl.

Ausser denen in meinem letzten Briefe schon gedachten Gesellschaften giebt es noch zwey, die ich mit ein Paar Worte berühren muß. Es ist der sogenannte Prokuratorsklub und die Donnerstags-Gesellschaft im Kayser, die Herr Hinkel erst vor einigen Wochen gestiftet hat. Der Prokuratorsklub hat seinen Sitz in der Spelunke eines Hauses, das man ein Koffeehaus zu nennen beliebt. Es versammelt sich alle Tage Abends und gestattet auch den Sollicitanten und Practikanten und allen Fremden den Zutritt und das ist seine gute Seite. Sonst ist er tief unter der Kritik. Die Stube ist schmutzig und düster und die Bedienung steif und grob. Es giebt hier keine Zeitungen, und keine Journale. Wer nicht spielt hat Langeweile, oder muß das weite Feld der Prozesse zum Gegenstande seines Gespräches machen. Ich will damit nicht gesagt haben, daß die Prokuratoren und Advokaten nichts anders wüßten, mein guter Genius wolle mich vor [58] einer solchen Sottise bewahren! Ich sage nur, daß ich es in dieser Gesellschaft gerade so und nicht anders gefunden habe. Die Gesellschaft im Kayser ist erst in Embrionenzustande, und die Zukunft muß es entscheiden, ob sie zur Welt gebohren wird oder nicht. Sie ist sonst gut angelegt, wie es sich von ihrem Stifter, der Geschmack und Geld hat, erwarten ließ. Man findet hier die gangbarsten Zeitungen und Journale, Atlasse, Reisebeschreibungen, Handbücher für Zeitungsleser, Kupferstiche und sonst noch allerley schwere und leichte Reiterei. Es giebt hier allerley Erfrischungen und Speisen und eine gefällige Bedienung. Der Saal ist hell und lüftig und stößt an ein Billiardzimmer. Die Unterhaltung ist hier mannigfaltiger, der Ton freier und die Gesellschaft bunter gemischt. Man spielt und ließt, ißt und trinkt und scherzt und lacht, und hat frohe Gesichter um sich.

Koffeehäuser giebt es hier drey. Sie werden aber selten von andern Leuten, als von Spielern und Emigranten besucht. Jene halten hier Pharobank und diese wärmen sich hierdurch, um nicht auf ihren Stuben zu erfrieren. Diese Häuser scheinen (das Spiel abgerechnet) Kopieen von den Koffeehäusern auf der Landstraße, im Lerchenfeld, und auf der Wieden in Wien zu seyn.

Die Bauarten des Kammergerichts zeigen von keinem Geschmacke. Dieß beweisen die sogenannte neue Kammer und das neue Archiv, das aber [59] noch nicht ganz zu Stande gebracht ist. Diese beiden Gebäude kosten den Ständen ungeheuere Summen, wie aus den Rechnungen erhellt, die man dem Reichstage darüber vorgelegt hat. Sie liegen an dem äussersten Ende der Stadt in einer niedrigen Gegend. Die Blitze, die gegen Könige, Kurfürsten und Fürsten von hier ausgehen, müssen darum hinauf und nicht hernieder geschossen werden, und haben daher oft keine Wirkung nicht, die sie haben könnten, wenn sie von oben gerab gedonnert würden. Jener Mann, der den Vorschlag that, wenigstens das Hauptgebäude auf die Stelle der kleinen Kapelle der Hauptkirche zu setzen, hätte angehört zu werden verdient. Die Acten hätten immer in der Tiefe unter ungeheuren Steinklumpen modern können, meinte der Mann.

Man sieht Wetzlar für den Ort an, wo die jungen Leute, die von Universitäten kommen, gebildet und abgeschliffen werden. Diese Behauptung mag so ganz ungegründet nicht seyn. Der junge Mann, wenn er als Practikant hieher kommt, genießt wirklich eine seltene Auszeichnung unter allen Klassen des Publikums, und die Schleifsteine sind auch zum Theil von der Art, daß sie ihre Wirkung nicht verfehlen. Er wird immerfort in Athem gesetzt. Morgens um 10 Uhr geht es gewöhnlich auf die Schreibestube, und da verschanzt man sich bis 12. hinter Protokolle und Acten. Darauf legt er sich im Negligee seiner Dame zu Füssen, erkundigt sich nach ihrem Befinden und redet [60] die Spatziergänge auf den Nachmittag ab. Dann zu Tische bis 2 Uhr. Nach der Tafel läßt man sich frisiren und kleidet sich in die Farbe seiner Dame, erwartet diese dann auf dem Kirchhofe oder hohlt sie zu Hause ab, wenn es die Mutter nicht so streng nimmt. Arm in Arm geht es dann nach Garbenheim und bleibt da bis 4 Uhr, denn nun ist es Zeit nach Hause zu gehen und sich zur Abendgesellschaft umzukleiden. Da setzt man sich hinter den Spieltisch und verspielt sein Geld. Um 8 Uhr geht es zum Abendessen, und darauf auf den Kirchhof bis 10 Uhr. Jetzt, wenn man die Dame nach Hause gebracht und unter dem Fenster Abschied genommen hat, in den Kayser oder Kronprinz, wo sich die Brüder versammeln. Hier wartet schon ein voller Punschnapf, der sich 4 und 6 mahl füllen muß, unter Gesängen und Juchhe. Der Mensch liebt Abwechslung und die Zeit ist kostbar. Also Karten und Würfel herbey! Um 12 Uhr wird Champagner, Madera, Johannisberger, Tokaier, Burgunder, Aßmannshäuser, Cyper und Kapwein gebracht mit Sardellen- und Bricken-Salat. Gegen 3 Uhr, wenn die Augen schlaftrunken zusinken und das Geld alle geworden ist, trinkt man Thee, taumelt nach Hause, legt sich, statt ins Bette, auf den Boden, um früh munter zu seyn, und an der Relation zu arbeiten. So geht es jetzt von Tag zu Tage, oft besser, oft schlimmer, demnach die Gesellschaft gemischt ist. Zwey und dreihundert Gulden Verlust oder Gewinn, auf den Mann ein Napf Punsch von 4 Maaß, 2 Flaschen Champagner, eine [61] Flasche Rheinwein, und hintennach noch eine kleine Flasche Montepulciano sind die gewöhnliche Portion, und dabey sind die meisten Morgens so heiter und guter Dinge, als wenn sie die Nacht in den Armen ihrer Lais zugebracht hätten. Sie beschicken früh ihre Arbeit und der Herr Prinzipal lobt ihren Fleiß.

Der Aufenthalt für einen Practikanten ist hier theurer, als auf irgend einer Universität. Tausend Gulden ist jährlich noch eine kleine Summe. Mit 1500. kommt er gerade aus, wenn er das Gewöhnliche mitmachen will. Der Mittags- und Abendtisch mit Wein beläuft sich schon auf 600. fl., die Wohnung auf 72. bis 144. fl. Nun die Nebenbedürfnisse, Kleidung, Gesellschaften, Bälle, Concerte, Spiel, Haarbau, Wäsche, Bedienung, Frühstück, Toback, Excursionen, Honorar, Bücher und hundert andere kleine Dinge, die man anderswo leichter entbehren kann, oder auf Universitäten gar nicht kennt.

Alles das verschmerzt sich aber leicht, wenn der junge Mann bedenkt, daß sein Glück gerade hier gegründet worden ist. Manche sind auf die Empfehlung ihres Prinzipals bey den Ständen sehr gut angekommen, und von hieraus als Räthe oder Assessoren in Collegia eingetreten. Ich könnte dir eine ganze Liste von denen machen, die der vortrefliche Steigentesch allein angebracht oder doch mittelbar zu ihrer Anstellung mitgewirkt hat.

[62] Berühmte Schriftsteller im Kammeralfach und andern Fächern giebt es hier nicht. Wenn die Assessoren fleißig sind, so fehlt es ihnen an Zeit, gelehrte Werke auszuarbeiten und die schönen Wissenschaften können nur von denen getrieben werden, denen der Geschmack nicht durch Acten verdorben wird. Wir könnten uns zwar zwey junge Talente zueignen, die uns gleichsam angehören. Sie sind: der vortrefliche Sohn des Herrn von Steigentesch und Herr von Meyer, der Schwiegersohn des durch die Illuminatengeschichte bekannt gewordenen geheimen Raths Zwack und fürstlich Salm-Kirburgischen Kammerdirector. Jener, wacker als Soldat und ein dichterisches Genie wird einst an David und Kleist gereiht werden. Dieser, der mit seltenen Kenntnissen einen seltenen Geschmack verbindet, wird dir durch seinen Kallias bekannt genug seyn. Von einem bekannten Kammeral-Schriftsteller werde ich bey einer andern Gelegenheit sprechen. Der Dichterlinge, und übrigen Schriftsteller, deren Producte man gleich nach ihrer Geburt zum Düngen der Felder verbraucht, giebt es sonst noch hier, wie an jedem andern Orte in Teuschland. Aber wer mag von ihnen reden. Leb’ wohl.




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Briefe über Wien.




 

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Erster Brief.

Vom 3. Aug. 1796.

Seit 3. Monaten, die ich in den Mauern der teutschen Kayserstadt zubringe, finde ich heute zum erstenmahle Muse, dir einige meiner Bemerkungen mitzutheilen. Ich fange mit der Polizey an, die in einer so großen Stadt, wie Wien ist, ein Hauptaugenmerk der Regierung seyn muß. Ich hatte mir in Ulm mit noch einigen Schweizern ein Schiff bis Wien gemiethet. Wie wurden aber schon zu Linz von einander getrennt. Die Mautbeamten in Engelhartszell, einem österreichischen Grenzorte an der Donau, machten viele Schwierigkeiten wegen unserer Pässe und verwiesen uns an die Polizeydirection in Linz. Hier wurden wir noch einmahl sehr scharf examinirt, und ich war der Einzige, dem man weiter zu reisen gestattete. Die Uebrigen mußten in Linz bleiben, bis sie von der Oberpolizeydirection in Wien die Erlaubniß bekamen, hieher zu kommen. Jetzt ist man noch vorsichtiger geworden, und ich weiß, daß kein österreichischer Gesandter im Auslande einem Reisenden einen Paß geben darf, der nicht sehr dringende und wichtige Geschäfte hat. Zu Nußdorf, eine Stunde von hier, wurde ich noch [66] einmahl examinirt und mit einem gedruckten Zeddul an die Polizey angewiesen. Jeder Reisende muß sich binnen 24. Stunden melden, von seinen Verrichtungen und seinem Unterhalte Rechenschaft geben, und dann wird er entweder angenommen oder abgewiesen. In jedem Wirthshause legt man dir einen gedruckten Zeddul unter folgenden Rubriken vor: 1) Name? 2) Charakter? 3) Geburtsort und Vaterland? 4) Alter? 5) Religion? 6) ledig, verheyrathet oder verwittibt? 7) letzter Aufenthaltsort? 8) gedenkt hier zu bleiben, wie lange? 9) in welchen Geschäften? 10) ernährt sich mit? – 11) hat Paß oder Urkunde von –? Dieser Bericht muß bey 50. Rthlr. Strafe von dem Wirthe der Polizey eingereicht werden, so oft ein neuer Gast ein- und auszieht, und sollte dieser auch nur über Nacht bleiben. Dies setzt die Polizey in den Stand, alle Fremde genau zu kennen. Man darf sich nur in ihrem Hause erkundigen von der Ankunft und Abreise, von der Wohnung jedes Fremden ohne Unterschied, und man wird alle mögliche Befriedigung finden.

Das Abscheulichste, wodurch sich die hiesige Polizey auszeichnet, sind 600. Spione aus allen Klassen, in der gemeinen Spracher Natterer genannt, die in allen öffentlichen Häusern ihren Sitz aufgeschlagen haben und selbst das Heiligthum der [67] Freundschaft und Liebe durch ihre Gegenwart entweihen. Sie werden regelmäßig besoldet und ziehen monatlich 12, 14, 20, 30, 36, auch wohl 100. fl, demnach sich ihre Geschäfte auf Bierhäuser oder auf die Zirkel des Adels beziehen. Es ist hoher Ernst, wenn ich dir sage, daß selbst Minister in ihren Häusern vor diesen Leuten nicht sicher sind. Entweder drangen Sie sich in Stern und Ordensband oder in der Livree an. Den größten Unfug treiben sie aber in den Gast- Wein- Bier- und Kaffeehäusern und man kann vor keinem Marqueur, vor keinem Wirthe, vor keinem Gaste sicher seyn, daß er nicht ein Spion ist. Hat ein Mahl Einer ein Auge auf dich, so verfolgt er dich, wie dein Schatten. Er knüpft mit dir Gespräche an, schimpft über die Regierung, über diese oder jene Einrichtung, nimmt die Parthey der Franzosen, und zerrt und neckt dich so lange, bis dir ein Wort entfährt, das in seinem Kram dient. Flugs trägt er es an Ort und Stelle. Du wirst vorgerufen, examinirt und hast vielleicht morgen schon die Ehre, auf einem sogenannten Säuselwagen über die Grenze gebracht zu werden. Bist du ein einheimischer, so ist es um deine Anstellung, wenigstens so lange die jetzige Regierung dauert, geschehen. Einer meiner Landesleute, der im vorigen Winter einige Wochen hier war, mußte sogar 6. Wochen in Verhaft sitzen, ohne verhört zu werden, weil er gesagt hatte: [68] Die Franzosen wären unüberwindlich, weil sie für ihre Freiheit föchten. Ein großer Protector rettete ihn von der Verbannung. Bey solchen Umständen kann es nicht fehlen, daß die Unterhaltungen an öffentlichen Oertern sehr mager seyn müssen. Wer nicht ißt oder trinkt, nicht spielt oder nicht von schönem Wetter oder Expeditionen hinter den Gardinen sprechen will, hat hier schreckliche Langeweile. Setzt man sich auch mit einem Freunde besonders zu Tische, so ist das den Spürhunden schon gleich anstößig und sie ermangeln nicht, ihren Rapport darüber abzustatten. An den Tafeln in den hiesigen Gasthöfen ist dies besonders auffallend. Jeder glaubt in seinem Nachbarn einen Spion zu sehen und keiner getraut sich, den Mund zu öffnen. Wenn ich mit B. Mittags in einem Wirthshause speise, so sprechen wir gewöhnlich platteutsch und glaubten Anfangs sicher zu seyn, daß uns kein Mensch verstünde, besonders weil wir beyde geschwind sprachen. Zwey Pfaffen, die uns gegen über saßen, stutzten gewaltig, und fragten uns sehr höflich, was wir da für eine Sprache redeten? Wir fanden kein Bedenken, es ihnen zu sagen, und sieh, am andern Tage war schon Einer da, ein Mahler aus dem Lüneburgischen, der sich zu unserm größten Erstaunen in unser Gespräch mischte, nachdem er einige Tage gethan hatte, als ob er kein sterbendes Wörtchen verstände. Wir erfuhren [69] nachher, daß er ein Spion und besonders dazu abgeschickt war, uns zu behorchen, weil wir durch so eine ungewöhnliche Sprache der Polizey zu sehr aufgefallen waren.

Es ist nicht genug, daß du an öffentlichen Oertern von der Polizey geplagt wird, nein! sie verfolgt dich auch bis in die geheimsten Gemächer deiner Wohnung, aber nicht mehr wie ehemals um zu untersuchen, ob du im Punkte der Liebe ausschweifest. Bist du einmahl im großen Buche dieses fürchterlichen Inquisitions-Gerichtes schwarz bezeichnet, so sichern dich keine Mauern und keine Thüren mehr. Du findest in deinem Bedienten, in deinem Wirthe, in deiner Aufwärterin, in deiner Mätresse und ich möchte sagen in deinem Hunde einen Spion. Jetzt ist dieser abscheuliche, die Menschheit entehrende Unfug, auf den höchsten Gipfel gestiegen, und ich glaube nicht, daß man je in Venedig so eingeschränkt war, als man jetzt hier ist. Das unschuldigste Wort kann dich in’s Hundeloch, wohl gar auf die Schandbühne bringen. Ein Mitglied von der Polizey hat mir vor einigen Tagen einen kleinen Auszug aus dem großen Buche mitgetheilt, das die Conduitenliste aller Fremden in dieser Stadt enthält. Um dir einen Begriff davon zu geben, schreibe ich dir Folgendes daraus ab: „A. ist verdächtig. Er hat in Göttingen studirt [70] und ist einigemahl bey der Censur um die Erlaubniß eingekommen, gewisse verbotene Bücher lesen zu dürfen, die französische Grundsätze enthalten. B. ist verdächtig. Er räsonnirt über die österreichischen Kriegsoperationen und nimmt bey jeder Gelegenheit das Betragen des preußischen Hofes in Schutz. C. ist höchst verdächtig. Seine Sprache ist frech und witzelnd. Er hat vor kurzem im goldenen Ochsen öffentlich gesagt, des Prinzen Karl königl. Hoheit wäre ein junger Mensch. D. ist sehr verdächtig. In seiner Stube hat er blos Bildnisse von französischen Generalen und keinen einzigen Oesterreicher. Er führt eine starke Correspondenz durch die Schweiz vermittelst Couverten nach Frankreich und den von dem Feinde besetzten Ländern; hat aber seit 6. Monaten noch keinen einzigen Brief erhalten. E. ist unschädlich, räsonnirt nicht, verzehrt viel Geld und macht keine Schulden. F. könnte der Polizey sehr nützlich werden. Er hat große Verbindungen, besonders mit R. und Y. und ist sehr warm österreichisch. G. der französische Emigrant hat Zutritt in den –schen Zirkel. Warum? darüber erwartet man Bericht.“ Ich könnte dieses Register noch länger fortsetzen, wenn dieser Auszug zu meinem Zwecke nicht schon hinreichend wäre.

Man muß es übrigens der hiesigen Polizey nachsagen, daß sie auch ihre sehr guten Seiten hat. [71] In keiner Stadt von diesem Umfange bist du vor Beutelschneidern und Beleidigungen sicherer als hier. Bey dem geringsten Anlasse springen 2. 3. Polizeysoldaten herbey, die schon durch ihr Erscheinen Ruhe zu verschaffen im Stande sind. Für die Fiaker sind diese Leute eine wahre Zuchtruthe, und gewiß würde nichts von dem groben Volke Einhalt zu thun im Stande seyn, wenn die Polizey nicht so scharf gegen sie wäre. Der allmächtige Stock thut hier wahre Wunderwerke.

Der Lärm, den man im Auslande von der Bildung der österreichischen Offiziers macht, ist eine abscheuliche Lüge. Du begreifst nicht, wie weit diese Leute in ihren Sitten und Kenntnissen noch hinter unserm Jahrhunderte stehen. Es versteht sich von selbst, daß ich hier von dem Gros dieses Korps spreche, und daß die vielen wackern Männer, die so oft Oesterreichs Ehre gerettet haben, nicht darunter verstanden seyn können. Du kennst das Sprüchwort: exceptio firmat regulam. Schon die Erziehung, welche der hiesige Adel seinen Kindern geben läßt, ist dazu gemacht, die Energie des Geistes zu unterdrücken, und es ist bekannt genug, daß die Militairschule, die ein herrlicher Zufluchtsort für den ärmern Theil des Adel ist, mit Leuten besetzt ist, welche die Handwerksmäßigen Griffe recht gut verstehen; das ist aber auch Alles. Da [72] findet man unter dem österreichischen Militair Jungen von 18. 19. Jahren, die schon eine Kompagnie haben; warum, weil ihr Vater Minister oder General ist, oder weil sie ein Unterrock protegirt. Beym Avancement wird nicht auf militairische Talente, auf Sprachen, Geographie, Statistick u. dergl. gesehen. Oft giebt es sogar Offiziers, die nicht einmahl schreiben und lesen können, und sich ihre Rapporte von irgend einem Korporal vorarbeiten lassen müssen. Und dennoch geht der abscheuliche Stolz und die ganz unerträgliche Prahlerey dieser Leute so weit, daß es in der That in ihrer Gesellschaft nicht auszuhalten ist. Ich habe davon während dieses Kriegs im Reiche tausend Beyspiele gesehen, die mich wirklich in Erstaunen gesetzt haben. In öffentlichen Häusern führte gewöhnlich Einer von ihnen, und sollte es auch nur ein Fähndrich seyn, das Wort. Da steckt dir das Herrchen seine Nase in Dinge, von denen es in seinem Leben nichts gehört hat, und wer ihm zu widersprechen wagt, hat gewiß gleich eine österreichische, ungarische oder böhmische Grobheit dafür. Wo sie nicht durchkommen können, pochen sie auf die Majestät ihres Herrn und glauben steif und fest, dieser könne mit einem Worte das ganze teutsche Reich zertrümmern. Seit ich die Ehre hatte, das preußische Offizierkorps kennen zu lernen, greife ich gleich nach meinem Hute, sobald sich ein Oesterreicher in der Gesellschaft [73] zeigt, wenn ich nicht im voraus von ihm überzeugt bin, daß er ein verträglicher Mann ist. Die Großsprecherey übersteigt allen Glauben. Der hat es mit 6, der mit 10, der mit 15, und ein Anderer sogar mit 20. Franzosen aufgenommen und sie überwunden. Man ist niemahls geschlagen worden, sondern hat sich nur weislich zurückgezogen. Man hätte mit dem armen Frankreich längst fertig seyn können, wenn man nicht gewisse politische Ursachen gehabt hätte, den Krieg in die Länge zu spielen, von denen man nicht reden darf, u. s. w. Ich sage es gerade heraus, und habe es hier mehr denn hundertmahl gesagt, daß ich lieber einen preußischen Handwerkspurschen um mich habe, als einen österreichischen Offizier. – Man hat schon oft bemerkt, daß kein Monarch so schlecht bedient wird, als der Kaiser. Dies ist besonders beym Militair der Fall, wie es sich in dem gegenwärtigen Kriege zur Gnüge gezeigt hat.

Das Geschrey, welches man über den König von Preußen erhebt, ist außerordentlich. Wenn du Gefahr laufen willst, von den Wienern gesteinigt zu werden, so darfst du nur sagen, daß du ein Preuße bist, oder Preußens Sache in Schutz nehmen. Es ist nichts ungewöhnliches, daß man den guten König öffentlich mit den abscheulichsten Schimpfnamen belegt, und ihm Dinge andichtet, an die er gewiß [74] nie gedacht hat. Wie inconsequent die Regierung hier handle, kannst du leicht begreifen, wenn ich dir sage: daß auf der hiesigen Universität die abscheulichen Sätze gelehrt werden müssen: der Regent habe seine Gewalt von oben, könne nie irren und sey unverletzlich. Wenn du es der Mühe werth hälst, dich mit irgend einem Pflasterweicher in einen politischen Discours einzulassen, o dann wirst du gleich dein blaues Wunder hören. Die Herrn pochen auf eine nie verletzte Ehrlichkeit ihres Hofes, und es ist doch bekannt genug, wie durchlöchert diese alte Standarte sey und man darf nicht erst einen Hippolitus a Lapide um Rath fragen, um sich davon zu überzeugen. Den Oesterreichern ist es schlechterdings unbegreiflich, daß der König von Preußen so handeln muß, wenn er anders ein Reich erhalten will, das aus bloßen Conqueten besteht. Sie werden ihm den Basler Frieden nie verzeihen.

Ein hiesiger Professor schrieb vor einigen Jahren ein dickbeleibtes Buch über die Verdienste des Hauses Oesterreich um das teutsche Reich und prostituirte dadurch sein Vaterland vor der ganzen gelehrten Welt. Jeder Teutscher weiß es, und jeder Teutscher muß es seinen Kindern zurufen, daß Oesterreich von je und je an dem Ruin des teutschen Reiches gearbeitet hat, und daß ihm vielleicht unter allen politischen Projecten keins besser gelungen ist, [75] als dieses. Alle seine Hauskriege wußte es zu teutschen Reichskriegen durch seinen Einfluß auf dem Reichstage zu machen und es ist unbegreiflich, wie die Stände so blind seyn konnten, das lecke Schifflein diesem Steuermanne zu überlassen. Die Wiener, die im Ganzen gar keinen Begriff von dem teutschen Staatsrechte haben, glauben Wunders, was für einen großen Gefallen der Erzherzog dem teutschen Reiche thue, daß er sich herablasse, die Kaiserkrone zu tragen, und sie sind gar so unverschämt zu behaupten, das all das Unglück, was ihr Herr von jeher erlitten hat, eine Folge des Kaiserthums sey. Wenn du sie von den Vortheilen überzeugen wolltest, welche die Kaiserkrone den Oesterreichern gebracht, so würdest du tauben Ohren und unerweichlichen Herzen predigen. Sie sprechen von der ganzen Sache höchstens wie von einer Kinderklapper. Seit ich hier bin machte ich einigemahl den Gast in dem Hörsaale des teutschen Staatsrechts. Da schwatzte dir das Herrchen in einem abscheulichen Patois von Dingen, die man in Teutschland gar nicht kennt, und setzte dann am Ende mit einem sichtbaren Stolze hinzu: „wir aber, meine Herren, wir sind an nichts gebunden.“ „Weil euer Herr an der Spitze von 300000. Mann und 800. Kanonen steht“ dachte ich. Nichts war aber unterhaltender für mich, als die Materie von den Reichsgerichten. Von dem Reichshofrathe [76] hörte ich kein Wort, als daß der Kaiser ihn aufgestellt hätte, um die kleinen teutschen Fürsten, denen man wegen ihrer Unbedeutenheit keine Truppen entgegen stellen könnte, in Ordnung und Unterthänigkeit zu erhalten. Ich wußte nicht, was ich davon denken sollte, daß der Mann so sprach. Einer meiner Freunde lös’te mir aber das Räthsel. Sehn sie, sagte er, seit des jetzigen Krieges und besonders seit des Baseler Friedens haben alle unsere Professoren geheime Instructionen bekommen, und die Herrn sind oft sehr übel daran, weil sie Dinge lehren müssen, die notorisch Unwahrheit sind. Damit aber der Zuhörer nicht durch den Schleyer blicken möge, läßt die Censur kein Buch paßiren, worinn vom Gegentheile die Rede ist.

Das System der hiesigen Regierung hat sich unter dem jetzigen Kaiser auffallend verändert. Ich habe aber kaum Einen gefunden, der damit zufrieden gewesen wäre. Alle wünschen durchaus die Zeiten Kaiser Josefs zurück. Von der vorigen Regierung wird mit einer Verachtung gesprochen, die mir wirklich auffallend ist. In öffentlichen und Privathäusern ertönen Schimpfworte gegen den verstorbenen Leopold. Man nennt ihn durchaus einen stolzen, schwachen, leidenschaftlichen, und für eine große Monarchie ganz unbrauchbaren Mann, eine Kothseele. Die Geschichte wird sein Urtheil sprechen. [77] Man kann dem jetzigen Kaiser Standhaftigkeit bis auf einen gewissen Grad gar nicht absprechen. Diese hat er besonders in der Hebenstreitschen Verschwörungssache und in dem gegenwärtigen Kriege gezeigt. Aber er scheint sich dem Publikum nicht gern zu zeigen. Ich habe ihn seit meines hiesigen Aufenthalts noch nicht ein einzigesmahl gesehen, und hiesige Bürger versichern mir, daß er, ausser an Sonntagen in der Hofkapelle und höchst selten im Theater, sonst niemahls sichtbar werde. Er scheint ein stilles häusliches Leben zu lieben. Zu Schönbrunn und Laxenburg unterhält er sich im Sommer mit Fischen, Feuerwerken, Masken u. dgl. Sein Lieblingsspiel soll darinn bestehen, daß er nach der Tafel Chockolade-Brocken auf die Nase legt und sie mit dem Munde zu schnappen sucht. Dies dauert aber selten über eine halbe Stunde. Er ist ein treuer Gatte bis auf die kleinste Kleinigkeit und die chronique scandaleuse hat in diesem Puncte auch nicht das kleinste Anekdötchen aufzuweisen. Es fehlt also hier an Mätressen und begünstigten Damen, und Niemand findet unter einem Unterrocke Schutz. Selbst die Kaiserinn mischt sich nie in kleine Regierungssachen, obschon sie an der Fortsetzung des gegenwärtigen Krieges auch ihren Antheil haben soll. Erklärte Lieblinge hat der Monarch nur auf kurze Zeit und ausser dem Minister Thugut ist die Veränderung im Ministerium eine wahre Ebbe und Fluth. Heute [78] ist A, morgen B, und übermorgen wohl gar C, das fac totum. Die Kabalen, die jetzt gespielt werden, gehen über alle Beschreibung. Es giebt keine zwey Minister hier, die Freunde sind, und wenn sie es auch vor den Augen des Publikums sind, so arbeitet doch gewiß heimlich Einer an des Andern Sturz. Es ist also ganz natürlich, daß die Geschäfte des Staats darunter leiden müssen.

Der Minister Thugut, der an der Spitze der auswärtigen Geschäfte steht, ist ein ganz einfacher und zurückgezogner Mann. Er war ehemals Gesandter in Konstantinopel und hat daselbst mit seiner Gelehrsamkeit eine große Rolle gespielt. Es ist ausgemacht, daß dieser Mann eine erstaunliche Routine hat, und die Höfe, mit denen er zu thun hat, sehr gut kennt. Aber von der großen Staats- und Regierungskunst versteht er, wie alle österreichischen Minister, kaum das ABC, denn wie hätte man sich sonst seit einiger Zeit so ungeheure Sottisen zu Schulden kommen lassen könnte? Es ist freilich etwas anders, mit einem wollüstigen, von Mätressen und Parvenus beherrschten Könige, auch wohl mit einem so vortreflichen Könige als Friedrich von Preußen war, Krieg führen, als mit einer Republik, die in der neuern Geschichte ihres gleichen nicht hat, und die ihren ganz eigenen, besonders ausgearbeiteten Maaßstab erfordert hätte. [79] Das preußische Ministerium hat hierin ganz eigene, von den hier geltenden ganz verschiedene Grundsätze. In dem Staatsrathe giebt es sonst noch sehr geschickte Leute. Ich nenne dir unter den Räthen dem größten teutschen Historiographen, Johann Müller, ehemals geheimer Staatsrath in Mainz. Die Veränderungen in dem politischen Systeme dieses Mannes sind auffallend. Du weißt, daß er für die Sache des Fürstenbundes eine hinreißende Deduction geschrieben hat. Aber wirst du es glauben, wenn ich hier sage, daß eben dieser Mann, der vor der ganzen gelehrten Welt den Fürstenbund das Meisterstück der Politik und den einzigen Erretter der teutschen Freiheit genannt hat, jetzt öffentlich drucken läßt, daß der verstorbene König von Preußen die teutschen Reichsstände damit betrogen habe? Daß eben der Mann, der noch immer das Publikum als teutscher Tazitus entzückt, vor einigen Tagen in einer berüchtigten Brochüre den Vorschlag gethan hat, denjenigen, der nur von Feinden sprechen würde, der Rache des Volks Preiß zu geben?

Der Reichshofrath wird hier gar nicht bemerkt und du kannst hundert Wiener fragen, die nicht einmahl wissen, daß dieses Gericht in der Stadt ist. Eine solche Stelle trägt für einen Gelehrten in guten Jahren 5. und 6000. fl. Sie stehen [80] also viel besser als ein Assessor am Kammergericht, der zwar auch 4000. fl. fixen Gehalt, aber dagegen keine Laudemiengelder und kein Quartiergeld zieht. Dafür ist aber der Reichshofrath genöthiget, einen größern Aufwand zu machen, und den Launen des Hofes zu fröhnen. Die Söhne der ersten Familien fangen gewöhnlich ihre Carrieren auf der adelichen Bank dieses Gerichtes an, worüber sich manches sagen ließe. Die geschicktesten sind: Hess, Solms-Laubach, Ockel, Puffendorf u. a. Die Agenten stehen viel besser als die Prokuratoren am Kammergerichte. Sonst sage ich dir von dem Reichshofrathe nichts, weil ich dir schon mit meinen Bemerkungen über das Kammergericht beschwerlich genug geworden bin.


Zweiter Brief.

Vom 4. Sept 1796.

Die Gesellschaften des Hofes sind wie alle Gesellschaften, in denen Geburt und Reichthum einen Unterschied machen. Man kommt dahin, drängt sich an den Herrn, glaubt sich glücklich, wenn man von ihm einen gnädigen Blick oder wohl gar ein gnädiges Wort empfangen hat und geht wieder [81] weg. Es wird nur alter Adel zugelassen und in einigen Fällen wird wenigstens das Amt eines kaiserlichen Kammerherrn erfodert, um dabey erscheinen zu dürfen. Die Offiziers haben ohne Unterschied Zutritt, erscheinen aber sehr selten, wenn sie nicht von hoher Geburt sind, weil der Adel sehr die Miene über ihre Gegenwart verzieht und sie bey jeder Gelegenheit den Unterschied ihres Standes empfinden läßt. Bey Hofbällen ist die sonderbare und alberne Gewohnheit eingeführt, daß Jeder seine Tänzerinn ohne Weigerung abgeben muß, und sollt er auch schon mit ihr in der Reihe stehen, wenn Jemand von der kaiserlichen Familie mit ihr tanzen will. Diese Fälle sind jetzt bey der starken Anzahl der Prinzen nicht selten. Man spricht in diesen Gesellschaften gewöhnlich französisch, mitunter auch teutsch. Diese Sprache sprechen der Kaiser und seine Brüder abscheulich. Ich weiß nicht, ob es Sitte der österreichischen Erzherzoge ist, nur österreichisches Kauderwelsch zu sprechen. Bekanntlich machte auch Kaiser Josef hiervon keine Ausnahme. Wahrscheinlich liegt dieser Fehler aber an der Erziehung, die gewöhnlich von Oesterreichern besorgt wird, und unter diesen giebt es gewiß in ganz Wien keine zwey, denen ich nicht gleich sagen könnte, sie sind ein Oesterreicher. Ausser dem schwäbischen scheint kein Dialect so schwer abzulegen zu seyn, als dieser.

[82] Wenn es dir nach guten Gesellschaften gelüstet, so ist freilich guter Rath theuer. Sie existiren aber doch, wenn auch nicht in solcher Menge, wie in andern teutschen Städten. Es gehören dahin vorzüglich die Gesellschaften bey den Reichshofräthen und bey einem Theile des sogenannten leonischen Adels. Hier bleibt dir in der That nichts zu wünschen übrig. Ein munterer Ton, Unterhaltung aller Art und eine vorzügliche Gefälligkeit gegen Fremde sind darinn allgemein. Willst du nicht spielen, so kannst du bey den Mädchen, deren es in diesen Zirkeln viele sehr gebildete giebt, deine Zeit recht angenehm verbringen. Sie sprechen meist ausser ihrer Muttersprache französisch und italiänisch, das hier sehr gang und gebe ist, viele auch englisch. Da findest du nun Wasser, du magst mit deiner Ruthe anschlagen, wo du willst. Ich muß gestehen, daß ich die hier verlebten Stunden unter die vergnügtesten meines Lebens zähle, und daß mich der Genuß in diesen Zirkeln reichlich für die tausend und aber tausend Erbärmlichkeiten entschädigte.

Die Gesellschaften bey allen andern Theilen des hiesigen Publikums sind abscheulich. Da geht es an ein ewiges Fressen und Saufen, und die Leute sitzen ohne alle Beschwerde 4. und [83] 5. Stunden zu Tische unter beständigem Auftragen und Kredenzen. Ich hatte einigemahl die Ehre bey vornehmen Bürgern und kaiserlichen Beamten zu speisen. Da drehte sich doch nun die ganze Unterhaltung um Zweideutigkeiten, und der Kasperle (jedes Haus hat hier seinen eigenen Kasperle) scheute sich nicht den Damen von Expeditionen hinter den Gardinen und von Priapen zu sprechen. Natürlich mag ich dabey eine recht alberne Rolle gespielt haben; darum unterließen auch die Herrn nicht, mich zum Gegenstande ihres dicken Witzes zu machen. Wenn ich dir die Namen der Häuser nennen sollte, wo es auf diese Art zugeht, du würdest erstaunen.

Die öffentlichen Gesellschaften in Koffeehäusern, Bier- Wein- und Gasthäusern sind noch viel schlechter. Alles ist schmutzig und eckelhaft. Da giebt es dir in der ganzen Stadt nicht einen einzigen Gasthof, der einem sächsischen Dorfe Ehre machen würde. Die berühmtesten Gasthöfe zum goldenen Ochsen, Schwan, Matschackerhof, wilden Mann, Greif u. a. paßirten in Frankfurt am Mayn für Schusterherbergen. Die Koffeehäuser sind eben so erbärmlich, das einzige bey Mad. Lechner ausgenommen, wo in Silber servirt wird; und Risbeck, der hier Bierhäuser mit marmornen Tischen, vergoldeten Rahmen, [84] Faulbetten und damastenen Vorhängen gesehen haben will, hat eine dicke Lüge geschrieben. Im Gasthofe zum Wolf in der Aue, wo man ohne Unterschied am besten speißt, brennt man in der Gaststube am hellen Mittage ein Licht und das Ganze sieht noch schlechter aus, als die Bierstuben der sogenannten Kappisbauern in Kölln. Von der Nettigkeit in Frankfurt am Mayn, Hamburg, Dresden u. a. scheint man sich gar keinen Begriff machen zu können. Die Kellner sind die ungeschliffensten Kreaturen von der Welt, und wenn allenfalls bey deiner Ankunft alle Stühle schon besetzt sind, so sagt er dir gerade heraus, du könnest dich wieder trollen. Eine solche Ungezogenheit würden die Gäste in unserm Vaterlande und in andern Ländern sammt und sonders damit rächen, daß sie ausblieben und in einem andern Wirthshause zur Tafel gingen. Aber hier sind die Wirthe schon ihrer Sache gewiß. Sie wissen, daß man blos ihren Speisen nachgeht, und sich wenig darum bekümmert, ob man höfliche oder grobe Gesichter um sich hat. Kurz, sie sind in aller Rücksicht die unwirthbarsten Wirthe, die du dir denken kannst. Steigst du bey einem von der Reise ab, so bekümmert er sich gar nicht um dich. Er hält keine Lohnlakaien, die dir die Merkwürdigkeiten der Stadt zeigen, und wenn du dich bey einem befragst, so weiß er dir auf nichts zu antworten.

[85] In der Stadt giebt es gar keinen öffentlichen Spatziergang und nur höchstens 2 sehenswürdige Plätze. Willst du einmal ins Freie, so kann es nicht anders, als in einem Wagen geschehen, denn zu Fuße läuft man Gefahr gerädert zu werden, im Staube zu ersticken oder im Kothe zu ersaufen. Besonders sind die Wege nach dem Prater und Augarten für die Fußgänger weder im Sommer noch Winter brauchbar, so wie die Unterhaltung an beiden hochberühmten Plätzen sehr mager ist. Der Prater verdient bey weitem den Ruhm nicht, den man im Ausland von ihm verbreitet. Du hast da nichts als Bäume und Hecken, und Wildpret, reich besetzte Tafeln, eine ungeheure Menge Equipagen und Marionetten vor den Augen. Die bekannte Aufschrift über dem Thore des Augartens scheint mir immer eine kleine Prahlerey in sich zu fassen. Einer der angenehmsten Spatziergänge ist für mich die Schloßpastey, wo ein hiesiger Kaffeewirth alle Abends seine Gäste mit Limonade und Gefrornen bedient. Es ist hier eine ganz ungeheure Menge von Stühlen zum Sitzen und die Fußgänger drehen sich in einem ewigen Zirkel herum. Dies hat den Vortheil, daß das ganze Publikum, wenn ich mich ein paarmahl umwenden will, bey mir vorüber muß. Dieser Platz wird sehr stark besucht und vor 10. und 11. Uhr Abends niemahls menschenleer. Die Gewohnheit auf dem Graben, einer breiten Straße in [86] der Stadt, Abends das Publikum in Augenschein zu nehmen, hat immer noch sein Angenehmes. Aber da giebt es Leute, die den ganzen Tag auf Stühlen dahin gepflanzt sind, und sich kaum Zeit nehmen, die Leibesbedürfnisse zu befriedigen. Wer sich einen Begriff von dem hiesigen Müßiggange machen will, darf nur ein paarmahl einen Ritt über den Graben machen.

Unter den hiesigen Theatern stehen das Hoftheater und das Theater nächst dem Kärntnerthore oben an. Bey beyden ist der Hof intereßirt und in beyden wird entweder von den Hofoperisten, oder Hofschauspielern, oder von beyden zugleich gespielt. Ich werde beyde unter dem Namen Nationaltheater begreifen. Die Wiener behaupten nicht zu viel, wenn sie es unter die ersten in Teutschland setzen. Das Personal ist ungemein zahlreich, und du kannst leicht denken, daß die Künstler auch eine Menge Stümper mit durchschleppen müssen. Du findest in den Briefen des reisenden Franzosen eine ausführliche Kritik über die Ersten dieser Künstler. Weil sich aber seit der Zeit, da Risbeck schrieb, Manches verändert hat, so muß ich auch wenigstens ein paar Worte darüber sagen. Das ganze Theater steht unter der Direction eines gewissen Baron Praun, der für die Aufnahme guter Mitglieder sorgt, und wenn ich nicht irre, das Theater vom Hofe in Pacht hat. Ein Ausschuß aus [87] dem Personal entscheidet über den Werth eines neuen Stückes und vertheilt die Rollen. Er besteht aus den beiden Stephanie, Brockmann, Lange, Müller, Klingmann und Weidmann. Brockmann fing seine Laufbahn in einer Kreuzerbude an und hat sich bis zu den ersten Schauspielern Teutschlands empor gearbeitet. Ausgenommen, daß sein Vortrag bisweilen in’s Deklamatorische fällt, ist an ihm kaum etwas auszusetzen. Seine Haltung, sein Gang, seine Stimme, seine Gebehrden, Alles zeigt den Mann von Kenntnissen und Routine. Er verbindet mit einem seltenen Geschmacke ein ungemeines Studium. Aber Schade, daß es ihm ein wenig an Geschichtskenntnissen zu fehlen scheint, eine Krankheit, an der überhaupt das ganze Personal laborirt. Ich sah ihn einigemahl in Stücken aus dem dreyzehnten und vierzehnten Jahrhundert mit vielem Anstande Toback nehmen. Es kann seyn, daß dies auch blos ein Versehen war, das man durch eine eiserne Gewohnheit entschuldigen könnte. Der ältere Stephanie betritt jetzt selten mehr das Theater und hilft nur im Nothfalle noch aus. In Rücksicht der Herrn Lange, Stephanie des jüngern, Bergobzomer und Müller beziehe ich mich ganz auf Risbeck, dessen Schilderung von ihnen noch bis auf diesen Tag wörtlich paßt. – Herr Klingmann spielt die ersten Liebhaber- und Heldenrollen. Er ist für mich der unausstehlichste Schauspieler von der Welt. [88] Seine Stimme ist hohl und nicht selten schreyend, und den Conversationston scheint er gar nicht zu kennen. Sein Gesicht, so wie seine ganze Figur ist kindisch, und ich begreife nicht, wie er bey allen seinen Abgeschmacktheiten der Liebling des Publikums seyn kann. Sein Hamlet ist das Meisterstück eines verdorbenen Geschmacks. Den berühmten Monolog to be or not be verhunzt er erbärmlich, so wie er Hamlets ganzen Charakter vergreift. Wenn sich der Mann nur die Mühe nehmen wollte, Göthe’s neuesten Roman zu studiren, so würde er auf Fehler aufmerksam gemacht werden, die er vielleicht jetzt für Schönheiten hält. Ein Künstler hat ihm die Ehre angethan, ihn als Fürst in dem Ifflandschen Stücke: Dienstpflicht, bey den Worten: keine Jagd für heute, in Kupfer zu stechen. – Herr Weidmann spielt viel komische Rollen und gehört ohne Widerspruch unter die ersten Komiker Teutschlands. Wenn er zweyerley Todsünden zu vermeiden suchte, so blieb vor ihm nichts mehr zu wünschen übrig. Er übertreibt nicht selten auf eine unverzeihliche Art und spricht im österreichischen Accente, daß es zum Erbarmen ist. Er war zuerst Statist und machte in der Epoche des Extemporirens sein Glück durch einen gut angebrachten Spaß. Sein Herr von Plumper in dem Jüngerschen Stücke: er mengt sich in Alles, ist das non plus ultra dieser Art und sein Bettelstudent in dem Stücke gleichen [89] Namens nicht weniger unterhaltend. Ich muß sagen, daß der Mann als Plumper an einem Abende, da ich nichts weniger als zum Lachen aufgelegt war, mir das Lachen abgedrungen hat. Kurz, er ist unwiderstehlich, wenn er nicht übertreibt. – Herr Ziegler spielt rohe Naturmenschen, z. B. den Anton in den Jägern, ganz gut, sonst gebe ich aber auch für den ganzen Mann keinen Dreyer. Sein beständiges Deklamiren, verbunden mit einer kreischenden heisern Stimme ist unerträglich. Du weißt, daß dieser Mann die gelehrte Welt zum wenigsten vierteljährig mit einem Paar theatralischen Stücken heimsucht; weil aber seine Talente nicht so weit reichen, daß er selbst einen Stoff erfinden und bearbeiten kann, so setzt er die Stücke anderer Dichter fort, bearbeitet Ritterromane, besonders Veit Weber’s Sagen der Vorzeit, und stiehlt ganze Scenen aus englischen und französischen Stücken, um sie als eigene Arbeit dem Publikum darzubringen. Die Kritik, die schon die Producte so manches unberufenen Schauspielmachers von der Bühne gepfiffen hat, war nach meiner Meynung gegen diesen Mann immer noch zu nachsichtig, weil sie vielleicht da und dort etwas an ihm bemerkte, was Anlage verrieth und ihn nicht zurück schrecken wollte. Er scheint sich aber von Tag zu Tag zu verschlimmern, und selbst sein bestes Stück: die Freunde, hat abscheuliche Fehler. Es haben Einige geglaubt, daß [90] ein guter Schauspieler und ein guter Schauspieldichter ganz unvereinbare Dinge wären. Iffland, Schröder und Stephanie der jüngere beweisen aber gerade das Gegentheil.

Unter den Damen zeichnet sich ausser der Madam Adamberger keine sonderlich zu ihrem Vortheile aus. Diese Frau grenzt schon an 50. Jahre, ist beynahe taub und hat sonst noch allerley Gebrechen, und spielt die naiven Rollen ganz allerliebst. Sie ist die gebohrne Gurli, und tritt in dieser Rolle als Mädchen von 15–16. Jahren mit dem größten Triumphe auf. Alles kündigt die Schauspielerinn von Kopf und Geschmack an, und ich sehe sie eben so gern in Gesellschaft als auf dem Theater.

Einigen andern Herrn, z. B. Schütz, Rettig, Baumann, Dauer, Koberwein, Müller dem Sohne, Meyer und der ganzen langen Bettlerzunft glaube ich schon die Ehre genug anzuthun, wenn ich sie mit Namen nenne. Jeder von ihnen spielt freilich eine und die andere Rolle ganz gut, das ist aber auch Alles.

Es ist eine abscheuliche Unart gegen das Publikum, daß der Theaterausschuß nur die Hauptrolle mit einem guten Schauspieler besetzt, und die andern dem Janhagel überläßt. Die Künstler glauben [91] sich herabgesetzt, wenn sie eine Nebenrolle spielen sollen. Im Hamlet ist dies besonders auffallend. Ausser Bergobzomer als König, und Klingmann als Hamlet, den eigentlich Lange spielen sollte, sind die andern Rollen mit Leuten besetzt, die nicht einmahl in einer Marionettenbude glänzen würden. Da spielt z. B. Müller, der Sohn, den Laertes, und Meyer den Oldenholm, gerade als ob keine guten Schauspieler da wären, diese Rollen zu besetzen. Ich glaube nicht, daß es ein einziges mahl der Fall war, wo man Brockmann, Lange, Stephanie den jüngern, Weidmann, die Adamberger und die Stephanie zusammen gesehen hat, und doch giebt es der Stücke genug, wo es recht gut geschehen könnte und müßte.

Die Theater in den Vorstädten waren für mich in Rücksicht ihrer Abgeschmacktheit sehr unterhaltend. Schikaneder, der in der Vorstadt Wieden sein Wesen treibt, macht durch sein unnachahmlich abgeschmacktes Zeug sein Glück. Seine bekannten Singspiele, womit er das Publikum so reichlich heimsucht, sind Alles, was man von der Art sehen kann. Da giebt es Blitze, Himmel- und Höllenfahrten, Kröten und Schlangen, Löwen und Tyger, Scharfrichter und Teufel die Hülle und die Fülle. Ich sah sogar einmahl die Göttinn Juno öffentlich auf dem Theater Butter machen. Aber Herr Schikaneder [92] kennt sein Publikum, und würde sich einen großen Reichthum erwerben, wenn er ein besserer Haushälter wäre. Die Musik des unsterblichen Mozarts, die der Mann sehr weislich seinen bleyernen Producten als Schwimmkissen angebunden hat, brachte diese Stücke auf alle teutsche Theater, und ist die Ursache, daß die Schikanederschen Knittelverse von Hunden gebellt, von Katzen gemiaut, in die Harfen der Lais gesungen und von Wielanden mit Entzücken gehört werden. Mozarts Popularität in der Musik ist hauptsächlich die Ursache, daß seine Producte noch nach Jahrhunderten wie Sterne an dem musikalischen Horizont stehen werden, wenn die Werke der Andern längst in den Käsebuden ihren Tod gefunden haben. Schade, daß sich der Mann nie an unsern populären Dichtern versucht hat, z. B. an Bürger und Klaudius. Populärer Text, populäre Musik, wahrlich die Teutschen hätten jeder andern Nation den Rang streitig gemacht!

Auf dem Marinellischen Theater in der Leopoldstadt treibt noch immer Harlekin in der Person des Herrn Kasperle la Roche sein Wesen. Dieser Mann ist seit vielen Jahren der Abgott des hiesigen Publikums, und man könnte sich nicht schwerer an den Wienern versündigen, als wenn man ihnen diesen niedrigen Spaßmacher rauben wollte. In jedem Stücke, daß auf diesem [93] Theater gegeben wird, muß Kasperle seine Rolle haben und sollte sie auch noch so unbedeutend seyn.

Das Theater in der Josefsstadt verdient nicht genannt zu werden. Es gehört in die Klasse derjenigen, die in Schwaben, Bayern und Böhmen herumziehen und ihre Dekorationen und Garderobe auf Hunden und Eseln nachführen.

Jedes dieser 3. Theater hat seinen eigenen Dichter, die sich wechselweise durch ein neues Stück an dem Geschmack versündigen. Jetzt beschäftigen sie sich damit, die abgeschmackten Romane des Herrn Spieß mit allen Turnieren, Saufgelagen, verwünschten Prinzeßinnen, Teufeln, Hexen und Mordbrennern auf das Theater zu bringen und das Publikum belohnt sie dafür mit dem ausgezeichnetsten Beyfalle. Ueberhaupt sieht es mit dem theatralischen Geschmack hier erbärmlich aus. Wenn im Nationaltheater Minna von Barnhelm, Emilia Gallotti, die Ifflandschen, Schillerschen, Götheschen, Schröderschen und einige der bessern Stücke des Herrn von Kotzebue gegeben werden, so ist das Haus leer; aber wenn bey Schikanedern von Expeditionen hinter den Gardinen gesungen wird, wenn Kasperle sogenannte pudelnärrische Späse macht, wenn in der Josefsstadt [94] Esel auf dem Theater erscheinen, um nach Egypten zu fliehen, so werden die Plätze 3. bis 4. Tage vorher bestellt.

Die hiesige Theaterzensur ist das widersprechendste Ding von der Welt. Sie giebt nicht zu, daß z. B. das Kind der Liebe unter diesem Titel gespielt wird, sondern es muß: Straßenräuber aus Kindesliebe heißen; aber sie läßt es Herrn Schikaneder durchgehen, daß er z. B. davon singt, wie man dem Mädel aufs Mieder steigt und eins drauf arbeitet, wie man den Zingerlin applizirt u. dergl. Kurz, sie läßt hier Dinge paßiren, die einen Jenaischen und Halleschen Burschen aneckeln würden.

Die Ballette auf dem Nationaltheater haben in Teutschland nicht ihres gleichen. Sie werden mit einer Pracht und einer Verschwendung und dabey mit einer Kunst gegeben, die wirklich Bewunderung erregt. Es ist nichts seltenes, daß hier 12. bis 18. Pferde auf dem Theater erscheinen, die alle vortreflich abgerichtet und prächtig ausgeschmückt sind. Es ist in der That ein herrlicher Anblick hier tanzen zu sehen und ich glaube kaum, daß man diese schöne Kunst höher bringen kann, als man sie hier wirklich gebracht hat.

Zum größten Leidwesen des hiesigen Publikums [95] ist das Hetzgebäude vor 3. Tagen mit allen Thieren, dem Auerochsen ausgenommen, abgebrannt. Dieser Brand war eines der schönsten Schauspiele, die ich in meinem Leben gesehen habe. Ich kam eben mit einem meiner hiesigen Freunde aus dem Prater, wo Herr Stuwer sein letztes Feuerwerk für dieses Jahr abgebrannt hatte, als wir auf der Donaubrücke bey schwarzer Nacht und ungemein stillen Wetter durch diesen Brand überrascht wurden. Das Hetzgebäude war durchaus von Holz in der Runde aufgeführt und brannte von unten herauf in heller Flamme wie eine Bratpfanne. Wahrlich, man konnte sich hier davon eine Vorstellung im Kleinen machen, wenn der Vesuv oder Aetna Feuer speit. Wir eilten auf die Pastey um dieses Schauspiel näher zu haben. Eine ungeheure Menge Menschen, die einigemahl von einem Spaßvogel, der von der Ankunft eines Löwen oder Bären sprach, durch einander gescheucht wurden, das Brüllen der wilden Thiere, das Geheul der hundert Hetzhunde und die Thränen der Herrn Hetzfreunde, machten das Ganze zu dem schauerlich-schönsten Spectakel von der Welt. Der Hof hat durch diesen Brand eine jährliche Pachteinnahme von 12000. fl. und der Wiener seine Hauptunterhaltung verloren. Indessen glaubt man nicht, daß sie je wieder aufgebaut wird. Ich habe die Hetze nie gesehen, aber ich hätte große Lust sie gegen [96] ihre Feinde in Schutz zu nehmen, wenn sie auf eine andere Art eingerichtet wäre, als sie es hier war. Mußt du mir nicht gestehen, daß der Kampf zwischen einem Löwen und Löwen oder zwischen Thieren von gleicher Stärke wirklich etwas Großes ist? Aber wenn man einen Haufen Hunde (in der Hetzsprache Pudwascheln) an einen armen Esel (in der Hetzsprache Müllerlöwe) hetzt oder ein schwaches Rind den Klauen eines Löwen Preiß giebt, so sinkt dieses Schauspiel zu der abscheulichsten Schinderey herab. Wie das Feuer eigentlich ausgekommen sey, weiß man nicht. Einige behaupten: die Jakobiner hätten es angelegt, um die in der Nähe befindlichen Magazine in Brand zu bringen.

Der Genuß der sinnlichen Liebe hat seit des Todes der Kaiserinn Therese den freiesten Spielraum von der Welt, und wer in diesem Punkte ausschweifen will, hat gewiß keine Nachstellungen von der Polizey zu befürchten. Einer meiner Landsleute, der sich schon einige Jahre hier befindet, machte mir davon eine Beschreibung, die beynahe allen Glauben übersteigt. Wenn man Abends über die Straßen geht, so ist man nie sicher, daß man nicht von den Dirnen angefallen wird. Sie ziehen Heerdenweise, aber nicht wie die griechischen Sträußermädchen, in biviis et triviis herum, und sind größten Theils sauber und auch mitunter [97] elegant gekleidet. Das leiseste Zeichen führt sie dir in die Arme, und sie machen so wenig Umstände, als nur möglich ist. Aber nach einem gewissen Geschmacke, nach einer gewissen Art von Zurückhaltung, die den Hochgeschmack der Liebe noch erhöhen muß, wie Kenner versichern, suchst du umsonst. Alle diese Mädchen sind durchaus ohne Bildung und Erziehung und aus allen Gegenden von Teutschland, Italien und Ungern zusammengelaufen, um hier auf diese niedrige Art ihr Brod zu verdienen. Auf ihren Stuben findest du freilich bisweilen den Reichthum, der den Wiener auszeichnet, das ist aber auch Alles. Nach einem schönen Gespräche, nach oberflächlichen Kenntnissen in den schönen Wissenschaften, nach Sprachen und andern Eigenschaften, die eine leere Stunde in einer solchen Gesellschaft in andern Städten wohl ausfüllen, suchst du umsonst. Alles riecht nach dem Stalle und der Küche. Du findest hier keine Schubitz, keine Müller, keine Dunzeau, keine Nansbury und wie die andern berühmten Namen heißen mögen; und überhaupt kein einziges privilegirtes Haus, das unter der Aufsicht der Polizey stünde, aber dagegen eine Legion abscheulicher Schlupfwinkel, in die sich die niedrige Lust verkriecht, um einige thierische Augenblicke zu genießen. Dafür ist auch dieser Genuß mit der unvermeidlichsten Gefahr verknüpft. Die Wahrscheinlichkeit [98] angesteckt zu werden, soll sich nach einer genauen Berechnung zu der Sicherheit wie 1. zu 109. verhalten. Gewiß das ungeheuerste Mißverhältniß. Daher kommt es dann auch, daß ein großer Theil der Kranken in den hiesigen Spitälern von der Lustseuche angesteckt ist. Der berühmte Frank, Director des großen Bürgerspitals in der Alstervorstadt, soll schon einigemahl den Vorschlag gethan haben, ein eigenes Bordell anzulegen, aber bis jetzt noch kein Gehör gefunden haben. Mir fällt hierbey ein, was mir ein hiesiger praktischer Arzt von dem seeligen Stoll erzählt hat. Dieser große Mann soll sehr oft gesagt haben: er wüßte ein sicheres Mittel, wie sich jeder bey dem Beyschlafe vor einer Ansteckung bewahren könnte; er wollte es aber nicht entdecken, weil er die Ausschweifungen zu vermehren fürchtete. Wenn Stoll wirklich ein solches Universalmittel gekannt hat, woran ich aber sehr zweifeln möchte, so hat er wirklich übel gethan, es nicht bekannt gemacht zu haben.

Es ist nicht genug, daß die Wollust sich durch alle Klassen des unbeweibten Bürgers erstreckt, nein! sie verbreitet sich auch in einem erstaunlichen Grade über die Ehen. Daher ist auch die eheliche Treue in dieser Stadt etwas sehr seltenes. Ueberhaupt denkt der Wiener über diesen Punkt [99] sehr liberal, und du mußt in seiner Gegenwart sein Weib schon sehr thätlich behandeln, ehe er aufthaut. Dieses Phlegma macht den Weibern bis zur ersten Klasse hinauf Muth, die Männer ohne Scheu und Zurückhaltung zu krönen. Ein junger Mann, der von aussen etwas verspricht und sich nur ein wenig zu insinuiren weiß, darf um seinen Unterhalt nicht verlegen seyn, wenn er sich mit Weibern befassen will. Es giebt Weiber hier, die zwey und drey junge Leute ordentlich besolden und es ihnen an keiner Bequemlichkeit fehlen lassen, wenn sie gefällig seyn wollen. Ich kenne hier einen französischen Emigranten, der auf diese Art sein Glück gemacht hat. Er kam im vorigen Sommer hieher ohne Geld und Bekannte und der Zufall führte ihn unter dem Fenster einer großen Dame vorbey, die ihn lieb gewann und zu sich bestellte. Seitdem ist er ein gemachter Mann. Er bewohnt zwey geschmackvoll meublirte Zimmer auf einer der besten Straßen, hat eine schöne Garderobe und wöchentlich 4 Dukaten zu verzehren. Dafür muß er die Frau Gräfinn pünktlich zur bestimmten Stunde besuchen und darf kein Auge auf ein anderes Frauenzimmer werfen. Die Männer sind um nichts gewissenhafter und suchen sich für die Ausschweifungen ihrer Weiber auf eine ähnliche Art schadlos zu halten.


[100]
Dritter Brief.

Vom 6. Febr. 1797.

Man hat den Wiener Gelehrten mit Unrecht den Vorwurf gemacht, daß sie Leute ohne allen Geschmack und ohne alle Kenntnisse wären. Ich habe davon gerade das Gegentheil gefunden. Es ist wahr, daß sie sich wegen des abscheulichen Geisteszwanges ganz verstecken müssen. Die meisten Reisenden finden daher unter denen, so öffentlich auftreten, nur alltägliche Köpfe und Leute von den beschränktesten Kenntnissen. Wenn man aber einmahl das Glück hat, mit Einem, die unter der jetzigen Regierung versteckt leben, genauer bekannt zu werden, und so nach und nach in ihre Gesellschaften kommt, so wird man bald das allgemeine Vorurtheil ablegen, welches im Auslande herrscht. Dies Vorurtheil ist Schuld daran, daß Jahr aus Jahr ein, eine Menge Abenteurer, die ihr Vaterland ausgeworfen hat, hieher kommt, um ihr Glück zu machen. Wenn es nun bisweilen Einem oder dem Andern gelungen ist, eine Stelle zu erlangen, so wird davon gleich ein großer Lärm erhoben, der noch mehr Müßiggänger hieher zieht. Seit Kaiser Josefs Zeiten, der den Wienern zuerst Luft machte, hat [101] sich mancher Kopf gebildet, der in der teutschen gelehrten Welt eine ansehnliche Rolle spielen würde, wenn er in einem andern Lande lebte, in welchem dem Geiste keine Fesseln angelegt sind. Ich glaube nicht, daß in irgend einer Stadt Teutschlands die französische Revolution so warme Anhänger hat, als hier, wenn sie gleich öffentlich eine Anhänglichkeit an das System ihres Hofes zu affectiren gezwungen sind. Thomas Payne, das System der Natur, Fichte’s Beyträge, Rebmann’s Schriften u. a. zirkulieren hier ungeachtet aller Censur und der strengsten Maaßregeln, welche die Regierung nimmt, dergleichen Büchern den Eingang in das Land zu verwehren. Ich kenne hier ein Paar Dutzend Leute aus dem gelehrten Stande, die neu aufblühen, wenn sie hören, daß die Franzosen irgend einen Vortheil über ihre Landsleute erhalten haben. Sie beweisen dadurch, daß sie von der Schwachheit, welche man Vaterlandsliebe nennt, nicht im mindesten angesteckt sind. Mag seyn, daß eine vielleicht unverdiente Zurücksetzung in ihrem Vaterlande einigen Antheil an diesem Betragen hat; im Ganzen ist es aber gewiß ein reines Gefühl für Menschenglück und Menschenwohl.

Die Einrichtung des Studienwesens in den österreichischen Ländern steht gewiß noch um ein halbes Jahrhundert hinter den westlichen und nördlichen [102] Nachbarn zurück. Die hiesige Universität (die medicinische Fakultät ausgenommen) gehört ohne Vergleich unter die letzten, die ich in Teutschland kenne; ein Umstand, der desto weniger verziehen werden kann, wenn man bedenkt, daß diese Monarchie einen ungeheuern Reichthum hat und die Professoren ausserordentlich stark besoldet werden. Ganz unentbehrliche Vorlesungen kennt man hier kaum dem Namen nach. Das politische Fach z. B. ist mit einem gewissen Watteroth besetzt, der als Avanturier hieher kam und von ungefähr sein Glück machte. Dieser Mann, der mit einem unerträglichen Dünkel eine abscheuliche Eigenliebe verbindet, hat sich nach dem Abgange des berühmten Sonnenfels des politischen Lehrstuhls bemächtigt und herrscht darauf, wie ein kleiner Sultan. Ihm sind all die berühmten Männer, die seit 30. Jahren in dieser Wissenschaft aufgeräumt haben, nur Hundejungen und die berühmten Oerter, Göttingen, Jena, Erlangen, Halle, Leipzig u. a. gegen Wien nur Hecken-Universitäten. Von keinem bessern Schlage sind Mumelter, eben derjenige, welcher sein Vaterland durch das berühmte Buch über die Verdienste des Hauses Oesterreich um das teutsche Reich prostituirt hat; de’ Lucca, Zeiler, Felsch etc. Das Examiniren der Zuhörer, welches man auf andern teutschen Universitäten gar nicht kennt, nimmt hier sehr viele Zeit weg und hat eigentlich gar keinen [103] Nutzen. Es ist auffallend, wie es hier in den Vorlesungen zugeht. Der Professor macht ordentlich den Dorfschulmeister, giebt seinen Zuhörern Ermahnungen, Acht zu geben, gerade zu sitzen, nicht zu schlafen, und sagt ihnen die abscheulichsten Sottisen ins Gesicht. – Das politische Studium, welches eigentlich einen eigenen Curs ausmachen sollte, wird hier zur juristischen Fakultät gezählt. Landes-Staatsrecht, allgemeines Staatsrecht, Staatsrecht der vornehmsten europäischen Staaten, Statistik, europäische Staatengeschichte, Geographie, teutsches Privatrecht u. dergl. sind hier ganz unbekannte Dinge. Es giebt hier von einer ganzen Wissenschaft nur Einen Professor, und da er keine Honorarien zieht und keinen Nebenbuhler hat, so ist es ihm höchst gleichgiltig, ob er Zuhörer hat, oder nicht. Er gewöhnt sich daher nicht an einen schönen Vortrag, präparirt sich nicht, sondern läuft gerade so aufs Katheder, wie man in die Schenke läuft, um über Zeitungen zu saalbadern. Es giebt hier keine Lehrstühle für Professores extraordinarios, auf denen sich der angehende Lehrer bilden und üben kann. Diese Stellen werden auf eine ganz eigne Art besetzt. Sobald ein Lehrstuhl erledigt wird, schreibt man einen Concurs aus; aber die Stelle ist gemeiniglich schon an eine Kreatur vergeben, ehe der Concurs eröfnet wird. So hat also der geist- und herzvolle Mann keine Aussicht je [104] einen Lehrstuhl zu erlangen. Zu einem solchen Scheinconcurse hat Jeder Zutritt, der auf einer inländischen Universität die Doctor-Würde erlangt hat. Ich will dir mit einigen Worten den Hergang bey dem Concurse für die Professur der politischen Wissenschaften zu Lemberg beschreiben, wie er sich vor einigen Tagen ereignete. Nachdem auf Befehl der Regierung Tag und Stunde zum Examen festgesetzt waren, erschienen die Kandidaten Morgens in einem besondern Saale vor der juristischen Facultät, und hier wurden ihnen folgende Fragen vorgelegt, wovon eine teutsch und zwey lateinisch zu Papiere beantwortet werden mußten.

a) Könnte man die Frohnen ganz abschaffen, und welcher wäre wohl der beste Weg, um sowohl den Landesherrn, als den Gutsherrn und den Leibeigenen so viel möglich zu befriedigen?

b) Giebt es unveräusserliche Menschenrechte?

c) Was stand dem Handel von Westgallizien bisher entgegen? Was hat die österreichische Regierung gethan, um ihm aufzuhelfen und was könnte sie noch ferner thun?

Nachmittags mußten die Kandidaten in lateinischer Sprache über das Prinzip des allgemeinen Staatsrechts aus dem Stegreife differiren. Und damit [105] hatte die ganze Kinderey ein Ende. Aus diesen 3. Fragen, wovon die zweite, wie du siehst, recht verfänglich gesetzt war, sollte also beurtheilt werden, ob einer im Stande wäre, Lehrer einer der schwersten und weitläuftigsten Wissenschaften zu werden.

Die Curse in allen Facultäten sind ganzjährig. Es giebt dabey aber sehr viele Ferien.

Der öffentlichen Bibliotheken giebt es hauptsächlich zwey: die Hof- und die Universitäts-Bibliothek. Diese ist außer einigen alten Werken von keiner Bedeutung und seit 4. Jahren kein einziges neues Werk mehr angeschaft worden. Die Hofbibliothek gehört zu den größten in der Welt, aber sie schaft dem Publikum den Nutzen nicht, den sie ihm bey einer andern Einrichtung verschaffen könnte. Sie darf es in Rücksicht ihrer Gemeinnützigkeit mit der berühmten Bibliothek auf der Georg-Augusts-Universität gar nicht aufnehmen. Sie enthält sehr viele Handschriften, die jedem ohne Schwierigkeit gegeben werden, wenn er sie in einem besonders dazu bestimmten Zimmer lesen will. Die meisten sind aber von keiner Bedeutung. Diese Bibliothek ist im Sommer 6. und im Winter 3. Stunden täglich zu Jedermanns Gebrauch offen, und es werden gar keine Bücher ausgeliehen, welches wohl einen kleinen [106] Vortheil, aber auch gewiß für denjenigen, der sie benutzen will, einen großen Nachtheil hat. Der zweite Bibliothekar, Hofrath Denis, Exjesuit und erster Dichter Oesterreichs, nebst noch einigen andern, die hier Geschäfte haben, sind recht artige und gefällige Leute.

Die Anzahl der hiesigen Dichter ist Legion. Der eben genannte Denis, Blumauer und Alxinger[5] sind die vornehmsten darunter. Blumauer’s Muse scheint nun ganz verstummt zu seyn und sein Ruhm ist mit dem dritten Bande der travestirten Aeneis zu Grabe gegangen. Er giebt sich jetzt hauptsächlich mit dem Buchhandel ab, der sich aber in eben so schlechten Umständen, wie seine Lenden und Wangen befinden soll. Er hat unstreitig unter allen hiesigen Dichtern das meiste poetische Genie, das aber nicht ausgebildet ist, und sich dem Publikum in puris naturalibus zeigt. Alxinger, dem wir es zugeben wollen, daß er correct schreibt, hat gewiß weniger poetisches Talent als Blumauer. Er ist Sekretär bey dem Nationaltheater, und hat, was selten der Fall bey Dichtern ist, ein ansehnliches Vermögen. Sein Doolin von Maynz, der ihm zuerst einiges Ansehen verschaffte, ist nun ganz umgearbeitet; wer kann ihn aber nach Oberon noch lesen? [107] Alxinger ist übrigens ein gastfreier Mann, ein warmer Freund und von sich nicht eingenommen.

Du hast vielleicht schon von einem gewissen berüchtigten Menschen, Namens Haschka gehört, der seit mehreren Jahren als Dichter hier sein Wesen treibt. Alxinger, der vielleicht einige Anlage bey ihm entdecken mochte, die ihm auch wirklich nicht abzusprechen ist, hob ihn empor und schenkte ihm sogar einmahl 10000. fl., weil Haschka den Wunsch geäussert hatte, 10000. fl. zu besitzen, um ganz den Wissenschaften leben zu können. Seine neuesten Oden: an Franz, den Standhaften, – der Bund des Todes, geschworen Franz dem Standhaften, – an die Franzosen, die verhudelten Römer-Skitzen, das Wiener Volkslied u. a. machen jetzt hier sehr viel Aufsehen, und werden von dem Publikum verschlungen, so wie die Arbeiten der hundert Oden- und Liedermacher, deren Producte wie die Schwämme wachsen und vergehen. –

Die Briefe eines Eipeldauers über d’Wienstadt an den Herrn Vetter in Krakau, deren Verfasser ein gewisser Richter ist, wurden gleich Anfangs mit lautem Beifall aufgenommen, und sind jetzt noch in den Händen des hiesigen Bürgers. Der Gedanke war so übel nicht, in der Provinzial-Sprache sich über die Thorheiten und Lächerlichkeiten Wiens lustig [108] zu machen, und es fehlt auch dem Verfasser an Kopf und Witz nicht, wie die ersten Hefte deutlich beweisen. Aber Wien ist zu einem solchen Unternehmen der Ort nicht. Die Censur steht ihm schnurgerade im Wege.

Das Unwesen, welches die Nachdrucker hier treiben, geht über alle Beschreibung. Es giebt in der ganzen Stadt höchstens nur 2. solide Buchhandlungen. Alle übrigen leben vom Nachdrucke und vom Handel mit alten Büchern. Ihre Anzahl übersteigt ein Viertelhundert. Kaum ist ein Werk in Teuschland erschienen, das in Wien irgend einen Abgang verspricht, so sind die Nachdrucker gleich wie Harpyen darüber her. Hufelands Kunst, das menschliche Leben zu verlängern, wird gegenwärtig viermahl hier nachgedruckt. Der berüchtigste unter dieser Rotte von Spitzbuben ist ein gewisser Schrämbl, der auch zugleich Schriftsteller ist. Er hat sich bey den teutschen Gelehrten durch seine sogenannte Sammlung teutscher Klaßiker verhaßt gemacht. Diese Sammlung, die gegenwärtig eine Anzahl von ungefähr 40 Bänden begreift, hat wirklich eine gefällige Aussenseite, ist aber durch eine so ungeheure Menge von Druckfehlern verunstaltet, daß die Verfasser ihre Werke darinn wiederzufinden kaum im Stande sind. Dabey ist es wirklich zu bewundern, daß diese Nachdrücke einen ganz ungewöhnlichen Absatz [109] finden, und sogar bis nach England verschickt werden. Für Wieland’s Werke, nach denen Herr Schrämbl eben jetzt seine diebischen Hände ausstreckt, hat er schon gegen 500. Subscribenten, und von Bürger’s Gedichten u. a. schon zwey Auflagen gemacht.[6]

Die Nachdrucker haben ihre eigenen Kniffe, ihrer Waare Käufer zu verschaffen, die ihnen selten fehlschlagen. Hufelands oben genanntes Buch z. B. erscheint in 6. Lieferungen von 3. Tagen zu 3. Tagen, jede Lieferung zu 6. Kreuzer. Auf diese Art setzen gewiß jene 4. Nachdrucker mehrere tausend Exemplare davon ab, besonders an alte Müßiggänger und ausgediente Buhldirnen, die hier ein Spezificum gegen den Tod zu finden hoffen.

Warum hier der Nachdruck geduldet wird? Ich weiß es nicht und keiner kann es begreifen. Vielleicht, um nicht eine Menge Menschen zu Grunde zu richten, die davon leben; vielleicht, um dem lesebegierigen Publikum auf eine wohlfeile Art ein Spielzeug in die Hand zu geben, damit es nicht an andere [100] Sachen denken möge. Indessen thun die gewöhnlichen Wiener Nachdrücke den Schriftstellern und Verlegern keinen so großen Schaden, als man sich vielleicht vorstellen möchte. Ich erinnere mich nicht ausser den österreichischen Erbländern, wenn ich die Schrämblschen Nachdrücke ausnehme, einen der übrigen gesehen zu haben. Und gewiß hätten unter hundert von denen, welche hier und in der Provinz die Nachdrücke kaufen, keine 3. das Original gekauft. Die Nachdrucker kennen ihr Publikum zu gut und haben bey ihrem Absatze Vortheile, die der Verleger des Originals nie haben kann.

Der Reichthum der hiesigen Bürger ist eines Theils Schuld daran, daß er sich mit den Wissenschaften so wenig abgiebt. Ich getraue mir, dies gegen diejenigen auszuführen, welche behaupten, daß Künste und Wissenschaften die Begleiterinnen des Ueberflusses seyen. – Man kann sich von dem ungeheuren Aufwande gar keinen Begriff machen, wenn man nicht selbst hier gewesen ist. In diesem Stücke übertrift vielleicht nur London die Kaiserstadt. Alles, alles spricht von dem größten Wohlstande. Bürgershäuser von 100. 200. 300. und 400 tausend Gulden sind hier etwas ganz Gewöhnliches und wer 20000. fl. hat, wird nicht einmahl für wohlhabend gehalten. Handwerker haben ihre [111] eigenen Equipagen und wenn man einen Schneider oder Schuster rufen läßt, um das Maas zu nehmen, so kommt der Mann bey Leibe nicht zu Fuße, nein er fährt in einem Fiaker. An Sonn- und Feiertagen kann man den Bürger im Prater und Augarten, zu Schönbrunn u. a. a. O. in seinem vollem Glanze sehen. Ich habe einmahl im Prater ohne die Fiaker an herrschaftlichen und bürgerlichen Equipagen 336. Wagen gezählt. Und dazu will der Wiener etwas Körperliches haben. Er geht nicht, wie vielleicht der Berliner, spatzieren, um einen schönen Sommertag zu genießen und sich an den Freuden der Natur zu ergötzen, oder um mit einem guten Freunde oder einem lieben Mädchen ein Paar seelige Stunden zu verleben; nein! solche Vergnügungen kennt er gar nicht. Da muß die Tafel schwer mit gebratenen Hühnern, Enten und Gänsen, mit starken und kostbaren ungarischen Weinen, mit Gefrornen und Zuckerbrod besetzt seyn. Selbst bis auf den Packträger herab herrscht ein gewisser Aufwand und eine Art von Verschwendung, daß man kaum begreifen kann, wie die Lebensmittel und der Arbeitslohn noch so wohlfeil seyn können, als sie wirklich sind.

Kein Fremder kann hier über Theurung klagen, und wenn man die Wohnungen ausnimmt, so ist es hier so wohlfeil, als in irgend einer Stadt [112] Teutschlands. Es giebt Häuser, wo man Mittags für 12. kr. Suppe, Gemüse mit Beilage, Rindfleisch und Braten haben kann. In den gewöhnlichen Traiteur-Häusern ist es kaum theurer. Wenn man einen halben Gulden daran wenden will, so kann man in dem vornehmsten Wirthshause recht lecker und für einen Gulden fürstlich zu Mittage speisen. Dagegen sind aber die Quartiere sehr theuer und in der Stadt in einem ungeheuren Preise. Für 10 bis 12 Dukaten monatlich kann man noch nicht viel Schönes haben und wer 3. Dukaten bezahlt, muß es sich gefallen lassen im dritten oder vierten Stocke in einem sogenannten Gassel zu wohnen. Ein ganzer Stock von 6. bis 8. Zimmern mit Küche und Stallung, nicht einmahl auf einer der Hauptstraßen oder auf einem Platze, wird jährlich ohne Meubles, ohne Parketboden, ohne ausgemahlt oder tapezirt zu seyn, mit 2. bis 3000. fl. bezahlt, und dann muß der Contrakt noch auf wenigstens 10. Jahre geschlossen werden. An dieser Theurung sind der Adel und die Fremden Schuld, die wegen der Unbequemlichkeit des Hin- und Herfahrens nicht in den Vorstädten wohnen mögen und sich alle nach der Stadt drängen. So ist es möglich, daß das Bürgerspital nächst dem Kärntnerthore, das größte Haus in Wien, in dem 8000. Seelen leben, jährlich 50000. fl. und das Trattnersche Haus auf dem Graben [113] 20000. fl. an Miethzins abwirft. Wer ein mittelmäßiges Haus in der Stadt hat, kann schon für einen reichen Mann gelten. Da wird ihm Alles vom Keller bis unter das Dach bezahlt. Am einträglichsten sind die Gewölbe, d. h. die Krambuden im Parterre. Diese werden auf guten Plätzen mit 4 bis 500. fl. und darüber bezahlt, und es giebt Häuser hier, die 10. bis 12. solche Gewölbe haben. Niemand wohnt hier im Parterre. Da giebt es lauter Gewölbe, Koffeehäuser und Bierschenken. Das berühmte Koffeehaus für Zeitungsleser ist das Kramersche im Schlossergassel. Aber ich hatte nach dem ersten Besuche schon genug davon. Da brennen auf jedem Tische von Morgens bis Abends zwey Lichter, vor denen man die Zeitungen studiret. Seitdem aber Herr Müller, der bekannte Eigenthümer der Wachsfiguren, angefangen hat, zwischen der Stadt und der Leopoldstadt ein neues Koffeehaus aufzuführen, das dem weiland Richterschen in Leipzig wenig nachgeben wird, wenn es fertig ist, werden die Koffeesieder um vieles höflicher, weil sie ihren Sturz gerade vor Augen sehen. Herr Müller verwendet auf diese Anlage eine Summe von 110000. fl. Man kann sich also leicht vorstellen, daß nichts Alltägliches hervorkommen wird. Dafür wird ihm aber auch [114] der geschmackvollere Theil des hiesigen Publikums einen zahlreichen Zuspruch schenken.

Ich könnte dich nun noch mit einer langen Predigt unterhalten, über die Malerakademie, das Naturalienkabinet, das Münzkabinet, die beyden Zeughäuser, den kaiserlichen Schatz, die Lustschlösser zu Schönbrunn und Laxenburg, den Garten zu Dornbach, über des eben genannten Müllers Wachsfigurenkabinet, über die Sammlung des Reichshofraths Hess und hundert andere Dinge, wenn nicht schon eigene Beschreibungen davon existirten, oder wenn es nicht besser wäre, Alles das selbst anzusehen, als sich davon erzählen zu lassen. Ich will also heute meinen Brief mit einigen Bemerkungen über den Charakter der Wiener beschließen.

Es ist schwer, sich in diesen sonderbaren Proteus zu finden, und ich möchte sagen, daß der Wiener eigentlich gar keinen Charakter habe. Die Hebenstreitsche Verschwörung hat sehr weise bemerkt, daß der Hof die Wiener nur alsdann wecken könnte, wenn er sie bey dem Magen faßte. Und in der That, es müßte schlimm zugehen, wenn Menschen nicht mehr für das warm würden, was ihnen lieb ist. Heute ist der Wiener heiß, morgen kalt, und ich glaube, daß ein alter Planmacher [115] und ein entschlossener Kopf in einem entscheidenden Augenblicke ihn eben so leicht für, als gegen den Hof bewaffnen könnte. Ich selbst habe mir ein paarmahl das Vergnügen gemacht, diesen oder jenen Bürger, der am heftigsten gegen die Franzosen schrie, in einem glücklichen Augenblicke für die Sache der Freiheit zu erwärmen, und am andern Tage gewann ihn mein Freund wieder eben so leicht für die Sache der Monarchie, oder wohl gar des Despotismus.[7] Der Wiener scheint mir überhaupt noch in den Jahren der Kindheit zu seyn. Er ergreift Alles, was glänzt und wirft es eben so schnell wieder von sich, wenn er einige Zeit damit gespielt hat. Daß es warme österreichische Patrioten in Wien giebt, d. h. solche, die ohne Interesse Patrioten sind, glaube ich kaum, und wenn es deren geben sollte, so sind es gewiß wenige. Ueberhaupt möchte ich sehr daran zweifeln, daß es je Menschen gegeben hat, die sich recht warm für eine Monarchie intereßirt haben. Man werfe mir nicht ein: die häufigen und großen freiwilligen Beiträge in diesem Kriege bewiesen das Gegentheil. Man erlaube mir sogar zu behaupten, daß diese weniger als nichts beweisen. Man giebt, weil es Mode ist, zu geben, oder weil ein [116] Anderer gegeben hat, gegen den man nicht den Schein haben möchte, daß man ärmer, kärger, oder wohl gar für das Wohl des Vaterlandes weniger besorgt wäre.

Ein auffallender Zug von niedriger Bigotterie ist in dem Gesichte des Wieners nicht zu verkennen und er hat hierinn mit den Bayern eine große Aehnlichkeit. Er weiß es nicht genug zu rühmen, daß der jetzige Kaiser wieder alle Prozeßionen in und ausser der Stadt erlaubt hat. Diesen Sommer sah ich ihn hier in seinem Elemente. Eine Prozeßion nach dem berühmten Wallfahrtsorte Mariazell in Steiermark gab die Veranlassung dazu. Einige der angesehensten Bürger hatten sie veranstaltet und sie wurde vom Hof aus protegirt. Ich sage dir lieber Freund, ich habe noch nie eine größere Anzahl Menschen zusammen gesehen, als an dem Tage des Auszuges dieser Prozeßion. Ich wohne hier in der Kärntnerstraße, der einzigen, welche gerade durch die Stadt führt und da mußten die Bittfahrer unter meinem Fenster vorüber. Schon um 4. Uhr Morgens störte mich ein Getöse von Glocken, Beten, Singen u. dergl. aus dem Schlafe. Da hatte ich nun, so weit ich die Straße übersehen konnte, ungefähr eine halbe Viertelstunde in der Länge, nichts als Menschenköpfe vor den Augen; die Leiber waren gar nicht zu sehen, denn [117] Alles stand so voll und gedrängt, daß man umsonst zum Durchkommen Platz gesucht haben würde. Die Sperrung, welche in den Straßen hierdurch entstand, war unglaublich, denn mir ist versichert worden, daß die Wagen bis auf eine halbe Stunde vor der Linie bey Mariähilf, also 5. Viertelstunden von dem Orte der Versammlung, gehemmt worden wären. Die Bittfahrer brauchten 9. Tage zu ihrer Hin- und Herreise und ihre Absicht war, Waffenglück für die Oesterreicher von der heiligen Maria an diesem berüchtigten Wallfahrtsorte zu erflehen. Ob sich aber die Heilige erbarmen werde, daran scheint der bessere Theil des hiesigen Publikums sehr zu zweifeln. Der Hof, welcher in dieser gefährlichen Zeit Alles thut, um sich den dritten Stand zu verbinden, schickte sogar alle Prinzen des Hauses nach Mariazell, um da das Abendmahl zu empfangen, damit der Himmel die österreichischen Waffen gegen den Erbfeind der Christenheit, wie man hier allgemein ausposaunt, seegnen möchte. Da ward nun in der Hofzeitung viel Aufhebens davon gemacht, mit welcher Erbaulichkeit und Andacht die ganze Geschichte abgelaufen wäre, wie besonders die jüngern Erzherzoge mit aufgehabenen Händen, zerknirschtem Herzen und Thränen in den Augen vor dem [118] Gnadenbilde auf den Knien gelegen hätten, u. dergl. Das war zum Todtlachen.


Vierter Brief.

Vom 16. März. 1797.

Wie es mir nun eigentlich hier gefällt? Ich danke dir, mein lieber Freund, daß du diese Frage nicht vor 8 Monaten an mich gethan hast, denn da hätte ich dir gewiß mit einem ernsten: herzlich schlecht, geantwortet, wie alle diejenigen, die aus einem fremden Lande zum erstenmahle hieher kommen. Ich habe dies seit der Zeit sehr oft bestätigt gefunden. Wenn ich einen Fremden ein paar Tage nach seiner Ankunft fragte: nun, wie gefällt es ihnen in Wien? so war immer die Antwort: erbärmlich, ich reise morgen wieder ab, es ist nicht zum Aushalten u. dergl. An diesem Mißbehagen in der ersten Zeit ist Alles das Schuld, was vom Uebel ist, und dem Reisenden gleich Anfangs aufstößt, ehe er das Gute und Schöne erst kennen lernen kann. Das erste, was man thut, ist wohl, daß man ein paarmahl die Kreuz und die Queere durch die Stadt läuft, und dies wäre eines Theils schon hinreichend, einem den Aufenthalt zu verleiden, denn Wien ist eine [119] alte abscheuliche Stadt. Da kommst du durch keine einzige breite und gerade Straße, alle sind krumm, schmal, winkelicht, finster und meist so enge, daß man nicht weiß, wie man den Fiakern ausweichen soll. Du findest in der ganzen Stadt keinen einzigen Gegenstand, an dem dein Auge mit Vergnügen haftet, wenn es der arabische Stephansthurm nicht ist. Die Häuser sind hohe ungeheure Steinmassen von 4. 5. 6. auch wohl 9 Stockwerken, wahre noachische Archen, ohne allen Geschmack, ohne alle Kunst in Anlagen und Ausführung. Das Palais der Fürsten Lichtenstein in der Herrngasse, das beynahe eine ganze Straße lang ist, wurde erst vor einigen Jahren aufgeführt, und ist wirklich unter aller Kritik. Ich suche ihm immer auszuweichen, so oft ich in diese Gegend komme, um meinen Augen nicht wehe zu thun, eben so, wie der kaiserlichen Burg, die ein finsteres melancholisches Gebäude ist. Dieses ewige Einerlei thut eine unbeschreiblich üble Wirkung, und man befindet sich ordentlich wohl, wenn man den Straßen entronnen ist, um auf dem Hof oder dem hohen Markte frische Luft athmen zu können. Diese 2 Plätze sind die schönsten in der Stadt, und der erste könnte leicht zu einem angenehmen Spatziergange umgeschaffen werden. Eine zweite Ursache des Mißbehagens ist gewiß das ungeheure Menschengewühl für einen Fremden, der Paris, Londen und Neapel nicht gesehen hat. Dieses [120] durcheinander ist Schuld daran, daß man sich Anfangs nicht gern auf die Straße wagt, weil man hier gerädert, dort gespießt, da überlaufen, und hier erdrückt zu werden fürchten muß. Das Gewühl auf dem Stockameisen-Platz ist vom frühesten Morgen bis tief in die Nacht so stark, als es in Leipzig zu Zeit der Messe in den unruhigsten Tagen nur seyn kann. In diesem Gedränge fährt man durchaus in dem stärksten Trotte, auch wohl im Galopp, und doch hört man selten von einem Unglücke. Bedenkst du nun noch Alles das, was ich dir schon in meinen vorigen Briefen erzählt habe, so kannst du leicht begreifen, daß ein Fremder Anfangs seine Rechnung hier nicht findet. Ist er aber nur erst warm geworden, so wird er mit Jedem gern bekennen müssen, daß es nur Ein Wien giebt, und daß das Leben hier wirklich etwas Großes ist. Ich setze den Fall, es kommt Jemand hieher, um ein Jahr hier zu bleiben, und ich nehme an, daß er 4000. fl. in der Tasche hat, um es als einzelner Mann auf einige Art mit einem bemittelten Wiener aushalten zu können. Dafür kann er sich ein Leben nach Gefallen wählen, und er findet gewiß Alles beysammen, was er in andern Städten nur einzeln suchen muß. Seine Lust oder seine Leidenschaft mag sich einen Weg wählen, welchen sie immer will, er kann ihn wandeln. Freilich darf er keinen Hang zum Kleinstädtischen haben. Er darf nicht zu Fuße [121] gehen wollen, um einen Spatziergang zu machen, das wäre klein; nein, er muß fahren, und dazu stehen 1000. Wagen zu jeder Stunde bereit. Es ist ein Eckel für das große Leben, wenn ich nur ein Paar Schritte vor die Thüre thun darf, um spatzieren gehen zu können. Komme mir nicht mit deinem Leipzig, kleinstädtischer Geschmack! Ich räume dir gern ein, daß diese Stadt mit ihren Spatziergängen in Teutschland ihres gleichen nicht hat, aber was ist das? Du läufst dahin, wie zu einem willigen Mädchen, und hast weiter nichts zu thun, als die Bettvorhänge wegzuschieben. Aber eine gewisse, an sich süsse Mühe, ehe man zu dem Ziele seiner Wünsche gelangt – das ist haut gout. Vorher erst in einem sanften Phaeton ein wenig geschauckelt, Menschen durchwühlt, Flüsse überfahren, und dann in den Augarten, das ist großstädtisch. Vorher erst gewünscht und das Bild seines Glückes durch ein Fernglas gesehen, ist gewiß angenehmer, als wenn es den Händen schon erreichbar ist, wenn ich es will und wünsche. Zu diesem Genusse gehört freilich eine volle Börse, und man kann es daher denjenigen, die mit einem Paar lausiger Gulden hieher kommen wollen, nicht genug zurufen: heiß! heiß! Ich kenne Alles das ganz gut, was du mir einwerfen willst. Wird es nicht ungefähr so heißen?

A. Nach allem dem, was du mir in deinen vorigen [122] Briefen von Wien schon gesagt hast, ist es ganz deutlich, daß sich der Geist in dieser Stadt in der peinlichsten Lage befindet, und nur für den Körper auf eine Art gesorgt ist, die schwerlich übertroffen werden kann. Wer wird aber essen und trinken, und auf weichen schwellenden Betten schlafen wollen, und den Geist darben lassen?

B. Das wäre freilich ein arges Vornehmen. Aber das sollst du ja nicht. Du kannst vielmehr beide Bedürfnisse auf die beste Art von der Welt befriedigen, und das ist doch wohl unendlich besser, als bloß für den Geist sorgen und den Körper vernachläßigen, oder umgekehrt? deine 4000. fl. ziehen dich aus der peinlichsten Verlegenheit. Höre einmahl, wie ich das anfinge, wenn ich 4000. fl. in der Tasche hätte und ein Jährchen hier leben wollte. Im Sommer hebe ich mich Morgens um 4. Uhr aus den Federn. Da steht schon mein Wagen vor der Thüre, und bringt mich nach Gefallen in den Augarten, in den Prater, nach Schönbrunn, nach Laxenburg, nach Dornbach, auf den kalten Berg und an hundert angenehme Orte, nach denen mir gelüstet. Unterwegens genieße ich das herrlichste Schauspiel. Da rollen hundert Equipagen nach dem Geschmacke aller Weltgegenden bey mir vorüber. Ich dränge mich durch alle Nationen, durch Teutsche, Franzosen, Engländer, Polen, Ungern, [123] Türken, Griechen, Römer, Asiaten, Afrikaner und Amerikaner; durch spröde und willige Mädchen, durch Kastanienbratenweiber und hochadeliche Damen, durch Stutzer und Bettler, durch Karrenschieber und Grafen und Fürsten, durch Poeten und Musikanten und Studenten, durch Leute zu Fusse, zu Wagen, und zu Rosse. Ein lautes Durcheinander von: Hoho, holla ha, par Dieu, God damn yow, bassa manelke etc. erinnert mich, daß ich in der Kaiserstadt geschlafen habe. Komme ich an dem Orte meiner Bestimmung an, so habe entweder Muse zu dichten und schöne Gegenden zu beschreiben und meinen Grillen nachzuhängen, weil ich der Erste auf dem Platze bin, oder ich finde Bekannte, mache neue Bekanntschaften, verliere mich in Gebüsche, leihe meine Ohren dem Morgengesange der Vögel oder künstlichen Instrumenten u. dergl. Ich botanisire auf dem kalten Berge, ich studiere Naturgeschichte zu Schönbrunn, ich bewundere die Kunst menschlicher Hände oder den Eigensinn der Natur, ich stelle mich an einen beliebigen Standpunkt, um nach Gefallen schroffe Felsen, ungeheure Berge, Wasserfälle, oder lachende Fluren, blumige Wiesen, reizende Thäler und versteckte Grotten zu überschauen. Will ich frühstücken, so gehe ich entweder in eine Laube, Grotte oder eine Stube, und finde Erfrischungen aller Art. Ich fahre zurück, und nun hat sich [124] schon das Publikum verändert und ich darf mich nicht über ein ermüdendes Einerley beklagen. Nun ist es Zeit die Morgenbesuche abzustatten bey Freunden und Freundinnen. Darauf gehe ich in die Zeitungsbuden, und sehe mich in der politischen Welt um, setze mich auf den Graben, um die Leute zu mustern u. dergl. So kommt allmählig der Mittag. Da bin ich nun entweder geladen in eine angenehme Gesellschaft, wo Geist und Körper Nahrung findet, oder an einen Tisch, der von der Schwere kostbarer Speisen und Weine zerbrechen möchte. Beydes hat sein Angenehmes. Bin ich nicht geladen, so wähle ich unter hundert Wirthshäusern und finde alle meine Begierden befriedigt, und damit es mir ja nicht an Abwechselung fehlt, so muß ich hier schweigen und auf meiner Hut seyn, und so werde ich immer in Athem erhalten. Nach Tische mache ich wieder Excursionen und dazu kann ich mir jede beliebige Gesellschaft wählen, oder ich belehre mich in den zahlreichen Versammlungen der Kunst und des Fleises, und dies ist wirklich ein so großes Stück Arbeit, daß man allein ein halbes Jahr damit ausfüllen könnte. Abends geh ich auf die Bastey, in die Limonadehütten, oder in Gesellschaft, und dazu braucht es nur kleine Bekanntschaft, um einen ganzen Monat umwechseln zu können, regnet es, so stehen mir 5. Theater offen, gute und schlechte, wie ich dir schon gesagt habe, und [125] es hängt blos von meiner Laune ab, ob ich die Dummheit verhöhnen oder die Kunst bewundern will, ob ich weinen oder lachen will. Bald sehe ich Stuvers Feuerwerk an, bald besuche ich Bekannte auf ihren Landsitzen u. dergl. Im Winter gehe ich aus einem Koffeehaus ins andere, aus einer Schenke in die andere, ich benutze die Bibliothek, schlage Ball, gehe auf die Redoute in ein Gewühl von 6000. Menschen, besuche Concerte u. dergl. Kurz, wünsche nur, was dir gefällt, du findest Alles.

A. Um meine Neugier aufzuschrauben, hast du dein Möglichstes gethan. Aber der Geist, Freund, der Geist!

B. Nun dann, der Geist! habe ich ihm nicht Nahrung verschaft durch die unzähligen Producte der Kunst und der Natur? Aber auch in der Litteratur darfst du nicht zurück bleiben, was auch die allerhöchstverordnete Censur dazu sagen mag. Da giebt es Freunde und Bekannte, bey denen du die neuesten Schriften aller Art haben kannst und selbst gefällige Buchhändler und Censoren, die deinen Durst befriedigen. Da findest du Nahrung bey den vortreflichsten Männern aus jedem Fache. Wer wird dann auch gleich an lauter Hofmanne, Haschka’s, Migatzi’s und Bettelmönche denken. Du [126] hast freilich keine ausgesuchte Lesebibliotheken, kein Institut wie Beygangs, aber eine Hofbibliothek, eine orientalische Akademie u. d. gl.

Ich glaube nicht, daß du noch etwas sagen kannst, und das, was du gesagt hast, war in der That sehr wenig, so wenig, daß du dich vielleicht beleidiget findest, daß ich es dir in dem Manne A. in den Mund gelegt habe. Du magst mich vielleicht in meinen Urtheilen nicht gründlich, sondern leichtsinnig nennen, und das vielleicht auch nicht ohne Ursache. Ich bin aber auch nicht gesonnen, Wien als einen Aufenthaltsort für immer in Schutz zu nehmen für denjenigen, der bloß privatisiren will, ohne bestimmte Amtsgeschäfte zu haben. Die rechte Mittelstraße, die allen Menschen geziemt, kann man freilich hier nicht gehen, und schon das Bewußtseyn, in gewissen Dingen unter drückenden Fesseln zu liegen, hat schon in die Länge etwas peinigendes. Wer wird aber nicht gern einige Zeit seinen Willen unter grausame Gesetze schmiegen, wenn er dabey Freuden anderer Art genießen kann, die ein wackerer Mann auch nicht verachten darf, oder zum wenigsten doch einmahl in seinem Leben genießen soll. Vergnügen ist das wesentliche Glück des Lebens, und da darf man freilich nicht erst nach Wien kommen, um es zu finden, denn fast in allen [127] teutschen Staaten erlauben die Regenten ihren Unterthanen, froh zu seyn.

Ich muß hier noch einiges nachholen, was ich dir in meinen vorigen Briefen zu sagen vergessen habe. Es sind ein Paar Bemerkungen über die beiden letzten österreichischen Regenten Josef und Leopold, die beide ihre eigenen Wege hatten, die sowohl unter sich als auch von demjenigen, den der jetzige Monarch einschlägt, sehr verschieden waren. Josef gehört ohne Vergleich unter die seltensten Phänomene und jeder Oesterreicher muß stolz auf ihn seyn. Aber ein Paar Winkelzüge in seinem Herzen sind vielleicht der Welt nicht genug bekannt geworden, weil sie durch seine übrigen vortreflichen Eigenschaften ganz in Schatten gestellt worden sind. Der scharfsinnige Spittler hat ihn in dem zweiten Bande seiner europäischen Staatengeschichte zuerst mit Recht einen wohlwollenden Despoten genannt. Ich möchte zu seiner Ehre wünschen, daß er zweierley in seinem Leben nicht gethan hätte. Die Verschärfung eines Urtheils gegen einen Mörder, den er vor der Execution fünfmahl mit glühenden Zangen zwicken ließ, ohne daß ihm sein Urtheil dergleichen Peinigungen zugedacht hatte, ist abscheulich und verdient gewiß in jeder Rücksicht eine ernstliche Rüge. Man sieht daraus, wie wenig er bisweilen seinen eigenen Empfindungen [128] getreu geblieben ist, und durch Kabinetsjustitz oft die heilsamsten Gesetze verkehrt hat, die ihn selbst zum Urheber hatten. Das zweite betrifft sein niedriges und falsches Betragen gegen einen Großen, der falsche Bankozettel machte. Es wurde dem Kayser hinterbracht, da der Mann eben seine Arbeit angefangen hatte. Aber Josef, statt ihn warnen zu lassen, und vom Bösen abzuhalten, wie es einem Menschenfreunde und Weisen geziemt hätte, sagte dem Angeber mit sichtbarer Schadenfreunde: laßt den Mann nur gehen, warnt ihn nicht, er muß sein Bubenstück vollenden, dann will ich ihn erwischen. Der Mann fuhr mit seiner Arbeit fort und brachte ungefähr so viele falsche Bankozettel in’s Publikum, als sein Vermögen betrug. Auf einmahl fuhr Josef dazwischen, nahm ihm sein ganzes Vermögen und verurtheilte ihn zum Schiffziehen. Hätte Spittler gesagt: der wohlwollende Despot und geschmacklose Wollüstling, wer würde Josefen in diesem Bilde verkennen?

Leopold legte bey dem Antritte seiner Regierung den Grund zu dem Preßzwange und fing zuerst an, Menschen zu Spionen zu erniedrigen. Er hatte in einer Vorstadt ein eigenes Haus, in dem er sich zu gewissen Zeiten Rapport abstatten ließ, und die trägen Diener oft mit Ohrfeigen [129] zu wecken suchte. Die Meinungen von ihm sind noch zu sehr getheilt. Das Publikum verschreit ihn, wie ich schon oben bemerkt habe, als einen unwürdigen Regenten. Indessen hat mir auf der andern Seite ein Mann von Einfluß versichert, daß Leopold eben dasjenige zu erreichen und auszuführen gesucht hätte, was Josef begonnen hatte, aber auf ganz andern Wegen. Der Poltertritt und das stürmische Wesen seines Bruders hatte ihn zurückhaltend gemacht, und ihm gelehrt, wie man nicht handeln soll. Aber vielleicht waren beyde Extreme eben so schädlich und auf die österreichische Monarchie eben so unanwendbar. Wien beweint seinen Josef und verflucht Leopolden. Leb wohl.


Fünfter Brief.

Vom 9. April 1797.

Es ist geschehen, was man längst vorher gesehen hatte. Buonaparte steht mit seiner nie besiegten Armee an den Grenzen Oesterreichs. Ich möchte gern in diesen höchst interessanten Augenblicken noch hier bleiben, allein die Regierung verdarb mir die Freude. Vorgestern erschien ein geschärfter Befehl, daß alle Fremde ohne Unterschied binnen 2. Tagen [130] die Stadt und Oesterreich verlassen müssen. Für die Zurückbleibenden werden die Wirthe verbindlich gemacht und mit Strafe belegt werden. Alles ist in Aufruhr. Räthe und Mätressen, Pfaffen und Juden, wandernde Poeten und Musikanten, und Fürsten und Grafen laufen in dem buntesten Gemische durcheinander und erinnern lebhaft an den Thurmbau von Babilon. Kein Fremder und durchaus kein Preuße darf es wagen, sich an einem öffentlichen Orte zu zeigen, denn, wenn er als solcher erkannt wird, so setzt er sich der unvermeidlichen Gefahr aus, von dem Volke mißhandelt zu werden. Selbst die Regierung zeigt durch diesen ganz unerwarteten Befehl, daß sie den Fremden nichts Gutes zutraue, wenn sich der Feind vor den Thoren der Hauptstadt zeigen sollte. Und da thut sie meines Erachtens wirklich einen Blick voll Zuverläßigkeit in die Zukunft, denn es ist gewiß, daß keiner unter den 20000. hier befindlichen Fremden ist, der dem Wiener nicht eine kleine Züchtigung wünscht, für die vielen Sottisen, die er sich während dieses Krieges hat zu Schulden kommen lassen, und noch weniger würde sich einer entschließen, die Waffen für die Oesterreicher gegen ein Volk zu tragen, das ihn nie beleidiget hat. Es ist merkwürdig, daß der Wiener seit dieser Hiobspost ein ganz anderer Mensch geworden ist. Er geht nicht mehr mit dem Knechtsgefühle und dem Fajaken-Gesichte wie ehemahls [131] über die Straße, sondern er fängt an, ein wenig laut zu werden. Ich habe seit der Zeit Dinge gehört, die vor zwey Tagen noch keiner zu sagen gewagt hätte, wenn du ihm goldene Berge geschenkt hättest. Die Spionen verhalten sich dabey ziemlich leidend; sie sind aber mehr als jemahls beschäftigt, und die Polizey wird nach der Zeit gewaltig viel aufzuräumen bekommen, um wieder Alles in das vorige Gleis zu bringen. Ein allgemeines Aufgebot, das schon vor einigen Tagen erschienen ist, hat viele Hitzköpfe in Bewegung gesetzt, die eigentlich nur Abenteurer sind und bey dieser Gelegenheit Glück zu machen suchen. Jeder Einwohner wird selbst wider seinen Willen von dem brausenden Strome fortgerissen. Du hörst daher nichts, als Waffengetöse und Kriegsgeschrey. Alles, alles ist unter den Waffen, und weil in den Zeughäusern kein so großer Vorrath von Gewehren ist, um das ganze Aufgebot damit zu versehen, so müssen die alten Ritterschwerdter und Hellebarden sogar aushelfen. Grafen und Fürsten, die vorgestern noch an dem Zuckerbrode der gnädigen Mama leckten oder kaum der Zuchtruthe des Hofmeisters entlaufen sind, haben sich als gemeine Soldaten einschreiben lassen. Die Handlungsdiener haben ein eigenes Korps gebildet, das von ihren Herrn unterhalten wird. Selbst bis in das Herz der Musensöhne ist diese Wuth gedrungen. Achthundert Jünglinge, die künftigen [132] Regenten des Staats, sind zu Soldaten herausgeputzt und ziehen unter Minervens Aegide zu Felde. Die Professoren Felach und Watteroth haben sich an ihre Spitze gestellt, um die Franzosen nun durch Faustwerke zu empfangen, da sie schon lange auf dem Katheder umsonst gegen sie zu Felde gezogen sind. Der Prinz von Würtenberg, eben derjenige, welcher im vorigen Sommer einen gewaltigen militairischen Schnitzer bey dem Uebergange der Franzosen über den Rhein machte und darum das Kommando verlohr, wird das Aufgebot kommandiren. Dieser Herr errichtet auch ein eignes Freikorps zu Pferde, woran besonders die emigrirten Niederländer Antheil nehmen. Die Anzahl der freiwilligen Werber ist gar nicht zu bestimmen. Jeder, vom Minister bis zum Thorschreiber herab, macht sich ein Geschäfte daraus, diese Leute zu bewaffnen. Da laufen sie über die Straßen und theilen Feldzeichen aus, die jeder ohne Weigerung annehmen muß, wenn er sich nicht der Wuth des Pöbels aussetzen will. Der Kayser hat die ganze Bürgerschaft auf das Rathhaus beschieden, wo ihnen der Präsident der niederösterreichischen Regierung den Antrag gemacht hat, an die Grenze zu ziehen und da den Feind mit bewaffneter Hand zu empfangen. Allein hier zeigte sich schon ein Releutanz, welcher der Regierung gewiß unerwartet kam. Die Bürger erklärten [133] einhellig, daß sie zwar bereit wären, ihre Stadt mit Schwerdt und Speer zu vertheidigen, daß man ihnen aber keineswegs zumuthen könnte, an der Grenze des Landes ihren Tod zu suchen und Weib und Kind zu vergessen. Der Präsident antwortete mit einem edlen Unwillen, daß er, als erster Bürger der Stadt, sich an die Spitze setzen und in der Schlacht vor Allem am ersten die Gefahr aufsuchen würde. Das half aber alles nichts. Man sieht schon häufige Zusammenkünfte der Bürger, die keine guten Dinge hoffen lassen. Sie sind entschlossen, es lieber aufs äusserste ankommen zu lassen, als mit den Waffen in der Hand an die Grenze zu ziehen.

Das ist ein Auflauf in der Stadt: Jede Minute hört und sieht man etwas Neues und jede Minute erscheint eine neue Verordnung. Die Archive und die Kassen sind schon fort nach Prag, und morgen werden die Prinzen, die ganze kaiserliche Familie und das Personale aller Stellen nachfolgen. Der Kayser hat in einem eigenen gedruckten Anschlage erklärt, daß er bey so bewandten Umständen nicht in der Stadt bleiben könnte und seine Person für das Wohl der treuen Bürgerschaft in Sicherheit bringen müßte. Man glaubt ihn schon nicht mehr hier. – Der unglücklichste Einfall ist es, daß man im Sinne hat, die Stadt zu vertheidigen. [134] Die Leute werden wie Schaafe zusammengetrieben, um an den Festungswerken zu arbeiten. Alleen werden niedergehauen und Kanonen aufgeführt. Der Kayser hat versprochen, allen Schaden, den eine allenfalsige Belagerung verursachen könnte, aus seinem Privatvermögen zu erstatten. Die Wittwen und Kinder derjenigen, die auf dem Bette der Ehre sterben werden, sind zu Kindern des Staats erklärt.

Nichts ist mir auffallender, als daß in diesen Tagen, wo die Gefahr den höchsten Gipfel erreicht hat, der Wiener noch nichts von seinem angebohrnen Schwelgersinne verloren hat. Selbst heute werden Kasperle und Schikaneder ihr Wesen treiben, aber es findet sich kein Schauspieler, der die Bürger enthusiasmirt, und durch ein schwarzes langsam aufgerolltes Tuch mit den Feuer flammenden Worten: Bürger, das Vaterland ist in Gefahr, wie in Paris die Herzen entzündet. Die Wirthshäuser und Schenken sind voller als je, und die Leute fressen und saufen mehr, als je.

Die freiwilligen Beiträge häufen sich sehr stark. Es giebt Wechselhäuser hier, die 20. und 30000. Gulden seit gestern als freiwilliges Geschenk dargebracht haben. Kleider, Stiefel, Schuhe, Wäsche, [135] Hüte, Strümpfe u. dergl. werden von besonders dazu bestellten Leuten in den Straßen gesammelt. Der Adel muß seine Luxuspferde hergeben und wer mit mehr denn 2. Pferden aus der Stadt fährt, wird am Thore ohne Nachsicht angehalten und zurückgebracht. Keinem Fiaker und keinem Miethkutscher ist es erlaubt, über 2. Meilen von der Stadt zu fahren. Was mich am meisten befremdet, ist, daß man den Herrschaften ihre Bedienten nicht nimmt, und daß es das Volk leidet, daß noch mit 3. bis 4. Kerl hintenauf durch die Stadt gefahren wird. Ich glaube, daß man sich jetzt auch von Weibern und Krüppeln bedienen lassen könne. Einige scheinen dies auch wirklich zu fühlen. Der Fürst Schwarzenberg hat 21. und der Fürst Lichtenstein 12. seiner Bedienten zum Freikorps gestellt. Ich kenne aber auch Minister und Schranzen, die alle Mittel versuchen, ihre Lakaien zu retten, um ja nichts von ihrer Bequemlichkeit aufopfern zu müssen.

Die Bank hat zu zahlen aufgehört und einige Wechselhäuser, die dies dadurch veranlaßt haben, daß sie ihr Papier bey der Bank in baares Geld umsetzen ließen, sind in das schwarze Buch notirt. Die Bankozettel fangen an merklich zu fallen, und wenn nicht bald Rettung kommt, so werden sie Makulatur werden. Für einen Dukaten baares [136] Geld kann man schon einen Bankozettel von 5. fl. kaufen; also verlieren sie jetzt schon 10. von hundert. Man weigert sich, sie in den Wirthshäusern und Kramläden für voll anzunehmen. Dies hat ein geschärftes Mandat der Regierung veranlaßt, in dem aller Handel und aller Wucher mit Bankozetteln bey Strafe des Arrestes verboten wird. Dadurch ist aber die Sache um nichts besser geworden. Kommt man in einen Laden, um etwas einzukaufen, so wird dir gleich angedeutet, daß man nicht mit baarem Geld versehen sey, um Bankozettel wechseln zu können. Ein Fremder, der heute Morgens 1000. fl. in Bankozetteln für 900. fl. baares Geld verkaufte, weil er abreisen mußte und das Papier natürlicher Weise im Auslande gar nicht brauchen kann, ward auf der Stelle arretirt und mußte sich bequemen, Soldat zu werden.

Die ganze Hoffnung des Staates beruht jetzt auf dem Prinzen Carl. Man glaubt von ihm, daß er im Stande sey, die Hauptstadt zu retten. Allein diese Hoffnung ist ohne alle Wahrscheinlichkeit. Wenn man bedenkt, daß seine Armee seit der letzten Schlacht nur noch in zerstreuten Korps besteht, und daß er keine Festungen zum Rückhalte mehr hat, so ist wohl nicht abzusehen, wie er noch etwas Entscheidendes wagen kann, wenn er die Sache nicht noch schlimmer machen will. Carl ist der Abgott der Wiener. [137] Man belegt ihn mit dem Ehrennamen des Erretters des teutschen Reichs. Es ist wahr, daß es diesem jungen Manne nicht an Talenten, Kenntnissen und liebenswürdigen Eigenschaften fehlt, die einen General beliebt machen können. Er hat ohne Vergleich unter allen österreichischen Prinzen am meisten Kopf. Seine militairischen Kenntnisse verdankt er einem gewissen General Lindenau, der ehemals in preußischen Diensten war, und vor einigen Jahren mit wichtigen Dokumenten, Kriegscharten und Planen herüber gekommen ist. Er wird dir durch einige recht gut gerathene Schriften über das preußische Kriegswesen bekannt seyn. Lindenau unterrichtete den Prinzen in der Taktik, und hat keinen undankbaren Schüler an ihm. Als der Prinz vor einigen Monaten die Festung Kehl bezwang, wünschte ihm Lindenau in einem eigenen Schreiben Glück zu der vollbrachten Expedition. Der Prinz antwortete auf eine Art, die seinem Herzen die größte Ehre macht und die ihn selbst seinen Feinden in einem vortheilhaften Lichte zeigen muß. Ich weiß es von guter Hand, daß die Antwort des Prinzen ungefähr so lautete: „Sie machen sich, mein werthester Freund und Lehrer, durch ihren Glückwunsch, der heute ganz warm bey mir angelangt ist, selbst das größte Compliment, ohne es zu wollen. Wenn ich mir wirklich durch die Eroberung der Festung Kehl einige [138] Verdienste um mein Vaterland erworben haben sollte, so verdanke ich es keinem andern, als dem Manne, der mich durch seinen Unterricht so weit gebracht hat, daß mich die Edlen meines Vaterlandes, wie ich hoffe, wenigstens mit der Nachsicht beurtheilen werden, die ein Anfänger wohl zu fodern berechtigt ist. Die Ehre dieser Eroberung gebührt ganz allein Ihnen, mein Herr General, so wie Alles das, was ich sonst gethan haben mag und in Zukunft vielleicht noch ausführen kann. Ich werde nicht unterlassen, eben dies Sr. Majestät, meinem Bruder, und der ganzen Armee zu versichern, welche ich die Ehre habe, zu kommandiren. Ich umarme Sie herzlich.“ Diese Verläugnung seiner selbst, macht den Prinzen bey dem gemeinen Soldaten und dem ganzen Offizierskorps beliebt. Als er vor kurzer Zeit ganz unvermuthet vom Rhein hier ankam, zeigten die Wiener, wie sie ihn lieben und ehren. Die ganze Stadt war 2. Tage illuminirt und jeder Bürger bestrebte sich, ihm Freude zu machen. Als er sich Abends mit seinem Bruder dem Publikum im Theater zeigte, war Alles aufs äußerste enthusiasmirt. Ein hochhallendes Vivat empfing ihn von allen Seiten und selbst seine Feinde nahmen an der Freude des Publikums Theil, die sich besonders auf eine sehr schöne und liebenswürdige Art zeigte, als die Erzherzogin Christine im Theater erschien, deren [139] Liebling bekanntlich der Prinz ist, und die ihn zum Universalerben ihres ganzen beträchtlichen Vermögens eingesetzt hat. Diese Dame gab ihm während der Zeit, da er das Kommando über die Armee führt, täglich 300. fl. Zulage, eine Summe, die in der That ungeheuer ist. Es war vielleicht ein unglücklicher Gedanke von ihm, daß er das Kommando der italiänischen Armee übernahm und seinen jungen Ruhm gegen den größten Helden der neuern Geschichte wagte, denn es ist ganz etwas anders, gegen diese Armee zu fechten, als gegen jene zum Theil undisziplinirten Horden, die Jourdan im vorigen Sommer über den Rhein führte.




Nachtrag zu dem vorhergehenden Briefe.



Ollmütz, vom 1. May. 1797.

Hier habe ich mich auf meiner Flucht wieder zum erstenmahle gelagert, um nach meiner Gemächlichkeit den Hergang der Dinge zu überschauen und von hier aus einen Ausfall in Pohlen zu machen.

Am 10. April Abends reiste ich mit Pässen der preußischen Gesandtschaft von Wien ab. Ich war bis hierher größtentheils zu Fuße. Meine Gesellschaft [140] bestand aus einem Rheinländer, der in Wien Medizin studierte und keinen Beruf fühlte, für Oesterreichs Sache zu fechten, einem Maler aus der Schweiz und zwey Magistern aus Leipzig. Vor und hinter uns war die Straße mit einer unzähligen Menge Menschen zu Fuße, zu Pferde und zu Wagen bedeckt, die alle von Wien kamen. Man rechnet die Anzahl aller in jenen stürmischen Tagen ausgewanderten Fremden auf 18000. Die preußische Gesandtschaft hat allein 7000. Pässe nach allen Weltgegenden ausgefertigt. Ich sage dir nichts von dem drunter und drüber in den Wirthshäusern, von der großen Theurung, nichts von den unzähligen Anekdoten, von denen wir auf diesem abenteuerlichen Zuge Augenzeugen waren, nichts von den verschiedenen Klassen der Auswanderer und ihrer Art fortzukommen. Alles das wirst du bald in hundert Brochüren gedruckt lesen können. Aber einige andere Dinge, die sich seit der Unterzeichnung der Friedenspräliminarien ereignet haben, geben mir Stoff, diesem Briefe, den ich bis jetzt der Post noch nicht anvertrauen mochte, noch ein Paar Seiten anzuhängen.

Die Oesterreicher und ihre Parthey erheben seit einigen Tagen ein gewaltiges Geschrey über das allgemeine Aufgebot in Wien und sie scheinen überzeugt zu seyn, daß sie Buonaparte’n über den Ganges gejagt [141] haben würden, wenn er nicht gute Worte gegeben hätte. Ich meines Theils bin aber mit vielen Andern überzeugt, daß sich der französische General nicht durch einen Bürgeraufstand hat schrecken lassen. So ausgemacht es ist, daß eine Nation unüberwindlich ist, wenn sie für ihre Freiheit ficht, so finde ich nicht, daß hier ein Bürger in dem Falle war, für sie zu fechten. Er trug die Waffen gegen den Feind für die Aufrechterhaltung einer Monarchie, die im Grunde den Meisten gleichgültig ist, und stritt für einen Regenten, nicht für Freiheit und Leben. Ich gebe gern zu, daß ein solcher Aufstand von Bedeutung gewesen seyn würde, wenn eine rohe barbarische Nation an den Grenzen erschienen wäre, die Alles geplündert, niedergehauen, verbrannt und den Rest in die Sklaverey geschleppt hätte. Hier aber war dergleichen nicht zu besorgen. Wo ist der Mann, der es läugnen kann, daß jeder einzelne Bürger lieber dem Feinde einen Theil seines Vermögens als Brandschatzung abtritt, als Leib und Leben für eine Verfassung wagt, deren Umsturz kein Verlust seyn würde, besonders wenn er Weib und Kind durch seinen Tod an den Bettelstab bringt. Und das Korps der Studenten, der Handlungsdiener, was waren sie, als zusammengelaufene Haufen, deren größter Theil von dem Geiste einer ganz andern Sache entflammt war, als er hier zu verfechten im Begriffe stand! Die eine [142] Hälfte wäre gleich an dem Tage der Entscheidung zum Feinde übergegangen, den er liebte, den er schätzte, für den er enthusiasmirt war. Die andere Hälfte waren elende Kreuzfahrer, die sich durch große Versprechungen täuschen ließen; die den dumpfen Qualm ihres einförmigen Lebens gern mit dem Geräusche des Kriegs vertauschten und von der Hoffnung einer Beute am Gängelbande geführt wurden. Und welch ein belebender Gedanke für junge, rasche unbestimmte Seelen: es geht ausser Landes, es geht in den Krieg. Es ist gewiß, und wenn hundert Stimmen dagegen schreien, so sage ich: es ist gewiß, daß dieser ganze Aufstand weniger als nichts zu bedeuten hatte, daß Ein Kanonenschuß das ganze Heer in Unordnung gebracht hätte. Wenn man noch dazu bedenkt, mit welchen Leuten dieser ungebildete Haufen es aufnehmen sollte, so erlangt meine Behauptung die volleste Gewißheit. Eine Armee, von Buonaparte angeführt, in 16 Schlachten versucht und unüberwunden, nur noch 11 Meilen von der Hauptstadt des Feindes, der ersten und reichsten Stadt in ganz Teutschland, mit der Begierde im Busen, hier zuerst siegend einzuziehen – leisten einer solchen Armee wohl ungeübte Haufen Widerstand?

Ein zweiter Grund, den die Oesterreicher für ihre Prahlereyen anführen, ist der Aufstand der Venetianer [143] und die Bewafnung der Tyroler unter dem Generale Laudon. Aber kein Buonaparte läßt sich durch ein solches Getümmel schrecken. Gesetzt, er wäre wirklich im Rücken abgeschnitten worden, so stand ihm noch immer die Vereinigung mit der Rheinarmee offen, die zu der nämlichen Zeit über den Rhein gieng, schon bis Frankfurt vorgedrungen war, und in 10 Tagen ihren Siegesflug bis Linz genommen hätte, wenn ihr nicht durch die Kouriere, die die Unterzeichnung des Waffenstillstandes überbrachten, Einhalt gethan worden wäre. Buonaparte hätte ohne viele Mühe den Rest der Truppen des Erzherzogs und das Aufgebot geschlagen, und seine Trophäen auf dem Stephansthurme in Wien aufgesteckt.

Glaubst du es wohl, daß man in diesem Augenblicke allgemein von einem Bruche zwischen Oesterreich und Preußen spricht? daß die Oesterreicher selbst einen Krieg mit Preußen wünschen, um sich für den Basler Frieden zu rächen? Es ist meine Sache nicht, politische Prophezeihungen niederzuschreiben, und wenn ich es einmahl thue, so ist dann gewiß die Sache nicht Prophezeihung mehr. Aber ich muß bekennen, daß ich mich des Glaubens nicht erwehren kann, daß ein solcher Krieg in diesem Augenblicke den unvermeidlichen Sturz der österreichischen Monarchie nach sich ziehen würde. Hätte [144] Preußen Krieg anfangen wollen, so war der Zeitpunkt da, als Buonaparte als Feind 11. Meilen von Wien stand. Die Preußen hätten damahls ohne einen Schwerdtschlag Ollmütz und Theresienstadt weggenommen und dem Kayser hätte dann vielleicht nur noch die Flucht nach der Türkey, wie weiland Karl XII. offen gestanden. Daß aber Oesterreich Krieg anfangen sollte, daran kann ich noch weniger glauben. Das ganze österreichische Ministerium müßte ja den Kopf verloren haben, wenn es ohne Geld und ohne Mannschaft bis auf das äusserste entkräftet, von neuem seine Existenz wagen wollte. Den Ausgang der ganzen Sache muß die Zukunft entscheiden.       Leb’ wohl.



[145]
Etwas
über die
Juden in Prag.


 

[147] Eine Bittschrift, welche die Prager Bürgerschaft wegen der Juden dem jetzigen Kaiser übergeben hat, und wovon man hier sehr viel Aufhebens macht, war die Ursache, daß ich mich während meines hiesigen Aufenthaltes um die Juden mehr bekümmerte, als sonst Reisende gewohnt sind. Ein kleiner Durchflug durch die Stadt dieser Nation gab mir gleich Anfangs Stoff zu einer Menge Fragen, die man hier zum Theil auf eine recht zuvorkommende Art gelöset hat.

Die Anzahl der hiesigen Juden läßt sich ohne einen Blick in das Archiv der Regierung nicht genau bestimmen. Gewöhnlich giebt man sie auf 8000. Seelen an, aber dies ist offenbar zu wenig. Bürger, die von dieser Sache sehr gut unterrichtet seyn konnten, versicherten mir, daß sich ihre Anzahl auf 20000. beliefe. Der Einfluß dieser Nation bey den Großen des Hofs, den sie durch allerley Wege zu erhalten und zu vermehren suchten, wäre Schuld daran, daß ihre eigentliche Anzahl für den Bürger immer ein Geheimniß bliebe, um ihm nicht einen noch größern Anlaß zu Beschwerden zu geben. Indessen wird es jedem unpartheiischen Beurtheiler sogleich in die Augen fallen, daß die letzte Angabe offenbar übertrieben und vielleicht nur von der Intoleranz [148] der Prager gegen die Juden erzeuget worden ist. So lange wir also bey einer so beträchtlichen Differenz zwischen 8 und 20000. nichts Gewisses erfahren können, müssen wir uns bey der größern Glaubwürdigkeit der ersten vor der letzten Angabe unter der Mittelzahl halten und ihre Masse ungefähr auf 12000. Seelen annehmen. Bey allen dem bin ich aber doch überzeugt, daß von beiden Seiten große Zweifel dagegen gehegt werden.

Es ist wirklich der Mühe werth, einige Gänge durch ihre Straßen zu machen, die sich an der östlichen Seite der sogenannten Altstadt in verschiedenen Winkeln und Krümmungen hinziehen. Schon das Auffallende, hier eine Nation von ganz andern Sitten und Gebräuchen in eine beysammen zu finden, muß den Reisenden in Erstaunen setzen, welchem dergleichen Szenen noch nicht vorgekommen sind. Einer, welcher z. B. die Juden in Frankfurt am Mayn oder Mainz in ihren eigenen Strassen gesehen hat, kann sich nur eine kleine Idee von dem hiesigen jüdischen Durcheinander machen. So wie man sich der Gegend dieses kleinen Jerusalems nähert, kommt einem ein dicker Qualm des abscheulichsten Gestankes entgegen, welcher überall der Gefährte dieses Volkes ist, und selbst die Feinsten unter ihnen, die sich durch Kleidung und Sitten am meisten den Christen genähert haben, begleitet. Sobald [149] man aber den Fuß in die Straßen selbst setzt, glaubt man von unzähligen schwirrenden Bienen und Insecten aller Art umgeben zu seyn. Man sieht sich hier auf dem größten Trödelmarkte, mit dem sich vielleicht nur zwey in Europa messen können. Hier befindet sich die Judenschaft in ihrem Glanze. Der Abstich zwischen dem Reichthum vieler Buden und der Armseligkeit ihrer unmittelbaren Nachbarn ist der brockeste Anblick, den man sich phantasiren kann. Seit 8. Tagen habe ich wenigstens zwanzigmahl eine Tour durch diese Straßen gemacht. Ein jüdischer Doctor juris, den ich in Brünn kennen zu lernen Gelegenheit hatte, war meistens mein Begleiter und bey vielen auffallenden Dingen der gefälligste Cicerone. Da standen wir voll Verwunderung vor einer armseligen Hütte und sahen einen noch armseligern Juden mit der größten Aemsigkeit und Unruhe ein Paar alte Stiefel versohlen, indem uns nebenan ein artiges jüdisches Frauenzimmer aus einem eleganten Zimmer mit der zuvorkommendsten Höflichkeit Galanteriewaaren zum Kaufe bot. Da saß ein Schneider neben einer Schlachtbude, und hier ein frommer Rabbine neben einem Freudenmädchen. Da bot man alte Kleider und Nägel, dort Pfefferkuchen und gebratene Gänse, hier Wagenräder und Gurkensalat, dort die feinsten Manufacturwaaren [150] unter Schnaps und Kommißbrod feil. Nichts, nichts kann man sich bis auf die kleinsten und unbedeutendsten Kleinigkeiten herab denken, das hier nicht anzutreffen wäre. Sogar alte Schuhlappen, die ein Bauer oder eine Küchenmagd auf der Straße verloren hat, sind hier gesammelt und zum Verkaufe ausgestellt. Wer seinen Weg gerade durch nimmt, ohne sich mit dem Anschauen dieser oder jener Seltenheit zu befassen, kömmt noch ziemlich unangetastet fort, das ewige Anschreien, nichts zu handeln, abgerechnet. Sobald man aber stehen bleibt oder Miene macht in ein Haus zu gehen, so ist man auf einmahl von einem Haufen Juden, wie von einer Schaar Hunde umgeben. Dort wird man gezupft, hier gestoßen, da angeredet, hier angezischelt und das Alles in einem solchen Durcheinander, daß man sein eigenes Wort nicht hören kann. Was bringt der Herr zu handeln? ich bezahle gut; ich bin verschwiegen; bey mir hat der Herr nichts zu fürchten! Silber! Gold! Kleider! u. dergl. schallt es von allen Seiten und man ist wirklich in Gefahr erdrückt zu werden, wenn man die ungeladenen Gäste nicht mit Händen und Füssen abwehrt. Mein jüdischer Freund war so gefällig, mich in allerley Häusern aufzuführen, und ich muß gestehen, daß dies eines der größten Vergnügen war, die ich in Prag genossen habe. Wir machten Besuche in den abscheulichsten Hütten und besten [151] jüdischen Häusern und wurden überall mit einer Höflichkeit und Freundlichkeit empfangen, der man eine schändliche Sucht nach Gewinn und Betrug nur allzu deutlich ansah. In einigen dieser Häufer bediente man uns mit Koffee und Wein; aber ich mußte mir auch dafür gefallen lassen, allerley Waaren um einen doppelten Preiß zu kaufen. Man würde sich sehr wundern, wenn man hier die Gastfreiheit und Kultur einiger jüdischer Häuser in Wien suchen wollte, die mit zu den angenehmsten Gesellschaften der großen Kaiserstadt gehören. Es herrscht hier durchaus eine eckelhafte Kärglichkeit und ein abscheulicher Schmutz in den jüdischen Häusern vom Trödelkrämer bis zum Millionär hinauf. Der stärkste Beweiß ihrer Armseligkeit ist die Gefälligkeit, womit sich hier die Juden zu Allem brauchen lassen, was man von ihnen verlangt. Sie machen dem Fremden den Lohnlakai, den Schuhputzer, den Kutscher, den Karrenschieber, den Lastträger und den Kuppler. Ueberhaupt kann man sich an keinem Orte mehr als hier davon überzeugen, wie wenig durchgreifend alle die Maaßregeln zur Verbesserung der Juden sind und seyn werden, welche einige Menschenfreunde, z. B. Dohm, Runde u. a. vorgeschlagen haben. Ich, von dem gewiß jeder Schein einer Intoleranz weit entfernt ist, habe es hier durch die auffallendsten Proben bestätigt gefunden, daß der Jude in unsere Gesellschaft [152] gar nicht taugt, und ich trete mit voller Ueberzeugung der Meynung Fichte’s bey: daß man entweder allen Juden in einer Nacht die Köpfe abschneiden und andere aufsetzen, oder ihnen das gelobte Land erobern und sie dahin jagen sollte. Im Verfolge wird sich dieses zeigen.

Die hiesige Judenschaft bezahlt dem Kaiser jährlich eine runde Summe von 200000 fl. und es kommt also bey einer Anzahl von 12000 Seelen eine jährliche Abgabe von 16. fl. und einigen Kreuzern auf Einen Kopf, eine Abgabe, die wirklich ungeheuer ist, wenn man bedenkt, daß die Nation keine liegenden Gründe hat, und durchaus, einige Wenige ausgenommen, vom Kleinhandel leben muß, oder mit andern Worten von dem Betruge, den sie an den Christen ausüben und nach einem albernen Religionsbegriffe ausüben dürfen. Die Erfahrung zeigt es und die Geschichte hat es zur Genüge bewiesen, daß sich keine Nation, deren ganze Stärke der Handel ist, lange hat erhalten können. Und doch sind die Prager Juden, die als Bettler in’s Land kamen, die weder zur produzirenden, noch verzehrenden Klasse gezählt werden können, immer noch da; sie blühen immer mehr empor und sind vielleicht nach einigen Menschenaltern weder Karrenschieber noch Schuster und Schneider mehr, wenn ihnen der zunehmende Reichthum ihrer angebohrnen Faulheit [153] nachzuhängen gönne. Es lohnt sich der Mühe, dies näher zu untersuchen.

Prag ist an und für sich keine Handelsstadt in dem Sinne, wie es z. B. Hamburg, Lübeck, Bremen, Frankfurt a. M. u. a. sind. Sie ist blos der Sammelplatz innländischer, auch wohl mährischer Producte, die theils hier verzehrt, theils in’s Ausland geschickt werden. Die Stadt ist zu sehr im Gedränge mächtiger Rivalen, zu wenig in ihrer Lage und von der Regierung begünstigt, als daß sie sich in dieser Rücksicht heben könnte. Es ist also natürlich, daß man hier große Handelshäuser, Wechselhäuser, große und kühne Spekulationen nur dem Namen nach kennt. Alles besteht im Kleinhandel. So ist Prag für die Juden, denen schon die Natur allen Muth, also auch eine der ersten Eigenschaften des großen spekulativen Kaufmanns versagt hat, des herrlichste Element, das sie sich denken können. Mitten in einem Lande, das mit Allem versehen ist, was zum Bedürfnisse eines gemächlichen, und man könnte sagen, leckern Lebens gehört, unter einem verschuldeten Adel und in einer wollüstigen Stadt, ist ihr Loos für alle auswärtige Juden längst ein Gegenstand des Neides gewesen. Alles, alles, was in Böhmen Handel heißt, dreht sich um die Prager Judenschaft, und wenn ein Kaufmann oder Krämer aus irgend einer Ursache in Verlegenheit ist, so hat er schon seinen [154] Juden zur Seite, der ihm meisterlich auszuhelfen versteht. Man findet ihn in der Hütte des Bettlers und in dem Saale des königlichen Landes-Gubernators. Auf dem Lande haben sie ihre eigene jüdische sogenannte Verleger, die alles aufkaufen und manchmal schon vor der Ernte den armen Bauern um sein Bischen Brodt betrogen haben. Wenn man die Bücher der hiesigen Zollämter nachlesen dürfte, so würde man die auffallendsten Beweise finden; und ein hiesiger Mauthbeamter hat mir wirklich versichert, daß im Zweifels-Falle alle Frachtwagen, die nach Prag kommen oder von da abgehen, mit Waaren von und für Juden beladen wären, und Beyspiele vom Gegentheil nur unter die seltenen Fälle gehörten. Ein gewisser Gemeinsinn und ich möchte sagen, ein abscheulicher Nationalstolz macht es diesem Völkchen möglich, alle Zweige des Handels ganz an sich zu ziehen. Bey Auctionen giebt es zum Beweise die herrlichsten Scenen. Da ist es keinem Christen möglich auch nur die kleinste Sache an sich zu bringen, und es ist hier stadtkündig, daß eine Parthey Juden immer zusammen tritt, um den Christen zu überbieten, und nachher den Schaden unter sich theilt und eine neue Auction unter sich anstellt. Die Folge davon ist, daß sie die Monopole von allen Dingen in Händen haben, wobey Geld zu verdienen ist. Nichts läßt sich hier ohne Hülfe eines Juden ausrichten. Der Jude verschafft Geld, Waaren, Aemter und [155] Mätressen. Alles ist ihm dabey günstig, und er hat sogar Rechte, die sein christlicher Mitbürger entbehren muß. Das elende Zunftsystem, welches in den meisten teutschen Städten die Zuchtruthe der Künstler und Handwerker ist, kommt hier den Juden herrlich zu statten. Indem die Christen diesem unpolitischen Gesetze unterworfen und in meisten Dingen beschränkt sind, ist der Jude der freieste Mann von der Welt. Wenn der Christ nicht zünftig, d. h. Mitglied dieser oder jener Innung ist, so ist alles untersagt, was nur auf einen scheinbaren Nachtheil, der einer Zunft zuwachsen könnte, Bezug hat. Oft ist es ihm sogar unmöglich aufgenommen zu werden, entweder weil die Zahl schon voll ist, oder weil man an seiner Person etwas auszusetzen findet. Indessen treibt der Jude auf dem Wege der Gesetze allen möglichen Unfug. Er braucht nicht zünftig zu seyn, weil er ein Jude ist, und darf freien Handel und freies Handwerk treiben, weil er seinen Schutz bezahlt. Kein Gesetz legt ihm hier Fesseln an.

Die Juden haben sich hier durch eine erstaunliche Uebung in dem Kleinhandel eine gewisse Routine erworben und gewisse praktische Handgriffe gelernt, die wirklich bewundernswürdig sind. Aber von der großen Handlungskunst verstehen sie keinen Buchstaben. Jenes ist die Folge ihrer Erziehung [156] von der Zeit an, da sie anfangen zu lallen. Hier theilen ihnen schon Vater und Mutter ihre Erfahrungen mit, und lehren ihnen (was bis jetzt Manche bey den überzeugendsten Beweisen noch nicht glauben wollen) die Erlaubniß, die Christen zu betrügen. Sobald der Knabe gehen kann, schickt ihn der Vater in der Stadt umher, um einzukaufen und zu verkaufen. Die hiesigen Studenten sind für diese junge Mannschaft ein herrliches Exercitium, und wenn sie in dieser Schule heran gewachsen ist, so schickt man sie aufs Land, um einzukaufen. Hierzu wird schon größerer kaufmännischer Geist erfodert. Man hat mir sogar erzählt, daß die Juden von Zeit zu Zeit einige gute Köpfe von ihrer Religion in Böhmen und Mähren auf Reisen schickten, um diese beyden Länder zu studieren. Ich finde dieses eben nicht unwahrscheinlich, denn ich habe es in beyden Ländern mehr als zu sehr bestätigt gefunden, daß man hier eine richtige Aufklärung über die Producte, Manufacturen, Künste des Landes u. dgl. nicht bey Gelehrten, Beamten oder Pastoren, am wenigsten bey Ministern, sondern bey den Juden zu Prag suchen müsse. Diese sind wirklich die lebendigen Chroniken für einen Reisenden, und wenn man sie kirre zu machen versteht, so können sie mit Anekdötchen aus der Hofgeschichte du jour aufwarten, die wirklich allerliebst sind.

[157] Das meiste Gewicht haben sich die hiesigen Juden durch ihre Wechselgeschäfte mit dem verschuldeten böhmischen Adel zu verschaffen gewußt. Dieser ist gegen die Juden so dankbar, daß er diese schädliche Nation gegen die Klagen des Stadtbewohners und Landmannes vor dem Throne des Königs in Schutz nimmt. Weil die meisten großen Herrn in Prag an Juden schuldig sind, so werden dadurch die lächerlichsten Auftritte veranlaßt. Wenn der Christ Stundenlang antichambriren muß und dann sich doch nur in tiefster Tiefe vor Sr. Exzellenz, oder Gnaden, oder Hochwürden Gnaden zeigen darf, so hat der Jude die Erlaubniß, unangemeldet einzutreten und mit dem hohen Gönner zum Fenster hinaus zu schauen. Wir sind hier sehr tolerant, sagte mir neulich ein Graf, dem ich aufwarten mußte, als Herr Levi sehr ungestümm im Vorzimmer rumorte.

Bey so bewandten Umständen können die hiesigen Juden ruhig in die Zukunft blicken, bis die Natur wieder einen Josef weckt, der aber weniger stürmisch, und weniger unglücklich seyn müßte. Dieser große Monarch sah sehr gut den Schaden ein, den die Juden in Böhmen anrichten, und der Entschluß war gleich gefaßt, ihm abzuhelfen. Er erlaubte und befahl ihnen sogar, sich Landgüter zu kaufen und Bauern zu werden. In den ersten [158] Jahren sollten sie sich der Christen zu Knechten und Mägden bedienen, bis sie selbst den Ackerbau und die Viehzucht gelernt hätten. Kurz, er wollte sie zur arbeitenden Klasse der Landbewohner machen. Aber es half nichts. Kein Einziger ging aus Prag, wo er seiner Faulheit und seinem Betruge natürlicher Weise besser nachhängen kann, als hinter dem Pfluge. Das Einzige, was daraus erfolgte, war, daß Einige der Reichsten sich schöne ausser der Judenstadt und ausser Prag gelegene Häuser gekauft haben, und nach wie vor Tagdiebe bleiben. Das aber Josef nach der Ausmistung der Klöster, nicht auch die Synagogen der Juden auf eine andere Art ausgemistet hat, es deucht mir sonderbar.




 

[159]
Durchflug
durch einen Theil von Schlesien, durch
Mähren und Böhmen.

Im August 1797.

[161] Man ist auf einmahl in einer ganz neuen Welt, so wie man von Pohlen aus die schlesische Grenze betritt. Meine Reise von Krakau bis Troppau, einem kaiserlichen Städtchen an der schlesisch-preußischen Grenze machte ich in Gesellschaft eines polnischen Juden, der mit Häuten handelte und nach Leipzig gieng.

Troppau ist eine kleine schmutzige Stadt und der Sitz eines Kreisamtes. An den Thoren wurden wir sehr stark visitirt, und der Visitator war grob genug, mir eine Handvoll Rauchtoback, den ich im Preußischen gekauft hatte, ins Wasser zu werfen. Ich mußte mich also bequemen, wieder österreichischen Rollentoback zu rauchen, der in der That erbärmlich ist. Die bessere Sorte, davon man in Neisse das Pfund mit 12. Groschen bezahlt, muß hier schon mit 4. Gulden 24. kr. bezahlt werden. Indessen giebt es hier Leute genug, die dem Liebhaber ausländischen Toback um einen sehr billigen Preiß zu verschaffen wissen, und man hat mir versichert, daß bey aller Vorsicht und Strenge dennoch in dem größten Theile des kaiserlichen Schlesiens preußischer Toback geraucht werde. Die Einschwärzer haben sich durch eine lange Uebung eine Fertigkeit erworben, womit sie auch den aufmerksamsten [162] Visitator hintergehen. Die Fälle sind aber doch auch nicht selten, daß sie entdeckt, selbst von den preußischen Verkäufern angegeben und eingeführt werden. Sehr viele und ich möchte sagen, die meisten Grenzbewohner leben hier von dem Schleichhandel, der in’s Oesterreichische mit Toback, Koffee und Zucker und in’s Preußische mit österreichischen und mährischen Weinen getrieben wird. Die Einfuhr des ausländischen Weines ist von der preußischen Regierung ganz verboten. Der Handel damit ist hier blos Handel der Krone, und ich muß das Seidel Wein, das ich im österreichischen Schlesien mit 6. Kr. bezahle, im preußischen schon mit 8. Groschen und drüber bezahlen.

Der kaiserliche Antheil von Schlesien ist bey weitem nicht an innerer Güte dem preußischen gleich zu setzen, mit einem Worte: ein armes Land. Es setzt ausser seiner vortreflichen Leinwand nichts an das Ausland ab. Aber die Einwohner sind so arm, daß es ihnen in schlechten Jahren, wenn der Flachs nicht geräth, wie den Weinbauern am Rheine und an der Mosel geht, sie müssen beynahe verhungern. Eben diese Armuth ist Schuld daran, daß einige reiche Familien und Mäckler den Garnhandel ganz allein an sich gebracht haben, und dem ärmern Theile der Einwohner den Flachs entweder schon auf dem Felde oder doch gewiß ungesponnen [163] abkaufen und ihn um das Spinnerlohn bringen. Leinwand wird aus diesem Theile des Landes nur sehr wenig ausgeführt. Der größte Handel besteht in gebleichten Garne, das nach Leipzig, Zittau und Herrnhuth geht, und von da weiter verführt wird.

Das Klima ist wegen der benachbarten Berge abscheulich, und es ist nichts Seltenes, daß man in den heißesten Tagen des Augusts feuern muß. Aber, wenn auch einmahl die Gegend von Winden und Regenstürmen ruhig ist, so weiß man sich kaum vor der sengenden Sonnenhitze zu schützen. Das Land trägt gar kein Gemüse und wird von Mähren damit versorgt. Im September kommen erst die Kirschen zur Reife. Das Bier kostet hier wegen der erniedrigten Tranksteuer 3. Kr. da man schon in Mähren für ein weit schlechteres 4. Kr. bezahlen muß. Mit Vieh wird das Land hauptsächlich von Pohlen versehen. Ein wahres Unglück ist es, daß die Herrschaften z. B. Lichtenstein, Harrach, Teutschmeister u. a. jährlich ungeheure Summen herausziehen und im Auslande verzehren. Die teutschmeisterischen Herrschaften Freudenthal und Eylenberg, wovon aber schon ein Theil in Mähren liegt, bezahlen jährlich über 60000. fl. an den Kurfürsten von Kölln und die Statthalterschaft verzehrt kaum 2000. fl. im Lande.

[164] Freudenthal, die Hauptstadt im teutschmeisterischen Gebiete, ist ein trauriger Ort, der durch den Statthalter, der gewöhnlich aus dem Orden ist, und das Gelübde der Keuschheit abgelegt haben muß, gar nicht belebt wird. Der jetzige Statthalter, ein Graf von Thürheim, war ehemahls kaiserlicher General, und die Unterthanen sind ziemlich wohl mit ihm zufrieden. Der Teutschmeister hat hier ein Palais, das erst vor einigen Jahren erbaut worden ist, aber in keiner Rücksicht sich auszeichnet, als daß in einem Kabinete eine Tapete hängt, die 40000. fl. also zwey Drittheile von den Einkünften der Herrschaft gekostet hat. Wären die Zimmer mit schlesischer Leinwand tapezirt, dann hätten doch wenigstens die Unterthanen auch einen Nutzen davon gehabt, und der Teutschmeister hätte, wenn er vielleicht in 50. Jahren einmahl hieher kommt, eben so gut in dem Zimmer geschlafen. Ich logirte im Kreuze bey Herrn Noske recht gut.

Ich machte von Freudenthal einen Ritt nach dem Gebirge Hühnenwieder im teutschmeisterischen Gebiete, wo im Sommer der Brunnen und das Bad gebraucht wird. Dieses Gebirge erstreckt sich in einer langen Reihe fast an der mährischen Grenze hin und liefert vortrefliches mineralisches Wasser, das aber wegen seiner Stärke nicht weit verführt [165] werden kann, weil es in den ersten Tagen die Flaschen sprengt, daß kaum zwey Drittel davon übrig bleiben. Die Anzahl der Brunnengäste belief sich auf funfzig, meistens Preußen, die sich hier recht wohl befanden. Doch soll man nicht glauben, daß diese Anstalt nur von weitem denen in Spa, Pyrmont, Aachen, Carlsbad etc. gleich zu setzen sey. Die Gäste leben hier, wie Einsiedler und weder ist für ihre Unterhaltung, noch für ihre Bedürfnisse von dem Statthalter gesorgt. An Schauspiele, Bälle u. dergl. ist schon gar nicht zu denken und die Bedienung ist so schlecht, daß jeder Gast, wenn er nicht seinen eigenen Bedienten hat, das Bette selber machen muß. Dafür ist es aber auch ziemlich wohlfeil. Für die Gesundheit der Gäste sorgt ein Barbier, der in der Brunnenzeit von Freudenthal hieher kommt. Diese abscheuliche Nachläßigkeit der Statthalterschaft des Teutschmeisters ist Schuld daran, daß sich dieser Ort nicht heben kann, sonst würde es ein Leichtes seyn, ihn sowohl wegen seiner herrlichen Wirkung, als auch seiner romantischen Lage in einigen Ruf zu bringen, da er unter den vielen Brunnen in dieser Gegend gewiß den Vorzug verdient.

Ich machte mit einigen preußischen Offiziers einen Gang auf das Gebirge, der Vater genannt, und ich muß gestehen, daß wir uns herrlich unterhielten. [166] Wir befanden uns schon vor Sonnenaufgang auf der Spitze über den Wolken, aber die Kälte war in der glühendsten Jahreszeit so stark, daß wir genöthiget waren, uns in Pelze zu hüllen und Holz zum Feuer zu stoppeln. Eine Stunde nach Sonnenaufgang genossen wir die herrlichste Aussicht, die man an schönen Herbsttagen auf der Spitze des Brockens genießen kann. Im Norden hatten wir die wenigstens 18. Meilen entfernte Stadt Breslau im Gesicht, und sahen mit unsern Ferngläsern bis weit über die Grenze von Pohlen hinaus. Im Süden lagen uns die fruchtbaren Gefilde Mährens und im Osten die böhmischen Wälder.

Die schlesischen Dörfer sind abscheulich und viele eine ganze Stunde lang. Die Häuser sind von einander durch Gärten getrennt, aber dennoch nicht vor dem Feuer sicher, wenn eines davon in Brand geräth. Die Armseligkeit ist unbeschreiblich und kaum auf dem platten Lande in Pohlen auffallender. Ich habe in einer Strecke von 10. teutschen Meilen die Kreuz und die Queere durch das Land in den zahlreichen Dörfern kein einziges Haus gesehen, das 200. fl. werth wäre. Sie sind durchaus von über einander geschichteten Balken erbaut und mit Leimen ausgelegt. Von innen sind sie eben so armselig und sprechen durchaus von der drückendsten Armuth. [167] Die Bauern scheinen von nichts, als von Wasser und Brodt, und an Sonntagen vom Käse und Bier zu leben. Daher ist es für den nur etwas delikaten Reisenden ein wahres Unglück, wenn er fern von einer Stadt von der Nacht überfallen wird, und in einer Dorfschenke übernachten muß. Die Leute beschauen ihn dann von allen Seiten und examiniren ihn recht inquisitorisch, ehe sie sich entschließen, ihm Herberge zu geben. Da lobe ich mir doch die pohlnischen Judenwirthe als ganz wackere Leute, die bey aller Armseligkeit ihren Gast doch zu unterhalten wissen, und Alles aufbieten, um ihn zufrieden zu stellen.

Der Zufall, oder die Menschen, oder wer sonst die Grenze zwischen Schlesien und Mähren gezogen haben mag, hätte viel besser gethan, wenn er sie unmittelbar hinter Sternberg gezeichnet hätte, wo sich das Land mit einemmahle ganz auffallend verändert. So wie man 3. Meilen über die schlesische Grenze nach Mähren kommt und das Städtchen Sternberg im Rücken hat, wird man von dem ungemein fruchtbaren Lande entzückt. Der Weg zieht sich durch eine herrliche Ebene von Saatfeldern bis Ollmütz, einer Grenzfestung der österreichischen Monarchie.

Diese Stadt ist ziemlich groß und heiter, aber [168] schlecht bevölkert. Im Jahr 1791. betrug ihre Volksmenge nicht mehr als 8942. Seelen, ohne das Militair. In Südteutschland würde sie wenigstens 30000. Seelen begreifen. Sie versieht den größten Theil von Schlesien mit herrlichen Gemüsen und ist so zu sagen die Speisekammer der bemittelten Bürgerklasse Schlesiens. Sie schickt allein jährlich 6400. Zentner Kirschen bis gegen Jägerndorf und Troppau, und getrocknetes Obst selbst nach Breslau. Die Festungswerke sind sehr stark und können durch die March, an deren rechten Ufer die Stadt liegt, unter Wasser gesetzt werden. Mährisch heißt sie Holomauc. Kaiser Julius Maximin soll sie zuerst auf einem Zuge gegen die Markomannen und Quaden angelegt haben. Sie gehört seit langen Jahrhunderten den böhmischen Prinzen und hat im Mittelalter harte Belagerungen von den Pohlen und Böhmen aushalten müssen. Die Tartaren konnten sie im Jahr 1241, nachdem sie die Christen bey Liegnitz total geschlagen hatten, unter des wackern Sternbergs Vertheidigung nicht bezwingen. 1468. ergab sie sich an den berühmten Mathias Corvinus, der sie aber 1479. wieder an Wladislav von Böhmen abtrat. Am 11. Mai 1619. ergab sie sich den rebellischen mährischen Ständen. Am 13. Jenner 1621. schwur die Bürgerschaft wieder dem Kaiser den Eid der Treue. 1624. rieb die Pest daselbst 14236. Menschen auf. Die [169] damahlige sehr starke Bevölkerung, wie man aus dieser ganz zuverläßigen Angabe sieht, verdiente näher untersucht zu werden. 1642. eroberte sie der wackere schwedische Feldherr Torstensohn, und die Schweden gaben sie erst 2. Jahre nach dem westphälischen Frieden zurück. 1741. mußte sie sich am 27. Dec. an den braven Schwerin ergeben und die Preußen behielten sie bis den 23. April 1742. Im dritten Jahre des siebenjährigen Kriegs belagerte sie Friedrich der Einzige vergebens.

Die Festungswerke werden dem Reisenden nur mit der größten Vorsicht gezeigt, und seit la Fayette von Magdeburg hieher gebracht wurde und entfloh, ist man in dieser Rücksicht noch viel vorsichtiger geworden. Dieser große Franzose sitzt jetzt hier in der engsten Verwahrung und darf von keinem Menschen besucht werden, da es ihm vor seiner Flucht erlaubt war, frey herum zu gehen und mit Bedeckung auch ausser der Stadt spatzieren zu fahren. Hier war es, wo er mit Hülfe seines Freundes Bollmann entkam, aber auf der mährischen Grenze auf abgelegenen Wegen in einem Orte, Braunseifen genannt, von 2. Bauern angehalten und zurückgebracht wurde. Er hatte diesen Bauern für seine Loslassung tausend Dukaten angeboten, die sie aber ausschlugen, vermuthlich, weil sie vom Kayser eine größere Summe zu bekommen [170] hofften, die aber blos in der militairischen Denkmünze bestand. Die Engländer, die ihm seinen Dienst in dem amerikanischen Kriege nicht verzeihen können, sollen sich, wie man sagt, sehr stark seiner Loslassung oder Auswechselung bey dem Hofe zu Wien widersetzen. Er wird übrigens ganz leidlich gehalten und hat die Gesellschaft seiner Gattin, die mit ihm freiwillig ein gleiches Schicksal theilt.

Mit Entzücken durchwanderte ich dieses herrliche Land. Alles spricht von einem hohen Wohlstande der Einwohner. Die Dörfer und kleinen Städte sind rein und gar nicht so finster und todt, wie in Böhmen und Schlesien. Selbst der Einwohner zeichnet sich sehr zu seinem Vortheile aus. Er ist gefällig und selbst gegen den Fremden, der nicht in der Landessprache mit ihm sprechen kann, zuvorkommend. Eine gewisse Feinheit und Sauberkeit macht ihn sogar liebenswürdig. Im Frühjahre und im Herbst werden die Häuser durchaus in allen Dörfern mit einem neuen Anstriche verjüngt. Diese Arbeit verrichten gewöhnlich die Weiber, wenn die Männer das Feld bestellen. Wir kamen zwar von Ollmütz bis Brünn, auf einem Wege von 9. teutschen Meilen, durch keine große Stadt. Indessen ist Proßnitz, das die ganze Gegend mit vorzüglich gutem Branntweine versorgt, und gegen 400. Judenfamilien enthält, ansehnlich genug. [171] Die Gegend um Brünn nach Osten hin, scheint minder fruchtbar zu seyn. Hier ist es schon bergiger, und man kömmt auch durch Wälder, von denen man auf der ganzen Reise von Nikolsburg bis über Sternberg hinaus, gar nichts antrift. Die Dörfer sind schon seltener, und wo es deren giebt, nicht so gut gebaut und weniger bevölkert. Im südlichen Theile giebt es viele Gewässer, die im Frühjahre und Herbst stark austreten und die ungeheuren Flächen bewässern, so daß der Reisende genöthigt ist, oft Umwege von mehreren Stunden zu machen, wenn er sich ein wenig von der Landstraße zur Seite wagt. Dann giebt es freilich gefällige Knaben, die sie um 2. Kreuzer Stunden weit fahren, allein ihre Kähne sind so leck und sie verstehen so wenig von der Schiffahrt, daß man Gefahr läuft, an jedem Baume oder Weidenstock umgeschüttet zu werden.

Um Nikolsburg und die Gegend wird auch Wein gebaut. Man darf sich aber nicht an den Rheinweinbau erinnern. Der Wein ist schlecht und hat einen unangenehmen Geschmack und wird auch nicht in’s Ausland geführt. Die Maas von der besten Sorte kostet 20. Kreuzer. In dieser Gegend wird auch viel Süßholz gegraben, und in großer Quantität in die Apotheken nach Wien verkauft. Die Anzahl des begüterten Adels beläuft sich nach einer [172] Zählung, die ich mit vieler Mühe angestellt habe, und die vielleicht doch noch unvollständig ist, auf 590.

Brünn ist die Hauptstadt in Mähren und ein ganz angenehmer Ort. Besonders ist diese Stadt wegen der vielen herrlichen Spatziergänge ein Lieblingsaufenthalt des Adels im Sommer geworden. Der Augarten, eine Anlage des hochverdienten Josefs hat selbst vor dem zu Wien noch einige Vorzüge. Es giebt hier angenehme Gesellschaften, und auch ein ganz artiges Theater und eine Kreuzerbude. Die angränzende Gegend ist ungemein fruchtbar, und ich konnte die herrlichen Fluren, die nur in dem geseegneten Schwaben ihres gleichen haben, nicht genug bewundern. Schade, daß das Land keinen beträchtlichen Fluß hat. Man hat mir gesagt, daß schon ein Ollmützer der Regierung einen Vorschlag gemacht hätte, wie die March schiffbar zu machen wäre, der zwar vielen Beyfall, aber wegen der damit verbundenen Kosten keinen Eingang gefunden hätte. Das Land trägt dem Kayser 4. Millionen und drüber ein, und Therese pflegte es ihren Geldkasten zu nennen. Es wird durch einen Gouverneur regiert, der in Brünn seinen Sitz hat, und ist, wie alle kaiserlichen Länder, in Kreise getheilt, die unter einem Hauptmanne und Amte stehen.

Je mehr man sich von der Hauptstadt der böhmischen [173] Grenze nähert, desto bergiger und unfruchtbarer wird das Land. Man sieht hier nicht mehr die ungeheuern Ebenen, man hat schon größere Abwechselung durch Gebirge und Wälder. Auf der Höhe bey Groß-Studnitz ließ ich den Kutscher halten und stieg aus dem Wagen. Man hat hier eine weite Aussicht, die durch die Gebürgskette an der böhmischen Grenze hinter Iglau fast in einem Halbzirkel bis Els hinauf beschränkt wird.

Iglau ist eine kleine, aber artige Stadt von ungefähr 4000. Seelen, mit einem herrlichen Platze von 4½. hundert Schritten in der Länge und verhältnißmäßiger Breite, wie ich ihn noch in keiner Stadt, selbst in Wien nicht gesehen habe. Es giebt hier einige Tuchfabriquen, die aber nur mittelmäßige wollene Tücher, zum Theil für das Militair machen.

Eine halbe Stunde westlich von Iglau erinnerten uns einige Säulen, daß wir nun das Königreich Böhmen zu betreten begonnen. Wir mußten hier dem Weine auf einige Zeit gute Nacht sagen und uns an das böhmische Bier halten. Wir kamen in einer Strecke von 20. teutschen Meilen bis Prag nicht durch einen einzigen sehenswürdigen Ort. Teutschbrot, Czaslau, Kollin, Bömischbrod sind schmutzige Städte, die man bey uns nicht einmahl mit [174] dem Namen eines großen Dorfes beehren würde. Unweit Czaslau bey Kuttenberg giebt es beträchtliche Bergwerke, wo der Zentner Erz 10. Loth Silber Ausbeute bringt. Kuttenberg ist wegen der daselbst befindlichen Alterthümer merkwürdig.

Die Böhmen sind überhaupt ein tückisches Volk, sie zeichnen sich hierinn besonders gegen Fremde aus, die mit ihnen nicht in der Landessprache sprechen können. Diese Sprache ist mit der mährischen einerley, nur etwas zierlicher und feiner. Es giebt außer einigen Chronicken, die für die Geschichte merkwürdig sind, keine gedruckten Bücher in dieser Sprache, darum wird sie auch von den Teutschen, die sonst alle Sprachen lernen, nur selten studiert, besonders, da man sie außer Böhmen und Mähren gar nicht brauchen kann.

Kayser Josef machte die Einrichtung, daß alle Wirthe auf der Straße die teutsche Sprache reden müssen. Dies ist für den Reisenden von sehr großem Nutzen. Aber die Leute reden diese Sprache doch höchst ungern und geben einem sehr oft gar keine Antwort, wenn sie auch teutsch verstehen. So wohlfeil und bequem es für die Böhmen selbst in diesem Lande zu reisen seyn mag, so sieht sich der Ausländer doch dabey viel schlimmer. Die Einwohner suchen ihn in [175] allen Fällen auf eine niedrige Art zu prellen. Der Wein, den man aus Oesterreich kommen läßt, ist wegen der starken Mauth, den er bezahlen muß, ungeheuer theuer. Ein Seidel, das man zu Brünn mit 3. Kr. bezahlt, kostet hier schon 16.–20. Kr. Die Mauthen sind eine wahre Brandschatzung für den Reisenden. Wir mußten von Czaslau bis Kollin, einem Wege von 5. Stunden, für jedes Pferd an unserm Wagen 24. Kreuzer Chausseegeld bezahlen.

Zwischen Kollin und Pflaniany, welche Orter 2. Meilen von einander liegen, kamen wir über das Schlachtfeld, wo die sächsischen Dragoner im siebenjährigen Krieg die österreichische Monarchie retteten. Das Wirthshaus, die Sonne, in dem der König die Schlacht kommandirte, liegt 1. Meile von Kollin. Wir blieben über Nacht in des Königs Zimmer, und sein großer Geist beschäftigte unsere Phantasie so sehr, daß wir die ganze Nacht wachten und sein Andenken in einer angenehmen Gesellschaft böhmischer Edelleute und Prager Musikanten feierten. In dem Zimmer der Stube, aus dessen Fenstern der König kommandirte, ist sein Bild in Generals-Uniform mit Karten und Planen auf einem Tische im Wachtstubenstyle gemahlt. Nachdem die Schlacht verlohren war, wäre der König in diesem Hause beynahe gefangen worden, wenn ihn nicht der [176] Wirth vor den Augen einiger österreichischer Husaren, die sich schon unten im Hause befanden, verborgen hätte. Von diesem Manne hieng es also ab, daß noch einige blutige Kriegsjahre folgten, denn hätte er den König seinen Feinden verrathen, so wäre die ganze Sache sehr wahrscheinlich auf eine angenehme Art für Oesterreich entschieden worden. Seitwärts liegt die schöne Potsdammer Garde begraben, die der Prinz von Dessau hier dem Tode in den Rachen führte. Von den Schanzen sind auch noch einige sichtbar, und wir nahmen sie am andern Tage in Augenschein. Die Landleute wissen von diesem merkwürdigen Vorfalle noch sehr viel zu erzählen. Des Königs Retirade über Leutmeritz nach Sachsen nach der verlohrnen Schlacht war wirklich ein Meisterstück, denn wenn man die ungeheuern Berge an der böhmischen Grenze und die überaus schlechte Straße hinter Prag nach Sachsen bedenkt, so muß man sich in der That wundern, wie der König noch einen Mann und eine Kanone davon gebracht hat.

Sehr auffallend war mir die ungeheure Menge Gänse, die die Felder bedeckten. Sie werden in unzählichen Schaaren aus dem ganzen Königreiche nach der Hauptstadt getrieben, und das Stück zu 30. und 36. Kr. daselbst verkauft. Ihre Treiber machen täglich mit ihnen eine Reise von 2. bis 3. [177] teutschen Meilen. Mit den Federn wird ein starker Handel nach Sachsen getrieben und man rechnet, daß die Juden in Prag jährlich 46000. Zentner auf die Leipziger Messe bringen. Bey allen dem findet man aber doch durchaus in ganz Böhmen, die Hauptstadt ausgenommen, nur Betten von Stroh. Die Einwohner nehmen lieber Geld für ihre Producte, als daß sie sich selbst eine Bequemlichkeit dadurch verschaffen.

Prag ist eine sehr große Stadt, die lange nicht so düster als Wien ist, und in dieser Rücksicht viele Vorzüge vor der Residenz hat. Man glaubt auf einmahl in einer ganz neuen Welt zu seyn, sobald man hierher kommt, und man merkt es schon deutlich, daß man Sachsen näher gekommen ist. Alles ist auffallend verändert. Man trifft hier nicht den abscheulichen Stolz und die abscheuliche Grobheit der Wiener. Die Einwohner haben im Ganzen durchaus einen feinern Ton, eine andere Sprache, andere Sitten. Die Gesellschaften sind gebildeter und die Unterhaltung ist freier. Von Spionen hört man selten etwas. Kurz, der Geist befindet sich hier viel besser, aber der Körper auch viel schlechter, als zu Wien. Man lebt durchaus frugal, und in den Tafeln herrscht keine Pracht, sondern jene glückliche Mittelmäßigkeit, die der Oesterreicher und Baier gar [178] nicht kennt. Man sieht hier keine Harlekinaden und keinen Kasperle, aber ein ganz artiges Theater, das mit ziemlich geschickten Schauspielern besetzt ist.

Prag hat eine herrliche und stolze Lage, wozu die Moldau, an deren beiden Ufern die Stadt liegt und das königliche Schloß nicht wenig beitragen. Die Lage von Dresden kann sich mit dieser nicht vergleichen. Die hiesige Brücke, von der die Ausländer so viel zu rühmen wissen, verdient aber wirklich die Ehre nicht, die man ihr wahrscheinlich wegen des bekannten Anekdötchens vom Beichtvater Johann angethan hat. Sie ist durchaus mit einer ungeheuren Menge kolossalischer Bildsäulen überladen, die diesen oder jenen Mönch in einem heiligen Feuereifer vorstellen. Ungefähr mitten auf der Brücke sieht man rechts ein kleines eisernes Geländer an der Stelle, wo Johann hinabgestürzt worden seyn soll. Die Vorübergehenden küssen an diesem Orte ein in die Mauer eingemachtes Kreuz mit 5. Sternen, wovon sie, ich weiß nicht was für eine Fabel erzählen. Wäre diese Brücke so wie die Dresdner mit einem eisernen Geländer umfaßt und zu beiden Seiten mit Sitzen versehen, so würde sie an schönen Sommerabenden einen herrlichen Spatziergang abgeben.

[179] In der Schloßkirche, einem alten arabischen, aber merkwürdigen Gebäude, zeigte man mir Johanns von Nepomuck Grabmal, das ganz von Silber ist und von 4. silbernen Engeln an den 4. Ecken getragen wird. Dieses Grabmal wurde vor ungefähr 60. Jahren aus lauter Allmosen errichtet, und ist von einem Wiener Künstler, Namens Wirth, gearbeitet. Es zeichnet sich übrigens in Rücksicht der Arbeit nicht besonders aus. Der Schatz, der an diesem Grabe nach und nach gesammelt worden ist, ist ungeheuer. Man sagt, daß 36. Zentner Silber daraus während des jetzigen Krieges in die kaiserlichen Münzen gebracht worden seyn. Die ungeheure Anzahl von Fremden, die an dem Festtage des Heiligen aus allen Gegenden Teutschlands und der angrenzenden Länder hierher kommen, soll Alles seyn, was man von der Art sehen kann. Besonders wissen die Prager Wirthe die Harlekinaden an diesem Tage nicht genug zu loben. Die Historiker sind über die eigene Geschichte dieses Johanns noch nicht einig, doch stimmen sie fast alle darinn überein, daß er nicht wegen des heilig bewahrten Siegels der Beichte der Gemahlinn König Wenzels in der Moldau sein Grab gefunden habe. Ein bekannter böhmischer Geschichtsforscher versicherte mir im Vertrauen: er getraute sich zu beweisen, daß Johann [180] in unerlaubten Umgange mit der Königinn gelebt und seine Strafe ganz wohl verdient hätte. Die Prager würden aber gewiß mit einer diplomatischen Entwickelung seiner Geschichte sehr über zufrieden seyn.

In der Kapelle des heiligen Wenzels, in die man rechts aus der Schloßkirche tritt, sah ich die Leute Grimassen machen, die man schon vor 20. Jahren in dem größten Theile des katholischen Teutschlands verlacht hätte. Die Betenden wischten sich mit einem großen metallenen Ringe in der Pforte der Kapelle die Augen aus und krochen auf den Knien zur Thüre hinein. Dieser Ring soll der nämliche seyn, an den sich Wenzel festgehalten hat, da er von seinem Bruder erschlagen wurde. Ich sah in dieser Kapelle nichts Merkwürdiges, als zwey Reliquien von Wenzel, sein Panzerhemd und seinen Helm, der oben von einem Schwerdtschlage ein großes Loch hat, und einen heiligen Klotz, auf dem er Holz gehackt haben soll.

Die Grabmäler von zwey böhmischen Königen mitten in der Kirche sind kaum des Anschauens werth, wenn man Theresens und Franzens Grabmal in der Kaysergruft bey den Kapuzinern zu Wien gesehen hat. Sonst sind hier noch einige [181] Holzschnitte aus dem 16. Jahrhundert, die recht brav gearbeitet sind. Einer davon stellt die Stadt Prag vor, und hat mir viel Vergnügen gemacht. Ein anderer enthält die Execution Johanns von Nepomuk und ist nicht so viel werth. Kostbare Gemälde giebt es hier nicht.

Das Schloß ist ein altes Gebäude, das durch einen neuen Anstrich, den man ihm vor einigen Jahren gegeben hat, wieder einiges Ansehen gewonnen hat. Es liegt fast auf der erhabensten Stelle der sogenannten kleinen Seite der Stadt, und genießt eine vortrefliche Aussicht. Sein Inneres ist nicht merkwürdig. Auf dem Wischerad zeigte man uns das Fenster, aus dem der Graf von Thurn die kaiserlichen Gesandten herabwerfen ließ. „Zum Henker (sagte ein Däne, der sich in unserer Gesellschaft befand und dem Johanns Geschichte noch in frischen Andenken seyn mochte) habt ihr denn keine Galgen im Lande, daß ihr die Leute immer herabstürzen müßt?“ Mir fiel bey diesem Fenster Lütter ein, der jährlich mit vieler Freude auf dem Katheder erzählt, wie er die Höhe desselben ausgemessen habe und auch beynahe auf den Mist gefallen sey.

Die Prager Universität hat jetzt ihren alten Glanz ganz und gar verlohren, und die Anzahl [182] der hier studierenden beläuft sich kaum auf 800. ein großer Unterschied von jener ungeheuren Anzahl, die sich zu Hussens Zeiten hier befand, wo man aber freilich mit Weib und Kind die Akademie bezog. Von den Professoren ist keiner sonderlich bekannt, und Meißner scheint mir lange das Lob nicht zu verdienen, das man ihm in Westteutschland zollt. Seine Erzählung ist durchaus ein wenig steif und mit Zwischensätzen und Ausrufungen überladen, die ganz überflüßig und dieser Art von Schreibart gar nicht eigen sind.

Die Hussiten, welche unter der Regierung der Kaiserinn Therese durchaus versteckt leben mußten, fiengen zwar unter Josef an, sich zu zeigen. Sie sind aber durchaus schüchtern und in sich verschlossen, weil sie die alten Verfolgungen und Bedrückungen noch nicht ganz vergessen haben. Die Katholiken lassen sie selbst jetzt noch einen tief gewurzelten Haß und Abscheu empfinden, der vielleicht öffentlich ausbrechen würde, wenn sie nicht von der Regierung geschützt würden.

Der gegenwärtige Krieg hat das ganze Königreich sehr entvölkert. Dies ist besonders auf dem platten Lande auffallend. Hier sieht man sehr wenige junge Mannschaft, und die Feldarbeit wird meist von Weibern verrichtet. Ich hörte überall [183] über Mangel an Leuten klagen, und man sah es nur zu deutlich, daß es den Bauern an Knechten fehlte. Die Leibeigenschaft, die Kaiser Josef aufgehoben hat, besteht jetzt blos darinn, daß die Bauern für ein bestimmtes Geld ihren Leibsherrn die Dienste verrichten müssen, die sie sonst umsonst thun mußten. Sie befinden sich dabey nicht um vieles gebessert. Ich müßte selbst jetzt noch staunen, wenn ich sah, wie die Leute auf dem Felde zusammen getrieben waren, und von einem unbarmherzigen Büttel mit einem Knotenstocke in der Hand zur Arbeit angehalten wurden. Die Eintheilung des ganzen Königreichs in lauter kleine Herrschaften ist ein wahres Unglück für das Land. Wenn auch diese Duodezdespoten sich nicht mehr wie Vampyre an ihre Unterthanen hängen können, so suchen sie doch wieder nach und nach ihre alten Rechte hervor, und es ist schon jetzt um vieles schlimmer geworden, als es vor 7. Jahren war. Was für ein mächtiges Reich könnte nicht Böhmen werden, wenn es eine andere Verfassung hätte, wenn die Herrschaften gezwungen wären, ihre Einkünfte im Lande zu verzehren. Dieses Reich hat wirklich Alles, was es braucht und es hat weder zum Bedürfnisse, noch zum bequemen Leben, selbst nicht einmal zum Luxus fremde Hülfe nöthig. Bergwerke, Vieh, Holz, Wasser, Wein, Früchte, Edelsteine, Alles ist in einem solchen Ueberflusse da, daß noch eine [184] beträchtliche Menge jährlich ins Ausland verführt werden kann.

Die Böhmen sind mit der jetzigen Regierung nicht zufrieden. So sehr sie auch, selbst dem untersten Beamten hofieren, und selbst eine knechtische Hundesdemuth äußern, so denken sie doch im Herzen ganz anders. Es würde schlimm ausgesehen haben, wenn die Franzosen im vorigen Sommer in Franken nicht geschlagen worden wären. Die Böhmen, besonders die sogenannten Stockböhmen oder Ureinwohner, paßten nur auf ein Zeichen, um zu den Waffen der Empörung greifen zu können. Sie gestehen das ganz frei und offenherzig, wenn sie von einem nicht verrathen zu werden befürchten müssen. Ein solcher Aufstand von einem so kriegerischen Volke wäre für die Regierung gewiß fürchterlich gewesen.

Westböhmen treibt besonders einen starken Handel mit frischem Obst nach Sachsen, und in Dresden befinden sich zu aller Zeit eigene Buden von böhmischen Bauern, die Obst im Kleinen und Großen verkaufen. Gedörrtes Obst wird in großer Quantität nach Rußland verschickt.

Wir fanden auf unserer ganzen Reise durch das Herz von Böhmen keine Spuren mehr von den blutigen [185] Kriegen, die seit Jahrhunderten hier geführt worden sind, und die der Verfasser der ausführlichen Nachrichten in so unzähliger Menge gesehen haben will. Gewiß ist von Cziska’s Verheerungen und von den Greueln des dreisigjährigen Krieges nichts mehr übrig, wenn obiger Schriftsteller nicht die zerstörten Burgen und Schlösser dahin zählen will. Eben so sahen wir von dem siebenjährigen Kriege keine Spuren, als einige Kugeln in alten Mauern. Das Land ist zu stark, als daß es sich nicht bald wieder auch von der äußersten Erschöpfung ermannen sollte.

So wie wir Prag im Rücken hatten, hatte auch die vortrefliche Straße, die von Wien nach Böhmens Hauptstadt führt, ein Ende. Wir mußten an manchen Stellen, je näher wir der sächsischen Grenze kamen, unser Fuhrwerk zurücklassen, und zu Fuße wandern, weil anders unmöglich durchzukommen war. Als wir bey Budin über die Eger waren, hörte auch die böhmische Sprache auf und wir hörten blos teutsch reden. Eine unzählige Menge kleiner Berge und Hügel und einige romantische Gegenden an den Ufern der Elbe entschädigten uns für die Beschwerlichkeiten des Weges. In Melnich tranken wir herrlichen Wein, der aus Burgund hieher verpflanzt worden ist, diesem Göttertranke aber bey weitem nicht gleich [186] kommt. In Theresienstadt und Lowositz fanden wir Truppen herumziehender Komödianten, die aus verlaufenen Studenten und Schneidern bestanden. Es treiben dergleichen Banden ungefähr 20. jetzt in Böhmen ihr Wesen. – Hinter Außig begannen wir das eigentliche Gebirge zu besteigen, das Sachsen von Böhmen trennt, auf dem wir bis zu den warmen Bädern von Töplitz gelangten, wo wir einige recht angenehme Tage zubrachten, besonders da die Gesellschaft der Gäste diesmahl zahlreicher als gewöhnlich war.

Peterswalde war das letzte böhmische Dorf, das wir sahen. Es ist über eine Stunde lang und nur die Begierde bald nach Sachsen zu kommen, versüßte uns die herzliche Langeweile, die wir hatten. Ungefähr eine Stunde vor diesem Orte, drehten wir uns um, schwänkten unsere Hüte gegen die österreichische Monarchie, und schüttelten den böhmischen Staub von den Schuhen, denn ein großer Stein und eine herrliche Straße erinnerten uns, daß wir in Sachsen waren.


[187]
Göttingen
gegen einige
Brochürenschreiber und Kläffer vertheidigt.

[189] Sie haben also für Göttingen gestritten? Gottes Lohn dafür, mein theurer Freund, und heißer Dank, daß sie meine Schilderung dieser merkwürdigen Universität, die ich ihnen in Wien gemacht habe, gegen einen Feind vertheidigt haben, der eben so, wie Sie niemahls da gewesen ist, und den Ort wahrscheinlich blos aus Brochüren kannte, womit die Studenten seit einigen Jahren das Publikum heimgesucht haben; um alle Zweifel zu entfernen, die ihnen mitunter bey dieser Vertheidigung aufgestiegen sind, gebe ich sehr gern ihrem Wunsche nach, und übergebe ihnen diese Bekenntnisse als das Resultat eigener Erfahrung, wofür ich stündlich mit Schwerdt und Speer zu Felde zu ziehen bereit seyn werde. Es versteht sich von selbst, daß ich dabey nicht ins hohe Detail geben kann, was auch ohnedem für uns Beyde höchst langweilig gerathen würde. Eben so wenig werde ich Ihnen die hundert Anekdoten zum Besten geben, wovon ganz Deutschland wiederhallt, und deren es in dem Leben jedes merkwürdigen Mannes giebt. Schon das Unverbürgte und Einseitige dabey würde an und für sich etwas Eckelhaftes für ihren Geschmack haben, wenn auch der Umstand nicht dazu käme, daß viele dieser Anekdoten ganz und gar unverständlich und die meisten zweideutig sind, wenn [190] man die Männer selbst nicht ganz genau und hundert kleine Umstände nicht kennt, ohne die gewisse Dinge nie bestehen können. Es soll überhaupt etwas Angenehmes haben, und zu der Mode der Zeit gehören (besonders in ihrem Vaterlande, wenn Sie mir diese Freymüthigkeit nicht übel nehmen wollen) von Einrichtungen, wie die Göttinger Universität ist, mit einer gewissen Geringschätzung zu sprechen, die nur dem Bettelstolze eigen ist, und von ganz kleinen unbedeutenden Dingen einen Lärm, wie von Schlachten und Revolutionen zu machen. Dies mag auch die Ursache seyn, daß Göttingen im Auslande so verschrien ist, und daß man neuerdings wieder anfängt, gegen die hiesige Universität zu schimpfen, wo es vor 20–30. Jahren die Bettelmönche in Südteutschland thaten. In Oesterreich ist dies besonders auffallend, und ich habe da oft meine liebe Noth gehabt, den Leuten ein altes eingewurzeltes Vorurtheil zu benehmen, daß sie besonders seit 8. Jahren gegen diese hegen. Man glaubt da steif und fest, alles Unheil, welches die französische Revolution angerichet hat, sey größtentheils von hier ausgegangen. Es ist jetzt da eine schlechte Empfehlung, wenn man hier studiert hat, und es ist mir selbst begegnet, daß ein Minister, bey dem ich etwas suchte, und der sonst nicht von dem gemeinen Schlage war, zu mir gesagt hat: gut, Alles recht gut, aber [191] wären sie in Göttingen nie gewesen. Unser K. wurde darum von einem Concurse ausgeschlossen, an dem er Antheil nehmen wollte, und ein junger Mann, der sich in Wien graduiren ließ, mußte erst bey der Regierung um die Erlaubniß dazu einkommen, weil seine Atteste von Göttingen lauteten. Alles dies kommt daher, weil man sich nie die Mühe genommen hat, die Sache genauer zu prüfen, und nur einem albernen Volksglauben, dem Gekläffe der Hoffmanne und Cons. traut. Unterrichtete Leute, und selbst Große, z. B. der Fürst L. der Graf O., die auch hier studiert haben, würden ganz anders davon sprechen. Eine Hauptursache dieser vorgefaßten Meinung, sind wohl einige Schriften, die hier erschienen sind, und die bey dem glänzendsten Anstriche von Wahrheit nicht gefallen konnten, weil sie nicht in die Form paßten, nach der man in Wien seit einiger Zeit durchaus Alles zugeschnitten haben will. In dem übrigen Teutschland, vorzüglich am Rhein, ist Göttingen seit der Besitznehmung von Mainz durch den General Custine in einen abscheulichen Ruf gekommen, aber, wie mir deucht, wieder auf die unschuldigste Weise. Ich will es versuchen, alle Beschuldigungen nacheinander aufzuzählen und zu widerlegen.

[192] Eine Hauptbeschuldigung der Wiener ist: die Professoren sind Jakobiner und Sanskülotten. Der letzte Ausdruck, wenn ich ihn anders recht verstehe, soll wohl so viel heißen, als Leute, die sich an keine Gesetze binden. Eigentlich wäre es ganz überflüßig, hierauf zu antworten. Um indessen auch nicht den kleinsten Umstand zu übergehen, setzte ich, statt eines verächtlichen Lächelns, den Leuten nur ein paar Worte entgegen. Diese Beschuldigung kann wohl nur hauptsächlich die Professoren der Philosophie und unter diesen die Herrn Schlözer und Spittler treffen; dies sind die Namen, die man am häufigsten hört, wenn von Jakobinern die Rede ist. Als ich vor 4. Jahren, also gerade in der mißlichsten Zeit, hier studierte, habe ich selbst bey diesen Männern Collegia gehört, und nachher mit Einem von ihnen selbst in einem engern Verhältniß gestanden, und ich gestehe es öffentlich, daß ich ihnen und noch einem Namen Alles, Alles verdanke, wenn ich es vielleicht einmahl dahin bringen sollte, daß sich mein Vaterland meiner nicht schämen darf. Man wirft Schlözern öffentlich vor, daß er revolutionäre Grundsätze predige, und auf Regenten, wie auf Troßbuben schimpfe. Ich gehörte einst mit meinem Freunde C. zu seinen fleißigsten Zuhörern. Wir beyde haben in Einem Sommer 4. Collegia bey [193] ihm gehört, und können uns einander mit der größten Gewissenhaftigkeit das Zeugniß geben, nicht Eines seiner Worte verloren zu haben. Und wenn ich heute meinen C. fragen sollte: hast du je von Schlözern ein Wort gehört, das du dir nicht auf öffentlichem Markte und vor dem Throne eines Fürsten wieder zu sagen getrautest, er würde mir mit einem hohen ungeheuchelten Nein antworten. Ja, ich erinnre mich noch ganz gut, daß Schlözer damahls bey einigen Studenten als Orthodox verschrien war. Die Hauptursache, warum sein Name in gewissen Ländern so fürchterlich geworden ist, sind die Staatsanzeigen, die Lieblingsspeise der lesenden Welt im Reiche der Britten am Ganges, wie in Teutschland. Man hat ja selbst in Oesterreich diesem Werke Gerechtigkeit wiederfahren lassen und es gehört noch bis jetzt nicht unter die verbotenen Bücher. Es ist gewiß, daß Schlözer dadurch der teutschen Publicität einen eigenen sehr vortheilhaften Schwung gegeben und die Nation auf gewisse Dinge vorbereitet hat. Aber wo hat er gewaltsame Revolutionen gepredigt? wo hat er Unterthanen gegen die rechtmäßige Gewalt aufgehetzt? Ist nicht vielmehr in allen seinen Schriften durchaus ein edler Abscheu vor denjenigen Vorfällen sichtbar, die in unsern Tagen die Menschheit geschändet haben? Und hat nicht der [194] edle Mann die Fortsetzung seiner Staatsanzeigen sehr gern und freiwillig aufgegeben, um der in diesem Kriege so sehr bedrängten teutschen Nation nicht noch häufigere Ursachen zum Klagen zu geben, um nicht Oel in’s Feuer zu gießen? „Wahrlich, schrieb er vor 2. Jahren an einen meiner Freunde, wir müssen erst den Sturm der Zeit vorüber gehen lassen, der fürchterlich ist, und jedem bedächtigen Manne, der sonst frey die Feder führte, Krämpfe in den Fingern verursacht.“ Wenn dieser Mann wirklich der fürchterliche Jakobiner ist, für den man ihn in Oesterreich hält,[8] warum erlaubt man seine Schriften, und besonders seinen Grundriß der Staatsgelehrsamkeit, von dem es doch in der That fast unbegreiflich ist, daß er nicht im Catalogo prohibitorum steht. Das ist doch gewiß der größte und unerklärbarste Widerspruch. Schlözers gelehrte Fehde mit Mosern, der im Alter mit Unruhe auf seine Jugend zurückblickt, war besonders in Wien das Signal, wodurch eine Menge Schreyer, wie durch einen magischen Stab erweckt wurden. Aber kann man sich wohl mit bessern Gründen und mit größerer Bescheidenheit vertheidigen, als sich Schlözer in dieser Sache [195] vertheidigt hat? Keine Stimme des gerechten Publikums ist gegen ihn, keine beschuldigt ihn einer Sünde. Ich könnte Ihnen noch ein Langes und Breites von dem äusserst moralischen Charakter dieses vortreflichen Mannes und von seinem angenehmen und lehrreichen Umgange erzählen, wenn es nicht schon in dem Herzen jedes rechtlichen Teutschen einen Vertheidiger hätte, der stärker und mächtiger, als meine unbedeutende Stimme ist. Kurz, sagen Sie den Oesterreichern, die Schlözern verschreien, daß sie die inconsequentesten Köpfe von der Welt sind, und die kleinen Nabobs lassen Sie immer schreien, man erinnert sich dabey an die Fabel vom Esel in der Löwenhaut.

Der zweite fürchterliche Mann ist der jetzige Wirtembergische geheime Rath Spittler, der uns durch seinen Abgang eine tiefe Wunde geschlagen, aber auch dadurch die hiesige Universität bey gewissen Teutschen in einen etwas bessern Ruf gebracht hat. Der Geschichtschreiber ist wirklich ein geplagter Mann, besonders, wenn er neuere Geschichte schreibt, er mag es anfangen, wie er will. Spittler ist durch zwey Worte in dem zweiten Bande seiner Staatengeschichte in der ganzen österreichischen Monarchie auf einmahl ein Jakobiner geworden, ohne zu wissen, wie? wenn [196] vorhin die Theologen über ihn geschrieen haben, so thun es die Politiker jetzt in einem noch ungleich stärkern Grade, versteht sich, die Hofpolitiker. So verschieden auch das System der jetzigen österreichischen Regierung, von dem Systeme unter den beyden vorigen Regierungen ist, so können es ihm die Herrn doch nicht verzeihen, daß er den Kayser Josef einen wohlwollenden Despoten genannt hat, vermuthlich, weil man selbst von ihm ganz andere und härtere Ausdrücke zu erwarten hat, wenn Spittler den Faden der Geschichte weiter fortspinnen sollte. Genauer betrachtet hatte das Publikum längst über Josef auf eben diese Art entschieden, ehe Spittler obige 2. fürchterliche Worte drucken ließ, und es wundert mich, daß man nicht die ganze historisch-litterarische Welt Jakobiner nennt, weil sich ihr Fach nie herabläßt, den Grossen zu schmeicheln. Wenn derjenige ein Jakobiner ist, der Josefen einen wohlwollenden Despoten nennt, so sind wir alle Jakobiner und so hat Oesterreich gewiß tausend und aber tausend Jakobiner in seinen Staaten, die je eher je lieber entweder fortgeschaft oder auf die Schandbühne gestellt werden müssen. Oder soll es vielleicht gar Mode werden, die Sünden Friedrichs III. Karls V. der Ferdinande etc. zu beschönigen, oder erstreckt sich der Grundsatz der österreichischen Universitäten: die Person des Fürsten ist heilig und unverletzlich, [197] auch über das Urtheil der Geschichte? Ist dies, so würde ich mich wenigstens mit dem Beynamen eines Jakobiners und Sanskulotten sehr geschmeichelt fühlen.

Selbst unser Pütter bleibt nicht von Vorwürfen frey, und vielleicht ist er gar einer von den Hauptursachen, warum man in gewissen Staaten nicht gern sieht, wenn die jungen Leute hier studieren, ja es ihnen sogar verbietet. Ich erinnere mich der Monate noch sehr gut, wo es in Wien Staatsverbrechen hieß, gewisse Seiten der teutschen Verfassung zu vertheidigen, und ein Minister sagte mir am 10. Apr. dieses Jahrs, als von Püttern die Rede war: heute mag der Mann noch für einen grossen Gelehrten gelten, aber vielleicht ist schon morgen sein ganzes Wissen Makulatur und Antiquität. So spricht man am Hofe des teutschen Kaisers, des Hauptes der Verfassung. Unser Leist hat durch einige vorlaute Worte bey seinem Aufenthalte in Wien uns vorzüglich durch seine Schrift wegen Elsaß diesem Hasse neue Nahrung gegeben. Prof. W. in Wien fand diese Schrift unter aller Kritik, und doch studierte er lange darauf, wie er sie widerlegen sollte, noch ehe dies vom Staatsrath befohlen, aber einem ganz andern Manne aufgetragen ward.

[198] „Sind sie ein Kantianer, fragte mich einst ein Staatsrath in Wien? sie haben doch in Göttingen studiert, und man muß sich jetzt sehr in Acht nehmen, dergleichen Queerköpfe zu empfehlen, sie stiften nichts als Unheil in der Welt.“ Ich merkte, was der gute Mann sagen wollte, aber nur ein wenig abenteuerlich ausgedrückt hat, und ich konnte ihm dabey nicht ganz Unrecht geben. Ich kenne ganz das Unheil, was diese Philosophie oder vielmehr einige Grundsätze, die man mit ihrem Namen beehrt hat, ohne ihre Schuld angerichtet hat und ich gebe dem Herrn Nikolai in seinen Reisen ganz Recht über das, wodurch er sich den Haß der Reimenmacher zugezogen hat. Ich möchte nicht gern von Ihnen mißverstanden werden und mache mich deutlicher. Es ist seit einigen Jahren in Teutschland Mode geworden, sich einen Schüler des göttlichen Königsberger Philosophen zu nennen, wenn man auch gleich nie seine Schriften studieret, sondern nur auf der Oberfläche herum getappt hat und gewisse Sätze aus dem Zusammenhange gerissen hat. In Wien ist dies besonders auffallend. Die meisten jungen Leute brüsten sich da mit einer Philosophie, die sie nicht kennen, und brüten Tag und Nacht über Schriften, die nichts weniger als kantische Philosophie athmen und vernachläßigen die sogenannten Brodwissenschaften darüber, so daß die Herrn bey den Dikasterien, die eben so wenig [199] Kantianer sind, ihre liebe Noth mit den Leuten haben, und Kant mit allen seinen Schriften zum Henker wünschen. Und doch ist Kant an allen dem Unheil so unschuldig, wie ich an der Zerstörung von Troja und dem Untergange von Sodom. Man nennt in Wien Alles kantisch, was gegen den Staat und die Kirche geht, und was neufranzösisch ist. Daran sind die Herrn selbst Schuld, die sich Kantianer zu nennen belieben, besonders seit der Zeit, da das Gerücht gieng; Sieyes hätte den Entwurf der neuen französischen Constitution dem großen Manne nach Königsberg zur Beurtheilung geschickt. Weil man nun weiß, daß hier auch von einigen Professoren kantische Philosophie gelehrt wird, freilich eine ganz andere kantische Philosophie, als die meisten jungen Herrn in Wien studieren, die man vielmehr antikantische nennen sollte, so ist es ganz natürlich, daß man bey jedem Göttinger Studenten Neuerungsgeist und gewaltsame revolutionäre Grundsätze sucht, an die Kant gewiß nie gedacht hat. Thomas Payne, der Verfasser der Cantianschen Auffoderungen, Robespierre u. a. heißen in Wien Kantianer, und gewiß würde man die Herrn Alois Hoffmann und Haschka auch so nennen, wenn das österreichische Ministerium andere Grundsätze annimmt, als es gegenwärtig vertheidigt.

[200] Einige ganz unbedeutende Unruhen unter den hiesigen Studenten, besonders im Sommer 1794. haben unsere Universität im Auslande bey Leuten in einen üblen Ruf gebracht, welche dergleichen Vorfälle gewöhnlich durch andere Brillen betrachten, als sie eigentlich betrachtet werden müssen. Ich will Ihnen den Vorfall ganz kurz erzählen, denn ich befand mich zu dieser Zeit eben hier und habe Alles mit eigenen Augen gesehen. Ein hiesiger Professor gab damahls eine kleine Fete in einem nicht fern von der Stadt gelegenen Walde, zu der ausser den Professoren auch mehrere Studenten und Offiziers von der hiesigen Garnison geladen waren. Man war guter Dinge, tanzte und sang wie gewöhnlich das englische Nationallied god save the King. Dies Lied ward aber so oft wiederhohlt, daß die Studenten endlich überdrüßig wurden und die Musikanten auffoderten den Marseiller Marsch zu spielen. Ich sehe dabey nichts Unrechtes, und es ist bekannt genug, daß selbst das Oesterreichische Offizierkorps in den Winterquartieren am Rhein täglich dieses Lied sang und spielte und sich daran ergötzte, und selbst in Wien ist ja dieses Lied in den Gesellschaften des Adels nicht unbekannt. Man hätte es also auch hier den Studenten leicht zugeben können. Allein der hannöverische Kommandant war darüber aufgebracht, und der damalige Prorector Feder, der die gesellschaftlichen Rechte zu schätzen wußte, verbot [201] den Musikanten, es zu spielen. Die Studenten fanden sich beleidigt, setzten sich auf ihre Pferde und ritten davon. Dies geschah Sonntags und man glaubte nicht, daß dieser ganz unbedeutende Vorfall Folgen haben würde. Aber Mittwochs darauf versammelten sich einige hundert Studenten auf der bürgerlichen Schießstädte vor der Stadt und zogen Nachts im Triumphe durch die Straßen und sangen aus vollem Halse: allons enfans de la patrie. Ich darf hier nicht unbemerkt lassen, daß aus Schlözers Collegien, zu denen ich auch gehörte, aus eben desjenigen Schlözers Collegien, den man in Wien einen Jakobiner und Sanskulotten nennt, nur ein einziger Zuhörer von mehr denn 200. an diesem Vorfalle Antheil nahm, und daß wir alle unserm verehrungswürdigen Lehrer unser Mißfallen nicht undeutlich darüber zu erkennen gaben. Der akademische Magistrat zeigte auch diesmal seine Weisheit, nahm von dem ganzen Vorgange seine Notiz, bis sich die Sache in 2. Tagen von selbst legte. Nun entstand darüber in einigen teutschen Zeitungen ein gewaltiges Geschrey, das gewisse bekannte Lärmer zu vergrößern, nicht ermangelten. Es hieß: die Studenten hätten auf dem Markte einen Freiheitsbaum errichtet, einen jakobinischen Klub eröfnet u. dgl. Man sprach von Guillotinen, von Freiheitspredigen, von Verschwörungen u. dgl. Sie werden als unbefangner Beurtheiler [202] dieser nackten schmucklosen Erzählung leicht einsehen, wie unbedeutend der ganze Vorfall war. Er war blos der Ausbruch einer jugendlichen Hitze, die sich ungern Schranken setzen läßt. Gewiß nicht eine Vorliebe für gewisse jetzt in Teutschland noch konterbande Grundsätze, sondern blos eine Rechthaberey führte ihn herbey und die ganze Sache war abgethan, sobald diese befriedigt war. Wenn nun die Oesterreicher und andere Leute daraus schließen wollen: in Göttingen herrschten jakobinische Grundsätze, so müssen sie in der That eine ganz eigene Philosophie haben. Die Schlußfolge: in Wien giebt es Patrioten, das sieht man aus den freiwilligen Beiträgen, wäre eben so bündig.

Eine andere Beschuldigung des Auslands ist diese: man lernt nichts in Göttingen. Ein Wiener Professor war sogar kühn genug, diese Behauptung öffentlich drucken zu lassen, wofür ihm aber sein Recensent eine derbe wohlverdiente Nase drehte. Zufällig hat eben dieser Professor hier studiert, und seine dreiste Behauptung wahrscheinlich nur von sich abstrahirt. Ich wüßte in der That nicht, auf welcher Universität man etwas lernen sollte, wenn es hier nicht ist. Doch wohl in Wien nicht, wo die nöthigsten Fächer unbesetzt und berühmte Lehrer so selten sind, wie Nachtigallengesang am Vicentius-Tag? Göttingen hat seit [203] vielen Jahren vor allen deutschen Akademien das Lob, daß man hier vorzüglich fleißig ist, ja ich kenne sogar Landsmannschaften hier, die eine Art von Schande darauf setzen, wenn Einer aus ihrem Mittel ohne giltige Ursache, z. B. wegen eines Rittes, wegen einer Gesellschaft u. dgl. das Frequentiren unterläßt. Wer selbst hier gewesen ist, kann sich am besten davon überzeugen. Da sieht man während der Kollegien keinen Studenten auf der Straße und selbst nach dieser Zeit wird man die meisten auf ihren Stuben hinter den Büchern finden. Es ist mir keine der 41. teutschen Universitäten ganz unbekannt, und 28. davon habe ich selbst gesehen und bereist, aber auf keiner einzigen den anhaltenden ausdauernden Fleiß gefunden,[9] auf keiner einzigen die ausgezeichnete Aemulation wie hier. Die vielen vortreflichen Männer, die seit 40. Jahren und drüber von hier ausgegangen sind, unter denen sehr viele weise Minister, große Staatsmänner und die berühmtesten Schriftsteller sich auszeichnen, geben doch wohl einen Beweiß gegen jene unverschämte Behauptung. Wenn sich Herr W. die [204] Mühe nehmen wollte, nur obenhin an die hiesigen Anstalten zu denken, die ihm doch unmöglich fremd seyn können, so würde er finden, daß hier für den Studierenden aus Oesterreich besser gesorgt ist, als selbst in der lärmenden Kaiser-Stadt. Er würde sich erinnern, daß hier österreichische Geschichte und österreichisches Staatsrecht, so wie die Geschichte jeden einzelnen Landes in der österreichischen Monarchie gelesen wird, wenn sich Zuhörer finden, und das ist doch wohl ein Vorzug vor dem non plus ultra der Universität zu Wien? Wenn ich tiefer ins Detail gehen wollte, so könnte ich die Armensünderrolle, welche Herr W. durch seine Behauptung spielt, noch mehr entwickeln, und ihm damit ein Plätzchen an dem litterärischen Galgen zudenken. Doch so heißblütig bin ich nicht. Sie und Leute von Erfahrung wissen ohnehin, wie es um die Sache steht.

Der Studententon in Göttingen ist abscheulich. Die jungen Leute spielen die Herrn in der Stadt, balgen sich um nichts auf Leben und Tod herum, verlachen die Gesetze des Wohlstandes, und der akademische Magistrat schützt sie bey ihren Ungezogenheiten oder nimmt doch wenigstens keine Notiz davon. Diese Worte stehen in einem vor kurzem erschienenen [205] Buche, dessen Verfasser zu den weit und breit umher rauschenden Namen gehört, denen Mancher aufs geradewohl zu glauben versucht wird. Wir wollen sehen, was an der Sache ist. Aufrichtig gestanden, so herrscht unter den hiesigen Studenten eigentlich gar kein entschiedener Ton, und das ist auch wohl das Beste. Ein gewisser Gemeingeist, der auf einigen andern deutschen Musensitzen herrscht, und die erste Gelegenheit zu Raufereien und Unordnungen giebt, ist hier ganz unbekannt. Man kommt hier nicht zusammen, und grüßt sich nicht, weil man Student ist, sondern nur dann, wenn man sich kennt und durch einen genauen freundschaftlichen Umgang sich verbunden hat. Darum giebt es hier keine Beyspiele, daß Leute, die aus Norden und Süden heute zum erstenmahle in einer Schenke zusammenkommen, schon Dutzbrüder sind und sich wie alte Bekannte behandeln; keine Beyspiele, daß berüchtigte Raufer, die von andern Universitäten relegirt sind, hier ihr Unterkommen finden. Ich könnte sogar Leute nennen, die in der teutschen Litteratur jetzt nicht wenig glänzen und sich aus ihren eisernen Verhältnissen da oder dort lieber hierher in den Schoos der Musen zurückgezogen haben, um ganz den Wissenschaften und ihrem Berufe zu leben, und von hier als stattlich ausgerüstete Männer in ihr Vaterland zurückgegangen sind. Die hiesigen Professoren suchen den Fleiß und den [206] guten Ton von allen Seiten zu begünstigen. Sie ziehen die Studenten in ihre Gesellschaften, an ihre Tische und leben so gar in vertrautem Umgange mit ihnen, wenn sie Eigenschaften an ihnen entdecken, die sie dieses Vorzugs würdig machen. Die ungeheure Kluft zwischen dem Lehrer und Schüler ist ganz verschüttet, und wer, der jemahls hier studiert hat, erinnert sich nicht mit Vergnügen an die hiesigen Winter-Redouten und Concerte, an die vergnügten Stunden in der Gesellschaft eines Schlözer’s, Böhmer’s, Spittler’s, Feder’s, Runde’s u. a. an die Ehrenmänner Marteus, Gatterer, Lichtenberg, Kästner, Wrißberg, Strohmaier, Berg, u. a.? wo wird dem Studierenden mit so ausgezeichnetem Wohlwollen begegnet, als hier, das selbst so weit geht, daß viele Professoren ihnen ihre eigenen Hefte zum Gebrauche überlassen? Wo giebt es ein Beyspiel, daß Professoren vom ersten Range, z. B. Schlözer, Pütter etc. ihre Schüler auffordern, an ihren Lehrsystemen zu bessern, und jede Bemerkung selbst mit öffentlichem Danke erkennen?[10] Wer kann mir solche Beyspiele, selbst auf [207] den berühmten Universitäten Jena und Halle nachweisen?

Daß die hiesigen Studenten die Herrn in der Stadt spielen, mag eines Theils wahr seyn. Aber ich bitte, spielen sie wohl diese Rolle durch ein ungesittetes Wesen, durch sogenannte Burschenstreiche, wodurch man sich weiland auszeichnete? Machen nicht vielmehr eine anständige Kleidung, wie sie einem gesitteten Manne ziemt, ein freundliches Wesen und höfliches Betragen auf der Straße und in den Hörsälen die hiesigen Studenten jedem Reisenden beliebt? Man weiß hier nichts von jenen fürchterlichen Knotenstöcken, von ungeheuren Stiefeln mit pfündigen Sporen, von abgekremten Hüten, von blechernen Kaskets mit schuhlangen Reiherbüschen, von schweren auf den Steinen fortgeschleppten Säbeln, in deren Korbe eine Löwenbrut nistet, wie alles das jener Renomiste getragen haben mag, der dem Herrn Zachariä zu seinem Gemählde gesessen hat, und wie es noch hier und da auf einer teutschen Akademie getragen wird. Man führt keinen Krieg gegen Philister und Soldaten, man wirft keine Fenster ein, und die letzten traurigen Reste von Kanonenschlägen, pereat Rufen und Laternen Einschlagen sind nur noch ein armseliger Zeitvertreib für den herum lärmenden Troß, der nothwendig in einer so zahlreichen Gesellschaft [208] mitunter laufen muß, und auch dieser wird sich nach und nach verlieren, weil er gar keine Unterstützung und gar keinen Beifall findet. Den Vorzug, den man den hiesigen Studenten gönnt, ist bey Leibe nicht erzwungen, er entsteht aus einem Gefühl des Bürgers, der gewiß sehr gut weiß, was er der Universität zu verdanken hat. Aber bey allen dem geht der Bürger ganz unangetastet über die Straße und er darf nicht fürchten, von einem wilden Haufen über den Fußsteig gedrängt zu werden. Er braucht sein Haus nicht den Poltertritten des Renomisten zu verschließen, wie man es in den eisernen Zeiten dieses Jahrhunderts mußte. Seine Töchter darfen frey über die Straßen gehen, und werden gewiß von jedem Studenten mit Höflichkeit gegrüßt, wenn sie es verdienen, sonst übersehen. Ein ungarischer Professor, der vor einigen Jahren in Teutschland reiste, und den ich in Frankfurt am Mayn kennen lernte, schrieb mir in diesem Sommer einen Brief nach Dessau, aus dem ich Ihnen einige Stellen abschreiben will, die Göttingen betreffen. Der Mann ist in seinem Vaterlande hochberühmt und bekleidet nebst seiner Professur noch eine ansehnliche Stelle in Pest. Der Brief selbst ist lateinisch geschrieben, ich gebe ihnen die quästionirten Stellen übersetzt.

[209] „Die angenehmsten Tage auf meiner Reise durch ihr Vaterland, schreibt er, brachte ich in Göttingen zu, und ich habe in dieser kleinen Stadt das rauschende Getümmel, die kostbaren Tafeln in Wien und selbst unsern ungarischen Nectar vergessen und mich Abends bey gebratenen Kartoffeln mit Klumpen (im Original Clumpis) und einer auf einem Korbe zugeführten Flasche Dünne-Bier in einer muntern geistvollen Gesellschaft besser befunden, als bey einem Fasandl auf Kraut Polakerl und Tokaier unter den Lukullen zu Wien: die zuvorkommende Höflichkeit der dasigen Professoren hat meine Erwartung noch übertroffen, und ich kann diesen Herrn nicht genug für die Gefälligkeit danken, womit sie mich bey meinen litterarischen Arbeiten unterstützten, mir Bücher schickten, ihre Bemerkungen mittheilten, mich besuchten und mir auf alle Art den Aufenthalt zu einem Elisium zu machen suchten. Ich war damals im Teutschen noch ungeübt, und sie thaten mir sogar den Gefallen, lateinisch mit mir zu sprechen, was sie sonst nicht gerne thun sollen, weil sie behaupten, man müsse eine Sprache nicht sprechen, die schon veraltet sey und die Cicero’s Kammerdiener leicht besser gesprochen haben könne, als wir. Die Studenten (im Original bursches) habe ich gar nicht so gefunden, wie sie mir vorher einer meiner [210] Landsleute geschildert hatte, der in Jena studiret hat. Ich kann nichts anders sagen, als daß sie die gesittesten und gefälligsten Leute von der Welt sind. Sie gingen ganze Strecken mit mir, wenn ich nach der Wohnung dieses oder jenes Professors fragte, wenn sie mir das Haus nicht deutlich bezeichnen konnten. Ich fragte einst einen Bürger (Philistrum) wo Heyne wohnte, und konnte aus der Antwort nicht ganz klug werden. Ich war schon an seinem Hause vorüber, als mir ein Student nachkam und mich, ohne daß ich ihn fragte, zurecht wieß, indem er sagte: hic habitat Heynius, quem quaeris, und seinen Weg zurück gieng. Dieser gefällige Wegweiser hatte ohne Zweifel meine Nachfrage bey dem Bürger mit angehört, und war nachgegangen, um mir das rechte Haus zu zeigen; wenn ich es verfehlen sollte.[11] Dergleichen Beyspiele von Höflichkeit sind mir mehrere vorgekommen, und ich würde weitläufig werden, wenn ich sie ihnen erzählen wollte. Wenn ich bey einem Professor in seinem Auditorium den Gast machte, was täglich ein paarmal geschah, so boten mir die Studenten immer einen Platz auf den besten Bänken an, liehen mir ihre Compendien, wiesen [211] mir die Stellen nach, über die der Professor las und drängten mich geflissentlich vor, wenn Blumenbach, Lichtenberg oder Schlözer etwas vorzeigten. Ich habe in den Auditorien nur sehr selten kleine Hunde und nie so große Bullenbeiser gesehen, womit die Auditorien in – und in – immer vollgestopft sind. Sogar das Gassenrecht, das in Göttingen so unverletzlich seyn soll und das ich Anfangs nicht kannte, ließ man mich nicht empfinden und blieb nicht wie auf den Brücken zu Prag und Dresden wie ein Klotz vor mir stehen, oder schob mich mürrisch hinweg, wenn ich es ohne mein Wissen irgendwo verletzte. Die Studenten luden mich in ihre Gesellschaften, machten mit mir Excursionen zu Pferde und in Karriolen nach der Plesse, den Gleichen, und nach Rheimhausen, und hier füllten wir die leeren Stunden nicht mit Würfeln (aleis, heu ludo Diabolico) und Karten, sondern mit angenehmen Gesprächen über die teutsche Litteratur. Abends schwärmten wir unter fröhlichen Gesängen wie die Bacchanten zurück. u. s. w.“

So geht es noch durch einige Seiten fort und der gute Mann bricht zuletzt in Lobeserhebungen aus, die in meinem Munde partheiisch klingen würden. Ich lasse sie daher weg, und begnüge mich, Ihnen nur einen Theil von dem Urtheile [212] eines Ausländers über die hiesige Universität vorgelegt zu haben, das über jeden Verdacht erhaben seyn muß.

Von Schlägereien, wovon der oben angeführte Schriftsteller in seinem Buche träumt, hört man hier nur selten, und gewiß seit 5. Jahren kein Wort von einem Duelle auf Leben und Tod. Der ungewaschenen Herrn vom Säbel, die von einer Universität auf die andere ziehen, um sich Narben zu hohlen, giebt es hier nicht, und es ist bekannt genug, daß die wildesten Renomisten, wenn sie an andern Orten ausgetobt haben, sich hierher zurückziehen, um das nachzuhohlen, was sie versäumt haben. Senioren, die verschrieben werden, um den Glanz eines Ordens mit ihrem Blute zu vertheidigen, kennt man nur dem Namen nach. Man kommt täglich mehr und mehr von der Meynung zurück, daß eingebildete oder wirkliche Beleidigungen nur mit Blut abgewaschen werden können, und die meisten hiesigen Studenten verziehen selbst die Miene darüber, wenn sie von einem Duelle hören. Die Zweykämpfe haben sich jetzt schon in eine andere freilich nicht minder verächtliche Art,[12] [213] sich Genugthuung zu verschaffen aufgelößt, aber auch diese wird sich bald ganz und gar verlieren, wozu schon gegenwärtig die besten Anzeigen da sind.

Es ist übrigens die unverschämteste Lüge, daß der hiesige akademische Magistrat die Ungezogenheiten der Studenten schütze und eine Sottise für die hochberühmten Männer, die dieses Gericht ausmachten, die eine ernstliche Ahnung verdiente, selbst eine Injurienklage vor dem Forum jenes Schriftstellers, der mit seiner losen Feder die Ehre einer ganzen Gemeine angreift. Die Lüge ist übrigens zu schwarz und deutlich, als daß ich sie zu enthüllen brauchte. Daß der akademische Magistrat übrigens von gewissen unbedeutenden Vorfällen keine Notitz nehmen zu müssen glaubt, ist ganz gewiß und gereicht ihm eher zum Lobe als zum Tadel. Dergleichen Dinge sind gewöhnlich von keinen Folgen, sondern nur die Ausbrüche eines jugendlichen Frohsinns, einem Bache nicht unähnlich, der gewiß weit stärker überströmen würde, wenn man ihn dämmen wollte, da er jetzt ruhig dahinfließt, oft sanft rieselt, auch wohl Cataracten hat, aber keine Blumen und Fluren verwüstet. Schwellt [214] sein Wasser auch bisweilen an, so ist es nicht besser gerathen, als die Zeit der Ebbe abzuwarten, die ohnedas bald eintritt. Alle dergleichen Vorfälle, gegen die man gleich Anfangs strenge Maaßregeln ergriff und ihnen eben dadurch einen Anstrich von Wichtigkeit gab, den sie doch wahrhaftig nicht hatten, haben meist einen übeln Ausgang genommen und sind selbst oft für die Ruhe einer ganzen Stadt gefährlich geworden. Dies weiß der akademische Magistrat sehr gut, und nimmt seine Maaßregeln darnach, die dann auch gewiß nie falsch berechnet sind.

Die Klage, daß es in Göttingen außerordentlich theuer sey, ist nicht weniger ungegründet. Wollen Sie einen jährlichen Ueberschlag hören, von allen Bedürfnissen, die ein hiesiger Student hat, und der so berechnet ist, daß er recht gut leben kann? Hier ist er:

Rthlr. Gr. Pf.
Eine Stube sammt Kammer mit aller Zuthat, auf einer guten Straße, jährlich 30.
Mittagsessen, bestehend aus vier Speisen, wöchentlich 1 Rthlr. 52.
Abendessen 14 Gr. wöchentlich. 30. 8

[215]

Rthlr. Gr. Pf.
Täglich 2 Flaschen Bier, jede à 14 Pf. 35. 11. 8.
Bedienung, vierteljährlich 2 Rthlr. 8.
Stiefelputzer und Kleiderreiniger, vierteljährlich 2 Rthlr. 8.
Friseur vierteljährlich 2 Rthlr. 8.
Wäsche vierteljährlich 2 Rthlr. 8.
Jährlich 10 Collegia, darunter ein practisches 55.
Für Bücher und Schreibmaterialien 20.



254. 19. 8.

Dieses wären nun die notwendigen Bedürfnisse, die keinen Dreyer mehr kosten, und gewiß noch um ein Drittheil wohlfeiler sind, wenn man sich beschränken will. So giebt es z. B. recht artige Stuben mit einer Kammer zu 20. Rthlr. selbander nimmt man einen Mittagstisch monatlich zu 5. Rthlr. etc. Wenn ich nun die Nebenausgaben für Kleinigkeiten in der Garderobe und für Vergnügungen jährlich auch auf 100. Rthlr. anschlage, so kommt eine runde Summe von 354. Rthlr. oder 641 fl. 40. Xr. rheinisch heraus. Das ist doch wahrhaftig nicht theuer für eine Stadt, in der die Studenten jährlich wenigstens 300000. in Umlauf setzen. Studenten, die hoch leben, verzehren 500. Rthlr. und es giebt immer einige hier, die 4. und 5000. verzehren. Ich weiß, daß der Ruf der Theurung, in den [216] hauptsächlich die Engländer und einige Edelleute die Stadt gesetzt haben, manchen Vater abhält, seinen Sohn hieher zu schicken. Es wäre daher sehr gut, wenn die Vorsteher der Universität halbjährlich einen Ueberschlag der Kosten als eine Beylage zu den gangbarsten teutschen Zeitungen drucken ließen, damit sich jeder überzeugen und seine Maaßregeln darnach nehmen könnte. Wir haben freilich schon dergleichen Berechnungen in Pütters Geschichte von Göttingen, in mehreren Pamphlets über diese Stadt, und es wird auch hier ein eigenes Verzeichniß davon gedruckt, allein diese Dinge kommen nur selten in die Hände des größern Publikums, und sind in manchen Theilen von Teutschland ganz und gar unbekannt.

Was den Körper betrifft, so befindet sich dieser freilich hier nicht allzuwohl. Die Rheinländer, Reichsstädter, Oesterreicher und Baiern haben aber in der That zu übertrieben über die niedersächsische Kost geschrieen, und ich gebe es gern zu, daß der Abstand zwischen Frankfurt am Mayn, Mainz, Wien, München, Hamburg und zwischen Göttingen ein wenig groß seyn mag. Aber es ist hier, wie in ganz Ober- und Niedersachsen: man lebt frugal. Findet man wohl in Dresden, in Leipzig, in Braunschweig, in Hildesheim für das nehmliche Geld einen bessern Tisch, als hier in der Krone, im hotel de Russie, im König von Preußen? Ich [217] glaube schwerlich. Wenn man erst Fasanen und Auerhähne in unsere Wälder setzt, und Tokaier, Johannisberger und Grinzinger auf unsern Bergen pflanzt, dann wollen wir uns auch schon gütlicher thun. So bleiben wir aber geistige Esser, und kommen mit Kartoffeln und Bier eben so weit, wie die Wiener bey Fasandlen, Ganserln, Kapaundeln, Händeln, Eingemachtes, Kaiserfleisch, Beischsguglhaupt, Ofner, Osterauer und Horner. Wir befinden uns im Gegentheile noch besser. Ich habe hier noch nie einen Sachsen über das Essen klagen gehört. Aber die Rheinländer und ihres Gleichen affectiren sogar krank zu werden, wenn sie Anfangs hierher kommen. Doch, wie gesagt, das ist blose Affectation, und keiner von ihnen wird noch eine Indigestion hier empfunden haben, wie er sie empfindet, wenn er in Frankfurt im rothen Hause und im Schwane, und in Mainz in den 3 Kronen von der Tafel aufgestanden ist. Er bezahlt hier nur 4 Thaler wöchentlich für den Mittagstisch und erhält dafür eine reichliche Mahlzeit, statt daß er in Frankfurt 20. Rthlr. bezahlen muß. Dieser Unterschied verdient doch auch ein wenig in Erwägung gezogen zu werden. Wenn er hier einen Gulden täglich zu verzehren Lust hat, so wird ihm Ruhländer schon ein leckeres Mittagsmahl vorsetzen, über das er sich gewiß nicht beklagen kann. Und ist unser Conradi für dergleichen Herrn nicht der [218] Wirth aller Wirthe? Die üble Zurichtung der Speisen liegt wohl auch nur in dem Kopfe dieser Herrn, oder in dem lokalen Geschmacke, den sie von ihres Vaters Tische mitgebracht haben, und den sie sich durchaus abgewöhnen müssen, sobald sie über Kassel oder Prag hinaus sind. Wenn es wahr ist, was ich schon einigemahl gedruckt gelesen habe, daß die hiesigen Speisewirthe gebratene Raben und Dohlen für Tauben auftischen, so liegt wohl die Schuld selbst an den Gästen, die die armen Speisewirthe oft in den Schuldthurm bringen und sie zu Schritten nöthigen, die sie bey einer regelmäßigen Auszahlung gewiß nicht zu thun gezwungen wären. Indessen halte ich das ganze Angeben für Fabel. Mir ist wenigstens binnen anderthalb Jahren, die ich einst hier zugebracht habe, kein solches Beyspiel vorgekommen, und am allerwenigsten eins, daß Jemand von der hiesigen Kost krank geworden wäre. Man weiß überhaupt von Krankheiten hier sehr wenig und von einer Mortalität unter den Studenten fast gar nichts. Es ist wohl noch zu viel behauptet, wenn ich annehme, daß jährlich Einer unter ihnen stirbt.

Man sagt, die fleischlichen Sünden seyen hier außerordentlich häufig, und die Studenten größtentheils von der Liebesseuche angesteckt. Schlözer habe selbst eine Berechnung angestellt und gefunden, [219] daß hier so viele unehliche Kinder gebohren würden, als in Berlin, Kassel und Leipzig. Die Ausschweifungen sind wohl ein notwendiges Uebel auf jeder Universität. Wenn man bedenkt, daß hier 700. Leute wohnen, die alle in Rücksicht auf ihr häusliches Leben ihre eigenen Herrn und gerade in einem Alter sind, wo der Geschlechtstrieb sich am stärksten regt, so wäre es in der That zu viel verlangt, den Ausschweifungen in diesem Punkte ganz und gar Einhalt zu thun. Man wird doch nicht durch besonders dazu bestellte Keuschheitswächter, wie weiland in Wien, die Betten jedes Studenten visitiren lassen sollen? oder es sich bey der Immatrikulation angeloben lassen, keusch zu leben, und jeder Aufwärterinn oben drein einen körperlichen Eid abnehmen, sich mit keinem ihrer Herrn einzulassen? Da es hier dieser Mädchen wenigstens 200. giebt, die blos um der Studenten willen da sind, und größtentheils von diesen bezahlt werden, so ist es ganz begreiflich, daß sie ihnen auch manch mahl Gefälligkeiten zugestehen, die freilich nicht verlangt werden könnten, wenn Mannspersonen die Aufwartung verrichteten. Dieses ist aber sowohl wegen des Landbaues, als des Soldatenstandes nicht zu begehren, wenn man auch behaupten wollte, daß die Arbeit der Aufwärterinn, die im Aufbetten, Stubenfegen, Kaffeekochen, Abendessen bereiten u. dgl. besteht, füglich durch Mannspersonen [220] verrichtet werden könnte. Oeffentliche feile Mädchen giebt es übrigens hier gar nicht, und wenn auch ja ein solches Geschöpf aus andern Städten zu uns herüber kommt, so ist die Polizey sehr bedacht darauf, es sogleich wegzuschaffen, ehe es Unheil stiften kann. Vor dem Anstecken ist nun wohl keiner sicher, wenn er auch blos mit seiner Aufwärterinn Gemeinschaft machte. Dies haben wir mit den meisten Städten gemein. Wenn ein Vater wegen dieser Gefahr seinen Sohn nicht hierher schicken wollte, so müßte er ihn eben so wenig und noch viel weniger auf eine andere Universität schicken, z. B. nach Ingolstadt, Mainz, Marburg, Jena, Halle, Leipzig und vollends gar nicht nach Wien oder Prag. Die ehemalige Militärakademie des Herzogs von Würtemberg hatte freilich gegen die Ansteckung am besten gesorgt, indem sie die jungen Leute zwischen 4. Mauern sperrte und Alles, was weiblich war, entfernte. Was aber die Folge davon? Eine Schaar der abscheulichsten Sünden, die sich ohne Erröthen gar nicht nennen lassen. Einige meiner Freunde, die auch in diesem Zwinger ihre besten Jahre verqualmen mußten, haben mir davon die fürchterlichsten Beschreibungen gemacht. Ein zuverläßigeres Mittel weiß ich freilich, wenn es die Kläffer ausführen wollen. Man untersuche an Einem Tage alle Männer und Weiber, und schlage diejenigen, die nicht bewährt gefunden werden, geradezu [221] wie tolle Hunde vor die Köpfe, und eben so verfahre man mit jedem, der sich nur so lange in einer Stadt aufhalten will, als nöthig ist, sein Gift andern mitzutheilen. – Was Schlözers Berechnung betrifft, so ist sie wegen ihrer Propalation von ihm selbst gewissermasen zurückgenommen, oder vielmehr dahin beschränkt worden, daß die unehelichen Kinder, welche in dem hiesigen Entbindungshause von auswärtigen Mädchen gebohren werden, abgerechnet werden müssen, was bey der ersten Angabe nicht geschehen war. Anders läßt sich aus dieser Berechnung für Göttingen keine Folge ziehen.

Man hat häufig behauptet, daß ein privilegirtes unter der Aufsicht der Polizey stehendes Bordell den Ausschweifungen in dieser Stadt größtentheils, und den Ansteckungen durchaus abhelfen würde. Verzeihen Sie mir, wenn ich so leichtgläubig nicht bin. Ein Bordell wäre in Göttingen eher schädlich als nützlich. Wer würde es besuchen, so lange es noch gefällige Aufwärterinnen giebt, die wohlfeiler und heimlicher zu haben sind, als die Mädchen in so einem Hause. Es würde Anlaß zu unzähligen Händeln und Raufereien geben, die im Rausche der Leidenschaft gewiß gefährlich würden. Und was würde wohl das Ausland zu einer solchen Einrichtung sagen? Die Absicht würde durchaus verkannt werden, und der besorgte Vater und die [222] zärtliche Mutter würden ihre Söhne vor Göttingen wie vor dem Höllenpfuhle bewachen. Göttingen und ein privilegirtes Bordell würde es im Norden und Süden, im Westen und Norden heißen, und die Katholiken würden schon bey dem Namen dieses neuen Gomorrhas Kreuze schlagen. Und wie würde es auch obendrein mit der Sicherheit vor der Ansteckung stehen? Um kein Haar besser als jetzt, oder man müßte den Erzengel Michael mit heimlichen Gaben zum Visitator bestellen.

Wenn sich einmahl der Fall ereignet, daß ein lebendiger Zeuge eines vertrauten Umganges zwischen einem Studenten und Mädchen zum Vorscheine kommt, so ist schon durch ein eigenes Gesetz dafür gesorgt, daß der Student dabey nicht gefährdet werden kann. An andern Orten geräth der Liebhaber in einem solchen Falle gewöhnlich in große Verlegenheit, und findet sich heimlich durch ungeheure Summen ab, die ihn in seiner Haushaltung ganz und gar zurücksetzen und wird doch noch zuletzt von der Mutter vor Gericht belangt. Hier nicht also. Alle heimlichen Contracte in dieser Rücksicht sind durchaus null und Niemand ist verbunden sich mit seiner Liebhaberinn durch starke Summen oder wohl gar durch die Ehe abzufinden. Verrufene Mädchen kriegen für ihre Schmerzen keinen Dreyer, und [223] nur dem Kinde muß ein kleiner Unterhalt gegeben werden, wenn sich der Student als Vater bekennt. Den Geschwängerten liegt noch überdas der überzeugendste und bündigste Beweis ob. Ich befand mich gerade hier, als dieses Gesetz gegeben wurde, und man hat mir damahls erzählt, daß die Mädchens auf eine Zeit dadurch so abgeschreckt worden wären, daß sie keinem Studenten auch nur die kleinste Freiheit erlauben wollten. Sie riethen ihnen insgesammt, sich kastriren zu lassen.

Woher kommt es doch, daß fast kein Student von Göttingen geht, ohne Schulden zu hinterlassen? bin ich schon oft gefragt worden. Um Verzeihung, meine Herrn, wer hat sie so übel berichtet? Daß Mancher abzieht, und noch da und dort eine kleine Rechnung hat, ist wahr, aber das hat Göttingen mit allen Universitäten gemein, mit den ersten wie mit den letzten, mit Jena wie mit Herdorn. Jugendlicher Frohsinn, der erste Versuch einer eigenen Haushaltung, Wuchrer und Betrüger, deren es allenthalben giebt, sind die Ursache davon. Der akademische Magistrat sucht aber dem Unheil so viel zu steuern als er kann. Ein eigenes Kreditedict erklärt jede Schuld für ungültig, die nicht nach den Gesetzen der Akademie contrahirt ist. Dies macht die Wucherer im höchsten Grade vorsichtig. [224] Dabey kann es aber doch nicht fehlen, daß nicht christliche oder jüdische Wucherer gegen übertriebene Zinsen Geld hergeben, besonders wenn sie ihren Mann von Haus aus kennen. Auf dergleichen Schulden kann aber durchaus nicht geklagt werden, und der Schuldner ist in keinem Falle verbunden, sie zu bezahlen. Thut er es aber doch, wenn er sich einst im Stande dazu befindet, so ist es sein eigener Wille, den ihm Niemand durch Gesetze beschränken kann. Die Gelegenheiten zum Schuldenmachen sind hier noch überdas viel seltener, als in andern Städten, besonders seit der Zeit, da durch das heilsamste aller Gesetze alle Juden ausgeboten sind, die nicht große Wechselgeschäfte machen und dem Studenten lange nicht so gefährlich sind, als einige christliche Juden, die im Dunkeln ihr Wesen treiben. Das Pfandamt hat freilich, wie alle diese Einrichtungen, seine schlimmen Seiten. Es thut aber doch dem heimlichen Borgen gewaltigen Abbruch, und kein Student ist jemahls dadurch in Schulden gestürzt worden. Es verhütet, daß Niemand genöthigt ist, seine Sachen um den halben Preis zu verkaufen, was gewiß geschehen würde, wenn man Geld haben will und muß, und die Interessen sind schlechterdings von gar keiner Bedeutung. Es giebt hundert Fälle, wo das Pfandhaus einem bedrängten Studenten ausgeholfen hat, der sonst Uhren und Schnallen und Bücher und Kleider [225] an Wucherer um einige Dreyer verkauft haben würde. Warum thut man aber diesen Wuchrern keinen Einhalt, fragt man mich und hat man mich oft in Wien gefragt? Ich frage dagegen, warum thut man ihnen an andern Orten keinen Einhalt, und warum duldet es die sonst so aufmerksame Polizey in Wien, daß die Wucherer ihre Anzeigen sogar öffentlich anschlagen und in der Hofzeitung bekannt machen? Dort treiben sie ihren widerrechtlichen Handel öffentlich, was hier gewiß nicht geschehen würde, wenn man sie kennte. Der akademische Magistrat hat den Wuchrern überdies noch durch eine heilsame Taxe Grenzen gesetzt. Dahin rechne ich die Taxen der Karriolen, der Schlitten und der Reitpferde, die den jungen Leuten manchen Mutterpfennig aus der Tasche ziehen. Wer ausfahren oder reiten will, darf nicht erst mit dem Eigenthümer des Fuhrwerks oder des Pferdes handeln; er weiß schon voraus, was er geben muß, und kommt daher niemals in den Fall wegen einer starken Concurrenz oder der Schönheit eines Pferdes doppelte und dreifache Summen bezahlen zu müssen. Der Philister, welcher mir ein Pferd vorführt, darf es nicht wagen, mich brandschatzen zu wollen und wenn er nicht so vorsichtig ist, sich, seine Taxe voraus bezahlen zu lassen, so mag er zusehen, er hat keine Klage gegen mich. Dies verhütet, daß der Student sich solche Vergnügungen [226] gar nicht machen kann, wenn er das Geld dazu nicht wirklich in der Tasche hat.

Der Umstand, daß die Kollegien bezahlt werden müssen, will Einigen durchaus nicht gefallen. Sie sagen: die Professoren seyen dadurch von den Studenten abhängig, und kein Armer könne so starke Summen aufbringen, wie 50. 60. Thlr. jährlich seyen. Ich kann wieder diesem Einwurfe nicht beipflichten. Die Honorarien sind zum Theil eine nothwendige Einrichtung, die eine nicht unbeträchtliche Summe an dem Gehalte der Lehrer ausmachen. Ein so kleines Land kann diese wackern Männer nicht allein nach Verdienst besolden, dazu ist sein Ertrag zu gering und wenn Hannover einmahl zu einem Königreiche anwachsen sollte, so wird schon anderer Rath werden, und dann wird man den Geitz der reichsten Länder noch mehr beschämen, als man wirklich thut. Die Honorarien haben ausser ihrer ökonomischen Rücksicht noch einen ganz andern gewiß nicht unbeträchtlichen Vortheil. Sie erwecken eine ganz eigene und seltene Aemulation unter den Professoren, und da alle Gegenstände doppelt und mehrfach besetzt sind, so kann diese Aemulation nicht anders als heilsam seyn. Was die Unbemittelten betrift, so ist noch keiner genöthigt gewesen, ein Kollegium auszusetzen, weil er es nicht bezahlen konnte: Wenn es zu andern Zeiten [227] dergleichen Beyspiele wirklich gegeben hat, wie man so zuverläßig behauptet, so kann man doch gewiß jetzt weiter nichts sagen, als: es war. Es ist bekannt genug, daß man hier einen Stolz in ein starkes Auditorium setzt, und daß oft der sechste Theil der Zuhörer nicht bezahlt. Ich müßte fürchten, die hiesigen Professoren zu beleidigen, wenn ich über diesen elenden Einwurf noch Ein Wort verlieren wollte.

Der Einwurf, daß die halbjährigen Curse eine ganz zweckwidrige Einrichtung seyen, ist von eben dem Gehalte. Ich könnte mich schon darauf berufen, daß sie fast von allen Universitäten autorisirt und angenommen sind und die jährigen geraden von den unbekanntesten Universitäten beibehalten worden sind. Niemand bezieht in unsern Tagen die Akademie, um eine Wissenschaft zu erschöpfen, sondern um die Kunst zu lernen, wie er sie künftig behandeln soll. Und dazu ist doch wohl ein halbes Jahr hinreichend genug, wie es in Göttingen, Jena, Halle, Erlangen etc. ist, das wohl beynahe einem ganzen Jahre in Wien, Ingolstadt, Kölln, Trier etc. gleichkommt. Man hört auf jenen Universitäten zweimahl so viele Collegia als auf diesen, und ich zweifle sehr, ob man sie auf diesen trotz eines ganzen Jahres weitläufiger hört, gründlicher gewiß nicht. Der Vortheil, der daraus erwächst, ist noch von einer andern Seite [228] sichtbar. Der Jurist, der Arzt, der Theolog geht selten von hier, ohne ein Kollegium über die Statistik, über einen besondern Zweig der Geschichte, über Sprachen, Landwirthschaft u. dergl. zu hören. Der Theologe hört nebenbey Staatsrecht, Naturgeschichte, Anatomie; der Jurist Anatomie, Naturgeschichte, Exegese, Kirchengeschichte; der Arzt Geographie, Zeichenkunst, Alterthümer u. dergl. Alles das ist aber auf allen Universitäten unmöglich, wo jährige Kurse sind, man müßte, wie weiland, mit Weib und Kind da bleiben wollen. Die Studenten sind hier nicht damit zufrieden, Zeugnisse über die sogenannten Brotwissenschaften zu erhalten, nein sie suchen Gelehrte im eigentlichen Verstande des Wortes zu werden. Sie lernen die Wissenschaften ihrer selbst wegen schätzen und üben, und nicht darum, weil sie einst davon leben sollen, denn unsere Anstalten sind nicht allein auf die Bildung künftiger Staatsbeamten, sondern auch auf die Bildung eigentlicher Gelehrten berechnet.

Es sind nun noch 2. Einwürfe übrig, mit denen ich mich ganz kurz abfinden werde. Der eine betrifft die Freitische und der andere die Religion. Die Freitische sollen hier nicht nach Verdienst ausgetheilt werden, und es soll nicht selten der Fall seyn, daß ein stattlicher Herr, der in Karriolen fährt, wöchentlich ein paarmahl ausreitet, und [229] Schulden macht, den Vortheil eines Freitisches genießt, während daß der Bedürftige darben soll. Das erste gebe ich zu. Aber ich wage die Wette, daß kein solcher einen Freitisch erhält, so lange Bedürftige sich darum melden. Wenn es wirklich arme Studenten giebt, die einer solchen Wohlthat bedürftig sind, so liegt es gewiß nur an ihnen, wenn sie sie nicht erhalten. Entweder ist ihre Aufführung verdächtig, oder sie melden sich nicht darum, oder es sind Andere da, denen nach der Absicht der Stifter der Vorzug gebührt. In allen Fällen können sie nicht über Ungerechtigkeit klagen. So viel ich weiß, macht nur die Person selbst einen Unterschied, wenn der Stifter keinen andern gemacht haben will. So viel ich weiß, ist es einerley, ob man vom Rhein, von der Donau oder vom Belt, aus Europa oder aus Amerika gebürtig ist, Alle können ohne Unterschied dazu gelangen und gelangen dazu. – Was nun den letzten Einwurf betrift, so habe ich im katholischen Teutschland oft gehört, daß die Katholiken hier gedrückt würden. Wirklich, niederträchtiger kann man Göttingen nicht beschimpfen, diese Stadt, wo kein Mensch fragt: ob man Lutheraner, Kalviner, Katholik, Jude oder Heyde sey, wo der Jude die Rechte des Christen genießt, und Arm in Arm mit ihm über die Straße geht. Ich thue wohl schon zu viel, wenn ich sage, daß die Katholiken ihre eigene Kirche [230] haben und ohne die geringste Störung ihren Gottesdienst verrichten, daß ich sie nach Herzenslust ihre Messe hören und auf offener Straße Kreuze schlagen und am Rosenkranze beten sehen. Doch eins darf ich nicht vergessen, um jeden Einwurf zu beseitigen, und jeden Katholiken zu befriedigen. Der Kurfürst von Trier, eben der Klemens Wenzel Kurfürst von Trier und Prinz von Polen, der sich vor mehrern Jahren in Augsburg dem Pabst vor den Augen des Publikums zu Füssen warf, und ihm den Staub von den Schuhen küßte, schickt seine jungen Geistlichen hierher, um hier zu studieren und nachher Theologie zu gradiren auf der uralten erzkatholischen Universität zu Trier. Wer verlangt wohl noch mehr? ich bitte.

Ich glaube nun alle Einwürfe hinlänglich beseitigt zu haben und sage noch ein paar Worte überhaupt. Wenn man alles genau betrachtet und erwägt, so ist es wohl offenbar, daß sich keine Universität mit der hiesigen im Ganzen messen kann, daß es selbst in ganz Europa keine Stadt giebt, sey sie auch noch so groß und volkreich, in der so viele berühmte Männer wohnen und lehren, als hier in einer Stadt von 8000. Seelen. Wer kennt nicht Plank, Böhmer, Pütter, Klaproth, Runde, Martens, Wrißberg, Richter, Blumenbach, Gmelin, Kästner, Gatterer, Heyne, Feder, Schlözer, [231] Lichtenberg, Beckmann, Meiners, Eichhorn, Heeren, Grellmann etc. etc. Es wird auch nicht Einen Gegenstand geben, worüber man hier nicht von irgend einem berühmten Manne ein Kollegium hören könnte. Man beliebe nur das deutsche Verzeichniß der Vorlesungen nachzusehen, um sich davon zu überzeugen. Wo giebt es eine Einrichtung wie hier, daß jährlich aus allen Fakultäten Preißfragen aufgegeben werden, die blos für Studierende sind? Daß die Preiß-Erringer ausgezeichnet, geehrt und belohnt werden? wo ist Alles so dazu gemacht, um zum Studieren einzuladen und zu ermuntern. Und dann, wo giebt es eine Bibliothek, wie die hiesige? Wenn ihr die Wiener Hofbibliothek an der Zahl der Bände gleichkommt, und sie vielleicht wohl noch übertrifft, so kann sich doch gewiß keine in Rücksicht der Gemeinnützigkeit mit der hiesigen messen. Jeder Student hat das Recht, Bücher aller Art, wenn es nicht kostbare Werke sind, die blos angesehen werden, zu fodern, mit nach Hause zu nehmen und nach Gefallen zu benutzen, und ohne die geringsten Unkosten. Ich entwickle das alles nicht weiter.

Mag immerhin der Jenenser in seinem dumpfen düstern Jena bleiben, und sich Prost zurufen; mag der Hallenser in Halle stürmen und lärmen, der Erlanger sich seines aufblühenden Glückes freuen! [232] ich gönne dem Rheinländer sein goldenes Mainz, und seinen Rheinwein; dem Bayern sein geräumiges und fettes Ingolstadt, dem Osterreicher sein stolzes Wien, dem Böhmen sein lustiges Prag, dem Leipziger seine glänzende Messe, dem Hessen sein fideles Marburg, und jedem, was er an seiner Universität zu loben haben mag. Ich lobe mir mein armes, armes, aber an Wissenschaften und Freundschaft hochreiches, blühendes Göttingen.

Leben Sie recht sehr wohl, mein würdiger Freund, denken Sie jezuweilen in ihrer lärmenden stolzen Vaterstadt an meine Liebe zu ihnen, vergeben sie mir dieses ewig lange Sendschreiben, und empfehlen sie mich Allen, die meinen Namen nennen, Mann und Weib.





 

[Ξ]
Verbesserungen.

Die Entfernung des Verfassers vom Druckorte hat eine große Menge Fehler, besonders in den Namen, veranlaßt, wovon hier nur die auffallendsten ausgehoben werden können.

In der Dedikation Z. 2. von unten st. Palmo-Insel, l. Pelew-Inseln.

S.  6. Z.  1. st. Lehnlaquai l. Lohnlaquai.
S.  7. Z. 21. st. aufgeführt l. eingeführt.
S.  9. Z.  3. von unten st. Angenchronik l. Aegerchronik.
S. 15. Z. 10. st. schrofen l. schrohen.
S. 16. Z.  8. st. Brodt l. Brot.
S. 16. Z. 24. st. Steigantesch l. Steigentesch. (Dies kommt öfter vor.)
S. 19. Z.  6. von unten st. andern l. anderer.
S. 31. Z. 18. st. Rabots l. Nabobs.
S. 14. Z.  2. st. Nettelblat l. Nettelbla.
S. 24. Z.  3. st. Pastino l. Papius.
S. 26. Z. 15. st. würde l. würden.
S. 30. Z.  1. st. Globich l. Globig.
S. 33. Z. 16. st. gat l. gar.
S. 35. Z.  3. von unten st. peccari l. pecori.
S. 36. Z. 17. st. Namen l. Manne.
S. 48. Z.  2. st. Hoyer l. Heyer.
S. 48. Z. 20. st. Armutation l. Aemulation.
S. 49. Z. 10. st. Zäbenheim l. Garbenheim.
S. 49. Z.  5. von unten st. auch Gartenhaine l. nach Garbenhein.
S. 51. Z. 22. st. Bekannten l. Bekenner.
S. 52. Z.  3. st. Palatte l. Palette.
S. 52. Z. 11. st. Hochet l. Höchst.
S. 53. Z.  6. st. Häfeninen l. Schäferinnen.
S. 53. Z.  4. von unten st. Carlin l. Enslin.
S. 54. Z. 19. st. natürlicher l. strafender.
S. 55. Z.  1. st. landlerich l. landlersch.
S. 56. Z.  9. 10. 21. 25. st. Vigaro l. Vigano.
S. 59. Z.  9. muß nicht weggestrichen werden.
S. 61. Z.  2. st. monte pule iano l. Montepulciano.
S. 62. Z. 14. st. wackre l. wacker.
S. 68. Z. 17. st. sprachen l. sprechen.
S. 71. Z.  8. v. u. st. variat l. firmat.

[Ξ]

S. 79. Z.  1. st. hierinne l. hierin.
S. 80. Z. 11. st. Buffendorf l. Puffendorf.
S. 82. Z.  7. st. laconischen l. leonischen.
S. 88. Z. 17. muß viel weggestrichen werden.
S. 92. Z. 20. st. Mariacellischen l. Marinellischen.
S. 102. Z. 10. st. Batteroth l. Watteroth.
S. 102. Z. 22. st. Mumetter l. Mumelter.
S. 102. Z. 26. st. de Luna l. de’ Lucca.
S. 134. Z. 16. st. enthusiasmiren l. enthusiasmirt.
S. 139. Z.  7. v. u. st. Fluch l. Flucht.
S. 206. Z. 13. st. Weißberg l. Wrißberg.
S. 211. Z. 18. st. seu l. heu.
S. 223. Z.  4. v. u. st. Konditedict l. Kreditedict.
S. 231. Z.  1. st. Bedmann l. Beckmann.




 

  1. Jetzt mainzischer Gesandter an der Reichsversammlung.     A. d. H.
  2. Der Herausgeber hat diese Bemerkung durch die ganze österreichische Monarchie bestätigt gefunden, aber weiter nichts, als höchstens darüber gelächelt. Es ist schon die Art gewisser Leute auf gut fischweibisch über Dinge zu schimpfen, die sie nicht kennen, und ein Professor in Wien, den er bey seinem dasigem Aufenthalte ein paarmahl besuchte, hatte von der teutschen Staatsverfassung ganz andere Begriffe, als man sie haben muß. „Macht mich nur zum Hofrath, dann will ich schon österreichisch denken,“ sagte ein großer teutscher Historiograph, von dem man es nicht begreifen konnte, daß er für die Sache Preußens in seinen Schriften zu Felde zog. Und wirklich, der Mann hat sein Wort gehalten,     A. d. H.
  3. Gegen den jüngst verstorbenen.     A. d. H.
  4. Bekanntlich ist der Fürst nun wieder restituirt; der Kaiser hat die Restitution auch schon ratifizirt und darüber ein in sehr sonderbaren Ausdrücken ausgefertigtes Rescript an das Kammergericht erlassen.     A. d. H.
  5. Dieser ist bekanntlich schon gestorben.     A. d. H.
  6. Wer zugleich ein Pröbchen von der Erzgeneraldummheit des Herrn Schr. sehen will, darf nur die Anmerkungen zu den Briefen eines reisenden Franzosen und Spittler’s Kirchengeschichte in seinen Nachdrücken dieser Werke nachschlagen.     A. d. H.
  7. Den neuesten Nachrichten zu Folge soll die Stadt Wien jetzt den Beynamen: die getreue, erhalten.
  8. Einer der ersten Männer des Staatsrath, B. C. hat ihn dem Herausgeber auch so genannt.     A. d. H.
  9. Man darf nicht denken, daß ich hier Cicero pro Domo spreche. Der Verfasser befand sich nur zufällig in Göttingen, als er dieses schrieb, und hat nicht das geringste Interesse dabey, diese Universität auf Kosten Anderer zu loben.     A. d. H.
  10. M. s. die Vorrede zu Schlözers Grundriß der Staatsgelehrsamkeit. Ich enthalte mich aller Lobsprüche über diesen ganz vortreflichen Mann, um ihm nicht wehe zu thun. Mir, so wie meinen Freunden, die ihn im Sommer 1794. gehört haben, wird er ewig unvergeßlich seyn.     A. d. H.
  11. Einen ähnlichen Vorfall erzählt Herr Meyer von einem höflichen Pariser in seinen Fragmenten.     A. d. H.
  12. Der Verfasser meint hier ohne Zweifel die Hundepeitsche, die seit einiger Zeit Mode zu werden beginnt. Ob aber Duelle in der That nicht besser sind, als das heimtückische Anfallen mit diesem die Menschheit entehrenden Instrumente, darüber ließe sich noch Manches sagen.     A. d. H.