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ADB:Bölte, Amalie

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Artikel „Bölte, Amalie“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 92–95, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:B%C3%B6lte,_Amalie&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 02:04 Uhr UTC)
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Band 47 (1903), S. 92–95 (Quelle).
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Bölte: Amalie Charlotte Elise Marianne B., gewöhnlich, als Litteratin stets, Amely B., Romanschriftstellerin und Philanthropin, wurde am 6. October 1811 zu Rehna in Mecklenburg-Schwerin als Tochter des Bürgermeisters, eines hochgebildeten Juristen schwedischer Abkunft, geboren. Zwar empfing sie den Unterricht einer Gouvernante sowie Gelegenheit, sich in Französisch und Musik auszubilden, beides ohne jede Richtung zu unweiblicher Emancipation, fand aber wenig Gefallen daran. Vielmehr ließ sie das sorgfältige [93] Lernen bei einfacher Stufe bewenden und unternahm es, von klein auf schwächlich, ihre Gesundheit durch wiederholten Besuch des nahen Seebades Doberan zu kräftigen. Hier gerieth sie unter den Einfluß der Schwester ihrer Mutter, Fanny Tarnow (s. d.), der gefeierten Schriftstellerin, dabei Zeugin der ungewöhnlichen Huldigungen, die diesem romantischen, mehr zartgeistigen als geistreichen Blaustrumpf in den Schoß fielen. Der 1862 hochbejahrt gestorbenen, aber schon damals fast vergessenen Erzählerin hat die Nichte 1865 das Denkmal „Fanny Tarnow, ein Lebensbild“ errichtet. Im 15. Jahre verlobt, brach A. B., inzwischen zwei Jahre in Güstrow, der Heimath der Mutter, aufhältig gewesen, dies Verhältniß nach dem Tode ihres Vaters ab, weil sie Unglück in der Ehe fürchtete und stellte sich, 1828, auf eigene Füße, indem sie trotz ihrer Jugend eine Stelle als Erzieherin auf dem Gute Pritzier des Kammerherrn v. Könnemann annahm. Etliche Jahre brachte sie lehrend und lernend hier zu. Gestützt auf einige so gemachte Ersparnisse, ging sie 1839, mit Empfehlungen Varnhagen v. Ense’s und Ed. Hitzig’s, besonders an Carlyle, nach England, wo sie eifrig Englisch studirte. Die erworbenen Kenntnisse verwerthete sie zum Uebersetzen englischer Romane ins Deutsche und umgekehrt deutscher (z. B. L. Tieck’s „Vittoria Accorombona“) ins Englische. Außer Erzählungen, wozu sie die eben genannte Thätigkeit anregte, lieferte sie in das Cotta’sche „Morgenblatt“ (Stuttgart) auch regelmäßige Correspondenzen, auch in andere deutsche Blätter. 1851 ins Vaterland zurückgekehrt, ließ sie sich bald in Dresden nieder, schrieb für die „Grenzboten“, trat mit B. Auerbach und Gutzkow, dessen „Unterhaltungen am häuslichen Herd“ sie eine fleißige Mitarbeiterin ward, in Beziehung, arbeitete aber unverdrossen an der eigenen Bildung fort. So reiste sie nach Paris, 1866, freilich wol hauptsächlich wegen Kränklichkeit, nach dem Süden bis Rom, lebte dann auch vorübergehend in Karlsruhe. Von Dresden, wo sie 1865 den „Bazar für Beamtentöchter“ gegründet und auf Wunsch des bekannten Berliner Präsidenten Lette, Vaters des „Lette-Vereins“, einen „classischen“ Bericht – gedruckt in der „Gewerbezeitung“ – verfaßt hatte, übersiedelte sie 1879, mannichfach für Verbesserung des Looses arbeitender und unversorgter Frauen agitirend (so hatte sie eine arme Schneiderin auf der Arbeitsschule in Reutlingen ausbilden und dann einen Lehrcurs eröffnen lassen), nach Wiesbaden. Auch hier trat die Menschenfreundin in gemeinnützigem Sinne auf und betheiligte sich thatkräftig am Verein gegen Branntweingenuß und für Volkskaffeehäuser. Sie starb ebenda am 16. November 1891, welcher späte Tod ihre frühere Körperdisposition Lügen strafte.

Amely B. nahm die Feder wesentlich für Romane in Anspruch. Sie begann sofort als verständige Schriftstellerin von gesunder Lebensauffassung und guter Beobachtungsgabe. Ihr Ruf wurzelt in den „Erzählungen aus der Mappe einer Deutschen in London“ (1848) und ihrem gelesensten Buche „Visitenbuch eines deutschen Arztes in London“ (2 Bde., 1852), gewandten Schilderungen aus dem höheren Gesellschaftsleben Englands, etwas grelle Farben und human-socialistische Tendenzen zeigend, ursprünglich im „Morgenblatt“ unter der Ueberschrift „Meine Patienten“ erschienen. „Eine deutsche Palette in London“ (1853) schloß sich daran, wie jene auf Grund eigener Erfahrungen und Reiseeindrücke. Sie fuhr im Stile des sog. Gouvernantenromans der Engländerin Currer Bell fort: „Das Forsthaus“ (1854), die Novellen „Männer und Frauen“ (2 Bde., 1854), „Liebe und Ehe. Erzählungen“ (3 Bde., 1857). In letzten beiden spielen einige Geschichten auf englischem Boden, könnten freilich unschwer auf andern Boden verpflanzt werden, wie sie überhaupt nach dem Votum eines englischen Kritikers trotz der langjährigen Anwesenheit im Inselkönigreiche dessen eigentlichen Verhältnissen und Anschauungen oberflächlich und vorurtheilsvoll [94] gegenübertritt. In diesen und einer ganzen Anzahl anderer Erzählungen, damals besonders „Eine gute Versorgung“ (2 Thle., 1856), redete sie den neu aufkommenden Ideen der Frauenemancipation das Wort, immer, außer in einigen nicht gerade sittenstreng formulierten Abschnitten, das Weib bleibend. Sie weiß mit klarer Einsicht in die Nothwendigkeit gewisser socialer Reformen die Sachlage, wie sie um und gleich nach der Mitte des 19. Jahrhunderts bestand, wahrheitsgetreu zu spiegeln. Moralischer Gehalt und wohlmeinende, ungezierte Lebensauffassung spricht sich in allen ihren bezüglichen Erzählungen und verwandten Schriften aus. Unter letzteren stehen „Frauenbrevier“ (1862, 4. Aufl. 1864), vielleicht ihre gediegenste Schöpfung, und „Neues Frauenbrevier“ (1876, 2. Aufl. 1877) obenan, während an Romanen mit dem Grundaccord der Frauenfrage zu nennen sind: „Weiter und weiter“ (1867), „Die Töchter des Obersten“ (2 Bde., 1872), „Elisabeth, oder: eine deutsche Jane Eyre“ (2 Bde., 1872), „Wohin führt es?“ (2 Bde., 1874), „Die Gefallene“ (1882, 2. Aufl. 1884); auch „Harriet Wilson“ (1862), „Die Mantelkinder“ (2 Bde., 1864), „Streben ist Leben“ (3 Bde., 1868), die Novelle „Sonnenblume“ (1869) fallen in dies Revier. Die energische, bisweilen derbe Polemik ihrer Reisebriefe und kritischen Aufsätze aus den fünfziger Jahren war allerdings längst erloschen, und während man bei einigen ihrer Romane Schwung, Kraft des Gedankens und des Wortes vermißt, wie sie ihren Themen angemessen sind, verstimmt bei andern der, trotz unleugbaren Compositionstalents willkürliche Schluß. Auf erheblichern poetischen Werth dürfen sie keinen Anspruch machen. Insbesondere reißt ihren biographischen Romanen der Einschlagfaden interessanter Nebenzüge rasch ab, sie entbehren über das gegebene stoffliche Element hinaus künstlerischer Gestaltung, selbst die beiden einzigen, die zu culturhistorischen Gemälden ansetzen: „Maria Antonia: oder Dresden vor hundert Jahren“ (1861), wo das dichterische unter den mannichfach anziehenden Angaben über Menschen und Dinge jener absolutistischen Periode erstickt, und „Franziska von Hohenheim. Eine morganatische Ehe“ (2 Bde., 1863), eine geschichtlich wie poetisch unwahre Episodenkette vom Württemberger Herzogshofe in Schiller’s Jugend. Obwol sie für „Frau von Stael“ (3 Bde., 1859), „Juliane von Krüdener und Kaiser Alexander“ (6 Bde., 1861), „Winckelmann, oder: Von Stendal nach Rom“ (3 Bde., 1861), „Vittorio Alfieri und seine vierte Liebe, oder: Turin und Florenz“ (2 Bde., 1862), „Die Welfenbraut“ (1867), „Prinzessin Wilhelmine von Preußen“ (1868) – die letzteren leiteten in den geschichtlichen Zeitroman über, dessen Gebiet sie dann noch mit „Ein Thron und kein Geld“ (2 Bde., 1872) betrat – ersichtlich eine Menge geschichtlicher Nachweise gesammelt hatte, ist die Darstellung doch nirgends von einem wirklich poetischen Hauche verklärt, das einzelne eingewobene Factum von der Dichtkunst getragen. Das wundert jedoch Niemanden, der sieht, wie ihre Fruchtbarkeit sich auf eine verhältnißmäßig kurze Spanne Zeit zusammendrängt und nur unter der Aegide eines litterarischen Genius die Fülle frei empfundener oder der Vergangenheit des hinter ihr liegenden Jahrhunderts entlehnter Vorwürfe zu bewältigen vermocht hätte. Immerhin gewann ihr Stil infolge der zwei Decennien andauernden Schreibfixigkeit, die manches Platte und Unabgeschliffene, bei biographischen Vorlagen sogar Trocknes durchschlüpfen ließ, Glätte und Gewandtheit, der sprachliche Ausdruck Sicherheit, und die Tendenz der Schilderungen aus dem modernen Leben, die sich öfters dem Leihbibliotheksdurchschnitt bedenklich nähern, ist sittlich und social stets ehrenwerth.

Für das rein Lebensgeschichtliche, außer Brümmer, Lex. dtsch. Dicht. u. Prof. 4 I, 151 f., authentische Notizen der A. Bölte an den Unterzeichneten für seinen (im Druck verkürzten) Artikel in Brockhaus’ Konversationslexikon, 14. u. revid. Jubil.-Aufl., aus der daselbst gegebenen Charakteristik hier [95] mancherlei verwendet. Vgl. Hnr. Kurz, Gesch. d. dtsch. Lit. IV, 666 (u. ö.; s. Reg.), Bornmüller’s Biogr. Schriftstellerlex. S. 83 f., für die Anfänge des litterar. Wirkens auch R. Prutz, Die dtsch. Lit. d. Gegenw., 1848 bis 1858 II, 267 f.; kleine Bemerkungen Gottschall, D. dtsch. Nationallit. d. 19. Jhs. 5 IV, 298 u. 305, L. Salomon, Gesch. d. dtsch. Nationallit. d. 19. Jhs.² S. 320. Authentische Selbstbibliographie lieferte vor ihrem Tode die Bölte in Kürschner’s Litteraturkaldr. XIII, 86; bei S. Pataky, Lex. dtsch. Frauen d. Feder I, 84 f. nur Aufzählung der (30) Schriften. In Fr. Cohen’s (Bonn) Catalog (99) über Alexander Posonyi’s Autographensammlung (1900) Nr. 150 ein Brief von A. Bölte an Fr. Hebbel v. 20. März 1862, worin sie bittet, „öffentlich ein Wort über ,Harriet Wilson‘ (s. o.) fallen zu lassen“.