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ADB:Theoderich der Große

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Artikel „Theoderich der Große“ von Felix Dahn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 696–706, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Theoderich_der_Gro%C3%9Fe&oldid=- (Version vom 19. Dezember 2024, 18:18 Uhr UTC)
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Theoderich der Große, König der Ostgothen (a. 474/75–526). Seine Geschichte gliedert sich in die voritalische Zeit und in die italische, diese wieder in die Darstellung seiner Regierung im Innern und seiner Staatskunst nach Außen.

I. Voritalische Zeit. Th. war der Sohn des amalischen Fürsten Theodemer, der nach dem Tode seines Bruders, des Königs Walamer (s. beide Art.) diesem folgte, und einer Concubine Ereliva: solche Geburt schloß, falls der Vater den Sohn anerkannte, von dem Anspruch auf die Folge im Königthum nicht aus. Th. ward geboren zwischen 453 und 456, wahrscheinlich 454, an dem Tage, da seinen Vater die Siegesnachricht erreichte, König Walamer habe den Versuch der Hunnen, die Ostgothen in ihr Joch zurückzuzwingen, abgeschlagen: so ward Dietrich von Bern vom Sieg empfangen bei der Geburt. Als achtjähriger Knabe ward er als Geisel nach Byzanz gesandt: die zehn Jahre, die der Hochbegabte dort verbrachte als Liebling des Imperators Leo, „weil er ein feiner Knabe war“ („quia puerulus elegans erat“) wurden Grund bauend für die Entwicklung nicht nur Theoderich’s, – auch für die Geschichte seines Volkes und der Italier in dem später von ihm gegründeten Reiche; damals, in den entscheidungsreichen Jahren (vom 10.–18.) wurde die Empfänglichkeit, der Sinn, die Verehrung und Begeisterung für die antike Bildung, für das römische Wesen in dem Heranreifenden geweckt und ausgebildet, die den Ruhm des weisen Friedenskönigs Dietrich von Bern in Sage und Geschichte begründet haben, jene Milde gegen die Italier, die vor allem ihm den Beinamen des Großen eingetragen hat: schärfere Prüfung wird in jener edeln Schwärmerei für die Antike den letzten Grund finden, in welchem ein so zu sagen romantischer Idealismus, ein allzu vertrauender Optimismus seiner Staatskunst wurzelte.

Als achtzehnjähriger Jüngling aus Byzanz und der Vergeiselung in die Heimath an der Donau entlassen (c. a. 472), sammelt er, während der Vater in einem Feldzuge abwesend ist, um sich eine Schar von 6000 Speeren, überfällt, schlägt und tödtet auf eigne Faust einen feindlichen sarmatischen Chan, Babai, und bringt dem Vater dessen Schätze und Familie, behält aber die Stadt Singidunum (Belgrad) für sich, statt sie dem Kaiser, dem sie der Sarmate abgenommen, herauszugeben: ein kleines Vorspiel seiner späteren Handlungsweise, da er auch „für Byzanz“ Italien Odovaker entreißt, aber selbständiger als Byzanz gewollt hatte behält und beherrscht. Im folgenden Jahre (a. 473) [697] führte Theodemer sein Volk nach Mösien, vor seinem Tode empfahl er seinen Sohn Th. den Gothen zum Nachfolger, der denn auch (474/475) zum König gekoren ward, da die schon bewährte Waffentüchtigkeit den Anspruch des Blutes der Amaler bekräftigte: war doch eine ganze Reihe von Ostgothenkönigen aus diesem Geschlecht, dem „edelsten“, d. h. der Sage nach ältesten des Volkes hervorgegangen. Die Stellung Theoderich’s zu Byzanz vor seinem Abzug nach Italien wechselte häufig: die Gründe lagen nicht in Treulosigkeit oder Unstäte des Königs, sondern in den Verhältnissen, in der steigenden Volkszahl der Gothen, dem daraus folgenden Verlangen nach mehr und mehr fruchtbarerem Boden als Byzanz eingeräumt hatte oder einräumen wollte, endlich in Unzuverlässigkeit der vertragsmäßigen byzantinischen Jahreslieferungen an Getreide und Geld und in der arglistigen Staatskunst der Imperatoren, die einen der barbarischen Nachbarn und Eingelagerten durch den anderen in Schach zu halten suchten. So bedienten sich Kaiser Leo (461) und dessen Nachfolger Zeno (seit 474) eines andern nicht amalischen Führers gothischer Scharen, die wahrscheinlich früher von dem (in den alten Sitzen verbliebenen und hier von den Hunnen beherrschten) Hauptvolk der Gothen sich abgesplittert, die Donau überschritten und von den Römern Land zur Ansiedlung erhalten hatten. Deren Führer, Theoderich der Schieler (Strabo), Sohn des Triarius, mag das Haupt eines Adelsgeschlechtes, Gefolgsherr, Gaugraf gewesen sein, aber König – wie der Amaler Th. – war er nicht: daher läßt er sich byzantinische Würden verleihen und will von Byzanz als Herrscher seiner Scharen anerkannt werden: der Volkskönig Th. hat das nicht nöthig. Er, der Amaler, hatte den durch einen Anmaßer Basiliskus unter Strabo’s Mitwirkung vertriebenen Imperator Zeno wieder auf den Thron zurückführen helfen und dafür, sowie für Bekämpfung der Bulgaren, Reichthümer, die Würde des Patriciats, die Annahme zum Waffensohn (adoptio per arma) erhalten. Er hatte jedoch gegen dessen Willen an der untern Donau (später wenigstens war Novae, unterhalb Belgrad, sein Hauptsitz) eine gegen Byzanz wie gegen Strabo, der in Thrakien angesiedelt war, gesicherte Stellung eingenommen. Vergeblich bemühte sich Strabo, um deswillen den Imperator gegen Th. zu erbittern, vielmehr wird der Schieler, nachdem sein Anschlag auf Byzanz entdeckt ist, zum Feind des Staates erklärt. Als er aber nun gewaltig rüstet und seine Macht – und zwar auf Kosten Theoderich’s, von dem viele Scharen zu ihm übergehen – verstärkt, wendet sich der treulose Zeno dem nun stärker scheinenden zu und verspricht Bewilligung alle seiner Forderungen, falls er seinen Sohn als Geisel stelle. Erst als Strabo dies ablehnt und abermals in Byzanz eindringen will, ruft der Imperator wieder des Amalers Hülfe an: nur gegen dessen eidliches Versprechen, sich nie mehr mit Strabo zu verbünden, zieht Th. gegen Adrianopel an den Haemus. Allein hier trifft er statt des zugesagten byzantinischen Hülfsheeres Strabo, der ihm mit überlegener Macht Vernichtung droht, wenn er sich nicht mit ihm gegen den verrätherischen Kaiser wende, der nur einen von ihnen durch den Andern verderben wolle.

Gezwungen theils durch seine gefährliche Lage, theils durch den Willen seines Heeres, das, durch Strabo geschickt bearbeitet, sich weigert, länger gegen Volksgenossen für undankbare Verräther zu kämpfen und Abfall zu Strabo droht, nimmt Th., mit Grund erbittert, den Vorschlag an und beide Gothen wenden sich jetzt gegen Byzanz, Land, Getreidelieferungen, Geld und Anderes heischend. Jedoch dem arglistigen Zeno gelingt es, dies gefährliche Bündniß zu sprengen, indem er, da Th. seine Lockungen – die Hand der Tochter des Kaisers Olybrius und große Geldsummen – abweist und sich drohend ausbreitet, Strabo’s Eifersucht und Besorgniß weckt, und diesen auf seine Seite zieht, indem er ihm Unterhalt für 13000 [698] Mann und Rückgabe all seiner Würden gewährt, indeß er den König der seinen entkleidet. Neue Verhandlungen mit Th. scheitern: er schlägt die ihm angebotene Landschaft Pantalia (zwischen Stobi [Istib] in Macedonien) und Sardica [Sophia] in Bulgarien?) aus und erneuert im Bunde mit einem andern gothischen (vielleicht amalischen Führer) Sidimund die Feindseligkeiten, bis die von dem byzantinischen Feldherrn Sabinianus drohenden Gefahren ihn zu abermaligen Verhandlungen bewegen: er erbietet sich, falls er die Heerführerstelle (magister militum) Strabo’s und für sein Volk völlige Aufnahme in den Reichsverband erhalte, unter Vergeiselung von Mutter und Schwester, nach Wahl Zeno’s entweder sofort seine besten Krieger zu stellen und später die Seinen in ein anzuweisendes Gebiet zu führen oder Strabo aus Thrakien zu vertreiben oder – und das ist merkwürdig, weil hier schon Theoderich’s Gedanken sich auf Italien gerichtet zeigen – den vertriebenen, von Byzanz begünstigten weströmischen Imperator Julius Nepos aus seiner Verbannung in Dalmatien zurückzuführen: also (damals schon) Odovakar zu vernichten. Allein während der friedlichen Verhandlungen schlägt Sabinianus in treulosem Ueberfall bei Lychnidus Theoderich’s Bruder Theodemund aufs Haupt, erbeutet 2000 Wagen und 5000 Gefangene: diese Vortheile werden vor dem Kaiser noch übertrieben und der Kampf entbrennt aufs neue (a. 479). Gleichzeitig erheben sich zwei Anmasser wider Zeno, Strabo verkauft diesem seine Hülfe gegen schweres Geld, nimmt aber auch einen der Empörer bei sich auf, macht nochmals einen vergeblichen Versuch auf Byzanz und stirbt bald darauf an einer zufälligen Verwundung. Nun steht Th., des Nebenbuhlers ledig, vielleicht durch dessen zu ihm übertretenden Anhänger verstärkt, dem Kaiser bald als gefährlicher Feind, bald als nützlicher Freund gegenüber. So verheert er 482 Thessalien, erhält aber 483 als Consul designatus Land in Dakien und Mösien, a. 484 den Consulat, unterdrückt 485 zwei neue Empörungen wider Zeno und wird 486 mit der Ehre des Triumphes und einer Reiterstatue in Byzanz belohnt: aber schon 487 zieht er wieder drohend gegen diese Stadt, – Schwankungen, die sich wohl mehr aus der Noth des Gothenvolkes und seinen Unzufriedenheiten als aus der Treulosigkeit der beiden Herrscher erklären: ein Ende finden diese wirren Wechsel erst, als Th. im Auftrag des Kaisers aus jenen Ostlanden abzieht, um Odovakar in Italien zu vernichten und in jenem Land sich anzusiedeln mit seinem Volk als dessen König, aber den Italiern gegenüber lediglich als Statthalter, als Beamter des Kaisers – so wollte es dieser – und so hatte es Th. auch wohl übernommen. Der Stand unserer Quellen verstattet nicht, zu entscheiden, von wem der Plan ausging: man sollte glauben, vom Kaiser: denn dieser hatte, die Sache mochte ausgehen, wie sie wollte, jedesfalls den größeren Vortheil: erlag Th., so war er des gefährlichen Waffensohns und des hungernden Volkes für immer ledig – und in Italien war nichts schlimmer, als es war; erlag Odovakar, so herrschte an Stelle des niemals anerkannten Barbaren (s. Odovakar) ein Beamter des Kaisers in dessen Namen über die Italier und die unbequeme Nachbarschaft war ebenfalls entfernt. Für Th. aber war Italien ein Danaërgeschenk, das er erst dem Arm Odovakar’s entreißen mußte: wie stark dieser Arm war, sollte er in einem langen Kampfe lernen, der ihn und sein Volk einmal dem Untergang nahe brachte. Freilich gewann er im Falle des Sieges für sich und sein Volk eine unvergleichlich bessere Lage als in Dakien und Mösien. Dafür, daß Th. den Gedanken zuerst erfasste, spricht allerdings jener schon vor Jahren (478) doch wohl von ihm allein ausgehende Vorschlag. Jedoch die Natur der Dinge, die Gewöhnungen der arglistigen byzantinischen Staatskunst und das Zeugniß des wohlunterrichteten Procop wiegen schwerer als der romantische Bericht von Cassiodor – Jordanes, welche das Verhältniß zwischen Kaiser und König als schönste, nie [699] getrübte Freundschaft hinstellen. Sobald Th. die verfassungsmäßig unerlässliche Zustimmung seines Volksheeres – es hatte ja wiederholt selbst Veränderung seiner Zustände verlangt – eingeholt hatte, wurden die weit und breit zerstreut angesiedelten Schaaren versammelt und, abermals ein Wandervolk, wie vor dreihundert Jahren, da sie von der Ostsee an die Donau gezogen, brachen die Ostgothen nun (Winter 488) von der Donau auf nach Italien.

Die Zahl der Wanderer auch nur annähernd zu schätzen, ist bei dem Stande der Quellen nahezu unmöglich: sie wird meist zu hoch veranschlagt: da das ganze Volk vorübergehend Raum findet in der nicht allzu großen Stadt Pavia – neben deren Einwohnern – wird man ihm nicht viel über 200000 Köpfe zurechnen können: bringt später König Vitigis angeblich einhundertfünfzig Tausendschaften von Kriegern auf, so liegen dazwischen über vierzig Friedensjahre in Italien, in denen gewiß die Bevölkerung rasch zugenommen hatte. Uebrigens blieben manche Gothen in Thrakien zurück, während sich einzelne Byzantiner anschlossen. Der schwerfällige Zug ging höchst langsam von Novae, das rechte Donauufer über Singidunum (Belgrad), unter harten Kämpfen mit Bulgaren, Sarmaten und zumal Gepiden, die nur durch des Königs persönliche Tapferkeit bezwungen wurden, auch unter den Schrecken des Hungers, des Winters und der Seuchen über Sirmium (Mitrowitz), dann die Save hinauf und endlich auf steilen Bergwegen über Laibach hinab zum Isonzo, dem damaligen Grenzfluß Italiens. Gleich hier, an der Schwelle seines Hauses, trat Odovakar dem Angreifer entgegen, wie er denn mit richtigem Feldherrnblick die natürlichen Schutzlinien der Halbinsel – die Flüsse, die sie durchschneiden – zur Vertheidigung verwerthete; am 28. August 489 – so lange hatten die Wanderer, die ja Weiber, Kinder auf zahllosen Wagen, dann auch Unfreie und Herden mitführten, gebraucht! – erzwang Th. in glücklichem Anlauf den Uebergang. Odovakar suchte nun die Etschlinie zu halten: jedoch am 30. September siegte Th. abermals bei Verona, gewann diese Veste und bald darauf Mailand. Odovakar wandte sich gegen Rom, aber schon sperrte ihm die Stadt, dem Sendling des Imperators zufallend, die Thore. Odovakar behandelt nun die Campania feindlich und wirft sich in das feste Ravenna (Herbst 489). Seine Gefahr steigt, da sein Feldherr Tufa mit starkem Anhang zu Th. übergeht: allein sie bedroht plötzlich noch schwerer die Gothen, da jener mit den Seinen zu Odovakar zurücktritt und ihm zu Faënza die ihm anvertrauten Heerführer Theoderich’s mit ihren Schaaren ausliefert: ob dieser Rücktritt von Anfang geplant war, steht nicht zu erweisen. Nun muß Th., stark geschwächt, zurückweichen, verliert Cremona und Mailand und schließt sich mit all seinem Volk in Pavia ein (Frühjahr a. 490). Hier von dem Belagerer Odovakar hart bedrängt, wird ihm Entsatz und Verstärkung gebracht von jenen Westgothen, die unter Widemer (s. den Artikel und Theodemer oben S. 691) nach Gallien gezogen waren: er bricht aus Pavia hervor und gewinnt auch die nun von Odovakar vertheidigte Addalinie in einer dritten Schlacht (am 11. August 490). Nun wird dieser abermals nach Ravenna gedrängt und hier von drei Lagern eingeschlossen, seine Anhänger werden in ganz Italien an einem Tage von den zu Byzanz neigenden Italiern in einer Art sicilianischer Vesper ermordet, und Th. gewinnt selbst oder durch die zu ihm übertretenden Italier alles Land bis auf Caesena, Ariminum (Rimini) und Ravenna. Diese Festung der Sümpfe, Lagunen und Canäle war aber mit den damaligen Angriffsmitteln nicht durch Sturm zu nehmen, nur auszuhungern und das war unmöglich, solange die Belagerten durch Schiffe – deren Th. entbehrte – in der Hafenstadt Classis Zufuhr von der See erhielten. Andererseits gelang es Odovakar trotz heldenmüthiger Ausfälle nicht, die Linien der Belagerer zu durchbrechen und das feste [700] Lager in dem Pinienwald (Pinetum), den Schlüsselpunkt der gothischen Stellung, zu nehmen, Als ein überaus heftiger Ueberfall auf dasselbe abgeschlagen war (freilich nur mit knapper Noth: Theoderich ward von den Fliehenden bis an sein Zelt mit fortgerissen, wo ihm seine Mutter mit strafenden Worten entgegentrat: „du kannst nicht zurückfliehen in den Schoos, der dich getragen“ und ihn wieder in den Kampf trieb), umklammerte Th. die tapfern Vertheidiger noch enger und nachdem er durch die Eroberung von Ariminum in den Besitz von Schiffen gelangt war, sperrte er Ravenna auch vom Meere ab. Nun stieg der Hunger in der Stadt aufs höchste: nach dreijährigem heldenhaftem Widerstand ergab sich Odovakar unter Vermittelung des Bischofs der Stadt Johannes (24. Februar 493), am 4. März zog Th. als Sieger ein. Der Vertrag sicherte Odovakar, der seinen Sohn Thela als Geisel stellte, nicht nur das Leben, sondern auch die Freiheit: ja in königlichen Ehren gleich Th. sollte er in Ravenna gehalten werden (aber eine förmliche Mitregierung meinen wohl die Worte des Procopius nicht: solche Bedingungen brauchte der Sieger Th. nicht anzunehmen, konnte sie auch gar nicht mit seiner Sendung vereinen). Jedoch bald ward der Vertrag blutig gebrochen: Th. argwöhnte eine Wiedererhebung des so schwer bezwungenen Feindes – oder betheuerte doch solchen Argwohn – und zuvorkommend stieß er Odovakar in dem Palast Lauretum, wohin er ihn zum Mahle geladen hatte, mit eigner Hand nieder: – die einzige Blutschuld des weisen und edlen Mannes. (Genaueres s. unter Odovakar.)

II. Betrachten wir nun Theoderich’s innere Regierung in Italien, so finden wir ihn von Anfang an und in allen Beziehungen bemüht, das Verhältniß seiner Gothen zu den Italiern so freundschaftlich zu gestalten, diese unter der Einwanderung und Niederlassung jener so wenig leiden zu lassen, als irgend möglich. Diese Staatskunst der Milde, der Gewinnung der Römer war vor allem der Ausdruck der hohen begeisterten Verehrung, die Th. gegenüber der antiken Cultur und Geschichte hegte, – sie war aber auch die klügste Handlungsweise zum Vortheil des Königs selbst und seines Reiches: all’ diese germanisch-romanischen Mischreiche waren ja von der Gefahr bedroht, daß die an Bildung und an Zahl so unvergleichlich überlegnen Römer sich der als Barbaren und als Heiden oder noch tiefer als Ketzer verachteten und gehassten Eindringlinge, mit Gewalt – unter Hülfe des Imperators – entledigten: – eine Gefahr, der ja auch in der That Theoderich’s Reich bald nach dessen Tod erliegen sollte; denn die Erfolge der Byzantiner in jenem Kriege wurden ganz wesentlich durch den allgemeinen Abfall der Italier herbeigeführt.

Unermüdlich empfiehlt und befiehlt daher der König in seinen zahlreichen uns durch seinen Minister (praefectus praetorio) Cassiodor erhaltenen Verordnungen wie in seinem bald nach 500 erlassenen Edict den Gothen, „civiliter“ mit den Römern zu leben, nicht „höflich“, sondern nach Gesetz und Recht, Streit nicht durch den – streng verbotnen – Fehdegang, durch Richterspruch entscheidend: in diesem Sinne schreibt er einmal: „der Ruhm der Gothen ist die Einhaltung des Rechtsfriedens“ („laus Gothorum civilitas custodita“), so mahnt er die jüngst erst unterworfenen Gepiden um Sirmium, die noch von der alten germanischen Fehdesitte nicht lassen wollen: „ahmet unsere Gothen nach, die im Kriege tapfer für die Römer kämpfen, im Frieden aber nach Gesetz und Richterspruch mit ihnen leben.“ Daher verfolgt auch jenes (übrigens mit verschwindend kleinen Ausnahmen ganz aus dem römischen Recht geschöpfte) Edict vor allem die Zwecke, den Landfrieden zu wahren, Gewaltthat zu strafen, die Frauen, die Grundstücke und die zugehörigen Unfreien zu schützen. Daher mußte er denn auch vor allem, wollte er der Fehdelust jede Ausrede abschneiden, für rasche und reine Rechtspflege sorgen: dieser Zug trat so stark hervor in seiner [701] Regierung, daß alsbald die Volkssage in verschiedenen Wendungen Th. als den weisen, strengen, gerechten Richter verherrlicht hat.

Günstig für das Verhältniß der Gothen zu den Römern mußte wirken, daß diesen eine neue Landtheilung erspart blieb: die Gothen traten einfach in dem Verhältniß der hospitalitas an Stelle der Söldner Odovakar’s, die in und nach dem langen Kampf größtentheils den Tod gefunden hatten: jeder selbständige Gothe erhielt hiernach ein Drittel (tertia) des fundus eines italischen Possessors, das früher ein Söldner besessen. Ein besonders hierfür niedergesetzter Ausschuß von vornehmen Römern (und wohl auch Gothen) ordnete diese Verhältnisse der Ansiedelung. Auch hob Th. den Italiern gegenüber geflissentlich hervor, wie er ja nicht als fremder Eroberer, als unrechtmäßiger Anmaßer, sondern als vom Imperator beauftragter und vertragsmäßig anerkannter Statthalter von Byzanz über sie herrsche: er nannte selbst sein Reich „einen Theil des Römerreiches“. Freilich entsprach das durchaus nicht ganz, nicht immer der Wirklichkeit: wie wir sehen werden, gerieth ja der Beauftragte sogar in offenen Krieg mit seinem Bevollmächtiger und das ganze Verhältniß zu Byzanz war von Anfang an ein schiefes, unklares, unaufrichtiges (s. unt. III. „Aeußere Politik“).

Von der vorgefundenen römischen Verfassung und Verwaltung blieb Alles erhalten, was mit dem Bestand eines gothischen Königthums in Italien vereinbar war: so fast ohne Ausnahme das römische Aemterwesen, zumal auch die städtische Municipalverfassung mit curiae etc. (wie ja auch der Senat von Rom fortbestand): dies war höchst wichtig für das ganze Leben der Romanen, deren Cultur ja wesentlich an das Städtewesen geknüpft war: wir finden erklärlichermaßen viel mehr Römer als Gothen in den höchsten Aemtern: nur aus dem Heer waren die Italier ausgeschlossen – was ihnen wohl mehr als Wohlthat denn als Zurücksetzung schien – ausgenommen einzelne vornehme Römer, die als Anführer begegnen. Bei der Gleichberechtigung beider Völker versteht sich von selbst, daß Römer in nur römischen Fällen nach römischem Recht lebten. Der Grundsatz der angebornen Rechte, das Personalitätsprincip, ergab sich den Germanen in den Mischreichen jener Zeit von selbst aus ihrem Grundsatz von Genossenrecht und Genossengericht. Das Königthum selbst ward romanisirt, da Th. zu den knappen, mitgebrachten Rechten eines germanischen Völkerschaftskönigs, dem Heerbann und Gerichtsbann und sehr beschränkter Amtshoheit, die vorgefundenen imperatorischen Rechte: eine sehr ausgedehnte Amtshoheit, dann Finanz-, Kirchen- und Vertretungshoheit hinzuerwarb und zwar nicht nur auf die Italier beschränkte, auf die Gothen ausdehnte. Sein palatium, seine Tracht, seine Lebensweise, seine Titel zeigten jene Mischung von Römischem und Gothischem, die dem ganzen Staat das Gepräge gab. Bewundernswerth ist, wie dieser barbarische König für Erhaltung der Kunstdenkmäler in Rom, Ravenna und andern Städten Sorge trägt, welche die Römer verfallen lassen, ja nach einigen Jahrhunderten die Burgenbauten ihrer Adelsgeschlechter selbst zerstörten („Quod non fecere barbari, fecere Barberini“). Aber auch durch neue Bauten von Basiliken, Palatia, Bädern, Wasserleitungen verschönte Th. zahlreiche Städte Italiens: ja mit rührender Sorge auch um das kleine befiehlt er die Marmortrümmer alter Bauten, die er auf seinen Reisen in den Feldern verstreut sieht, aufzulesen und zu verwerthen.

Genauere Darstellung der Verfassung des Gothenreiches und auch von Theoderich’s Regierungshandlungen würde den hier gewährten Rahmen überschreiten. Betrachten wir nur noch seine Stellung zu der katholischen Kirche: diese bildet den Uebergang zu seiner auswärtigen Politik.

[702] Mit sorgsamster Beflissenheit suchte Th. die Gefahren zu vermeiden, die der Gegensatz der Bekenntnisse beider Völker im Schoose trug. Der arianische Ketzerkönig übte vollste Duldung gegen die katholische Kirche (allerdings auch zu Gunsten der Juden: als Christen eine Synagoge verbrannt hatten, mußten sie selbe auf eigne Kosten wieder herstellen): – er mischte sich nicht mehr als er mußte in das Leben der rechtgläubigen Kirche, deren Bischöfe er in höchsten Ehren hielt, ihren mächtigen Einfluß noch steigernd wie die Vorrechte der Kirchen und der Geistlichen. Odovakar hatte sich in einem Gesetz die Bestätigung der Papstwahl vorbehalten: Th. hatte die sehr weitgehenden Rechte des Imperators gegenüber dem Papst überkommen: er verzichtete aber lange völlig auf deren Ausübung, wie bei der Wahl von Anastasius II. (496–498) auf jenes Bestätigungsrecht: er mischte sich nicht in die Verhandlungen der zahlreichen Synoden, er duldete den höchst gefährlichen geheimen Verkehr der Päpste mit Byzanz. Nur nothgedrungen griff er in die Wirren ein, die (498) der Streit zweier gleichzeitig gewählter Päpste, Symmachus und Laurentius, zuletzt in blutigen Gefechten in den Straßen Roms tobend, hervorrief. Beide Parteien riefen die Entscheidung des Ketzerkönigs zu Ravenna als Schiedsrichters an. Th. nahm das an: er hätte nach jenem Gesetz Odovakar’s richterliche Entscheidung üben können; sie fiel – nach allen Regeln des Kirchenrechts – zu Gunsten des rechtmäßig gewählten Symmachus aus. Allein die Anhänger des Laurentius fügten sich nicht, erregten in Rom neue Unruhen, und verklagten Symmachus beim König wegen kirchlicher und auch weltlicher Vergehen. Th. übernimmt nun dies Richteramt als sein gutes Recht und lädt den Papst nach Ravenna, der Anfangs Folge leistet, aber plötzlich auf der Reise umkehrt und nach Rom, in das Asyl der Peterskirche, flüchtet. Da griff Th. schonend in der Form und doch, soweit es die Beilegung der argen Wirren erheischte, in der That kraftvoll ein und durch. Er bestellte Bischof Petrus von Altinum zum „Visitator“, der auf des Königs Befehl und in dessen Namen eine Synode (um Ostern 501) nach Rom berief. Die Versuche des Papstes und der Bischofe, des Königs Recht hierbei zu bestreiten, scheitern an dessen Festigkeit und Klugheit: er wahrt in diesem frühesten Widerstreit einer germanischen Staatsgewalt mit dem Papstthum und der Kirche erfolgreich und sieghaft sein Recht. Mit dem schließlich nach dem Willen des Königs und der folgenden Synoden (23. October 501) der „Palmarischen“ (November 502, dann 503, 1. October 504) allein und allgemein anerkannten Papst Symmachus sowie mit dessen Nachfolger Hormisdas (514–529) kam es nicht zu neuem Streit: Th. mischte sich nicht in die päpstlichen Bemühungen, das Schisma mit der oströmischen Kirche und dem Kaiser Anastasius II. beizulegen. Als aber (523) im byzantinischen Reiche Theoderich’s Glaubensgenossen, die Arianer, grausam vom Imperator verfolgt wurden, zwang er den widerstrebenden neuen Papst Johannes I. mit vier Senatoren nach Byzanz zu reisen, dort die Einstellung solcher Bedrückung zu erwirken. Der Papst kehrte unverrichteter Dinge zurück: inzwischen hatte sich das Verhältniß des Königs zu seinen römischen Unterthanen auf das äußerste verschlimmert (s. unten): schwer gereizt, zürnte er schwer, sein Argwohn verfolgte jeden Schein von Schuld: so ward auch der Papst in Haft genommen, in der er (am 11. Mai 526) starb und nun, in so erregter Zeit und gefährdeter Lage, machte Th. von dem ihm von den Imperatoren überkommenen, von Odovakar gewahrten und geübten, freilich früher einmal von einer Synode von 502 angestrittenen und von Th. damals nicht hiergegen ausdrücklich behaupteten Recht Gebrauch, den Papst zu ernennen: er wählte den allgemein als tüchtig anerkannten und milden Felix IV.: die Kirche hat dagegen nicht Einspruch erhoben, wie denn auch der König als Nachfolger der Imperatoren zweifellos im Recht war. Schon sechs Wochen [703] darauf starb Th. Die Verhältnisse zu dem Papstthum führen uns von selbst zu des Königs Beziehungen zu Byzanz und zu seiner auswärtigen Politik überhaupt.

III. Mit der ihr eignen Wahrhaftigkeit und Klarsichtigkeit hat die echte Volkssage in Th. als „Dietrich v. Bern“ die Friedfertigkeit des Helden hervorgehoben. Nur mit äußerstem Widerstreben, nur nothgedrungen, nach harter Scheltrede seines alten Waffenmeisters Hildebrand, zieht Herr Dietrich das Schwert, um freilich dann – er allein – Herrn Sigfrid von Niederland selbst zu überwinden. Nach der Vernichtung Odovakar’s und der Ansiedlung seines heimathlosen Volkes in Italien hat Th., unstreitig der mächtigste König des Abendlandes, immer nur zur Vertheidigung die Waffen geführt.

Abgesehen von der Unterwerfung gepidischer Gaue um Sirmium und der Züchtigung hunnischer Schaaren, die unter byzantinischer Hülfe in räuberischen Einfällen die Grenzen beunruhigt hatten, kamen nur zwei Mächte als Feinde in Betracht: das Frankenreich und Byzanz. Dort hatte der jugendliche Meroving Chlodovech, mit fünfzehn Jahren König, mit zwanzig Jahren die letzte Insel römischen Besitzes in Gallien – das Gebiet des Syagrius um Soissons – erobert: eine ganze Reihe von Städten, die bis dahin noch römische Besatzung gehabt oder doch nicht dem Merovingenreich angehört hatten, schlossen sich durch Vertrag nun diesem an, desgleichen die bis dahin, d. h. nach Abzug der Römer, unabhängigen Kelten in Aremorica und alsbald bedrohte dieser Chlodovech wie ein fressendes Feuer all seine Nachbarn. Th. erkannte klar – das erhellt aus seinen damals an den Meroving selbst und an zahlreiche andere Germanenkönige gerichteten Schreiben – die gewaltige Gefahr, die dieses jugendliche Reich, dieser jugendliche König über alle Staaten des Abendlandes bringen konnte, ja wollte. Und ganz besonders – wenn auch nicht ausschließend – um der gefährlich anwachsenden Macht des Frankenreiches zu begegnen, betrieb der weise vorschauende und friedfertige König jene Staatskunst der Bündnisse, der Verschwägerungen, durch die er sein Reich gegen den Franken und zum Theil wohl auch gegen Byzanz schützen wollte, indem er seinerseits diesen Schwächeren Beistand gegen das Merovingenreich und, was Vandalen und selbst Westgothen anlangt, auch wider Byzanz verheißt. Ganz planmäßig verfuhr er hierbei: er selbst vermählte sich mit einer Schwester Chlodovech’s, Audefleda, die bei diesem Anlaß vermuthlich den Arianismus ihres Gatten annahm, seine beiden Töchter, Theodegotho und Ostrogotho, den Königen der Westgothen und der Burgunden, Alarich II. und Sigismund, seine Schwester Amalafrida dem Könige der Vandalen in Afrika, Thrasamund (s. diesen Artikel), seine Nichte Amalaberga dem Könige der Thüringe, Hermanfried (s. A. D. B. XII, 188), während er den König der Heruler zum Waffensohn annahm (adoptio per arma). Zum Frieden mahnende Briefe Theoderich’s an Chlodovech, zum Anschluß an das Ostgothenreich mahnend an jene andern Könige aus jener Zeit sind uns erhalten: darin fehlt auch nicht der Ausdruck des Stolzes auf die überlegene Bildung im Ostgothenreich, z. B. gegenüber dem König der Thüringe und Gundebad, dem andern Theilkönig der Burgunden. Auch die Könige der Warnen und sogar die fernen Esthen an der Ostsee erkannten durch Gesandtschaften und Geschenke – die Esthen schickten ihren Bernstein – das Ansehen des in Italien herrschenden Gothenkönigs an. Allein all’ diese weise viel bemühte Friedensstaatskunst blieb ohne greifbaren Erfolg: denn es gelang nicht, die befreundeten Staaten zu einem festen Bündniß gegen die Franken oder gegen Byzanz zusammenzuschließen, geschweige denn eine Obergewalt des Ostgothenreiches über sie zu begründen. Chlodovech ließ sich durch die schönen Worte, die Cassiodor auf seines Königs Geheiß an ihn richtete, nicht abhalten: er unterwarf, nachdem er auch die Thoringe am linken Rheinufer bezwungen hatte, die Alamannen im Elsaß und [704] auf dem rechten Rheinufer: nur die „müden Reste“ des Volkes, die sich nach Rhätien (Graubünden, Engadin) geflüchtete hatten, also auf ostgothisches Gebiet, barg Th. schützend unter seinem Schild, Chlodovech von weiterer Verfolgung abhaltend. Bald darauf führte Chlodovech, der durch Annahme des Christenthums in dem katholischen Bekenntniß die Bundesgenossenschaft des gallischen Episcopats und die Zuneigung aller Katholiken, auch in den Nachbarländern, gewonnen, sein Heer zum katholischen Kreuzzug gegen die arianischen Westgothen im Bunde mit dem burgundischen Theilkönig Gundebad (s. A. D. B. X, 130): Theoderich’s Eidam, Alarich II. (s. A. D. B. I, 175), verlor auf den vocladischen Feldern (bei Vouglé) Sieg und Leben und der Meroving schickte sich an, dem noch unwehrfähigen Enkel Theoderich’s, Alarich’s II. Söhnlein Amalarich, der nach Spanien geflüchtet ward, alle gothischen Besitzungen in Gallien zu entreißen, während ein Bastard Alarich’s II., Gesalich, statt des Unmündigen sich die Herrschaft anmaßte, aber alsbald Bordeaux, Narbonne und Toulouse an die Franken verlor. Da mußte Th. einschreiten: nicht nur der Schutz des Enkels, die Selbsterhaltung heischte die Zurückdämmung der fränkischen Waffenfluth. Spät genug erschien ein Gothenheer in Gallien: höchstwahrscheinlich in verabredeter Mitwirkung hatte ein Angriff des byzantinischen Kaisers Anastasius mit der Flotte auf die gothischen Küstenstädte Theoderich’s Macht gleichzeitig (a. 507) in Italien festgehalten: nach Abwehr dieser Raubfahrten überschritten die gothischen Tausendschaften unter Graf Ibba (a. 508) die Seealpen, entsetzten das von einem Verschwägerten des Königshauses, Graf Thuluin, tapfer vertheidigte Arles, schlugen Franken und Burgunden aufs Haupt, überschritten den Rhone und brachten auch Carcassonne Entsatz (508–510). Ein Friede ward geschlossen (oder trat thatsächlich ein), der abermals die weise Mäßigung Theoderich’s bezeugt: die Franken behielten einen großen Theil ihrer Eroberungen, aber Th. rettete für seinen Enkel den Rest und nahm selbst das Gebiet zwischen Rhone, Durance und Meer für sich in Besitz, während Ibba den Anmaßer Gesalich in zwei Feldzügen in Spanien vernichtete (a. 511). Nun führte Th. als Muntwalt seines Enkels die Regierung im Westgothenreich durch seinen Waffenträger Theudis (s. den Artikel): als aber dieser, mächtig geworden im Lande durch Heirath mit einer spanischen Grundeignerin, sich thatsächlich unabhängig machte, nur der Form nach die Abhängigkeit von Th. anerkennend, unterließ dieser die Bestrafung des Empörers und begnügte sich mit jenem Schein. Noch einmal mußte Th. in Gallien einschreiten, als der burgundische Theilkönig Sigismund nach Ostrogotho’s Tod deren und seinen Sohn, Theoderich’s Enkel, Sigerich, ermordet hatte (a. 522) und die Söhne des 511 verstorbenen Chlodovech ganz Burgund zu erobern auszogen: Th. sandte ein Heer unter Graf Thuluin und gewann ohne Schwertstreich durch Abtretung von Seite des Nachfolgers Sigismund’s, Godomar (s. A. D. B. VI, 321), ein erhebliches Gebiet des Burgundenreiches westlich der Durance. Das sind die Kämpfe Theoderich’s nach Vernichtung Odovakar’s alle. Wir sahen, es hat die Heldensage diese Friedfertigkeit nicht vergessen: aber auch nicht das Andere, daß nur Dietrich Sigfrid bezwingt, dessen Hornhaut schmilzt vor dem Feuerathem, der Dietrich, wann er zornig wird, aus dem Munde fährt: – ein mythischer Zug, der den Schützer des Ackerbaues, des Friedens, der Gesittung und Cultur auf Thôrr-Donar zurückführt: selbstverständlich hat das Nibelungenlied vor allem mythische Grundlage (Sigfrid = Baldur), allein wie die Schlacht der Burgunden und Hunnen von 438 ist auch die Bezwingung Herrn Sigfrid’s von Niederland (d. h. der Frankenmacht) nur durch den Vogt von Bern eine geschichtliche Grundlage. – Die letzten Tage Theoderich’s wurden verdüstert und verbittert durch den Undank der Italier und den bevorstehenden Kampf mit Byzanz und dem Katholicismus. Das Verhältniß [705] zum Imperator war von Anbeginn ein schiefes, unaufrichtiges gewesen. Daß Th. auch als König der Italier – nicht nur der Gothen – auftrat, daß er über Italien kraft eignen Rechts der Eroberung und keineswegs nur als Statthalter des Imperators herrschte, – all’ das war sehr gegen die Absicht und Meinung gewesen, in der ihn Byzanz gegen Odovakar entsendet hatte und ward dadurch nicht beseitigt, daß Th. seine Unterordnung unter den Imperator, die Zugehörigkeit seines Reiches zu dem einen und untheilbaren „imperium“ wiederholt feierlich betheuerte. Wir sahen, daß es zweimal sogar zu offenem Kampfe mit den Byzantinern kam. (Später haben daher Justinian und Belisar den Gothen jedes Recht an Italien abgesprochen, zumal seitdem an Stelle der Amaler Könige gewählt wurden, die in Byzanz als „tyranni“ galten). Als nun aber auch noch der Gegensatz der Bekenntnisse dadurch verschärft ward, daß Byzanz die Glaubensgenossen Theoderich’s, die Arianer, hart verfolgte, überhaupt das rechtgläubige Bekenntniß als Regierungsmittel verwerthete, ward die niemals durch alle Milde Theoderich’s gegen die Italier, ja die Verhätschelung der Römer geheilte Feindseligkeit gegen die Barbaren und Ketzer auf das gefährlichste gesteigert. Hochverrätherische Verbindungen vornehmer Römer – Senatoren und Bischöfe – wurden von einem Römer selbst angezeigt: der erzürnte König ward durch den edeln, aber allzu freimüthigen Trotz eines Mannes wie Boëthius, der auf das höchste von ihm geehrt worden war, noch ärger gereizt, ein Todesurtheil, das übrigens nicht der barbarische „Tyrann“ fällte, sondern der Senat selbst, das zuständige Gericht aussprach, ward an Boëthius und dessen Schwiegervater Symmachus vollstreckt. Der Papst, von seiner unfreiwilligen Gesandtschaft nach Byzanz zurückgekehrt, ward in den Kerker geworfen, wo er starb und bei Theoderich’s Tod fürchtete man allgemein den Ausbruch einer Erhebung der Italier wider die Barbaren: weise zwar hatte der König noch seinem Enkel Athalarich (dessen Vater, der Amaler Eutharich aus Spanien, war schon früher gestorben) die Nachfolge im voraus gesichert: allein dieser Enkel war ein Kind und an seiner Statt führte ein Weib, Theoderich’s Tochter Amalaswintha, hochbegabt und reich gebildet, aber mehr der griechisch-römischen Cultur als dem gothischen Volksthum zugewandt.

Th. ward bestattet in dem großartigen Grabmal, das ihm seine Tochter zu Ravenna errichtet hatte: es ist bis heute erhalten. Aber Undank und Glaubenshaß ließen den hochsinnigen Helden auch im Grabe nicht ruhen: alsbald hatte ein frommer Einsiedler ein Gesicht, in dem er Theoderich’s Seele zur Strafe für seine Härte und Grausamkeit gegen die rechtgläubige Kirche in dem Feuerpfuhl unter den (vulkanischen) liparischen Inseln braten sah (ähnlich wie zwei Jahrhunderte später die Seele Karl Martell’s, des Erretters der abendländischen Kirche vor dem Islam, von den Frommen in der Hölle brennend gesehen wurde).

Mit Trauer muß man sagen, daß Th., der vermöge seines schönen edelsinnigen Idealismus den Beinamen der Große wohl verdient hat, als Staatsmann gerade vermöge dieses zu weit gehenden Idealismus gescheitert ist: er baute das Werk seines Lebens – sein Reich – auf den Glauben, die Träger römischer Cultur, römischer Erinnerungen und der römischen Kirche mit barbarischen Ketzern versöhnen zu können: dieser Glaube war ein schöner Wahn: ein Menschenalter nach seinem Tod ging sein Reich in blutigen Kämpfen unter.

Quellen und Litteratur: s. unter Theodemer; außerdem s. die Angaben Könige II, III und IV und von seither Nachgewachsenem: Cassiodori Variarum libri XII ed. Th. Mommsen, auctor. antiquissim. 1894. – Monumenta Germaniae historica: Ennodii opera ed. Vogel, ebenda XII. 1885 – [706] Padelletti, fontes juris Italici medii aevi I. 1877. (Die Edicta Theoderich’s und Athalarich’s, diese auch Könige IV und in den Monum. Germ. hist. Leg. III, 1863 durch Bluhme.) – Mommsen, ostgothische Studien, Neues Archiv XIV. – Hodgkin, Italy and her invaders III. London 1885. – The Letters of Cassiodorus 1886. – Garollo, Theodorico re dei Goti e degli Italiani. Firenze 1879.