Zum Inhalt springen

ADB:Forster, Georg (Naturwissenschaftler)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Forster, Johann George Adam“ von Alfred Dove in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 7 (1878), S. 172–181, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Forster,_Georg_(Naturwissenschaftler)&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 18:09 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Forster, Reinhold
Nächster>>>
Forster, Sebastian
Band 7 (1878), S. 172–181 (Quelle).
Georg Forster bei Wikisource
Georg Forster in der Wikipedia
Georg Forster in Wikidata
GND-Nummer 118534416
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|7|172|181|Forster, Johann George Adam|Alfred Dove|ADB:Forster, Georg (Naturwissenschaftler)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118534416}}    

Forster: Johann George Adam F., hervorragender Prosaschriftsteller, namhaftester Parteigänger der französischen Revolution in Deutschland, geb. am 27. Nov. 1754 zu Nassenhuben bei Danzig (streng genommen im Dörfchen Hochzeit, auf dessen Grund das Nassenhubener Pfarrhaus stand), † in Paris am 10. Jan. 1794. Georg, eigentlich George F., der älteste Sohn Joh. Reinhold Forster’s, verbrachte über die Hälfte seines kurzen Lebens in so enger Gemeinschaft mit dem Vater, daß durch dessen Wesen und Schicksal seine eigene Entwicklung und Haltung fast durchaus verhängnißvoll bestimmt ward. Die ersten zehn Jahre der Kindheit verliefen ihm, frühe Kränklichkeit abgerechnet, verhältnißmäßig friedlich und glücklich im bescheidenen Pfarrhaus und dessen ländlicher Umgebung. Da er zeitig ernst, geistig ungemein regsam und höchst lernbegierig erschien, so war es dem vielseitigen Vater die größte Freude, ihn selber zu unterrichten; außer den Anfängen des Latein und Französischen und der religiösen Lehre ward, und zwar von Georg, der den Vater erst dazu fortriß, mit erklärlicher Vorliebe, Naturgeschichte, besonders Kräuterkunde theoretisch und praktisch betrieben; zumeist [173] in fröhlichem Umherschweifen, wodurch gewiß der Blick des Knaben früh geweckt, aber auch schon damals der Keim der Unstetigkeit in seine Seele gelegt ward. Während der russischen Reise, mit der für beide F. das gemeinsame Wanderleben beginnt, diente dann, im Sommer 1765, Linné’s System dem zehnjährigen Georg als beständiges Handbuch; manche Stunde, wenn der Vater ausruhte, ist er in der Wolgasteppe auf eigene Faust botanisiren gegangen. Von Saratow nach Petersburg zurückgekehrt, ließ sich Reinhold F. doch bewegen, den Sohn in die von Büsching eingerichtete Petrischule zu schicken, wo er dreiviertel Jahr lang sich mit geschwindem Talent in den Sprachen, darunter auch der russischen, fortbildete und von den verschiedenen Realfächern vorzüglich für die Statistik eigenthümliche Theilnahme bewies. Leider ward dieser methodische Unterricht schon im Sommer 1766 durch die Uebersiedlung nach England jäh unterbrochen; ja der kaum zwölfjährige Georg mußte hier alsbald sogar an die Erwerbsarbeit mit Hand anlegen, indem er Lomonossow’s russische Chronologie ins Englische übertrug, das er sich schon unterwegs an Bord angeeignet. Dann that ihn Reinhold zu einem Londoner Kaufmann in die Lehre, wo er seiner Sprachkenntnisse wegen geschätzt, aber auch mit aufreibender Beschäftigung so überhäuft ward, daß er in schwere Krankheit verfiel; nach mühsamer Heilung zog ihn deshalb der Vater bereits im Herbst 1767 zu sich nach Warrington in Lancashire, wo sich der Knabe zugleich endlich wieder mit Mutter und Geschwistern vereint fand. In Warrington genoß Georg F. abermals nicht ganz ein Jahr lang mannichfacher Unterweisung auf der Dissenterakademie, sah sich indeß, als Reinhold seine Stellung an dieser Anstalt aufgab, zu neuen Gehülfendiensten beim Sprachunterricht, wie bei der litterarischen Thätigkeit des Vaters genöthigt; besonders nachdem beide im Herbst 1770, der trügerischen Aussicht auf eine ostindische Reise folgend, in die englische Hauptstadt zurückgezogen waren. So ist wenigstens die Uebersetzung der fremden Reisebeschreibungen, welche Reinhold F. hier 1770–71 mit gelehrten Anmerkungen versehen herausgab, das Werk des sechzehnjährigen Sohnes. In der gleichen Rolle des treuen Gehülfen, die ihm auch bei den mancherlei vorbereitenden naturforschenden Studien und Excursionen auf britischem Boden zugefallen war, hat dann Georg vom Juli 1772–75 auf der dreijährigen Weltfahrt Cook’s dem Vater zur Seite gestanden. Vornehmlich die Zeichnung der neuentdeckten, die Zubereitung und Ordnung der gesammelten Thiere und Gewächse bildete sein Amt, dem er sich mit ebensoviel Eifer als Sorgfalt unterzog; überhaupt jedoch bewährte er sich in jugendlicher Frische und Gewandtheit als ein überaus nützlicher Gefährte des energischen Mannes; selbst die üblen Folgen von Reinholds leidenschaftlichem Betragen sind am meisten durch Georgs persönliche Liebenswürdigkeit abgewandt worden. Für sich selbst trug dieser natürlich von der Fülle großartiger, in ihren schroffen Contrasten doppelt lebhafter Anschauungen, die ihm so im empfänglichsten Alter von siebzehn bis zwanzig Jahren zutheil ward, die tiefste Wirkung auf sein inneres Dasein davon; allein auch nach außen sieht man ihn gleich nach der Heimkehr ungeachtet seiner Jugend mehr und mehr selbständig hervortreten. Wie billig, nahm er zunächst an der Ernte der botanischen Forschung Theil; schon 1776 trat er mit Reinhold gemeinschaftlich als Darsteller der „Characteres generum plantarum“ auf und erlangte dadurch die Auszeichnung der Aufnahme in die Royal Society und andere gelehrte Vereine. Von größter Bedeutung aber ward für ihn, daß die Admiralität dem älteren F. die Abfassung der Reisebeschreibung untersagte; denn nun übernahm Georg, um das mißgünstige Verbot zu vereiteln, dieselbe aus Reinholds Tagebüchern auszuarbeiten, was ihm freilich nur als eingeweihtem Fahrtgenossen möglich war, und ließ das rasch vollendete Buch 1777 unter eigenem Namen erscheinen. Und in der That ist diese englische Ausgabe [174] („A voyage round the world“ etc.) formell unstreitig seine Leistung, materiell dagegen darf ihm davon, zumal von dem wissenschaftlichen Inhalt nur wenig zugerechnet werden. Gesteht er doch selbst in einem vertrauten Briefe (vom 19. September 1775), daß er sich unterwegs nur ganz allgemeine Anmerkungen gemacht, die, aus einem besonderen Gesichtspunkte gezogen, lediglich für seine Freunde, nicht für das Publicum bestimmt waren. Man wird kaum fehlgreifen, wenn man das hier allerdings erst spärlich auftauchende Moment der Stimmung, das sich in Georg Forster’s späteren Schilderungen charakteristisch geltend macht, während es dem objectiven Sinne des Vaters fremd ist, auf solche eigenen Aufzeichnungen zurückführt. Wie dem auch sei, es kann nicht Wunder nehmen, daß der junge Autor bald gegen die Kritik des Astronomen der Expedition, Mr. Wales, seine litterarische Ehre zu vertheidigen hatte, doch that eben diese Streitschrift an sich, wie andere, die er (1778–79) wider die Göttinger Recensenten und wider Lord Sandwich richtete, seine schriftstellerische Fähigkeit unzweifelhaft dar. Da inzwischen alles darauf ankam, die drückende Noth zu lindern, in die Reinhold F. sammt den Seinen durch den Conflict mit dem Ministerium gerathen war, so ward in unmittelbarem Anschluß an die englische Reiseschilderung schon 1776–77 für den Berliner Verleger Spener ein deutscher Text gefertigt, der freilich erst 1779–80, ergänzt mit Rücksicht auf Cook’s Bericht, als Georg Forster’s Arbeit erschien; doch stammt diese vielgelesene deutsche Ausgabe wirklich nur zur kleineren Hälfte aus seiner Feder, die größere Masse der Uebersetzung hat der berüchtigte Rudolf Erich Raspe geliefert, der, wegen Münzdiebstahls von Kassel aus steckbrieflich verfolgt, 1775 in England Zuflucht und im Forster’schen Hause eine Zeit lang durch solche Beschäftigung Unterhalt fand. Dem Tagesinteresse diente die kleine Biographie des englischen Schwindlers W. Dodd, die Georg F. 1777 auf Spener’s Bestellung für das deutsche Publicum verfaßte; und so war er überhaupt in jenen traurigen Jahren trotz hemmender körperlicher und geistiger Leiden mit angestrengtem Fleiße vergeblich bemüht, das Elternhaus vor dem wirthschaftlichen Ruin zu bewahren. Auch ein Besuch, den er im October 1777 in Paris machte, wo ihn besonders Buffon mit freundlicher Aufmerksamkeit empfing, führte ihn dem Ziele seiner kindlichen Wünsche nicht näher. Mit desto schwererem Herzen verließ er daher ein Jahr später, im October 1778, das britische Gestade und ging über Holland nach Deutschland, um die Hülfe der Nation und vor allem der Fürsten zur Erlösung der Seinen anzusprechen. Noch eh’ es ihm aber damit gelang, ward ihm selber fast ohne sein Zuthun nach so langem Irren, Harren und Darben die erste wirthliche Stätte bereitet; hier endlich scheidet sich sein Lebensweg von dem des Vaters, erst mit dieser Einkehr in Deutschland gewann Georg F. zugleich mit der Bestätigung seiner ursprünglichen Nationalität seine volle Eigenthümlichkeit, an der freilich die Spuren des unregelmäßigen Ganges seiner bisherigen Entwicklung allezeit haften blieben.

Was F. allerorten die wärmste Aufnahme bereitete, nachdem er im November 1778 den deutschen Boden betreten, war einmal das natürliche Interesse, welches die geistig hocherregte, aber äußerlich in enge Kreise gebannte Gesellschaft dem lebendigen Zeugen einer gepriesenen Großthat des Zeitalters, dem Besucher und Schilderer der Antipoden entgegentrug; nicht minder wirksam aber erwies sich dafür die herzgewinnende Persönlichkeit des vierundzwanzigjährigen Reisenden. Was er etwa an cholerischer Anlage vom Vater ererbt, war durch den Druck, den dessen übermächtige Natur auf den Sohn ausgeübt, durch die frühe Bewegung in freier und bunter Welt, durch physische Gebrechlichkeit, die infolge der schlechten Kost auf der Seefahrt noch zugenommen, am meisten aber durch die moralische Qual der letzten Nothjahre hinweggeräumt worden; an das heiße [175] Blut Reinhold’s erinnerte nun bei Georg nur noch ein enthusiastisches Feuer der Empfindung, das ihn der damals vorherrschenden Generation von Haus aus als einen Gemüthsverwandten empfahl. Gleich in Düsseldorf erwarb er dadurch die innige Freundschaft F. H. Jacobi’s und der Seinen, wodurch er sich alsbald persönlich in den Bereich der aufstrebenden Litteratur eingeführt sah, von deren Schaffen er bereits seit der Rückkehr nach Europa durch Lectüre Kenntniß genommen. In Kassel, wo er im December verweilte, gewann ihm die Verbindung von anschmiegender Feinheit und offenem Freimuth in seinem Wesen, kurz die Haltung des Gentleman, die er niemals verloren hat, in hohem Grade die Neigung des Ministers v. Schlieffen, ja das Wohlgefallen des Landgrafen selber; eben hier ward er, vergebens bemüht, diese Gunst auf seinen Vater abzulenken, durch die eigene Anstellung als Professor der Naturgeschichte am Carolinum überrascht, erhielt jedoch noch Urlaub bis zum Frühjahr 1779, um das Hauptziel seiner Reise, Berlin, erreichen zu können. In Göttingen sodann, wo er im Januar eintraf, erschloß sich ihm mit gleicher Leichtigkeit der Kreis der angesehensten Gelehrten; besonders mit Lichtenberg trat er in nahe Verbindung; die philosophische Facultät insgesammt ehrte ihn durch den Magistertitel. Und so ging’s fort in Braunschweig auf dem Hinwege wie auf der Rückreise in Dessau, wo die Höfe wetteiferten, ihm opferwillige Theilnahme zu beweisen. In Berlin selbst, dessen geistiger und geselliger Ton ihn heftig abstieß, gelang es ihm doch, die Berufung des Vaters nach Halle einzuleiten, während er für sich bei dortigen Buchhändlern die Erlaubniß erwirkte, die contractlich übernommenen und zum Theil im voraus honorirten Arbeiten fern von Berlin an seinem neuen Wohnsitz auszuführen. Ende März 1779 nach Kassel zurückgekehrt, hat F. daselbst, mehrere Ausflüge nach Göttingen und einen Besuch in Halle abgerechnet, bis zum April 1784 einen fünfjährigen ungestörten Aufenthalt geführt, der ihm, wohl angewandt, für sein ganzes späteres Leben Halt, vielleicht sogar Glück hätte gewähren können. Zum Docenten fühlte er zwar durchaus keinen Beruf in sich, allein die äußerst geringen Anforderungen, die in dieser Hinsicht an ihn gestellt wurden – eine öffentliche Vorlesung an dem ganz unbedeutenden Carolinum und wenige Stunden geographischen und deutschen Unterrichts am Cadettencorps – ließen ihm reichlich Muße, die Lücken seiner eigenen Bildung auszufüllen und den rühmlichen Namen in der wissenschaftlichen Litteratur, den ihm bis dahin mehr sein Schicksal zugespielt, durch ernste Arbeit wirklich zu verdienen. Was ihn daran dennoch verhindert hat, waren schwerlich die äußeren Umstände, die er vorwandte, wie daß seine Bücher, Karten und Sammlungen bei der Ueberfahrt durch Schiffbruch versehrt worden, oder daß es am Orte selbst an einer Bibliothek wie die Göttinger gebrach; auch die Aufsicht über das Naturaliencabinet, die ihm ein Jahr nach seinem Eintritt in Kassel übertragen ward, bot eher Vortheil als Nachtheil. Aber wie ihm die Jugend verronnen war ohne Heimwesen und Schulzucht, hatte F. überhaupt nicht gelernt, sich geistig zu sammeln; nur geübt, in Uebersetzungen und Beschreibungen seine eigenen Gedanken kurzerhand aus fremden, oder höchstens aus sinnlichen Anregungen abzuleiten, fühlte er sich außer Stande, mit tieferem Griff aus sich selbst zu schöpfen. Vor allem jedoch war ihm unter dem wohlmeinenden, aber despotischen Regiment des Vaters die Energie des Willens auf die Dauer geknickt worden, sodaß ihn jedes Hemmniß entmuthigte, anstatt seine Kraft zu reizen. Und daß es an solchen Hemmnissen niemals fehlte, dafür war leider durch eine Untugend gesorgt, die er direct vom Vater überkommen, durch die Unfähigkeit, wirthschaftlich hauszuhalten, die Gewohnheit, zu borgen, vorweg zu verzehren und deshalb, was er producirte, stets im Zwange und also selten mit mehr als halber Freude hervorzubringen. Zu alledem kommt indeß noch eine sonderbare [176] geistige Verirrung, in die F., überschwänglich gestimmt, wie er war, in jenen Kasseler Jahren gerieth. Schon 1778 in London hatte er mit dem gleichalterigen S. Th. Sömmerring, der damals im Forster’schen Hause vorsprach, die herzlichste Freundschaft geschlossen und ein Jahr später gern dazu geholfen, den namhaften jungen Anatomen nach Kassel zu ziehen. Soviel er dann aber im trautesten Umgange mit dem in wissenschaftlichen Dingen weit überlegenen Freunde gewann, ebensoviel verlor er durch die Theilnahme an dem derzeit in Kassel blühenden Orden der Rosenkreuzer, dem beide etwa 1780 gemeinsam zugeführt wurden. Weich und erregbar wie immer, ging F. auf alle mystischen und alchymistischen Thorheiten des Geheimbundes lebhaft ein, plagte sich, so entschieden auch seine Natur zu frohem Genusse neigte, mit trüber Askese und verdarb die kostbarste Zeit mit ehrlicher, aber fruchtloser Schwärmerei, auf die er, als endlich im Winter 1783 beide Freunde fremden Betrug und eigene Illusion durchschauten, bestürzt als auf einen wüsten Traum zurückblickte. Es erhellt zur Genüge, warum auch unter den schriftstellerischen Perioden Forster’s die Kasseler Zeit relativ die leerste gewesen ist. Von den für Pauli in Berlin übernommenen Brotarbeiten hat er einzig die Uebersetzung des sechsten Bandes von Buffon’s Naturgeschichte (1780) geliefert; auch die deutsche Ausgabe der Observationen des älteren F., die 1783 bei Spener erschien, gehört in die nämliche Kategorie der Lohnschreiberei des Sohnes, soviel Mühe sich dieser auch mit der Umschmelzung des spröden Stoffes gab und wenn er gleich mit Recht das Kapitel über die organischen Körper als sein Eigenthum bezeichnet. Sonst hat er von 1779–84 nur Kleinigkeiten gefertigt: einige geographische und naturwissenschaftliche Aufsätze, besonders für das „Göttingische Magazin“, das er 1780 Lichtenberg begründen half; ein paar französische Discurse, die er der Gesellschaft für Alterthümer, dem Steckenpferde des Landgrafen Friedrich, vortrug; endlich eine Anzahl Recensionen, vorzüglich von Reisewerken, auf Heyne’s Bitte für die Göttinger Anzeigen geschrieben. Den Preis verdient das anmuthig lebendige Programm über den Brotbaum, das er 1784 als Prorector des Carolinums kurz vor seinem Abgang verfaßte, als neue Aussichten seinem Geiste bereits einen fröhlicheren Schwung verliehen hatten.

Forster’s litterarischer Ruf und der Umstand, daß er im polnischen Preußen geboren, bestimmten Anfang 1784 die Krone Polen, ihm eine Stelle als Professor der Naturgeschichte an der Universität zu Wilna unter äußerlich glänzenden Bedingungen anzubieten. Man bewilligte ihm überdies zur Tilgung seiner Schulden in Kassel beträchtliche Vorschüsse, die er binnen achtjähriger Amtsfrist in kleinen Raten bequem wiedererstatten sollte. Den Schmerz der Trennung von Sömmerring überwog bei F. der Drang, den Erinnerungen an die Rosenkreuzerzeit zu entgehen, und der Wunsch nach dauernder pekuniärer Erlösung. In Hoffnung auf ein geordnetes häusliches Dasein verlobte er sich beim Aufbruch aus Deutschland im Mai 1784 mit Therese Heyne, der zwanzigjährigen Tochter des großen Göttinger Philologen und reiste dann, nach seiner Weise behaglich, über den Harz, durch Sachsen, Böhmen, Oesterreich, über Wieliczka, Warschau und Grodno an sein Ziel, wo er erst im November eintraf. Unterwegs beschäftigten ihn besonders mineralogische Studien, doch war es ihm auch um persönliche Beziehungen, namentlich zu den Wiener Kreisen zu thun, um für den Nothfall eine Rückberufung aus Polen vorzubereiten; denn daß ihn danach alsbald verlangen werde, sagte ihm Josef II. mit kühler Sicherheit voraus. Und in der That erfuhr F. in Wilna sofort die niederschlagende Wahrheit der schneidenden Kritik, welche der Kaiser über das verendende polnische Wesen ausgesprochen. Hier wär’ es auch einer ungleich größeren sittlichen Kraft, als F. besaß, unmöglich geworden, die redlichen Absichten auf eine ersprießliche Thätigkeit, mit denen er herbeigekommen, [177] ins Werk zu richten. Es war noch nicht das Schlimmste, daß ihm jedes nothwendige Hülfsmittel zum Betriebe seiner Lehrpflicht abging, daß man aller Mahnungen ungeachtet die verheißenen Anstalten zur Einrichtung des Naturaliencabinets und des botanischen Gartens niemals traf, daß der Zwang zu lateinischer Rede, die ihm ungeläufig war und blieb, dem geringen Erfolge seiner Vorlesungen noch mehr Eintrag that. Weit ärger stand es um die ideellen Bedingungen seiner Wirksamkeit; er sah sich umringt von greulicher Indolenz und tiefster Unwissenheit, weder Collegen noch Zuhörer zeigten oder forderten eine geistige Seite; in der ganzen Gesellschaft, wie sie am Rande des politischen Unterganges dahinlebte, erblickte F. nur „französischen Luxus auf sarmatische Thierheit gepfropft.“ Nach Befreiung ausspähend, beschloß er inzwischen resignirt sich selbst und der Gattin zu leben, die er im Herbst 1785 aus Göttingen heimführte. Auf der Hochzeitsreise erwarb er in Halle, wo er Eltern und Geschwister begrüßte, den medicinischen Doctorgrad, um vielleicht einmal durch ärztliche Praxis in Wilna eine weitere Stütze zu gewinnen, was sich jedoch als entbehrlich erwies. Vor der Hand überkam ihn trotz der Unbilden des Klimas und der widerwärtigen socialen Umgebung an der Seite der an Bildung und Phantasie, an Verstandesschärfe und Willensstärke ihn hoch überragenden Frau eine gesunde und rüstige Stimmung. Recht wesentlich trug dazu bei, daß ihn der Bruch mit der Schwärmerei der Vorjahre ins andere Extrem eines sinnenfälligen Realismus getrieben hatte, den er nun sich und den Freunden so offen physiologisch zu entwickeln liebte, daß ihn deshalb mit einem Schein von Berechtigung ein moderner Materialist als Vorläufer gefeiert hat. Daß F. unter diesen Umständen in Wilna auch schriftlich nur wenig producirt hat, daran ist zumeist seine Absperrung von der heimischen Culturbewegung schuld. Immerhin zeigen die wichtigeren Früchte jener Jahre eine vorgeschrittene Reife; so der empirisch besonnene Aufsatz über die Menschenracen, den er 1786 gegen Kant in den Merkur einrückte, vorzüglich aber die schöne Lobschrift auf Cook, mit der er die 1787 publicirte Uebersetzung der dritten Reise des Entdeckers einleitete, einer der gediegensten und zugleich populärsten Essays, die unsere Litteratur aufzuweisen hat. Noch bedeutender indeß, als diese und andere zur Ausführung gediehenen Arbeiten, ist ein Entwurf, mit dem sich F. in jener Zeit getragen. Im Sommer 1786 forderte ihn Campe auf, naturwissenschaftliche Handbücher für deutsche Lehrer und Schüler abzufassen. F., der sich längst beschieden, durch Verbreitung statt durch Vertiefung der Wissenschaft nützlich zu wirken, weshalb er Anfang 1787 sogar den noch ungewöhnlichen Versuch wagte, den polnischen Damen Botanik französisch vorzutragen, F. nahm Campe’s Plan mit Freuden auf und ergriff im Nachsinnen auch die Idee einer kosmographischen Schrift, welche geradezu die vorbildliche Skizze zu Humboldt’s Kosmos hätte werden müssen. Weit minder der rhetorisch-elegante „Blick in das Ganze der Natur“, den er als Einleitung zu Anfangsgründen der Thiergeschichte niederschrieb, als die knappen Andeutungen in Briefen an Campe und Sömmerring (vom 4. Sept. und 7. Decbr. 1786) lassen ahnen, was F. vorschwebte und was er daher gelegentlich in A. v. Humboldt angeregt haben könnte. Ihn selber entriß schon im folgenden Sommer ein unerwarteter Antrag solchen Gedanken und zugleich dem kaum dreijährigen litthauischen Exil. In ehrenvollster Weise eingeladen, eine russische Entdeckungsfahrt in den Norden des stillen Oceans als selbständiger Naturforscher mitzumachen, glaubte F. sich endlich seinem wahren Berufe wiedergeschenkt. Durch Katharina von seinen polnischen Verpflichtungen losgekauft, brachte er im September 1787 Weib und Kind nach Göttingen, deren beständige Versorgung durch die bedungene Pension ihn über eine mehrjährige Trennung tröstete. Allein der [178] Ausbruch des Türkenkrieges erstickte die russische Expedition im Keim und noch schneller zerrann die plötzlich aufsteigende Möglichkeit einer Sendung in die spanischen Colonien, so daß F. sich am Ende mit der an sich hochwillkommenen Rückkehr nach Deutschland begnügen mußte. Hier suchte er auf kurzen Ausflügen, die er von Göttingen aus unternahm, irgendwo Fuß zu fassen, was ihm denn im April 1788 durch Joh. v. Müller’s Vermittlung gelang, der auf Heyne’s Wunsch den von Kassel her befreundeten F. zum eigenen Nachfolger als Bibliothekar in Mainz vorschlug. Im October siedelte F. an den Rhein über, wo er sich zwar auch diesmal keinen festen Sitz für immer, wol aber eine Stätte angenehmer Erholung versprach.

Die ersten vier Jahre von Forster’s Leben in Mainz bis zum Eindringen der Franzosen, vom October 1788–1792, mochten in der That dem oberflächlichen Blick eine gefällige Außenseite darbieten. Sein Amt als Bibliothekar, für das er nicht besser befähigt war, als für die früheren Professuren, behandelte er ebenso lässig wie jene und beruhigte sich darüber leicht bei der in dem geistlichen Kurstaat herrschenden Schlaffheit und Sorglosigkeit. An anregendem Verkehr war kein Mangel, wiewohl F. gleich den übrigen äußeren Zierden der mit Cultur und Aufklärung hohl prunkenden Priesterresidenz von der einheimischen Bevölkerung durch eine tiefe Kluft geschieden blieb. Den alten Bekannten Heinse und Müller trat er nicht gerade näher, aber neben dem treuen Sömmerring erschienen die jüngeren Diplomaten gern in seinem Hause und vor Allem, wer von hervorragenden Reisenden Mainz durchzog; eigene Wanderungen in die Nähe und Weite ergänzten die erfrischende Berührung mit Natur und Bildung. Unter den fremden Besuchen ist am merkwürdigsten der Wilh. v. Humboldt’s, welcher zweimal, 1788 und 1789, als Gast bei F. weilte und von dessen geist- und empfindungsreichem Wesen jugendlich entzückt ward. Unter den eigenen Streifzügen Forster’s aber steht obenan der, welchen er vom März bis in den Juli 1790 in Gesellschaft Alex. v. Humboldt’s rheinabwärts durch Belgien und Holland nach England und zurück über Paris unternahm. Die materiellen Zwecke dieser Reise, von der englischen Regierung eine Abfindung für die alten Forderungen von der Cook’schen Fahrt her zu erhalten und daneben für ein künftiges Prachtwerk über die Südsee drüben einen Verleger zu erwärmen, wurden zwar verfehlt, desto bedeutsamer jedoch waren ihre geistigen Resultate, insofern sie das originellste und berühmteste der Schriftwerke Forster’s unmittelbar hervorrief und zugleich die wichtigste seiner persönlichen Nachwirkungen, den Einfluß auf Alex. v. Humboldt’s intellectuelle Richtung vermittelte. Denn hier war es, wo dieser die Universalität der Beobachtung, das wissenschaftliche Streben nach vergleichender Völker- und Länderkunde, die „Verallgemeinerung der Naturansicht“, in die F. einst unter Leitung seines Vaters, vornehmlich auf der Südseereise, sich eingewöhnt, als lebendiges Muster vor sich sah, das er stets als solches dankbar anerkannt hat. Die „Ansichten vom Niederrhein“ u. s. w., in denen F. nach der Heimkehr seine Reisestudien litterarisch verwerthete, beweisen sodann, daß er mit jener Gabe der Anschauung auch die der Darstellung in seltenem Maße verband, die er hier zudem an neuen Gegenständen aus den ihm bisher entlegenen Gebieten der Kunst und Politik mit überraschendem Glück erprobte. Zugleich aber offenbart dies Buch, weil sich in ihm die Individualität Forster’s am freiesten bewegt, am deutlichsten die Schranken seines Talentes. Die Ungleichheit der Behandlung und selbst des Ausdrucks, welche flache Arbeit mit übertriebenem Hochrelief abwechseln läßt, die bloße Vermengung anstatt innerer Verbindung der Gedankenstrenge mit der Gefühlswärme, diese und ähnliche Gebrechen spiegeln die unfertige, tiefbegründeter Einheit entrathende Natur Forster’s wieder und verbieten uns eben deshalb, ihn, wie seit Fr. Schlegel so oft geschehen, [179] unseren wahrhaft classischen Autoren beizuzählen. Dennoch nahm er in jenen Jahren in fleißiger und vielseitiger Schriftstellerei durch Inhalt und Form seiner Aufsätze wenigstens unter unseren litterarischen Gestalten zweiten Ranges einen ansehnlichen Platz ein. Höher hat er übrigens selbst mit sicherem Urtheil seine Leistungen niemals angeschlagen, wiewol er sich ihrer Tüchtigkeit zu freuen begann und darum mit Recht schon 1789 eine Sammlung seiner „kleinen Schriften“ anfing. Daß seine Hauptstärke nach wie vor in zusammenfassender geographischer Schilderung bestand, lehren die beiden ausgezeichneten Abhandlungen von 1791 über den amerikanischen Norden, die in ihrer Art von wenigen Nachfolgern übertroffen worden sind. Trotz solcher Erfolge, deren Höhe er nicht überschreiten sollte, und trotz mancher aufheiternden Momente hat F. während dieser Periode im Ganzen genommen sich tief und tiefer unglücklich gefühlt. Im Galeerendienst der Uebersetzerarbeit um Geldes willen, die ihm nur einmal allgemeinen Dank einbrachte, als er (1791) die Sakontala geschmackvoll aus dem Englischen übertrug, litt seine allzeit schwache Gesundheit mehr und mehr. Und doch ward er bei ewig schlechter Wirthschaft den alten Jammer der Verschuldung nimmermehr los. Die ernstere Weltanschauung, der er sich wieder zugewandt, erhielt durch den unablässigen äußeren Druck und weit mehr noch durch schweren Kummer allmählich eine düstere Färbung. Daß er dem Vater völlig entfremdet war, trug er gelassen als unabänderlich; bei dem Tode zweier Kinder wußte er sich doch zu fassen; der Zerfall seiner Ehe aber erschütterte sein innerstes Dasein. Mit derselben fast leidenschaftslosen Weichheit, die von Anfang an nicht vermocht hatte, die achtungsvolle Freundschaft der so viel selbständigeren Braut in ganz hingebende Liebe zu verwandeln, sah F. seit 1790 das Herzensverhältniß zwischen Therese und L. F. Huber entstehen und über sich ergehen wie seine anderen Schicksale auch. Von diesem aber nahe der Wurzel getroffen, war seine Seele vollends außer Stande, dem letzten und gewaltigsten Stoße zu widerstehen, den gerade jetzt das Zeitalter selbst durch die aus Frankreich herüberdringende Revolution gegen ihn richtete.

Nichts hatte F. ehedem ferner gelegen als praktische Politik; der Wunsch nach einem handelnden Leben, den er bisweilen hinwarf, ist stets nur der Ausdruck der Unzufriedenheit mit seiner augenblicklichen Lage gewesen. Auch seine theoretische Theilnahme an politischen Vorgängen erwacht erst mit der Reise von 1790, deren fliegende Eile die Intensität der erhaltenen Eindrücke nur verstärkte. Seitdem aber sah er mit wachsender Spannung dem Rollen der Weltbegebenheit zu; das verrottete Staatswesen, das ihn umgab, wie das nahe Treiben der Emigranten steigerten sein Interesse für das neue Frankreich zur Sympathie. Obwol ihm Deutschland nicht reif erschien für die Revolution, begrüßte er den Einbruch Custine’s mit Freuden. Nach kurzem Bedenken trieb ihn die innere und äußere Zerrüttung seiner bisherigen Existenz und vor Allem der Fatalismus seiner Schwäche der Umwälzung in die Arme. Am 25. Oktober 1792, vier Tage nach der Uebergabe, erwirkte er bei dem Bürgergeneral Schutz für die Universität, am 5. November trat er, dem Freunde Dorsch folgend, in den Club, dem er dann beständig als eifrig agitirender Redner angehört und zuerst vom 29. December an einen Monat hindurch, hernach wieder seit der reinjakobinischen Neugründung am 16. März 1793 einige Tage über präsidirt hat. In der von Custine am 19. November eingesetzten provisorischen Administration fungirte F. als Vicepräsident; die mit Neujahr 1793 anhebende „neue Mainzer Zeitung“, auch „Volksfreund“ genannt, hat er hauptsächlich eingerichtet und redigirt; an Wedekind’s „Patriot“ war er dagegen nur als Mitarbeiter betheiligt. Von Mitte Februar an begegnen wir ihm auf einem dreiwöchentlichen Zug durch Grünstadt, [180] Kirchheim, Winnweiler u. s. w., wohin er als Kommissar geschickt ward, um in den kleinen Nachbarterritorien die Lossagung von Reich und Landesherrschaft und den republikanischen Eid zu erzwingen. Im rheinisch-deutschen Nationalconvent saß er vom 17.-24. März als Abgeordneter für Mainz, ward auch hier zum Vicepräsidenten gewählt und war das einflußreichste Mitglied der Versammlung. In allen diesen Stellungen entfaltete F. eine an ihm längst ungewöhnliche rastlose Thätigkeit; seine Gewandtheit im Französischen, seine weltmännische Bildung zogen ihn von selbst in den Vordergrund. In der Verwaltung gab er, öfters im Streite mit der Willkür der Eroberer und der Unlauterkeit der Parteigenossen, sich redlich und uneigennützig Mühe, das Privateigenthum und das Recht überhaupt zu schonen, soweit es nicht seinen revolutionären Ansichten und Absichten im Wege stand. Hierin aber kannte er kein Maß: die Brandschatzung Frankfurts hat Niemand heftiger vertheidigt als er; in Grünstadt trat er gegen die Grafen von Leiningen und ihre Unterthanen mit rücksichtsloser Wildheit auf; den Eidverweigerern gegenüber vermochte er die härtesten Maßregeln unbedingt zu billigen. Seine Reden und Schriften, deren gesuchter Rhetorik sonst jeder reale politische Inhalt abgeht, predigen doch von Anfang an unumwunden den radikalen Gedanken der Annexion an das republikanische Frankreich. Schon am 27. October, sechs Tage nach Custine’s Einzug, spricht F. brieflich die Idee der Rheingrenze aus, in seiner frühesten Klubrede vom 15. November „über das Verhältniß der Mainzer gegen die Franken“ verkündet er sie öffentlich als der erste in deutscher Zunge. Er hat dann in jenem rheinischen Convent die Beschlüsse formulirt und durchgesetzt, in welchen für das Gebiet von Landau bis Bingen Abreißung von Deutschland und Einverleibung in Frankreich proklamirt ward. Er ist endlich am 25. März 1793 als Deputirter des Convents nach Paris gegangen, um das freiwillige Geschenk des Vaterlandsverrathes und damit, wie er selbst sagt, den Schlüssel des deutschen Reichs in die Hände der Franzosen zu legen. Kosmopolit aus Grundsatz, international fast von Herkunft und mehr noch durch Schicksal, ist F. dabei mit vollem Bewußtsein verfahren. Als Berliner Gönner und Freunde, Graf Herzberg, Buchhändler Voß u. a. m., ihn bei Gelegenheit eines Geldvorschusses im November ermahnten, immer ein echter Deutscher und auch ein guter Preuße zu bleiben, stand er nur einen Augenblick an, jene Unterstützung anzunehmen; galt ihm doch nationale Beschränkung lediglich für ein Kunstprodukt des Despotismus, innige Allianz mit Frankreich für Preußens natürliches Interesse. Noch weniger kümmert ihn die Dankbarkeit gegen seinen Kurfürsten, den er einst laut als Wohlthäter gepriesen; durch ihre feige Flucht scheint ihm die Mainzer Regierung jedes Recht verwirkt zu haben. Dennoch zeugt Forster’s fieberhafte Aufregung in jenen Tagen von unaufhörlichen Seelenkämpfen; seine persönlich aristokratische Anlage rang mit der niedrigen Pflicht demagogischer Rohheiten und Possen, die wachsende Einsicht in den Unwerth seiner Partei und in die Bodenlosigkeit ihrer Bestrebungen mit dem Glauben an die revolutionären Ideale. Dazu kam der Bruch mit den alten Freunden, selbst mit Sömmerring; der treu ausharrende Heyne ward durch väterliche Warnung unbequem. Anfang December verödete auch Forster’s Haus; vergebens bot ihm der junge Thomas Brand, später Lord Dacre, den er 1790 aus England als Pensionär mitgebracht, eine rettende Reise nach Italien an; F. blieb, aber Therese ließ sich mit den Kindern nach Straßburg geleiten und fand bald in Neufchâtel Zuflucht, wo im Sommer 1793 Huber zu ihrem Schutz eintraf. Dem verlassenen F. drang indeß die damals in Mainz abenteuernde Karoline Böhmer Trost und Pflege auf, bis ihn die Sendung nach Paris für immer hinwegriß.

Am 30. März 1793 vollzog F. seinen Auftrag im französischen Convent, [181] sah sich aber wider seine ursprüngliche Absicht durch die Fortschritte der deutschen Waffen gegen Mainz in Paris festgehalten, wo er vom Staate spärliche Tagegelder empfing. Eine öffentliche Rolle dort im Trauerspiel der Schreckensherrschaft zu übernehmen dünkte ihn sittlich unmöglich; nur mit dem unbedeutenden Mandat zur Auswechselung von Gefangenen verbrachte er den Spätsommer in Cambray und Arras. Die Reichsacht sperrte ihn von Deutschland ab, andere Auswege thaten sich nicht auf, in Frankreich litt er tief unter der gräßlichen Wirklichkeit, ohne doch an seinem politischen Bekenntniß irre zu werden oder ernstliche Reue über sein Handeln zu empfinden. Die „parisischen Umrisse“, die er für Huber’s „Friedenspräliminarien“ schrieb, bilden eine Art Apologie selbst der jüngsten französischen Ereignisse; die nicht vollendete „Darstellung der Revolution in Mainz“ sollte sein eigenes Gebahren historisch rechtfertigen. Zu Arbeiten anderer Art vermißte er seine Bücher und Papiere. Ohne Besitz, ohne Familie, Freunde, Heimath und Vaterland wehrt er sich doch noch mit finsterem Muthe gegen die Verzweiflung; nur beim Gedanken an seine Kinder schmilzt ihm das Herz. Anfang November treibt ihn die Sehnsucht nach ihnen über die Schweizer Grenze nach Travers, wo er drei Tage über auch Therese und Huber sah; dann weilt er noch ein paar Wochen wenigstens in der Nähe in Pontarlier. Nach Paris zurückgekehrt zog er sich am 8. December eine Brustentzündung zu; die alten Uebel seines Körpers und das schlimmere geistige Weh verwickelten und verschärften die Krankheit, bis ihn am 10. Januar 1794 im vierzigsten Jahr eines fast friedlosen Lebens ein einsamer Tod befreite. Sein Andenken, lange verschmäht, ward später über Gebühr verherrlicht; in Wahrheit schuldet ihm unsere Literaturgeschichte Achtung, unsere politische Historie mildestens Gnade, unsere Biographie jedenfalls herzliches Mitleid. –

Autobiogr. Notiz (–1784) bei Strieder, Hess. Gelehrtengesch. IV. 145 fg. – Aufzeichnungen des Vaters in Jakob’s Annal. d. Philos, philos. Anzeiger St. 2 u. 16 (vgl. auch die übrigen Schriften unter Reinhold F.). – Nachrichten der Wittwe vor dem Briefwechsel Forster’s, den sie 1829 edirte, und vor L. F. Huber’s sämmtl. Werken I (vgl. überhaupt Litteratur über Huber). – G. Forster’s Briefwechsel mit S. Th. Sömmerring, herausggb. v. H. Hettner 1877; dazu ungedruckte Briefe an Spener (1775–90) im Besitze d. H. Jul. Löwenberg in Leipzig. – Verzeichniß der Schriften bei Meusel III, 419 fg.; lückenhafte Sammelausgabe 1843 in 9 Bdn. 8° durch die Tochter Therese, in Band VII vorm Briefwechsel tendenziöse und einflußreiche Lobschrift auf F. von Gervinus, – Ausführliche Biographie, aber unkritisch: H. König, G. Forster’s Leben in Haus u. Welt. 2. Aufl. 1858 (ges. Schr. X, XI). – Feine Charakteristik, christlich accentuirt in Cl. Th. Perthes, polit. Zustände u. Personen I, 1862. – Vieles berichtigend, die Sammlung der Werke ergänzend, doch nicht frei von Gehässigkeit: K. Klein, G. F. in Mainz (1788–93). 1863. –