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ADB:Geffcken, Heinrich (Jurist)

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Artikel „Geffcken, Heinrich (Jurist)“ von Redaktion der ADB in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 763–770, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Geffcken,_Heinrich_(Jurist)&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 10:31 Uhr UTC)
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Geffcken *): Friedrich Heinrich G., Diplomat und Publicist, geboren in Hamburg am 9. December 1830, † am 1. Mai 1896 zu München. G. war das jüngste Kind und der einzige Sohn des Hamburger Kaufmanns und späteren Senators Heinrich G. (1792–1862, s. A. D. B. VIII, 493 f.) und seiner Gemahlin Elisabeth, geb. Merckel. Der Vater hatte sich klug und energisch zum begüterten Handelsherrn emporgeschwungen und dabei seinen wissenschaftlichen und litterarischen Neigungen ungern entsagt; desto lieber vergönnte er dem begabten, aber körperlich zarten Sohn eine ungestörte geistige Entwicklung. Der Knabe erhielt eine sorgfältige und vielseitige Schulbildung auf dem heimischen Johanneum, das er siebzehnjährig mit dem Zeugniß der Reife verließ, worauf er noch eine Zeitlang das damals mit der Anstalt in Verbindung stehende Akademische Gymnasium besuchte. Ostern 1850 bezog er die rheinische Universität, um Geschichte zu studiren, vornehmlich angelockt durch Dahlmann’s historisch-politischen Ruf und Clemens Theodor Perthes’ persönliche Bedeutung, die in den rechtgläubigen Kreisen Hamburgs, denen auch der junge G. entschieden angehörte, in besonderem Ansehen stand. Drei Semester verweilte er in Bonn, von dem eigentlich studentischen Treiben schon seiner Kränklichkeit halber wenig berührt, dafür im Genusse mannichfacher geselliger Beziehungen, wie sie dem gut empfohlenen strebsamen Hanseaten sich ungezwungen darboten, dessen Vater inzwischen auch im öffentlichen Leben der Heimath namhaft hervorgetreten war. Unter anderen ward G. im Perthesschen Hause mit dem ebenfalls in Bonn studirenden gleichaltrigen Prinzen Friedrich Wilhelm, nachmaligem Kronprinzen von Preußen bekannt, auf den der feine und gescheite Commilitone, der die französische und englische Sprache vollkommen beherrschte, schon derzeit einen gewissen Eindruck gemacht hat.

Von Bonn siedelte G. im Herbst 1851 auf die Universität Göttingen über, um im Waitzischen Seminar seine historische Ausbildung zu vollenden; zugleich versprach er sich von Hanssen die beste Förderung in national-ökonomischen Dingen, für die er ein lebhaftes Interesse von Hause mitbrachte. Nach beiden Richtungen ergab er sich fleißigen Studien, deren Gegenstand namentlich England in seiner staatlichen und wirthschaftlichen Entwicklung und Bedeutung bildete. Natürliche Vorliebe des geborenen Hamburgers traf dabei mit frühzeitiger politischer Einsicht und reifenden persönlichen Entschlüssen eigenthümlich zusammen. Denn die Erfahrungen der Revolutions- und Reactionszeit hatte G. dergestalt in sich verarbeitet, daß er seine deutschen Hoffnungen auf die Annäherung vor allen des preußischen Staates an englische Institutionen, zumal an den Grundsatz der Selbstverwaltung setzte. Und zugleich verspürte er das Verlangen nach eigener praktisch-politischer Wirksamkeit in solchem Sinne, wozu er denn in der mehr beschaulichen Geschichtswissenschaft doch nicht die rechte Vorbereitung erblickte. Michaelis 1852 ging er deshalb offen zum Studium der Jurisprudenz über, wobei er besonders auf Staats- und Völkerrecht sein Augenmerk richtete. Seine Gesinnung enthüllen die Worte, die er im März 1853 einem scheidenden Göttinger Studiengenossen, dem späteren oldenburgischen Staatsminister G. Jansen, ins Stammbuch [764] schrieb: „Wir waren uns stets darin einig, daß nur eine gemäßigte politische Freiheit ein würdiges Ziel des Strebens sei, und nur ein lebendiger protestantischer Glaube zur sittlichen Freiheit erziehen könne; wir sind uns auch darin einig, daß, je weniger der Zustand des Vaterlandes unseren Wünschen entspricht, so gebieterischer die Mahnung ist, sich in ernster Arbeit demselben hinzugeben und das Declamiren der schäbigen Mittelmäßigkeit zu überlassen. In diesen Ueberzeugungen, hoffe ich, werden wir uns stets wiederfinden.“ Eine Ader von geistigem Dünkel schlägt leise in diesem übrigens löblichen Lebensprogramm.

Im Herbst 1853 vertauschte G. Göttingen mit Berlin, wo er sein juristisches Studium beendete. Hier erfreute er sich von neuem eines durch seine vorzüglichen Verbindungen vermittelten Verkehrs in der besten, wissenschaftlich und politisch interessanten Gesellschaft. Seinen freiconservativen Anschauungen gemäß trat er in Beziehungen zur Partei des Preußischen Wochenblattes, die von Männern wie Bethmann-Hollweg, Usedom, Graf Pourtalès geleitet wurde. Der ausbrechende orientalische Krieg erweckte zunächst lebendigere Theilnahme an den Fragen der äußeren Politik, die auch G. mit eindringendem Scharfsinn verfolgte. Nicht gänzlich unvorbereitet, wohl aber ziemlich unerwartet traf ihn so im Sommer 1854 die Aufforderung, in den diplomatischen Dienst seiner Vaterstadt zu treten, indem ihm die Stelle eines Legationssecretärs bei dem langjährigen Geschäftsträger der Hansestädte in Paris, Herrn v. Rumpf, angeboten wurde. Mit Vergnügen trat der noch nicht Vierundzwanzigjährige den lehrreichen Posten an.

Die Pariser diplomatische Lehrzeit währte nur zwei Jahre, doch verstand G. sie trefflich auszunutzen. Er beobachtete und studirte das zweite Kaiserreich und die europäische Tagespolitik und legte den Grund zu späteren beachtenswerthen historischen Arbeiten, von denen er die erste, über „den Staatsstreich von 1851 und seine Rückwirkung auf Europa“, 1870 anonym, die zweite, „zur Geschichte des orientalischen Krieges 1853–56“, unter seinem Namen 1881 erscheinen ließ. Im Salon der Gräfin Circourt lernte er die Causerie der geistreichen Pariser Gesellschaft kennen und schätzen. Im Jahre 1856 wurde er sodann zum hanseatischen Geschäftsträger in Berlin ernannt und 1859 zum hanseatischen Ministerresidenten daselbst erhoben. Anfang 1862 übernahm er zugleich an Stelle des braunschweigischen Ministers v. Liebe die Vertretung des Großherzogthums Oldenburg in Berlin, auf die er jedoch, als Oldenburg mit eigenen Ansprüchen auf Schleswig-Holstein hervortrat, gegen Ende 1864 wieder verzichtete. Denn wie er schon in früheren Jahren zum Hause Augustenburg persönliche Beziehungen angeknüpft hatte, so nahm er sich seit 1863 mit dem größten Eifer der Prätension des Erbprinzen Friedrich auf die Herzogthümer an. Ohne förmlich in Dienstverhältnissen zu diesem zu stehen, lieferte er ihm von Berlin aus vertrauliche Berichte von großem Interesse, die, wie Robert v. Mohl versichert, viel dazu beitrugen, daß der Augustenburger und seine Umgebung nicht nur in ihrer eigenen Angelegenheit, sondern selbst über die allgemeinen europäischen Zustände vortrefflich unterrichtet waren. Nur freilich gelang es G. nicht, die Herren auch praktisch vom Nothwendigen zu überzeugen: vergebens schrieb er, wie Theodor v. Bernhardi sich ausdrückt, sich die Finger krumm, um den Prätendenten zu genügenden Schritten bei Preußen zu bewegen. Trotzdem hielt er mit zäher Ausdauer an der augustenburgischen Sache fest, bis die letzte kriegerische Entscheidung gefallen war, aus der er dann einsichtig die Folgerung zog, daß seine eigene diplomatische Stellung in Berlin unhaltbar geworden sei. Nach dem Prager Frieden, im Herbst 1866, ließ er sich deshalb zum Ersatz für Rudolf Schleiden, [765] der sich seinerseits ebenfalls als Parteigänger Augustenburgs verbraucht hatte, als hanseatischer Ministerresident nach London versetzen.

Das Jahrzehnt von 1856–66, das G. so als Diplomat in Berlin verbrachte, gab in mehr als einer Beziehung seinem Lebensschicksal die innere Gestalt. Im Juli 1860 begründete er sein häusliches Glück durch seine Vermählung mit Caroline Immermann, der einzigen, wenige Tage vor des Vaters Tode geborenen Tochter des Dichters, die mit ihrer Mutter nach Hamburg gezogen war. Vornehm an Geist und Erscheinung, hat sie ihm bis ans Ende in 36jähriger, mit vier überlebenden Kindern gesegneter Ehe treu zur Seite gestanden und, was sie vermochte, zu seinem Frieden beigetragen. Allein schon in den ersten Jahren ihrer Verbindung zeigten sich bei G. die Keime einer peinlichen Nervosität, insbesondere einer chronischen Schlaflosigkeit, die seinem klugen, aber unschönen, schmalen, dunkelhaarigen Angesicht nach und nach etwas Ueberreiztes und Verzerrtes gab. Und mit dem physischen Wesen stimmte das geistige vielfach überein. G. entfaltete eine in hohem Grade rührige Geschäftigkeit. Von gelehrten Arbeiten abgesehen, wie in jenen Jahren besonders verschiedenen historischen Artikeln für Bluntschli’s Staatswörterbuch, betrieb er auch sonst anonyme Schriftstellerei in der Presse des In- und des Auslands und vor allen Dingen eine vielverzweigte Correspondenz. Je unbedeutender verhältnißmäßig seine officiellen Obliegenheiten waren, desto beflissener entwickelte er an sich die Außenseiten der Diplomatie der alten Schule, deren Ideal er in seinem Freunde, dem belgischen Gesandten Baron Nothomb verehrte. Den soldatisch geraden Stosch, der ihm wohlwollte, beschlich doch mitunter ein unheimliches Gefühl bei diesem gemüthlichen, anscheinend mittheilsamen Aushorchen, diesem „ewigen Intriguenspinnen“; er nennt ihn spottend „den großen Diplomaten mit dem kleinen Gesichtskreis“ und weist seine geringschätzige, bissige Kritik der preußischen Zustände gelegentlich ernst zurück. Dabei hielt G. durchaus an seiner preußisch-deutschen Gesinnung theoretisch fest. Schon im Januar 1860 hat er seinem Studiengenossen, dem Prinzen Friedrich Wilhelm geradezu gesagt, Preußen müsse auf Einverleibung der kleinen Staaten ausgehen. Im Juli 1862 hält er das Vorgehen des Nationalvereins für verkehrt, da das preußische Parlament und Volk sich niemals unterordnen würden; Deutschlands Einheit sei nur durch Annexion von Seiten Preußens möglich und erreichbar. Der Widerspruch gegen diesen Grundsatz, der in seiner hartnäckigen Bemühung für den Augustenburger zu liegen scheint, erklärt sich zur Genüge aus seiner völligen Verblendung gegen Bismarck’s geniale Politik; noch im Februar 1866 unterscheidet er in einem Brief an Samwer zwischen dem „jetzigen hiesigen System“, das er aufs äußerste „perhorrescirt“, und den „Interessen und der Zukunft Preußens“. Er fühlte sich in dieser Hinsicht einverstanden mit der höfischen Opposition, die er in ihrer frondirenden Haltung noch bestärkte. Im Juni 1865 klagt Auerswald über den schlimmen Einfluß, den G. auf die Königin ausübe, und mit dem Kronprinzen und seiner Gemahlin hatte ihn die gemeinsame Theilnahme an Augustenburg erst recht vertraulich zusammengeführt. Mehr und mehr gewöhnte er sich daran, auf jene „Zukunft Preußens“, die er nach natürlichem Verlauf für nahe bevorstehend hielt, persönliche Hoffnungen des Ehrgeizes zu bauen. Schon im Februar 1866 erzählte er Stosch von dem Regierungsprogramm, welches er für den Kronprinzen schreibe. Eben diese Zuversicht nahm er mit hinaus, als ihn der Triumph der Politik Bismarck’s auf den Londoner Posten vertrieb; bei der Königin wie am kronprinzlichen Hofe blieb er trotz der eingetretenen officiellen Zerwürfnisse in hoher Achtung.

[766] In England, dem Lande seiner Zuneigung, bewegte sich G. mit geistigem Behagen; aber schon 1869 büßte er seine dortige Stelle ein, da die Hansestädte, nachdem sie sich im norddeutschen Bunde eingelebt, all ihre ausländischen Gesandtschaften aufgaben. Zum Ersatz erwählte man ihn daheim zum Syndikus, ein Amt, das er gleichfalls nicht lange, bis zum Frühjahr 1872, bekleidete. Seine Thätigkeit erstreckte sich auf das Unterrichts- und Armenwesen; außerdem war er Referent in verschiedenen Angelegenheiten, wie Gewerbe-, Münz- und Steuersachen. Irgendwie Besonderes hat er jedoch dabei nicht geleistet, der Verwaltung mit ihrem Detail brachte er kein großes Interesse entgegen; die auswärtigen Angelegenheiten aber lagen in den Händen des älteren Syndikus Merck, die Bundesrathssachen besorgte der Bürgermeister Kirchenpauer. So wandte er sich denn um so eifriger litterarischen Arbeiten zu. Auch in London hatte seine gewandte, allzeit flüssige Feder nicht geruht; unermüdlich war er in Formulirung von Plänen für die weitere Gestaltung der deutschen Dinge und schrieb darüber allerhand, das wesentlich auf den Kronprinzen berechnet war, wobei er sich gegen Stosch der politischen Hülfe der Kronprinzessin rühmte: „sie hat alle meine Aufsätze sofort mit ihrem Mann gelesen und durchgenommen und gewöhnt ihn dadurch, aus den liberalen Abstractionen sich die Dinge im praktischen Detail zu denken.“ Jetzt in Hamburg aber erhob er sich zu größeren Unternehmungen: 1870 ließ er nicht nur die oben erwähnte Historie des napoleonischen Staatsstreichs erscheinen, sondern auch – ebenfalls anonym – die beiden wirklich bedeutenden Staatsschriften über „die Reform der preußischen Verfassung“ und „die Verfassung des deutschen Bundesstaats“. Die erstere, kurz vor Ausbruch des französischen Krieges veröffentlicht, führt den alten Lieblingsgedanken näher aus, wie der preußische Staat – zur Erreichung einer weisen, männlichen Freiheit – mehr oder weniger nach englischem Muster zu reformiren sei; besonders beachtenswerth ist der Abschnitt über die Selbstverwaltung, insofern dessen Ideen theilweise durch die preußische Kreisordnung von 1872 verwirklicht worden sind. G. meinte so Preußen „assimilationsfähig“ zu machen, damit das übrige Deutschland ihm künftig angegliedert werden könne. Als dann der Krieg plötzlich die Bahn für directe Einigung eröffnet hatte, gab er im October die zweite Schrift heraus, deren Vorschläge für die Verfassung des deutschen Bundesstaats sich in mancher Hinsicht mit den Ergebnissen der Versailler Verhandlungen decken, dagegen entschieden im Sinn einer größeren „Unification“ über sie hinausgehen. Es waren Privatentwürfe, die er allerdings dem Kronprinzen ins Hauptquartier sandte und die dessen eigenen Ideen entsprechen mochten; auf den thatsächlichen Gang der Ereignisse haben sie nicht eingewirkt. Im November machte G. noch einen vergeblichen Versuch, sich Bismarck selber zu nähern; Stosch, welcher die Hand nicht dazu bieten mochte, witterte den Wunsch heraus, als „Deutschlands Vertreter“ nach London zurückzukehren. Das neue Reich constituirte sich, ohne auf Geffcken’s politische Dienste Anspruch zu machen; dagegen bot es ihm die willkommene Gelegenheit, der Hamburger Eintönigkeit auf andere Weise zu entrinnen.

Frhr. v. Roggenbach [WS 1], mit der Errichtung der neuen reichsländischen Universität betraut, trug dem befreundeten G. eine Professur der Staatswissenschaften und des öffentlichen Rechts in Straßburg an; G. ging gern darauf ein und siedelte 1872 ins Elsaß über. Seine näheren Bekannten, wie Gustav Freytag, an dessen Wochenschriften er ein geschätzter Mitarbeiter war, erwarteten von ihm die Stiftung einer Schule von technisch gebildeten Diplomaten und Staatsmännern, aber nichts von solchen Hoffnungen ging in Erfüllung. Nicht als hätte es ihm an Fleiß, Intelligenz und Gelehrsamkeit [767] für den Betrieb eines wissenschaftlichen Docentenamtes gefehlt. Die Disciplin der Finanzwissenschaft behandelt er nach Roscher’s rühmendem Zeugniß durchweg mit Um- und Einsicht. Als echter Hamburger empfahl er 1879 in seiner Schrift über „die Reform der Reichssteuern“ ein die Handelsinteressen in den Vordergrund stellendes reines Finanzzollsystem; die noch vor Bismarck’s Denkschrift an den Bundesrath veröffentlichte Arbeit kennzeichnet sich als eine Warnung vor der Schutzzollpolitik. Systematisch hat er in Schönberg’s Handbuch der politischen Oekonomie von der 1. bis zur 4. Auflage „Wesen, Aufgaben und Geschichte der Finanzwissenschaft“, sowie „die Staatsausgaben“ bearbeitet. Und noch entschiedener bewährt er sich auf seinem eigensten Wissensgebiet, dem des Völkerrechts, ohne auch hier gerade neue Bahnen einzuschlagen, als besonnener Forscher, der über ein reiches, ja zuweilen überreiches diplomatisches Thatsachenmaterial verfügt. Die französisch geschriebene Abhandlung „La question du Danube“ (1883) vertheidigt, wie das gleichzeitige Gutachten Dahn’s, mit siegreichem Erfolge die Freiheit der Stromschiffahrt zu Gunsten Rumäniens gegen Oesterreich. Für das große Holtzendorff’sche Handbuch des Völkerrechts (1885) lieferte er u. a. die Abschnitte über Garantie- und Bundesverträge, Gesandtschaftsrecht, Intervention, Seekriegsrecht, Neutralität. Das seiner Zeit führende Lehrbuch des Völkerrechts von Heffter gab er (1882 und 1888) in 7. und 8. Auflage heraus. Ebenso setzte er den von Martens und Cussy begonnenen Recueil manuel et pratique de traités et conventions (1885 f.) in drei selbständigen Bänden fort, wie er schon ehedem (1866) den Guide diplomatique von Martens neu bearbeitet hatte. Diese und andere litterarische Leistungen lassen über Geffcken’s Befähigung keinen Zweifel aufkommen. Dennoch blieb seiner akademischen Wirksamkeit nach momentanem Zulauf der dauernde Erfolg versagt. Er entbehrte des fesselnden Vortrags, des pädagogischen Talents; vor allem, er lebte nicht genug in dem ungewohnten Beruf: sein Herz gehörte nach wie vor der hohen Politik. Gleich anfangs erregte der Culturkampf seine ganze Theilnahme. G. war und blieb gläubiger Protestant von positiver Richtung; gerade von Straßburg aus verband er sich 1876 mit dem badischen Oberkirchenrath Mühlhäußer zur Herausgabe der „Zeitfragen des christlichen Volkslebens“, die – später noch eine Zeitlang durch Baron v. Ungern-Sternberg fortgesetzt – die orthodox-evangelische Ueberzeugung zu verbreiten suchten und trotz ihrer Einseitigkeit durch vornehm charaktervolle Haltung Ansehen erworben haben. Die eigene religiöse Stellung hinderte ihn jedoch nicht, die Führung des staatlichen Krieges gegen den Ultramontanismus für verkehrt zu halten. Schon Anfang 1875 vollendete er deshalb ein umfangreiches Buch „Staat und Kirche in ihrem Verhältniß geschichtlich entwickelt“, das nach seiner breiten und nicht eben sehr gründlichen historischen Darlegung am Schluß auf eine scharfe und treffende kirchenpolitische Kritik der preußischen Maigesetzgebung hinauslief. Im Januar 1876 trug er seine Ideen in Berlin dem Kronprinzen mündlich vor, der sich dadurch bewogen fühlte, dem Fürsten Bismarck eine Conferenz mit G. nahe zu legen. Mit wegwerfender Gehässigkeit wies Bismarck jede Berührung mit dem „beständigen Reichsfeinde“ von sich, dessen Patriotismus der Kronprinz vergebens in Schutz nahm, wenn er auch zugab, daß „seine Neigung zu abfälligen Kritiken ihn hin und wieder der Gefahr aussetze, wider seine Absicht zu den Feinden der Reichsregierung gezählt zu werden“. Mehr Anklang fand Geffcken’s Natur 1879 bei dem neuen Statthalter der Reichslande; Manteuffel ernannte ihn 1880 zum Mitglied des elsaß-lothringischen Staatsrathes und hat ihn auch in kirchenpolitischen Angelegenheiten zu Unterhandlungen mit der Curie nach Rom gesandt. [768] Mittlerweile hatte jedoch das Straßburger Leben an seiner Gesundheit gezehrt; seine Nervosität nahm erschreckend zu, seine Schlaflosigkeit ließ ihn zuletzt ein gespenstisches Dasein führen. Kein Urlaub, kein Sanatorium wollte mehr helfen; 1882 bestätigte ihm Kußmaul die Unfähigkeit, sein Lehramt auszuüben, und er trat mit Pension als Geheimer Justizrath in den Ruhestand.

Die folgenden Jahre brachte G. als Privatmann in Hamburg zu. In seinem schönen Gartenhause, wo ihn Politiker, Gelehrte und Künstler heimsuchten, die sich alle an seiner Vielseitigkeit erfreuten, erholte er sich bald. Er war fleißig, wie immer; die oben genannten gelehrten Arbeiten entstammen zum Theil erst dieser Zeit. Daneben war er journalistisch thätig; für größere Aufsätze wählte er jetzt in der Regel die Deutsche Rundschau. Sechs solcher Essays vereinigte er 1888 als „politische Federzeichnungen“ zu dem anmuthigsten Werke, das er verfaßt hat; er eignete es Roggenbach „in alter Freundschaft“ zu. Die mannichfache Cultur und Production des britischen Weltreichs, die Gestalten seiner vornehmsten modernen Staatsmänner ziehen in fein und sorgfältig ausgeführten Bildern am Auge des Lesers vorüber. Auch an seinen politischen Gespinsten hat G. in diesen Jahren nach wie vor geschafft. Im Hochsommer 1885, nach einem schweren Ohnmachtsanfall des alten Kaisers Wilhelm, erhielt Roggenbach vom Kronprinzen den Auftrag, Entwürfe für die ersten feierlichen Erlasse einer neuen Herrschaft aufzusetzen. Er bat, sich darüber mit anderen Vertrauten, mit Stosch und dem Justizminister Friedberg, besprechen zu dürfen; auf dem Landsitz des ersteren, zu Oestrich im Rheingau, kam man deshalb zusammen. Unwillkommen meldete sich plötzlich G. zum Besuche an; man zog ihn als Einverstandenen zur Berathung hinzu, bei der er das Protokoll zu führen hatte. Dies ist sein Antheil an den Erlassen Kaiser Friedrichs vom 12. März 1888; die Ideen waren Gemeingut wie des Kronprinzen selbst, so des Kreises der Seinen, die Ausarbeitung der Form übernahm dagegen Roggenbach, dessen Schwung die Erlasse vornehmlich athmen. Kaiser Friedrich erlag, eine Generation fühlte sich in ihren Bestrebungen, ihren Idealen übergangen – man sollte meinen, G. wäre in Gram verstummt. Allein unverzüglich verfaßte er eine Denkschrift: „Ausblicke auf die Regierung Kaiser Wilhelms II.“, die Roggenbach durch die Hand des Großherzogs von Baden dem jungen Herrscher präsentiren sollte. Roggenbach fand einzelne Stellen ungeeignet für diesen Weg und schob die Denkschrift still bei Seite. In denselben Tagen brachte das Octoberheft der Deutschen Rundschau mit lärmender Reclame die anonyme Publication von Auszügen aus dem Kriegstagebuch Kaiser Friedrichs, die sich vornehmlich auf die Gründung des Deutschen Reichs bezogen. Bismarck, der einen Streich gegen sich vermuthete, gerieth in heroische Wuth. G., als Einsender enthüllt, eilte, sich den deutschen Gerichten zu stellen, ward am 30. September 1888 bei seiner Rückkehr von Helgoland am Bahnhof in Hamburg ergriffen und zu einer drei Monate währenden peinlichen Untersuchungshaft unterm Verdacht des Landesverraths in das Moabiter Gefängniß eingeliefert. Am 4. Januar 1889 beschloß jedoch der erste Strafsenat des Reichsgerichts, den Angeschuldigten außer Verfolgung zu setzen, „weil zwar hinreichende Verdachtsgründe für die Annahme vorhanden seien, daß er durch seine Veröffentlichung Nachrichten, deren Geheimhaltung anderen Regierungen gegenüber für das Wohl des deutschen Reichs erforderlich war, öffentlich bekannt gemacht habe; dagegen für die Annahme seines Bewußtseins von der Strafbarkeit seiner Handlung nach Ansicht des Gerichts genügende Gründe nicht vorlägen.“ Bismarck hielt es demgegenüber für angezeigt, die Anklageacte im Proceß G. nebst allen Anlagen [769] im Reichs- und Staatsanzeiger zu veröffentlichen, was mit Genehmigung des Kaisers am 16. Januar in Nr. 14 auf elf Spalten in Foliodruck geschah; zugleich ward dem Bundesrath auch der Briefwechsel zwischen G. und Roggenbach, der bei einer Haussuchung bei diesem mit Beschlag belegt worden war, zur Einsicht vorgelegt, worüber die Kölnische Zeitung Mittheilungen verbreitete. Der Proceß ergab, daß G. schon die Anfertigung der Auszüge aus dem ihm 1873 in Wiesbaden vertraulich geliehenen Tagebuch ohne Erlaubniß vorgenommen, sowie daß er überzeugt war, er würde zu deren Veröffentlichung eine Genehmigung von Seiten der Berechtigten nicht erhalten haben. Dennoch hatte ihn die prickelnde Sucht, durch eine „historische“ Enthüllung die Welt zu überraschen und den Reichskanzler, den er so gern „abfällig kritisirte“, ein wenig zu ärgern, vollkommen über den Unfug seiner Handlungsweise verblendet – sogar Redaction und Verlag der Deutschen Rundschau hatten in größerer Vorsicht einzelne Stellen des eingesandten Textes unterdrückt! G. erkannte nicht, daß er dem politischen Andenken des Kronprinzen in den Augen der Urtheilsfähigen eher Eintrag that und den Ruhm der Politik Bismarck’s, der das Ausführbare erstrebt hatte, nur um desto mehr erhöhte. Auch davon freilich hat er keine Ahnung gehabt, daß er durch seinen litterarischen Nadelstich den Gewaltigen zu verhängnißvollen Maßlosigkeiten reizen werde; Fürst Bismarck schonte bei seiner Abwehr auch des Kaisers Friedrich nicht, und Roggenbach prophezeite, daß der neue Herr daraus lernen werde.

G., dessen Schritt seine eigenen Freunde moralisch, juristisch und politisch verdammt hatten, zu dessen Vertheidigung die Familie auf seine nervöse Krankheit hingewiesen, kehrte aus dem Gefängniß als gebrochener Mann zurück. Er begab sich noch im Januar in die Nervenheilanstalt zu Kreuzlingen in der Schweiz und nahm später seinen Wohnsitz in München. Hier lebte er noch sieben Jahre seiner Pflege und auch jetzt noch der meist journalistischen Schriftstellerei. 1891 gab er sogar ein fast dreißig Jahr früher verfaßtes Trauerspiel heraus: „Ein Streit um die Krone“, das in der Zeit Kaiser Heinrichs IV. spielt. Er hatte es bühnengerechter umgearbeitet und erreichte, daß es zuerst in Konstanz, dann in Berlin gegeben wurde; behauptet hat es sich nicht lange, denn es entbehrt aller eigentlichen Poesie. Sonst verdient noch Erwähnung die Studie von 1893: „Frankreich, Rußland und der Dreibund; geschichtliche Rückblicke für die Gegenwart.“ In der ersten, anonymen Fassung in der Deutschen Revue (October 1892) hatte sie leichtfertig Katharina II. für eine Tochter Friedrichs d. Gr. erklärt, was Sybel in der Historischen Zeitschrift (Bd. 70) im heftigsten Tone rügte. Auch der politische Inhalt aber, der – wieder nicht ohne Kritik der Haltung Bismarck’s – den baldigen Zerfall des französisch-russischen Einvernehmens voraussagt, hat sich nicht bewährt. Im Frühjahr 1896 fühlte sich G. wohl genug, um eine Reise in den Orient zu unternehmen. Von jeher war es sein höchster Wunsch gewesen, die Stätte des Wirkens Jesu Christi zu betreten; die Stillung dieser Sehnsucht hat ihm das Leben nicht versagt. Als er zurückkehrte, brach sein altes nervöses Leiden wieder aus; er griff zu Schlafmitteln, stieß in der Betäubung die Lampe um und fand in den Rauchwolken des entstandenen Brandes am 1. Mai einen raschen, schmerzlosen Erstickungstod.

G. Jansen, Meine Erinnerungen an Heinrich Geffcken. Hamburger Correspondent 1904, Nr. 89 u. 41 vom 24. u. 26. Januar. – Dietrich v. Oertzen, Dr. Heinrich Geffcken. Tägl. Rundschau 1901, Nr. 289, Unterhaltungs Beil. vom 10. December. – Albr. v. Stosch, Denkwürdigkeiten. – Aus dem Leben Theod. v. Bernhardi’s, 3.–7. Theil. – Rob. v. Mohl, [770] Lebenserinnerungen Bd. II. – K. Jansen u. K. Samwer, Schleswig-Holstein’s Befreiung. – Aus Bismarck’s Briefwechsel (Anhang zu den Gedanken und Erinnerungen II.) Nr. 295–297. – Karl Samwer, Zur Erinnerung an Franz v. Roggenbach. – Privatmittheilungen.

[763] *) Zu Bd. XLIX, S. 263.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Franz Freiherr von Roggenbach (* 23. März 1825 Mannheim; † 25. Mai 1907 Freiburg i. B.), badischer Politiker.