Zum Inhalt springen

ADB:Köberle, Johann Georg (Schriftsteller)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Köberle, J. Georg“ von Hermann Arthur Lier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 282–289, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:K%C3%B6berle,_Johann_Georg_(Schriftsteller)&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 07:01 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Kober, Franz von
Nächster>>>
Koberstein, Karl
Band 51 (1906), S. 282–289 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Georg Köberle in der Wikipedia
Georg Köberle in Wikidata
GND-Nummer 116274069
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|51|282|289|Köberle, J. Georg|Hermann Arthur Lier|ADB:Köberle, Johann Georg (Schriftsteller)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116274069}}    

Köberle: J. Georg K., Dichter, Schriftsteller und Bühnenleiter, wurde am 21. März 1819 zu Nonnenhorn am Bodensee als Sohn eines allgemein geachteten Landmanns geboren. Obwol er von Jugend auf Anlagen für höhere geistige Interessen entwickelte und mit allerhand abenteuerlichen Plänen für seine Zukunft hervortrat, sollte er sich nach dem Wunsche seines Vaters der Landwirthschaft widmen. Er wußte es jedoch durchzusetzen, daß er studiren durfte. Zu diesem Zweck bezog er das Gymnasium zu St. Stephan in Augsburg, das damals noch von weltlichen Lehrern geleitet wurde. Erst nachdem K. bereits vier Jahre dieses Gymnasium besucht hatte, traten Benedictinermönche an ihre Stelle, welche, wie es scheint, bei ihrem Unterricht den Hauptwerth auf die Aneignung einer möglichst großen Menge memorirten Stoffes legten. Wenigstens erzählt K. selbst, daß er im J. 1838 als Schüler der Obergymnasialclasse zu Augsburg keine andere Welt- und Menschenkenntniß [283] besessen habe, als „Sentenzen und Verse, die er während des achtjährigen Lehrcurses aus den deutschen, griechischen, lateinischen, französischen und italienischen Klassikern wörtlich memorirt hatte“. Im übrigen hatten sie nicht verstanden, sich bei ihrem Schüler in Respect zu setzen, da er dahin gekommen war, daß „selbst ein Mann im Mönchsgewand so gut als ein Herr im goldgestickten Frack ein ganz gewöhnlicher Mensch“ sein könne. Nur die Jesuitenpatres flößten ihm noch Ehrfurcht ein, obwol er selbst noch keine gesehen hatte. So konnte es denn geschehen, daß ein älterer Bekannter, ein früherer Lieutenant, der in Rom für die Sache des Jesuitismus gewonnen war, ihn bestimmte, als Schüler in das Collegium Germanicum in Rom einzutreten, obwol ihm einer seiner früheren Lehrer, ein aufgeklärter Benedictiner, vor dem Mönchsgelübde warnte und ihn darauf aufmerksam machte, daß das Institut in Rom gegründet sei, um für die Sache des Jesuitismus in Deutschland Propaganda zu machen. Was K. am meisten nach Rom zog, war die Begeisterung für den Süden und die Kunstschätze des classischen Alterthums. Aber gleich die ersten Eindrücke, die er beim Eintritt ins Collegium erhielt, waren nicht günstig, obwol er von dem Pater Aloysius Landes, einem geborenen Schwaben, der Rector des deutschen Colleges war, freundlich empfangen wurde. Die antiken Bauten, wie das Colosseum, die er zu sehen bekam, wurden ihm einfach als Ueberbleibsel aus der Heidenzeit bezeichnet; das archäologische und philologische Interesse, das er für das Alterthum mitbrachte, fand nicht die geringste Befriedigung. K. wäre am liebsten schon in den ersten Tagen wieder aus dem Collegium abgerückt, mußte sich aber wol oder übel zu einer Probezeit verstehen und sich in das für die deutschen Schüler übliche hochrothe Kostüm eines Jesuitenzöglings einkleiden lassen. Indessen dienten die drei Monate, die er im Colleg verbrachte, nur dazu, den Abscheu gegen den ihm zugemutheten Gewissenszwang zu verstärken. Als ihn Pater Landes nach Ablauf dieser Zeit die Frage vorlegte, ob er geneigt sei, sich durch Ablegung des vorgeschriebenen Eides für immer dem Jesuitenorden zu verpflichten, weigerte er sich das Gelübde zu thun. Daraufhin erhielt er, wenn auch unter absichtlicher Verzögerung, seine Entlassung und bekam sogar ein glänzendes Abgangszeugniß ausgestellt, sowie allerhand Empfehlungen, von denen er aber keinen Gebrauch machte. Er hatte im Collegium nicht nur die Lust, Mönch zu werden, sondern überhaupt die Neigung, Theologie zu studiren, verloren und sehnte sich danach, auf deutschem Boden eine deutsche Universität besuchen zu dürfen. Erst ungefähr sieben Jahre nach dieser verunglückten Romfahrt veröffentlichte er seine Erinnerungen und Erfahrungen aus dieser Zeit. Sie erschienen unter dem Titel: „Aufzeichnungen eines Jesuitenzöglings im deutschen Colleg zu Rom“ in den „Grenzboten“ im October des Jahres 1845 (IV. Bd., S. 145–156, 185–202, 243–262) und kamen in erweiterter Gestalt und mit einem Anhang versehen unter dem alten und gleichzeitig unter einem neuen, welcher „Beleuchtung der Quelle aller ultramontanen Umtriebe und ihrer drohenden Eingriffe in die Wohlfahrt und Rechte des deutschen Volkes“ … lautete, zum zweiten Male im J. 1846 in Leipzig heraus und erregten das größte Aufsehen.

Von Rom aus, wo er sich noch weitere sechs Monate aufgehalten hatte, um immer mehr seinen Glauben an den Wert des Papstthums zu verlieren, wandte sich K. nach München, wo er vom Jahre 1839 bis 1845 mit historischen, philosophischen und juristischen Studien beschäftigt war und obendrein noch Zeit fand, seine poetische Begabung zu bethätigen. Schon im J. 1843 erschien sein erstes Drama: „Die Prätendenten“, das sich nicht mehr im Druck nachweisen läßt, auf dem Münchener Hoftheater und wurde von der Kritik [284] durchaus beifällig aufgenommen. Im August 1845 siedelte K. nach Leipzig über. Hier veröffentlichte er wiederum im Grunow’schen Verlag im J. 1846 ein zweibändiges Werk: „Rom unter den letzten drei Päpsten und die zweite Reformation in Deutschland“, in dem er „keine trockene Geschichte“, sondern „persönliche Erlebnisse“ erzählen wollte, „an welche sich Scenen aus ältester und neuester Zeit, verbunden mit dem voraussichtlichen Endresultat der gegenwärtigen Bewegungen, zufällig, aber natürlich zu Einem Ganzen aneinderreihen“. Das Werk zerfällt in zwei Theile; in dem ersten wird „Leo XIII. und der Geist der römischen Hierarchie“, in dem anderen „Die italienische Revolution und die deutsche Nationalkirche“ behandelt.

Schon im folgenden Jahre trat K. wiederum mit einer neuen Streitschrift zur Geschichte des modernen Papstthums auf, die sich mit den reformatorischen Bestrebungen des Papstthums Pius’ IX. beschäftigte. („Warum reformirt Pius IX.? und Wie weit kann, wie weit wird er gehen?“ … Leipzig 1847.) Auch die Ereignisse des Jahres 1848 veranlaßten K. seine Stimme laut werden zu lassen. In der Flugschrift: „Der Volkstribun. Kritische Beleuchtung der Umwälzung und Neugestaltung Europas. Mit vorzüglicher Bezugnahme auf Deutschland“, deren erstes Heft Leipzig, den 30. März 1848 datirt ist, bezeichnete er das Jahr 1848 als „das Jahr der geistigen Wiedergeburt“, das man in Zukunft „das ruhmgekrönte Jahr einer zweiten Welterschaffung, das wahre Erlösungsjahr der europäischen Menschheit nennen“ würde, „denn mit ihm beginne der Sturz roher Gewalt und der Sieg moralischer Kraft“. Der Standpunkt, den er vertrat, war ziemlich links. Er forderte „vollständige Gewährung voller Freiheit, ein starkes Band unzertrennlicher Vereinigung aller deutschen Stämme und eine vollständige Sicherstellung gegen jede Reaction, denn das allein könne Deutschland retten und glücklich machen“. Die Märzereignisse in Berlin, die er als „die Berliner Metzelei“ bezeichnete, nahmen ihn gegen Friedrich Wilhelm IV. ein. Er erklärte: „König Wilhelm[WS 1] hat nicht nur in Berlin alles Vertrauen auf seine unbeschränkte Gewalt und Einsicht unwiederbringlich vernichtet, sondern er hat zugleich den letzten autokratischen Ueberresten, die in anderen Theilen Deutschlands bisher noch geachtet wurden oder neben den Zugeständnissen vielleicht noch hätten bestehen können, eine schwere moralische Niederlage bereitet“. Als Gegner von Friedrich Wilhelm’s IV. Politik ereiferte er sich gegen die Möglichkeit, daß der König die deutsche Krone usurpiren könnte, und wies auf den deutschen Beruf Oesterreichs hin, das seine Grenzen schützen müsse, aber die fremde Nationalität achten solle. Oesterreichs Zukunft hänge von der richtigen Lösung seiner Doppelaufgabe ab, „der Grenzbestimmung und der Ordnung innerer Angelegenheiten“. „Frieden oder Krieg, Wohlstand oder Noth, beseligende Eintracht oder vernichtende Zersplitterung werden daraus hervorgehen, je nachdem die Deutschen in Oesterreich jetzt ihren wahren Vortheil verstehen und kräftig erfassen, oder mißkennen oder versäumen. Wir hegen die vollste Zuversicht, daß Ersteres geschehe. Wien hat uns schon einmal aufs freudigste überrascht und wird jetzt seine Mission vollenden“. Als seine Erwartungen nicht in Erfüllung gingen und alle gegebenen Versprechungen sich als „Worte! nichts als Worte“ erwiesen, schloß er am 11. Mai die Artikelserie seines „Volkstribuns“ mit einem „Zu spät“ überschriebenen Aufsatz und verwies zum Schlusse derselben auf eine umfängliche Schrift, die er „Alte Diplomatie und neue Politik“ betiteln wollte, und in der er alle die Fragen, die in den fliegenden Blättern des „Voltstribunen“ ungelöst geblieben wären, lösen zu wollen erklärte. Er hat dieses Versprechen nicht eingehalten, sondern sich begnügt, schon wenige Tage später, am 18. Mai eine neue Broschüre unter dem Titel: „Der junge [285] Tropf am altem Zopf“ (Leipzig 1848) zu veröffentlichen. In ihr verlangte er, daß Deutschland mit seiner mittelalterlichen Vergangenheit brechen solle. „Es muß brechen mit den bisherigen Vorrechten des Adels, brechen mit der bisherigen Praxis, die Abgeordneten zu Volkskammern aus dem Stande der Beamten und der Geistlichkeit zu wählen; brechen nicht nur mit den letzten Resten der Bureaukratie, sondern auch mit dem System der lebenslänglichen Anstellung irgend eines Verwaltungsbeamten; brechen mit dem Vorurtheil, daß unter einer zeitgemäß eingerichteten Regierung nur die nach dem römischen Codex schulgerecht verschimmelten Juristen die Fähigkeit zu Staatsstellen besitzen; brechen endlich mit der einseitigen Auffassung der materiellen Lebensfrage, daß sich Gewerbe, Handel und Industrie nur in spießbürgerlicher Zunftabgeschlossenheit heben lasse“. Bei diesen Forderungen hatte K. offenbar amerikanische Zustände im Auge, und schließlich läuft diese Broschüre auf ein Lob Jefferson’s aus, der „der eigentliche Fertiger des Glückes, Wohlstandes, der Freiheiten und Rechte von Nordamerika war“.

Mit dieser Schrift zog sich K. für längere Zeit von der öffentlichen Theilnahme am politischen und publicistischen Leben zurück. Er widmete sich nunmehr historischen und ästhetischen Studien und nahm vor allem seine dramatischen Arbeiten wieder vor. Die erste Frucht seiner Muße, die im J. 1848 veröffentlichte zweibändige Schrift: „Der neue Thurm zu Babel oder Ahasver und seine Gesellen“ (Leipzig), die wir nicht zu Gesicht bekommen haben, scheint jedoch völlig verunglückt zu sein. Der Referent in den „Blättern für literarische Unterhaltung“ (Jahrg. 1848, 1. Bd., S. 520) hält sie für eine schwer verständliche Allegorie und erklärt, den eigentlichen Grundgedanken nicht erfaßt zu haben. Ahasver trete zwar hier und da auf, aber er sei nicht der eigentliche Ahasver, sondern nur wie er selber sage: „Ich bin die Mythe vom Mann, der wandernd geht von Ort zu Ort ohne Rast und Ruhe und nicht ans Ziel kommt, so lange auf der Erde noch Menschen leben; denn wo die Staubgeborenen wohnen, da haust die Thorheit, die mich stets weiter fliehen macht“. Bessere Aufnahme fand das fünfactige Drama: „Die Medicäer“ (Mannheim 1849), das nach der Meinung von Heinrich Kurz „die dramatische Begabung des Autors nicht verkennen läßt und einen großen Gedankenreichthum entwickelt, sich aber in rhetorische Breite verliert, wodurch die Handlung allzusehr zurückgedrängt wird“ (vgl. auch die Blätter f. lit. Unterh. 1849, 2. Bd., S. 1087, 1088). Noch günstiger wurde die fünfactige geschichtliche Tragödie: „Der erste Bourbone auf Frankreichs Thron“, von der uns eine undatirte als Manuscript für die Bühne gedruckte Ausgabe (Leipzig 1851) vorliegt, beurtheilt. Sie behandelt die Ermordung Heinrich’s IV. von Frankreich durch Ravaillac, welcher den König tödtete, weil er angeblich seine Schwester entehrt haben sollte. „Heinrich IV. von Frankreich“ lautet auch der Titel einer zweiten Tragödie in fünf Acten (Leipzig 1851), die in der Buchausgabe nicht weniger als 352 Seiten umfaßt. Sie gilt als das dramatische Hauptwerk Köberle’s, ist schon im J. 1849 geschrieben und erweckte bei ihrer ersten Aufführung in Leipzig und auf anderen deutschen Bühnen Erwartungen, die sich schließlich nicht erfüllt haben (vgl. Blätter f. lit. Unterh., 1874, 1. Bd., S. 568). Jedenfalls dienten diese dramatischen Producte dazu, auf K. aufmerksam zu machen und ihn als einen Mann erscheinen zu lassen, der für die Zukunft des deutschen Theaters zu großen Hoffnungen berechtige. Die praktische Probe, die er in den Jahren 1853 bis 1856 als Leiter des Heidelberger Theaters über diese seine Befähigung zum Reformator ablegte, fiel jedoch nicht gerade glänzend aus. Er mußte große pecuniäre Opfer bringen, gerieth in Schulden, die er jedoch zurückerstatten konnte, und war wenigstens selbst davon [286] überzeugt, daß seine Directionsführung in artistischer Beziehung eine goldene Zeit für Heidelberg gewesen sei. Von Heidelberg siedelte K. nach Frankfurt a. M. über, von wo aus er einen „Offenen Brief an die Frankfurter Filiale des Berliner Central-Preßbureaus und an alle ihm untergebenen Journale“ (Frankfurt a. M. 1857) richtete. In dem gleichen Jahre veröffentlichte er eine größere Abhandlung: „Der Zeitgeist und der Geist der Zeiten“ (Frankfurt 1857).

Die nächsten Jahre, während deren er zunächst in München und dann in Stuttgart lebte, waren einem eifrigen dramatischen Schaffen gewidmet. Von seinen zahlreichen Stücken, die er selbst nur zum Theil in seine 1873 in Stuttgart erschienenen „Dramatischen Werke“ aufnahm, hat sich jedoch keines gehalten, weshalb es genügt, daran zu erinnern, daß sie in Joseph Kürschner’s „Deutschem Litteratur-Kalender auf das Jahr 1898“ am vollständigsten aufgeführt werden. Der Referent in den „Blättern für literarische Unterhaltung“ (1874, 1. Bd., S. 569) faßt sein Urtheil über diese Sammlung in folgende Worte zusammen: „Es ist aufrichtig zu bedauern, daß mit diesen Dramen nicht mehr und Höheres erreicht wird; denn daß ihr Urheber mit vollster Drangabe, mit heiligstem Eifer, mit dem ganzen Aufgebot seiner Begabung und seiner Begeisterung daran geschaffen, bezweifeln wir keinen Augenblick. Sein Wille ist der beste, sein Streben das redlichste, aber seine dichterische Befähigung für das Drama, unserem Ermessen nach, nicht so bedeutend, wie er geglaubt, und wie es zu wünschen wäre“.

Die Vorgänge, die zur Unfehlbarkeitserklärung des Papstes führten, und die Ereignisse, die in Frankreich den Sturz Napoleon’s III. im Gefolge hatten, veranlaßten K. noch einmal mit einer historisch-politischen Kampfschrift auf den Plan zu treten. Schon der doppelte Titel, den er ihr gab, veranschaulicht die schwülstige Ausdrucksweise, in der er sich je länger, je mehr bei seinen Auslassungen gefiel. Er lautet: „Deutsche Antwort auf welsche Projekte. Ein nach authentischen Quellen entworfenes Promemoria über das germanische Problem und über das, was noch zu thun erübrigt“. Auch u. d. T „Enthüllungen über die Palastrevolution im Vatican und der Feldzugsplan der Jesuiten gegen Deutschlands Neugestaltung“ (Stuttgart 1870). K. behauptete in dieser Schrift, daß „die Casa professa im Palazzo al Jesu die Geburtsstätte des Unfehlbarkeitsdogmas sei, erklärte sich, und zwar als guter Katholik, als entschiedener Gegner der Infallibilität und bemühte sich zwischen dem usurpatorisch infallibilen Pontificate Pius’ IX. und dem revolutionären Neu-Cäsarismus Napoleon’s III. einen Zusammenhang nachzuweisen (vgl. Blätter f. lit. Unterh. 1871, 1. Bd., S. 170, 171). Die Schrift erregte Aufsehen und erlebte in kurzer Zeit drei Auflagen, die K. nach seiner Art vervollständigte und commentirte. Im gleichen Jahre debutirte er auch mit einem dreibändigen Roman, der unter dem vielsagenden Titel: „Alles um ein Nichts“ (Leipzig 1871) Zug um Zug an die gefährlichsten französischen Verbrecherromane erinnert (a. a. O. 1872, 1. Bd., S. 289, 290). Scheint dieses Machwerk rasch in Vergessenheit gerathen und sogar von ihm später verleugnet worden zu sein – er fehlt in dem Kürschner’schen Verzeichniß seiner Schriften –, so wirbelte die von ihm im J. 1872 bei Neff in Stuttgart herausgegebene Reformschrift: „Die Theaterkrisis im neuen deutschen Reiche“ gewaltigen Staub auf und brachte K. für einige Zeit in den Mund aller der Vielen, welche für diese wichtige Frage Interesse zeigten. Auch die „Theaterkrisis“ hat ihre Vorgeschichte. K. erzählt selbst, daß er schon im J. 1864 von dem Chef eines deutschen Cabinets, das er jedoch leider nicht nennt, aufgefordert worden sei, „eine Denkschrift über die Bühnenzustände zur Vorlage an den regierenden [287] Landesherrn auszuarbeiten und darin praktische Andeutungen zur Organisirung eines musterhaften Nationaltheaters niederzulegen“. K. kam dieser Weisung nach, verfaßte ein „compendiöses Memoir“ und verarbeitete dessen Grundgedanken zu einem größeren Aufsatz, der unter dem Pseudonym Georg Isigat und unter dem Titel: „Ueber die moderne Bühne und die Mittel zu ihrer Reform“ in der Cotta’schen „Deutschen Vierteljahrsschrift“ im J. 1867 abgedruckt wurde (30. Jahrg., 3. Heft, S. 90–161). Die „Theaterkrise“ enthält dann einen vollständigen Neudruck des erwähnten Aufsatzes, eingehende Mittheilungen über Köberle’s eigene dramatische Dichtungen, sowie über erfolgreiche Aufführungen seiner Stücke und schließlich polemische Ausfälle gegen zu jener Zeit hervorragende Hoftheaterleiter, wie gegen Herrn v. Perfall in München, Feodor Wehl in Stuttgart, Laube in Wien und gegen den Generalintendanten v. Hülsen in Berlin, der besonders stark angegriffen wird. Daß K. mit seiner Schrift in ein Wespennest stieß, und daß die von ihm mehr oder weniger der Unfähigkeit geziehenen Bühnenvorstände die Beschuldigungen nicht auf sich sitzen lassen konnten, lag auf der Hand. Die Kritiken seines Buches, welche in der Presse reichlich erschienen, deckten die zahlreichen Schwächen seiner theoretischen Erörterungen schonungslos auf und hoben hervor, daß seine positiven Vorschläge, soweit sie brauchbar wären, nicht neu seien. Wie weltfremd und mit den thatsächlichen Verhältnissen unvertraut K. war, geht schon aus dem einen verstiegenen Einfall hervor, daß er vom Fürsten Bismarck, an den das Buch gerichtet ist, die Hebung des deutschen Theaters verlangte und voraussetzte, der Bundestag und der Reichstag werde sich mit der brennenden Theaterfrage sozusagen von Amts wegen befassen. Trotzdem schien es vorübergehend, daß Köberle’s Reformprojecte wenigstens theilweise zur Ausführung kommen sollten. Der Großherzog von Baden hatte Köberle’s Buch gelesen und beschlossen, K. an die Spitze seines Hoftheaters in Karlsruhe zu stellen, um der Misere, die nach Eduard Devrient’s Abgang in der Leitung desselben ausgebrochen war, ein Ende zu machen. K. siedelte also im October 1872 von Stuttgart nach Karlsruhe über, war aber nicht im Stande, die unter den Schauspielern und Sängern von vornherein gegen ihn herrschende Mißachtung zu bannen und den Widerstand aller derer, die sich durch seine Berufung und Geschäftsgebarung zurückgesetzt glaubten, zu brechen, obwol er, wie es scheint, die Sympathie des unparteiischen Publicums in Karlsruhe zu gewinnen wußte. Auch am großherzoglichen Hofe fand er nicht den erwarteten Rückhalt. Er meinte vielmehr, daß eine Hofkabale an seinem Sturze arbeite. Wie nun auch die Verhältnisse, die ein Fernstehender kaum noch durchschauen kann, gelegen haben mögen, das Ergebniß war jedenfalls das, daß K. schon am 2. April 1874 aus seiner Stelle entlassen wurde, obwol er noch bis zum 1. October desselben Jahres einen unkündbaren Vertrag besaß. Die gehabten Aufregungen zogen ihm ein schweres Nervenleiden zu, auch erkrankte er an den Augen. Als er sich wieder besser fühlte, veröffentlichte er unter dem 16. Juli 1874 die Broschüre: „Meine Erlebnisse als Hoftheater-Director“ (Leipzig), in der er sich als „den zur Zeit bestverläumdeten und bestgehaßten Mann in der deutschen Theaterwelt“ hinstellte. Indessen genügte ihm dieser ziemlich schwache Rettungsversuch seiner Sache nicht. Schon im folgenden Jahre trat er mit einer neuen polemischen Schrift auf, die er hauptsächlich wegen der Angriffe, welche Paul Lindau’s „Gegenwart“ gegen ihn gebracht hatte, „Berliner Leimruthen und Deutsche Gimpel“ betitelte (Leipzig 1875). Persönliches Gezänk, Angriffe gegen seinen Vorgänger Eduard Devrient und dessen Geschichte der Schauspielkunst, in der der Realist Heinrich Laube zu günstig behandelt sein sollte, Ausfälle gegen Paul Lindau und den Reichstagsabgeordneten Sonnemann [288] als Besitzer der Frankfurter Zeitung füllen das Büchlein zum großen Theil aus und überwiegen den sachlichen Gehalt. Doch soll damit nicht gesagt sein, daß es, wenigstens bei vorsichtiger Benutzung, für die interne Geschichte des damaligen Theaters und für die Bekanntschaft der Strömungen und Gegenströmungen unter den damals maßgebenden Theaterleuten und Kritikern, ohne Werth sei. K., der offenbar zu denjenigen Menschen gehörte, die eine persönliche Kränkung nicht verwinden können und die immer das letzte Wort haben müssen, fuhr seitdem fort, wenn auch nicht durch die That, so doch durch seine Schriften die Reform des deutschen Theaters zu betreiben. In den Jahren 1880 bis 1890 ließ er noch drei auf dasselbe Thema bezügliche umfangreiche Abhandlungen erscheinen. Im Jahre 1880 kam „Der Verfall der deutschen Schaubühne und die Bewältigung der Theater-Calamität. Dramaturgische Gänge“ (Leipzig) heraus, und zehn Jahre später veröffentlichte er „Das Drangsal der deutschen Schaubühne“ (Dresden 1890), nachdem er von Wien aus, wohin er übergesiedelt war, die „Brennenden Theaterfragen. Eine Denkschrift für alle kunstfreundlichen Patrioten“ (Wien 1887) hatte ausgehen lassen. Die erste dieser Schriften leidet ebenso wie die frühere „Theaterkrisis“ an einem Uebermaß unkritischer Elemente und an einer überladenen, forcirten Schreibweise, die sich in schiefen und widerwärtigen Vergleichen und Bildern gefällt. Sie ist in Gesprächsform abgefaßt und hat dadurch nicht gewonnen, da K. die Scheindiscussion nur benutzt, um seine eigenen Ansichten mit größerem Eclat an den Mann zu bringen. Obwol vorlaute und weniger genau prüfende Freunde und Parteigänger ihn mehr und mehr als den „dramaturgischen Lessing der Gegenwart“ zu bezeichnen pflegten, mußte er sich doch von sachverständiger Seite sagen lassen, daß Bücher wie diese keinen Anspruch auf eine sorgfältige Beachtung der Kritik machen könnten (vgl. Blätter f. lit. Unterh. 1881, 1. Bd., S. 273–276). Etwas günstiger wurden seine Reformvorschläge, die er in dem „Drangsal der deutschen Bühne“ vorbrachte, aufgenommen, da K. sich diesmal aller persönlichen Angriffe enthalten hatte und im wesentlichen nur die Frage untersuchte, durch welche Mittel die Hebung des deutschen Theaters herbeizuführen sei, und auf welchem Wege die Lösung dieser Aufgabe zu einer nationalen Angelegenheit gemacht werden könne (vgl. Blätter f. lit. Unterh. 1890, 1. Bd., 24, 25). Von Wien aus zog K., der seit dem Jahre 1879 eine lebenslängliche Pension von 5000 Mark von dem Großherzog von Baden erhielt, im J. 1897 nach Dresden. Er betheiligte sich lebhaft an den Bestrebungen der allgemeinen deutschen Bühnengesellschaft und wurde Mitarbeiter an ihrem officiellen Organ, der „Deutschen Dramaturgie“ (vgl. 1. Jahrg. S. 4–8; 2. Jahrg. S. 45–50, 342–349, 373–379; 3. Jahrg. S. 14–17, 42–45, 103–108, 362–372; 4. Jahrg. S. 1–8, 74–76, 108–110). Auch trat er in Dresden Ferdinand Avenarius, dem Leiter vom „Kunstwart“, näher und fand Gelegenheit, in dieser geachteten Zeitschrift seine These von der Nothwendigkeit der „Umkehr von der theatralischen Künstelei zur Pflege der dramatischen Kunst“ weiter zu verfechten (vgl. den „Kunstwart“, 2. Jahrg., S. 241–243, 321–323; 3. Jahrg. S. 11, 12, 209–212; 4. Jahrg. S. 321–324, 1888, 1891). Im Winter von 1897 auf 1898 fing Köberle’s Gesundheit an schwankend zu werden. Er konnte nicht wieder zu Kräften kommen und starb im Alter von 79 Jahren am 7. Juni 1898.

Vgl. Neuer Theater-Almanach. Hrsg. von der Genossensch. Deutscher Bühnen-Angehöriger. 10. Jahrg., Berlin 1899, S. 171–173. – Biogr. Jahrbuch und Dtschr. Nekrolog. Hrsg. von A. Bettelheim. Berlin 1900. III, 343. – Heinr. Kurz, Gesch. d. deutschen Literatur, 4. Bd. Leipzig [289] 1872, S. 494. – Rud. v. Gottschall, Die deutsche Nationallitteratur des 19. Jahrh., 6. Aufl., 4. Bd. Breslau 1892, S. 162. – Frz. Brümmer, Lex. d. dtsch. Dichter u. Prosaisten d. 19. Jahrh., 5. Ausg., 2. Bd. Lpz. (1901), S. 310, 311. – Feod. Wehl, Fünfzehn Jahre Stuttgarter Hoftheater-Leitung. Hamburg 1886, S. 217, 222–224. – Die Gegenwart. Hrsg. von Paul Lindau. Berlin 1872, 1. Bd. S. 332–335; 2. Bd. S. 45–47, 333–334. 1874 6. Bd. S. 107–109. – Deutsche Bühnenkunst. Hrsg. von Herm. Schreyer. Leipzig 1898. I, 148–150.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Wilhem