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ADB:Kirchner, Emil

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Artikel „Kirchner, Emil“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 177–180, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kirchner,_Emil&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 13:50 Uhr UTC)
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Kirchner: (Albert) Emil K., Architekturmaler, geboren am 12. Mai 1813 in Leipzig, † am 4. Juni 1885 zu München. Als der Sohn eines Tischlermeisteres standen die friedlichen Musen kaum an der Wiege des Knaben; die Donner der Völkerschlacht schossen bald ihr Salut über sein junges, übrigens friedliches Leben. Vorerst rutschte K. auf den lateinischen Schulbänken herum, kam in die Bauschule und schließlich 1828 in die Akademie, wo ihn Fr. Brauer im Zeichnen und in der Anatomie unterrichtete. In Dresden hatte er das Glück, in die Hände der besten Lehrer zu gerathen, welche trotz strenger Schulung den poetischen Hauch seiner Seele nicht beeinträchtigten: des ernsten realistischen Joh. Christian Dahl (s. A. D. B. IV, 692) und des romantisch gestimmten Caspar David Friedrich (geboren am 5. September 1774 zu Greifswald, † am 7. Mai 1840 in Dresden), welch letzterer eines eigenen Biographen werth wäre. Was Wilhelmine v. Chezy, Clemens Brentano, G. H. v. Schubert, Sulpiz Boisserée, Louise Seidler u. A. über Friedrich als Mensch und Künstler berichten, lautet zumal im Vergleich mit den wenigen uns bekannt gewordenen Bildern und Stichen, in höchstem Grade anmuthig und anziehend. Durch Friedrich wurde K. für die Landschaft begeistert und gewonnen. Gerade damals hatte Friedrich zwei seiner zauberhaften, vom sächsischen Kunstverein angekauften Mondscheinbilder vollendet: das „Wrack eines Schiffes“ und die beiden, auf der Spitze eines Berges spielenden „Harfner!“ – Weitere Anregung erhielt K. durch Mendelssohn-Bartholdy und R. Schumann, deren persönliche Bekanntschaft und Freundschaft der vielfach gleichgestimmte junge Mann schnell gewann. – Nach längerem Aufenthalte zu München (1832) kehrte K. nach Sachsen zurück, um für Puttrich’s „Denkmale der Baukunst des Mittelalters“ (s. A. D. B. XXVI, 744) Stoff zu sammeln und Zeichnungen zu machen: treffliche Ansichten aus der Domkirche [178] zu Freiberg mit der goldenen Pforte, aus Pötnitz, Bernburg, Arnstadt, von der Wartburg, aus Oybin, Merseburg, Memleben, Schul-Pforta, Naumburg, Sangershausen, Halle und Erfurt, welche nach Kirchner’s getreuen und doch geschmackvollen Aufnahmen durch Brandt, Hanfstängl, Borum, Schlick u. A. lithographirt wurden; ein paar reizende Vignetten hat K. selbst in Kupfer radirt. Diese Gelegenheit, sich gleichmäßig im Gebiete der Architektur umzuthun – einen ähnlichen Weg hatte auch W. Riefstahl (s. A. D. B. XXVIII, 539) eingeschlagen! – brachte für K. erhebliche Folgen: Durch die Vereinigung interessanter Bauwerke mit der entsprechenden landschaftlichen Umgebung und ihre mit künstlerischer Freiheit gestaltete geniale Wiedergabe begründete K. seinen guten Ruf und bleibenden Namen.

Im J. 1834 übersiedelte K. nach München, wo er mit Genelli, Preller und Moriz v. Schwind zusammentraf; auch sie nährten und entflammten seinen idealen Sinn. Die nahen Berge lockten zu Ausflügen nach Salzburg und Tirol. Als Ausbeute ergaben sich viele Zeichnungen, welche K. meistentheils selbst auf Stein übertrug. Auch lithographirte er (mit Eberle) die von C. Auer und Podesta gezeichneten „Ansichten von Tirol und Salzburg“ und fertigte das Titelblatt dazu. Dann folgten „Ansichten aus München und dessen Umgebung“ (München 1839–41, mit 13 Blättern in gr. Fol. Lithogr.), darunter eine originelle Vedute aus der altehrwürdigen „Frauenkirche“. Leider dachte damals kein Maecen und Verleger daran, die Kunstschätze Altbaierns, etwa nach Puttrich’s Vorbild, zu sammeln und abzubilden: K. wäre dazu der rechte Mann gewesen. Erst später wagte G. Franz das sogenannte „Malerische Baiern“ (1843), wozu K. nur wenige Beiträge lieferte. Sehr fleißig malte er Landschaften und Architekturbilder, welche seit 1837 im Kunstverein auftauchten und beifällig aufgenommen, den Weg weit nach auswärts fanden: da wechselten die Jagdschlösser und Kreuzgänge des Thüringer Landes mit Chiemseebildern und altbaiwarischen Kalköfen, oder mit stillen Waldscenen und Klosterruinen, bis plötzlich die stolzen Paläste von Verona und Venedig in den Vordergrund rückten, als K. einmal nach dem schönen Süden vorgedrungen war. Aus Italien brachte er von wiederholten Wanderzügen immer neue Studien und Bilder mit. Erfreuliche Proben dieser Art sind z. B. 1845 das „Grabmal der Grafen von Castelbarco in Verona“ (Neue Pinakothek), die „Ruine der Basilika auf Castell S. Pietro bei Verona“ (1845 angekauft vom Kunstverein zu Breslau); der „Hof des Palastes Cà Doro“ (1849, kam als Kunstvereinsgewinn in Besitz des Kaiser Nikolaus I.), dann ein Prachtjuwel von Kirchner’s Kunst, die „Ansicht eines Theiles von Verona“ (1851) im glühenden Sonnenlichte und der „Hof eines Venetianischen Palastes“ (1858). In diesem Bilde ist alles fesselnd und interessant, das kleinste Detail mit einer Liebe und Wahrheit und doch mit jener Freiheit durchgebildet, die jede künstlerische Schöpfung adelt! Letzteres gehörte überhaupt zur Charakteristik Kirchner’s: Alles sieht zierlich, elegant, niedlich, so zu sagen Kirchnerisch aus; der echte Künstler drückt, wie Graf Platen sagt: „auf die Sprache sein Gepräge“. Ohne die Physiognomie einer Gegend mit vedutenhafter – oder wie wir heutzutage sagen – mit photographischer Treue wiederzugeben, trifft er, ebenso wie Rottmann, eine ideale Porträtähnlichkeit, welche die geistige Schönheit in poetischer Stimmung verklärt und abspiegelt. Es ist das freie Gesetz von „Wahrheit und Dichtung“, nach welchem noch jeder Genius geschaffen hat; „jeder Zug ist erlebt und steht doch anders da“, so daß auch hiervon das Räthselwort Körner’s gilt: „Die Wahrheit dieser Dichtung sei oft noch wahrhafter als die Wahrheit selbst“. Dasselbe paßt auch auf Kirchner’s Rhein- und Neckarbilder, ebenso auf seine italischen Landschaften. Es ist ein seltsamer [179] Zufall, wie bei L. Richter, daß diese Maler früher mit Italien und dann erst mit ihren deutschen Flüssen bekannt wurden. Und wie faßte auch K. diese Stoffe auf! Davon zeugen die drei prachtvollen Bilder aus dem Heidelberger Schlosse, welche die epheuübersponnenen Façaden des Friedrich- und Otto Heinrich-Baues wiedergeben: Hier waltet der ganze Zauber der Romantik! Das ist Poesie! Eine Fülle von Licht, Gluth und Sonnenglanz zittert und wogt und spielt darüber, die ganze Vergangenheit steigt herauf und packt den Beschauer mit magischer Gewalt. Ein edler Lord, welcher, mit staunender Bewunderung diese Bilder in der Neuen Pinakothek (wofür sie König Ludwig I., wie sie in den Jahren 1852–54 entstanden, erwarb) betrachtete, fragte, hingerissen von ihrer Wirkung, ob das wirklich auf Leinwand und gemalt sei!

K. behandelte meist neue Stoffe und Motive; Wiederholungen liebte er nicht und verstand sich nur selten dazu. Jeden Sommer und Herbst durchzog er einen Theil von Deutschland und Italien, um sich und seine Kunst zu frischen. Was sein klares Auge erspähte und seine sichere Hand festhielt, das gestaltete sich wie von selbst zu liebenswürdigen Bildern, über deren Folge und Verbleib er selbst vielleicht am wenigsten Bescheid wußte. Im J. 1844 malte K. eine „Waldpartie“, 1848 eine „Ansicht aus dem Etschthale“, Schloß „Rodunt im Münsterthale“, einen „Kreuzgang im Dom zu Eichstätt“ und einen „Klosterhof zu Schwaz in Tirol“; 1850 ein „Jagdschloß“; 1852 eine „Partie bei Hallstadt im Salzkammergut“; 1855 den „Dom zu Worms“ und das „Portal zur alten Synagoge“ daselbst; 1856 den „Eingang in das Kloster Maulbronn“ u. s. w. Unter den Bildern aus späterer Zeit finden sich „S. Lorenzo bei Trient“ (1865), „S. Tomaso“ an der Küste von Genua (1868); eine große aus dem Giardino di Boboli genommene Ansicht des prächtigen Florenz, „hell und klar in der Farbe, trefflich in der Zeichnung und von einer gewissermaßen einschmeichelnden Wirkung“ (Lützow’s Zeitschrift 1869, IV, 164). In demselben Jahre brachte K. noch ein Bild mit einem Brunnen aus irgend einer italischen Stadt und eine „Partie aus S. Michele“ in Südtirol; 1871 folgte eine „Mühle zu S. Lorenzen im Pusterthale“, 1872 eine Erinnerung „Aus Judicarien“ und an „Montano“ in Südtirol – ein Bild „von mäßigerem Umfange, als die meisten, welche aus der modernen Schule hervorgehen, aber dafür voll Feinheit und Anmuth. K. gilt nicht bloß in der Architektur, sondern auch in der von ihm mit gleicher Meisterschaft behandelten Landschaft mit Recht als der erste Zeichner und hat sich diesen Ruhm auch in diesem Bilde bewahrt. Ein so delikater Vortrag, eine solche Solidität der Durchbildung im Ganzen und Einzelnen ist nachgerade zu einer Seltenheit ersten Ranges geworden und bildet einen wohlthuenden Gegensatz zu der beliebten Spachtelmalerei“ (Lützow’s Zeitschrift 1873, VIII, 418 u. Graf Schack, Meine Gemäldesammlung 1881, S. 225 ff.). Gerne und zu verschiedenen Zeiten verarbeitete K. Eindrücke aus Trient; mit einem „S. Lorenzo“ schloß er wenige Tage vor seinem nach längerem Unwohlsein unerwartet und plötzlich erfolgten Ableben seine Thätigkeit als Maler, nachdem in den letzteren Jahren seine Eigenschaft als Zeichner vorwiegend in Anspruch genommen war. Hatte er schon bei dem 1845 gegründeten Münchener Radir-Verein mit Dyk, Eberle, Gail, Klein, Morgenstern, Neureuther, Voltz und Zimmermann wetteifernd einige Blätter in geistreicher Manier geliefert, so wurde, als unsere Verleger mit xylographischen Prachtwerken vor das Publicum traten, auch K. vielfach zu Illustrationen eingeladen, welche durch Holzschnitt, Photographie und Lichtdruck vervielfältigt, eine vordem unerhörte, höchst anmuthige Verbindung von Bild und Wort herbeiführten. So lieferte K. Zeichnungen zu Cotta’s Prachtausgabe von Schiller’s Gedichten (Stuttgart 1859. An die [180] Künstler; Der Abend; Berglied; Gang zum Eisenhammer), zu Gsell-Fels’ „Schweiz“ , Rousseau’s Denkmal, Genf vom Quai du Montblanc, Nyon, Vevey. Clarens, Kirch-Montreux, Glion, Lausanne, Schloß Chillon), Kaden’s „Italien“ (Kastell von Trient, Brunnen am Domplatz, Riva, Desenzano, Torbole, aus Verona, Villa Giustiniano und S. Antonio in Padua, Riva dei Schiavoni, S. Pietro in Castello, auf der Insel Torcello, Seufzerbrücke in Venedig) u. s. w. Unangenehm berührt durch das Gebahren der jüngeren Generation, war K. nicht mehr zu bewegen, weder im Kunstverein noch in der Kunstgenossenschaft eines seiner Bilder zur Ausstellung zu bringen, obwol er sie mit gutem Erfolge nach auswärts versendete. Er blieb unverändert bis zum letzten Augenblick, aber das Cliquenwesen war ihm verhaßt. Er anerkannte und lobte das Gute und Schöne der Neuzeit, trat unberechtigtem Uebermuthe edel entgegen und hielt zu seinen alten Freunden, wo er Zeitlebens in jeder Gesellschaft seines unwandelbaren Charakters wegen gern gesehen war. Besonderer Huld und Auszeichnung erfreute sich K. von Seite des Herzogs Maximilian, welcher ihn regelmäßig als Montaggast zu seinen Symposien lud. K. hatte feinere Bildung als viele seiner Collegen; in seiner Sprache blieb der gemüthliche Sachse unverkennbar. Die Münchener Akademie ernannte ihn zum Mitglied, der Staat ehrte ihn durch Verleihung der großen Pension. Seit 1836 verheirathet – leider wurden ihm seine Kinder frühzeitig durch den Tod entrissen – hinterließ er seiner Wittwe eine kleine erlesene Galerie von Gemälden seiner Zeitgenossen, einen Schatz mit eigenen Bildern, Studien, Skizzen und Handzeichnungen, Stichen und Sammlungen, die in einer 600 Nummern umfassenden Auction durch Karl Maurer am 13. April 1886 zerstreut wurden.

Vgl. Nagler 1839, VII, 29 und Monogrammisten 1858, I, 351, 357 (Nr. 763, 789), 1860, II, 571 (Nr. 1504). – Vincenz Müller, Handbuch von München 1845, S. 151. – Regnet, Münchener Künstlerbilder 1871, I, 260 ff. – Maillinger, Bilder-Chronik 1876, II, 211 ff. (Nr. 3735–54). – Seubert 1878, II, 487. – Schack, Meine Gemäldesammlung 1881, S. 225 ff. – Nekrolog in Beil. 242 d. Allg. Ztg. v. 4. Novbr. 1885. – Kunstvereins-Bericht für 1885, S. 67. – Pecht, Gesch. der Münchener Kunst 1888, S. 172. – Fr. v. Bötticher 1895, I, 683 ff. – Singer 1896, II, 341. – Der S. 177 ausgesprochene Wunsch hat sich unterdessen erfüllt und C. D. Friedrich durch A. Aubert (Kunst u. Künstler Heft 5. 6, 1905) einen Biographen gefunden.