ADB:Müller, Johann Gotthard von
Karl (Eugen) im J. 1761 errichteten Académie des Arts und erhielt dort gleich im ersten Jahre einen Preis. Der Herzog, durch die Lehrer auf sein künstlerisches Talent aufmerksam gemacht, ließ ihn wiederholt auffordern, sich ganz den Künsten zu widmen. M. widerstand aber, von Seiten seiner Familie darin unterstützt, längere Zeit. Wenige Tage ehe er in das tübinger Stift hätte aufgenommen werden sollen, gaben endlich Sohn und Vater dem erneuten Andringen des Herzogs nach. Der junge M. trat am 4. September 1764 mit einem jährlichen Stipendium von 100 Gulden in die (im J. 1766 nach Ludwigsburg verlegte) Akademie ein. Er erhielt seine Ausbildung in der Malerei durch den Professor Nic. Guibal, einen vortrefflichen Lehrer (vgl. Bd. X S. 102 ff.), bei dem er an Friedr. Heinr. Füger (Bd. VIII S. 177 ff.) u. A. auch tüchtige Mitschüler fand. Nach sechsjähriger Lehrzeit in der Akademie wurde M. durch herzogliche Ordre vom 18. Januar 1770 mit einem Jahresstipendium von 400 Gulden nach Paris geschickt – „zur Erlernung der Kupferstecherkunst, jedoch ohne die Malerei auf die Seite zu setzen“. Wie M. selbst erzählt (Pro-Memoria vom 9. Januar 1797 bei Wagner, Gesch. der hoh. Carlsschule Bd. 2 S. 393 ff.), ward der neue Kunstzweig nicht aus eigener Wahl von ihm ergriffen, sondern „nach dem Willen“ des Herzogs, der damit zum zweiten Male einen starken, aber glücklichen Druck auf die Richtung seiner Laufbahn übte. Karl war auf den Gedanken gekommen in seinem Lande auch die Kupferstecherei einheimisch zu machen und mit richtigem Blick wählten er und Guibal unter den Kunstzöglingen gerade unsern M. für die Durchführung dieser Absicht aus. Gotthard’s Stärke lag offenbar nicht in schöpferischer Phantasie – man kennt von ihm keinen einzigen größeren Compositionsversuch –, noch in lebendiger Farbenlust – er gab in Paris das Malen so gut wie ganz auf –: wohl aber war er ein ganz vorzüglicher Zeichner und besaß überdies die selbstlose Gewissenhaftigkeit und zähe Arbeitskraft, welche der Kupferstecher vor anderen Künstlern nöthig hat. – In Paris, wohin M. im Juli 1770 kam, fand er an Joh. Georg Wille († zu Paris 1808), einem Hessen von Geburt, wieder einen ausgezeichneten Lehrer, dessen Achtung und Zuneigung er sich durch seinen [611] Fleiß, sein Talent und seine wackere Lebensführung in kurzer Zeit erwarb und zeitlebens erhielt (vgl. J. G. Wille, Mémoires et Journal p. p. G. Duplessis T. 1, 2. Paris 1857). Wille war neben G. F. Schmidt († zu Berlin 1775) damals der vorzüglichste Vertreter der sogen. stoffbezeichnenden oder, sagen wir lieber, malerischen Manier des Kupferstiches, welche jedem Materiale nach seiner Art, selbst nach seiner Farbe mit dem Grabstichel gerecht zu werden und dadurch die ganze malerische Wirkung eines Bildes wiederzugeben sucht. M., welcher, ehe er zu Wille kam, nie einen Stichel in der Hand gehabt hatte (vgl. Wille, T. 2 p. 42), machte sich die virtuose Technik des Meisters in überraschend kurzer Zeit zu eigen. Schon nach Verlauf eines Jahres konnte er unter ein theils mit dem Stichel, theils mit der Radirnadel ausgeführtes Blatt: „L’Innocence“ neben „Guibal p.“ sein G. Miller sc. setzen (Müller schrieb er sich erst von 1772 an). Nach einigen weiteren Platten, welche er noch als Schülerarbeiten ansehen mochte, bezeichnete er einen Stich vom J. 1773, „Die Nymphe Erigone“ nach einem Bilde des französischen Hofmalers R. Jollain als „erste Platte“ und dedicirte ihn seinem Herzoge. Die härteste Lehrzeit war jetzt überwunden. Schon im J. 1774 suchte ihn Lavater mit einem schmeichelhaften Schreiben als Mitarbeiter für seine Physiognomischen Fragmente zu gewinnen; er lieferte ihm aber nur einige Vignetten (?) (Pfeiffer S. 168, welcher diese Notiz allein hat, sagt nicht, welche. Wir haben in Lavater’s Werk nichts mit Müller’s Namen bezeichnet gefunden; auch fehlen diese Vignetten im Werk Müller’s bei Andresen, wie schon in dem unter Müller’s Mitwirkung entstandenen Verzeichniß im Kunstblatt Jahrgang 1821 S. 366–67). M. schlug, wie er selbst in dem genannten Pro-Memoria sagt, in den letzten Jahren seines pariser Aufenthaltes manche Arbeiten aus, die ihm zwar die Bestreitung seines Unterhaltes sehr erleichtert, zugleich aber ihn gehindert haben würden, in seiner Kunst zu einer höheren Stufe zu steigen. Zunächst machte er im J. 1774 noch ein Blatt nach dem Maler P. A. Wille, einem Sohne des Kupferstechers, „La Joueuse de Cistre“, wandte sich dann aber vorzugsweise dem Porträtstiche zu. Im J. 1775 stach er ein jugendliches Selbstporträt des Malers und damaligen Directors der pariser Akademie, J. B. M. Pierre und noch in demselben Jahre das (mit der Jahreszahl 1776 ausgegebene) Bildniß des Bildhauers Louis Leramberg (1614–1670) nach R. S. A. Belle. Mit diesem und dem im J. 1776 gestochenen Bildniß des Malers Louis Galloche (1670–1761) nach L. Toqué bewarb er sich um die Mitgliedschaft der pariser Akademie, welche ihn nach der Ausstellung der beiden Blätter am 30. März 1776 mit Beifall empfing und einstimmig aufnahm. Noch stach M. in diesem Jahre das Porträt seines Lehrers Wille nach einem im J. 1763 von J. B. Greuze gemalten Bilde, ein farbenwarmes, an Rembrandt erinnerndes Blatt, bei welchem sichtlich die Dankbarkeit die Hand des Künstlers leitete, wie es denn auch Wille selbst für das beste von fünf verschiedenen Bildnissen erklärte, die man von ihm gestochen habe. Der junge Meister schien nun gereift genug in seiner Kunst zu sein, um in der Heimath die Absichten seines Herzogs zu verwirklichen. Wol suchten ihn „die vortheilhaftesten Anerbieten im Namen des Königs“ in Paris zurückzuhalten. „Il auroit été très-utile â Paris – schreibt Wille in seinem Tagebuch (T. 2 p. 42) – où il auroit fait revivre la bonne manière qu’on doit employer à graver le portrait“. Auch erging von Cassel ein Ruf an ihn. Aber er hätte in der That unrecht und undankbar an seinem Landesherrn gehandelt, wenn er dessen Zurückberufung keine Folge geleistet hätte. Er ging im November 1776 nach Stuttgart zurück, wohin der Herzog im J. 1775 seine Residenz von Ludwigsburg und seine Militär-Akademie von der Solitüde, einem Lustschloß in der Nähe beider Städte, verlegt hatte. Auch die Académie des Arts, welche neben einer [612] aus der Stukkator- und Gartenknaben-Schule entstandenen Kunstabtheilung auf der Solitüde nur noch ein dürftiges Leben gefristet hatte, war nach Stuttgart versetzt und dem Gesammtorganismus der Militär-Akademie einverleibt worden. M. errichtete jetzt mit dem Titel eines „Premier Graveur de S. A.“ und eines „Professors der Kupferstecherkunst“ als besondere (8te) Abtheilung der Kunst die Kupferstecherschule. Sein Gehalt von 1000 Gulden war für jene Zeit nicht zu unansehnlich; aber hart für ihn war, daß es nicht gelang, einen zweiten Lehrer für die Anfänger, noch einen ausgebildeten Kupferdrucker für die neue Anstalt zu gewinnen. Er mußte deshalb auch diejenige Zeit, welche er unter andern Umständen wol für eigene Arbeiten hätte verwenden können, im Dienste der Anstalt verbrauchen. Wir haben aus jenen ersten Jahren nur ein einziges kleines Blatt von ihm, die für Lavater im J. 1778 nach Müller’s eigener Composition gefertigte, ungemein wirkungsvolle Radirung, „der heilige Hieronymus“ (welche aber keine Stelle mehr in Lavater’s Fragmenten fand). Es mochte daher für ihn keine kleine Versuchung sein, als ihn im J. 1779 die österreichische Regierung durch Vermittelung des Kunsthändlers Artaria in Wien nach Mailand rufen wollte, um dort unter Bedingungen, die er selbst hätte stellen dürfen, ein ähnliches Kupferstecher-Institut zu gründen, und vielleicht eine noch größere, als ihm in demselben Jahre der Director der pariser Akademie, Pierre, schrieb: „Wann werden die Umstände Ihnen gestatten hierher zu kommen und uns zu besuchen und selbst in Frankreich sich niederzulassen? Wir haben Ihrer nöthig!“ Allein zu den Verpflichtungen gegen den Herzog und zu der Anhänglichkeit an das Vaterland war im J. 1777 auch ein weiteres Band gekommen, welches M. an Stuttgart festhielt, die Verheirathung mit einer Stuttgarterin, dem „bildschönen“ 17jährigen Lottchen Schnell, deren Eltern damals den auch aus der Geschichte Schiller’s und Schubart’s als Sammelpunkt der schönen Geister Stuttgarts bekannten Gasthof zum Adler besaßen. Eine Erleichterung seiner Lehraufgabe fand M. dadurch, daß gleich sein erster Schüler Johann Friedrich Leybold (s. Bd. XVIII. S. 514 ff.) so einschlug, daß er ihn zum Unterricht der Anfänger verwenden konnte. Er machte ihn auch zu seinem Stellvertreter, als er mit seiner Frau im Frühjahr 1781 nach Paris ging (von Mannheim aus auch von dem jungen Maler Eberhard Wächter begleitet), um die erste größere Platte. die er in Stuttgart gestochen hatte, dort drucken zu lassen. Es war der Stich „Alexandre vainqueur de soi-même“, (Alexander d. Gr., der dem Maler Apelles die schöne Kampaspe abtritt) nach dem Gemälde von Govaert Flinck in der Gallerie der Gemahlin des Herzogs, der Gräfin Franziska von Hohenheim, eine Arbeit, welche die pariser Freunde befürchten lassen mochte, daß seine Kunst in Stuttgart unter der Amtsthätigkeit einem schnellen Rückgange verfallen sei. Das Blatt ist wohl die schwächste von seinen Arbeiten aus jüngeren Jahren. Die Reise nahm für M. einen tief schmerzlichen Ausgang. Seine Frau wurde in Paris im Juli 1781 von einem tödtlichen Fieber weggerafft. Wie schön und liebenswürdig sie gewesen sein muß, läßt ein Bildniß erkennen, welches Müller’s Freund von Paris her Friedrich Tischbein († 1812) im J. 1780 von ihr und dem Töchterchen in Pastellfarben gemalt hat. Es spricht für das gute Herz und den gesunden Sinn der zweiten Frau, Rosine, der Tochter des Oberamtmanns Schott von Urach, welche M. wohl um des Kindes willen schon am 15. Jan. 1782 heimführte, daß ihre Liebe für ihn kein Hinderniß wurde (nach Vollendung des Stiches „Loth und seine Töchter“, nach Ger. Honthorst, 1782), im J. 1783 ein Werk in Angriff zu nehmen, mit welchem er der ersten Gemahlin ein unvergängliches Denkmal setzen wollte. Er stach das Gemälde Tischbein’s und widmete es diesem. Es ist „La tendre Mère“, ein Blatt, welches die beiden vorhergehenden weit überragt. Fr. Tischbein malte (im J. 1782) [613] auch die zweite Frau, welche dem Gatten vier Söhne und zwei Töchter schenkte und ihn noch um vier Jahre überlebte. – Die Kupferstecherschule, zu welcher wir zurückkehren, war bald in besten Zug gekommen; sie zählte im J. 1781 schon acht Zöglinge und erfüllte jetzt die ihr gestellte ökonomische Aufgabe, „durch den industriellen Absatz ihrer Erzeugnisse die Kosten der Besoldungen und sonstigen Erfordernisse nicht nur zu decken, sondern auch einen Nettogewinn für die Akademie zu gewähren“. Des Vorstandes Ruf aber war inzwischen so gewachsen, daß ihm im J. 1784 von dem französischen Minister Comte d’Angiviller, damals Generaldirector der Académie des Arts, der Antrag gestellt wurde, nach Paris zu kommen, um ein Porträt von Ludwig XVI., ganze Figur im Krönungsornate, nach einem Oelbilde des Malers F. Duplessis zu stechen. M. erwirkte sich die Erlaubniß, die Platte in Stuttgart zu stechen und ging im April 1785 – diesmal in Begleitung des jungen Buchhändlers Joh. Friedr. Cotta (vgl. Bd. IV, S. 527) – nach Paris, um sich eine Zeichnung nach dem Bilde zu machen. Er kehrte im September (nach Wille, T. 2, p. 126 über Flandern, Holland, Düsseldorf, Arolsen, wo sein Freund Tischbein damals fürstlich Waldeck’scher Hofmaler war, und Cassel) nach Stuttgart zurück. Vier Jahre (bis 1790) arbeitete er an diesem Stiche, welcher besonders in der Stoffimitation zu seinen glänzendsten Leistungen gehört. Ludwig XVI. überließ sie ihm zur freien Verfügung; er verkaufte sie an die Frauenholz’sche Kunsthandlung, welche sie im J. 1793 durch den von Paris berufenen Drucker Ramboz in Nürnberg drucken ließ. Da der König inzwischen hingerichtet war, gab man ihr die Unterschrift: Luis seize. Il voulut le bonheur de sa nation et en devint la victime. Die viel verbreitete (bei Haakh, S. 43 auch gedruckte) Nachricht, daß die Platte später nach Frankreich verkauft und der Kopf von Ludwig XVI. in den von Ludwig XVIII. verwandelt worden sei, ist unrichtig (vgl. darüber Apell, Handbuch f. Kupferstichsammler, S. 312, Anm.). Wie großen Fleiß auch M. auf diesen ehrenvollen Auftrag verwendete, hielt ihn derselbe doch von anderer Thätigkeit in jener Zeit nicht ganz ab. Im J. 1785 erschien der schon im J. 1783 angefangene Stich nach dem Selbstbildniß der französischen Malerin Louise Elis. Vigée Le Brun, ein Blatt von ausgesucht malerischem Reize, im J. 1787 Moses Mendelssohn nach einem Gemälde von J. C. Frisch, dem König Friedrich Wilhelm II. von der jüdischen Freischule in Berlin dedicirt, und, für eine Brüdergemeinde in Sachsen gemacht, im J. 1788 das nach Anton Graff (vgl. Bd. IX, S. 565 ff.) gestochene Bildniß des herrenhuter Bischofs August Gottlieb Spangenberg. Was Wille einst klar erkannt hatte, daß M. hauptsächlich für den Porträtstich berufen sei, durfte jetzt als anerkannt gelten. Es war deshalb auch für Schiller, welcher sich im J. 1793 bis 94 in seiner schwäbischen Heimath aufhielt, sicher eine große Freude, daß M. in dieser Zeit sein im J. 1791 von A. Graff gemaltes Bildniß für die Reihe von deutschen Gelehrten stach, welche Frauenholz in Nürnberg herausgab. Berichte über den Fortgang der Arbeit finden sich in dem Schiller-Körner’schen Briefwechsel. Ueber den im J. 1794 ausgegebenen Stich schrieb Schiller an Frauenholz (Jena, den 26. Mai 1794): „Die Arbeit ist vortrefflich ausgefallen, der Stich voll Kraft und doch dabei voll Anmuth und Flüssigkeit“. – Inzwischen hatte der am 24. October 1793 erfolgte Tod Herzog Karl’s der von ihm gegründeten Hohen Karlsschule einen jähen Stoß versetzt. Sein Bruder und Nachfolger, Ludwig Eugen, hob dieselbe unterm 18. April 1794 auf. Die Eifersucht der Landesuniversität Tübingen, die schwierige Finanzlage des kleinen Landes und wohl auch die richtige Einsicht, daß das Gedeihen dieser Anstalt ganz und gar mit der Persönlichkeit Karls zusammenhing, hatten diesen Entschluß herbeigeführt. Die Kupferstecherschule blieb zwar noch fortbestehen, wie [614] denn dieser Herzog 25 000 fl. von der Hofökonomie ersparen wollte, um die ganze Kunstakademie fortzuerhalten. Allein als mit dem zweiten Bruder Karls, Friedrich Eugen, im Mai 1795 ein den Künstlern weniger geneigter Fürst auf den Thron kam und die Franzosenkriege dem Lande den Verlust der überrheinischen Besitzung Mömpelgard (Montbéliard) und schwere Kriegslasten brachten, führten M. und seine ehemaligen Schüler, jetzt Mitarbeiter, die Hofkupferstecher Necker, Leybold, Schlotterbeck. Abel, Ketterlinus und Morace einen vergeblichen Kampf gegen die herzogliche Rentkammer für die Erhaltung der Kupferstecherei und der damit verbundenen Kupferdruckerei. Es wurde M. und den andern Hofkupferstechern im September 1796 die Gehaltsentziehung angekündigt und ihnen zur Fortführung der Anstalt nur die bisher von ihnen in der Akademie benützten Räumlichkeiten überlassen. Auch das wiederholt erwähnte, würdig gehaltene Pro-Memoria Müller’s vom 9. Januar 1797, worin er seine Sache noch einmal kräftig vertheidigte, hatte keinen Erfolg. Er hatte bei seiner Zurückkunft aus Paris versäumt, seine Ansprüche auch für solche Eventualitäten ausdrücklich verbriefen zu lassen und ideale Ansprüche haben keine Geltung bei Rentkammern. Unterm 15. Juni 1797 wurde auch ihm der Gehalt endgültig entzogen mit dem Canzleitrost, „daß bei künftigen Gelegenheiten auf ihn besondere Rücksicht werde genommen werden“. M. war damals 50 Jahre alt und rüstig genug, um sich noch auf einen andern Boden verpflanzen zu lassen. Es fehlte auch nicht an Versuchen, ihn anderswohin zu gewinnen. Schon im J. 1796 ließ Hardenberg durch den Geheimen Rath von Massenbach bei ihm anfragen „ob er nicht nach Berlin überzusiedeln und daselbst in eine seinen Verdiensten entsprechende Stellung einzutreten bereit sei“. M. lehnte damals ab in der Hoffnung, seine Sache in der Heimath werde doch noch eine günstigere Entscheidung finden. Im Herbst 1797 berief ihn die sächsische Regierung an die Dresdener Akademie. Das Verdienst, den Meister, der freilich auch durch ein eigenes Haus und tausend Bande der Verwandtschaft, Freundschaft und Gewohnheit an Stuttgart gefesselt war, für Württemberg erhalten zu haben, gebührt dem damaligen Erbprinzen Friedrich, welcher ihm auch am 28. Januar 1798, vierzehn Tage nach seinem Regierungsantritt, eine Pension von 600 fl. aussetzte und ihm eine vortheilhafte Wiederanstellung zusicherte. M. sollte bei freier Benützung der vorhandenen Räumlichkeiten und Utensilien die Kupferstecherei als Privatinstitut fortführen und auch die Leitung der Kupferdruckerei, welche sich selbst unterhielt, beibehalten. An Aufträgen fehlte es den beiden Anstalten zu keiner Zeit. M. selbst stach von 1795–97 für Frauenholz das Selbstporträt von Anton Graff; zu gleicher Zeit war er mit der Schlacht von Bunkers-Hill nach dem Gemälde von John Trumbull beschäftigt. Goethe fand ihn an der Arbeit bei diesen beiden Stichen, als er im Herbst 1797 auf der Rückkehr von seiner dritten Schweizerreise sich länger in Stuttgart aufhielt und mit Danneckers Schwager, dem kunstsinnigen Kaufmann Heinrich Rapp, zusammen einen Rundgang durch die Stuttgarter Ateliers machte. „The Battle at Bunkers-Hill, near Boston June 17. 1775“ erschien 1798 bei A. C. Poggi in London, in unsern Augen das gelungenste Blatt von M., mit dem er den Beweis lieferte, daß neben dem Porträt das moderne Geschichtsbild sein Hauptfeld gewesen wäre, wenn es dazu damals mehr entsprechende Vorlagen gegeben hätte. Seine nächsten Arbeiten waren zwei Porträtstiche nach seinem Freunde Tischbein, das Bildniß des damaligen Coadjutors von Mainz, Freiherr von Dalberg (1798–99) und das des jenenser Anatomen, Ferd. Christ. Loder (1801). Im J. 1801 machte er wieder in Gesellschaft des Buchhändlers Cotta, eine Reise nach Leipzig, wobei sie auch Schiller und Goethe in Leipzig besuchten. In einem Briefe an Goethe, der sich gerade auf dem Lande befand, [615] hat Schiller seinen Landsmann mit den Worten charakterisirt: „Es ist ein braver Mann, aber der Mann und seine Kunst erklären einander wechselsweise; er hat ganz das Sorgfältige, Reinliche, Kleinliche und Delicate seines Griffels“. Für einen Prachtdruck der Schlacht von Bunkers-Hill erhielt M. von Schiller im J. 1802 als Gegengabe ein Exemplar der Maria Stuart mit einem herzlichen Schreiben (abgedruckt in A. von Keller’s Beiträge zur Schillerliteratur, S. 6). Das Bedürfniß, sich nach einer weiteren seiner Kunst würdigen Arbeit umzusehen, führte M. im Frühjahr 1802 zum vierten Male nach Paris. Er wählte sich unter den vielen herrlichen Werken, welche der Kunstraub dort zusammengebracht hatte, Raphael’s „Madonna della Sedia“ aus; sie war von Florenz dorthin gekommen. Während er sich eine Zeichnung davon machte. traf ihn in Paris ein Ruf aus Wien. Der österreichische Minister Graf Cobenzl bot ihm die Stelle eines Directors der Kupferstecherei bei der k. k. Kunstakademie an. Nach Hause gekommen, benützte er diesen Ruf, um einen seit Aufhebung der Karlsschule verfolgten Plan, die Errichtung einer Staatszeichenschule durchzusetzen und sich einen lebenslänglichen Gehalt von 1200 fl. zu sichern. Die Zeichenschule freilich blieb auch dießmal wieder in den Acten stecken, die Besoldung aber wurde M. nicht vorenthalten. Er verwendete die Besserung seiner Verhältnisse zunächst dazu, den besten Schüler, den er herangebildet hatte, seinen Sohn Friedrich (s. u.), noch in demselben Jahre eine Studienreise nach Paris antreten zu lassen. Im J. 1803 stach er eine antike Achillesbüste nach Zeichnung von J. D. Schubert für Becker’s Augusteum. Die Madonna della Sedia erschien im J. 1804 im Musée français unter dem Titel: La vierge à la Chaise, wohl der beste von seinen Stichen nach italienischen Malern. Dasselbe Jahr brachte dem Meister die Ernennung zum Mitgliede der k. preuß. Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften in Berlin. – Sein Sohn Friedrich, welcher im J. 1806 von Paris zurückkehrte, hatte für ihn dort eine Zeichnung der heiligen Cäcilia nach Domenichino angefertigt, welche Gotthard für das Musée français zu stechen begann und im J. 1809 vollendete, ein edles, namentlich um des schönen Kopfes willen zuweilen noch über die Madonna della Sedia gestelltes Blatt. Am 15. Januar 1807 feierte er die silberne Hochzeit im Kreise von drei Söhnen – der zweite Sohn Karl war als Kaufmannslehrling 1806 in Leipzig gestorben – und zwei Töchtern. Auch an äußeren Ehren brachte ihm fast jedes Jahr wieder einen neuen Zuwachs, das Jahr 1808 den Civilverdienstorden seines im J. 1806 zum König erhobenen Landesherrn, das Jahr 1812 die Aufnahme zum Ehrenmitglied der k. k. Akademie der Kunst in Wien, das Jahr 1814 die Ehrenmitgliedschaft der königl. baierischen Akademie der bildenden Künste zu München und der Akademie zu Kopenhagen, das Jahr 1818 den Orden der württembergischen Krone. Wohl hatte er schon in einer Eingabe von 1802 von „geschwächten Augen“ reden müssen, aber, wenn auch langsamer arbeitend, blieb er doch unermüdlich thätig. (Es sei hier bemerkt, daß eine vollständige Aufzählung seiner Arbeiten nicht in unserer Absicht liegen konnte.) Im J. 1810 stach er das Porträt des Dichters Friedrich Leopold Graf zu Stolberg, nach J. C. Rincklake; mit seinem Sohne Friedrich, welcher den Kopf übernahm, machte er im J. 1813 ein Bildniß von Jerome Napoleon, König von Westfalen, nach Kinson; im J. 1817 vollendete er die schon im J. 1811 begonnene heilige Katharina nach Lionardo da Vinci, in Frauenholz’schem Besitz (jetzt für einen Luini erklärt). Erst auf eine Mater sancta nach Lionello Spada, welche er im J. 1819 im Selbstverlag ausgab, setzte er: 30. und letzte Platte. Der Zweiundsiebzigjährige mußte, das ist an diesem Blatte nicht zu verkennen, den Stichel jetzt niederlegen. Aus seiner Kupferstecherschule, welche in den ersten Jahren des neuen [616] Jahrhunderts von der Akademie in die sogenannte „Alte Canzlei“ gegenüber dem Alten Schlosse übersiedeln mußte, waren zwar auch in der zweiten Generation tüchtige Künstler hervorgegangen, wie Aug. Seyffer, Alois Keßler, Joh. G. Raber, Joh. Pleic. Bittheuser, Joh. Conr. Ulmer, Karl Barth, Gottfr. Rist u. A., doch keiner von der Bedeutung seines Friedrich, dessen jäher Verlust im J. 1816 ihn als Vater und Lehrer gleich hart getroffen hatte. Auch ein jüngerer Sohn Eduard Christian, geb. 1798, ein talentvoller Maler, fand auf einer Erholungsreise in die Schweiz am 1. Mai 1819 in Zürich einen frühen Tod. Der Vater setzte ihm ein kleines Denkmal, indem er ein jugendliches Selbstporträt desselben vom J. 1817 stach und an die Freunde des Hauses vertheilte. – Die rüstige Gewohnheit der Arbeit und wohl auch die Hoffnung, in derselben Trost zu finden, ließen den greisen Meister noch einen neuen aber weniger anstrengenden Kunstzweig ergreifen, die Lithographie, welche damals zu Stuttgart in einer von den Gebrüdern Boisserée gegründeten und von Joh. Nep. Strixner geleiteten Anstalt zu großer Blüthe kam. M., welcher merkwürdiger Weise nie ein Mitglied des Hauses Württemberg durch einen Kupferstich verewigt hatte, machte zuerst ein Bildniß der edlen Königin Katharina und später das von König Wilhelm (1822) und seiner zweiten Gemahlin Pauline (1823), drei von ihm selbst trefflich gezeichnete und meisterhaft lithographirte Blätter. Er hatte sich der Gnade auch dieses fünften seiner Landesherrn vielfach zu erfreuen. Im J. 1817 wurde er von demselben in die von Dannecker präsidirte Kunstcommission aufgenommen, welche das Ministerium in Kunstsachen berathen und die Kunstakademie wieder ins Leben rufen sollte, was aber erst 1829 gelang. Am 14. März 1830 beschloß er sein an Arbeit und Ehren reiches Leben. Sein Name fehlt nie, wenn irgendwo von den ersten Meistern der Kupferstecherkunst geredet wird. Die große Bedeutung, welche er als Lehrer hatte, wird dann erst voll erkannt werden, wenn einmal die Kunstgeschichte der Stuttgarter Kupferstecherschule geschrieben sein wird. (Wagner in der Gesch. d. hohe Karlsschule Ergänz.-Bd. S. 96 ff. giebt nur ihre äußerlichen Schicksale.) Man hat (im Besitze seiner Nachkommen) verschiedene Bildnisse von M.: eine Zeichnung in Rothstein von Parizeau, einem seiner pariser Freunde, „J. G. Müller dessinant à la campagne“ (1772); ein kleines Porträt, sitzende Halbfigur in Oel auf Kupfer von dem Schweizer Maler Kymli, gleichfalls aus der ersten pariser Zeit; ein Brustbild in Pastellfarben von Fr. Tischbein (1782), nicht eben gut gestochen (um 1792) von E. Morace, der sonst zu seinen besten Schülern gehörte und besonders im Musée français mit tüchtigen Arbeiten vertreten ist; eine Rothstiftzeichnung nach demselben Gemälde, Jugendarbeit von Friedrich Müller, jetzt im Müllercabinet in Stuttgart; eine Handzeichnung in ⅓ Lebensgröße, sitzende Halbfigur von Friedrich M. (1808). Mit Sonetten haben ihn gefeiert A. Seubert, Die Sterne Schwabens, (S. 200) und Müller’s Urenkel und Biograph Berthold Pfeiffer (S. 281 des unten genannten Aufs.).
Müller: Johann Gotthard (von) M., Kupferstecher, geb. den 4. Mai 1747 in Bernhausen O. A. Stuttgart, † den 14. März 1830 zu Stuttgart, war der Sohn eines Bauernschultheißen; seine Mutter stammte aus einem Pfarrhause. Von geistlichen Verwandten vorbereitet, kam er im 14. Jahre auf das stuttgarter Gymnasium mit der Absicht, von dort in das theologische Seminar (Stift) zu Tübingen überzutreten. Er machte gute Fortschritte in den Gymnasialfächern, doch ging er täglich auch eine Stunde in den öffentlichen Freihandzeichenunterricht der von Herzog- Biogr. Notizen über J. G. M. im Kunstblatt Jahrg. 1821, S. 361 ff.; Nekrolog (ob von Heinr. Rapp?) in der Schwäb. Chronik, Jg. 1830, S. 305 bis 306 (abgedr. im Kunst-Blatt, Jg. 1830, S. 146 ff. und im N. Nekrolog d. Deutschen, 1830, Th. I, S. 227 ff.); Haakh, Beiträge aus Württemb. z. n. d. Kunstgesch., S. 32 ff.; Andresen, Leben und Werke d. beid. Kupferst. J. G. v. M. u. J. F. M. im Archiv f. d. z. Künste, Jg. XI, 1865 (auch separ.); Pfeiffer, Die Kupferst. J. G. M. u. F. M. in Württb. Viertelj. Hefte f. Landesgesch., Jg. IV, 1881, S. 161 ff.; Kräutle, Verzeichniß der Handzeichnungen und Kupferstiche des Cabinet Müller im Mus. d. bild. Künste in Stuttgart. 1882.