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ADB:Ohmacht, Landelin

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Artikel „Ohmacht, Landolin“ von August Schricker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 204–207, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ohmacht,_Landelin&oldid=- (Version vom 18. November 2024, 05:30 Uhr UTC)
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Ohmacht: Landolin O., Bildhauer, wurde geboren am 6. November 1760 in dem Schwarzwalddorf Dunningen bei Rottweil, als Sohn eines kleinen Bauern, des Nikolaus O. und der Mutter Agathe Stern. Der Sohn wurde zum Viehhüten verwendet, und es ist aus dieser Jugendzeit eine Anekdote verbürgt, welche an die Erzählung Vasaris über die Art wie Giotto Maler wurde, erinnert. Zu dem Bügermeister von Rottweil, Gaßner, bei dessen Klugheit und Wohlwollen die ganze Gegend sich guten Rath zu holen gewohnt war, kam 1772 Nikolaus O. und klagte: „Ich habe einen Sohn, der ist das Herzeleid meiner Familie. Meine zwei Töchter sind meine Freude, aber meinen Buben Landolin hat mir meine Frau geboren, der Sünden abzubüssen“. Damit erzählte er, wie Landolin anstatt auf die Kühe Acht zu geben, aus Holz alle möglichen Figuren schnitze. Gaßner erkannte in den mitgebrachten Mustern das Talent des Knaben, und rieth, ihn bei einem der Holzschnitzer und Schreiner des Schwarzwaldes in die Lehre zu geben. O. kam nach Triberg, verließ aber das Haus seines Lehrherrn bald wieder, da er erkannte, daß er von ihm nichts mehr lernen könne, und ging nach Freiburg, wo er in einer Werkstatt arbeitete. Auf der damals für Handwerksgesellen vorgeschriebenen Wanderschaft kam er durch eine Verwendung des Magistrats von Rottweil nach Frankenthal, zu dem Bildhauer und Schnitzer Melchior, dem ein tüchtiges Können, und selbst gründliche theoretische Kenntnisse in der Materie der Kunst nachgerühmt werden. Im Jahre 1780 zog es ihn wieder in seine Heimath, und dort erhielt er den ersten Auftrag auf „vier Stücke in halberhabener Arbeit, Christus, Petrus, und auf zwei Tafeln das Opfer Melchisedecks“. – Diese Jugendarbeit ist im Chor der Heilig-Kreuz-Kirche in Rottweil noch erhalten. Von Rottweil kehrte O. für einige Zeit zu seinem Lehrer Melchior zurück und führte dann mehrere [205] Porträtbestellungen in Mannheim und Basel aus. 1788 trifft er mit Lavater zusammen und fertigt dessen Büste. Der Seelenkünder von Zürich fand großes Gefallen an dem aufstrebenden jungen Manne und schrieb für ihn eigens ein Werkchen, betitelt „Andenken an liebe Reisende“, zweihundert Denksprüche enthaltend, denen eine innige Widmung vorausgeht, in denen Lavater O. als „einen Geweihten vom Geiste“, als „feinfühlenden Künstler voll Geistessanftmuth und Stärke“ preist. Anfang der neunziger Jahre ging ihm endlich der Wunsch in Erfüllung, Italien und seine Kunstschätze besuchen zu dürfen. Zwei Jahre verweilte er auf dem classischen Boden, den größeren Theil derselben in Rom verbringend. Er arbeitete in mehreren vorzüglichen Werkstätten, kam mit Canova in Berührung, bewegte sich in den Kreisen der französischen Schule in der Villa Medici und wurde mit den Schriften Winkelmann’s vertraut. Der Einfluß dieses römischen Aufenthalts und der Autoritäten Canova’s und Winkelmann’s auf das ganze spätere Schaffen des Künstlers ist unverkennbar. Auf seiner Rückreise besuchte er Wien, München und Dresden, und kam auch nach Hamburg, welche Stadt, wie er oft versicherte, seiner „Gemüthlichkeit sehr zusagte“. Hier erhielt er einen Auftrag, durch dessen Ausführung er zuerst weiteren Kreisen als tüchtiger Künstler bekannt wurde. Er fertigte das Denkmal des Bürgermeisters Rhode von Lübeck, das in der Hauptkirche dieser Stadt aufgestellt wurde. Es besteht „aus einer Gruppe in Marmor, eine weibliche Figur, die ein Kind auf den Armen hält“. Zu Klopstock trat O. in nähere Beziehungen, und fertigte mehrere Büsten des großen Barden, welche allgemeinen Beifall fanden. Ende 1796 finden wir den Künstler wieder in seiner Heimath, wo er als ein Zeichen seiner Pietät das Porträt des Mannes verfertigte, der ihm durch seinen Rath den Weg zur Kunst eröffnet hatte. Im Januar 1797 heirathete er eine Enkelin Gaßners. Als kurz darnach Rottweil, das durch die Truppendurchmärsche verarmt war, sich in finanzieller Verlegenheit befand, schoß ihr der arme Hirtenjunge von ehedem eine Summe von fünftausend Gulden vor, wofür ihm die Stadt das Bürgerrecht verlieh. Während der Krönung Kaiser Leopolds befand sich O. in Frankfurt, um mehrere Porträts zu fertigen, als er einen Auftrag erhielt, die Büste Napoleons, der eben damals beim Rastatter Congreß veweilte, zu meißeln. Er stand an einem Wendepunkte seines Lebens. Würde der General, der in raschen Schritten der Kaiserkrone entgegeneilte, Gefallen an dem Künstler gefunden haben, wie das wahrscheinlich ist, so würde sich wohl auch für ihn, wie etwa für den Elsässer Johann Urban Guerin eine glänzende Laufbahn in der Nähe des Hofes eröffnet haben. Es war anders bestimmt. Als O. nach Rastatt kam, hatte der Rastlose den Congreß bereits verlassen, und dem Künstler blieb ein stillerer, vielleicht aber glücklicherer Lebensgang vorbehalten. An der Wende der Jahre 1800 und 1801 wurde O. nach Straßburg berufen, um ein Denkmal in Arbeit zu nehmen, das Frankreich dem bei Marengo gefallenen General Desaix bestimmt hatte, und das auf der Rheininsel zwischen Straßburg und der Brücke von Kehl, welche mehrere Heldenthaten des Gefallenen gesehen hatte, errichtet werden sollte. Der Gesammtentwurf des noch vorhandenen Denkmals, ein großer Gedenkstein in der Form eines Sarkophags überragt von einem griechischen Helm, kommt mit seinen etwas schwerfälligen Verhältnissen auf die Rechnung des Baudirectors Weinbrenner aus Karlsruhe: O. hat die vier Basreliefs, welche den oberen Theil des Denkmals umgeben, und die kämpfenden Centauren am Helm geschaffen. Von wirklicher Schönheit sind die vier Victorien an den Ecken, die mit Recht für eine der vorzüglichsten Arbeiten des Künstlers gehalten werden. Nach einem Aufenthalt von 18 Monaten verließ O. Straßburg, um im Jahre 1803 zurückzukehren und seinen dauernden Aufenthalt daselbst zu nehmen. – Es begann eine Zeit reichster mannigfaltigster [206] Thätigkeit, deren Ergebnisse in alle Welt zerstreut sind. Das erste Werk des Meisters, welches er in dem neugeschaffenen Atelier aussührte, war das Urtheil des Paris (Sandstein) aus den Jahren 1804–1807, für den Hofgarten in München bestimmt. Zwei Kolossalbüsten in Marmor, Hans Holbein und Erwin von Steinbach, jene von 1805, diese von 1810, gingen in die Sammlung des damaligen Kronprinzen Ludwig von Baiern. Als künstlerischen Schmuck für Gärten in der Umgegend von Straßburg fertigte er einen Neptun und einen Faun, welch letzterer später nach Paris ging, nachdem er von dem Künstler wiederholt worden war. Für die Thomaskirche, den Camposanto der alten Universität und des Thomasstifts, schuf er von 1809 an die Denkmale des Professors Jeremias Jakob Oberlin, des Staatsrechtslehrers Wilhelm Koch, des Pfarrers Emmerich und des Mediciners Reiffeissen, für die „neue Kirche“ das Denkmal des Predigers Blessig und des Consistorial-Präsidenten von Türkheim. Das hervorragendste dieser Denkmale ist das von Koch, welches 1814–1815 entstand. Auf einer Art von Altar befindet sich in Ueberlebensgröße die Büste. Am Fuße des Sockels sitzt auf einem Felsblocke das trauernde Straßburg, eine weibliche Gestalt, welche eine Eichenkrone hält. Zur rechten steht der Genius der Wissenschaft mit den Rollen, welche die Werke des Verstorbenen bedeuten. Der Sandstein ist mit einer ungemeinen Sorgfalt behandelt, und die beiden Figuren sind mit einem trefflichen Verständniß für die Formen des menschlichen Körpers ausgeführt. Die Composition selbst, mit ihrer frostigen Allegorie ist allerdings ganz aus dem Styl des „Empire“ geboren, und vermag uns heute nicht mehr zu befriedigen. Besonders gerühmt und als sein Hauptwerk bezeichnet, wird eine Arbeit der Jahre 1810 und 1811, eine Venus in Marmor, in aufrechter Stellung und in Lebensgröße. Der erste Biograph Ohnmachts, G. L. Münz bezeichnet sie als „ein Werk der höchsten Kunst und des Künstlers eigene Apotheose“. – „Die Göttin der Grazien ist dem Bade entstiegen, sie hält mit beiden Händen ihr langes feuchtes Haar und erscheint unverhüllt, in sich selbst geschmiegt, in holder Verschämtheit mit solchem Liebreiz, daß uns das Wieland’sche: „Sie weckt und schreckt zugleich die lüsterne Begier“ unwillkührlich einfällt. Nie vielleicht hat der Meißel ein schönres Antlitz aus dem todten Stein in’s Leben gerufen.“ Thatsache ist, daß der Künstler selbst eine besondere Vorliebe für dieses Werk hatte und nicht glaubte „soviel Seele, Leben und Liebe zum zweitenmale in einem Antlitz ausdrücken zu können“. Diese „Venus“ ging nach Paris, und soll von einem Portugiesen, der sie nach Lissabon brachte, für 30 000 Francs erkauft worden sein. – Ein dem bisher behandelten ganz entgegengesetztes Stoffgebiet betrat er wieder, indem er – ein in mildem Sinn jener Zeit gläubiger Katholik – für die protestantische Kirche in Karlsruhe eine Gruppe fertigte, den Crucifixus in der Mitte unter der Kanzel und hinter dem Altar, und zu beiden Seiten die Frauengestalten der Caritas und der Pietas. Die Arbeit wurde 1816 vollendet. Für das litterarische Casino in Straßburg hatte er in derselben Zeit die Colossalbüste des populären Präfecten Lezai-Marnesia übernommen. Von seiner Hand sind zwei Gestalten der „Hebe“ aus Marmor unbekannten Aufenthalts. In Rheims befindet sich eine marmorene Flora, als Denkmal des Naturforschets Castel, in der Domkirche zu Speyer das Denkmal für den römischen König Adolf. Die sechs Musen über dem Eingangsthor des Straßburger Theaters (ungefähr 2 Meter hoch) sind aus Ohmacht’s Werkstatt. Neben den größeren Arbeiten fertigte er mit Vorliebe eine Menge kleinerer aus Alabaster, so lange es seine Zeit und der Zustand seiner Augen gestattete. Davon sind zu nennen ein Büste des vaticanischen Apoll, das Basrelief des Antonius, ein Hermaphrodit, eine junge Römerin, die auf einem Sessel sitzt und einen Knaben hält. – Aus dem Gesagten geht hervor, daß es das Portrait und der Stoffkreis der Antike waren, die ihn vorzugsweise beschäftigten. Seine [207] Portraits haben alle einen vorrevolutionären, verallgemeinernden Zug, der den Härten der Physiognomie aus dem Wege geht, das Nackte ist mit feinem Geschmack in weicher Eleganz gebildet. Münz selbst bemerkt, daß O. vielfach nach den antiken Mustern, nur ausnahmsweise nach dem lebenden Modell gearbeitet habe. Er besaß das bei anderen „akademisch“ geschulten Bildhauern seltene technische Vermögen, ohne großes Thonmodell und ohne die sogenannte „Punktirung“ die Figuren nach einem etwa fünfzehn Zoll hohen Thonmodell aus dem Stein zu hauen. O. bildete Schule, und als die bedeutendsten seiner Schüler sind zu nennen, Graß, Dombildhauer in Straßburg, der Schöpfer des Kleberdenkmals in Straßburg, des „Ikarus“, und der „kleinen Bretagnerin“, ferner der jüngere Kirstein, der Ciseleur, sodann Bildhauer Friedrich und Professor Alric in Kairo. Ueber die Trefflichkeit seines Charakters, über die Einfachheit, Aufrichtigkeit und Milde seines Wesens sind alle Stimmen einig. Den geistigen Ausdruck seines Antlitzes zeichnet Lavater in der schon citirten Widmung, „den Blick“ preisend, „in dem von der ewigen Welt, was Milde, schimmert“; über Aeußeres unterrichten die Worte eines Zeitgenossen: „der Fremde, der in die Werkstätte dieses großen Künstlers getreten ist, hat immer ein Erstaunen herausgetragen wie aus einem so einfachen, fast vernachlässigten, äußeren Wesen heraus ein Kunstgeist und ein Menschenherz sich kund geben können, vor dem Kaiser und Könige zu erscheinen, es nicht unter ihrer Würde hielten, und wer den Mann sah in seiner baumwollenen Mütze, die Tabakspfeife im Munde, den Meißel in der Linken, den Hammer in der rechten Hand, hätte nicht geglaubt, in ihm den suchen zu sollen, der mit Fürsten und Gelehrten in mündlichem und schriftlichem Verkehr stand, und an den aus den verschiedensten Ländern von den Großen der Zeit die Anfrage gelangte, er möchte auch ihre Museeen, Kirchen und Denkmäler mit den Werken seiner Hand ausschmücken“. O. starb, nachdem ihn in den letzten Jahren mehrere Schlaganfälle betroffen und seine Hand gelähmt hatten, am 31. März 1834. Zwanzig Jahre später fand in Straßburg eine Lotterie statt, in welcher die im Besitz der Familie noch vorhandenen Werke zu Gunsten eines Enkels des Künstlers abgesetzt wurden.

G. L. Münz, Der Bildhauer Ohmacht und seine Werke. Hadamar u. Coblentz 1818. 54 Seiten. – J. T. Hermann, Notices historiques sur la ville de Strasbourg (von 1817 an). II. S. 359. – Ehrenfried Stöber, Sämmtliche Schriften und kleine prosaische Schriften. III. Bd. Straßburg 1836. S. 115 ff. – L. Schneegans, l’église de Saint Thomas à Strasbourg et ses Monuments. Strasbourg 1842. S. 188 ff. – Pfarrer Blind, im „Straßburger Wochenblatt. 25. Febr. 1854. Nr. 16. – Alexandre Dumas, causeries d’un Voyageur, Feuilletons du „Pays“, 7. 8. 9. Juillet 1854. – Schneegans, Alsatia 1855: Fünf Briefe des Bildhauers Melchior an seinen Schüler Ohmacht. – P. E. Tuefferd, L’Alsace artistique. Mulhouse 1885. p. 271. – Echo artistique d’Alsace, Mulhouse, 2. Année 1885. No. 37. 38.