ADB:Ritter
G. Ch. Joannis, Professor in Zweibrücken, in einer dem sechsten Pfarrer des Namens gewidmeten Gratulationsschrift zu dessen Hochzeit die Geschichte dieses Geschlechtes beschrieben hat: De singulari memoratuque plane digna inclitae Ritterorum familiae felicitate epistola, Biponti 1705, revisa 1734. –
Ritter, lutherische Pfarrersfamilie zu Frankfurt a. M., aus welcher nach einander in gradliniger Abfolge sechs Glieder das geistliche Amt in dieser Stadt, von den Tagen der Reformation bis zur Hälfte des vorigen Jahrhunderts (1533–1741), bekleidet haben – ein so seltener Fall, daßMatthias R. der Aeltere, der erste dieser Ritter, war nach der Ueberlieferung der Familie mit Dr. Luther befreundet. Der schon erwähnte letzte Geistliche des Namens Johann Balthasar III. (s. u.) hat in einem Nachtrag zu seiner Frankfurter Reformationsgeschichte einen Brief veröffentlicht, welchen Luther 1503 (!) aus dem Augustinerkloster zu Erfurt an seinen Ahnherrn nach Frankfurt in das Franciscanerkloster gerichtet haben soll; doch erweist sich dieses Schreiben schon durch das Datum, ebenso durch Stil und Orthographie als unecht. Von demselben Fälscher rühren wohl auch zwei andere Briefe her, die ebenda mitgetheilt werden: von einem Madthes Ridher, der 1495 Prädicant in Kronberg gewesen, und von dessen gleichnamigem Bruder, einem Franciscaner, der am 22. August 1517 Tezzel warnt nach Frankfurt zu kommen. Auch ist nach Dr. Steitz (in seiner Schrift über Hartmann Beyer) die Notiz Spener’s in der Leichenpredigt für Joh. Balth. I. (Spener, Leichenreden Bd. II, S. 371 f.), daß dessen Vorfahre der Reisegefährte des Reformators in Welschland gewesen sei, auf eine Sage zurückzuführen. Sicher ist, daß Matthias R. I längere Zeit als Diakon zu Eichtersheim im Kraichgau (bei Wiesloch) stand. Im J. 1533 wurde er Pfarrer an der Hospitalkirche in Frankfurt und ist 1536 daselbst gestorben. Seine Amtsthätigkeit fällt in die erregte Zeit, in der man in Frankfurt den katholischen Gottesdienst völlig abstellte und der Einfluß des zelotischen Dionysius Melander fast unbegrenzt war.
Weit bedeutender war sein Sohn Matthias R. der Jüngere. Neben Beyer war er es hauptsächlich, welcher die ursprünglich von zwinglianischen Prädicanten (Melander und Algesheimer) geleitete evangelische Kirche Frankfurts der lutherischen Orthodoxie zuführte. Er war um das Jahr 1525 zu Eichtersheim geboren. Als er den Vater früh verloren hatte, nahm sich der Rathsherr Philipp Fürstenberger, dessen Berichte der Ranke’schen Darstellung des Reichstags von Worms zu Grunde liegen, des hoffnungsvollen Knaben an und ließ ihm eine treffliche Erziehung geben. Dann besuchte er auf Kosten eines anderen Patriciers, Justinian von Holzhausen, der gleichfalls die Reformation in Frankfurt gefördert hat, die Lateinschule unter Rektor Micyllus, und seit 1542 die Universität Wittenberg, wo er drei Jahre lang zu Luther’s und Melanchthon’s Füßen sitzen durfte. Mit zwei Söhnen dieses seines Gönners ging er als Hofmeister [667] nach Straßburg und trat daselbst zu Bucer in Beziehung. Seine wissenschaftliche Ausbildung vollendete er bei einem längeren Aufenthalt in Frankreich, der ihm Gelegenheit gab mit seinen Zöglingen einige Universitäten dieses Landes kennen zu lernen. Nach seiner Rückkehr in die Heimath 1552 fing er an daselbst zu predigen, zunächst am Hospital und bei den Taufen. Die Zeit war ernst, in der er sein Amt antrat; waren auch die schwersten Tage für Frankfurt, der schmalkaldische Krieg, das Interim und die Belagerung durch Moritz von Sachsen vorüber, so veranlaßte doch die Nachgiebigkeit des Rathes gegen den Kaiser der lutherischen Geistlichkeit noch manche Schwierigkeiten. Ostern 1553 kam es zu einem heftigen Kampf, als die Prädicanten, Beyer an der Spitze, sich weigerten, am Ostermontag, als einem zweiten Feiertage, zu predigen. Der Rath suchte nun den Candidaten R. zur Uebernahme der Predigt zu bewegen; aber der charakterfeste, junge Mann weigerte sich dessen entschieden zum Staunen der angesehenen Herren. In kurzer Zeit war R., der später in der Katharinenkirche und zuletzt in der Barfüßerkirche predigte, die Hauptsäule des Predigerministeriums neben dem ihm nahe stehenden Beyer. Seiner Verehrung für den großen Wittenberger Reformator gab er Ausdruck durch die deutsche Bearbeitung der von Melanchthon verfaßten Lebensbeschreibung Luther’s, die er 1554 erscheinen ließ unter dem Titel: Vita Lutheri. Von dem Leben und Sterben des Ehrwürdigen Herrn Martini Lutheri etc., aus dem Latein ins Teutsch gebracht, aufs neue fleißig übersehen und gebessert durch Matthiam Ritterum 1554. Er huldigt übrigens nicht der Richtung Melanchthon’s, sondern trat derselben mehrfach entgegen, obwol der Rath diesem weitherzigen Theologen sein Vertrauen entgegenbrachte. So war er ein Hauptgegner des Magisters Cnipius Andronicus, des Rectors des Gymnasiums, der anfangs in freundschaftlichen Beziehungen zu den Prädicanten gestanden hatte, nachmals aber, weil er in den Vermittlungsversuchen Melanchthon’s allein das Heil erkannte, mit denselben in heftigen Streit gerieth und endlich ihrem Groll (1562) weichen mußte. Auch im Kampfe gegen die seit 1554 eingewanderten Calvinisten stand R. im Vordertreffen. Er machte mit Beyer zuerst den Rath aufmerksam, als die Welschen unter Polanus das Abendmahl nach abweichendem Ritus zu halten beabsichtigten, er protestirte auch gegen die Ueberweisung der Katharinenkirche an die Engländer trotz des hohen Schutzes, dessen sie sich erfreuten; er weigerte dem angesehenen Patricier Konrad Humbracht die Zulassung zur Communion mit Rücksicht auf dessen Auffassung des Sacraments; er griff mit Westphal den Johann v. Lasky wegen seiner Abendmahlslehre in schroffer Weise an. Da sein Einfluß bei dem Rathe sich immer mehr steigerte, gelang es ihm trotz Melanchthon’s Abrathen endlich die Einstellung des calvinistischen Gottesdienstes (1561) durchzusetzen; und auch ein Religionsgespräch mit dem reformirten Prediger Franciscus Riverius vermochte ihn nicht umzustimmen. Die Beschwerde der Ausländer gegen diesen harten Schritt veranlaßte das Predigerministerium zu einer Rechtfertigungsschrift, welche R. abfaßte unter dem Titel: Gegenbericht und Verantwortung der Prädicanten zu Frankfurt am Mayn, auf etliche unbegründete Klageschriften der Welschen. Oberursel 1563 und 1596 (siehe auch Frankf. Religionshandlungen, Th. II Beil. XIV). Als später zu Frankfurt eine Schrift erschien, in der man sich seitens der Calvinisten auf Luther’s Schriften bezüglich der Abendmahlslehre berief, schrieb R., gleichfalls im Auftrage seiner Amtsbrüder, die Schrift: Titul einer treuen Warnung u. s. w. Frankfurt 1577, in der er die Citate aus Luther richtig zu stellen suchte. Um eben diese Zeit war R., nach Beyer’s Tode, der angesehenste unter den Prädicanten, eifrig bemüht das Zustandekommen der Concordienformel zu fördern, mit deren Verfassern er in lebendigen Briefwechsel stand; doch glückte es ihm nicht die Unterschrift durchzusetzen, [668] da der Rath in Erinnerung an die Folgen des schmalkaldischen Bundes zurückhielt und überdies manche Patricier den Reformirten günstig waren, welche in demselben Jahre (am 23. Sept. 1577) auf einem Tage zu Frankfurt die Annahme jenes Einigungsversuchs möglichst zu hindern suchten. Immerhin erreichte er soviel, daß das Concordienbuch stillschweigende Anerkennung in Frankfurt fand und bei der Ordination unterschrieben werden mußte. Eine Agenda, die er 1579 abfaßt, scheint wegen dieser Streitigkeiten nicht eingeführt worden zu sein, doch wird sie der Agenda von 1589, der dritten seit der Reformation, wesentlich zu Grunde gelegen haben. Wie sehr R. auch auswärts geachtet war, beweist der Umstand, daß sein Freund Cassiodoro de Reina (s. A. D. B. XXVII, 720), damals lutherischer Prediger zu Antwerpen, im Namen seiner Gemeinde eine französische Uebersetzung jener Agenda erbeten hat, desgleichen ein Gutachten zur Schlichtung des in dieser Stadt ausgebrochenen Streites über die Erbsünde (Acta des Pred.-Min. III, p. 609). Den Bemühungen Ritter’s war es auch zuzuschreiben, daß jener Reina, der Verfasser der spanischen Bibelübersetzung, allmählich von den Calvinisten zu den Lutheranern übertrat und trotz aller Schwankungen, für die R. ihn energisch zurechtwies, schließlich bis zur Beugung unter die Concordienformel gebracht wurde. Auch wider die römische Kirche zog er das Schwert. Gegen einen jesuitischen Tractat vom Fegefeuer ließ er drei evangelische Schriften (von Luther, Melanchthon und Brenz) über diesen Gegenstand neu auflegen und begleitete sie mit einem Vorworte (1570 bei Nicolaus Basse erschienen). Und als in eben diesem Jahre Bruder Johann Naso zu Ingolstadt die lutherische Ehe für ein Concubinat erklärte, ließ er sofort eine Gegenschrift ausgehen: Dialogus, das ist ein Gespräch von dem ehrenrührigen und lästerlichen Urtheil Bruder Johann Nasen zu Ingolstadt, daß alle Lutherische Weiber Huren seyn. Daß er übrigens neben dem Schwert auch die Kelle zu führen wußte, beweisen die sieben und zwanzig Predigten von dem Abendmahl und Testament unsers Herrn und Heilands Jesu Christi, die 1582 gehalten wurden, als viele wegen einer Seuche sich zur Communion drängten, und 1584 hier bei Sigmund Feyerabend erschienen. In den Reden suchte er die Gemeinden eingehend über das Wesen des Sacraments zu unterrichten. Bemerkenswerth sind noch die Bemühungen um Herausgabe von Schriften seiner Gesinnungsgenossen – so beförderte er das Examen Concilii Tridentini von Chemnitz, sowie Schriften des Chytraeus u. A., in Frankfurt zum Druck. Er starb am 14. März 1584 plötzlich, während er über die Passion Christi meditirte, und wurde von der ganzen Gemeinde tiefbetrauert. R. ist ein prächtiger Typus eines strengen Lutheraners in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, von männlicher Entschiedenheit und Überzeugungstreue, aber dabei ohne Verständniß und Duldung für fremde Ueberzeugungen, wenn auch immer noch maßvoller als manche seiner Zeitgenossen. Wenn der großartige Briefwechsel, mit den bedeutendsten Theologen seiner Zeit (von über 60 Namen heben wir hervor: Flacius, Chytraeus, Jak. Andreae, Lucas Osiander, die beiden Heshusius, Reina, Chemnitz, Marbach und Hunnius), veröffentlicht würde, so würde sein Name gewiß bekannter sein. Bis jetzt ist aus dem im Predigerarchiv befindlichen Schatze nur weniges (besonders Briefe von Chemnitz, Flacius und Reina) gedruckt. –
Sein Sohn Sebastian R. (1579–1609) erwarb sich, wie der Vater, durch Reisen in Frankreich die Kenntniß der französischen Sprache, die ihn befähigte neben anderen Thätigkeiten, den Gottesdienst der von Reina gegründeten lutherischen niederländischen Gemeinde in Frankfurt zu leiten, weshalb er den Titel „teutsch und französischer Prediger“ führte, den auch sein Sohn und Enkel trugen. Eine Predigt, die er bei der Taufe eines Judenknaben, des nachmaligen Frankfurter Pfarrherrn Lichtenstein, gehalten, hat Spener im [669] Anhang seiner Leichenpredigt für diesen Lichtenstein mitgetheilt (Leichenpredigten II, 277).
Dessen Sohn, Johann Balthasar R. (I), 1607–1683, war ein Zeitgenosse Spener’s, der auch ihm die Leichenrede hielt. Wie die meisten seiner Amtsbrüder, ordnete er sich anspruchslos dem überlegenen Manne unter, ohne dessen Pläne geradezu in besonderer Weise zu fördern. – Sein jüngerer Sohn Lucas Sebastian R. (1648–1709) war Frühprediger in Straßburg, während der ältere, der denselben Vornamen wie der Vater führte, Joh. Balth. R. II, (1644–1719) ihm schon bei Lebzeiten als Helfer zur Seite stand und dann sein Amt antrat, nachdem er anfangs in Paris eine Stelle an der französischen Gesandtschaft bekleidet hatte. Noch als Hülfsprediger bearbeitete er das in der französisch-lutherischen Gemeinde gebräuchliche Gesangbuch nebst dessen Anhängen unter dem Titel: „Les saintes occupations des ames fidelles“, chez Balth. Chr. Woust 1674. Eine weitere Auflage ließ er im Jahre 1702 unter dem neuen Namen: „Heures Chrétiennes“ erscheinen.
Johann Balthasar R. (III), geboren am 27. October 1674, † am 3. Januar 1743, erneuerte noch einmal den Glanz des Namens, insbesondere durch seine Studien über die Kirchengeschichte Frankfurts. Er wurde 1703 Pfarrer zu Niedererlenbach bei Frankfurt und wurde 1705 in die Stadt selbst berufen. Seit 1732 war er Mitglied des neugegründeten Consistoriums und in dieser Stellung einer der angesehensten Geistlichen. Sein Hauptwerk ist das Evangelische Denkmahl der Stadt Frankfurt am Mayn, bei Johann Friedrich Fleischer 1726 erschienen, in dem die Geschichte der Reformation in dieser Stadt auf Grundlage vieler zuvor unbekannter Urkunden dargestellt ist, von denen nicht wenige in Ritter’s eigenen Besitz sich befanden. Das Werk ist bis heute eine werthvolle Fundgrube für die Frankfurter Reformationsgeschichte; und wenn auch die trefflichen Arbeiten von Senior Steitz u. a. in unserer Zeit in vieler Beziehung Ergänzungen und Berichtigungen gebracht haben, so fehlt es doch noch immer an einer ähnlichen zusammenfassenden Darstellung aus neuerer Zeit. Der Standpunkt Ritter’s ist der der lutherischen Orthodoxie, den er übrigens in milderer Weise vertritt, als sein Ahnherr Matthias R. II, dessen Andenken er pietätvoll in dem Werke erneuert hat. Der am Anfang erwähnte Nachtrag von 1733, in dem er unter anderen zu beweisen sucht, daß Luther 1482 geboren sei, ist werthlos. Dagegen existirt noch eine Handschrift des Werkes in dem Archiv des Predigerministeriums, die viel vollständiger ist und bis 1600 läuft. Es scheint, daß R. sich durch die Rücksicht auf die zur Zeit der Herausgabe in Frankfurt anwesende kaiserliche Commission, die auch in kirchlichen Dingen von Einfluß war, zu manchen Streichungen und Zuthaten bestimmen ließ. Im J. 1723 hatte er jedenfalls noch vor, das damals schon abgeschlossene Werk vollständig herauszugeben; denn im Vorwort zu seiner Schrift: „Eigentliche und umständliche Beschreibung des Lebens M. Mat. Flacii Illyrici“, Frankfurt im Verlag bei Wolfgang Christoph Multz, 1723, hatte er diese Monographie als eine Ausführung dessen bezeichnet, was Buch II Cap. III seines demnächst erscheinenden evangelischen Denkmals über diesen berühmten Theologen enthalten werde, während doch dies Werk in seiner im Druck vorliegenden Gestalt schon mit dem Jahre 1555 abschließt und nur ein Buch mit 5 Kapiteln umfaßt. R. war in der Lage bei dieser Biographie des Flacius viele neue Urkunden, besonders auch seinen Briefwechsel mit Beyer und Ritter, zu benutzen, während manche bereits gedruckte Briefe von ihm nicht verwandt wurden. Die Beurtheilung des vielangegriffenen Mannes ist günstiger als es sonst damals üblich war, besonders auch als die Darstellung von Planck. R. lobt nicht nur des Flacius herrliche Gaben, sondern auch sein ehrliches Gemüth; er sieht in ihm „trotz seinen angehafteten Fehlern und [670] Schwächen ein Werkzeug, durch welches der Herr in seiner Kirche vormahlen sehr heilsame Dinge vor die Vertheidigung und Fortpflanzung der Evangelischen Wahrheit ausgerichtet“. Als R. starb, war derjenige seiner Söhne, der gleich ihm Theologie studirt hatte, ihm bereits im Tode vorausgegangen, und da sein zweiter Sohn einen anderen Beruf ergriff, so hat mit ihm die bis dahin ununterbrochene Reihenfolge der Frankfurter Geistlichen dieses Namens ihr Ende gefunden.