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ADB:Sack, Gottfried

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Artikel „Sack, Friedrich Samuel Gottfried“ von Siegfried Lommatzsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 307–315, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sack,_Gottfried&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 09:25 Uhr UTC)
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Sack *): Friedrich Samuel Gottfried S., ältester, aus zweiter Ehe stammender Sohn von August Friedrich Wilhelm S., wurde am 4. September [308] 1738 zu Magdeburg geboren. Da der Vater schon 1740 nach Berlin übersiedelte, so darf man diese Stadt als die Vaterstadt unseres S. betrachten, in der er seine Erziehung unter den leitenden Einflüssen des väterlichen Hauses genoß. Seine wissenschaftliche Vorbildung verdankte er dem unter dem Directorat des berühmten Heinius[WS 1] stehenden Joachimsthalschen Gymnasium, dessen Schüler er bis zu seinem siebzehnten Lebensjahre blieb. Neben seinen Schulstunden besuchte er noch Ramler’s Vorlesungen über Batteux[WS 2] und die mineralogischen Vorträge des Predigers Woltersdorf, wie er auch seine Kenntnisse in den alten und neueren Sprachen durch eifrige Privatstudien erweiterte. Dennoch hatte er mit dem Abschlusse seiner Schulzeit nicht das Gefühl, den Cursus der Gymnasialbildung vollständig absolvirt zu haben. Wo er daher in der Folgezeit nach Lücken in diesen grundlegenden Kenntnissen spürte, suchte er solche nach Möglichkeit auszufüllen. Wendete er sich nun zum Studium der Theologie, so geschah es nach seinem eigenen Geständniß mehr auf Wunsch seines Vaters, als aus einer entschiedenen Neigung „für den sogenannten geistlichen Stand“. Nichtsdestoweniger widmete er sich den verschiedenen Zweigen der theologischen Wissenschaft während eines zweijährigen Studiums auf der reformirten Landesuniversität zu Frankfurt a. d. O. mit hervorragendem Fleiße. Unter den Vorlesungen seines Faches fesselten ihn am meisten die Jablonsky’s über Kirchengeschichte und Dogmatik. Nicht weniger sah er sich aber auch von den mathematischen und philosophischen Vorträgen A. G. Baumgarten’s angezogen. Da er von seinem Vater schon frühe auf den Unterschied von Religion und Theologie und auf das Schriftprincip hingewiesen war, lag es ihm nahe, die kirchliche Dogmatik mit kritischem Auge zu betrachten, indem er ihr die Lehre der Heiligen Schrift entgegenstellte und vorzog. Wenn ihn die damalige philosophisch verbrämte Rechtgläubigkeit, so z. B. der Versuch des Wolffianers Wyttenbach, das orthodoxe System mathematisch zu demonstriren, besonders abstieß, so erkennt man bereits darin seinen einfachen, auf das Praktische gerichteten Sinn. Gesellschaftliche Bildung und mannichfaltige geistige Anregungen verdankte er während seiner Studienzeit dem intimem Verkehr in der Familie des französisch-reformirten Predigers Causse[WS 3], dessen Haus ein geselliger und geistiger Mittelpunkt für die Gebildeten Frankfurts, unter denen die französischen Colonisten eine maßgebende Rolle spielten, war. Und indem er sich auch mit einem liebenswürdigen Commilitonen, einem jungen Grafen Finkenstein befreundete, trat er dieser am preußischen Hofe einflußreichen gräflichen Familie, deren Gunst er späterhin manche Förderung in seiner Laufbahn verdankte, nahe. Sein Freund führte ihn in das Haus eines Obersten Grafen Finkenstein ein, auf dessen in der Nähe Frankfurts gelegenem Gute er nicht selten mit ersterem die Ferien verleben durfte. Er gewann sofort das Vertrauen des Gutsherrn in dem Maaße, daß dieser ihn zum künftigen Erzieher seines damals erst sechsjährigen Sohnes bestimmte. Nachdem S. im Herbst 1757 in Berlin sein theologisches Examen bestanden hatte, trat er eine längere Reise über Holland nach England an. Hier weilte er ungefähr ein halbes Jahr und die väterlichen Empfehlungen öffneten ihm die Häuser von hervorragenden englischen Geistlichen und Gelehrten, darunter Kennicott’s[WS 4] und namentlich des damaligen Erzbischofs von Canterbury, Secker[WS 5]. Nach Deutschland zurückgekehrt, übernahm er die Erziehung des jungen Finkenstein, den er meistens im eigenen väterlichen Hause zu Berlin unterrichten durfte. Damals kam er auch zuerst mit dem königlichen Hofe in Berührung, indem er den Auftrag erhielt, die Wilhelmine, Schwester Friedrich Wilhelm’s II., die nachherige Gemahlin des Erbstatthalter, Prinzen von Oranien, zu unterrichten.

Aus dem Umstande, daß ihn nur der Einspruch Friedrich’s des Großen daran hinderte, als Secretär in die Dienste der Erbstatthalterin zu treten, ersieht [309] man, daß sich seine Stellung zum Predigerberuf inzwischen nicht unwesentlich verändert hatte. „Eine sehr peinliche Schüchternheit“, die ihn beherrschte, so oft er vor größeren Versammlungen zu reden hatte, konnte er nie ganz überwinden. Als er, 30 Jahre alt, nach dem Vorschlag der deutschen reformirten Gemeinde Magdeburgs von dem reformirten Kirchendirectorium zum Prediger dieser Gemeinde berufen wurde, erblickte er darin nur eine höhere Fügung, der er sich in Gehorsam zu unterwerfen habe. Doch ward ihm noch die Frist eines vollen Jahres bis zur Uebernahme des neuen Amtes gewährt, während dessen er seinen Zögling noch auf die Universität Frankfurt begleitete. Dann trat er aber in den ihm übertragenen kirchlichen Beruf ein. Wiesen ihn sowol seine Vorbildung, als auch Neigung und Begabung vornehmlich auf die pädagogische Thätigkeit, so pflegte er auch als Pastor mit Vorliebe diese Seite seines Amtes, in dem er sich besonders des Katechumenenunterrichtes annahm. Da ihm das Predigen zuerst „sehr sauer“ wurde, so befliß er sich eifrig homiletischer Studien; dazu diente ihm einerseits die Beschäftigung mit den Schriften Luther’s, andererseits das Studium der hervorragendsten englischen und französischen Kanzelredner der damaligen Zeit. Als eine Frucht dieses Studiums entstand die Uebersetzung der Kanzelreden des bekannten presbyterianischen Theologen und Professors der Beredsamkeit zu Edinburg, Hugo Blair[WS 6], die er später in Gemeinschaft mit Schleiermacher übernahm. Dabei erwarb er sich zugleich das Verdienst, dem jungen Schleiermacher, dessen Uebersetzertalent er erkannte und lobte, zur ersten Geltendmachung seiner schriftstellerischen Fähigkeit zu verhelfen. Bereits in Magdeburg konnte es S. wagen, einige eigene Predigten dem Druck zu übergeben, denen nach und nach eine größere Zahl folgte. Zu gelehrten Productionen fehlte es ihm aber jetzt wie später an Zeit und Trieb. Es blieb in dieser Beziehung bei der Veröffentlichung einiger Recensionen und Uebersetzungen oder wenig bedeutender Aufsätze, von denen nur die ein ethisches Problem behandelnden „Briefe über den Krieg“ und das sich gegen den Deismus erklärende „Schreiben an einen Freund in G., den Herrn Dr. Bahrdt und sein Glaubensbekenntniß betreffend“ zu nennen wären.

Im J. 1777 erhielt er ohne seine Zuthun die königliche Ernennung zum (fünften) Hof- und Domprediger in Berlin. Er hatte sich in Magdeburg mit der einzigen Tochter Spalding’s einen ihm volle Befriedigung gewährenden Hausstand gegründet. Leider war er aber in den letzten Jahren zu Magdeburg von jenem in chronischer Hypochondrie gipfelnden Nervenleiden, welches auch seinen Vater gequält hatte, befallen worden, das ihn nach Berlin begleitete. Seine geistige und körperliche Elasticität vermochte indessen diesen Feind, den er freilich erst im höheren Alter ganz überwand, nicht ohne Erfolg zu bekämpfen, so daß er seines Lebens und seiner amtlichen Wirksamkeit wieder froh werden konnte. Zu den ersten Vertretern der Geistlichkeit und des Kirchenregimentes, zu einem Spalding, Teller, Büsching, Bamberger[WS 7], Diterich, trat er in nächste Beziehungen. Drei treffliche Söhne und fünf liebenswürdige Töchter schaarten sich allmählich um das Elternpaar. Kurze Zeit nach seiner Anstellung am Dom rückte er zum vierten Hofprediger auf, und als sich sein Vater im J. 1780 von den kirchenregimentlichen Geschäften zurückzog, wurde er zum Kirchenrath und Mitglied des reformirten Kirchendirectoriums berufen. Als Friedrich Wilhelm II. den Thron bestiegen hatte, ernannte ihn dieser sofort zum Oberconsistorialrath und zum reformirten Mitgliede des (lutherischen) Oberconsistoriums, womit er nun ganz an die Stelle seines verstorbenen Vaters trat. Die zahlreichsten Beförderungen dankte er der Regierung Friedrich Wilhelm’s III. Zunächst verlieh ihm dieser nach Gedike’s und Zöllner’s Tode (1804) Amt und Würde eines Oberschulrathes; und als in den Jahren 1809 bis 1810 nach [310] Aufhebung aller bisherigen kirchlichen Behörden die Centralstelle für die Verwaltung beider evangelischer Landeskirchen in eine Abtheilung des Ministeriums des Inneren, in das Departement für den Cultus und den öffentlichen Unterricht, umgewandelt wurde, erhielt auch S. einen Ruf zum Mitgliede dieser neuen Behörde. Wie hoch ihn gerade Friedrich Wilhelm III. persönlich schätzte, ersieht man namentlich daraus, daß, als der König, um das äußere Ansehen der evangelischen Kirche zu heben, durch eine Cabinetsordre vom 9. Februar 1816 den Bischofstitel zur Kennzeichnung „ausgezeichneter Verdienste im geistlichen Stand“ wiederherstellte, er zunächst nur eben S. in Berlin, welcher inzwischen zum ersten Hof- und Domprediger aufgestiegen war, und Borowsky in Königsberg zu evangelischen Bischöfen ernannte, womit er sie als die vornehmsten Geistlichen der beiden noch confessionell getrennten Hälften der preußischen Landeskirche bezeichnete. Eine Veränderung der amtlichen Stellung der betreffenden Geistlichen oder der kirchlichen Verfassung fand aber durch diese Rangerhöhungen, an die sich nur ein Ehrensold knüpfte, weder jetzt, noch bei den späteren königlichen Ernennungen von Bischöfen statt. Noch wenige Monate vor seinem Tode ward S. bei der Einführung des preußischen Staatsrathes zum Mitgliede ernannte. Nach manchen anderen Ordensverleihungen ward ihm 1817 noch der rothe Adlerorden I. Classe zu theil. Die Frankfurter theologische Facultät ernannte ihn bei ihrer Jubelfeier im J. 1806 zum Doctor der Theologie. – Friedrich Wilhelm II. übertrug ihm den Religionsunterricht und die Einsegnung des Kronprinzen, nachherigen Königs Friedrich Wilhelm III., und seiner sämmtlichen Geschwister, und noch manchen Sprößling der königlichen Familie in der folgenden Generation hatte er zu taufen, zu unterweisen und einzusegnen oder zu trauen. So confirmirte er auch 1813 den damaligen Kronprinzen, den späteren König Friedrich Wilhelm IV. In der von S. 1804 herausgegebenen Sammlung von Casualreden findet sich auch eine größere Zahl von solchen, die seine Amtshandlungen am königlichen Hofe begleiteten. „Wenn irgendwo ein Hofprediger“, hat der Bischof Eylert von diesen Reden geurtheilt, „lernen will, wie die großen und ernsten beglückenden Wahrheiten des Christenthums vor dem regierenden Landesherrn und seiner Familie an heiliger Stätte verkündigt werden müssen, so kann er es von diesem Vorbilde.“

Der theologische Standpunkt auf den sich S. in seinem Katechumenenunterrichte, wie in seinen Predigten stellte, entsprach zunächst dem seines Vaters und damit den Voraussetzungen jenes sittlich ernsten und offenbarungsgläubigen Rationalismus, welcher der destructiven Aufklärung des vorigen Jahrhunderts Widerstand leistete. Auf seine innere Entwicklung hatte aber in späterer Zeit auch Spalding einen tiefgreifenden Einfluß. Im Anschluß an einen Ausspruch Schleiermacher’s über S. können wir daher seine religiöse und theologische Denkungsart am kürzesten dahin charakterisiren: er folgte den Fußstapfen seines Vaters und Schwiegervaters. Obgleich auch Spalding wie der ältere S. dem rational-supranaturalistischen Standpunkt huldigte, so erkennt man doch bei jenem im Unterschiede von letzterem noch den Zusammenhang mit den Ueberlieferungen der lutherischen Kirche. Eine Innigkeit religiös-sittlichen Empfindens und der Trieb unmittelbar erbaulich und erwärmend zu wirken, ist von Spalding auch auf die Predigten Sack’s übergegangen. Der reformirte Typus tritt in seinen Predigten viel weniger deutlich hervor, als in denen seines Vaters. Es fehlt den Reden unseres S. der gesetzliche Eifer, die strenge paränetische Haltung, freilich auch die scharfe Begriffsbestimmung, in welcher das Verhältniß der natürlichen Religion zur Offenbarung klar und allgemein verständlich beleuchtet wird, wodurch sich die väterlichen Predigten auszeichneten. So stehen die des Sohnes an theologischer Originalität und einer den Willen erregenden [311] Kraft hinter denen des Vaters entschieden zurück, wie sie andererseits auch an Feinheit der psychologischen Beobachtungen, an Gedankenfülle den Spaldingschen nicht gleichkommen. Vornehmlich gelang es ihm, in dem Kreise christlicher Familien und vertrauter Freundschaft eine tiefere religiöse Einwirkung zu erzielen. Er war auch der Meinung, daß dem Unglauben, dessen drohend wachsende Herrschaft im Ausgange des vorigen Jahrhunderts ihm nicht verborgen blieb, von den christlichen Häusern, aus dem Kreise frommer Verwandten und Freunde, als von einem Bunde der Guten am erfolgreichsten begegnet werden könne. Ein anschauliches Bild seiner hierauf gerichteten Wirksamkeit in den Familien der höheren Stände, der es an Erfolg nicht fehlte, gewährt die Sammlung seiner Amtsreden. Bald nach seinem Eintritt in das Oberconsistorium ließ er sich übrigens vom Könige, theils wegen häufiger Schwindelanfälle auf der Kanzel, theils aus Rücksicht auf seine vermehrten kirchenregimentlichen Geschäfte, von der Verpflichtung im Dome zu predigen, entbinden, wenn er auch damit der Kanzel nicht gänzlich entsagt hat. Seine letzte Predigt, die sich den früheren ebenbürtig anreihte, hielt er im Dom am 18. Januar 1816 beim Friedens-, Krönungs- und Ordensfeste, fast zwei Jahre vor seinem Tode. Im folgenden Jahre war es ihm dann noch vergönnt, seinen zweiten Sohn als seinen Stellvertreter an der Hof- und Domgemeinde öffentlich einzuführen, wobei er sich zugleich von der letzteren verabschiedete.

Kirchengeschichtlich am bedeutendsten trat S. in der Entwicklung des preußischen Kirchenregimentes hervor. Schleiermacher urtheilt über Sack’s Kirchenleitung: „Würdevolle Milde, Achtung gegen die verschiedenen Ansichten, ruhiger Gang, entfernt eben so sehr von Neuerungssucht, als von mechanischer Anhänglichkeit an das Hergebrachte, bescheidene aber freimüthige Festigkeit, das waren die Hauptzüge seiner kirchlichen Geschäftsführung, und auf diesem Wege suchte er die Kirche, die ihm besonders anvertraut war, in ihrem alten Besitzstand, vorzüglich der Lehrfreiheit und der angestammten Einfachheit in den Gebräuchen zu erhalten.“ Von geschichtlichem Interesse ist sein Verhältniß zu Schleiermacher. Von der ersten Stunde an, da er mit diesem, als einem noch jugendlichen Theologen beim unvermeidlichen Examen zusammentraf, fand er nicht bloß ein persönliches Wohlgefallen an ihm, das sich bald zu einer innigeren Zuneigung erhöhte, in welcher er ihm sein Haus öffnete, sondern erkannte er auch desselben hervorragende Begabung für die Kanzel. Und mit anerkennenswerther und von Schleiermacher stets dankbar empfundener Treue suchte er als Vorgesetzter dem letzteren die Wege zu bahnen. Um so merkwürdiger erscheint der Conflict, der zwischen beiden Männern ausbrach, als sich Schleiermacher in Berlin der romantischen Schule anschloß und seine berühmten Reden über die Religion veröffentlichte. Obschon S. als Censor dem Buche die Druckerlaubniß ertheilt hatte, konnte er doch nicht umhin, dem Verfasser über die darin enthaltenen Ansichten die äußersten Bedenken vom kirchlichen und theologischen Standpunkte aus in einem eingehenden Schreiben zu erkennen zu geben. Er vermißte in diesen Reden so ziemlich alles, was man bisher für Religion gehalten, und sah darin vielmehr die Vertretung eines revolutionären spinozistischen[WS 8] Geistes. Verstehen und rechtfertigen läßt sich dieses absprechende Urtheil wol namentlich aus den wirklichen Mängeln, die den neuen von Schleiermacher geltend gemachten Ideen gerade in ihrer erstmaligen Darstellung noch anhafteten. Es beweist aber nicht minder, daß S. darin den Flügelschlag einer neuen Zeit und Geistesentwicklung der Nation nicht erkannte. Schleiermacher’s uns gleichfalls erhaltenes Vertheidigungsschreiben an S. brachte in letzterem zwar keine theologische Umstimmung hervor, trug aber jedenfalls dazu bei, daß sein persönliches Interesse an dem aufstrebenden jungen Amtsbruder nicht erlahmte, so daß er seine [312] kirchenregimentliche Aufgabe auch in diesem Falle darin erkannte, die neue Bewegung nicht zu bekämpfen, sondern nur zur Besonnenheit zu mahnen. Daher legte er auch seinen eigenen Kindern kein Hinderniß in den Weg, daß sie sich enger an Schleiermacher anschlossen. So hielt er es aber als Vorgesetzter auch für seine Pflicht, diesem Gelegenheit zu einer selbständigen anderweitigen Betrachtung des kirchlichen Lebens zu geben, und ihn aus der romantischen Genossenschaft zu lösen, indem er ihn in väterlicher Freundschaft aufforderte, Berlin zu verlassen und eine Hofpredigerstelle in Pommern anzunehmen. Der von Schleiermacher geleiteten neuen Entwicklung der Theologie vermochte er dann freilich nur von ferne zuzuschauen, indem er der schöpferischen Thätigkeit des großen Theologen gegenüber, auch durch sein Amt am Hofe gebunden, eine zurückhaltende Stellung einnahm.

Einen Beweis seiner Charakterfestigkeit gab S., als 1788 das Wöllner’sche Religionsedict und die ihm folgenden Verordnungen durch staatskirchlichen Zwang die rationalistische Aufklärung in Preußen zu beseitigen suchten und die Geistlichen und Candidaten der Landeskirchen einer strengen dogmatischen Censur unterwarfen. Er glaubte mit Recht, daß es dem Geiste der Zeit nicht entspreche, wenn durch dieses kirchenregimentliche Vorgehen die obrigkeitliche Gewalt in einem Kampfe, welcher geistig auszufechten sei, eingesetzt werde, daß hierdurch in höchst ungerechter Weise wissenschaftlich ausgezeichnete und allgemein geachtete Lehrer in derselben Weise wie unwissende und auf Zerstörung ausgehende Menschen behandelt würden. Zeigte sich doch das ganze evangelische Deutschland entrüstet, als der Minister v. Zedlitz entlassen wurde und Wöllner seine Kirchenpolitik zu entfalten begann. S. legte seine Bedenken gegen das Edict in einer Denkschrift dem Chef des reformirten Kirchendepartements, Freiherrn v. Dörnberg behufs Mittheilung an den König vor. Neben diesem persönlichen Schritt verfaßte und unterzeichnete er auch den Protest gegen das Edict, welchen die Mehrzahl der Räthe des Oberconsistoriums dem Könige einreichte. Er selbst erhielt, wie er berichtet hat, keine Antwort, während die andern Oberconsistorialräthe „durch sehr heftige Rescripte mit ihren Einwendungen und Vorschlägen unter Drohungen zurückgewiesen wurden“. Dürfen wir Eylert glauben, so hat S. auch gegen die im J. 1791 eingesetzte geistliche Immediat-Examinationscommission, welche die Ausführung des Religionsedictes im Kreise der Geistlichen und Lehrer zu überwachen und zu fördern sowie die Prüfungen der Predigt- und Schulamtscandidaten im Sinne desselben zu leiten hatte, energisch remonstrirt und, nachdem sich seine Remonstrationen als fruchtlos erwiesen, um seinen Abschied gebeten. Er hat diesen jedenfalls nicht erhalten; vielmehr wurde er nach der Erzählung jenes Gewährsmanns von der Theilnahme an allen kirchlichen Geschäften, die er vor seinem Gewissen nicht verantworten zu können glaubte, dispensirt. S., consequenter als Friedrich Wilhelm II., trug dann nicht unwesentlich zum Sturze Wöllner’s unter der nachfolgenden Regierung bei, indem er seinen Einfluß auf Friedrich Wilhelm III., seinen ehemaligen Zögling, nach einer andern Richtung hin geltend machte. In der bekannten Cabinetsordre des jungen Königs vom 11. Jan. 1798, welche der Entlassung jenes Ministers unmittelbar vorherging und in der dieser wegen seiner eigenmächtigen Erneuerung des Religionsedictes zurechtgewiesen wurde, klingt der religiöse Standpunkt Sack’s vornehmlich wieder. Verschloß sich aber letzterer andererseits nicht der Ueberzeugung, daß die evangelische Kirche lebensgefährlich krank darniederliege, daß der hinschwindenden Religion bald Hülfe kommen müsse, war es ihm unzweifelhaft, daß der sich seit der Zeit Friedrich’s des Großen in Deutschland immer mehr verbreitende Atheismus und Deismus mit seinem antichristlichen Geiste nicht nur das Volk, sondern auch die protestantische Geistlichkeit [313] und den Lehrerstand ergriffen habe, so erkannte er auch die Pflicht des Kirchenregimentes an, durch zeitgemäße Reformen eine Heilung des Uebels zu versuchen. Dazu schien ihm aber die Beförderung der Union, wenn sie die Lebenskräfte der beiden evangelischen Kirchen praktisch zusammenfaßt, den wichtigsten Beitrag zu liefern. Hierauf sah er sich durch die ganze Entwicklung des Protestantismus in den brandenburgisch-preußischen Ländern, in denen, wie er meinte, niemals die Concordienformel oder die Beschlüsse der Dordrechter Synode rechtsverbindlich gewesen seien, hingewiesen. Abgesehen von der Wöllner’schen Gesetzgebungsepisode glaubte er die Union durch die Kirchenpolitik der Hohenzollern auf das glücklichste vorbereitet; sie betrachtete er endlich als ein ideales Vermächtniß seines Vaters. Aber weit entfernt davon, an eine zwangsweise Durchführung zu denken, wies er auf einen anderen Weg, der ein schon unter Friedrich I. auftauchendes Project wieder aufnahm, nämlich auf eine zunächst gottesdienstliche Vereinigung beider Kirchen, wie solche ihm durch eine liturgische Reform erreichbar schien. In diesem Sinne reichte er im Juli 1798 dem Könige ein Promemoria ein, in welchem man, da es dessen Beifall erwarb, eine wesentliche Grundlage der kirchlichen Cabinetspolitik Friedrich Wilhelm’s III. hat sehen dürfen. Der König ergriff den Gedanken einer liturgischen Union auf das lebhafteste und überwies jene Denkschrift den beiden Cultusministern (Thulemeier[WS 9] und Massow) „zur angelegentlichsten Beherzigung“. In dem königlichen Erlaß war auch zur Vorbereitung der neuen Liturgie die sofortige Einsetzung einer Commission befohlen worden. S. wurde selbstverständlich zum Mitgliede der letztern ernannt. Aber trotz wiederholter, sich bis zu einem Verweise schärfender Mahnungen des Königs, konnte der Entwurf einer neuen Agende erst im J. 1804 eingereicht werden. Derselbe wurde nun zwar vom reformirten Minister als musterhaft und unparteiisch gelobt, erfüllte jedoch nicht die ziemlich hochgespannten Erwartungen des Königs, so daß derselbe die inzwischen auf zwei Mitglieder zusammengeschmolzene Commission ergänzte und wiederholt zu erneuter Bearbeitung des Gegenstandes mahnte. Ein befriedigendes Resultat wurde aber nicht erzielt, und nach der Schlacht bei Jena mußte die Sache bis auf bessere Zeiten vertagt werden.

Wie die Commission überhaupt, so war auch S. gerade während der Arbeit zu der Ueberzeugung gelangt, daß sich die liturgische Frage nicht von den übrigen kirchlichen Problemen und Aufgaben isoliren lasse. Das bekundet sich in dem von S. veröffentlichten und mitverfaßten Gutachten des Oberconsistoriums vom J. 1802 „über die Verbesserung des Religionszustandes in den königl. preuß. Ländern“. Auch dem Könige war diese erweiterte Aufgabe indessen nahe getreten.

In die Zeit der Vorbereitung der Erhebung Preußens gegen das französische Joch fällt Sack’s bekannte Schrift vom J. 1812: „Ueber die Vereinigung der beiden protestantischen Kirchenparteien in der Preußischen Monarchie!“ Die Union selbst zu empfehlen hält er hier nicht mehr für nöthig. Denn er kann es als Thatsache feststellen, daß sie laut und allgemein in den preußischen Kirchen gewünscht werde, so daß eher ein Gegner, als ein Vertheidiger der Vereinigung in der Gefahr stand, der Verketzerung zu verfallen. Gleichwol erschien es ihm offenbar auf Grund der Erfahrungen, welche er in der Commission gemacht hatte, wie bei der gedrückten Lage der Kirche nicht leicht, die rechten Mittel und Wege dafür zu finden. Darum wagen sich jetzt seine Vorschläge nur mit großer Schüchternheit ans Licht. Und es läßt sich auch nicht behaupten, daß sie einen sicheren Erfolg verbürgten oder überhaupt praktisch durchführbar waren. Nach dieser Seite hin ist die in Rede stehende Schrift überschätzt worden. Die principielle Grundlage, auf der S. den kirchlichen Neubau errichten möchte, entbehrt [314] aber auch der Klarheit und zeigt die Spuren sich kreuzender Einflüsse. So fand er sich jetzt überhaupt in einer kirchenpolitisch schwierigen Lage, in der er den sich bekämpfenden kirchlichen Strömungen weder folgen mochte, noch sie beherrschen konnte. Das tritt uns aus seinem Verhalten in der vom Könige im J. 1814 niedergesetzten neuen liturgischen Commission deutlich entgegen. Als Mitglied derselben traf ihn das Mißgeschick von Schleiermacher’s scharfer Kritik der ersten Veröffentlichung jener Commission. Er selbst, mit der öffentlichen Beantwortung der Schleiermacher’schen Schrift betraut, verfaßte eine würdevolle, aber auch sehr milde Entgegnung, die keinen sonderlichen Eindruck auf das Publicum machte, so daß die öffentliche Meinung Schleiermacher den Sieg gab. Verschloß doch S. sich keineswegs der von Schleiermacher stark betonten Forderung einer Reform, die zu einer weitgehenden Befreiung der Kirche und der Geistlichkeit von der Herrschaft und Bevormundung des Staates führen sollte. Auf keinen Fall wollte er ein absolutes Staatskirchenthum wieder aufrichten.

Des alten Bischofs letzte kirchenregimentliche Aufgabe war seine Theilnahme an den Vorarbeiten zur endlichen Einführung der Union, wie sie Friedrich Wilhelm III. mit der hundertjährigen Jubelfeier der Reformation zu verknüpfen gedachte. In wie weit dann die von Eylert aufgesetzte wichtige Cabinetsordre vom 27. September 1817, in welcher der König zur freiwilligen Vollziehung der Union aufforderte und seine Absicht kundgab, das Säcularfest der Reformation durch die Vereinigung der bisherigen lutherischen und reformirten Hof- und Garnisonsgemeinde zu Potsdam zu feiern und mit derselben das heilige Abendmahl zu genießen, in ihren Einzelheiten den Intentionen unseres Bischofs entsprach, mag dahingestellt bleiben. Bereits am 4. September schwer erkrankt, sollte er das Reformationsfest sowie die erhebende Unionsfeier in der Nikolaikirche zu Berlin nicht mehr erleben. Am 2. October 1817 hauchte der hochbetagte Kirchenfürst, umgeben von seiner Gattin und allen seinen Kindern als ein von den Seinen innigst verehrter Patriarch sein Leben aus.

Bildnisse jetzt lebender Berl. Gelehrten mit ihren Selbstbiographieen, hrsg. v. Lowe, Berlin 1806, worin Sack’s Selbstbiogr., bis 1804 reichend. – Franz Theremin, Gedächtnißpred. auf F. S. G. Sack, geh. am 12. Oct. 1817, nebst e. kurz. Bericht v. d. Leben und Schriften d. Verewigten, Berlin 1817. – Döring, Die deutschen Kanzelredner d. 18. u. 19 Jahrh., 1830. – Eylert, Charakterzüge u. hist. Fragmente a. d. Leben d. Königs Friedr. Wilh. III., 4. Aufl., 1844–1846. – Art. F. S. G. Sack in Herzog’s R.-Encykl. f. pr. Th. u. K., 2. Aufl., Bd. XIII (v. K. H. Sack in Herzog’s R.-Encykl. f. pr. Th. u. K., 2. Aufl., Bd. XIII (v. K. H. Sack, dem Sohne d. obigen). – Sack’s Nekrolog v. Schleiermacher, abgedr. i. d. Theol. Stud. u Krit., Jahrg. 1850. – Vgl. auch: W. Dilthey[WS 10], Leben Schleiermacher’s, Bd. I, 1875. – Schleiermacher’s Leben in Briefen, 4 Bde., 1860 ff. (bes. Bd. III). – Schleiermacher’s Briefw. mit Gaß, Berlin 1852. – K. H. Sack, Briefw. zwischen dem Bischof Sack u. Schleiermacher i. d. angef. Jahrg. d. Theol. Stud. u . Krit. – Ueber Sack als Kanzelredner handelt: K. H. Sack, Gesch. d. Predigt i. d. d. ev. Kirche v. Mosheim bis Schleierm. u. Menken, 1866. Vgl. dazu: Sack’s Predigten, 1. Aufl., Berl. 1781, 2. A., 1788. – Sack’s Amtsreden b. versch. wicht. Veranlassungen, Berl. 1804. – Sack’s Festpredigten i. d. Samml.: Neue Festpredigten v. Spalding, Teller u. Sack, Halle 1792. – Von einzelnen Predigten: Sack’s Gedächtnißpred. a. d. Königin Luise, Berl. 1810, u. d. Pred. am Fried., Krön. u. Ordensfeste, Berl. 1816. – Sack’s Reden b. d. Confirm. d. Kön. Fr. Wilh. IV. finden sich i. d. Schr.: Glaubensbek. S. Kgl. Hoh. d. Prinzen Fr. Wilh., Kronpr. v. Preuß. Nebst d. bei d. Confirm. gespr. Reden. Mit allerh. Genehm. hrsg. [315] v. F. S. G. Sack, Berl. 1813. Zu Sack’s kirchenpolit. u. kirchenregimentl. Wirksamkeit vgl. noch: Lisco, Zur Kirchengesch. Berlins, Berl. 1857. – H. v. Mühler, Gesch. d. ev. Kirchenverf. i. d. Mark Brandenb., 1846. – Wangemann, Die kirchl. Cabinets-Politik d. Kön. Fr. Wilh. III., insonderh. inbezug a Kirchenverf., Agende, Union, Separatismus, nach d . Geh. Königl. Cabinetsacten, 1884. – Ein Verzeichniß d. Schriften u. gedruckten Predigten Sack’s siehe bei Döring u. b. Theremin a. a. O. Doch fehlt dort Sack’s Vorrede zu Schleiermacher’s Uebers. d. Fawcett’schen[WS 11] Predigten.

[307] *) Zu Bd. XXX, S. 152.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Heinius, Johann Philipp (1688–1775), Gymnasialprofessor
  2. Französischer Philosoph; Siehe Wikipedia: Batteux, Charles (1715–1780)
  3. Causse, Johann Isaak Ludwig (1728–1811), evangelischer Theologe in Frankfurt/Oder
  4. Englischer Theologe und Hebraist; Siehe englische Wikipedia: Kennicott, Benjamin (1718–1783)
  5. Siehe englische Wikipedia: Secker, Thomas (1693–1768)
  6. Englischer Prediger und Professor der Beredsamkeit sowie schönen Literatur; Siehe englische Wikipedia: Blair, Hugh (1718–1800)
  7. Bamberger, Johann Peter (1722–1804), Hofprediger und Übersetzer
  8. Baruch Spinoza (1632–1677), niederländischer Philosoph und Begründer der modernen Bibelkritik
  9. Thulemeier, Friedrich Wilhelm (1735–1811), Justizminister – der Vater ist unter Thulemeier, Wilhelm Heinrich beschrieben
  10. Deutscher Philosoph und Pädagoge; Siehe Wikipedia: Dilthey, Wilhelm (1833–1911)
  11. Fawcett, Joseph (1771–1844), amerikanischer Schriftsteller