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ADB:Volmar

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Artikel „Volmar“ von Wilhelm Uhl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 259–261, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Volmar&oldid=- (Version vom 28. Dezember 2024, 13:45 Uhr UTC)
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Volmar, der Dichter des Steinbuches. Er behandelt ein Thema, das eine lange Geschichte hat. Schon ziemlich frühe gesellt sich zu den beiden Hauptvertretern der mittelalterlichen Compendienlitteratur, dem Physiologus und Lucidarius, ein dritter hinzu: der Lapidarius. Den Grundstock dieser Sammlung bilden die Berichte des alten Testamentes über die zwölf Edelsteine im Brustschilde des Hohenpriesters. Die Griechen, selbst Aristoteles, bieten nur wenig; am meisten noch Theophrast. Erst die Beschäftigung mit Seneca und Plinius bringt reicheren Gewinn. Im 11. Jahrhundert kommt ein arabischer Nebenstrom hinzu. Es beginnen die lateinischen Steinbücher aufzutreten, die man durch Nachträge aus scholastischen Schriftstellern zu vermehren bestrebt ist. Diese Lapidarien liefen auch in Deutschland um und waren selbst den Laien nicht unbekannt. Schon Wolfram nennt im Parzival 58 Steine und preist ihre magische Heilkraft. Auch werden die Steine, deren Anzahl bald ebenso stark variirt wie ihre Bezeichnung, mitunter symbolisch gedeutet; meist im ethischen Sinne. Zwei Gedichte des 12. Jahrhunderts, das vom himmlischen Jerusalem und die Geschichten von Moses, huldigen bereits zum Theil dieser Richtung, und noch bei Theodor Körner findet man Aehnliches (Die Monatssteine. Nach arabischer Mythe). Einfluß der beliebten Kleiderallegorie mag es sein, wenn die Zauberkräfte der Steine und die neun Tugenden Mariä mit einander verglichen werden. Auch diese Gattung hielt sich länger. Ganz ähnlich dichtete noch Heinrich von Mügeln in seinem kurzen oder Hoftone dreizehn Strophen von den zwölf Steinen in der Strahlenkrone der Mutter Gottes. (Sie stehen in seinem Gedicht: Zu lobe unser frouwen; genannt: „Der Dom“.) Dagegen hat das ausschließlich „Naturwissenschaftliche“ in der Steinlitteratur frühzeitig zum Spotte herausgefordert. Mit dem ganzen frevelhaften Uebermuthe des Fahrenden, dem nichts heilig ist, jedoch nicht ohne Witz, rüttelt um die Mitte des 13. Jahrhunderts der Stricker an den alten Traditionen. Er läßt nur den Schleif-, Wetz- und Mühlstein gelten. Die übrigen alle, die man in Gold und Silber fasse, seien „von gelogenen Mären zu hoher Würdigkeit gekommen“. Vom Hahnsteine (alectorius) sagt man, daß er, in den Mund genommen, den Durst lösche; ein Trunk Weines thut’s wahrlich billiger und besser. Der Saphir soll die Eiterblasen zerstören, aber der Stricker vermißt sich hoch und theuer, mit einer Nadel, deren zwei man um ein Ei kaufe, 500 Blasen aufzustechen. So löscht man auch siedendes Wasser bequemer mit kaltem als mit dem Topasius u. s. w. Die erhoffte Wirkung dieser höchst berechtigten Satire blieb jedoch aus. Man denke nur an Konrad von Megenberg, der in seinem Buche der Natur treuherzig den alten Aberglauben weiterbetet; ferner an die zwei Sprüche von edeln gesteinen und die 13. Fabel des Heinrich v. Mügeln! Aber schon hundert Jahre vor Konrad und Heinrich war die alte Richtung wieder herrschend; das ersehen wir aus dem Steinbuche.

V. kann unmöglich viel jünger gewesen sein als der Stricker, auf dessen Polemik er im Anfang und am Schlusse seines Werkes offenbar Bezug nimmt. Seine Sprache läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig; allerdings hatte auch der Gegner kein Blatt vor den Mund genommen. Man sollte die Leute aufhängen, die solche angeblich wunderkräftige Steine feilböten; das war die Meinung des Strickers. V. dagegen erklärt es für ein verdienstliches Werk, jenen Mann todtzuschlagen, der das Wort gesprochen, ein gefärbtes Glas im [260] Ring sei eben so nütze wie der beste Edelstein. Die maßlose Heftigkeit beider Parteien in dieser Sache erscheint uns heute unverständlich und will culturhistorisch begriffen sein. Der Federstreit, der sich zwischen dem Laien und dem Pfaffen abspielt, ist gewissermaßen ein Vorläufer der Reformation. Als Vertreter der Aufklärung zeigt sich der Fahrende; er ist es, der die neuen Ideen durch die Lande trägt. Dem Kleriker andererseits muß nothwendig daran liegen, das Alte zu bewahren. Er kann den Handel mit wunderthätigen Steinen unmöglich verdammen, ohne seine eigenen Reliquien, ohne seinen Ablaß zu gefährden. Daher die sittliche Entrüstung des Dichters, der den Zweifler als gottlosen Menschen hinstellt. V. (so nennt sich der Dichter im Eingange) war sicher ein Geistlicher, wenn wir auch sonst von seinen Lebensumständen nicht das Mindeste wissen. Er betont ausdrücklich, daß nur die Pfaffen es wüßten, wie Gott von allem Geschaffenen besonders die Steine lieb habe. Nun, er weiß es ja ebenfalls; folglich war er ein Pfaffe. Nach einer kurzen Erwähnung der Gesetzestafeln („von Saphir ergraben“) wird nach der Sitte der meisten Lapidarien gleich übergegangen zur Beschreibung der zwölf Steine, die der „Ehewart“ Aron vorne an der Brust trug, wenn er in den Tempel ging. Die Abschnitte sind der Verszahl nach ungleich. Bei jedem Steine ist die magische Kraft angegeben, die er besitzt. Der Anblick des Smaragdes thut den Augen wohl, der Amethyst schützt vor Trunkenheit, der Jaspis vertreibt das Fieber, der Chrysolythus schützt vor allem Teufelswerk. Der Karfunkelstein hat viele Kräfte; da jedoch augenblicklich kein Mensch einen solchen besitzt, so wäre es verlorene Mühe, sie alle zu nennen! Weiterhin (vv. 289–702) sind dann noch 26 andere Steine besprochen, unter denen der Diamant und der Magnet wohl das meiste Interesse erwecken. Auf Wiedergabe des Details muß hier verzichtet werden. Ferner sind einige meist namenlose Steine mit fabelhaften Eigenschaften (vv. 703–770) und schließlich die „ergrabenen“, d. h. die geschnittenen Steine kurz abgehandelt.

Die direkte Quelle Volmar’s war bisher nicht zu ermitteln. An einer Stelle redet er von den buochen, „in denen man uns von diesem Steine viel gesagt hat“. Wahrscheinlich kannte und benutzte er alle jene Beschreibungen, die dem über hundert Jahre jüngeren, ebenfalls gereimten St. Florianer Steinbuche zum Theil als unmittelbare Vorlagen dienten: Marbod und Arnoldus Saxo, Thomas Cantimpratensis, dem auch K. v. Megenberg folgt, und vor allem wohl Albertus Magnus, den fast abgöttisch verehrten Doctor universalis der Dominikaner. – Sprachliche Eigenthümlichkeiten weisen den Dichter ins alemannische Gebiet. Dort wurde sein Werk noch im 13. Jahrhundert einer Bearbeitung unterzogen, die dann in mehreren Redactionen durch Süd- und Mitteldeutschland lief und schließlich im Jahre 1498 zu Erfurt durch den Druck fixirt wurde. Das ganze Gedicht (mit den Zusätzen der Ueberarbeiter) umfaßt 1008 Verse, die im alten Druck nur 19 zweispaltige Quartseiten einnehmen. – Wir kennen vom Steinbuche 11 Hss. und Hss.-Fragmente, die meist erst aus dem 15. Jahrhundert stammen und auf Papier geschrieben sind. Die vollständigste Hs. befindet sich in der Stiftsbibliothek zu St. Gallen, die beste in der Wiener Hofbibliothek. Wichtige Anhaltspunkte für die Kritik gewährt trotz seines geringen Umfanges das Donaueschinger Bruchstück; ein Pergamentblatt, das vielleicht noch aus dem 13. Jahrhundert stammt. Hier findet sich auch die Bezeichnung: Daz stain buch, allerdings nicht am Anfang des Gedichtes. – Der Dichter heißt in den Hss.: Volemar, Wolckman, Soleman, Joseph oder Aaron. Die letztere Bezeichnung ist natürlich aus v. 56 entlehnt; über Joseph vgl. Lambel XII f. –. Poetische Schönheiten sind in dem Büchlein kaum zu finden; es besitzt mehr culturhistorischen Werth. Auch die Metrik ist bereits im Sinken begriffen: vierhebige Verse mit klingendem Reim finden sich nicht selten. Benutzt [261] wurde V. wahrscheinlich von Albrecht von Scharffenberg bei der Beschreibung des Graltempels im jüngeren Titurel.

Die grundlegenden Stellen sind: Exodus 28, 17–20; 39, 10–13; Apokalypse 21, 18–20. – Die Parzivalstelle steht 791, 1–792, 5; vgl. dazu Oskar Schade, Altdeutsches Wörterbuch I (Halle a. S. 1872–82), Vorrede pagg. LI ff., woselbst zugleich ein Ueberblick gegeben wird über die Entwickelung der Steinkunde im Mittelalter. – Wichtige Aufschlüsse bietet auch die Arbeit von Valentin Rose, Aristoteles de lapidibus und Arnoldus Saxo, Zffda. 18, 321–455. – Das Gedicht vom himmlischen Jerusalem ist in der großen Vorauer Hs. überliefert; gedruckt bei Joseph Diemer, Deutsche Gedichte des XI und XII. Jahrhunderts. Wien 1849, pagg. 361–372. In derselben Hs. stehen auch die Geschichten von Moses; Diemer a. a. O. 1–85, 3. – Ein niederrheinisches Frauenlob des 12. Jahrhunderts (Zffda. 10, 113, 25–118, 28) vergleicht die Eigenschaften der heiligen Jungfrau mit den Steinen. – K. v. Megenberg’s Buch der Natur ist hrsg. von Franz Pfeiffer. Stuttgart 1861. – Die Strophen Heinrich’s von Mügeln bei Lambel 126–134; die Fabel sehe man in der Ausgabe von Wilh. Müller, Göttingen 1847, pag. 20 f. – Kleinere Gedichte von dem Stricker, hrsg. von Karl August Hahn. Quedlinburg und Leipzig 1839 (Basse’s Bibl. der gesammten deutschen Nat. Lit. XVIII). Von den Steinen handelt das Gedicht XI (pagg. 44–52), das nicht vor 1236 gedichtet sein kann (vgl. Lachmann zum Iwein 5522). – J. G. Büsching, Die Kräfte der Edelgesteine, nach dem Glauben des Mittelalters. Mus. f. altd. Lit. u. Kunst 2 (Berlin 1811), 52–145. Darin das Steinbuch nach der Dresdener Hs. M. 55. – G. K. Frommann, Anz. f. K. d. d. V. 1854, Sp. 159 f. (giebt die Verse 23–76 und 643–645 aus einer römischen Hs.). – Das Steinbuch, ein altdeutsches Gedicht von Volmar. Mit Einleitung, Anmerkungen und einem Anhange hrsg. von Hans Lambel. Heilbronn 1877. Eine namentlich in textkritischer Hinsicht werthvolle Arbeit, die mehrere neue Resultate lieferte. Angezeigt in der Jen. Lit. Ztg. 1877, 739 (Vogt); Germ. 23, 109–112 (Bartsch, mit Nachträgen); Revue critique 1878 (39); Zffdög. 29, 1 (Strobl); Zs. f. d. Gymn. W. 34, 497–498 (Henrici); Anzfda. 5, 224–25 (Martin, mit Nachträgen); Literar. Centralbl. 1880, 495–496. H. Lambel, zum Steinbuche. Verbesserungen. Germ. 23, 126. – Das St. Florianer Steinbuch bei Lambel pagg. 95–125; ein anderes, weit älteres Steinbuch in Prosa, hrsg. von Anton Birlinger, Germ. 8, 301–303; vgl. auch R. v. Fleischhacker, Ein altenglischer Lapidar. Zffda. 34, 229–235.