ADB:Weiland, Ludwig

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Artikel „Weiland, Ludwig“ von Jakob Schwalm in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 490–493, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Weiland,_Ludwig&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 09:57 Uhr UTC)
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Weiland: Ludwig W., deutscher Historiker, geboren am 16. Novbr. 1841 zu Frankfurt am Main, † am 5. Februar 1895 zu Göttingen, entstammte einer katholischen Familie und war Sohn des Malers und Zeichenlehrers Johannes Weiland. Er besuchte zuerst die Selectenschule, dann das Gymnasium seiner Vaterstadt, an dem Johannes Classen Philologie und Johannes Janssen, der Schüler J. F. Böhmer’s, Geschichte lehrten. 1861 bezog er die Universität Göttingen, um deutsche Philologie und namentlich Geschichte zu studiren. Einer der angesehensten Meister des Faches Georg Waitz übte hier auf ihn nachhaltigen Einfluß und gab seiner ganzen Laufbahn die entscheidende Richtung. Die Göttinger Studien wurden 1863 durch zwei Semester in Berlin ergänzt, wo durch Karl Müllenhoff’s Anregungen seine Kenntniß der deutschen Sprache sich derartig vertiefte, daß thatsächlich keiner der gleichzeitigen Historiker mit ihm in der eigenartigen [491] Verbindung historischer und sprachlicher Kenntnisse später hat wetteifern können. 1864 promovirte er in Göttingen und ging dann als Amanuensis zu J. M. Lappenberg nach Hamburg. Er nahm hier auch theil an Arbeiten, die seinem eigentlichen Gebiet fern lagen, so an der Herausgabe der deutschen Gedichte Paul Fleming’s und der Briefe von und an Klopstock. Nach Lappenberg’s Tode vorübergehend in Göttingen, siedelte er 1867 nach Berlin über als Mitarbeiter der Monumenta Germaniae historica, für die er bis an sein Ende thätig blieb. In diesen Jahren hat den Unbemittelten die Noth des Lebens nicht verschont; namentlich ein schlimmes Augenleiden schien seine Gelehrtenlaufbahn eine Zeit lang zu gefährden. Doch hat er alle Widerwärtigkeiten mannhaft überwunden. In Berlin blieb er bis 1876. In die Zwischenzeit fällt sein Uebertritt zum Protestantismus, der unter dem Eindruck der nationalen Errungenschaften und gegenüber der Wendung, die die katholische Hierarchie auf dem vaticanischen Concile nahm, 1870 erfolgte; und später seine Verheirathung mit der geliebten Gattin, der er das häusliche Glück seines Lebens dankte. Danach begann die akademische Laufbahn. W. wurde 1876 außerordentlicher Professor in Gießen, 1879 Ordinarius. 1881 rief man ihn nach Göttingen auf denselben Lehrstuhl, den vor ihm G. Waitz und J. Weizsäcker inne hatten, in deren Sinne auch er wirkte. Im Februar 1888 nach dem Tode von G. Waitz trat an ihn die Aufforderung heran, die Lehrthätigkeit aufzugeben; man berief ihn zum Vorsitz und zur Leitung der Monumenta Germaniae. Er lehnte ab, da er vor allem auf das lebendige Zusammenwirken mit seinen Schülern nicht verzichten wollte. So verlief dieses Gelehrtenleben äußerlich einfach und still, ohne Glanz; aber reichen Ertrag für seine Wissenschaft hat er hinterlassen. Seine Arbeiten nahmen in Untersuchungen und Editionen ihren Ausgang von der mittelalterlichen Geschichte des nördlichen Deutschlands und ergründeten vor allem die verfassungs- und rechtsgeschichtliche Entwicklung; daneben beschäftigten ihn, den Landsmann und Enkelschüler Böhmer’s, vorwiegend Quellen und Untersuchungen zur Reichsgeschichte. Bei aller Gründlichkeit und Vertiefung der Studien entgeht ihm nie der Zusammenhang mit dem Ganzen; seinen Arbeiten fehlt nicht nur jede Einseitigkeit, ihnen allen eignet vielmehr der Grundzug universaler Betrachtungsweise, der am großartigsten zum Ausdruck gelangt ist in dem Schlußwerk, der Ausgabe der Reichsgesetze bis zum Ende des Interregnums.

W. begann mit der ausgezeichneten Arbeit über das sächsische Herzogthum unter Lothar und Heinrich dem Löwen (1866), der eine wichtige Untersuchung über die Reichsheerfahrt von Heinrich V. bis Heinrich VI. folgte. Den Editionen des Helmold und Arnold für die Monumenta Germaniae, die Lappenberg begonnen hatte, schlossen sich die Ausgaben des Martin von Troppau, verschiedener norddeutscher Chroniken, des Adam von Bremen und vor allem der Sächsischen Weltchronik mit ihren Fortsetzungen an. Die hauptsächlichsten der späteren Untersuchungen betreffen die deutschen Königswahlen im 12. und 13. Jahrhundert, die Verfassungsgeschichte der Reichsstadt Goslar, wichtige Urkunden des 13. und die Reichsgeschichte des 14. Jahrhunderts, namentlich Ludwig den Baiern. Hierzu gehören die Ausgaben der einzelnen Fassungen des Mathias von Neuenburg in den Abhandlungen der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften. Die vornehmste Stelle unter allen Arbeiten nehmen die Ausgaben der Sächsischen Weltchronik (1877) und der Reichsgesetze bis 1272 in zwei Bänden (1893. 1896) ein. Jene ist eine Leistung ersten Ranges und das glückliche Resultat der erstrebten Vereinigung von germanistischen und historischen Kenntnissen; sie ist mustergültig, und die schwierigen Fragen der Quellenkritik, die Frage nach Abfassungszeit, Verfasser und dem Verhältniß zum Sachsenspiegel sind darin zum Abschluß gebracht. Die Reichsgesetze zeigen eine überaus minutiöse Detailarbeit und dabei [492] die glänzende Fähigkeit, überall die universalen Gesichtspunkte hervortreten zu lassen. Auch ist kaum je eine allseitige Beherrschung des mannichfaltigsten Stoffes Hand in Hand gegangen mit einer so virtuosen Behandlung der Editionstechnik, wie hier. Was seinen rechtshistorischen Arbeiten einen besonderen Werth verleiht, ist, „daß sie von einem zünftigen Historiker ausgehen, der eine entschiedene Begabung für die Erkenntniß des Rechts und die Verfolgung einer Rechtsentwicklung hatte. Er benutzt die historischen Quellen gründlicher und zusammenhängender, als die Rechtshistoriker juristischer Herkunft zu thun pflegen; denn er hat die Quellen im Zusammenhange gelesen, nicht bloß einzelne Belegstellen nachgeschlagen, und ist dadurch im Besitz nicht bloß eines reicheren Materials, sondern auch eines zuverlässigen Maßstabes zur Beurtheilung des Werthes oder der eigenthümlichen Beschaffenheit einer Quelle“ (Frensdorff). – Wir beklagen, daß die Bewältigung dieser mächtigen Editionen W. nicht zur Abfassung einer größeren Darstellung zur Verfassungsgeschichte oder Reichsgeschichte des späteren Mittelalters hat kommen lassen. Was er von derart tragischem Geschick in seiner Gedächtnißrede auf Weizsäcker gesagt hat, das gilt gerade so von ihm selbst. Nur in seinen Vorlesungen konnte man erkennen, wie meisterhaft er die Gabe durchsichtiger Gestaltungskraft handhabte. Hier wußte er vor allem die großen Zusammenhänge geschichtlichen Werdens auch an verwickelten Stellen zur klaren Einsicht zu bringen. Hier folgte er dann auch seiner wachsenden Vorliebe für die neuere Geschichte und gab von der Entwicklung der Verfassungen wie der politischen Theorien lehrreiche und glänzende Darstellungen. In seinen Vorlesungen war alles wohl durchdacht, abgerundet und formvollendet. Seine Meisterschaft in tief innerlichem Vortrag bei aller Freiheit von Pathos und bei maßvoller Abtönung beweisen die schönen Reden auf die drei Vorgänger Dahlmann (1885), Waitz (1886) und Weizsäcker (1889). Zu allem stimmt auch das Urtheil, welches einer der Meister der Historie ihm gegenüber ausgesprochen hat, daß er wie wenige nicht bloß die methodische Sichtung des Quellenmaterials gelernt habe und ausübe, sondern auch zum Historiker, zum Geschichtsschreiber geboren sei, d. h. den geistigen Gehalt der historischen Ereignisse aufzufassen verstehe und die Fähigkeit zur Beurtheilung und eigenen Darstellung derselben besitze. Seine eigene Auffassung vom Wesen der Geschichtswissenschaft präcisirte W. 1887 in einem gegen Ottokar Lorenz gerichteten Aufsatz über Quellenedition und Schriftstellerkritik und gemahnte an die ernste Pflicht, bei der eigenthümlichen Beschaffenheit und dem beschränkten Umfang der Erkenntnißquellen des Mittelalters nicht jede neue originelle Betrachtungsweise freudig zu begrüßen, sondern an den Gesetzen der Erkenntniß festzuhalten, welche die Altmeister gelehrt haben.

Doch nicht als Stubengelehrter, sondern als Historiker im Sinne Dahlmann’s, den Blick voll auf die Gegenwart gerichtet, hat er an der politischen Entwicklung seiner Zeit regen Antheil genommen. Frühzeitig hat er sich ernst und klaren Blickes mit der nationalen Frage beschäftigt; in Berlin betheiligte er sich lebhaft an den auf Volkserziehung gerichteten Bestrebungen; in Göttingen war er ein hervorragendes Mitglied und der angesehenste Redner der nationalliberalen Partei. Zu so eifriger öffentlicher Bethätigung befähigte ihn nicht nur seine große Rednergabe, sondern vor allem die Mannhaftigkeit und Unerschrockenheit seines Charakters. Diese innern Eigenschaften seiner Persönlichkeit sind es vor allem gewesen, die sein Wirken so tief gehen ließen, daß in allen Kreisen sein Tod eine empfindliche Lücke riß, nicht nur bei den nächsten Freunden und Schülern. Die Unbestechlichkeit seines Urtheils, die Lauterkeit seiner Gesinnung, die ganze innere Wahrhaftigkeit verbunden mit einer gewissen Herbheit und Sprödigkeit seines äußeren Wesens mochten Fernerstehenden den Eindruck der Schroffheit erwecken; für die Näherstehenden waren sie unschätzbare Werthe, die ein [493] felsenfestes Vertrauen auf diesen einzigen Mann begründeten. Mitten heraus aus angestrengter Thätigkeit, die das alte Augenleiden grade jetzt wieder zu hemmen drohte, in der Fülle der Kraft entriß ihn nach kurzem schwerem Krankenlager ein rascher Tod in der Frühstunde des 5. Februar 1895. Am 8. Februar wurde er auf dem Centralfriedhofe zu Göttingen bestattet.

Persönliche Erinnerungen und Mittheilungen. – H. Schultz, Grabrede. Göttingen 1895. – J. Schwalm, Gedächtnißworte. Göttingen 1895. Als Ms. gedr. – E. Dümmler, Neues Archiv, Bd. 20, S. 666. – F. Frensdorff, Hansische Geschichtsblätter, Jahrg. 1894, S. 109. Hier auch S. 122 eine Zusammenstellung der Arbeiten Weiland’s, sowie der übrigen Nachrufe.