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ADB:Wilmans, Roger

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Artikel „Wilmans, Roger“ von Friedrich Philippi in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 302–304, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wilmans,_Roger&oldid=- (Version vom 10. Dezember 2024, 11:19 Uhr UTC)
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Wilmans: Franz Friedrich Roger W., Geschichtsforscher und Archivar, wurde am 18. Juli 1812 zu Bielefeld geboren, kam aber bei der Versetzung seines Vaters ins Kriegsministerium schon 1817 nach Berlin. Er erhielt dort seine Erziehung auf dem französischen Gymnasium und seine gelehrte Ausbildung an der Universität in den Jahren 1832–1835 durch das Studium von Philologie und Geschichte; seine Doctorarbeit (1835) war eine quellenkritische Untersuchung über Dio Cassius. Nachdem er 1835 die philologische Staatsprüfung abgelegt hatte, unterrichtete er einige Jahre als praktischer Schulmann am Cadettencorps und Joachimsthal’schen Gymnasium. Daneben blieb er aber auch auf seinem Lieblingsfelde, dem Geschichtsstudium thätig, indem er in verschiedenen Zeitschriften, u. a. auch in Pertz’ Archiv, Aufsätze und Besprechungen veröffentlichte und 1840: „Die Jahrbücher des deutschen Reichs unter der Herrschaft König und Kaisers Otto III.“ herausgab. Die Arbeit, auf Anregungen in Ranke’s Seminar zurückgehend, hatte ihn in nahe Beziehungen zu den namhaftesten Bearbeitern deutscher Geschichte: Waitz, Giesebrecht, Köpke, Dönniges und Hirsch gebracht, sodaß er 1845 als Mitarbeiter zur Herausgabe der Monumenta Germaniae herangezogen wurde. Als solcher lieferte er werthvolle Beiträge zum 10., 11., 12. und 20. Band der Scriptores, indem er viele kleinere Chroniken und Excerpte aus solchen herausgab, Register und Glossare fertigte, dann aber vor allem die Chronik Otto’s von Freising und seiner Fortsetzer sowie die von ihm entdeckte Lebensbeschreibung des h. Norbert bearbeitete. Die Drucklegung dieser Arbeiten konnte jedoch größtentheils erst erfolgen, nachdem W. schon in seinem neuen Wirkungskreis, dem er die Hauptarbeit seines Lebens widmen sollte, eingetreten war, in die Stelle eines Provinzialarchivars in Münster. Er wurde dort der Nachfolger Erhard’s, eines vielseitigen als Archivar und Geschichtsforscher gleich tüchtigen Gelehrten (s. A. D. B. VI, 197). Aber er trat würdig und mit Erfolg in seine Stelle. Das ist ganz besonders anzuerkennen, weil W., obwol in keiner Weise fachlich vorgebildet, gerade als Archivar in der technischen Behandlung der seiner Obhut anvertrauten Schätze, in der Formirung der Gruppen, der Uebersichtlichkeit der Aufstellung ganz hervorragendes geleistet hat. Wenn ihm dazu auch die trefflichen Informationen des hochverdienten Directors v. Lancizolle (s. A. D. B. XVII, 583) und theilweise die Thätigkeit seines Vorgängers zur Richtschnur dienen konnten, so läßt die Art der Ausführung doch ein bedeutendes Organisationstalent und die Fähigkeit, die großen zu bewältigenden Massen von Archivalien zu überblicken, zusammenzufassen und wieder zu gliedern, deutlich erkennen. Er kann daher mit Recht als der zweite Begründer des Münsterschen Staatsarchives bezeichnet werden und zwar um so mehr, als erst zu seiner Zeit erfolgte zahlreiche Ueberweisungen diesem Institute im wesentlichen seinen jetzigen Umfang und damit seine Bedeutung gaben. Baute er so als Beamter auf der von Erhard gelegten Grundlage mit erhöhtem Erfolge und erweiterter Einsicht fort, so förderte er auch lebhaft die von Erhard gepflegten geschichtlichen Arbeiten, wenn auch mit der Modification, welche seiner anderweiten Vorbildung und seinen anders geleiteten Interessen entsprach. Erhard war im wesentlichen Autodidact gewesen; seine geschichtlichen Arbeiten nahmen von seinem eigentlichen Studium, der Medicin, den Anfang und liefen auf dem Umweg über die allgemeine Geschichte der Wissenschaften in äußerst verdienstliche Veröffentlichungen zur Provinzialgeschichte aus, Arbeiten, die obwol sie vor 50 Jahren erschienen, noch jetzt maßgebende Grundlagen für den Forscher bieten. W., in der strengen und vielseitigen Berliner Schule vorgebildet, ging von der allgemeinen Weltgeschichte aus, um sich dann allmählich auf die ältere deutsche Geschichte zu beschränken. Die Bearbeitung der Quellen für die Darstellung hatte ihn die Wichtigkeit des eigentlichen [303] Quellenstudiums und die Verantwortlichkeit der Herausgeberarbeit kennen gelehrt. So war er trefflich vorgeschult, als an ihn in Münster die Aufgabe herantrat, Erhard’s Urkundenveröffentlichungen fortzuführen. Das erste, was er begann, war die mühevolle und entsagungsreiche aber dringend nothwendige Anfertigung eines Registers zu den Arbeiten seines Vorgängers. Dann griff er bald dessen Plan einer systematischen und vollständigen Veröffentlichung der westfälischen Urkunden wenigstens bis zum Jahre 1300 auf; es war ihm vergönnt von den vier in Aussicht genommenen Abtheilungen eine ganz (Münster), die zweite (Paderborn) zum Theil auszuführen. Aber darin ging er über Erhard hinaus, daß er nicht nur der Provinzialgeschichte dienen wollte; seine frühere Beschäftigung mit der Reichsgeschichte ließ ihn die Wichtigkeit der localen Quellen für dieselben ebenso klar erkennen, wie er bei seinen früheren Arbeiten die Schwierigkeiten empfunden hatte, diese Quellen ohne die Kenntnisse des Localforschers richtig auszudeuten und zu verwerthen. Seine dienstlichen Arbeiten – Repertorisirungen – gaben ihm nun Gelegenheit, diese ältesten Quellen der Provinzialgeschichte, die Kaiser- und Papsturkunden, nach allen Seiten hin zu untersuchen: historisch, topographisch, graphisch, diplomatisch. Dabei war er vielfach gezwungen, seine eigenen Wege zu wandeln, sich selbst Straßen ins Dickicht zu hauen, denn die jedem auf diesem Gebiete jetzt Arbeitenden zu Gebote stehenden Hülfsmittel von Stumpf, Potthast, Sickel, Ficker existirten damals noch nicht oder erschienen, als er sich anschickte, seine Arbeiten zum Abschlusse zu bringen. Daß trotzdem diese Arbeiten, insbesondere „Die Kaiserurkunden der Provinz Westfalen“, Band I (erschienen 1867) eine gute Aufnahme fanden und auch heute, nachdem so tiefe und eingehende Forschungen auf dem Gebiete der Urkundenlehre fast eine Umwälzung hervorgerufen haben, noch geschätzt und genannt werden, beweist ihre Güte; aber sie würden noch viel mehr Anerkennung und Beachtung gefunden haben, wenn das Werk übersichtlicher angelegt und klarer gegliedert wäre; gerade das aber bereitete fast unüberwindliche Schwierigkeiten, weil die Menge und Verschiedenheit der einzelnen behandelten Gegenstände eine klare Disposition nahezu unmöglich machte. Die zahlreichen kleinen Abhandlungen Wilmans’ aus seiner Münsterischen Zeit aufzuzählen ist hier nicht der Ort (sie können in dem Anhange des unten angezogenen Diekamp’schen Nachrufes nachgesehen werden), trotzdem verdienen zwei, welche für W. besonders charakteristisch sind, hervorgehoben zu werden: die Arbeiten über „die Abdinghofer Fälschungen“ und über die „ländlichen Schutzgilden Westfalens“. In dem ersten Aufsatze gibt er eine meisterhafte Quellenkritik, die nicht bei der diplomatischen und inhaltlichen Betrachtung Halt macht, sondern auch die auf den fraglichen Urkunden beruhende vita Meinwerci mit in den Kreis der Betrachtung zieht. Die zweite geht feinfühlig den bis in die Neuzeit reichenden Spuren der alten „Gilden“ nach und beweist, mit wie viel Einsicht und Eifer W. sich die Erklärung der von ihm bearbeiteten Documente angelegen sein ließ; sie ist leider bei den vielfältigen neuen Arbeiten über das Gildewesen sehr zum Nachtheile dieser Arbeiten kaum beachtet worden. Es hing das aufs engste damit zusammen, daß er es nicht liebte, sich in der Oeffentlichkeit zu bewegen und nur gezwungen aus seinem stillen Gelehrtendasein hervortrat. So zeigte er nur selten vor größeren Kreisen, wie er nicht nur seine Wissenschaft beherrschte, sondern sich auch für das gesammte geistige Leben unseres Volkes interessirte; dafür war er aber im kleinen Kreise als anregender Gesellschafter um so mehr beliebt und gerne gesehen. Keiner aber, der in westfälischer Geschichte während der letzten Jahrzehnte gearbeitet hat, konnte das, ohne mittelbar oder unmittelbar Wilmans’ Hülfe in Anspruch zu nehmen, und bereitwillig theilte er aus dem Schatze seines Wissens und seiner Kenntnisse mit, anregend [304] und fördernd. Freilich hat er nicht immer den Dank geerntet, der ihm gebührt hätte. Als in späterer Zeit seine Kräfte zu erlahmen begannen und er nur noch mit Anstrengung seine geplanten Arbeiten weiter führen konnte, wurde ihm noch die Freude daran durch Angriffe aus dem eigenen Kreise vergällt; Angriffe, zu denen er vielleicht Veranlassung gegeben hatte, die aber in Form und Fassung das Maß überschreitend sich nicht mehr gegen W. als Forscher, sondern gegen ihn als Menschen wandten. (Vgl. darüber Finke in der Einleitung zum Paderborner UB., Abth. IV, S. IV.) Er hat sie unerwidert gelassen, da er zu dem Niveau des Angreifers hinabzusteigen sich nicht entschließen konnte, zog sich aber infolge derselben von den ihm Jahrzehnte lang ans Herz gewachsenen, Jahrzehnte lang von ihm gehegten Arbeiten am Westfälischen Urkundenbuche zurück (1880). Weitere Pläne auszuführen war ihm nicht mehr vergönnt; er starb nach nur kurzer Krankheit am 28. Januar 1881. Die letzten Jahrzehnte seines Lebens waren ohne bemerkenswerthe äußere Ereignisse dahin geflossen. Doch fehlte es ihm nicht an äußerer Anerkennung, da er 1859 den Titel Archivrath, 1867 den eines Geheimen Archivraths erhielt und am 18. Januar 1874 durch Verleihung des Rothen Adlerordens ausgezeichnet worden war. Die Münchener Akademie der Wissenschaften erkannte seine Verdienste um die Wissenschaft an, indem sie ihn 1869 zu ihrem außerordentlichen Mitgliede ernannte; ebenso 1870 die „Maatschappij der Nederlandsche Letterkunde zu Leyden“.

Nekrologe von W. Diekamp in der Zeitschrift f. vaterländische (westfäl.) Geschichte u. Alterthumskunde 39, S. 186 ff. (mit Verzeichniß der Schriften) und in den Sitzungsberichten der phil.-hist. Classe der kgl. bair. Akademie der Wissenschaften zu München, 1881. I, S. 115 ff.