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Aschermittwoch (Bierbaum)

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Textdaten
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Autor: Otto Julius Bierbaum
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Titel: Aschermittwoch
Untertitel: Eine Szene
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1904
Verlag: Albert Langen
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Google-USA* und Commons
Kurzbeschreibung:
E-Text nach der Ausgabe 1920, Djvu auf Commons
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[47]
Aschermittwoch
Eine Szene


Dem Klub „Zur Bethelnuß“ gewidmet


[49] (Das Schlafzimmer des Dandy. In der Mitte ein enormes Himmelbett, das von weißen Mullvorhängen umgeben ist, die mit fallenden grauen Rosen in Seide bestickt sind. Ebensolche Vorhänge an den hohen Fenstern. Gegenüber dem Bett eine große Waschtoilette aus grauem Marmor. Die Wände haben grauseidene Bespannung; der durch das ganze Zimmer gehende Teppich zeigt hellrote Rosen auf grauem Grunde. An den Wänden hängen in weißen Lackrahmen Lithographien von Toulouse-Lautrec.

Es ist zwei Uhr nachmittags, aber im Zimmer herrscht vollkommene Dämmerung.)

Der Dandy (im Traum, hinter den Gardinen des Bettes, singend):

Bald links herum, bald rechts herum, doch stets am Liebesba .. a .. nde (Ein Gespräch [50] wiederholend, mit Nachahmung der Stimmen etc.) Kathi, die Welt ist eine Bethelnuß. … Was für’n Ding? … Eine Bethelnuß … Woaß i, was dös is? … Frag deinen Kunstmaler. A, der Fadian der schlaft ja scho’ … Kathi? … Wos is? … Die Welt ist eine Bethelnuß!

(Singend):

Und der Herr Marquis in Grau
Hat ’ne bli-bla-blonde Frau
Mit gefärbten Haaren;
Ei jawohl, ei jawohl.
Die mal anders waren.

(Sprechend): Daran ist kein Zweifel erlaubt; man sieht’s am Ansatz. Aber dennoch:

Ich mag nicht jene, ich will nicht diese,
Ich liebe allein die Frau Marquise.

Sekt kann sie trinken wie ein Fähnderich; sie war nicht umsonst Büffetmamsell.

(Erwacht, gähnt, ruft): Ka–simir!

Kasimir (der Kammerdiener erscheint im Schmucke seiner schwarzen Koteletten): Gnädiger Herr befehlen?

Der Dandy: Heute ist Dienstag?

[51] Kasimir: Sehr wohl, gnädiger Herr, aber eigentlich …

Der Dandy (brüllend): Sie sollen sich das Wort „eigentlich“ abgewöhnen! Das Wort ist eine Impertinenz! Wollen Sie vielleicht behaupten, daß ich betrunken bin?

Kasimir (unerschrocken, aber flötend): Im allgemeinen ist heute Mittwoch. (Betont): A–scher-!

Der Dandy: Auch das noch! Auch das noch! Kann einem dieser verfluchte Kalender denn gar nichts gönnen? Kasimir, haben Sie gebeichtet? Haben Sie Ihr schlechtes Leben abgeschworen? Fühlten Sie das Kreuz von Asche auf Ihrer lasterhaften Stirne?

Kasimir: Ich hatte noch keine Zeit dazu heute, gnädiger Herr, aber …

Der Dandy: Kasimir, Kasimir, Sie sind ein Soolei von einem Sünder. So hart gesotten sind Sie! Ist es wahr, daß Sie in Frack und Lack und Claque, und zwar in meinem Frack und Lack und Claque, in den Blumensälen waren!? Ich reiße Ihnen die linke Kotelette ab, wenn Sie leugnen!

[52] Kasimir (betroffen, aber schnell in Fassung, mit dem Tone des verdächtigten Unschuldsengels): Aber gnädiger Herr …

Der Dandy: Kasimir, Sie tremolieren, also sind Sie erkannt. Ich würde sagen: Schämen Sie sich! wenn ich ein Idealist wäre. Da ich das aber nicht bin, schenk ich Ihnen das Zeug.

Kasimir (zieht den Mund breit, so daß die Koteletten wie zwei Flügel auseinander gehen; murmelt): Ergebensten Dank, gnädiger Herr. Befehlen der gnädige Herr Tee oder Schokolade heute?

Der Dandy: Antipyrrhin.

Kasimir (ohne eine Spur von Erschütterung): In Gießhübler oder Biliner?

Der Dandy: In Sekt.

Kasimir (verdreht entsetzt die Augen und schlüpft unhörbar hinaus).

Der Dandy: Das war eine Inspiration. Gift mit Gift als Gegengift. Kombiniertes Verfahren. Ein begabter Morgen. (Ruft): Kasimir!

Kasimir (erscheint mit einer Tablette): Gnädiger Herr? (Reicht die Tablette hinter den Vorhang.)

Der Dandy: Welch’ Zeit ist’s?

[53] Kasimir: Zwei Uhr vorbei.

Der Dandy: Sie sind ein Schwärmer! Ich bin ja erst um drei nach Hause gekommen.

Kasimir: Ich meine zwei Uhr nachmittags.

Der Dandy: Und Sie bestehen darauf, daß heut’ Mittwoch ist?

Kasimir: Aschermittwoch.

Der Dandy (mit dem Ausdruck eines Generals, der den Schlachtplan entwirft): Demnach: Graue Hosen, stahlblaue Weste, schwarzer Gehrock, graubraune Orchidee und die Alexandritgarnitur.

Kasimir (hat mit hochgezogenen Augenbrauen zugehört und verschwindet geschäftig wichtig ins Garderobezimmer)

Der Dandy: Der Alexandrit ist der Aschermittwochstein. Zwar noch inwendige Glut, aber überflort. – Ich platze heute vor Inspirationen. – Daran ist die Marquise schuld. Dieses Mädchen ist, was man eine Muse nennt. Dabei tanzt sie wie das fleischgewordene Fegefeuer. Wenn sie sich bloß die Haare besser färben wollte. Indessen: Wer wäre Mensch und ein vollkommenes Tier? (Singt): Man muß nicht [54] un–be–schei–den sein! Und überdies: Wozu sind wir Philosophen? Was hätten wir Philosophen zu tun, wenn die Welt vollkommen wäre? Es ist in der Tat alles sehr nett eingerichtet. Auch das mit dem Aschermittwoch ist gut disponiert. So kann sich der Mensch doch ausruhen, weil er muß. Und in sich gehen, Emil! In sich gehen! – Wenn ich so in mich gehe … Man entdeckt da allerhand. Zum Beispiel … (ruft): Kasimir!

Kasimir (erscheint mit sechs Paar grauen Hosen): Gnädiger Herr?

Der Dandy: Kasimir, sind Sie schon einmal in sich gegangen?

Kasimir: Wie befehlen?

Der Dandy: Haben Sie schon einmal den Stachel der Erkenntnis in Ihren Busen gedrückt?

Kasimir (grinsend): Hähä ..

Der Dandy: Sehr richtig, Kasimir, es ist zum Lachen. Ich wußte längst, daß Sie ein Zyniker sind.

Kasimir: Ich wollte fragen: Welche graue Hose gnädiger Herr befehlen?

[55] Der Dandy: Auch noch Nuancen verlangen Sie von mir, Unersättlicher? Einen Moment! Also gut: die mit schwarzen und grauen Parallelstreifen.

Kasimir (sehr ernst): Ich verstehe: die Unendlichkeitshose.

Der Dandy: Sehr richtig: die Unendlichkeitshose! – Aber was ist denn das: sagen Sie mal, Kasimir, haben Sie mich heute früh nicht ausgezogen?

Kasimir: Gnädiger Herr ließen es nicht dazu kommen. Gnädiger Herr drohten mir mit Entlassung, wenn …

Der Dandy: Sie sind ein Feigling! Gehen Sie!

Kasimir (macht ein beleidigtes Gesicht und verschwindet mit der Hosenlast).

Der Dandy: Also habe ich Schamloser nicht einmal die Wäsche gewechselt … Und wir wollen eine neue Kultur heraufführen! Wir wollen der Menschheit neue Gebärden beibringen! – Pescherähs sind wir, Pescherähs! – Pfui Teufel, sogar die Kegelmütze habe ich [56] noch auf dem Kopf. (Eine hohe Pierrotmütze fliegt aus dem Vorhangspalt ins Zimmer.) Äh, mein ganzes Gesicht klebt, und einen Geschmack hab’ ich im Munde … leimig – Wes aber die Zunge faul ist, des Seele kann schwerlich nach Ambra duften. Das könnte im Jesus Sirach stehn. Indessen gibt es Eau de Botot, und somit: Kasimir!

Kasimir (schlüpft mit fragender Miene herein): Gnädiger Herr?

Der Dandy: Mischen Sie das Mundwasser!

Kasimir: Befehlen gnädiger Herr die „schwerste von den Künsten“?

Der Dandy: C’est ça, doch mit einem Schuß old english Lavender water. Aber penibel, wie Mister Pips, der Bar-Tender! Erst Botot, dann Cologne, dann peppermint, dann drei Tropfen Myrrhentinktur, dann einen halben Tropfen von dem ekligen Zeug, womit man, wie Sie wissen, Kasimir, Leichen konserviert, und schließlich, aber das gilt bloß für heute, ein Spritzerchen von old Englands köstlichem Lavendelwasser, als Aschermittwochsnuance. So, [57] Kasimir, wusch sich die ebenso schöne wie erfahrene Königin von Saba die dunkelkorallenfarbige Höhle des bogenförmigen Mundes, an dem jener König von Juda zu hängen gewohnt war, den Sie in der Bibel erstem Teile nachschlagen können. Und nun verschwinden Sie, heben Sie sich weg, fahren Sie ab!

Kasimir (verschwindet, hebt sich weg und fährt ab.)

(Man hört knarrende Bewegungen hinter den Bettvorhängen; dann geraten diese selber in Bewegung; zwei Füße in Lackschuhen erscheinen; dann zwei Waden in schwarzseidenen Strümpfen; dann zwei Schenkel in knappanliegenden weißseidenen Hosen. Der Vorhang teilt sich: Der Dandy tritt heraus. Er ist in ein seidenes Pierrotkostüm gekleidet; im übrigen ein kräftig schlanker junger Mann, Ende der Zwanziger, mit einer Hakennase, starken, in dem gepuderten Gesicht besonders ausgeprägt hervortretenden Augenbrauen, und ganz kleinem, schwarzen Schnurrbärtchen.)

Der Dandy (zur Waschtoilette schreitend, pretiös deklamierend):

Komm, Aurore,
Und entflore
Dein durchlauchtig Angesicht;
Tulpen flammen

[58]

Hell zusammen
Mit der Rosen Purpurlicht;
Wolken wiegen deinen Wagen,
Den die Morgenwinde tragen:

(Leichthin): Dies ist heute mein Gedicht.
Kasimir! Kasimir!! Kasimir!!!

Kasimir (huscht eifrig herbei): Gnädiger …

Der Dandy: Wo ist der Phonograph? Sind Sie von Sinnen, Abtrünniger? Soll ich in die leere Luft dichten?

Kasimir: Gnädiger Herr haben ihn heute früh gegen die Wand geworfen.

Der Dandy (düster): So ist meine Unsterblichkeit um ein Kleinod von Gedicht ärmer. – Übrigens, der Anfang kam mir bekannt vor; entweder ich oder ein anderer muß ihn schon einmal gedichtet haben. Es wird einem heutzutage impertinent schwer gemacht, originell zu sein. Das meiste ist schon weggedichtet. Die ganze Vergangenheit ist ein einziges großes Plagiat an der Gegenwart. Weh dir, daß du ein Enkel bist! Wenn ich nicht Emil wäre, [59] möchte ich Goethe gewesen sein. – Verstehen Sie meinen Schmerz, Kasimir?

Kasimir (grinst und schüttelt seine Koteletten).

Der Dandy: Dann gehen Sie hinaus, Monstrum, und sorgen Sie für Malossol. – Womit könnte man den Aschermittwoch stimmungsvoller beginnen, als mit graukörnigem Malossol? Nur der Barbar ist bloß mit der Seele fromm; der Kulturträger auch mit der Zunge. (Skandiert):

Sprach’s und wandte sich d’rauf zum flaschenbelasteten Waschtisch,
Zeigte dem Spiegel die Zähne und griff zur borstigen Bürste,
Rieb das Email mit Bedacht nach den Seiten sowohl wie nach aufwärts,
Siehe, da glänzten sie gleich wie Blüten der südlichen Mandel.

Es gibt kein Versmaß, das so den Lokalton des Aschermittwochs hätte, wie der alte, brave schleifbeinige Hexameter. – Herr Professor Dr. Johann Heinrich Voß, ich gestatte mir eine kleine klassische Libation! (Er ergreift das Glas [60] Mundwasser und gurgelt. Darauf putzt er sich die Zähne): Nun komme Tag, daß ich dich küssen kann! (Stellt sich breitbeinig vor einen Spiegel): Emil, Adelsmensch und Kulturträger, – wie siehst du aus!

Ein Angesicht wie Käse,
Die Beine knick und matt, –
Wohl dem, der Aschermittwochs
Keinen Spiegel im Hause hat.

Ob die Marquise heute auch so wie Camembert aussieht?

Ein Camembert, umrahmt von roten Locken,
Es starrt der Blick, und alle Pulse stocken,
Und du erkennst, o Mensch, wenn du bei Sinnen bist,
Vor diesem Bild, daß Aschermittwoch ist.

Es ist doch sehr ein nachdenklicher Tag. Die Insuffizienz aller Genußorgane stabilitiert sich als ein rocher de bronze vor der matschen Seele wie ein gigantisches Ausrufezeichen, und man steht mit einem konfirmandenhaften Gefühle von Betroffenheit da. – Leben, meine süße Geliebte, kannst du mir noch gut sein, da [61] ich so schlecht gewirtschaftet habe? Hast du noch Blumen für mich und Früchte, oder bloß den leeren Korb? Nimm mich bei den Ohren, stell mich in eine Ecke, wie einen schlechten Schüler, laß mich auf Erbsen knien und den Sekt an deiner vollen Tafel karieren, – aber gib mir keinen Korb auf immer. Augenblicklich ist mir zu schwach zumute, und ich fühle, daß ich mir den Magen verdorben habe, aber es gibt ein Wort, das heißt Diät, und hinter diesem Worte lächelt die Hoffnung. Fasten, – ja! Vierzig Tage lang fasten wie der Johannes von Sudermann, den man nicht aufführt, aber ich muß gewiß sein, daß du mir dann wieder gut bist, du mit den roten Lippen, du mit der vollen Brust, du mit den nie untergehenden Sonnen deiner huldreichen Augen! Gebiete, und ich will Drillichanzüge tragen vierzig Tage lang im Schnitte von Predigtamtskandidaten. Gebiete, und ich will vierzig Tage lang Knorrs Hafermehlschleim essen. Gebiete, und ich will meiner Tante täglich Carl Busses Gedichte vorlesen vierzig Tage lang. Aber dann [62] mußt du mich wieder in deine Arme nehmen, meine süße Geliebte. Du sollst mir doppelt lieb sein dann, und ich will keinen Tag so hoch preisen, wie den Aschermittwoch, den Tag der großen Diät! –

Kasimir: Gnädiger Herr?

Der Dandy: Ist das Bad geheizt?

Kasimir: Zweiunddreißig Grad.

Der Dandy: Ist der Masseur da?

Kasimir: Jawohl.

Der Dandy: Die Manicure?

Kasimir: Jawohl.

Der Dandy: Und welches Pferd?

Kasimir: Lux, der Rotfuchs.

Der Dandy: Sind Sie bei Sinnen? Ist das ein Aschermittwochsgaul? Bestellen Sie Lex, die behäbige Schimmelstute!

Kasimir: Sehr wohl!

Der Dandy: Dann können Sie jetzt in die Kirche gehen.