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Aus der Zeit der weichgeschaffenen Seelen

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Textdaten
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Autor: L. P.
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Titel: Aus der Zeit der weichgeschaffenen Seelen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 346–349
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[346]

Aus der Zeit der weichgeschaffenen Seelen.

„Ihr weichgeschaffnen Seelen, ihr könnt nicht lange fehlen,“ singt Ramler – und zwar in Bezug auf den reuigen Petrus! – im „Tod Jesu“, und dies Wort ist für die Menschen der deutschen Bildungskreise jener ganzen Epoche, welcher dies empfindsame Oratorium von der geistlichen Passion angehört, zur treffendsten Bezeichnung geworden. In unserer schönen Literatur wurde nämlich um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts eine Manier Herr, welche traurige Zeugnisse tiefster Schwäche hervorbrachte, indem sie in süßlicher weibischer Gefühlszerflossenheit vor den verschnörkelten Altären ihrer höchsten Göttinnen, Freundschaft, Liebe und Poesie, einen Götzendienst trieb, der nur möglich war und verziehen werden kann, weil die Geister jener Zeit dem erhebenden Boden eines gesunden, nach ernsten Zielen ringenden öffentlichen Lebens vollständig entrückt waren. Die Wurzeln dieser Weichseligkeit liegen sicher weit zurück, noch in der Verwüstung unseres Landes und Volkes durch den dreißigjährigen Krieg, in dem Elend, der allgemeinen Gebrochenheit der Nationalkraft, welche er verschuldete. Das ehemals so mannhafte, trotzig rüstige Wesen der Deutschen war [347] geknickt für lange, und ein großes Interesse, an dem sich ein neues Geschlecht hätte in Begeisterung ausrichten können, blieb noch ein Jahrhundert lang danach unserm Volk versagt. Aus dem Elend der Wirklichkeit suchten seine tiefern Geister die ideale Rettung im eigenen Gemüth, unmächtig, wie sie es waren, zur praktischen, bessernden Umgestaltung. Der Pietismus wurde deren erste Frucht. Eine solche fortgesetzte Seelenschau und Selbstbetrachtung führt nothwendig zur Entnervung, Eitelkeit und inneren Unwahrheit. Man sah mit froher Genugthuung die Thränen dem eigenen Auge entfließen in andächtiger Entzückung und gläubiger Rührung, und man gewöhnte sich daran, sie so oft wie möglich fließen zu machen, und im Bewußtsein der so erwiesenen Herzensweichheit und Gottseligkeit zu schwelgen. Der ursprüngliche, ausschließlich bewegende Grund dieser Thränen und schmerzlichen Freuden, das fromme Sündenbewußtsein der Pietisten, hatte freilich um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts längst andern Erregern und andern Gegenständen der Empfindung weichen müssen, welche nun die schönen Seelen der Gebildeten erfüllten, aber die Wirkung und Aeußerung war fast dieselbe geblieben. Auf den Flügeln hochgesteigerter Empfindungen versuchte man sich über die Enge und Armseligkeit der nahen Umgebung hinauszuschwingen, im Träumen und Dichten ihrer zu vergessen, seltner sie darin anzufeinden und zu höhnen.

Beinahe einzig der eine deutsche Mann unter den Heroen unserer großen Literaturperiode, Lessing, blieb fest und unberührt von der allgemeinen Versessenheit und schaute der Wirklichkeit klar in’s Auge, statt ihr zu entfliehen. Sonst verleugnet keiner der Andern, noch eines der in dieser Aufgangszeit jener Periode erwachsenen Werke das Gepräge solcher Stimmung. Selbst der größte unter den Meistern der Dichtung, welche den Deutschen das mangelnde politische Band wenigstens durch das eines gemeinsamen geistig-künstlerischen Interesses ersetzten, hat in seinem gewaltigen Erstlingswerk, den „Leiden des jungen Werther“, jene beherrschende Stimmung, jene Art des Empfindens und inneren Lebens in der reinsten Kunstgestalt verkörpert und sich damit gründlich selbst befreit von solcher Herrschaft. Der Werther markirt den letzten Höhenpunkt und ist der vollkommene künstlerische Ausdruck der Zeit der schönen und weichgeschaffenen Seelen.

An der bloßen Beobachtung und Wartung ihrer Herzensangelegenheiten aber war es jenen Empfindsamen keineswegs genug. Die dabei gewonnenen Erfahrungen mußten fixirt und gleichsam gebucht werden, wie es die zahllosen reflectirenden Tagebücher jener Zeit bekunden, sowie das massenhafte briefliche Ausströmen der Gefühle der Freundschaft und Liebe, das Schildern der Herzenserlebnisse der verwandten Seelen. Dabei konnte es dann nicht ausbleiben, daß die Erlebnisse erfunden, die Gefühle gemacht wurden, um das gewohnte Bedürfniß der Correspondenz zu erfüllen.

Es bildeten sich in deutschen Landen gewisse Mittelpunkte, von welchen nach allen Seiten hin bis in die Schweiz und Frankreich hinein die Anregungen zu solcher Arbeit in der Empfindsamkeit ausstrahlten und zu welchen als Erwiderung alle jene Ergüsse schöner Seelen zurückströmten. Solch ein Mittelpunkt war das Haus des Vater Gleim zu Halberstadt, der es freilich verstand, den Freundschafts- und Liebesgluthen seiner zahlreichen Dichterfreunde noch eine realere und wirksamere Nahrung zu geben, als den unversiechlichen Zufluß empfindsamer und überschwänglicher Briefe; nämlich directe, thatsächliche Unterstützung und Förderung durch Geld und Gunst. Ein anderer, mehr auf Süddeutschland hin wirksamer Mittelpunkt aber lag am Fuß des Ehrenbreitenstein im gastlichen Hause der liebenswürdigsten Frau und gefeierten Dichterin, Sophie Laroche. Die über ganz Deutschland verbreitete sentimentale Gemeinde von Poeten, schönen Seelen und empfindsamen Frauen gab sich von Zeit zu Zeit an solchen für sie geheiligten gastlichen Stätten Zusammenkünfte, ihre „sentimentalen Congresse“, wie Goethe sie bezeichnet. Man belebte und erfrischte den Eindruck, welchen man gegenseitig aus der Correspondenz gewonnen, durch die persönliche Gegenwart und Anschauung – freilich auf die Gefahr hin, den ersteren dadurch auch wohl gründlich zu erkälten oder zu vernichten.

Auf solchen Congressen spielten dann zuweilen die zur allgemeinen Mittheilung mitgebrachten Briefschaften und Tagebücher von nicht erschienenen gefeierten Größen der Gemeinde eine wichtige Rolle. Einer der unermüdlichsten Träger solcher Schätze war jener Leuchsenring, den Goethe in „Dichtung und Wahrheit“ so ergötzlich schilderte, immer „mehrere Schatullen bei sich führend welche den vertrauten Briefwechsel mit mehreren Freunden enthielten.“ Ein solcher Congreß fand am 12. Mai 1771 statt, und ist Gegenstand unseres Bildes.

Vor allen war nämlich Sophie Laroche die heißverehrte Gottheit vieler jener weichgeschaffenen Seelen. Die Tochter des Arztes Gutermann, zwei Jahre vor ihrem Vetter Wieland zu Kaufbeuren geboren, wurde sie mit diesem in ihrem neunzehnten Jahre im Hause ihrer Großeltern zu Biberach bekannt, und in dem damals einer frommen religiösen Schwärmerei hingegebenen Jüngling entzündete ihre Schönheit, Anmuth, Seelenhaftigkeit eine tiefe und zärtliche und, merkwürdig genug, sich in einem hochgestimmten geistigen Verkehr mit der Angebeteten zunächst freiwillig, später gezwungen, befriedigende Liebe. Gezwungen, – denn die Treue, welche der Jüngling ihr in seinen endlosen überschwenglichen Episteln immer von neuem zuschwor, schien nicht ganz nach dem Geschmack der jungen Dame zu sein. Bereits 1753 im December empfing er die Anzeige ihrer erfolgten Verlobung mit dem Herrn von Laroche, dem vertrauten Secretär des Grafen Stadion, von letzterem erzogen und unter anderem auch dazu herangebildet, seines Herrn vielseitige Liebescorrespondenz an dessen Statt zu führen, wie Goethe ausführlich und amüsant erzählt. Daß die Nachricht den jugendlichen Verehrer erschütternd treffen mußte, war natürlich. Schmerzlich erinnert er die Ungetreue daran, „daß wir uns tausend Mal im Angesicht Gottes zugesagt haben, uns so lange zu lieben, als wir die Tugend lieben würden, und wir meinten damals, das sei soviel als ewig“. Aber er findet auch schnell genug den Trost, daß es unmöglich sei, daß „diese Verbindung die zärtliche Zuneigung unseres Seelen, die sich auf die wahre Liebe des Guten und Schönen gründet, hinwegnehme.“

So erträgt er denn auch die Nachricht ihrer Vermählung mit getröstetem, wenn auch wehmüthig gefärbtem Anstand. Die ideale geistige Ehe zwischen ihm und der „werthen Abtrünnigen“ kann durch dies irdische Band, das sie an den Andern fesselt, nicht gelöst werden, konnte es selbst nicht durch alle tiefgreifenden Wandelungen seines Innern, seiner Weltanschauung und Denkweise, welche den seraphischen Sänger und den frommen Verächter der Sinnlichkeit, der Grazie, der „heiteren Sünden“ des Griechenthums und seiner Poeten zum weltklugen ironischen Skeptiker, zum Dichter der Grazien, zum Schüler der Griechen, zum beredten Propheten der reizenden und verführerischen Sinnlichkeit – wenigstens in der Theorie, umformten; konnte selbst nicht durch die spätere „hohe Liebe“ zu Julie Bondeli, noch durch seine eigene, zwar etwas äußerliche, aber nach eigener Versicherung durchaus glückliche Heirath mit einer „lieben kleinen Frau“ beeinträchtigt werden.

Während langer Jahre dauert der intimste briefliche Verkehr mit Sophie fort, in welchem die vollständigste Sammlung der Bekenntnisse des Menschen und Poeten Wieland niedergelegt ist, und wurde besonders lebhaft, als 1761 ein Aufenthalt in seiner Heimath Biberach ihn auf das Schloß Warthausen führte, wo die Geliebte mit ihrem Gatten in der Umgebung des Grafen Stadion ein den Jugendfreund vollständig berückendes, nach seinen Schilderungen ideales Dasein führte. „Warthausen ist der Mittelpunkt der Welt, die ich kenne, und ich würde es dem Aufenthalt in allen bezauberten Schlössern Ariost’s und Tasso’s vorziehen.“

Acht Jahre später sind diese neu entfachten Flammen noch so wenig abgekühlt, daß er in demselben (wie die meisten dieser Correspondenz französisch geschriebenen) Briefe, in welchem er von seiner jungen mit ihm vier Jahre verheiratheten Frau sagt: „Sue fährt fort, das beste der Geschöpfe zu sein,“ die „Göttin“ unterrichtet, daß er ihrem Bilde einen Altar errichtet habe, zu dem er „oftmals treten würde, seine Seele an dem Anblick zu nähren, der ihm der theuerste sei;“ „die besten Gefühle meines Herzens und manchmal eine meiner und Ihrer würdige Thräne werden das Opfer sein, das ich darauf bringe.“

In demselben Jahr tritt die so glühend Verehrte als Schriftstellerin auf und entzückt mit ihrem Roman, dem ‚Fräulein von Sternheim’, alle Seelen der empfindsamen Gemeinde. Größer aber und wirksamer, als der Zauber ihrer für uns etwas zweifelhaften dichterischen Kunst und Kraft, muß jedenfalls der ihrer Persönlichkeit gewesen sein; darin widersprechen sich die zahlreichen Zeugnisse der Mitlebenden keineswegs. Das glänzendste darunter [348]

Wieland’s Ankunft zum sentimentalen Congreß.
Wieland.     Herr von La Roche.     Sophie La Roche.     Maximiliane La Roche.     Fritz Jacobi.
Leuchsenring.


und zugleich das lebensvollste feinste Bild dieser Persönlichkeit haben wir wieder bei dem großen Menschenzeichner, bei Goethe, zu suchen: „Sie war die wunderbarste Frau, und ich wüßte ihr keine andere zu vergleichen. Schlank und zart gebaut, eher groß als klein, hatte sie bis in ihre höheren Jahre eine gewisse Eleganz der Gestalt sowohl als des Betragens zu erhalten gewußt, die zwischen dem Benehmen einer Edeldame und einer würdigen bürgerlichen Frau gar anmuthig schwebte. Im Anzuge war sie sich

[349] mehrere Jahre gleich geblieben. Ein nettes Flügelhäubchen stand dem kleinen Kopf und dem feinen Gesichte gar wohl, und die braune oder graue Kleidung gab ihrer Gegenwart Ruhe und Würde. Sie sprach gut und wußte dem, was sie sagte, durch Empfindung immer Bedeutung zu geben. Ihr Betragen war gegen Jedermann vollkommen gleich. Allein durch dieses Alles ist noch nicht das Eigenste ihres Wesens ausgesprochen; es zu bezeichnen ist schwer. Sie schien an Allem Theil zu nehmen, aber im Grunde wirkte nichts auf sie. Sie war mild gegen Alles und konnte Alles dulden, ohne zu leiden; den Scherz ihres Mannes, die Zärtlichkeit ihrer Freunde, die Anmuth ihrer Kinder, Alles erwiderte sie auf gleiche Weise, und so blieb sie immer sie selbst, ohne daß ihr in der Welt durch Gutes und Böses, oder in der Literatur durch Vortreffliches und Schwaches wäre beizukommen gewesen.“

So geartet lebte diese Dichterfreundin in dem reichen glänzend ausgestatteten Hause zu Coblenz, „wenig erhöht über dem Fluß gelegen“, mit dem klugen, feinsinnigen, heitern, jeder Sentimentalität spottenden „Welt- und Geschäftsmann“, ihrem Gatten, als glückliche Mutter der schönsten jungen Töchter und Söhne in einem Glück und harmonischen Behagen, das auf Alles, was mit ihr in Berührung trat, wohlthuend ausgestrahlt haben muß. Unter den Kindern wird in mehr als einer Hinsicht besonders die älteste Tochter, der Liebling des Vaters, Maximiliane, wichtig: „Eher klein als groß von Gestalt, niedlich gebaut, eine freie anmuthige Bildung, die schwärzesten Augen und eine Gesichtsfarbe, die nicht reiner und blühender gedacht werden konnte.“

Goethe hat damals nicht ungestraft in diese ebenso weichen und sanften als feurigen und schalkhaften, großen schwarzen Augen geschaut. Auch nachdem sie des reichen Großhändlers und Wittwers Herrn Brentano reizende Gattin geworden war, dauerten die intimen Beziehungen aus poetischeren Jugendzeiten her zwischen ihr und dem bewunderten und begehrten schönen Frankfurter Doctor juris ungestört fort und bildeten ihren einzigen Trost über die Häringstonnen und Käse und die langweiligen Gespräche der dicken Kaufleute, in deren Gesellschaft diese Heirath sie bannte. Uebrigens sind dieser anscheinend so prosaischen Ehe nichtsdestoweniger zwei Kinder erwachsen, welche an poetischer Mitgift für’s Leben eher zu viel als zu wenig erhielten: Bettina und Clemens Brentano.

Doch zurück zum Hause der Eltern und der Zeit, wo die schöne Maie noch der heitere jugendliche Schmuck desselben war; zurück zu jenem Maitag, wo dieses Haus den werthesten Gast erwartete, den mutteralten Freund und Anbeter, Wieland. Außer ihm und Leuchsenring fanden sich zu diesem Fest der Empfindsamkeit noch die Gebrüder Georg und Friedrich Jacobi ein, in ihrer damaligen Gestalt fast unter Allen die echtesten und vollständigsten Repräsentanten der ganzen Gattung. Besonders gilt dies von dem älteren, Georg. Ihm war durch seine Bekanntschaft mit Vater Gleim in Halberstadt auch das letzte Mark in dem weichen Gefüge seines geistigen Knochengerüstes aufgelöst worden. Wenn nun aber auch jener jüngere Bruder es nicht zu einer solchen Höhe der Meisterschaft in der Sentimentalität gebracht hatte, wie der ältere, immerhin leistete er Anerkennenswerthes genug darin für einen reichen, tüchtigen Kaufmann, gesunden, schönen Achtundzwanziger und Gatten einer liebenswürdigen Frau, jener Betty von Clermont, in welcher Goethe das weibliche Ideal des Rubens in seiner schönsten Vollendung verkörpert fand. Seinem berühmt gewordenen Berichte über jene sentimentale Congreßfahrt nach Coblenz, die er mit dem Bruder Georg Tags zuvor von seinem Wohnsitz Düsseldorf aus antrat, ist der Moment, den unsere Zeichnung darstellt, entlehnt, und es bedarf des Wortlautes der bezüglichen Stellen desselben, um Stellungen und Mienen zu rechtfertigen, welche dem Geschlecht jener weichgeschaffenen Seelen so natürlich und in der Ordnung waren und erschienen, wie sie uns Heutigen unwahr und unglaublich dünken müssen.

Schon auf der Fahrt, den Rhein hinauf, wird eine Verschwendung mit „zärtlichen Rührungen“, mit Umarmungen, „sanften Händedrücken“, „seligen Thränen der ruhigen Empfindung“ und „heiligen Küssen der Freundschaft“ unter den Brüdern getrieben, womit eine liebende Seele unseres Jahrhunderts für das ganze Leben alle Anforderungen decken würde, welche Freundschaft und Liebe in diesem Punkte an sie stellen könnten. Endlich langen sie vor dem Hause an, der „empfindsame Leuchsenring“ fällt ihnen in die Augen. Gleich darauf sehen sie Wieland im Wagen ankommen. Und nun lassen wir Fr. Jacobi selbst erzählen.

„Herr von Laroche lief die Treppe herunter, ihm entgegen, ich ihm ungeduldig nach. Wieland war bewegt und etwas betäubt. Während wir ihn bewillkommneten, kam Frau von Laroche die Treppe herunter. Wieland hatte eben mit einer Art von Unruhe sich nach ihr erkundigt und schien äußerst ungeduldig, sie zu sehen; auf einmal erblickte er sie – ich sah ihn deutlich zurückschauern. Darauf kehrte er sich zur Seite, warf mit einer zitternden und zugleich heftigen Bewegung seinen Hut hinter sich auf die Erde und schwankte zu Sophien hin. Alles dies ward von einem so außerordentlichen Ausdruck in Wieland’s ganzer Person begleitet, daß ich mich in allen Nerven davon erschüttert fühlte … Sophie ging ihrem Freund mit ausgebreiteten Armen entgegen, er aber, anstatt ihre Umarmung anzunehmen, ergriff ihre Hände und bückte sich, um sein Gesicht darin zu bergen. Sophie neigte mit einer himmlischen Miene sich über ihn und sagte in einem Ton, den keine Clairon nachzuahmen fähig ist: ,Wieland–? Ja, Sie sind es, Sie sind noch immer mein lieber Wieland!’ Wieland, von dieser rührenden Stimme geweckt, richtete sich etwas in die Höhe, blickte in die weinenden Augen seiner Freundin und ließ dann sein Gesicht auf ihren Arm zurücksinken. Keiner von den Umstehenden konnte sich der Thränen enthalten, mir strömten sie die Wangen hinunter, ich schluchzte, ich war außer mir und ich wüßte bis auf den heutigen Tag noch nicht zu sagen, wie sich diese Scene geendet und wie wir hinauf in den Saal gekommen sind … Noch nie hatte ich mich in dem Grade glücklich gefühlt; nunmehr schien mir mein ganzes voriges Leben Tand und die unbedeutende Erinnerung davon hätte ich ohne Widerwillen aus meinem Gedächtniß vertilgen können.“ –

Wahrlich, es bedurfte wohl einer harten Cur durch die Geschichte, um ein so empfindsames Geschlecht wieder zu Männern umzuprägen. Sie ist ihm nicht erspart geblieben. Auch ihm hätte ein prophetischer Dichter sagen können: „Und wie die Erze vom Hammer, so wird das lockre Geschlecht gehau’n sein von Noth und Jammer zu festem Eisen recht.“ Und Noth und Jammer, sie sind gekommen und wie ein Bergstrom über Deutschland hereingestürzt, wegschwemmend und vernichtend viel Schwaches, Weiches und Faules, und in dem Weltbrand erst haben die weichen Seelen sich wieder gehärtet, aus der Tiefe der Verzweiflung erst ist die eiserne Manneskraft wieder geboren und in heiliger, todesmuthiger Begeisterung für „der Menschheit große Gegenstände“, für Freiheit und Vaterland gereift, die Manneskraft, welche unserm Volk wenigstens – die Möglichkeit eroberte, diese verlorenen beiden Güter, deren Mangel alle ästhetische Cultur, alle Bildungsschätze nicht ersetzen, in stetiger, ausdauernder, politischer Arbeit sich selbst zu erwerben.

L. P.