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Bürgermeister Christian Brehme, ein Dichter des 17. Jahrhunderts

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Kavaliertour eines jungen Dresdners im 17. Jahrhundert. Bürgermeister Christian Brehme, ein Dichter des 17. Jahrhunderts (1900) von Georg Beutel
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900)
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Bürgermeister Christian Brehme,
ein Dichter des 17. Jahrhunderts.
Von Dr. Georg Beutel.


Christian Brehme entstammt einem alten vornehmen Bürgergeschlechte, dessen Wiege Nürnberg war. Dort lebte der Urgroßvater Christians, Lucas Brehme, als angesehener Handelsherr. Es dürfte derselbe sein, der im Jahre 1536 sich in der Liste der „Genannten“, d. h. des großen Rathes der Stadt Nürnberg, verzeichnet findet und unterhalb Fürth an der Rednitz einen Herrensitz, den „Bremenstuhl“, erbaut hat. Ein anderer aus demselben Geschlechte, Anton, tritt 1555 in dem Genanntenbuche auf[1] Durch seine Ehe mit Martha, der Tochter des sächsischen Kanzlers und Leipziger Ordinarius Simon Pistoris, knüpfte Lucas Brehme mit Sachsen und Leipzig ein Band, das sich in der Zukunft als sehr fest bewies. Denn schon sein Sohn Hieronymus, gleichfalls Handelsherr, siedelte in die Heimath der Mutter über und brachte auch dort das Geschlecht zu Würde und Ansehen. Indem er sich mit der Tochter des Leipziger Bürgermeisters Hieronymus Rauscher vermählte, stand ihm auch der Zutritt zum Rathsstuhl der Stadt Leipzig offen. Sein gleichnamiger Sohn, der eine gelehrte Bildung genoß, war ebenfalls Rathsherr zu Leipzig. Er und seine Gattin Regina, die Tochter des kurbrandenburgischen Leibmedikus Dr. Matthias Hecke in Berlin, sind die Eltern CHristian Brehmes.

Dieser wurde am 26. April 1613 zu Leipzig geboren. Die Eltern ließen sich eine sorgfältige Erziehung des Sohne angelegen sein, konnten sie aber nicht selbst zum Abschluß bringen. Im zwölften Lebensjahre stand der Knabe, nachdem er zwei Jahre zuvor schon den Vater verloren, durch den Tod der Mutter völlig verwaist da. Auf der Bahn, die die Eltern ihm erschlossen, weitergehend, bereitete er sich, erst unter der Leitung von Privatlehrern, dann auf dem Gymnasium zu Roßleben, zu den akademischen Studien vor. Im Jahre 1630, 17 Jahre alt, bezog er die Universität Wittenberg, wo er zwei Jahre blieb, um dann die Hochschule seiner Vaterstadt aufzusuchen. Seine Studien bewegten sich auf dem Gebiete der philosophischen und juristischen Fakultät. Insbesondere trieb er mit Vorliebe italienische Sprache und Literatur, die als diejenige des Heimathlandes der Renaissance in der deutschen Bildung und Dichtung jener Zeit eine große Rolle spielte. In Leipzig tauchte er auch wacker in den Strudel eines fröhlichen und ausgelassenen Studententreibens, das in verschiedenen seiner Lieder und Gedichte einen deutlichen Niederschlag zurückläßt. Der Kreis, in dem er sich bewegte, setzte sich aus lebenslustigen und geistig regsamen jungen Leuten, wohl zumeist Studirenden, zusammen. Der geistige Mittelpunkt der Gesellschaft war kein Geringerer als Paul Fleming, der damals gleichfalls hier studirte: ihm war Brehme mit aufrichtiger Freundschaft und Verehrung und neidloser Anerkennung seiner geistigen Ueberlegenheit ergeben. „Pan Fil“, „Allfreund“, nennt er ihn mit Benutzung der Anfangsbuchstaben P. F. und in verständnißinniger Beziehung auf die liebevolle und liebenswürdige Natur des Dichters.

„Wenn doch mein fast stummer Mund,
Der kaum lallet recht jetzund,
Gleichte sich mit jener Zunge,
Die uns sunge
So gar lieblich ...“

ruft er aus, sich bescheiden unter Fleming stellend, in einem Gratulationsgedicht an einen gemeinsamen Freund und giebt im Folgenden dem aufrichtig herzlichen Bedauern über das Scheiden des Freundes – Fleming hatte 1633 seine großen Reisen anch Rußland und Persien angetreten – sowie der sehnsüchtigen Hoffnung auf dessen baldige glückliche Heimkehr Ausdruck.

„Drum kann bessers nicht ich Dir
Wünschen, meiner Freunde Zier,
Als daß bald mit gutem Glücke
Komm’ zurücke
Der, den wir so sehr vermissen ...
Unterdessen müsse ihm
Stoßen auf kein Ungestüm ...
Guter Wind und stille Wellen
Heiter Wetter, Sonnenschein,
Gott muß auch sein Schiffer sein
Und die Engel Bootsgesellen! ...
Wann nun Pan Fil wieder kömmt,
Der jetzt lebet in der Fremd’,
Alsdann wird mit seinem Munde
Manche Stunde
Er uns gar so lieblich kürzen,
Daß wir alles Traurigsein
In den großen Fluß hinein
Der Vergessenheiten stürzen.“[2]

[271] Und in einem späteren Sonnett[3] ruft er dem immer noch Abwesenden mit freundschaftlicher Ungeduld zu:

„So komme doch einmal, Du allzulieber Gast!“

Seine Hoffnung ist wohl nicht erfüllt worden: denn aus Persien heimgekehrt gab Fleming zunächst in Leyden seinen medizinischen Studien den äußeren Abschluß und starb kurze Zeit darauf in Hamburg. –

CHRISTIANUS
BREHMIUS LIPSEN-
SIS.S.E.S.C.LE.B.IN.
N.D.C.AEt:S.XLVI
1659.

Brehmius haut totus praesenti fulget in aere:
Frons generosa patet: Mens geniosa latet
.

Ein anderer, der zu dem Leipziger Freundeskreise Brehmes gehörte, war der gleichfalls aus Leipzig stammende Dichter Gottfried Finckelthaus. Dieser widmet Brehmen später in dessen erstem Buche nach der Sitte der Zeit ein überschwengliches Empfehlungsgedicht, das einzige in diesem Buche, aus welchem Umstand man schließen darf, daß damals die literarischen Beziehungen Brehmes noch nicht weit ausgedehnt waren. Kein Wunder übrigens in dem tollen Wechsel der kriegerischen Zeit. Seit 1631 fühlte Leipzig wiederholt die schwere Hand des Kriegs auf sich lasten. Zweimal in diesen Jahren von den Kaiserlichen eingenommen und durch die Siege des Schwedenkönigs bei Breitenfeld und Lützen von ihnen befreit, sah es wieder im August 1633 sich einer Belagerung und Beschießung durch General Holk ausgesetzt und mußte, um nicht das Schicksal Magdeburgs zu erleiden, dem Feinde die Thore öffnen. Diese Ereignisse sprengten den Freundeskreis auseinander. Gleich Fleming verließ auch Finckelthaus Leipzig. Aber während jene beiden dem Kriege auswichen und auf Reisen gingen, ward Brehme bald ganz und gar in die Wirbel des Krieges fortgerissen. Mit der Fortsetzung der akademischen Studien war es für jetzt vorbei. Brehme nahm Kriegsdienste in dem sächsischen Regiment des General Schweinitz; die Kompagnie, der er angehörte, führte Hauptmann Mooßbach. Zwei und ein halbes Jahr brachte er in diesem Verband zu und schwang sich bis zum Fähnrich auf. Später trat er in kurbrandenburgische Dienste als Leutnant im Infanterieregiment des Oberst von Rochow. Er verließ, ganz im Geiste dieses Söldnerkriegs, auch diese Truppe, als ihm der schwedische Oberstleutnant von der Grabe eine Kapitänleutnantsstelle in seinem Regiment anbot. Doch erledigte sich diese Verbindung noch vor ihrem Vollzug durch die inzwischen erfolgte gänzliche Aufreibung des Regiments. Brehme wandte nunmehr dem Kriege ganz den Rücken, eine ihm gebotene Gelegenheit ergreifend, und begab sich in den kursächsischen Hofdienst. – Außer den angeführten Dienstverhältnissen ist nichts Wesentliches über seine Kriegserlebnisse zu ermitteln. Es scheint, als ob er das Kriegshandwerk nicht ohne zeitweilige Unterbrechung getrieben habe, wenn er nicht gar bereits im Jahre 1636 den Kriegsdienst ganz aufgegeben hatte. Denn in diesem Jahre wie in den beiden folgenden begegnen wir seinen Spuren wieder in Leipzig und zwar auf dem Felde literarischer Bethätigung. Die ersten Arbeiten sind ein längeres Leichengedicht, betitelt „Das Todtenschiff, worauff auß dieser Welt in jene gesegelt die ... Jungfrauen Sophia und Magdalena Deuerlingen den 15. Juli 1636“ und der erste Theil eines erst später vollendeten Schäferromans. 1638 sind es wieder nur zwei Gelegenheitsgedichte, die seine Spur weisen, ein Hochzeitslied und eine Trauerode. Um diese Zeit hat er aber auch Muße gefunden, die Herausgabe seiner ersten Gedichtsammlung zu besorgen, der er den Titel gab: „Allerhandt Lustige, Traurige und nach Gelegenheit der Zeit vorgekommene Gedichte. Zu Passierung der Weyle mit dero Melodeyen mehrentheils auffgesatzt“. Er widmete das Buch dem Grafen Johann Sigmund von Lynar, datirt von Leipzig aus den 1. Januar 1637; seiner Unterschrift [272] setzte er ein F. hinzu, soll heißen Fähnrich. In diesen Gedichten, deren Veröffentlichung also mitten in seine Kriegszeit fällt, und auch später ist der Krieg des öfteren gestreift, aber nur ein einziges Mal bricht eine kriegerische Stimmung sich Bahn, wie man sie bei einem Kriegsmann erwarten kann; und selbst da nennt er Eingangs den Krieg umschreibend „die Lebensart, die fast auch Leben nicht zu nennen“. Ueberall sonst, wo überhaupt der Krieg erwähnt ist, tritt eine kriegsfeindliche Stimmung zu Tage: die Empfindung des Gelehrten und Dichters, daß der Krieg die Künste des Friedens schwer schädige, die Anschauung, die damals immer mehr Boden in Deutschland gewann, daß dieser Krieg ein Unglück sei, vor Allem ein Unglück für Deutschland. „Teutschlandts Unglück und die Besserung zu erbitten, von zweyen Damen zu singen“ ist ein Gedicht betitelt, das sich von der besonderen Frauenklage über die räuberische Art des Krieges, der die Geliebten unerbittlich dahinrafft, am Schluß zu dem allgemein empfundenen Flehen erhebt:

„Laßt, ihr Wolken, unser Singen
Durch bis zu den Sternen gehn:
Durch den Himmel muß es dringen
Und vor Gottes Ohren stehn.
Gott Du aller Götter Gott,
Schleuß doch einmal alle Noth!
Ende doch mit heutgem Tage
Alles Unglück, alle Plage!
Segne unsre Wohnungs-Länder,
Schütze uns und unsre Stadt:
Knüpfe selbst die Fürstenbänder,
Die der Neid zertrennet hat.
Laß doch einmal rufen aus,
Daß wir und das Teutsche Haus
Von dem Hunger, Pest und Kriegen
Unbelästigt stille liegen.“

In einem Sonnett klagt er:

„Uns drücket immer mehr das nimmersatte Joch:
Christen und Christen sich in ihrem Land bestreiten;
Der Mensch noch rühmlich lebt von bluterfüllten Beuten,
Des Mavors Kälberfell gewinnet gar kein Loch.“

In einem anderen Gedicht, dessen Anfang die Musenstadt Leipzig feiert:

„am Wasserfluß der Baar (= Parthe) und Bleiß,
Wo Leipzig ist erbauet,
Da wohnt der Pallas höchster Preis“

schildert er den vernichtenden Einfluß des Kriegs auf Kunst und Wissenschaft durch einen allegorischen Angriff des Mars auf den Parnaß:

„Er schosse seinen Pulverblitz
Aus Mörseln und aus viel Geschütz
Auf des Parnassus Spitze“

läßt aber den Wunsch den Vater des Gedankens sein, indem Apollo, Pallas und die Musen den Angriff siegreich abschlagen. Doch zeichnet er in dem „Soldatenlied . . . an Damon“ auch den ungestümen Wagemuth und die wilde Kampflust, die der Krieg entfacht:

„Deine von Lob entbrannten Sinnen,
Die setzen itzt
Ihr Dichten, Trachten und Beginnen,
Wo Feuer blitzt,
Wo Pulver, Blei das Frühstück sei
Und wo von Schlagen ein Geschrei“

und entrollt im Anschluß daran mit dem sicheren Griffel eines, der selbst dabei gewesen, das anschauliche Bild einer Schlacht.

Außer dem Leben im Felde scheint Brehme auch die Leiden und Freuden eines Werbeoffiziers gekostet zu haben. Ein in seinem Briefsteller veröffentlichter Brief (Nr. 17), der wie mehrere andere dieser Sammlung zu eigenartiges Gepräge trägt, als daß er nur als Schema erfunden sein könnte, erzählt sehr drastisch die schlimmen Erfahrungen einer Werbefahrt: „Geld ist überall angenehm, aber wo ich so unvorsichtig mit handeln wollte, möchte ich mir nur dadurch Schelmen sammeln, die nach der Empfängnis ihre Ehre den Füßen befehlen und mir den Rücken und leeren Beutel zu beschauen hinterließen . . . Soll ich alte entkommene Knechte aufreden, so fordert sie ohne Entgelt ihr erster Besitzer in unserer nächsten Zusammenkunft wieder.“ Es mag wohl das Amt des Werbeoffiziers, namentlich in der zweiten Hälfte des Krieges, kein solches gewesen sein, dem der Erfolg leicht und mühelos am Wege erblühte. – Unter den militärischen Freundschaften, die Brehme schloß, tritt besonders hervor das Verhältniß zu Hans Albrecht von Lützow; sächsischem Kapitänleutnant im Wolfersdorfischen Regiment zu Fuß, der in der Schlacht bei Wittstock fiel. Brehme widmet ihm eine poetische Grabschrift, eingeleitet durch eine allegorische Erzählung, in der das Gedächtniß aller gefallenen Heerführer des Krieges erneuert wird.

Nimmt man seine Aeußerungen zusammen, so ergiebt sich, daß ihn das Soldatenleben nicht mit großer innerer Befriedigung erfüllt haben mag und daß er froh gewesen sein wird, endlich eine passende Gelegenheit gefunden zu haben, ihm mit Vortheil für immer Valet zu sagen. Daß er selbst diese Gelegenheit mit Eifer gesucht und durch vornehme Vermittlung erstrebt hat, scheint ein Brief (Nr. 8) aus der schon erwähnten Briefsammlung anzudeuten, in dem ein vornehmer Hofmann ersucht wird, dem Briefschreiber eine Anstellung im fürstlichen Dienste zu verschaffen. Der Schreiber sagt da von sich, sehr bezeichnend für die damalige Stellung des Soldatenstandes in der [273] Schätzung des friedlichen Bürgers: „Mich treibt die Ungebühr, mit welcher die ganze Welt unsern Soldatenstand bezichtiget, davon ab, daß ich lieber die Mühseligkeit des Hofes, als die Glückseligkeit dieser allgemeinen Verachtung dafür haben will. Ich will lieber den Kopf voller Müh und Arbeit mit gutem, als die Hände voller Geld und Gut mit bösem Gewissen haben.“ Gute Beziehungen zum sächsischen Hofe muß Brehme übrigens schon 1637 gehabt haben, denn Finckelthaus ruft ihm in dem erwähnten Empfehlungsgedicht zu:

„Es weiß schon Deine Kunst
Der alte Fürstenhof und trägt Dir seine Gunst
Mit vollen Schalen auf ... “

Am 15. September 1639 kam Brehme an den Hof zu Dresden und übernahm eine Anstellung als Geheimer Kammerdiener beim Kurprinzen. Von da ab war Dresden sein dauernder Wohnsitz und Wirkungsort. Hier begründete er nun auch einen festen Hausstand und erwarb ein eigenes Haus in der Wilsdruffer Gasse (jetzt Nr. 16). Am 29. November 1641 vermählte er sich mit Anna Margaretha, der Tochter des verstorbenen kurfürstlichen Sekretärs Gabriel Voigt. Dieser Ehe entsprossen zwei Söhne und eine Tochter, die aber in zartem Kindesalter dahinstarben. Nachdem ihm die Gattin am 21. September 1652 durch den Tod entrissen worden, schloß er einen zweiten Ehebund, der kinderlos blieb, mit der Tochter des Bürgermeisters Valentin Schäffer, Ursula Rosine, die ihn überlebte. – Sein Hofamt gewährte ihm die erwünschte Muße zu schriftstellerischer Thätigkeit. Im folgenden Jahre kamen zwei Schriften aus seiner Feder ans Licht. Die eine ist der schon erwähnte Briefsteller, verknüpft mit einer neuen Sammlung von Gedichten, verlegt in Leipzig, aber gedruckt in Dresden unter dem Titel: „Art und Weise kurtze Brieflein zu schreiben, gewiesen in ... 25 allerhand Schreiben. Darzu kommen etliche Geist- und Weltliche Dichtereyen“. Gewidmet ist das Buch dem Grafen Heinrich X. von Reuß. Das andere ist eine kleine Gelegenheitsschrift: Am 24. Juni 1640 wurde nämlich auf Anregung der Leipziger Buchdrucker das 200 jährige Jubelfest der Erfindung der Buchdruckerkunst begangen: zu Ehren dieser Feier veranstaltete die Druckerei von Gimel Bergens Erben die Ausgabe einer Festschrift, verfaßt von Brehme und betitelt: „Gründlicher Bericht von Erfindung der Edlen und Hochnützlichen Kunst Buchdruckerey“. Dieser „gründliche Bericht“ ist aber sehr ungründlich und eine flüchtige Kompilation.

Im Jahre 1647 wurde ein Werk von ihm vollständig, dessen ersten Theil er bereits elf Jahre zuvor in Leipzig veröffentlicht hatte, ein Schäferroman in vier Theilen: „Die Vier Tage Einer Newen und Lustigen Schäfferey, von der Schönen Coelinden vnd Deroselben ergebenen Schäffer Corimbo“ oder „Newe Hirten Lust von dem Schäffer Corimbo vnd der schönen Hirtin Coelinden“ (Dreßden, Gimel Bergens Erben 1647)[4]. Im Nachwort kündigt er weiter an: „Künftig soll eine andere lustige Begebenheit, welche etwas lang, in einer verdeckten Mummerei ausgetragen werden“. Von diesem Werk ist nichts bekannt.

Seine ersten Dresdner literarischen Arbeiten von 1640 zusammen mit der Gunst, deren er sich bei Hofe erfreute, haben ihm wohl die Bahn zu einem weiteren Fortschritt geebnet. 1639 war durch den Tod Johann Nienborgs die Stelle des Bibliothekars bei der kurfürstlichen (heutigen Königlichen Oeffentlichen) Bibliothek erledigt worden. Am 15. Juni 1640 richtete Brehme ein Gesuch an den Kurfürsten, die Stelle ihm zu übertragen, wobei er sich auf die warme Empfehlung seines Herrn, des Kurprinzen, stützte. Der Erfolg war ihm günstig, seine Bestallung zum kurfürstlichen Bibliothekar ist am 26. August 1640 ausgefertigt. Die Besoldung betrug 100 Gulden jährlich. Die Inspektion der Bibliothek führte der Oberhofprediger, ohne dessen Vorwissen und Anordnung er „nichts verändern noch verrücken“ sollte. Die Bibliothek lag damals sehr darnieder, denn der lange Krieg ließ wenig Sinn und noch weniger Geld für wissenschaftliche Interessen übrig. Kurze Zeit nach Antritt seines Amtes beantragte Brehme eine Revision der Bibliothek – seit 1595 hatte keine stattgefunden – und bittet um Zuordnung geeigneter Gehilfen. Diesen Antrag wiederholte er während seiner Amtsdauer wohl fünfmal, aber immer [274] vergeblich. Wie schwach es um die Abwehr von Schmutz und Staub, dieser grimmigen Bücherfeinde, beschaffen war, zeigte das mehrmalige dringliche Verlangen einer gründlichen Reinigung, das einmal mit der Unmöglichkeit begründet wird, die Bibliothek überhaupt jemandem zu zeigen, ein andermal mit dem klagenden Hinweis, „damit die in den Staube erliegende rohe Materien (d. h. ungebundenen Bücher) nicht gänzlichen verterben“. Schlimmer noch klingt es, wenn Brehme, nachdem er schon 1644 eine Verbesserung des in den oberen Schloßräumen befindlichen Lokals zum Schutz gegen den Regen angeregt hat, noch sechs Jahre später die Thatsache feststellen muß, daß es an zwei Stellen einregnet, und um Besichtigung durch Werkleute und bauliche Verbesserung bittet. Ferner sieht er sich öfters genöthigt, ausdrücklich eine Geldbewilligung nachzusuchen, weil noch viele Bücher ungebunden liegen, und fügt 1641 dieser Klage die weitere hinzu, daß ohnedies gar wenig von neuesten Autoren vorhanden sei. Von größeren Erwerbungen sind während der Amtszeit Brehmes zwei bewirkt worden, davon eine durch Ankauf. 1643 wurde die Handbibliothek der verstorbenen Wittwe Christians II. aus dem Schlosse Lichtenburg einverleibt, bestehend aus 171 theologischen Büchern; und nach dem Kriege, 1651, wurde die vorwiegend philologische Sammlung der Wittenberger Professoren Friedrich und Christian Taubmann angekauft. Die Bibliothek war damals, wie sich aus Brehmes Berichten ergiebt, auf außerordentliche Geldbewilligungen des Kurfürsten von Fall zu Fall angewiesen. Brehmes Bestreben, die Begründung eines ordentlichen Bibliothekhaushalts zu erwirken, um größere Stetigkeit in die Entwickelung zu bringen, war nicht von Erfolg begleitet. Während so durch Ungunst der Zeit auf Schritt und Tritt Stockungen und Hemmnisse entstanden, die Brehme meist vergeblich zu überwinden versuchte, ist nur auf einem Gebiete ein deutlicher Fortschritt sichtbar. Die seither fast nur auf die kurfürstliche Familie beschränkte Benutzung ward jetzt stärker und ausgedehnter, doch ging sie auch jetzt noch nicht wesentlich über den Hof und die Geistlichkeit hinaus. Mit dem Ausleihungsgeschäft nahm er es offenbar nicht sehr genau: sein Nachfolger erhebt den Vorwurf gegen ihn, daß er die Bücher „nur mit Bleistift auf kleine Schedulas aufgezeichnet, die man nun fast nicht mehr recht lesen kann“. Wegen Zunahme seiner Geschäfte beim Stadtrath sah sich Brehme nach vierzehnjähriger Amtsdauer genöthigt, am 1. Juni 1654 um seine Entlassung aus dem Bibliotheksdienste nachzusuchen: er betonte aber dabei, daß, wie er sich ausdrückt, „außer E. Churf. Durchl. Diensten zu sein mir ... großen Kummer in meinem unterthänigst getreuen Herzen veruhrsachen dürffte“ und bittet deshalb, daß ihm „die Inspection darüber ... so lange gnädigst gegönnt werden möchte, biß die Bibliothec nach gehaltener richtiger revision in einen andern Stand gebracht und die vorgeschlagenen Hülfsmittel würklichen darbey practiciret würden, damit also nach meinen Wuntzsch das ganze Corpus der Bibliothec sich hinführo besser anschauen lassen dürffte“. Zu seinem Nachfolger empfiehlt er den seit 1650 am Dresdner Hof befindlichen David Schirmer, indem er namentlich auf dessen Verdienste als Hofdichter hinwies. Allen seinen Wünschen wurde Rechnung getragen: die Entlassung wurde ihm bewilligt und zugleich die außerordentliche Inspektion der Bibliothek neben dem Oberhofprediger als Oberinspektor übertragen und bis zu seinem Tode belassen; Bibliothekar wurde David Schirmer. Der Frage, ob dieser mit seinem späteren Urtheile, daß Brehme sich der Bibliothek „wegen seiner Rathsgeschäfte nicht eifrig angenommen“, ganz Recht hatte, mag wohl ein Hinweis auf die Schwierigkeiten, mit denen Brehme zu kämpfen hatte, und auf die eifrige Theilnahme, die er noch in seinem Entlassungsgesuch für die Bibliothek zeigte, gegenüber gestellt werden.

Sicher ist freilich, daß ihn die Rathsgeschäfte immer mehr in Anspruch genommen hatten. Am 2. Mai 1642 war Brehme in den Dresdner Rath gewählt worden. Als Aemter wurden ihm zuerst zugetheilt das eines Kommissionsherrn, die Schulinspektion mit vier andern Räthen zusammen, das Quartieramt und die Soldatengeldereinnahme. In den beiden ersten Aemtern saß er nur einige Jahre. Dauernd behielt er, wohl in Rücksicht auf seine kriegerischen Erfahrungen, das Quartieramt bis zu seiner Wahl zum Bürgermeister und die Soldatengeldereinnahme bis zu ihrer Aufhebung 1652. Die Soldatengelder waren eine Steuer, die seit 1610 die sächsischen Städte mit Ausnahme der Stadt Dresden, der dafür die Einquartierungslast oblag, zur Unterhaltung der Dresdner Besatzung entrichteten, und deren Einnahme dem Rath zu Dresden übertragen war. Neben anderen Aemtern, die Brehme nur vorübergehend führte, kam dann noch die Malzbesichtigung hinzu, ferner seit 1652 das wichtige Bauamt und seit 1655 das Religionamt. Diese Aemter gab er alle ab, als er am 1. Mai 1657 zum regierenden Bürgermeister gewählt wurde. Als solchem fiel ihm das Materniamt zu und später das Brückenamt. Durch Gunst des Landesherrn ward er 1660 mit der weiteren Würde eines kurfürstlichen Rathes geschmückt. Nach der bestehenden städtischen Rathsverfassung war Brehme in den Jahren 1657–1667 viermal regierender und ebenso oft beisitzender Bürgermeister.

Seine vielseitige Stellung im amtlichen, höfischen, gelehrten und literarischen Leben verschaffte ihm naturgemäß einen großen Kreis persönlicher Beziehungen. Ein bequemes Hilfsmittel für jene Zeit, die Fäden [275] solcher Beziehungen aufzudecken, da wo Briefe oder sonstige Zeugnisse fehlen, bietet die Sitte der Empfehlungs- und Lobgedichte, die damals unter den Schriftstellern sehr im Schwange war. Da es eine Presse, die die Ankündigung und Empfehlung eben erschienener Bücher besorgte, damals noch nicht gab, halfen sich die Schriftsteller mit einer naiven Reklame gegenseitig selbst: sie ließen ihre Bücher eingeleitet mit einer ganzen Reihe sogenannter „Gratulations-, Ehren-“ oder auch ganz gerad heraus „Lobgedichte“, die je nach den Beziehungen der Verfasser in Hinsicht der Zahl dieser Gedichte oder des Ansehens ihrer Spender mehr oder minder stattlich ausfiel, in die Oeffentlichkeit gehen. Daß in diesen Gedichten die Worte des Lobes nicht auf die Waage der Wahrheit gelegt wurden, versteht sich aus der Natur der Sache. So ruft Finckelthaus seinem Freund Brehme zu:

„Dies ist Dein hoher Preis, der Dich auf güldenem Wagen
Durch des Geschreies Flug zum Sternen an will tragen,
Dort wo der Opitz steht und Fleming ...

Und ein anderer, Gotthilf Treuer, begrüßt ihn:

„O hoher Geist, der Dich bewohnt
Und solche Wundersachen thont“.

Für die Literaturgeschichte haben diese Gedichte außerdem noch den Werth, daß sie bei dem damaligen Mangel an öffentlicher Kritik ungefähr den Rahmen der Anerkennung und Werthschätzung, die ein Dichter bei den Zeitgenossen und den Dichterkollegen fand, abstecken. Von diesem Gesichtspunkt aus fährt Brehme nicht schlecht. Er steht in guten Beziehungen zu einigen der hervorragendsten Berühmtheiten jenes Zeitraums. Sein Jugendverhältniß zu Fleming ist schon erwähnt. Philipp von Zesen, den Gründer der deutschgesinnten Genossenschaft, nennt er seinen Freund. Johann Rist, der Dichter des erhabenen Kirchenliedes „O Ewigkeit, Du Donnerwort!“, und Stifter des Elbschwanenordens widmet ihm anerkennende Worte, wie er ausdrücklich betont „unerinnert aus Schuldigkeit und herzlicher Liebe“. G. Ph. Harsdörfer aus Nürnberg, Begründer des Ordens der Pegnitzschäfer und Verfasser eines Lehrbuches der Dichtkunst „Poetischer Trichter, die Teutsche Dicht- und Reimkunst in VI Stunden einzugießen“, das im Sprichwort als „Nürnberger Trichter“ fortlebt, wechselte Briefe mit ihm. Obgleich Brehme dergestalt mit den Häuptern damaliger Dichtergesellschaften bekannt war, ist er in keinem dieser Orden nachweislich Mitglied gewesen. Auch der berühmte Wittenberger Professor der Dichtkunst und Beredtsamkeit August Buchner, zu dessen Füßen Brehme wahrscheinlich als Student saß, nennt sich seinen „alten Freund“. Ein Vetter Brehmes ist der in Leipzig geborene Dichter geistlicher Lieder, Michael Schirmer. Weitere Beziehungen Brehmes sind erkennbar zu dem trefflichen Dichter geistlicher Lieder Johann Franck, Bürgermeister in Guben, zu dem Schandauer Prediger Just Sieber, der gleichfalls das geistliche Lied pflegte, und zu Gotthilf Treuer, dem Verfasser eines großen poetischen Wörterbuchs „Deutscher Dädalus“ betitelt. – Naturgemäß trat auch alles, was in der damals noch ziemlich bescheidenen Residenzstadt Dresden irgend von geistiger Bedeutung sich zusammenfand, in Berührung mit Brehme. Ungefähr um dieselbe Zeit wie Brehme kam nach Dresden als Kreuzschulrektor der bekannte Johann Bohemus, kaiserlich gekrönter Poet, der ihm 1647 bei dem Tode eines Söhnleins poetischen Trost spendete. An der Kreuzschule hat auch der Konrektor Benjamin Stolberg sich als Gelegenheitsdichter versucht. Jünger als Brehme ist David Schirmer, der Bibliothekar: sie beide und allenfalls auch Bohemus vertraten die Stadt Dresden in der Deutschen Dichtung jener Zeit. Musikalisch hervorragend war der leider frühverstorbene Hoforganist Adam Krieger, der in anmuthig frischer und ursprünglicher Weise eigene Lieder über das alte Thema Liebe und Wein in Musik setzte. Sein Verhältniß zu Brehme kennzeichnete er damit, daß er ihn „seinen an Vaters stat gleichsam hochgeehrten und geliebten Herr Brehmen“ nannte. Seit 1661 saß mit Brehme im Dresdner Rath Gabriel Tzschimmer, der bekannte spätere Bürgermeister, der ja auch als Schriftsteller thätig war. Er setzte unter das Bild Brehmes in dessen Leichenpredigt folgenden Vers:

Dies ist Herrn Brehmes Bild; der Geist lebt in den Schriften,
Die seine kluge Hand durch steten Fleiß gesetzt:
Es hieß die Themis ihm zum Ruhme dies sich stiften:
Drum wird sein gutes Lob den Sternen eingeätzt!

Das geistige Gepräge einer Stadt war damals aber vor allem stark bestimmt durch die Geistlichkeit. Historische Bedeutung hat der Oberhofprediger Hoë von Hoënegg: mit ihm wie mit dessen Nachfolger Jacob Weller hatte Brehme als Bibliothekar und Bibliotheksinspektor amtliche Beziehungen. Der nächste Oberhofprediger Martin Geier, fast gleichalterig mit Brehme und gleichfalls geborener Leipziger, kam allerdings erst 1665 nach Dresden. Auch er hat jene fruchtbare Zeit der geistlichen Dichtung um einige Lieder bereichert. Sein Nachfolger Johann Andreas Lucius war zu Brehmes Zeit noch Hofprediger. Superintendenten waren damals Aegidius Strauch und nach ihm Christof Buläus: namentlich mit diesem scheint Brehme eng befreundet gewesen zu sein. Von den Dresdner Geistlichen ist noch zu nennen der Archidiakonus Paul Bose, der 1665 ein Buch unter dem Titel „Dürre Linden, oder Leichen-Reden und Gedichte, erstes Reißgebund“ herausgab. Es ist eine reiche [276] Kette von Beziehungen in der Abstufung von Freundschaft, amtlichem und literarischem Verkehr und Gönnerschaft: denn auch als Gönner und Förderer hat er vermöge seiner angesehenen Stellung sich häufig und gern bethätigt und manche seiner engen Beziehungen, wie die mit David Schirmer und wohl auch mit Adam Krieger, gehen in ihrem Ursprung darauf zurück.

Da er sehr frommen und gläubigen Sinnes war, stellte er sich namentlich mit der Geistlichkeit sehr gut. Auch unterhielt er einen regen Verkehr mit einer Gesellschaft ungenannter frommer Leute, Männer wie Frauen, die allsonntäglich zusammenkamen und nach der Weise jener glaubensfesten Zeit in Anknüpfung an das Evangelium allerlei erbauliche Reden führten. Buläus nennt diese Zusammenkünfte „Versammlungen der Heiligen“; er rühmt an Brehme neben den Tugenden der freundschaftlichen Gesinnung, der Leutseligkeit, Hilfsbereitschaft, Barmherzigkeit vor allem seine aufrichtige Frömmigkeit und seinen kirchlichen Sinn, die sich im regelmäßigen Kirchenbesuch, in der freundschaftlichen Verehrung der Diener der Kirche und in der fleißigen Lektüre der Bibel und theologischer Schriften bekundeten. Sein frommer Sinn ist schon in seiner Jugendzeit sichtbar in der regen Theilnahme für das geistliche Lied und für Erbauungsliteratur: er kennt schon damals und preist in Versen das „geistreiche Gesangbüchlein“ Luthers, das weitverbreitete „Paradiesgärtlein“ des „großen“ Johann Arndt († 1621), das „Gebetbüchlein“ Josua Stegmanns († 1632), Philipp Kegels „geistliche Andachten“. Auch mit den 1573 erschienenen Psalmen Ambrosius Lobwassers († 1585) hatte er sich beschäftigt. Wie sich seine Theilnahme immer mehr und mehr dem geistlichen Gebiet zuwendet, ist recht gut aus dem Inhalt seiner Schriften zu erkennen. Seine erste Liedersammlung von 1637 enthält fast durchweg weltliche Poesie; geistliches Gepräge tragen außer den Versen auf obige Andachtsschriften nur zwei Lieder, von denen noch dazu das eine „Daß es umsonst sei, ohne Gott was anzugeben“ auf den weltlichen Wunsch, sich zu beweiben, hinausgespielt ist. Aber schon die Gedichtsammlung von 1640 enthält in zwei ungefähr gleichen Theilen getrennt an erster Stelle die geistlichen, an zweiter die weltlichen Gedichte. Nach der Vollendung des Romans von 1647, der aber im Plane ja noch bedeutend früher fällt, verstummt der weltliche Sänger in ihm ganz: der Erbauungsschriftsteller und geistliche Dichter gewinnt vollständig die Oberhand. Aus den erbaulichen Unterhaltungen in den erwähnten sonntäglichen Zusammenkünften schöpfte Brehme die Anregung, dergleichen Gespräche abzufassen und niederzuschreiben, die, wie er sagt, „warhafftig so ergangen“ „jedoch nicht von Wort zu Wort“. Auf vielseitiges Drängen, namentlich der Geistlichen, entschloß er sich, diese Erzeugnisse zu veröffentlichen. Es sind die dem Rath zu Dresden zugeeigneten „Christlichen Unterredungen“, die auf drei Bände anwuchsen, erschienen Dresden 1659–1660. Für die Form haben ihm dabei als Vorbild gedient die zu ihrer Zeit weit berühmten „Gesprächsspiele“ G. Ph. Harsdörffers (acht Bände, Nürnberg 1641–1649), in denen der Verfasser in loser Gesprächsform und breitestem Plauderton hundert und tausend Dinge verschiedener Art mit eingestreuten eigenen Gedichten vorbrachte, in der Absicht, den geselligen Verkehr der Deutschen zu beleben und zu veredeln. Diese Form wendet Brehme hier auf das religiöse Gebiet an, gleichfalls in der Absicht, die Geselligkeit, aber nach der religiösen Seite hin, zu beeinflussen. Er geht von dem jeweiligen Sonntagsevangelium aus und läßt die Rede dann in buntester Reihe über alle möglichen Dinge hinschweifen. Meistens schließt er mit einem selbstverfaßten geistlichen Lied ab, sodaß diese zusammengenommen eine ganz stattliche Sammlung ergeben. Dem heutigen Leser dieser Gespräche kommen sie vor wie ein in einer wässerigen religiösen Brühe angerührter langer Brei von allerhand Bestandtheilen, aus dem man mit einigem Aufwand von Mühe hie und da allenfalls einen spärlichen Brocken von sittengeschichtlichem Werth auffischen kann. Aber zu seiner Zeit hat er damit wohl annähernden Erfolg wie Harsdörffer gehabt. Harsdörffer selbst beglückwünscht ihn mit den Versen:

Ueber alles Gott vertrauen,
Christum lieben, loben, ehren,
Seine sichren Wege lehren,
Auf ihn bauen,
Lehrt uns mit erleuchtem Geist
Christi Namens Erb und Kind,
Wie uns sein Gesprächbuch weist.

„Christi Nahmens Erb“ ist ein Anagramm des Namens Christian Brehme. Und Gotthilf Treuer stellt ihn neben Harsdörffer. In der Form der „Christlichen Unterredungen“ ist auch das 1659 erschienene Büchlein gehalten „Ein auff den Churfürstlichen Geburtstag mit eingerichtetes Gespräche“. – Seit 1660 hat er sich nicht mehr als Schriftsteller bethätigt. Die wachsende Last der Geschäfte im Rath hat ihm allmählich immer mehr die Möglichkeit solcher Bethätigung geraubt.

Seine letzte Amtsperiode als regierender Bürgermeister war schon sehr durch die Leiden gestört, die ihn in den zwei letzten Lebensjahren quälten und schließlich verhältnißmäßig frühzeitig in den Tod führten. Podagra und Steinleiden mit vielen Begleiterscheinungen untergruben seine Gesundheit von Grund aus. Endlich am 28. August 1667 wurde er fest aufs Krankenlager geworfen und am 10. September früh 8 Uhr durch den Tod erlöst. Am 15. September wurde er mit [277] feierlichem Leichengepränge, bei dem auch der Hof sich vertreten ließ, auf dem Frauenkirchhof begraben. Die sehr stattliche Leichenpredigt hielt der Superintendent Buläus. Brehme war wenig über 54 Jahre alt geworden.

Wenn wir nur in der Kürze den Dichter in Brehme betrachten wollen, müssen wir vorher erst einen Blick auf die literarische Eigenart des Zeitraums, in dem er lebte und dichtete, werfen. Das wiedererweckte klassische Alterthum streute fruchtbaren Samen in das Schriftthum aller Kulturvölker aus. Wo er auf einen mit frischkräftigem gesundem Volksthum bestellten Boden fiel, da mischte er der aufgehenden Saat veredelnde Stoffe bei und erzeugte eine schöne Blüthe. In Deutschland waren günstige Bedingungen für diese Entwickelung vorhanden. Der Geist der Reformation wehte wie ein erfrischender und belebender Wind durch das ganze Volk. Dazu schuf der volksthümliche Genius Luthers durch seine deutsche Bibel eine einheitliche Schriftsprache. Aber diese günstige Entwickelung wurde allzubald durch feindselige Gewalten unterbrochen und erstickt. Das habsburgisch-spanische Kaiserthum hemmte die Reformation, die geboren war aus dem deutschen Volksgeist, den es nicht verstand, und führte so die unselige Spaltung des Landes in zwei feindselige Glaubenshälften herbei. Und nun erhoben auch die Gegensätze im Innern des Protestantismus ihr Haupt immer gewaltiger und arteten gegen Ende des so herrlich angefangenen Jahrhunderts in wüste theologische Zänkereien aus, die das Zeitalter vergifteten. Das Maß des Unglücks füllte endlich der dreißigjährige Krieg. In dem derart entkräfteten Boden konnte der Samen der Renaissance nicht Wurzel fassen. Künstlich gezüchtet von der Gelehrtenzunft, die dadurch sich immer mehr dem Volke entfremdete, wuchs er empor, ein fremder Treibhausbaum, und seine Frucht war eine hochentwickelte neulateinische Poesie. Und auf der anderen Seite schoß die Volksdichtung, die nie ganz einging, wild ins Kraut, wüst, roh und ungepflegt, da die Gebildeten ihr fern standen. Das einzige Gebiet, auf dem Volk und Gelehrte sich näherten, war das geistliche, in diesem von religiöser Theilnahme ganz erfüllten Zeitalter. Daher gelangte auch das geistliche Lied zu solcher Blüthe. Sonst aber waren am Anfang des 17. Jahrhunderts Volksdichtung und Gelehrtendichtung Gegensätze, zwischen denen es nun galt, eine Brücke zu bauen. Und wirklich fingen jetzt die gebildeten Stände an, sich auf ihr Volksthum zu besinnen. Es thaten sich die bekannten Sprachgesellschaften auf, die es sich zur Pflicht machten, die verlassene deutsche Sprache zu pflegen und zu reinigen. Und ein einzelner vollbrachte die wahrhaft nationale That, ein Zeichen aufzustecken zur Begründung einer deutschen Dichtung neben der lateinischen und ein festes Richtmaß aufzustellen zu ihrer Ausübung: Martin Opitz mit seinem „Buch von der deutschen Poeterei“, das 1624 erschien. Die dort aufgestellten Grundsätze haben weitgehende Beachtung erlangt. Freilich war das Opitzische Unternehmen nur ein äußerer, wenn auch glücklicher und nothwendiger Anfang, an den sich vorerst eine innere Fortentwickelung noch nicht anschloß. Die gelehrten Dichter setzten einfach das, was sie bisher in lateinischer Sprache getrieben, in deutscher fort: es kam ihnen nicht der Gedanke, nun auch mit ihrem Inhalt in die Volksseele hinabzugreifen. Opitz selbst spricht es aus, daß er es „für eine verlorene Arbeit halte, im Fall sich jemand an unsere deutsche Poeterey machen wolte, der .... in den griechischen und lateinischen Büchern nicht wol durchtrieben ist und von ihnen den rechten Grieff erlernet hat“. Also im deutschen Gewand ein fremder Inhalt, aus der Antike und mehr noch aus der Renaissance des Auslandes in sklavischer Nachahmung entlehnt. Denn nicht eigentlich der Geist der Antike zog ein, sondern mehr nur ihre Form. Der schwülstige Schmuck der griechisch-römischen Mythologie verhüllte alle Natur. Und das gezierte unechte Schäferwesen, in seinem Ursprung auf Petrarca zurückgehend, der wieder an die bukolische Poesie Virgils anknüpfte, machte sich breit auf Kosten wahrhaft echter Volksthümlichkeit. Eine solche Kunst konnte nicht Fuß im Volke fassen. So klagte Opitz über die Verachtung des Poetenstandes mit den drastischen Worten: „Wenn sie einen gar verächtlich halten wollen, so nennen sie ihn einen Poeten“ und schiebt die Schuld des verrotteten Zustandes der Poesie, den er zugiebt, in flachdenkender Weise Ursache und Wirkung verwechselnd, denen in die Schuhe, „welche mit ihrem ungestümen ersuchen auff alles, was sie thun und vorhaben, Verse fordern ... denn ein Poete kan nicht schreiben wen er wil, sondern wen er kan“. Eine Fluth der Gelegenheitspoesie überschwemmte den Boden der Literatur, eben weil die Dichtweise rein äußerlich war und fast nur bloße Geschicklichkeit der Handhabung des Rhythmus, des Reimes und des Wortschmucks. Die äußerliche Geschicklichkeit aber war damals weitaus nicht so verbreitet wie in unserer Zeit mit ihrer ‚ausgebildeten Sprache‘ und ihrem reichen Schatze der Dichtung. Wem damals Verse gelangen, der hielt sich selbst und wurde leicht auch von andern für einen Dichter gehalten. Jene wahre Gelegenheitsdichtung aber, die jede echte Lyrik ist, insofern sie statt nur an äußerliche Anlässe an seelische Bewegungen und Erlebnisse anknüpft, war jenen außer Zusammenhang mit der Volksseele lebenden und nicht aus ihrem Innern heraus schöpfenden gelehrten Dichtern nahezu ganz fremd. „Die lyrische Kunstpoesie ist nicht der Niederschlag des Seelenlebens der Autoren, nicht die Versinnlichung ihrer geistigen Eindrücke ... Ihr [278] gebricht es selbst dort, wo sie mit dem Anspruche geistiger Selbständigkeit auftritt, zumeist an Unmittelbarkeit; die geschilderten Seelenvorgänge haben alle eine konventionelle Färbung, sie ist mit einem Worte keine erlebte, sondern angelernte und anempfundene Dichtung. Sie zeigt oft eine erschreckende geistige Leere, einen Mangel an originellen Gedanken, über den uns weder hohe technische Vollendung, noch der bunteste Wortflitter hinwegtäuschen können“[5]. Wahre Dichternaturen waren in dieser Zeit selten.

Christian Brehme ist ganz geeignet, als ein Typus jener Literaturepoche zu gelten, einmal, weil in seinen Erzeugnissen die geistigen Grundstoffe der Zeit so ziemlich zur Erscheinung kommen, und dann, weil er ungefähr das Mittelmaß jener Dichtung darstellt – er ist nicht besser und auch nicht viel schlechter als der damalige Durchschnittsdichter überhaupt. So mag er auch hier mehr als Typus der Gattung, weniger als dichterische Einzelpersönlichkeit betrachtet werden.

Wie viele andere ging auch Brehme von der Gelegenheitsdichtung aus. Seine erste Spur finden wir auf dieser Bahn: ein Gedicht auf ein Begräbniß. Und auch weiterhin hat er öfters äußeren und festlichen Anlässen, wie Hochzeiten, Namenstagen, Begräbnissen zu Liebe die Leier zur Hand genommen; eine Anzahl davon hat er in seine Gedichtsammlungen eingereiht. Doch ist wohl anzunehmen, daß er das Gelegenheitsdichten kaum je in völlig handwerksmäßiger Weise betrieben hat, da er ja nach Herkunft und Wohlstand gut gestellt war und nicht nach anderer Leute Gunst oder gar Geld zu haschen brauchte. Unter seinen Gelegenheitsgedichten finden sich neben besseren nun auch solche von der damals häufigen Art, die Poesie mit Schwulst und Uebertreibung verwechseln, so eine fürchterliche Ode beim Hinscheiden des Leipziger Bürgermeisters Dr. Zabel 1638; darin redet er die Stadt Leipzig folgendermaßen an:

„Wie groß ist Dein Verlust,
O Leipzig! Deine Brust
Ist tot und nun von hinnen.
Dein Vater, Dein selbst Du,
Dein Schutz und Deine Ruh,
Dein ganz Beginnen!
Du selbsten bist mit tot –
O unverhoffte Not!
Wer wird Dich nun vertreten?
Wer wird Dir geben recht,
Du wol verlassner Knecht,
Und für Dich beten?

In diesem Tone geht es fort bis zum Schluß. An solchen höfisch-bombastischen Uebertreibungen leiden namentlich auch die Geburtstagscarmina. Die Hochzeitsgedichte wieder schwelgen in tändelnden Liebesempfindungen. Besonders kennzeichnend für die Hochzeitsgedichte ist die Einkleidung in irgend eine kleine humoristisch-poetische Erfindung. Da wird „Cupido als ein Jungfernkrämer aufgeführt“, der Jungfern feil hält; verschiedene Käufer kommen, denen er seine Waare anpreist; angehängt ist eine kurze Ode an das Hochzeitspaar; bei der Anpreisung kommen die Dresdner Damen nicht zum besten weg, sie werden damit aufgezogen, „daß sie nur zur Gassen naus gebaut“ seien und „so gern nach denen Dingen trachten, die nur von außen schön“. Zu bemerken ist dabei, daß Brehme damals noch nicht in Dresden lebte. In einem andern Hochzeitslied wird auf der Messe ein „Jungfern- und Junggesellen-Glückstopf“ aufgestellt, zu dem viel Zulauf ist: Braut und Bräutigam ziehen Loose und gewinnen sich gegenseitig. Ein andermal wieder ist eine Gesellschaft schöner Damen versammelt; Venus gesellt sich dazu und fordert jede auf, ihre Meinung von der Liebe zu sagen, zum Schluß verkündet die Göttin ihr eigenes Urtheil von der Liebe. Auch Trauergedichte schmückt Brehme bisweilen mit poetischen Erfindungen aus. Da schildert er das Totenschiff, auf dem die Seelen zweier Schwestern ins Jenseits segeln; oder er wird durch eine Nymphe in das Elysium versetzt und findet unter den Gedächtnißsäulen anderer Helden auch diejenige seines Freundes.

Außer den gewöhnlichen festlichen Vorgängen im Privat- und Familienleben bot sich dem Gelegenheitspoeten noch manch anderer Anlaß zu Versen. Wo dieser Anlaß ein bedeutender und allgemeiner ist, kommt er natürlich meist auch der poetischen Darstellung zu Gute. Auf das Friedensdankfest nach dem großen Kriege, das in Sachsen am 22. Juli 1650 gefeiert ward, dichtete Brehme das warm empfundene und von echtem Schwung getragene Sonett:

„Brich an du großer Tag! Du viel erseufzte Stunde!
Viel tausend, tausend sind schon allbereit gefahren
In jenes andre Sein in zweimal fünfzehn Jahren.
Die Welt sich selber hat geächzet fast zu Grunde,
Eh’ wir erwimmert dich! Komm, heil uns unsre Wunde,
Womit wir allerseits so sehr geschlagen waren.
Ein jeder lasse nichts an seiner Kraft ersparen,
Zu loben unsern Gott, von Herzens Grund und Munde:
Denn heut erscheint der Tag, den wünschen alle Lande,
Gott gebe Fried und Glück und Heil zu allem Stande!“

Aber nicht nur Festlichkeiten, sondern alle möglichen Vorfälle im Leben des Einzelnen wurden Stoffe für den Gelegenheitsdichter. Da die Verskunst damals sehr beliebt und anderseits nicht allzu verbreitet war, so wünschte gar mancher, was er erlebte oder empfand, mit Versen begleitet zu sehen und wandte sich, wenn er selbst dieser Kunst nicht mächtig war, an einen Reimkundigen. Dieser Brauch war sehr im Schwange, wie sich auch aus der obigen Aeußerung Opitz’ erkennen [279] läßt. Es entstand daraus eine merkwürdige Form des Gelegenheitsgedichts: der Dichter spricht ganz im Sinne eines Anderen und versetzt sich in eine fremde Stimmung, ohne jeden inneren Antrieb. Für diese Gattung findet sich bei Brehme z. B. ein Sonett mit dem bezeichnenden Titel: „Auff Begehren eines Andern der Saale Lob“. An anderer Stelle versetzt sich der Dichter in „einer verlobten Damen Traurigkeit über dem Absterben ihres Liebsten“. Solche Versuche, seelischen Stimmungen Anderer Ausdruck zu geben, leiden zumeist an starken Uebertreibungen, die die Unfähigkeit, aus dem Herzen zu sprechen, verdecken müssen.

Aeußere Aehnlichkeit mit dieser letzten Art der Gelegenheitsgedichte haben die in die Schäferromane zahlreich eingelegten lyrischen Gedichte, denen die Aufgabe zugedacht ist, die Empfindungen der Romanhelden poetisch zu veranschaulichen. Diesen lyrischen Einlagen sind dann auch freie lyrische Schäfergedichte nachgebildet worden, die ebenso wie jene allerlei Liebesempfindungen und Liebesbetrachtungen anderer Personen in ganz äußerlicher Art ohne jede seelische Vertiefung schildern. Für diese den Romangedichten nachgebildete Gattung ist kennzeichnend „Corydons Besinnen, als er seine Caritilla gelassen hatte“: das Gedicht enthält Reflexionen eines Liebenden; der lange Titel muß den Zusammenhang andeuten, den im Roman die Handlung des Textes vermittelt. Das Liebeslied steht fast ganz unter der Herrschaft der schäferischen Form; auch das damit verwandte Hochzeitslied geht vielfach in diesem Gewand einher. Und wenn auch das Liebeslied zuweilen der schäferischen Einkleidung äußerlich entbehrt, so bewegt es sich doch mit seinem innern Gehalt fast immer ganz im Bannkreis der bei der Schäferdichtung hergebrachten Anschauungen. Es ist durchweg ein Spielen und Tändeln mit der Liebe, mit Treue und Untreue, mit Freud und Leid, das daraus entspringt; ein Spielen, wie es treffend in dem kurzen süßlichen Vers zur Erscheinung kommt:

„Küssen und geküsset werden
Ist das schönste Spiel auf Erden.“

Aber häufiger als das Liebesglück wird der Liebesschmerz behandelt, die Unruhe, die der Seele aus der Liebe erwächst, und vor allem das Herzeleid über die Untreue. In dem kurzen Epigramm „Beschreibung der Liebe“ kennt er nur diese Seite:

„Thränen, Seufzer und der Schmerz,
Angst von außen und von innen,
Halber Muth und halbes Herz,
Ganz verwirrte tolle Sinnen,
Täglich tot und noch am Leben –
Soll das nicht viel Schmerzen geben?“

„Eines Cavalliers Leid und Unruhe wegen großer Liebe gegen eine schöne Dame“ gehört ebenfalls hierher. Zur Verstärkung des Eindrucks wird im Eingang vergleichsweise die ganze Thierwelt aufgeführt, die nicht solche Liebespein erleiden muß, wie ein friedloses Menschenherz. Die Natur dient in der Dichtung jener Zeit lediglich als poetischer Schmuck zur Hebung des Pathos der Empfindungen. Aber es ist ein leeres Pathos: der besungenen Empfindung fehlt sehr oft Tiefe und sittlicher Ernst, so daß nur ein leichtfertiges Spiel übrig bleibt. Dies zeigt sich auffällig deutlich in „Einer verstoßenen Dame Betrübnis“: in ihrem Jammer über des Geliebten Untreue findet sie doch zum Schluß den Trost:

„Wann dunkle Nacht vorbei,
Ist schon der Morgen neu:
Wann rechte Zeit kommt an, ich dennoch frei“.

Häufiger natürlich bei einem männlichen Dichter ist das Thema der weiblichen Unbeständigkeit. Da mögen sich wohl hie und da eigene Herzenserlebnisse untermischen; in dem Gedicht „Die Untreue einer Dame“ wirkt zwar das willkürlich spielende Hin- und Herschwanken zwischen Liebes- und Rachegefühlen nahezu komisch, dennoch hat das Ganze Fluß und anscheinend werden Töne wahrer Empfindung laut, wie:

„Die treue Liebe läßt nicht zu,
Daß ich Dich (Jupiter) darum bitten thu, (die Untreue zu strafen)
Und ließ es zu die Liebestreu,
So brächte mirs doch zeit’ge Reu ...
Und sollte Dirs nicht wohl ergehn,
Würd’ ich in gleicher Trauer stehn.“

Auf trübe Liebeserfahrungen deutet auch „Das Lob der schwarzen Tugendhaften gegen die bloßen Schönen“ hin; hier hat ihm wohl wirkliche Liebe die Feder geführt: mit Verzicht auf den sonstigen Schwulst sind wärmere und innigere Töne angeschlagen, denen man die Empfindung anmerkt:

„Ich lobe Eure Freundlichkeit
Und laß sie mir belieben,
Ich weiß, Ihr werd’t zu keiner Zeit
Wie andre mich betrüben.
Eurer geliebten Äugelein
So schöne Gnadenblicke
Die können von der Todespein
Auch bringen mich zurücke.“

Gern und oft singt er den Preis der Tugend und Treue und stellt sie der Schönheit und dem Reichthum voran: auch klingt dieses Lob echt, wo es volksthümlich gefaßt ist. Aber gerade das Lob der fröhlichen Armuth gehört eben auch wieder zu den nothwendigsten Theilstücken der Schäfermaske: und im Schäferlied ist es mit Armuth wie mit Liebe und Tugend nicht allzu ernst gemeint. Weit echter und auch deutlicher ist bei dem Durchschnittsmaß der Schäferdichtung das Gepräge sittlicher Leichtfertigkeit und üppiger Verbuhltheit. Die [280] Liebe, von der unaufhörlich und im leichtesten Tändelton gesprochen wird, ist nicht die tiefe, sittliche Liebe, sondern eine höchst äußerliche und durchaus sinnliche Verliebtheit. Daher laufen denn auch starke Zweideutigkeiten und unverhüllte Schlüpfrigkeiten mit unter, wenn sie auch noch nicht so im Schwange sind, wie in der zweiten schlesischen Schule. Bei Brehme begegnen kleine Zweideutigkeiten hie und da in Hochzeitsgedichten, stärkere schon in dem Schäferlied „Die chiromantische Candia“; zur offenen Schlüpfrigkeit geht er über in der „Unterredung eines Cavaliers mit einem Galan, worin ein jeder seinen Spaß lobet“, jener den Kampf im Felde, dieser die Liebesfreuden daheim – ein ähnlicher Gegensatz, wie in Körners bekanntem Liede „Männer und Buben“, nur daß bei Brehme – stracks entgegen dem sittlichen Ernste Körners – bezeichnender Weise der Kavalier schließlich die Sinnenlust des Galans eintauschen möchte. Ohne Sinnlichkeit wird das Thema Tapferkeit und Frauenliebe in der Unterredung von zwei Damen und einem Ritter behandelt, wo es zum Schluß heißt:

„Das heißt recht ritterlich ein guter Ritter werden,
Wo man neben Waffen
Mit der Liebe hat zu schaffen
Auf der Erden.
Mit Ernst an den Feind und zu der Dam’ im Scherze:
Das ist der rechte Mann.“

Eine besondere Gattung des Schäferliedes ist romanzenartig: statt bloßer Empfindungen und Betrachtungen spielt sich da eine kleine idyllische Handlung ab. Lieder dieser Art finden sich auch viele unter den Gesellschaftsliedern jener Zeit. Die Gattung hat sich bis weit ins 18. Jahrhundert hinein erhalten. Brehme hat diese Art wenig gepflegt: es fehlte ihm dazu wohl die Leichtigkeit und der Fluß der Darstellung. Leidlich gelungen ist ihm das Liedchen „von der Mirella und und dem Corydon“: es ist im Tone leichten Scherzes gehalten und entbehrt nicht einer gewissen Zierlichkeit. Mirella seufzt den Geliebten sehnsüchtig herbei, der unbemerkt von ihr in der Nähe ist; Corydon mißtrauisch, ob die vernommenen Seufzer wirklich ihm gelten, tritt vor, geberdet sich aber, als ob er sie gleichfalls nicht sähe und ruft:

„Mirella Du mein Ich,
Ach wenn ich küßte Dich’ –
Umfing also ein Baum und küßte ihn.
Mirella lief, schrie: Ich nicht hölzern bin,
Mein Corydon gieb mir
Den Kuß, ich bin schon hier.“

Beide sind froh, sich zu haben: zum Andenken nennt er den Ort „mon plaisir“, einer Sitte folgend, die über ein Jahrhundert später während der Empfindsamkeitsperiode große Ausbreitung gewann.

Die ganze Schäferdichtung hat ja schließlich auch einen sittlichen Nährboden: dieser ist das in der Tiefe der Seele ruhende Bedürfniß, der verderbten und verlogenen Hof- und Stadtleben, dem langen verwildernden Kriegselend in der Poesie den Rücken zu wenden durch die Flucht in ein besseres Dasein in der Natur: doch unfähig und ungewillt, die Hof- und Stadtfesseln auch nur in der Einbildung ganz zu lösen, lenkte die höfisch- gelehrte Dichtung ihre Flucht nicht in die wahre Natur, sondern in ein wesenloses Mittelding, ein flitterhaftes, arkadisches Schäferleben, das im Grunde nichts weiter ist als ein kostümirtes Hofleben: die literarische Flucht in das Landleben sinkt zum leeren Formenspiel herab – für die wahre ungekünstelte Natur haben diese Dichter keinen Sinn. Dem wirklichen Landleben aber und seinen leibhaftigen Vertretern, den echten Bauern, bringen sie nur die volle Verachtung und das volle Unverständniß des Hof- und Stadtmenschen entgegen. Ueberaus bezeichnend für diese Verachtung ist bei Brehme das derbe Lied „Die Verweisung eines Bauern bei einer Cavaliers- Compagnie“, das eine unfreiwillige Satire auf die ganze Schäferpoesie ist:

„Sieh da, was bringt dort Corydon,
Der grobe plumpe Rülpensohn,
Was will er doch bei Cavalieren machen!
Wir leiden keinen Bauer hier,
Er schenkte denn uns ein das Bier,
Uns Herren müßt zu Diensten sein ihr Hachen.“

Den Corydon verdrosse das,
Meint, er hätt auch gelernet was,
Und sagte bald: Die schönen Bäuerinnen,
Die lassen baß bedienen sich
Von solchem Volk, als wie bin ich:
Denn, welche stark, auch stärker dienen künnen.

Die Compagny die lacht und sagt:
Ein’ schöne Dame uns behagt
Und bleibe Du bei Deinen Bauertrinen;
Ein’ solchen Schatz, gleich wie Du bist,
Kann eine Magd, die voller Mist
Und lauter Koth, mit ihrem Scherz versühnen.

Zahlreiche lyrische Gedichte sind nun auch, wie dies dem Zeitgeschmack entsprach, in den Schäferroman Coelinde und Corimbo eingestreut, in oft ganz losem Zusammenhang mit der dürftigen Handlung. Hie und da dienen sie ja als Empfindungsventil der handelnden Personen, aber durchaus nicht immer; oft genug ist die Veranlassung solcher Reimereien ganz äußerlich herbeigezogen. Häufig sind es auch kleine Verse, die an Bildern, Wänden, Bauwerken angebracht sind, „Sinnsprüche“ oder „Aufschriften“, d. i. Epigramme. Diese poetischen Einlagen der Schäferromane nehmen so breiten Raum ein, treten so anspruchsvoll auf, daß man den sicheren Eindruck gewinnt, sie sollen die Hauptsache [281] sein.[6] Die Handlung scheint nur der verbindende Text für diese Einlagen zu sein. Der ganze Roman erinnert in dieser Hinsicht an die Textbücher unserer älteren Opern mit ihren Arien, Romanzen, Duetts und dergl. – steht er ja auch in der psychologischen Begründung nicht über ihnen. Was hinsichtlich der Behandlung der Liebe in der Schäferlyrik bereits gesagt ist, gilt in demselben Maße auch für die Schäferromane. Wie sich Brehme selbst im Nachwort seines Romans sehr bezeichnend ausdrückt, soll in derartigen Dichtungs-Erzeugnissen „vornehmlich von vieler Liebe“ gehandelt werden. Der Roman Coelinde und Corimbo ist höchst unbedeutend, er weicht auch nicht eine Linie von der breiten Mittelstraße dieser Gattung ab. Die eigentliche Handlung ist nahezu gleich Null; sie läßt sich in wenigen Sätzen fast erschöpfend wiedergeben. Ein Kavalier Cambyses begiebt sich aus Schmerz über die Untreue seiner Geliebten in Schäferverkleidung unter dem Namen Corimbo in ein anderes Land. Er gelangt in einen Palast, dessen Herrin Melibella ihn freundlich aufnimmt. Zwischen einer ihrer Damen, Coelinde, und dem Corimbo entspinnt sich ein Liebesverhältniß. Dies zieht sich nun in zärtlichen Reden durch den ganzen Roman. Knapp vor dem Schluß wird Corimbo, dessen Kavalierseigenschaft inzwischen erkannt worden, von der Melibella auf eine mehrtägige Reise geschickt. Inzwischen kommt ein Kavalier, Galinter, an den Hof der Melibella und erlangt von dieser die Gunst, mit Coelinden trotz deren Widerstreben verlobt zu werden. Unter großen Seelenschmerzen verzichtet Corimbo auf die Geliebte. In der Vorrede deutet der Verfasser an, daß hier wirkliche Begebenheiten maskirt vorgeführt werden. Und gegen den Schluß, in der Liebesklage des Corimbo, versteckt sich Brehme selbst: in verhüllten Ausdrücken schildert er da seinen Lebensgang. Diese Lebenswirklichkeit ist auch der Grund, warum der Dichter hier anonym auftritt. Doch geht die Wahrheit der Schilderung nicht weiter als bis zu einer ganz oberflächlichen Andeutung geschehener Vorgänge. Von einer inneren Verbindung, einer seelischen Vertiefung und Begründung ist kaum eine Spur vorhanden. Wie weit diese psychologische Flachheit geht, zeigt folgende Einzelheit: Coelinde hat eine Freundin, die den Corimbo gleichfalls liebt; sie versucht es nach einander bei beiden Liebenden, durch Verleumdung Zwietracht zu säen – das stört aber nicht das freundschaftliche Verhältniß zwischen ihnen und der durchschauten Verrätherin. Im ganzen Buch verräth sich nur allein in der knappen Charakteristik dieser falschen Freundin das Bestreben, seelisch zu schildern. Die Handlung wird auseinander gezogen durch viele und lange Gespräche der Personen: vor lauter Reden kommen sie nicht zum Handeln. Diese Gespräche sind hohles Wortgepränge, in ihnen spiegelt sich die hochtrabende, gespreizte Höflichkeit der guten Gesellschaft ihrer Zeit wieder, der gegenüber unsere heutige Höflichkeit ein Naturkind ist. Um die leere Handlung weiter zu füllen, sind kleinere Erzählungen eingeflickt, die den handelnden Personen in den Mund gelegt werden, mit der Handlung selbst aber nichts zu thun haben; bemerkenswerth sind unter ihnen einige volksthümlich anmuthende Lügengeschichten.

In seiner Bethätigung auf dem Gebiete der Kunstlyrik, zumal der zierlichen Schäferposie, wird Brehme jedoch wesentlich beeinträchtigt durch eine gewisse Schwerfälligkeit und Ungewandtheit im poetischen Ausdruck. Er besitzt nicht in vollem Maße die Mittel zur Beherrschung der technischen Form: Leichtigkeit, Anmuth, Fluß und Glätte fehlen ihm so ziemlich ganz. Er ist in seiner poetischen Sprache von den Regeln der Opitzschen Poeterey so gut wie unberührt geblieben. Reim und Rhythmus muß er oft mit Gewalt erzwingen durch fehlerhafte oder unbeholfene Wortformen, durch Verrenkungen und Dehnungen, durch Accentfehler und ähnliche Mittel. Worte der Volkssprache wie „geschach“, „sach“, „lan“, „han“, „schlan“, die Opitz für die Schriftsprache ausdrücklich verpönt, wendet Brehme häufig an; „gelgen“ findet sich für jählings; gelegentlich begegnen ungewöhnliche Formen wie „beschreit“ für beschrieen, „scheinte“ für schien, „rumbher“ für umbher. Gewisse ungeschickte Wendungen kehren häufig wieder: was = etwas wendet er substantivisch an für Sache; statt des Hauptworts gebraucht er das entsprechende Eigenschaftswort mit dem Hilfswort sein: das Traurigsein, das Schönsein, das Treusein, für Traurigkeit, Schönheit, Treue. In ungeschickter Weise werden Worte zerrissen: „er dachte, wo die Lieb’ her müßt den Ursprung haben.“ Die Worte werden auseinander gezogen, um den Vers zu füllen: „Kerrel“ für Kerl, „Kerren“ für Kern, „Zorren“ für Zorn, „wegken“ für weg; zum selben Zweck wird auch ohne Umstände ein Wort einfach wiederholt: „jáwohl, wohl ihr habts errathen“. Auch Accentfehler, wie das letzte Citat einen zeigt, sind häufig: „in Leid, Lieb und aúch Gefáhr“, oder „Lust únd Wohlfáhrt verálten“. Um solche falsche Accente zu vermeiden, werden gelegentlich auch Worte umgestellt: „daß ich den ganzen Tag recht über nüchtern bin“ für über recht. Ferner stören sinnlose Pleonasmen: „treue Treu’“, „verliebte Liebe“, „beständige Beständigkeit“. Dem Reim zu Gefallen oder überhaupt scheut er auch nicht starke Plumpheiten, wie er die Klio anruft: „Hilf meiner Tinte schmieren“, gezwungene Umschreibungen, wie „begierige Sitten“ für Liebe, weither geholte geschmacklose Bilder, wie die „blanke Himmelsbrust“ oder:

[282]

.... der Zunder unserer Jahre
Der viel Wissenschaften fängt,
Und gelehrt zu sein sich lenkt“

oder:

Nichts kann so liebenswürdig sein
Als wenn bei Frauenvolke,
Zumal wo sich nicht mischet ein
Der zarten Schönheit Wolke,
Die Freundlichkeit gespüret wird.

In einer ziemlichen Anzahl seiner Gedichte zeigt sich Brehme von der Schäferei wie auch von dem mythologischen Rüstzeug dieser Gelehrtendichtung so gut wie ganz frei oder wenigstens im Inhalt nicht davon beeinflußt, wenn auch einzelne Benennungen daran erinnern, die aber ja selbst in das Volks- und Gesellschaftsbild eindringen. Er neigt da mehr nach der Seite der Volksdichtung hin. Von den Literarhistorikern wird er daher auch in den Kreis derjenigen Dichter gestellt, die zwar den gelehrten beizuzählen sind, die aber doch eine gewisse Fühlung mit der Volksdichtung behielten. Diese Fühlung ist auf stofflichem wie formellem Gebiete zu erkennen. Brehme thut gern einen Griff ins Leben. In den erwähnten Hochzeitsgedichten „Jungfernkrämer“ und „Glückstopf“ haben ihm offenbar Scenen aus dem Leipziger Meßtreiben Modell gestanden. Ein tolles Treiben, wohl selbst erlebt in seiner Studentenzeit, schildert er in dem langen Alexandrinergedicht „Der andere Tag lustiger Gesellschaft, vollbracht von sechs Personen“. Eine Gesellschaft lustiger Kumpane, darunter auch ein Weib, „die feine Dorila“, zieht ausgerüstet mit Musikinstrumenten, Spielkarten und Lebensmitteln auf ein Dorf „Riedewitzsch“: dort „sollt’ sterben all’ ihre Traurigkeit“, d. h. sie wollten sich einmal nach Kräften austollen; die Gesellschaft treibt allerhand närrischen Unfug, singt, spielt und trinkt und endet den Tag mit einer schweren Trunkenheit, um am nächsten Morgen das Tollen und Trinken von Neuem zu beginnen, bis sie nach Leipzig zurückkehrt. Vorliegendes Gedicht ist ein humoristisch-poetischer Bericht von dieser Ausfahrt, man kann es auch geradezu auf modern-studentisch Kneipzeitung nennen. Es wimmelt darin von scherzhaften Anspielungen und Umschreibungen, die nur versteht, wer dabei gewesen ist. Um das Gedicht für den fernstehenden Leser etwas verständlicher zu machen, hat Brehme einen Kommentar in Prosa angehängt, worin er eine Anzahl dunkler Wendungen erklärt. Es begegnen in dem Gedichte auch Ausdrücke der Studentensprache, ferner solche aus dem soldatischen Rothwelsch, wie „Bleisack“ für Zinnkanne, „minkeln“ und „Minkelspiel“ für essen und Mahlzeit, auch volksmäßige Wendungen, z. B. „Niclas läßt sich sehen“ als Umschreibung für ein zerbrochenes Fenster, entstanden aus dem mundartlichen „ni (=nicht) Glas“. Aus der frohen Lust des Augenblicks heraus hat Brehme auch einige frische Trinklieder geschaffen:

„Der Bachus und sein güldenes Faß
Macht Herzen froh und Mäuler naß,
Vertreibet Schmerz und bringet Freud’,
Macht aus der langen kurze Zeit,
Giebt Kühnheit uns zum Damenscherz,
Schafft für ein feig’ ein frisches Herz –
Und was uns nur belustigt, das
Thut Bachus und sein güldenes Faß.“

Und in einem anderen, das unbekümmert um den Krieg, der draußen tobt, zu heiterer Lust bei Wein und Liebe auffordert, sagt er mit volksliedmäßigem Anfang:

„Frisch auf, ihr Brüder, laßt uns trinken!
Der Mavors mag sein blutig Schwert
In jenem Felde lassen blinken,
Hier uns dasselbe nicht versehrt.
Er hat die Lust an großen Stücken,
Wir haben sie an Gläsern hier,
Von Gläsern bauen wir uns Brücken,
Drauf fährt in uns der Wein und Bier.“

Da ist überall vom gelehrten Dichter wenig zu spüren: man fühlt doch immerhin den frischen Pulsschlag des wirklichen Lebens klopfen. So ist auch das große Schicksal seiner Zeit nicht ohne deutliche Spur an ihm vorübergegangen: bereits oben ist geschildert, wie sich der Krieg in seinen Schriften spiegelt. Es geschieht dies allerdings meist in der Form einer poetischen Flucht vor dem Krieg, wie dies auch in dem eben angeführten Trinkliedchen angedeutet ist. Zum Tyrtäos verrieth er nicht die mindeste Anlage, ebenso wenig wie irgend einer seiner Zeitgenossen. Es konnte ja auch dieser Krieg bei seiner langen Dauer, während allmählich alle Ideale daraus entschwanden, keine dichterische Begeisterung entzünden. So war denn die elegische Betrachtungsweise des Krieges der zeitgenössischen Dichtung die vertrauteste. Auch Opitz hat ein „Trostgedicht in Widerwärtigkeit des Krieges“ geschrieben, worin er ihn als göttliche Schickung hinnimmt und die Trostgründe der Religion aufsucht. Aber doch hat außer elegischen und ästhetisch-feindseligen Betrachtungen Brehme, der ja mitten im Kriegstreiben gestanden, auch ein Soldatenlied (vgl. oben) gesungen, in dem das thatenfrische Leben sich kräftig abdrückt.

In Form und Gedankenausdruck macht sich das volksthümliche Element in Brehme namentlich durch eine häufig zu Tage tretende ursprüngliche Derbheit geltend. Mitten in einem fast ganz schäferlich gestimmten Hochzeitsgedicht, einer Hirtenode, wendet er sich an den Bräutigam, der Jurist ist, mit den Worten:

„Wir, wir geben zur Gebühr
Einen Hammel oder vier,
Daß er uns so fein vertragen:
Wenn uns denn das Dörferbier
In den Kopf gestiegen schier,
Wir uns dann wohl wieder schlagen.“

[283] In einem anderen sagt er sprichwörtlich für die Anwendung einer geringen Sache zu einem hohen Zweck:

„Mistgabeln braucht man nit, daß man hängt Kränze dran:
Sonst würde man sie auch in schönen Stuben han.“

oder er läßt einen Liebenden, der in die Ferne gegangen, seiner Liebsten den der bäuerlichen Ausdrucksweise entnommenen zarten Trost spenden, sie solle nicht fürchten,

„Daß ich in dem neuen Thor
Neues Vieh auch lieben muß.“

Daß sich in seine Sprache häufig volksmäßige Wörter mischen, ist in diesem Zusammenhang zu wiederholen. Nicht so oft, daß man daraus allein Schlüsse ziehen könnte, aber doch hin und wieder stößt man bei ihm auf Schilderungen von einer natürlichen und doch treffsicheren Einfachheit, wie sie der Volksempfindung eigen ist, so im Folgenden:

„Aus dem Bronnen, draus sie trinket,
Wäscht und spiegelt sie sich auch
Und mit nichts sonst sie sich schminket,
Als mit dem’; die beste Laug’
Ist das Wasser aus dem Bronnen,
Das so kräftig von der Sonnen.“

Eine oder die andere Stelle in seinen Gedichten muthet auch fast volksliedartig an; es wird in Gleichnissen gesprochen, aber so, daß die verglichenen Dinge nicht bloß in einen äußeren Zusammenhang, sondern in eine innere, ursächliche, ja förmlich seelische Wechselwirkung gebracht werden, die auch die Geschicke gleichartig beeinflußt:

„Kein Vogel ohne Luft kann leben,
Kein Fisch auf dürrem Sande bleibt,
Kein Krieger ohne Schwert kann siegen,
Ein Mühlrad Wind und Wasser treibt:
Kein Leib kann ohne Herze leben ...

Und nun wirkt das Herz auf die ihm verglichenen Dinge zurück.

„Und wann das Herz kommt auf den Mund,
So wird der Vogel Lüfte kriegen,
Der Fisch wird Wasser haben satt,
Des Kriegers Schwert wird nicht still liegen,
Das Mühlwerk Wind und Wasser hat.“

Ueberhaupt liebt es Brehme, durch Gleichnisse und Bilder dem Gedanken eine gewisse Plastik zu verleihen. Er wünscht ein Glück von so langer Dauer,

„Bis ich des Himmels Augen zähle,
Den reichen güldnen Sternenschatz.“

Die Lust gilt ihm als der Stein, darunter die Traurigkeit vergraben liegen soll. Seinen heißen Liebesschmerz, den er in einer Thränenfluth ertränken will, facht doch der Hauch seiner kummervollen Seufzer von Neuem zur brennenden Flamme an. Diejenigen, die die bloße Schönheit ohne Tugend lieben, vergleicht er mit den „Trunkenen, die vom besten Wege weichen“, oder mit der „flüchtigen Fliege“, die von der Durchsichtigkeit des Glases getäuscht, durch die Fensterscheibe ins Freie strebt und sich den Kopf einstößt,

„Meint die Klarheit gehe weiter,
Weil das Glas so hell und heiter,
Wird doch oft ihr Todtenhaus:
Gleich so, wenn ihr Schönheit schauet,
Güldne Berge darauf bauet –
Hinter dieser ist der Tod.“

Auch treibt er Spiel mit Gleichnissen: in einem Sonett giebt er eine lange Kette gleichnißartiger Begriffsbestimmungen, „was der Studenten erster Hering sei ...“: „eines guten Tags Verderben ..., der fleißigen Feder Sterben, ein offner Beutel Geld, dem Kellner ein Erwerben“ u. s. f. Wie ihn seine Lust an einer bilderreichen Sprache gelegentlich auch zu Geschmacklosigkeiten verführt, dafür sind oben schon etliche Beispiele gegeben. – Neben dem Reichthum an Bildern und Gleichnissen fällt bei Brehme weiter das Bestreben auf, die Gedanken kurz und eigenartig auszuprägen und durch ein Spiel mit Gegensätzen zuzuspitzen. Einen Liebenden läßt er gegen seine Geliebte in die Klage ausbrechen:

„Sterne, Winde, Wasser, Erden,
Alle Ding’ in dieser Welt
Können oft verändert werden.
Nur alleine Dir gefällt
In der Unbeständigkeit
Sein beständig alle Zeit.
Ich vergleich Dich keinem Steine,
Der von Tropfen höhlet sich:
Denn die Tropfen, die ich weine,
Können nicht erweichen Dich.“

Auch die Volkssprache liebt ja einfache Antithesen von durchsichtiger Klarheit, ähnlich etwa, wie die folgende, die sich bei Brehme findet, zur Bezeichnung eines vom Kummer Geplagten:

„Ich geh am hellen Tage
Und habe dunkle Nacht.“

Dieses Streben nach knappem und plastischem Gedankenausdruck zusammen mit der Neigung zum Moralisiren, die aus verschiedenen der zuletzt angeführten Gedichtstellen hervorschaut, mußten ihn schon von innen heraus zu Formen der Dichtung führen, die durch ihre Kürze und runde Abgeschlossenheit zu einer tendenziösen Zuspizung des Inhalts herausfordern: zum Sonett und Epigramm. Brehme hat das Sonett gern gepflegt; als eine Besonderheit in dieser Gattung ist zu erwähnen, daß er sich mehrmals im daktylischen Sonett versuchte[7]. Zum Epigramm mag Brehme auch mit von außen her gelangt sein: vom Roman aus. Im Epigramm hat er menschliche Schwächen gegeißelt, Tadelsucht, Neid, Zorn, Ungenügsamkeit, Verschwendung, Trunksucht und andere Untugenden.

[284] Dem „gar zu klugen Leser“, dem Kritiker, ruft er zu:

„Ich kann ja nicht dafür, daß ich nicht klüger bin;
Was mir an Klugheit fehlt, ersetzet Euer Sinn,
Was ich zu albern bin, das seid Ihr gar zu klug:
So sind wir beide gleich zu Narren groß genug.“

Körperliche Eigenschaften spielt er gern aufs geistige und sittliche Gebiet über. Von einem Kahlköpfigen sagt er:

„Kahl am Kopfe ging noch hin,
Wenn nur nicht auch kahl der Sinn.“

Dagegen von einem, der große Ohren hat und kleinen Mund:

„Die meisten schwüren drauf, ich seh ein’ Esel gleich –
Ich aber nicht also, ich sag: an Ohren reich!
Denn wohl steht dies dem Menschen an,
Daß er mehr hören als reden kann.“

Prächtige Worte legt er einem „alten Deutschen“ in den Mund, noch einem von altem Schrot und Korn:

„Keines Fensters ich bedarf: der Mund ist selbst die Thür,
Wo man ins treue Herz kann redlich sehen mir;
Die Hand ist mir so gut als Siegel und Petschier
Und wem ich geb ein Wort, der trau mir Geld dafür.“

Mit Aufschriften wendet er sich auch an Begriffe, die es ihn zu bestimmen reizt: „An die Tugend.“

„Die Tugend ist ein Ding, das Niemand kann entbehren:
Der Jugend ist sie noth, dem Alter gar bequem,
Der Reiche ziert sich und erwirbt sich damit Ehren,
Dem Armen ist sie als ein Trost gar angenehm,
Dem Adel sie je mehr und mehr giebt, vorzuleuchten,
Und wer nicht edel ist, läßt sich drum edel deuchten.“

Solche Aufschriften begleiten auch oft Geschenke oder sie enthalten dankende Antworten auf Geschenke. Stammbuchverse, die Freundschaft preisend, sind gleichfalls oft epigrammatisch gewendet, wie der folgende:

„Freundschaft gegenwärtig halten
Ist nicht schwer – das Fernesein
Ist der rechte Probestein,
Ob sie bei uns kann erkalten.“

Also fast ausschließlich Gegenstände des privaten Lebens auf sittlichem Gebiete. Gegen Mißstände des öffentlichen Lebens hat er die Spitze des Epigramms nicht gewendet, wie so glücklich Friedrich von Logau. Unter diesen kleinen epigrammartigen Gedichten hat Brehme auch einzelne als Uebersetzungen aus dem Lateinischen oder Italienischen bezeichnet. Ob mit diesen wenigen ausdrücklich als Uebersetzung eingestandenen Kleinigkeiten die Zahl der Entlehnungen erschöpft ist, mag dahingestellt bleiben. Thatsache ist, daß diese Dichter viel aus fremden Literaturen geschöpft haben. Daß dies auch von Brehme noch in ausgedehnterem Maße über die ausdrücklich bezeichneten Sächlein hinaus geschehen ist, darauf scheint eine Stelle in dem Nachwort zu seinen Lustigen und Traurigen Gedichten hinzudeuten: „Ich trage jetzund noch in Vergleichung einer Biene die vielfältig gelehrtere Blumenkraft zu Hause, meinen übel schmeckenden Honig damit zu versüßen. So ich aber bei klügerem Alter mein eigenes zu legen weiß, wird sich der Wohlgeschmack an sich selbst geben.“ Unter den als Uebersetzungen bezeichneten Sachen verdient ganz besondere Hervorhebung eine Stelle aus Dante; Brehme erscheint damit als der erste Deutsche, der aus innerem Antrieb Dante übersetzt hat; die betreffende Stelle ist nur von geringem Umfang: sie hat ihm wegen ihrer kirchlichen Rechtgläubigkeit offenbar ganz besonders gefallen und ihn zum Uebersetzen gereizt. Der Anfang lautet:

„Der ist ein Thor, der seinem Sinn vertrauet
Und auf Vernunft so große Stücken bauet,
Zu gründen aus, was jenes Wesen sei,
Da drei ist eins und ein Einfaches drei.“

Seine geistlichen Gedichte bilden, wenn man sie aus allen seinen Schriften zusammennimmt, eine ziemlich stattliche Sammlung. Darunter befinden sich auch etliche ganz freie Umdichtungen aus dem alten Lobwasser, der seine Psalmen sklavisch aus dem französischen Original übersetzt hat. Manchmal hat Brehme in sonderbarer Weise Irdisches mit Himmlischem vermischt, wie er z. B. das Doppelthema behandelt, „daß man Gott und eine Dame lieben soll“. Und nicht selten finden wir einen weitschweifigen Wortschwall und leeres Wortgeklingel. Aber in manchen Liedern vernimmt man auch den Ton einer tief innerlichen Religiosität. In einem Morgenliede singt er mit glücklicher Einfachheit:

„Mit Dir bin ich erwachet,
Denn ich denk oft an Dich,
Eh noch die Sonne lachet.
Mein Herze freuet sich ...
Regiere meine Hände
Und leite den Verstand,
Daß ich heut nichts vollende,
Was böse sei genannt.“

Und ein Abendlied schließt mit der Bitte:

„Laß Deine Wacht, der Engel starkes Volk,
Wohl um mich sein, wie eine feste Wolk’!
Wie auf ein Schloß ist meine Zuversicht,
Gott, meine Burg, auf Dich allein gericht’.
Verwahre mir auch den verschlafenen Sinn,
Daß träumend ich nicht etwa sündlich bin.
Erwecke mich zu rechter früher Stund,
Daß auf den Tag Dir danke, Gott, mein Mund.“


  1. Roth, Geschichte des Nürnbergischen Handels. I, 312.
  2. Lustige, Traurige ... Gedichte, Seite D 2b. ff.
  3. Art und Weise, kurtze Brieflein zu schreiben, S. K 6b.
  4. Das ganze Werk von 1647 befindet sich in der Göttinger Universitätsbibliothek, die 1636 erschienene Wintertagsschäferei in der Breslauer Stadtbibliothek. Das Werk ist anonym erschienen. Schon Neumeister de poetis Germanicis (1706) schreibt es Brehme zu, giebt aber keine Gründe dafür an. Das Vorwort ist unterzeichnet „Der Beständige“. Das wurde der Anlaß, daß das Werk mehrfach (z. B. von Bobertag, Geschichte des Romans) einem Friedrich von Drachsdorf zugeschrieben wurde, der in der „Fruchtbringenden Gesellschaft“ obigen Beinamen führte. Doch legten schon verschiedene innere und äußere Gründe die Annahme nahe, daß Brehme der Verfasser sei: der wichtigste ist, daß Brehme im Nachwort zu seinem Briefsteller das künftige Erscheinen seiner „Schäfereien“ in Aussicht stellt. Den Ausschlag aber giebt eine unscheinbare Kleinigkeit. Gegen Schluß des Romans versenkt sich Corimbo in eine Betrachtung seines bisherigen Lebens und streift da wirkliche Begebnisse, verdeckt unter verstellten, aber leicht erkennbaren Orts- und Personennamen. Ein Satz lautet: „ich verlor meinen teuren Hartned“. Unter Brehmes Gedichten findet sich nun folgendes: „An seinen Hans Valtin Denhart (†), als er seine Hand in einem Stammbuche fand“ – Hartned ist Denhart. Der „Beständige“ ist vermuthlich kein Gesellschaftsname, sondern ein Beiname, den sich der Verfasser zur Bezeichnung der unwandelbaren Treue des Corimbo, unter dem er sich selbst versteckt, beilegt.
  5. v. Waldberg, die deutsche Renaissance-Lyrik.
  6. Vergl. v. Waldberg a. a. O.
  7. Welti, Geschichte des Sonetts, 1884, S. 115.