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Die Afterärztin Reuterin, aus Gerichtsacten gezogen

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Textdaten
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Autor: Anonym
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Titel: Die Afterärztin Reuterin, aus Gerichtsacten gezogen
Untertitel:
aus: Journal von und für Franken, Band 5, S. 656–664
Herausgeber: Johann Caspar Bundschuh, Johann Christian Siebenkees
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1792
Verlag: Raw
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Erscheinungsort: Nürnberg
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld, Commons
Kurzbeschreibung:
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II.
Die Afterärztin Reuterin,
aus Gerichtsacten gezogen.

Je freudiger der Menschenfreund das neuere bessere Studium der Arzneygelehrsamkeit bemerkt, desto trauriger muß für ihn die Erfahrung seyn, daß die redlichsten Bemühungen mehrerer Biedermänner in diesem Fache durch gar mancherley Hindernisse erschwert werden, daß blinder Aberglaube vorzüglich den Landmann von dem Gebrauch erprobter Hülfsmittel zur Erhaltung und Wiederherstellung seiner Gesundheit abzieht und boshafter Betrug ihn auf unnütze, oft äusserst schädliche Mittel führt.

 Einen solchen Betrug aufzudecken, ist nicht nur Pflicht der Landes-Policey, sondern es ist auch jedem Edelgesinnten daran gelegen, daß derselbe bekannt gemacht und das dadurch meistentheils unter dem Landvolk verbreitete Vorurtheil zerstört werde. Es wird daher auch folgende Geschichte, welche| aus amtlichen Acten gezogen ist, des öffentlichen Drucks nicht unwehrt seyn.

 Bey Franz Fleischmann zu Mt. Erlbach, im Bayreutischen Oberamt Neuhof gelegen, hielt sich seit mehrern Wochen eine Weibsperson auf, stellte sich taub und stumm, und gab sich mit Urinschauen ab. Als sie sich auf Befehl des dortigen Amts nicht von dem Ort entfernte, so kam sie am 15ten Hornung [WS 1] dieses Jahrs in Arrest und beantwortete in dem mit ihr angestellten Verhör, die ihr schriftlich vorgelegten Fragen dahin:

 „Sie heiße Barbara Sophia Carolina Reuterin, 30 Jahr alt, lutherisch, von Altdorf in der Schweiz, sey geboren in Amsterdam, ihr Vater ein Franzos Balwasir, ein Weinwirth, und habe in Isar Güter. Ihr Mann, ein Feldscherer, sey vor einem Jahr todgeschossen worden. Vor 3 Jahren habe sie zuerst die Sprache, hernach das Gehör verloren. Im Böhmer Wald sey ihr ihr Paß von Spitzbuben abgenommen worden. – In Seigendorf habe sie sich bey der Degenbäuerin 14 Tage aufgehalten, aber keinen Urin gesehen. Von ihrem Manne habe sie das Urinschauen gelernet – sie fordere dafür nichts, und nehme| nur, was man ihr freywillig gebe, habe auch erst 2 fl. 5 kr. damit verdient.“ Auf die Frage: ob sie nicht bekennen müsse, eine Betrügerin zu seyn? antwortete sie: „Mein Gewissen beschwere ich nicht, das kann ich mich auf Gott verlassen, der kennt mein Herz.“
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 Das Amt forderte derselben eine wiederhohlte schriftliche Vernehmlassung ab, und sie brachte solche verändert also zu Papier: „Sie sey Abkömmling eines Cavaliers, bey welchem ihre Mutter Haushälterin gewesen wäre, sey auf einem ihr unbekannten Dorfe zur Welt gebracht, nachher zu einer Rätherin in die Kost gegeben worden. Im 17 Jahre sey sie mit ihrem Mann, der als Candidat von der Universität zurück gekommen, bekannt worden, und habe sich von ihm bereden lassen, in einer Nacht mit ihm fortzuziehen, sodann auf einem Dorf in einer Mühle sich mit ihm trauen lassen; er habe sich auf einem andern Dörfchen als Feldscherers-Gesell engagiren lassen und sey dann nach Böhmen transportirt worden. Nach drey Jahren sey er Regiments-Feldscherer worden, habe nach der Einnahme von Belgrad dorthin marschiren müssen, und sey erst lange nach dem Krieg von einem| ihrer eigenen Leute auf einer Reise in der Kutsche todgeschossen worden. Ein Monat darauf habe sie 80 fl. von ihres Mannes rückständigen Gehalt und 25 fl. vom Kaiser erhalten, und sey sodann mit ihrem Paß und Habe abgezogen. Im Böhmer Wald sey sie von einem Kerl niedergeschlagen und beraubt, von einem Bauern aber auf einige Tage aufgenommen worden.“

 Als ihr hierauf von dem Amt aufgegeben wurde, sich in den Königl. Landen nicht mehr aufzuhalten, noch eine Afterärztin abzugeben, sondern sich in ihre Heimath zu verfügen und mit ihrer Hände Arbeit zu nähren; so versprach sie dieß zu thun, und wurde, weil sie ihren Weg nach Sachsen zu nehmen vorgab, bis an die Wilhermsdorfische Gränze geführt, und dort von dem Gärtner aufgenommen.

 Bald darauf, nämlich am 22ten März d. J. geschah aber bey dem Amt Mt. Erlbach die Anzeige, daß jene Feldschererin ganz neu gekleidet, mit dem Gärtner Minicus von Wilhermsdorf, von Ickelheim her, wohin sie ein Bauer, Christoph Esel, wegen seines kranken Sohns habe hohlen lassen, wieder angekommen sey. Sie sey bey dem Burger| Fleischmann abgestiegen, um nach dem bösen Fuß seiner Frau zu sehen, auch habe bey ihr ein Bettelweib wegen ihres kranken Kindes Hülfe gesucht. Nachmittags wurde sie durch einen Boten nach Gottmannsdorf abgehohlt. Jetzt gab sie sich für die Tochter eines Cavaliers P** in Sachsen aus. „Ihr Gehör habe sie durch einen Schlag im Kindbett verloren. Betrogen habe sie nicht – man solle sie niederschlagen wie einen Hund, wenn sie wirklich höre.“

 Der Physikus Holzschuher zu Neustadt an der Aisch war begierig dieses Weib können zu lernen, kam zu Amt und ließ sich von derselben auf einem Bogen Papier theils mündlich theils schriftlich gethane Fragen beantworten. Hier veroffenbarte sich, daß diese Afterärztin, welche sich taub und stumm stellte, wirklich hören müsse, weil sie dasjenige, was ihr von den mündlichen Fragen an, ständig gewesen war, sogleich schriftlich beantwortete, auch auf schriftliche Fragen sofort ihre Antworten niederschrieb.

 Eine bey einem dortigen Burger dienende Magd, von Altdorf bey Nürnberg gebürtig, erkannte sie für die sogenannte Reuters Sußel von Altdorf, der sie vollkommen gleich sähe, nur das Stummseyn derselben| hielt sie zurück, völlig gewiß zu seyn. Die Afterärztin aber läugnete, diese Magd jemahls gesehen zu haben.

 Um den Betrug völlig aufzudecken, wurde das Nürnbergische Pflegamt zu Altdorf um möglichste Aufklärung der Sache ersucht. Dieß hielt es für höchstwahrscheinlich, „daß die zu Mt. Erlbach inhaftirte Vagabundin, die sich für eine verwittibte Feldschererin ausgibt, niemand anders als die älteste Schwester des dasigen Weinschenks Chr. H. Reuter, Namens Susanna Barbara Reuterin sey.“

 Aus dessen Munde klärte sich nun die wahre Lebens-Geschichte der Reuterin dahin auf:

 Sie war nach ihrer Mutter Tod 1789 ein Jahr lang bey ihrem Bruder gewesen, ihres unmäßigen Brannteweintrinkens wegen aber nicht langer behalten worden – verdingte sich nach Nürnberg, entlief aber nach etlichen Wochen – hielt sich im Winter 1790 bis 1791 auf dem Lichtenhof auf – wollte dann nach Cärnthen zu ihrer dort verheyratheten Schwester reisen, kam aber nur bis Salzburg, diente hierauf in der Gegend von Aschaffenburg eine zeitlang bey einem Bauern und verscholl endlich.

 Erwähnter Reuter erkannte nach den| ihm erzählten actenmäßigen Umständen die inhaftirte Reuterin für seine Schwester und die ihm vorgezeigte Handschrift für die ihrige. Sie war nie verheyrathet, von einem gewissen Studenten zwar geschwängert, aber nicht entführt worden. Vom Mediciniren hatte sie niemahls Kenntniß gehabt oder solches in ihrer Heimath zu treiben verlangt, niemahls hatte sie weder am Gehör noch an der Sprache gelitten. Sie hatte sich zwar im Herbst 1791 nach ihrer Zurückkunft von Aschaffenburg gegen ihren Bruder anfänglich gestellt, als ob sie durch einen Schlagfluß das Gehör verloren hätte, stand aber auf die ihr von demselben gemachten Zweifel und ernstliche Ermahnungen von dieser Verstellung wiederum ab.
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 Auffallend war es, daß einige Bürger zu Mt. Erlbach um die Befreyung dieser Betrügerin vom Arrest und um deren Schutz bey höchster Landesstelle mit diesen Ausblicken baten: „Reuterin sey eine im Curiren „sehr geschickte Frau – deren Ruhm in „der Gegend erschölle, so daß viele Leute kämen, welche sich geholfen wissen wollten, und da sie im s. h. Urinsehen sehr große Geschicklichkeit besitze und jedermann zur allgemeinen Zufriedenheit gedienet habe, auch| ihre ordinirte Arzneymittel von erwünschter Wirkung wären, so wäre der Neid des Ortsbaders, des Physikars Neustadt, des Baders zu Wilhermsdorf und des Physikars Langenzenn sehr groß. – Sie könne keine Betrügerin seyn, weil sie nie mehr als 6 Kr. für Urinsehen genommen und Ordinationen unentgeldlich gethan habe.“

 Die Bürger Mt. Erlbachs führten noch zum Zeugniß ihrer ganz besondern Geschicklichkeit an, daß des Fleischmanns Ehefrau Besserung spüre, – des Schultheissen von Ober-Ulsenbach Tochter von der Epilepsie befreyet, – ein Mann, der an der hitzigen Krankeit ganz rasend war, hergestellt, – einem Eheweib, das durch Kinderhaben verdorben war, geholfen sey, – noch weit mehrere Proben könnten beygebracht werden – und baten daher um Befreyung und Schutz für diese Wunderärztin.

 Allein endlich ergab sich, daß auch diese Supplik ein betrügerisches Weiberwerk war. Die Fleischmännin erhielt sie von Wilhermsdorf zugeschickt, und auf dieser ihr Begehren unterschrieben solche andere Weiber in ihrer Männer Namen, ohne daß man ihnen etwas davon vorgelesen hatte.

 Abermahls wurde daher Reuterin des| Landes verwiesen und an die Gränze geschafft. – Sie hielt sich noch im Jun. d. J. auf der Mühle zu Steinbach im Teutschord. auf, wurde aber auch von da fortgeheissen, so bald das Teutschord. Amt Virnsberg von ihren Betrügereyen aus den Gerichtsacten belehrt worden war. Noch vor kurzem im M. December trieb sie ihr Wesen in dem ritterschaftlichen Orte Rüglanden. Möchte doch irgend eine Policey sie dahin bringen lassen, wo sie hingehört – in ein Zuchthaus.

 Ein merkwürdiges aber trauriges Beyspiel, wie wenig das abergläubische und unwissende Landvolk auf seine Gesundheit aufmerksam und wie nöthig es sey, daß solches wohl unterrichtet werde, erprobte Arzneymittel gegen seine Krankheiten zu gebrauchen, und sein Leben nicht der Unwissenheit ungelehrter Betrüger Preis zu geben.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Februar