Die Gartenlaube (1863)/Heft 24
Es war ein lauschiges, mit dem modernen Luxus ausgestattetes Parterrezimmer, in welchem ein junges Paar saß. Sie hatte den Sitz neben einem der hohen Fenster inne und blickte, das Kinn leicht in die weißen Finger gestützt, über die dem Blicke sich bietenden Wiesen und Felder nach dem Walde hinüber, in welchem die goldigen Lichter der untergehenden Sonne zu spielen begannen. Er hatte sich auf einem Stuhle unweit von ihr leicht zurückgelehnt und schien mit halb zusammengezogenen Augenbrauen ihre Züge zu beobachten. Sie ließ in ihrer äußeren eleganten Erscheinung die Herrin des Hauses errathen, während dennoch das weiche, von einem Reichthum blonder Haare umrahmte Gesicht kaum zum Befehlen geschaffen schien und bisweilen sogar, wie ihre Gedanken kamen und gingen, einen leisen Zug von Gedrücktheit zeigte. Er verrieth in seiner Kleidung den Oekonomen, aber die fehlende Eleganz ersetzte eine untadelhafte Sauberkeit; seine Hände sprachen von eigener Arbeit, aber waren verhältnißmäßig kein, und in dem sonnengebräunten Gesichte standen ein Paar dunkele, glänzende Augen.
„Du sprichst heute so wenig – hast Du Verdruß gehabt, Fritz?“ wandte sie, wie sich ihren Gedanken entreißend, sich mit einem Versuche zu lächeln nach ihm.
„Es wird gut sein, Anna, Du hörst mich gar nicht mehr sprechen!“ erwiderte er langsam, ohne seine Stellung zu ändern.
Sie hob aufmerksam den Kopf, und ein leichter Farbenwechsel belebte einen Moment ihre bleichen Züge. „Warum, Fritz?“
„Weil die Leute über meine Besuche hier reden und ich nicht die Schuld an einer einzigen trüben Stunde für Dich haben mag.“ Er erhob sich rasch, fuhr mit der Hand über seine Stirn und wollte nach seinem bei Seite gestellten Hute greifen, aber ihre Entgegnung schnitt seine Bewegung ab.
„Warte einen Moment!“ sagte sie, wie fast erschrocken über seine Aeußerung ihren Sitz verlassend, „was können die Leute reden?“
Er schüttelte langsam den Kopf, ohne sie anzublicken. „Laß es, Anna,“ erwiderte er, „sie werden keine Ursache mehr dazu finden.“
„Aber ich muß wissen, was sie sagen, Fritz,“ drängte sie, während ein leichtes Roth in ihre Wangen stieg, „halbe Worte sind eine Qual, und ich sehe keinen Grund, der mich um die freundliche Stunde bringen könnte, die mir Deine Anwesenheit schafft. Wir sind Nachbarskinder und mit einander aufgewachsen – was können die Leute reden, Fritz?“
Er hob langsam den Blick, ihn zwei Minuten schweigend in dem ihrigen haltend, und der Ausdruck desselben schien plötzlich eine Ahnung in ihrer Seele zu wecken – ihr klares, blaues Auge ward dunkler und unsicher, und das Roth in ihren Wangen stieg höher. „Sie sagen,“ begann er mit einer leichten Dämpfung seiner Stimme, als traue er deren Festigkeit nicht, „daß ich Dir als Mädchen nachgegangen sei, und daß es wohl auch zu Weiterem zwischen uns gekommen wäre, wenn nicht meiner Mutter Bruder mich so schnell zu sich gerufen hätte. Nun, da ich Dich verheirathet wiedergefunden, könne die fernere genane Bekanntsehaft kaum zu etwas Gutem führen – und ich denke selbst,“ setzte er mit seiner sinkenden Stimme hinzu, „sie haben Recht, so weit es wenigstens mich angeht!“
„Aber es ist nicht wahr, Fritz!“ erwiderte hastig die junge Frau, aus deren Zügen plötzlich jede Spur von Roth gewichen war, während in ihrem Auge ein Ausdruck von Aengstlichkeit aufstieg.
„Was ist nicht wahr, Anna?“
„Daß Du mir jemals ein Wort gesagt hättest, was über unsere Kinderfreundschaft hinausgegangen wäre!“ Ihr Auge ruhte in eigenthümlicher Spannung in dem seinen, und er senkte den Blick.
„Ich war eben zu feig dazu, Anna,“ erwiderte er halblaut, „ich wollte noch in der letzten Stunde, als ich weg mußte, zu Dir reden, und vermochte es doch nicht! Aber es wäre ja auch umsonst gewesen,“ fuhr er aufblickend fort, während es wie eine aufsteigende Erregung in seinem Tone zitterte, „Du hättest ja das, was fremde Leute sahen, am ersten fühlen und die wenigen Monate auf mich warten müssen, wenn ich ein Recht zu einer Hoffnung gehabt. Ich habe mir das gesagt, als ich zurückkam, und gemeint, wenigstens das frühere Kinderverhältniß zwischen uns herstellen zu können; aber das ist für die Menschen vorüber, wie für mich auch, und darum laß mich gehen, Anna – sprechen aber mußte ich noch einmal zu Dir, damit Du mich verstandest!“
Sie stand vor ihm, mit großen, starr gewordenen Augen, mit bleichen, regungslosen Zügen, und als er jetzt die Hand zum Abschied nach ihr ausstreckte, zuckte es nur wie eine plötzliche Schmerz-Empfindung um ihren Mund und das weiche Kinn. Dann aber drehte sie sich hastig weg und trat an’s Fenster. Er blickte ihr befremdet nach; in der nächsten Minute aber ging ein Zug von Bitterkeit über sein Gesicht. „Ich hätte auch das nicht aussprechen sollen, und jetzt am wenigsten, nicht wahr?“ sagte er „aber es ist ja damit auch Alles vorbei, soweit es Dich betrifft und darum darfst Du mir schon noch einmal Deine Hand geben.“
[370] „Ja, damit ist Alles vorbei, Fritz, bis auf das Elend, in das Du uns Beide gebracht hast!“ erwiderte sie, sich langsam zurückwendend, und die Worte klangen wie mühsam einem innern Drucke abgewonnen. „Warum konntest Du gehen, ohne ein Wort des Abschieds von mir, das wohl die Lippen gelöst hätte? Jetzt will ich es aussprechen, da doch nichts mehr zu ändern ist: ich habe damals geweint drei Nächte lang über meine betrogenen Erwartungen und habe doch immer noch gehofft, daß mir Jemand ein Wort von Dir bringen sollte, bis ich auch diese letzte Hoffnung begraben mußte. Und als nun der Amtsrath mit seiner Werbung um mich kam, als mir Vater und Mutter zusprachen, da galt es mir ziemlich gleich, was mit mir geschah; als ein Trost aber erschien es mir, daß der Mann, dem ich gehören sollte, schon in die Jahre war und nicht mehr von mir fordern konnte, als ich zu geben vermochte. Ich habe in seinem Hause freilich nicht einmal die Ruhe gefunden, an die ich geglaubt, und als Du zurückkehrtest, meinte ich zuerst, das Herz müsse mir brechen. Was ist denn Alles das aber gegen die Zeit, die nun kommen wird, von der mir jeder Tag und jede Stunde sagen muß, daß ich selbst meinem Glücke aus dem Wege gegangen; wo das ganze Elend erst über mich kommen wird, da ich weiß, daß Alles hätte anders sein können? – Ja, geh’, Fritz, geh’!“ rief sie in hervorbrechendem Schmerze, die Hand abweisend gegen ihn ausstreckend, „und möge Gott uns Beiden gnädig sein!“
In seinem Gesichte aber war bei ihrer Rede das Blut gekommen und gegangen, sein Kopf hatte sich gehoben und in seine Augen war ein neues, eigenthümliches Leben getreten. „Halt, um Gotteswillen, Anna!“ rief er, wie in aufwallender Erregung nach ihrer Hand fassend, „so darf ich jetzt nicht gehen!“ Einen Augenblick schien sie sich freimachen zu wollen, aber als fürchte er, daß sie ihm entschlüpfen möge, hatte er sie kräftig an sich angezogen, und in ausbrechendem Weinen, wie von aller Kraft verlassen, fiel sie in seine Arme.
„Muth, meine Anna, Muth!“ rief er, sie fest an sich schließend, „hier muß sich noch ein Rettungsweg für uns finden lassen!“ Kaum aber mochte sie der überwältigenden Aufregung Herrin geworden und zum Bewußtsein ihrer Lage gekommen sein, als sie sich leise seiner Umschlingung entwand, dann aber seine Hand faßte und mit dem Ausdrucke unsäglicher Traurigkeit in seine Augen blickte.
„Geh, Fritz, geh – es ist Alles zu spät,“ sagte sie, „und so laß uns ferner einander aus dem Wege bleiben!“
Von außen klang in diesem Augenblicke der Hufschlag eines Pferdes, und sie fuhr erschrocken auf, faßte nach ihrem auf dem Seitentische liegenden Taschentuche und drückte es gegen die nassen Augen. Er aber trat nach einem kurzen Blicke durch das Fenster ihr rasch nach. „Es ist nur der Doctor!“ sagte er hastig; „laß mich nicht so von Dir gehen, Anna! Nur der Tod scheidet hoffnungslos – soll denn ein Mißverständniß mit dem lebenslangen Elende zweier Menschen bestraft werden? Nur eine ungestörte Stunde zum ruhigen Aussprechen, und es kann noch Vieles gut werden – heute Abend, wenn Alles schläft, will ich hinten im Obstgarten sein und Dich erwarten –“
Er erhielt keine Antwort, denn eine dicke, lachende Stimme ward vor der Zimmerthüre laut: „Stillgehalten! brennender Kopf – scheues Auge – allgemeine Unruhe! Schlimme Zeichen, die einen schleunigen Aderlaß erfordern –!“ Der leise Schrei einer weiblichen Stimme ließ sich hören, und von dem frühern behaglichen Lachen begleitet, öffnete sich die Thür, um eine kurze, untersetzte Figur, mit Hut und Reitgerte in der Hand, ein joviales, wohlgenährtes Gesicht unter einem Busche eisgrauer Haare zeigend, einzulassen. Einen kurzen Moment nur flogen die hellen, scharfen Augen beim Erblicken der beiden Anwesenden über die erregten Gesichter derselben, während sich eine leichte Falte zwischen den grauen Augenbrauen bildete; dann schwenkte er in kurzem Gruße die Hand gegen den jungen Mann und wandte sich nach der Hausherrin.
„Ihre Christine, Frau Amtsräthin, scheint eine heimliche Last auf dem Herzen zu haben,“ sagte er launig, „sie stand dicht an der Thür, als wage sie nicht einzutreten, und wollte bei meinem Erscheinen mit kirschrothem Gesichte davon –“
„O, sie hat gehorcht?!“ entfuhr es der Angeredeten wie in einem plötzlichen Schrecken; aber schon im nächsten Augenblicke trieb ihr die Erkenntniß ihrer Uebereilung das Blut in die Wangen.
„Gehorcht!“ lachte der Eingetretene, Hut und Gerte bei Seite legend, ohne die sichtliche Bewegung der jungen Frau zu beachten, „müßte doch in einem Hause wie das Ihre ein langweiliges Geschäft sein! – Das also ist Herr Fritz Rothe?“ wandte er sich dann an den jungen Mann, „der schon seit acht Tagen wieder in seiner Eltern Hause ist, ohne nur einmal nach seinem besten Freunde, dem Doctor, gesehen zu haben. Hat man sich vor einem guten Rathe des Alten gescheut, wie vor Zeiten als Junge, wenn man auf irgend einen Streich aus war?“
Es war ein eigenthümlicher Ton von halbem Ernst in den Worten, welcher durch den hörbaren Humor derselben klang; als aber der junge Mann, merkbar eine leichte Verlegenheit unterdrückend, ihm mit einem: „Es ist wahrscheinlich bis jetzt ohne meine Schuld geschehen, Doctor!“ die Hand reichte, fiel dieser mit kräftigem Handschlage wieder in sein früheres Lachen.
„Ob er nicht wirklich thut, als ob so ein Alter auch noch einen Anspruch haben könnte!“ – dann indessen wandte er sich, sein Gesicht langsam in ernstere Falten ziehend, wieder nach der jungen Frau. „Wie steht es mit unserem Amtsrathe – noch viel Beschwerden?“
„Er ist seit Mittag aus dem Hause und schien völlig munter!“ erwiderte die Angeredete, ohne noch ganz eine leichte Befangenheit, in welche sie das Wesen des Arztes versetzt zu haben schien, von sich streifen zu können.
„Aus dem Hause – völlig munter,“ nickte der Alte, „freut mich um Ihretwillen, Frau Amtsräthin; es ist ein langweiliges Geschäft für eine junge Frau, Krankenwärterin zu sein. Indessen giebt es doch etwas, das über allen Freuden und Lockungen dieser Welt steht und selbst eine junge Frau für alle Entbehrungen zu entschuldigen vermag, etwas, ohne welches auch so ein armer Landarzt, wie ich, gar nicht bestehen könnte und von dessen wunderbarem Segen ich aus eigener Erfahrung zu erzählen weiß – das ist das Bewußtsein getreuer Pflichterfüllung. Man muß nur den ersten Kampf mit den süßen Versuchungen rechts oder links, die einen Menschen vom richtigen Wege ablenken möchten, siegreich bestanden haben, um eine Genugthuung kennen zu lernen, von der so Viele, die nur immer dem nachgehen, was ihnen gut schmeckt, niemals eine Vorstellung bekommen – o, das ist dem jungen Menschen hier langweilig!“ unterbrach er plötzlich lachend seinen bis dahin ernsten, fast weich gewordenen Ton, als Rothe nach seiner bei Seite liegenden Kopfbedeckung griff, „glaub’s gern, es ist eben nicht Jedermanns Geschmack und wird oft erst unter Schmerzen gelernt; darum wollen wir die Sache auch fallen lassen, und wenn Herr Rothe heimreitet, machen wir unsern Weg zusammen!“ Es war, neben dem lustigen Ausdruck in des Sprechers Gesicht, ein so bedeutungsvoller Blick, welcher den Angeredeten traf, daß dieser, trotz einer bereits begonnenen ablehnenden Bewegung, nicht den Muth zu haben schien, die ausgesprochene Voraussetzung des Alten zu verneinen; nur ein rasches Ergreifen von Annans Hand und ein leises dringendes: „Heute Abend nach elf!“ wagte er, als der Doctor fast wie absichtlich Beiden den Rücken drehte und nach Hut und Gerte griff; vergebens aber suchte der junge Mann nach einem antwortenden Ausdrucke in dem Auge der jungen Frau; ein scheuer Blick nach dem Alten war Alles, worauf er traf, und zugleich fühlte er in fast ängstlicher Hast ihre Finger seiner Hand entschlüpfen. Des Doctors launiges: „Los denn, daß ein alter Freund auch einmal eine Viertelstunde von Ihnen hat!“ schnitt jeden weiteren Versuch zu einer bestimmten Verständigung mit ihr ab, und nothgedrungen folgte er, nur noch einen einzigen bittenden Blick in Anna’s Augen senkend, dem Alten nach dem mit Kies bestreuten Vorplatz des Hauses, wo neben dem Pferde des Letztangekommenen das seinige angebunden stand. Wie in bitterem Unmuthe schwang er sich auf sein Thier, während der Doctor bedächtig sich in dem Bügel erhob und von der zögernd nachtretenden Hausfrau sich mit einem lachenden: „Lassen Sie mir die Christine nicht außer Acht, Frauchen, sie hat Neigung zu einer ganz gefährlichen Krankheit!“ verabschiedete, und in der nächsten Minute hatten Beide durch das offene Gitterthor die Landstraße erreicht, welche in der einen Richtung sich nach dem im Grunde liegenden Dorfe hinabzog, in der andern, welche die Reiter einschlugen, sich durch die Felder nach dem Walde hinüber schlängelte.
Beide verfolgten schweigend neben einander den Weg. Der Doctor ließ die klaren, scharfen Augen ringsum über die Gegend schweifen, während seine beweglichen Züge jedem seiner Gedanken, wie er aufstieg und wieder ging, Ausdruck zu geben schienen – [371] um seinen Mund sich bald ein sinnendes, trauriges Lächeln legte, bald wie eine Erinnerung ein Zug lachenden Humors über sein ganzes Gesicht zuckte, bald seine Stirn sich wie in tiefer Sorge bewölkte.
Der junge Mann neben ihm schien nur einem einzigen Ideengange nachzuhängen, blickte entweder starr in’s Weite, oder mit finster zusammengezogenen Brauen auf den Sattelknopf vor sich; aber wie ihm seines Begleiters Schweigen fast erwünscht zu sein schien, so ließ sich auch an dem Doctor kaum eine Beachtung der schweigsamen Stimmung seines Gesellschafters wahrnehmen. Erst als Beide die volle Höhe unweit des Eingangs zum Walde erreicht, warf der Alte einen raschen, scharfen Blick über die ganze Umgebung, zügelte dann plötzlich sein Pferd zu langsamerem Gange, daß der Andere wie unwillkürlich aufsah, und sagte dann mit dem vollen Tone warmer Zuneigung. „Fritz, mein Junge, laß uns einmal wie in alten Zeiten reden – was thust Du noch da drüben, wo ich Dich soeben herausgeholt habe?“
Ein rascher Farbenwechsel ging über des jungen Mannes Gesicht. „Was soll ich anders thun, Doctor,“ sagte er, sich augenscheinlich zu einem Tone von Verwunderung zwingend, „als einen einfachen Besuch machen? Sind die Anna und ich nicht Nachbarkinder gewesen von Jugend auf?“
„Nenne mich doch Onkel, Fritz, wie Du’s auch in den letzten Jahren noch manchmal gethan,“ erwiderte der Andere ruhig. „Du sprichst dann vielleicht aufrichtiger und vertrauungsvoller zu mir. Es ist mir gerade so, als müßtest Du einen guten Freund jetzt recht nöthig haben!“ Das Auge des Sprechers blitzte so forschend zu seinem Begleiter hinüber, daß dieser wie unwillkürlich den Blick senkte. „Es wird Dir wahrscheinlich schwer, mein Junge, das rechte Wort gegen einen alten Menschen, wie ich bin, zu treffen,“ fuhr jener nach einer kurzen Pause mit einem leichten Kopfnicken fort, „und weißt Du, ich habe auch zuletzt Deine Bekenntnisse gar nicht nöthig. Du siehst die Frau Amtsräthin gerade mit denselben Augen an, wie früher die Anna als Mädchen, da steckt Alles darin – hast Du Dich denn aber wohl schon einmal gefragt, was Du mit Deinen fortdauernden Besuchen anrichten kannst? Hast Du denn schon ein einziges Mal Dich über Deine eignen still begehrlichen Gedanken erhoben und an die Lage des armen jungen Weibes gedacht, das wahrlich alle seine Kraft nöthig hat, um den Muth zu einer getreuen Pflichterfüllung nicht zu verlieren, und nicht erst neu hervorgerufener Kämpfe bedarf, um ihre Stärke zu erproben? Wir kennen uns, Fritz, und ich weiß ja wohl, daß nichts vorbedacht Unrechtes hinter Deinen Wegen steckt, aber jeder besonnene Mensch fragt sich doch bei seinem Handeln: wohin kann das zuletzt führen? Willst Du, wenn einmal die Rederei der Leute Dich zum Einstellen Deiner offenen Gänge zwingt und Du dann vielleicht nicht mehr Herr einer verbotenen Leidenschaft in Dir bist, auf heimlichen Wegen ein armes Wesen ruiniren, das möglicherweise nicht die Kraft zum Widerstande Dir gegenüber hätte?“
Rothe hob langsam den Kopf und begegnete mit einem stillen, dunklen Blicke dem eindringlichen Auge des alten Arztes. „Meinen Sie nicht, Onkel,“ erwiderte er in eigenthümlich tiefem Klange seiner Stimme, „daß ganz sonderbare Verhältnisse stattgefunden haben müssen, wenn ein junges, schönes Mädchen, das nichts von Sucht nach Reichthum oder nach einer besondern Stellung gewußt, sich einem Menschen zum Weibe gegeben, der außer seinem Gelde kaum mehr als den Ruf eines alten Sünders aufzuweisen hat? und meinen Sie nicht, daß solche besondere Verhältnisse auch eine ganz andere Betrachtung der Dinge, als wie sie im gewöhnlichen Leben gilt, zulassen könnten?“
Der Doctor hielt plötzlich sein Pferd an und sah seinem jungen Begleiter, der wie unwillkürlich seinem Beispiele gefolgt war, starr in das Gesicht. „So weit also schon?“ stieß er hervor, während sich seine ganze Stirn in eine Sorgenwolke hüllte. „Klar vorbedacht also!“ Er schüttelte kurz und energisch den Kopf, während er seinem Pferde wieder den Zügel ließ, und mehrere Minuten lang verfolgte er wortlos, die zusammengezogenen Augen gerade in’s Weite gerichtet, die Straße. „Willst Du mir wohl etwas von Deiner besondern Betrachtung der Dinge sagen?“ unterbrach er dann, den Kopf unzufrieden herumwerfend, das Schweigen, „weißt Du vielleicht etwas Anderes, als daß hier eine rechtsgültige Ehe besteht, glücklich oder unglücklich, kommt dabei gar nicht in Rechnung, die durch sich selbst jede Hoffnung für einen Dritten ausschließt und deren Betrachtung von einem andern Standpunkte als dem des gewöhnlichen Laufs der Dinge zu nichts als zum Verbrechen führen kann?“
Ein tiefer Schatten ging über das Gesicht des jungen Mannes. „Wir wollen die Sache fallen lassen, Doctor!“ versetzte er, kalt gerade ausblickend, und der Alte nickte wie in stillem Aerger.
„Konnte mir das schon denken,“ sagte er, „es ist aber noch immer ein schlimmes Zeichen gewesen, Fritz, wenn eine Sache die gerade Wahrheit nicht hat vertragen können!“
Vom Walde her war soeben ein junges Bauernweib, einen Handkorb am Arme, auf die Straße heraus getreten, und über Rothe’s Gesicht schoß bei ihrem Erblicken ein Strahl von Genugthuung, während dennoch seine Lippen sich verächtlich kräuselten. Es war eine kräftige, hochgewachsene Gestalt mit stechenden schwarzen Augen, und der herausfordernde Blick mit welchem sie die herankommenden Reiter musterte, paßte ganz zu einer eigenthümlichen Selbstständigkeit und Freiheit, welche ihren Gang und ihre Bewegungen bezeichneten. „Kennen Sie die Person dort, Doctor?“ fragte der junge Mann halblaut.
Der Alte blickte seitwärts, als wolle er von der Begegnung nicht die geringste Notiz nehmen, durch seine Züge aber ging es wie eine halbunterdrückte Verlegenheit. In der nächsten Minute hatten Beide die Frau passirt und bogen in den Wald ein. „Ja, Doctor,“ begann jetzt Rothe, „das war die eigentliche Frau Amtsräthin, wenn auch nicht in rechtmäßiger Ehe, und soll noch heute sich ganz bestimmter Rechte erfreuen. Das arme Opfer aber, welches der alte Sünder sich als Krankenpflegerin, als Wärterin für seinen abgenutzten Körper gekauft, soll nicht einmal das Recht haben, einen Jugendfreund zu empfangen! – Gut, Doctor,“ fuhr er wie in aufsteigender Erregung fort, „ich will Ihrer Anschauungsweise der Dinge folgen, ich werde Anna nur noch ein einziges Mal sehen, aber sagen Sie mir, der Sie diesen Menschen genauer kennen müssen, als er sich selbst: auf wie viele Jahre kann es ein solcher gemißbrauchter, in allen Fugen loser Lebensmechanismus noch bringen? – Warten Sie einen Augenblick, damit Sie mich nicht wieder verurtheilen,“ setzte er rasch hinzu, als des Arztes Augenbrauen sich zusammenzogen und dieser einen Ansatz zum Sprechen machte. „Sie wissen Zweierlei noch nicht, und dieses sage ich allein dem guten Freunde, der Sie mir haben sein wollen. Als ich hier wegging,“ fuhr er langsamer fort, „wußte ich nicht, daß sie, deren Herz ich mir so gern erobert, wenn ich nicht ein feiger Tropf gewesen wäre, schon längst an mir gehangen. Drei Nächte lang hat sie geweint, daß ich ohne das rechte Wort von ihr gegangen war, und hat gemeint, sie habe in mir sich selbst betrogen. So etwas mag schon im Leben passiren und ohne besondern Schaden vernarben, wenn nur nicht hinterdrein, wo es zu spät ist, eine Stunde kommt, die klares Licht bringt und Beiden ihr selbstgeschaffenes Elend erkennen läßt. Als Sie aber heute auf des Amtsraths Gute anlangten, Doctor, da traten Sie mitten in eine solche Stunde, da wußten wir Beide, woran wir mit einander waren, da hatte die halbe Verzweiflung über ein ganzes verscherztes Lebensglück unsere Seelen gefaßt, da wußte ich aber auch und hatte es ausgesprochen, daß ein Mensch um eines einzigen versäumten Wortes willen nicht zeitlebens elend sein darf. So, Doctor, und nun reden Sie, wenn Sie mir noch etwas zu sagen haben – verlangen Sie von mir, ich soll noch fünf Jahr warten, und ich will warten, wenn Sie sicher sind, daß sie dann frei ist – ich spreche sie noch heute Abend, und sie wird geduldig ausharren wie ich selbst; sagen Sie mir aber nichts mehr von dieser rechtsgültigen Ehe, die jede Hoffnung vernichtet; sie kommt mir vor, wie die Verurtheilung eines unschuldigen Menschen, der um eines verspäteten Zeugen willen verdammt bleiben muß, da einmal das Urtheil gesprochen worden!“
Der alte Arzt blickte starr in die Bäume vor sich, ohne zu antworten; aber Rothe schien auch mehr um seiner eigenen Erleichterung willen gesprochen, als eine Gegenäußerung erwartet zu haben. Schweigend und finster verfolgte der Letztere neben seinem Begleiter die Straße, bis nach kurzer Zeit der Wald zu beiden Seiten zurücktrat, im Grunde ein langgestrecktes, freundliches Dorf sichtbar ward und der Weg sich theilte. Hier hielt der Alte sein Pferd an, wandle langsam den Kopf nach dem jungen Manne und reichte ihm die Hand. „Fritz,“ sagte er mit einem vollen Ausdruck der Sorge, „laß den Teufel nicht Herr werden über dein klares Gewissen! Wer eines Andern Eigenthum begehrt, ist auch nur einen Schritt vom Diebstahl entfernt, und wer eines Menschen Tod zur [372] Stufe für sein Glück macht, weiß nicht, was er in seiner Leidenschaft begehen mag. Im Uebrigen tröste und leite Dich Gott, mein Sohn, und solltest Du einmal fühlen, daß ein ehrlicher treuer Kampf für ein reines Gewissen doch allein das Rechte für einen wahren Mann ist, so komm zu Deinem Onkel, er wird Dir als treuer Freund zur Seite stehen und Dir eine Genugthuung kennen lehren, größer als Dein heißes Blut sie Dir jemals geben könnte!“ Er nickte zweimal dem jungen Manne freundlich und dennoch mit dem Ausdruck unverhehlter Bekümmerniß zu und ließ dann sein Pferd in die Straße einbiegen, welche nach einer kleinen Zahl abgesonderter Besitzungen an der jenseitigen Anhöhe führte.
Es war sieben Uhr am nächsten Morgen, und der Doctor schritt langsam aus seinem in der ganzen Pracht des Sommers prangenden Garten der Hinterthür seines kleinen Hauses zu, wo die alte Haushälterin bereits zum zweiten Male gerufen, daß der Kaffee kalt werde, als er eine Gestalt mit abgetragener Soldatenmütze, einen kräftigen Stock in der Hand, mit dem Ausdruck vollen Amtseifers auf sich zukommen sah. „O, der Flurschütz von drüben!“ sagte er kopfnickend, nachdem er, einen Augenblick stillstehend, den Herankommenden erkannt, „etwas Besonderes bei Euch?“
„Ich denk’s, Herr Doctor,“ versetzte der Angeredete; „sie haben heute Morgen den Herrn Amtsrath erschlagen im Obstgarten aufgefunden; der Herr Justitiar hat gleich nach dem Gericht in der Stadt geschickt, vorläufig aber selbst die nothwendige Untersuchung vorgenommen und wünscht, wenn auch dem unglücklichen Herrn nicht mehr geholfen werden kann, daß der Herr Doctor sogleich hinüber käme, um über die besondere Art des Todes ein Gutachten abzugeben.“
Der alte Arzt stand mit weit aufgerissenen Augen und völlig starren Zügen, als habe er einer Medusa in’s Antlitz geblickt; zwei Mal zuckte es um seinen Mund, als wolle er fragen und vermöge doch nicht das rechte Wort zu finden; dann wandte er sich plötzlich ab und rief mit einer Stimme, die auf wunderliche Weise in die Fistel überschlug: „Jakob, mein Pferd, aber rasch!“ und als er hinter den Sträuchen des Gartens eine breite Gestalt auftauchen sah, die mit einem „Gleich, Herr Doctor!“ die Hacke bei Seite stellte, schritt er in Hast, als habe er den Boten neben sich völlig vergessen, nach dem Hause.
Zwei Minuten darauf aber, als eben der „Flurschütz“ mit der Hand unter seine Mütze fuhr und zu überlegen schien, ob er so ohne Weiteres den Heimweg wieder antreten solle, erschien die wohlgenährte Gestalt einer ältlichen Frau in dem Eingange zum Garten und winke ihm hastig zu, heran zu kommen. „Sie trinken doch eine Tasse Kaffee, oder nehmen eine Magenstärkung?“ sagte sie halblaut, als Jener dem Winke bereitwillig Folge geleistet; „was ist denn das um Gotteswillen für eine Bestellung, die Sie gebracht, ich habe ja doch den Doctor in den letzten zehn Jahren noch nicht so confus gesehen?“
In der nächsten Viertelstunde trabte der Arzt auf seinem Klepper bereits dem Walde zu, und das runde Thier schüttelte oft unwillig den Kopf, wenn es immer wieder scharf die Gerte fühlte, sobald es bei dem aufsteigenden Wege den Versuch zu einem langsameren Schritte machte. Als der Alte endlich auf dem Vorplatz des Hauses, das er am Abend zuvor noch in vollem Frieden verlassen, abgestiegen war und, wie um sich zu sammeln, sich die heiße Stirn wischte, trat ihm von den Stufen der Hausthür langsam ein städtisch gekleideter Mann entgegen, der, wie unter einem Gewicht von Sorgen, sich in dem buschigen grauen Haare wühlte.
„Kommen Sie einen Augenblick mit mir, Doctor, ehe wir zur Hauptsache schreiten,“ sagte dieser, „ich möchte ein paar besondere Worte mit Ihnen reden, bevor der Gerichts-Commissar aus der Stadt hier ist.“
Der Doctor nickte, als treffe er nur auf die Bestätigung eines eigenen Gedankens, und folgte dem Voranschreitenden nach demselben Zimmer, in welchem er Tags zuvor die Hausherrin mit seinem jungen Freunde gefunden. „Doctor, wir haben hier einen ganz entsetzlichen Fall, und doch sträubt sich noch Alles in mir, an das zu glauben, worauf einzelne Zeugenaussagen bereits klar schließen lassen,“ begann Jener, sich mit einem raschen Strich über sein Gesicht auf einem der Stühle niederlassend, „ich will kurz die Hauptsachen des Geschehenen resumiren, dann sagen Sie mir, was der schlichte Verstand eines Nicht-Juristen daraus schließen würde, und vielleicht ändert sich dadurch eine Ueberzengung in mir, die zu Maßregeln führen müßte, gegen die sich Alles, was rein menschlich in mir ist, empört!“
Der Arzt neigte wie unter einem harten Drucke sein Haupt. „Sprechen Sie, Herr Jutstitiar!“ sagte er, langsam und schwer von dem nächsten Stuhle Besitz nehmend.
„Es war heute Morgen nach vier Uhr,“ begann der Andere, die Stirn in die Hand legend und den Ellbogen auf das Knie stützend, „als mich der Verwalter mit der Nachricht weckte, daß soeben der Amtsrath todt im Obstgarten gefunden worden sei. Als ich in Hast mich nach dem bezeichneten Platz begeben, fand ich das Folgende: Der unglückliche Mann, welchen noch Niemand hatte berühren wollen, lag zum Theil auf seinem Gesichte in einer Lache von geronnenem Blute; er war in dem Anzuge, welchen er bei seinen Ausgängen trug, sein Hut fand sich unweit von ihm, und es ließ sich vermuthen, daß er bei seiner Heimkehr Nachts auf seinen Mörder getroffen, oder daß dieser ihm aufgelauert. Als wir den bereits völlig steifen Körper zum Transport in das Haus aufgehoben hatten, fand sich hart daneben ein nur theilweise vom Blute besudelter gemslederner Reithandschuh, den ich zu kennen meinte, wenn ich auch im Augenblicke nicht sofort wußte, wohin in meinem Gedächtnisse damit; daß er dem Amtsrathe nicht gehören konnte, ging schon aus dem Mißverhältnisse zwischen dessen breiter Hand und der geringen Größe des betreffenden Objects hervor. Ich nahm den Fund an mich; was aber eine weitere Nachforschung an Ort und Stelle bot, war fast mehr geeignet, aus dem Falle ein völliges Räthsel zu machen, als einen Anhalt für die kommende Untersuchung zu geben. Der Todte hatte seine Uhr und Börse noch bei sich, eine Beraubung als Motiv für die That konnte also nicht angenommen werden; das Gras, in welchem er lag, ließ nirgends ein Zeichen sehen, daß ein Kampf stattgefunden hätte oder auch nur vielfache Tritte gethan worden wären, und daß der Ermordete auf das Gesicht gefallen, ließ nur auf einen raschen, unerwarteten Angriff in seinem Rücken schließen, wie sich dies auch, als wir den Unglücklichen gereinigt und entkleidet, durch eine breite, augenscheinlich von hinten beigebrachte Stichwunde in der Seite zu bestätigen schien. Wem aber konnte, soweit ein Vertrauter des Amtsraths, wie ich es war, zu denken vermochte, soviel an dem Tode dieses Mannes liegen, daß er zu einem nächtlichen Meuchelmord seine Zuflucht nahm? Was auch Schlimmes an ihm sein mochte, so war doch seine Weise: zu leben und leben zu lassen, nirgends danach angethan, ihm einen so verzweifelten Todfeind zu verschaffen, wenn nicht ganz besondere, noch kaum geahnte Verhältnisse ihm einen solchen erworben!“
Es ist nur ein schmaler Streifen der Alpen, den die Natur dem Sennen zum Betriebe seines Berufs angewiesen hat. Bis zu 4000 Fuß über dem Meere hat sich fast überall die regelmäßige Bodenbewirthschaftung emporgerungen, und schon 1500 Fuß höher tritt ihm der ernste Geist der unwirthbaren Felsen, der unergiebigen Geröllhalden und der zerschründeten Gletscher mit seinem eisigen Hauche wehrend entgegen. Auf diesem kleinen Streif findet der eigentliche Gebirgsbewohner der Schweiz, der Senne, mittelst seines geliebten Alpenrindviehs seine Existenz und in den grünen saftigen Alpenkräutern das nöthige Futter für seine milchtragenden Kühe.
Wir wollen uns nicht in tiefgehende gelehrte Forschungen über die Abstammung des Alpenrindviehs einlassen; es mag uns genügen, daß unser ehrlicher Hausochse sich schon auf eine ganz respectable Ahnenreihe berufen kann, da sein Geschlecht weit über alle geschichtlichen Ueberlieferungen hinaufreicht. Einen eigentlichen schweizerischen
[373] Rindertypus giebt es auch streng genommen nicht einmal, wohl aber drei besondere, streng von einander abgegrenzte und von den Viehzüchtern mit besonderer Vorliebe vor Vermischung geschützte Hauptracen. Die erste dieser Racen ist der prächtige, auf den auswärtigen Viehausstellungen so sehr bewunderte Simmenthaler Schlag, im Simmenthal, der Landschaft Saanen und in einem Theile des Kantons Freiburg hauptsächlich verbreitet. Doch treten auch in jeder der eben genannten Arten noch leicht bemerkbare, charakteristische
Nüancen hervor. Das Simmenthaler Vieh ist meist weiß und rothgelb gefleckt, während dasjenige aus dem Kanton Freiburg mehr eine schwarz und weiße Färbung aufweist. Der ganze Schlag aber zeichnet sich durch einen prachtvollen Wuchs aus, ist weit im Auslande berühmt, erreicht durchschnittlich ein Gewicht von 5–6 Ctr., und ein charakteristisches Merkmal dieser Race ist ein kurzer, dicker, ochsenartiger Kopf. An Milchergiebigkeit steht sie über allen andern Racen, und übertrifft darin namentlich die ebenfalls weithin berühmte dunkelbraune Schwyzerrace, deren Mastochsen oft ein fabelhaftes Gewicht erreichen, so daß zuweilen Bursche von 3000 Pfund geschlachtet worden sind. Aehnlichkeit mit diesem Schlage hat auch derjenige von Appenzell, denn die Färbung ist fast dieselbe, jedoch erreichen die Kühe dieser Gattung nicht die Größe der erstgenannten. Weitere unbedeutendere Racenunterschiede aufzuzählen, würde uns hier zu weit führen. Im Allgemeinen kann angenommen werden, daß da, wo das Vieh auf steilen oder gar über der Holzgrenze liegenden Alpen seine Existenz fristen muß, seine Größe abnimmt, während es dagegen an Intelligenz, Klettergewandtheit und Muth sichtlich gewinnt. Selbst auf diese anscheinend nicht sehr hoch stehende Thiernatur wirkt der Hauch der Gebirgsluft, die ewige Nähe der Gefahr ähnlich, wie auf das Wesen des verwegenen Geisbuben, der sich über schwindelnd tiefem Abgrunde auf den schwanken Aesten einer Legföhre schaukelte und dem später der Pfarrer darüber eine ernste Mahnung zugehen ließ, die mit den Worten schloß: „Schau, Seppi, hätte Dein Schutzengel Dich nicht behütet, so hättest Du leicht Deinen Uebermuth mit dem Leben büßen können.“ „Oha, Herr Pfarrer,“ gab der kecke Taugenichts dem Geistlichen zur Antwort, „so weit hinaus wie ich wagt sich der Schutzengel nicht!“
Die Alpenkühe, fast ganz auf sich selbst angewiesen und von den Besitzern nur wenig gepflegt, wissen gar trefflich Bescheid in den Gebirgslabyrinthen, die ihnen zum Aufenthalte angewiesen sind, jede Quelle, jedes Wassertümpelchen ist ihnen bekannt, wenn sie ihren Durst löschen wollen, und sie verfehlen nie um die regelmäßige Zeit des Melkens sich auf die Lockstimme der Hirten auf dem Melkplatze einzufinden. Freilich wissen sie auch, daß sie um diese Stunde vom Sennen eine Hand voll Salz zu lecken bekommen, was für sie ein besonderer Schmaus ist. Besonders fein ist die Witterung der Kühe bezüglich der nahenden Hochgewitter, sowie sie auch mit großer Vorsicht die gefährlichen Stellen meiden und [374] sorglich ihre Jungen von denselben fern zu halten suchen. Freilich können sie nicht immer das Ausgleiten auf dem glatten, kurzen Rasen oder auf Geröllhalden, wo der Boden unter ihnen zu weichen anfängt, vermeiden. In solchen Fällen pflegen sie sich ruhig in ihr Schicksal zu ergeben, und mit geschlossenen Augen dem Abgrund entgegenzugleiten. Trifft es sich, daß ein glücklicher Zufall, eine hervorragende Wurzel oder ein Steinkamm den jähen Sturz aufhält, so warten die klugen Thiere gelassen und regungslos den Moment ab, bis der Senne sie aus der gefährlichen Situation erlöst.
Auffällig ist besonders der Ehrgeiz um den Rangstreit, der sich unter den Alpenkühen bemerkbar macht; keine englische Hauptmannsfrau ist eifersüchtiger auf den ihr gebührenden Vortritt vor der Frau des Oberlieutenants, als die sogenannte Heerkuh auf den ihrigen. Diese Heerkuh ist nämlich nicht nur etwa die Schönste, sondern auch die Stärkste unter all ihren Genossinnen. Beim Auffahren auf die Alm trägt sie die riesigste Schelle; keine andere würde sich die Unanständigkeit erlauben, ihr vorangehen zu wollen, und mit würdigem, stolzem Schritte folgt die übrige Aristokratie, die stärksten Häupter der Heerde, ein Jedes in seiner Rangordnung nach. Gelangt durch Kauf eine neue Bürgerin in diesen aristokratischen Staat, so muß sie erbarmungslos der Reihe nach mit allen ihren neuen Genossinnen kämpfen, damit ihre zukünftige Stellung entsprechend bestimmt werden kann. Da setzt es denn nicht selten stundenlange, gefährliche Kämpfe ab, bei denen noch von Glück zu sagen ist, wenn es mit Verlust eines Hornes abläuft und nicht gar eine der erbitterten Kämpferinnen die andere über den Rand des Abgrundes hinausstößt. Wird die bisherige Heerkuh in solchem Kampfe überwunden, so wird sie von tiefer Traurigkeit befallen und nicht selten krank.
Der Ochse wird gar oft zum Sinnbild der Dummheit gewählt, und allerdings dürfte die Behauptung, daß er zu den höheren Intelligenzen, zu den tiefern Denkern im Thierstande gehöre, eine etwas gewagte sein. Trotz alledem ist aber nicht zu leugnen, daß er in Bezug auf Galanterie eine recht mittelalterlich ritterliche Gesinnung hegt und selbst in seinem höchsten Grimme sich nie verleiten läßt, diesem Princip untreu zu werden. Um so erbitterter, ingrimmiger aber führt er den Kampf gegen Seinesgleichen. Einer der merkwürdigsten Kämpfe dieser Art fand im Jahre 1847 auf einer Grenzalp zwischen den Kantonen Freiburg und Waadt statt. Es war dieses in der Zeit, wo Schweizer gegen Schweizer sich zum blutigen Streite rüsteten, kurz vor dem Ausbruche des Sonderbundskrieges. Die Freiburger waren bekanntlich der Partei des Sonderbundes zugethan, während die Waadtländer zu den eifrigsten Gegnern desselben zählten. Eines Tages nun geriethen auf der Grenzalpe die beiden gehörnten Fürsten der freiburgischen und der waadtländischen Heerde unweit einer jäh abstürzenden Felswand an einander. Zuerst begrüßte man sich mit dem obligaten, weithin dröhnenden, fast wie ein rauhes Trutzlied klingenden Brummen, dann wurde mittelst der Hörner der Erdboden aufgewühlt, daß Schollen und Steine weit umherflogen, und dann erst stießen die beiden grimmigen Kämpfer auf einander, daß der Boden unter ihren festgewurzelten Hufen erbebte.
Mit athemlosen Bangen schauten die Sennen und ihr Hausgesinde dem Kampfspiele zu. Kämpfer und Zuschauer waren in zwei fast gleich eifrige Parteien getheilt; unwillkürlich bemächtigte sich der Menschen die Idee, in den kämpfenden Bullen einerseits den Repräsentanten des Sonderbundes und anderseits denjenigen der pflichtgetreuen Kantone zu erblicken. Fast eine Stunde lang blieb die Entscheidung ungewiß; mit gesenkten Häuptern, Stirn an Stirn gepreßt, suchte einer den andern rückwärts zu drängen, ohne daß einer von den Beiden auch nur einen Zoll breit Terrain gewonnen hätte. Allmählich gerieth der Waadtländer doch einigermaßen durch den Umstand, daß sein Gegner mit dem Rücken gegen den Rand der Felswand zu stehen kam, in Vortheil, aber immer noch wehrte sich der Freiburger wie verzweifelnd und schien manchmal wieder die Oberhand gewinnen zu wollen. Mit weit vorgequollenen Augen, schnaubend vor Wuth und Angst drängte er in einem letzten Angiff den Gegner wieder von der gefährlichen Stelle zurück, und ein lustiges Jauchzen der Sennen von seiner Partei schien ihn zu tapferem Ausharren ermuthigen zu wollen – da aber sammelte der Waadtländer ebenfalls seine letzte Kraft zu einem wuchtigen Offensivstoße, ein dröhnendes, keuchendes Brummen, eine letzte Anstrengung, daß die gewaltigen Sehnen fast zu reißen schienen, und Zoll für Zoll verlor der Freiburger wieder an Boden; schon bohrten sich seine Hinterhufe in den kantigen Rand des Abgrunds ein – vergeblich! der letzte, wüthende Stoß des Gegners schleuderte ihn rettungslos in die gähnende Tiefe, auf deren steinigem Grunde er nun mit zerschmetterten Gliedern wieder hervorgeschleppt wurde. Ein Triumphgebrüll ausstoßend, das fast die Zuschauer erbeben machte, wühlte der Sieger noch eine Weile den Boden mit den Hörnern auf, auf dem der besiegte Gegner gestanden hatte, und ging dann gemessenen, stolzen Schrittes, begleitet von dem Beifallsgeschrei der eidgenössischen Partei, wieder zu seiner Heerde zurück. Die Freiburger aber sollen wirklich in der schmählichen Niederlage ihres Kämpen ein übles Omen für den Ausgang des Sonderbundskrieges erblickt haben.
Im Allgemeinen ist dem Bullen auf der Alm nicht zu trauen, ein geringfügiger Umstand, ein rothes Kleidungsstück, die können ihn zum erbitterten Angriffe auf den Menschen verleiten, und da ist dann schleuniger Rückzug hinter einen schützenden Felsblock oder eine Einzäunung fast das einzige Rettungsmittel denn gelingt es dem Ochsen, den Gegenstand seines Zornes zu erreichen, so bearbeitet er ihn so lange mit Hörnern und Hufen, bis er kein Leben in ihm mehr zu bemerken glaubt. Selbst die Inhaber solcher Thiere, die kräftigen Sennen, werden nicht selten das Opfer solcher Wuthausbrüche, denn der Stier giebt in seinem Angriffe nicht leicht nach und läßt sich lieber in Stücke hauen, als daß er nachgäbe. Dennoch giebt es auch Sennen, die sich furchtlos einem solchen Angriffe entgegenstellen, mit flinkem Griffe das tolle Thier mit der einen Hand bei einem Horne packen, mit der andern ihm in den Mund fahren, die Zunge herumdrehen und dann mit herkulischer Kraft das Thier auf die Erde schleudern. Ein einmal so gebändigtes Thier pflegt sich dann später fast nie wieder an einen Menschen zu wagen. –
Auf den hohen Alpen ist also der Stier meist ein äußerst wilder und gefährlicher Bursche. Gedrungenen markigen Körperbaus, mit dickem Kopf und krausem Stirnhaar steht er trotzig am Alpenpfade, alles Fremdartige mit finstern, jähzornigen Blicken anstarrend, bis er, wenn durch eine Kleinigkeit gereizt, mit tiefgesenktem Kopfe und aufgeworfenem Schweife in toller Wuth und Hast auf das losrennt, was sein Mißfallen erregt hat. Stundenlang ist er dabei im Stande, den Ort zu bewachen, wo er den Feind vermuthet.
Wagt einmal zufällig Meister Braun oder der Wolf einen Angriff auf eine Alpen-Viehherde, dann zeigt sich erst recht die höhere Intelligenz und der Muth der an sich sonst sanften Thiere. Schleicht sich der Bär heran, so wittern sie schon von Weitem die Gefahr, eilen unter heftigem Brüllen dem Stalle zu oder rasseln, wenn sie angebunden sind, so laut mit ihren Ketten und Schellen, bis sie die Sennen auf den Feind aufmerksam gemacht haben. Die Raubthiere pflegen die Kühe von hinten anzugreifen, da diese im Nothfalle auch ihre Hörner recht gut zu gebrauchen wissen. Ist es dem schleichenden Mörder aber dennoch gelungen, ein Opfer zu erreichen und zu zerfleischen, so sammelt sich die ganze Heerde, wie unser Bild zeigt, rund um den Räuber und schaut mit gesenktem Kopfe schnaubend und brüllend dem Fraße zu, doch wagt sie selten den Angriff auf den schmausenden Bären, der aber auch seinerseits dem Landfrieden nur wenig trauen und sich mit seinem Frühstück sehr beeilen soll.
Dieser ruhige Muth, dieses besonnene Wesen pflegen die Alpenheerden nur bei zwei Anlässen total zu verlassen. Der erste dieser Anlässe ist das Hochgewitter bei Nacht, das den Sennen fast immer, wenn nicht gerade schwere Verluste, doch wenigstens Stunden tüchtigen Schrecks zu bereiten pflegt. Denn sobald die Blitze, das Auge blendend, aus der nächsten, hoch über der Hütte schwebenden Wetterwolke zucken, vom Donnerschlage die Grundfesten der gewaltigen Eiskolosse erbeben und lärmend der Regen auf die erschrockenen Thiere herabgießt oder der Hagel in schweren Körnern auf die durchnäßten Rücken niederprasselt, da hört plötzlich alle Ordnung auf, die vollständigste Anarchie ist eingebrochen. Den Schwanz ringelnd in die Luft erhoben, mit gesenktem Kopfe rennt Alles wie toll in die finstere Nacht hinaus, meist der Richtung des Sturmwindes folgend. Geweckt und die Gefahr ahnend, stürzen die Sennen sich halbangekeidet aus der Hütte und eilen, die Milchgapsen als Regendach über den Kopf gestürzt, schreiend und lockend, mitunter auch in allen Tonarten fluchend, den tollgewordenen Thieren nach, die aber nichts mehr hören und sehen und immer geradeaus rennen, bis vielleicht ein paar der schönsten von Allen im rasenden Laufe in den nahen Abgrund gestürzt sind. Gelingt [375] es dann aber endlich den Sennen, die erschrockene Heerde wieder zu sammeln, so ist die Gefahr glücklich abgewendet; die Thiere weichen trotz Sturm und Wetter nicht mehr vom Flecke, sobald sie die schmeichelnde, beruhigende Stimme der Hirten vernehmen, als glaubten sie jede Gefahr durch die Nähe des Menschen beseitigt. Aehnlich benehmen sich bei solchem Anlasse auch die weidenden Pferde und Schafe, und erst im Sommer 1860 sprangen auf einer Entlebucher Alp zehn Füllen mit einem Male über eine hohe Felswand. Am schlimmsten wird’s in solchen Fällen bei den Schafen; springt der Leithammel vorab in den Abgrund, so folgt die ganze Heerde bis auf das letzte Stück nach.
Weniger erklärlich, als das soeben Erzählte, dürfte dem Leser als zweiter Anlaß zur Verzweiflung des Rindviehs die seltsame Thatsache vorkommen, daß, wenn auf der Alp ein Stück Vieh verunglückt oder sonst geschlachtet wird, die Sennen nicht sorgfältig genug das halbverdaute Futter des Magens oder den Inhalt der Gedärme verbergen können. Bleibt so was liegen, oder ist nicht tief genug verscharrt, so wird jede Kuh, welche die Stelle betritt, in die wildeste Aufregung gerathen, mit den Hörnern den Boden aufwühlen und damit das Signal zu einem Zusammenlauf der ganzen Heerde geben, dessen Resultat nichts Anderes als der hartnäckigste Hörnerkampf sein wird, der nicht selten schwere Verwundung oder gar den Tod einiger Stücke zur Folge hat.
Daß auch die Sage sich bis zu dem Leben des Rindviehs erstreckt, ist auf der Alm, der so sagenseligen, kein Wunder. Sagenhafter Art ist z. B. das sogenannte Alprücken, obwohl der Glaube der Sennen es nicht als etwas Fabelhaftes gelten lassen will. Sie behandeln aber diesen Stoff gewöhnlich mit einer geheimnißvollen Scheu und müssen mit einem Fremden schon auf ziemlich vertrautem Fuße stehen, bevor sie mit einer fachbezüglichen Erzählung herausrücken. So was zu besprechen, hat seine Gefahren und gehört zu den Geheimnissen des Heerdfeuers. Da soll nämlich zu besondern Zeiten, meist Abends nach dem Melken, in die Kühe plötzlich eine gewaltige Unruhe fahren und dann die ganze Heerde von unsichtbaren Wesen erfaßt und über alle Berge getragen werden, so daß auf der ganzen Alp kein einzig Stück mehr anzutreffen sei. Nach ihnen zu suchen, sei nicht eben gerathen. Glücklicherweise ständen sie am andern Morgen wieder alle gesund und munter auf dem alten Platze.
Eine der hübschesten der Sagen dieser Art ist die von der Sevinenalp im schönen Lauterbrunnenthale. Diese Alp war früher oder ist jetzt noch Gemeingut mehrerer Aelpler, die zur Frühlingszeit ihren Viehstand zu einem gemeinsamen Sennthum vereinigen und solches durch ihre Knechte den Sommer über besorgen lassen. Nun begab es sich auf dieser Alp öfter, daß die Kühe rückten und, wenn die Hirten es nicht rechtzeitig bemerkten, verschwunden waren, ohne daß ein Mensch gewußt hätte, wohin. Daß ein solches Ereigniß bevorstehe, bemerkten aber die Sennen gewöhnlich daran, daß die Kühe plötzlich starr und unbeweglich dastanden, den Kopf zur Erde senkten und keine einzige mehr ihre Schelle erklingen ließ. Trat dieser Zustand ein, so pflegten die Hirten den Kühen zuzurufen: „Steht in Gottes Namen still!“ Dann war der Zauber gelöst, und die Kühe fingen munter wieder an zu grasen. Waren aber die Thiere schon in Bewegung und jagten wie von unsichtbaren Mächten getrieben davon, so sprangen die Sennen mit Rufen und Pfeifen den Flüchtigen nach, und alle diejenigen, über welche sie noch den Melkstuhl zu werfen vermochten, blieben stehen, die übrigen aber verschwanden. War aber das ganze Sennthum gerückt, ohne daß die Hirten es bemerkt hatten, so verrichteten letztere ruhig drei Tage lang wenigstens scheinbar alle Geschäfte fort, als wenn die Heerde noch auf der Alp wäre, und nach diesen drei Tagen kehrte dann die Heerde mit fröhlichem Glockengeläut und Geschrei wieder auf die Alp zurück.
Die Skeptik ist aber auch dieser wunderbaren Sage schon stark zu Leibe gegangen. Die Simmenthaler und Saaner Sennen, die es in der Naturphilosophie schon zu ganz befriedigenden Resultaten gebracht haben, behaupten nämlich, das Alprücken auch zu kennen. Sie nennen diese Erscheinung das „Bysen“ der Kühe und sind der Ansicht, daß zu gewissen Abendstunden die Thiere von Mückenschwärmen überfallen werden und dann, wie bei einem heftigen Unwetter, mit hochgehobenen Schweifen alle auf einmal blitzschnell in einer Richtung davon rennen.
Doch kehren wir aus dem verzauberten Reiche der Sage zum Schluß in die nüchternere, aber immer noch schöne Wirklichkeit zurück und werfen, nachdem wir das Alpenrindvieh vom Leben bis in die Sage verfolgt, auch einen Blick auf den Alpenmenschen, denn auch der Mensch wird auf der Alm ein anderer. Wie gern träumerischer Aberglaube über ihn Herr wird, ebenso wird er aber Herr über eine gewaltige physische Kraft. Bei dem abgeschlossenen, einsamen Treiben der Sennen da oben im Reiche der Lüfte muß ja die märchenhafte Sage in dem Leben dieser meist gemüthreichen Naturkinder eine gar mächtige Rolle spielen. Ihr zu träumerischem Sinnen ohnehin schon geneigtes Gemüth findet gar mächtige Nahrung in der gewaltigen Natur, in den himmelanstrebenden Firsten und Zinken, die im wilden Gebärungskampfe dem Schooß der Erde entstiegen, wie in den tief geheimnißvollen Schrecknissen unzugänglicher Abgründe und Gletscherspalten, durch die der Wind seufzend wie ein klagendes Menschenkind streift. In diesen Gebieten wird jeder fallende Stein, jeder ruhende Vogel zum Mosesstab, der den Brunnen der Wunder erschließt und gleich dem schmetternden Alpenhorne aus den entferntesten Gründen die räthselhafte, antwortende Stimme des Gebirgsgeistes weckt. Diese Anschauungsweise giebt sich besonders darin kund, daß auf den höhern Alpen, wo der regelmäßige Besuch des sonntäglichen Gottesdienstes in dem tief im Thale liegenden Kirchlein eine Unmöglichkeit ist, ein Senne am Sonntagmorgen vor seine Hütte tritt und mittelst seines Alpenhorns die langgezogene, von der dünnen Luft stundenweit zu den entferntesten Almen hingetragene Melodie eines Psalms oder eines frommen Liedes in die feierliche Stille des Gebirgslabyrinths hinausschmettert. Von Alm zu Alm antworten dann die Sennen auf gleiche Weise, und die zuerst majestätisch anschwellenden, dann allmählich wie Geisterhauch in leisem, kaum mehr vernehmbarem Flüstern ersterbenden Töne bilden dann ein Concert, dem in wunderbarem Zauber weder das schönste Orgelspiel, noch die Klänge der Glocken gleichkommen.
Massenhaft sind daher die Sagen, welche des Abends die Sennen, um den gewaltigen Feuerheerd versammelt, sich erzählen. Aber auch für die Entwickelung der Körperkraft sorgt das Alpenleben. Es giebt nur wenig zu thun, was zu verrichten dem Sennen nicht eine Lust und Freude wäre, und zum dolce far niente fällt täglich noch ein tüchtig Stück Zeit ab, das man, bequem auf dem Rücken liegend und selig hinduselnd, in den blauen Himmel hineinstarrend, genießen kann, und wenn das zu langweilig wird, so packt man sich gegenseitig zum Ringkampf (Schwingen) oder mißt seine Kraft, indem man probirt, wer einen achtzig- bis hundertpfündigen Felsblock am weitesten zu schleudern vermöge. Diese edle Beschäftigung bildet denn auch Bursche aus, wie den großen Mildbacher, einen seiner Zeit berühmten Schwinger. Der hatte einmal von einem riesenstarken Sennen im Unterwaldnerlande gehört und beschloß, denselben aufzusuchen. Er traf den Mann auf der Alp in seiner Sennhütte eben mit Käsemachen beschäftigt und bat ihn um einen Trunk Schotten. Der Angesprochene entsprach dem Wunsche seines Gastes in der Weise, daß er mit der einen Hand eine wohlgefüllte Milchgapse ergriff und sie dem erstaunten Schwinger vor den Mund hielt, als wär’s nur so eine Kaffeetasse. Das Erstaunen des Gastes war vollkommen gerechtfertigt, wenn man bedenkt, daß diese Milchgapsen flache, runde Gefäße ohne Handhabe von zwar geringer, kaum mehr denn sechs Zoll betragender Tiefe, aber von einem Umfange von mindestens acht Fuß sind, der Ehrentrunk also eine Schwere von achtzig bis hundert Pfunden haben mußte. Der Mildbacher war aber nicht der Mann, der sich durch solche Kleinigkeit verblüffen ließ, sondern er nahm, als ob sich das von selbst verstände, dem Sennen ebenfalls nur mit der einen Hand das Gefäß ab, wie ein Trinkglas, löschte in langen Zügen ganz gemächlich seinen Durst und reichte das seltsame Trinkgeschirr mit ruhiger Miene dem Geber zurück, der nun seinerseits in den Ausruf ausbrach: „Entweder bist Du der große Mildbacher oder der Teufel!“
Welche Bedeutung das Rindvieh in Bezug auf den Nationalwohlstand der Schweiz hat, mag dem Leser durch die folgenden Zahlen klar werden. Die Gesammtzahl des Rindviehs betrug im Jahre 1860 911,683 Stück. Eingeführt wurden im gleichen Jahre 67,314, ausgeführt 46,520. Daß die Einfuhr die Ausfuhr so bedeutend überwiegt, dürfte vielfach befremden. Dieser Umstand kommt aber daher, daß das Schweizervieh zum Schlachten zu werthvoll ist und daher das meiste Schlachtvieh in den benachbarten Staaten mager angekauft, erst gemästet und dann zu dem angegebenen Zwecke verwendet wird.
Mein Vater, polnischer Edelmann, beschäftigte sich neben der Verwaltung seines Guts vorzugsweise mit geschichtlichen Forschungen, besonders auf dem Gebiete adeliger Abstammung und Wappenkunde, und besitzt darüber trefflich geordnete Sammlungen aus den amtlichen Quellen wohl aller Länder Europas. Sein Gut, dessen Edelhof ungefähr zwei Stunden von der russisch-polnischen Grenze entfernt ist, erstreckt sich mit Dörfern und Wäldern bis an diese.
Ich wurde nach vollendeter guter Erziehung Officier in Diensten unserer Regierung und hatte, in Besatzungen deutscher Bundesfestungen liegend, Gelegenheit, mich mit den Verhältnissen unserer westlichen und südlichen Nachbarn bekannt zu machen. Vor dem Aufstand nahm ich meinen Abschied. Für den Aufstand stickte und verfertigte meine Mutter eine Fahne, deren Tuch auf der einen Seite das Bild des (durch Lech, der Polaken Stammvater, in dem Neste „Gnesen“ gefundenen) weißen gekrönten polnischen Adlers im rothen Felde, auf der andern das der heiligen Mutter Gottes von Czenstochowa trug; – diese ist in einem aus byzantinischer Zeit stammenden, von Alter schwarzbraun gewordenen Bilde das Urbild der polnischen schwarzen Muttergottesbilder geworden und hat im Jahr 1655 bei der Belagerung ihres Sitzes durch die bisher siegreichen und übermächtigen, bereits das ganze Land besitzenden Schweden die Polen zum Siege begeistert, – von nun an Schutzheilige des für Freiheit und Unabhängigkeit kämpfenden Polens. Auf die Schleife stickte meine Mutter die Worte ein: „Freiheit für uns und für Euch!“ (Letzteres ist zu den Bauern gesprochen.)
Zu dieser Fahne schwur ich und mein Bruder den Eid der Treue zur polnischen Sache bis in den Tod. Ich trat als „Generalstabsofficier des polnischen Volksheeres“ in die Bande eines alten Obersten, der im Jahre 1831 gedient hatte und dadurch mit dem großen Krieg wohlbekannt geworden war.
Der Edelhof meines Vaters wurde zum Vorbereitungsplatz für einen Zug gewählt. Namentlich empfing ich dort die dafür gelieferten Waffen. Als sie zum wirklichen Gebrauch noch näher an die Grenze gebracht werden sollten, verpackte ich sie in meinem Schlafzimmer. Dabei half mir ein im Dienste unserer Regierung stehender Officier. Im anstoßenden Zimmer war einer meiner Bekannten und höherer Regierungsbeamter. Ich hörte ihn gegen die Thür unseres Zimmers kommen und wollte sie vor ihm verschließen; die Waffen lagen im Zimmer und auf meinem Bett herum. Er sagte mir lachend: „Lassen Sie mich nur herein und ein paar Cigarren nehmen; ich sehe sonst nichts!“ Ich that es; er ging gerade und unverwandten Blicks auf mein Cigarrenkistchen los, bediente sich und entfernte sich in gleicher Weise.
Bei uns und in der Nachbarschaft lag eine Schwadron Husaren von den Regierungstruppen. Der Rittmeister, mit mir bestens bekannt, sagte mir kurz vor der zu unserem Abmarsch bestimmten Stunde: „Ich habe Befehl, heute Nacht von acht bis zwölf Uhr da und da patrouillieren zu lassen. Es ist mir nicht geboten, es geheim zu halten.“ – Nach der bezeichneten Stunde kam er zu mir und theilte mir mit, daß die Patrouille zu Ende, seine Husaren wieder in den Quartieren seien. – Ich spazierte mit mehreren Bekannten, worunter einige Officiere von den Regierungstruppen, zum russischen Grenzpfahl, überschritt die Grenze, schüttelte den noch auf nichtrussischem Boden stehenden Officieren die Hände und nahm Abschied, wobei lachend bemerkt wurde, daß sie mir nun nichts mehr thun könnten.
Unsere Bande stieg bis gegen tausend Mann an. Bald zeigte sich aber die Unfähigkeit unseres Obersten. Er mochte im großen Krieg von 1831 unter höherer Leitung seinen Dienst gehörig und tapfer gethan haben; jetzt, wo er selbstständig und unabhängig handeln, wo er einen kleinen und Parteigänger-Krieg leiten sollte, wußte er sich in keiner Weise zu helfen.
Anfangs war unsere Mannschaft vom besten Geiste beseelt. Jeden Augenblick, welchen Märsche, Gefechte, Dienst freiließen, benutzten wir zu Waffenübungen im Lager oder in dessen nächster Nähe, nach einer vom Comité herausgegebenen Kriegsinstruction, welche auf die für das polnische Heer im Jahre 1831 gültigen wesentlich französischen Vorschriften gegründet, jedoch mit Bezug auf den Plänklerdienst ziemlich nach österreichischem Muster ausgearbeitet ist. Weisungen vom Comité und Meldungen von der Thätigkeit anderer Corps erhielten wir meist durch Unbewaffnete. Namentlich gab es einen Generalstabsofficier, welcher zu Fuß, mit einem dünnen Spazierstöckchen in der Hand, seine Bekannten besuchend, von einem Edelhof zum andern ging, dabei aber auch mit unserer und anderen Banden von Aufständischen zusammentraf und dann den Führern Befehle, Nachrichten von Freund und Feind und Mittheilungen aller Art brachte.
Wir waren ziemlich weit in’s Innere von Congreß-Polen vorgedrungen, als wir zuerst auf eine etwas zahlreichere feindliche Truppenabtheilung stießen. Die Unfähigkeit unseres Obersten verschuldete den Verlust des Gefechts. Der Feind bedrängte uns hart, bis zum Handgemenge. Schon war die Stange der von meiner Mutter geschenkten Fahne in Feindeshand, da stürzte mein Bruder löwenmuthig auf die Fahne, riß Tuch und Schleife mit einem gewaltigen Zuge von der Stange ab, ließ dem Feind das dürre, nackte Holz und verbarg die geliebten Stoffe in der Busentasche seines Rockes. Wir konnten uns leidlich zurückziehen. Sobald wir in Sicherheit waren, wurde eine neue Stange beschafft, und nun flatterte wieder der weiße Adler in den reinen Frühlingslüften.
Längere Zeit waren wir einige Stunden von einem Dorfe entfernt gelagert; hier brachte uns unser spazierender Freund oder ein anderer Bote die Nachricht, daß ein Zug Kosaken gegen den Abend am Dorfe vorbeireiten würde. Das Dorf bildete eine aus zusammenhängenden Häusern und Gärten bestehende gerade Gasse. Derselben gleichlaufend, aber außen an der einen Häuser- und Gartenreihe vorbei, führte der Weg, den die Kosaken reiten sollten, und war noch weiter außen durch einen dichten Zaun begrenzt. Zu beiden Seiten des Weges, also in die Gärten und in die dabei gelegenen Häuser einerseits, hinter den Zaun andrerseits legten wir uns in den Hinterhalt und warteten auf des Feindes Durchzug. Mehrere Stunden waren vergangen, ohne daß sich ein Kosak zeigte. Es fing an Abend zu werden, der Oberst berief einige von uns zusammen und theilte uns mit, daß er uns in’s Lager zurückführen werde. „Die Kosaken kommen nicht mehr. Es fängt an spät zu werden, und wir wollen die Nacht im Lager zubringen.“ Vergeblich waren unsere Vorstellungen, nicht das ganze Unternehmen durch zu frühes Aufbrechen zu verderben. Auf seinen Befehl sammelte sich die Truppe, aus den Gärten und hinter dem Zaune hervortretend, auf dem Wege und war im Begriff, sich in Marsch zu setzen, als plötzlich aus der Mitte der letzten Leute einige Schüsse knallten und der Ruf: „Die Kosaken, die Kosaken!“ erscholl. Theils von selbst, theils auf Befehl warf sich Alles wieder so weit möglich in die Gärten und hinter die Zäune. Wie Vögel in pfeilschnellem Fluge sprengten die bisher in ruhigem Reiseschritt herangekommenen Kosaken auf ihren kleinen Pferdchen in ihren grauen Kitteln, während die Pelzzotteln ihrer Mützen wild in die Gesichter herunter schlugen, mit schwankenden Lanzen vorbei. Unsere Schüsse streckten blos zwei bis drei von ihnen nieder. Hätte unser Oberst nur fünf Minuten länger Geduld gehabt, so wäre uns von den nahezu hundert Kosaken vielleicht kein Mann entgangen. Daß wir mit Mißmuth in’s Lager zurückkehrten, kann man sich denken.
An einem spätern Tage hatten wir eine günstige Stellung in und bei einem Walde. Die Russen rückten in der Stärke mehrerer Rotten heran. Mit unsern Schützen, welche, obgleich meist wenig geübt, mit trefflichen Waffen versehen und dadurch zu vorzüglich sicherem Treffen unglaublich befähigt waren, besetzten wir den Saum des Waldes. Die Sensenmänner wurden in den Rückhalt, in’s Innere des Waldes gestellt. Die Russen, in langer Linie entfaltet, rückten gerade gegen uns heran. Auf dem einen Flügel ging allein und leicht erkennbar ein Officier. Auf etwas weniger als tausend Schritt Entfernung wurde er von einem unserer ganz jungen Schützen und einem Officier bemerkt.
„Wer trifft ihn?“ fragte der Officier, „dem gebe ich einen Rubel!“
„Ich!“ erwiderte der junge Mann, „er ist aber mehr werth. Ich möchte gern fünf Rubel!“
„Fünf Rubel? Das ist viel!“
„Er ist es werth!“
„Sei’s! Fünf Rubel geb ich Dir, wenn Du ihn auf den ersten Schuß triffst!“
Der Junge legte an, das Pulver knallte, das Blei pfiff – der Mann sank, vom ersten Schuß der erste Gefallene.
[377] Hurrah und Halloh bei uns, einige Unordnung beim Feinde. „Jetzt gieb mir aber die fünf Rubel sogleich. Man kann nicht wissen, ob nicht bald Gleiches Dir oder mir begegnet!“ sagte lachend der Junge.
„Du hast Recht! Da sind sie!“ erwiderte der Officier und legte das Geld in des Jungen Hand. – Bald hatte unser Feuer kräftig auf den Feind gewirkt. Seine Reihen lichteten sich. Man denke sich seinen Pulverrauch von einem leichten Luftzug gegen den einen Flügel unserer Waldstellung getragen und den Rauch von unserem Feuer in gleichlaufender Richtung in den Wald hinein, unsere Sensenmänner gegen jene von Feindesrauch umhüllte Waldecke gezogen, gesammelt, mit einigen Kraftworten ermuntert und plötzlich aus dem Walde hervor mit lautem Geschrei und gehobenen Sensen schräg gegen den entblößten feindlichen Flügel anstürmend. Kaum hört der Feind das Geschrei, kaum sieht er die breiten Klingen aus dem Rauche herausglänzen, so ergreift ihn unbezwingliche Furcht, wendet ihn zu unwiderstehlicher Flucht, und ehe unsere Sturmläufer ihn erreichen können, ist seine Gefechtslinie verschwunden und liegen nur noch Todte und Verwundete auf dem Felde. –
Bei aller persönlichen Tapferkeit unseres Obersten brachte es doch seine Aengstlichkeit und Unsicherheit als Führer dazu, daß wir uns nach Kurzem wieder an die Grenze zurückgedrängt befanden. Wir lagerten einige hundert Schritte vor einem in tiefem, steilrandigem Bette fließenden, die Grenze bildenden Bache, welchen unsere wohlbeladenen Wagen, so wie das Bett war, nicht hätten durchfahren können. Nach allen Nachrichten rückte der Feind, uns von allen Seiten umfassend, gegen uns vor. Ich drang in den Oberst, den Bach zu überbrücken oder durchfahrbar zu machen, um uns einen Rückzug zu sichern. Er wies dies mit leisen Andeutungen von Feigheit gegen mich ab. Ich schwieg und wurde um so wachsamer. Es wurde Nacht. In einem Dorfe, etwa eine halbe Stunde von einem unserer Flügel seitwärts gelegen, fingen Hunde zu bellen an; ich glaubte auch in gleicher Richtung Hufschläge zu hören und bemerkte es einem Cameraden. Hierauf längere Zeit Stille, dann ein leises Pfeifen seitwärts des entgegengesetzten Flügels. Gleiches Pfeifen von einzelnen anderen Stellen in einzelnen, gemessenen, aufeinander folgenden, in einem großen Halbkreis um uns bis zum Dorfe sich ziehenden Tönen. Ein Zeichen mit Trompetenstößen in diesem Dorfe. Wir waren offenbar umringt! Ich und mein Camerad gingen zum Oberst, meldeten, was wir gehört, und drangen in ihn, das Nöthige für den Rückzng, namentlich die Ueberschreitung des Baches anzuordnen. Er verlor den Kopf, sagte, er befehle nichts mehr, ich solle machen, was ich für gut finde. Ich eilte zum ältesten Hauptmann, auch einem Officier von 1831, und drang in ihn, den Befehl zu übernehmen. Auch er wollte nicht. So that denn ich es. Sofort sorgte ich, so gut wie eben möglich, für beste Ausführung des Vorpostendienstes, ließ eine Truppe unter den Waffen stehend zur Abweisung eines Angriffs im Lager und sammelte die Uebrigen mit Säbeln und allen irgend wie für Erdarbeiten tauglichen Gegenständen am Bach hinter der Mitte des Lagers.
Es war ungefähr Mitternacht und eine dunkle Nacht. Mit jenen Werkzeugen, mit den Händen, ich, mich bis zum Uebermenschlichen anstrengend, voran, rissen wir die steilen Ränder des Baches ein, ebneten und belegten eine Abfahrt vom russischen, eine Auffahrt vom entgegengesetzten Ufer. In mehreren Stunden war die Arbeit vollbracht; wir waren unangefochten geblieben. Ich ließ unsere nur zu lange Wagenreihe hinüberführen, die Mannschaft, welche gearbeitet, dann die Lagerwache, endlich die eingezogene Postenkette nachrücken. Wir waren Alle glücklich auf nichtrussischem Boden angelangt.
Hier sammelte ich die Truppe und gab, weil der Oberst sich jedes Commando’s enthalten wollte, die nöthigen Befehle, um längs der Grenze möglichst verborgen hinzuziehen und an einer andern Stelle wieder das Polenland zu betreten. Die Mannschaft blieb einige Augenblicke stumm, und ich wiederholte meinen Befehl. Plötzlich rief Einer: „Wir sind nicht mehr auf dem Boden des Königreichs, wir haben nicht mehr zu gehorchen, und wir werden auch nicht gehorchen!“
Lärmend und schreiend erscholl aus den nächsten Rotten der Beifall mehrerer seiner Cameraden. Niemand widersprach ihm. Niemand gehorchte mir. Ich zog meinen Revolver und rief: „Den Ersten, der nicht gehorcht, schieße ich nieder!“ Da fällten sich viele Bajonnete gegen mich. Etwa funfzehn Edelleute standen bei Seite und hatten stillschweigend dem Auftritte zugesehen. „Ihr seht, Cameraden,“ sprach ich zu ihnen, „was da geschieht. Ich ertheile Befehle, um unsern Zug anderswo fortzusetzen. Die Mannschaft gehorcht mir nicht, droht mir mit Gewalt. Ich rufe Euch als Zeugen dieses Auftritts auf. Ich kann die Mannschaft nicht mehr führen. Nun helft mir retten, was zu retten ist.“ Einer von ihnen hatte seine Briczka mit zwei trefflichen Pferden da. Er läßt sie bespannen. Wir sechzehn Edelleute nehmen von dem Waffengepäckwagen so viele von den besten Gewehren, als immer möglich, und verpacken sie auf die Briczka. Die andern sehen unthätig zu und gehen allmählich und in stärkern Trupps auseinander. „Ich werde diese Waffen bis zu besserer Gelegenheit in sichern Versteck bringen,“ künde ich laut vor der Abfahrt an, besteige die Briczka mit dem Eigenthümer und so vielen von seinen und meinen nächsten Freunden, als möglich, sage den übrigen Edelleuten Lebewohl auf Wiedersehen und lasse in rascher Fahrt uns einige Meilen weiter in ein sicheres Versteck in einen Wald nahe der Grenze fahren, vergrabe dort die Gewehre mit meiner Gefährten Hülfe und kehre auf meines Vaters Gut zurück, mache von dort vom Vorgefallenen höhern Ortes Meldung und erwarte fernere Befehle.
Während ich eines Abends vor der Hütte eines unserer Bauern stand, lud ein Beamter der Landesregierung mich ein, ihm zum höhern Beamten zu folgen. Ich that dies. Letzterer empfing mich sichtbar verlegen, doch sehr höflich, gab mir auf’s Gastlichste Speise und Trank und rückte endlich, anscheinlich mit schwerem Herzen, mit der Anzeige heraus, daß er mich verhaften müsse. Da ich mich blos im Besitz einer nichtunterzeichneten Abschrift eines Tagesbefehls wußte, und einer andern Schrift, der man alle mögliche Deutung geben konnten, so fügte ich mich geduldig. Noch bin ich in Untersuchung.
Langiewicz halte ich, wie wohl die meisten Polen, für unsern besten Führer. An seiner Rechtschaffenheit, Tapferkeit und seinen Kenntnissen zweifelt Niemand. Er hat sich aber auch als im Felde durchaus fähig gezeigt, und seine Schritte waren stets von Erfolg begleitet, bis der unselige, eitle und gänzlich untaugliche Mieroslawski mittelst des damals noch immer lockenden Klangs seines Namens, Langiewicz vom Kampfplatz verdrängte. Ungeachtet seine Dictatur nur auf ein gewisses Gebiet beschränkt und ungeachtet Langiewicz vom Comité erst dann zum Dictator ernannt war, als Mieroslawski die ihm übergebenen Truppen selbst verlassen und somit seinen Posten freiwillig geräumt hatte, rannte derselbe nun wie ein Rasender in Langiewicz’s Lager und zu allen Gefechten vom 12. bis 20. März und schrie unaufhörlich den Führern und Truppen zu: „Langiewicz ist ein Verräther! Keinen Gehorsam dem Verräther! Gehorcht ihm nicht!“ So konnte Langiewicz nichts mehr thun, so wurde er im eigentlichen Sinne des Worts vertrieben. Er entfernte sich, um nicht die Zwietracht zum blutigen Ausbruch kommen zu lassen, aus den edelmüthigsten Absichten und zwar höchst wahrscheinlich um mehr im Osten die Grenze wieder zu überschreiten und zu sicherern Truppen zu stoßen. Durch sein Abtreten ist er in den Augen meiner Landsleute nur noch höher gestiegen. Daß er dem Aufstand wieder zueilen wird, sobald er kann, ist mein fester Glaube. Seine Grundsätze theilen die Meisten von uns aus Ueberzeugung. So entschieden und unbedingt wir die Unabhängigkeit von Rußland wollen, so wenig denken wir an die Ausdehnung des Aufstandes gegen andere Regierungen. Wenn auch die meinige mich verhaftet hat, mich vor Gericht stellt, so sage ich doch: Welche großartige Rolle könnte sie heute für Polens Befreiung spielen, wenn sie mit Waffengewalt ihm zu Hülfe kommen, die Russen aus ganz Polen vertreiben, Polen eine selbstständige, blos durch Bündniß mit ihr verbundene Verfassung gestatten würde! Sie wäre nach solchen Thaten die gepriesenste Großmacht Europa’s. Doch dazu fehlt ihr der nöthige Schwung. Polen wird einst frei werden, das sagt uns allen ein innerstes Gefühl. Wie, das weiß Gott allein!
Im Jahr 1212, zu einer Zeit, wo das heilige Grab bereits wieder in den Händen der Saracenen war, fing in Frankreich, in Cloies, in der Nähe von Vendôme, ein gewisser Etienne, ein Hirtenknabe, das Kreuz zu predigen an. Seinen begeisterten Worten lauschte Jung und Alt, aber in den Kinderherzen schlug vor Allem die Flamme schwärmerischer Begeisterung zu einer stürmischen Lohe empor. Tausende strömten zusammen und ließen sich von den Reden des jungen Propheten fortreißen. Eine fieberhafte Sehnsucht nach dem heiligen Lande erfüllte bald die jugendlichen Seelen. Nach dem Meere! nach Jerusalem! das waren die Losungsworte, die von Munde zu Munde gingen. Vergebens versuchte der König Philipp August durch Gewaltmaßregeln den Strom der Begeisterung zu sperren. Schon fingen die Eltern an mitergriffen zu werden und rüsteten selbst die Kinder zum heiligen Kampf. Andere waren vernünftiger, sperrten ihre Kinder ein und hofften, daß die Schwärmerei erlöschen werde. Vergeblich, so leicht konnte der stürmische Drang nicht gehemmt werden. Die Kinder weinten und stöhnten Tag und Nacht, härmten sich ab, verschmähten Speise und Trank und verfielen in Zuckungen. Das Mitleid mit dem zarten Alter der Kreuzfahrer gewährte ihnen Pflege und Schutz, als sie die heißen Ebenen der Provence durchzogen. Oft freilich wurde die Gastfreundschaft durch den Verlust der eigenen Kinder gelohnt, welche von dem wunderbaren Triebe mitergriffen wurden. So kommen sie nach Marseille und wurden dort liebevoll aufgenommen. Zwei dortige Kaufleute, die Geschichte hat uns ihre Namen bewahrt, Hugo Ferreus und Guilelmus Porcus, thaten sich in scheinbarer Begeisterung für die heilige Sache hervor, ja sie versprachen sogar, auf sieben großen Schiffen um Gotteslohn die Knabenschaar bis an die Küste des heiligen Landes zu führen. Man traut ihren gleißnerischen Worten und sticht in See. Zwei von den Schiffen scheitern, ohne daß auch nur Einer der darauf Befindlichen mit dem Leben davon gekommen wäre. Den Uebrigen aber war ein noch traurigeres Loos vorbehalten: sie wurden die Opfer des tückischen Verrathes, den die eigennützigen Unternehmer von Anfang an beabsichtigt hatten. Die fünf Schiffe nehmen ihren Lauf nach der ägyptischen Küste. Hier wird gelandet und sämmtliche Kinder als Sclaven an die Saracenen verkauft. So nahm die französische Kinderfahrt ein jämmerliches Ende. – Etwas besser, aber immer noch schlimm genug, lauten die Nachrichten über zwei Kinderheere, welche ohne die geringste Ahnung des französischen Kreuzzuges von Deutschland aus die Alpen überschritten und so Italien und das Mittelmeer zu gewinnen suchten. Das eine ging unter der Führung eines gewissen Nicolaus den Rhein hinauf über den Mont Cenis und erreichte im August, noch 7000 Köpfe stark, Genua. Auf diesem beschwerlichen Wege über damals noch ganz unwirthbare Alpenpässe läßt sich annehmen, daß ein großer Theil schon unterwegs ein Opfer der Strapazen geworden oder zurückgeblieben sei. Die Genueser aber waren von diesem Zuzuge keineswegs erbaut, ja sie schlossen ihm geradezu die Thore. Erst nach mühsamer Capitulation erlangte man Einlaß. Aber die besonnene Kritik, die man hier an das hirnlose Unternehmen legte, wirkte abkühlend auf die jugendlichen Schwärmer. Sie zerstreuten sich, bettelten sich unter dem Hohngelächter der Leute nach Hause zurück oder traten in Dienste, um ihren Lebensunterhalt zu gewinnen. – Von dem zweiten Zuge deutscher Kinder wissen wir nur sehr wenig. Er nahm seinen Weg über die Gotthardstraße nach der Lombardei und soll sehr bald an der Schlechtigkeit der Wege, an der Rauhheit des Klima’s und an der Härte und dem Eigennutz der Leute gescheitert sein. Viele der Kinder scheinen diesen Anstrengungen unterlegen, andere ebenfalls Sklavenhändlern in die Hände gefallen zu sein. Man schätzt die Zahl der Kinder, die bei diesen Kreuzfahrtspielen zu Grunde gingen, gegen 60,000, wahrlich eine ernste Mahnung, wie sorgfältig der Geist der Kinder vor Allem zu bewahren ist, was die Phantasie erhitzt, und daß man ja bei Zeiten einschreiten müsse, wo excentrische Stimmungen und eine einseitige Richtung der Gedanken zu ungeregelten Bewegungen fortreißen. Glauben Sie nicht, daß diese Warnung in unserm scheinbar so vorgeschrittenen, scheinbar so aufgeklärten Zeitalter eine überflüssige wäre. Nichts ist thörichter, als solchen Erfahrungen gegenüber sich durch die Fortschritte unseres Jahrhunderts sicher zu fühlen; denn nach der Organisation unseres Nervensystems können sie sich täglich wiederholen, und man muß sie kennen, um sich davor zu schützen. Lassen Sie mich zum Beweise dessen hier gleich an ein Beispiel erinnern, welches der allerneuesten Zeit angehört und welches, wenn auch nur von geringem Umfange, die aus einer intensiv-religiösen Stimmung sich entwickelnden Bewegungen und ihre Uebertragung klar genug veranschaulicht.
Es war im Januar vorigen Jahres, als von dem Vorstande des Waisenhauses in Elberfeld eifrige Bet- und Bußübungen angeordnet wurden, um bei den Kindern, deren Leichtsinn den Vorgesetzten Sorge machte, einen Zustand tiefer Reue und Zerknirschung hervorzurufen. Wirklich gelang es auch, die Geister dieser Kinder so vorwiegend und ausschließlich mit dem Gefühl der Buße und Vergebung zu erfüllen, daß krankhafte Erschütterung des Nervensystems die Folge war. Zuerst fing eines der Mädchen an, still zu sitzen, sich von den übrigen abzusondern und über Seelenangst und Sündennoth zu klagen. Sie weinte, stöhnte und wälzte sich auf dem Fußboden umther. Bald fand sich ein zweites, ein drittes Kind hinzu; unter frommen Anrufungen, unter häufigem Citiren von Bibelsprüchen steigern sich die Empfindungen der Angst und gehen schließlich in die heftigsten Convulsionen, ja sogar in Starrkrampf über. Anfangs Februar lagen zwanzig Knaben darnieder, in der folgenden Woche belief sich die Zahl sogar aus dreiunddreißig, und die Convulsionen waren so stark, daß die Kinder kein Wort mehr sprechen konnten. So weit war die Epidemie gediehen, als ihr durch eine strenge Untersuchung und durch geeignete Eingriffe ein Ziel gesetzt wurde.
Man stößt aber, wenn man die Elberfelder Epidemie näher in’s Auge faßt, auf andere viel umfangreichere Bewegungen, welche jenseits des Canals und jenseits des Oceans ihre Heimathstätte haben, man stößt auf die irischen und amerikanischen Erweckungen oder Revivals, über die Ihnen vielleicht Einiges aus den Berichten der Times erinnerlich ist. Diese Revivals, die noch zu dieser Stunde in Irland im Schwunge sind, sind aber wieder die Frucht der Methodisten-Predigten, welche schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts ihren Anfang nahmen, und in denen ängstliches Stöhnen und Jammern, Händeringen und Convulsionen ganz gewöhnlich waren. Es steht fest, daß die Nachrichten über die irischen Erweckungen in Elberfeld ausgebeutet wurden und daß die Gemüther der Kinder davon erfüllt waren.
Geistesepidemien, durch einseitige religiöse Geistesrichtung hervorgerufen, hat aber jedes Jahrhundert in so großer Zahl aufzuweisen, daß mir nur die flüchtige Erwähnung der bekanntesten gestattet ist. Hierher gehören die Verzückungen der Camisarden. Als nämlich nach Aufhebung des Edicts von Nantes die Reformirten in Frankreich erneuten Verfolgungen ausgesetzt waren, trat das religiöse Element bei ihnen nur um so schärfer hervor. Propheten standen unter ihnen zu Hunderten auf, und Convulsionen begleiteten ihre Gesänge und Predigten. Es liegt etwas Poetisches in dieser Schaar von Gottesbegeisterung entflammter Menschen, wie sie in ihren heimschen Bergen den Gefahren trotzen, mit denen sie von allen Seiten bedroht sind, wie sie unter Absingung feierlicher Hymnen in die Schlacht ziehen, wie sie die Weissagungen aus der Offenbarung, die die vom Krampf Befallenen in kurzen Sätzen ausstoßen, voll Gottvertrauen hinnehmen, und Sie finden die Verzückungen der Camisarden in einer reizenden, leider unvollendeten Novelle von Tieck „der Aufruhr in den Cevennen“ in diesem Lichte betrachtet.
Weit bedeutender und weit nachhaltiger war die als „Convulsionen der Jansenisten“ bekannte Epidemie. Die religiöse Seele der Jansenisten stand nämlich zu Anfang des 18. Jahrhunderts mit den Jesuiten oder Ultramontanen in heftigem Kampfe. Im [379] Jahre 1727 starb in der Hauptstadt Frankreichs der Diakonus Pâris, ein Haupt der Jansenisten, nachdem er sich durch die strengsten Bußübungen furchtbar kasteit und so zu Tode gequält hatte. Sein Grab wurde häufig von seinen Anhängern besucht, um dort Betübungen vorzunehmen und das Andenken des Verstorbenen zu ehren. Vier Jahre nach seinem Tode, es war im September 1731, verbreitete sich in Paris das Gerücht, auf dem Kirchhofe St. Médard, am Grabe des heiligen Pâris, geschähen Wunder. Kranke, besonders Gelähmte, die sich dort in der Nähe des Grabes herumgetrieben hätten, seien von unbestimmten Beängstigungen, von Zuckungen, von Starrkrämpfen ergriffen und schließlich geheilt worden. Bald war ganz Paris in Aufregung. Große Menschenmassen strömten täglich nach dem Kirchhofe St. Médard, um Zuschauer jenes seltsamen Schauspiels zu sein, das von den Einen für göttlichen, von den Gegnern für höllischen Ursprungs gehalten wurde. Zusehen und selbst mit ergriffen werden, war bald das Gewöhnliche. Aber auch für Solche wurde gesorgt, die nicht mit eigenen Augen das Gift dieser Zuckungen einzufangen vermochten. Den Abwesenden kam man dadurch zur Hülfe, daß man einige Reliquien des Verstorbenen, die Erde vom Grabe und das Wasser einer am Kirchhofe gelegenen Quelle als wunderthätig in die Provinzen verschickte. Damit gewann die Epidemie eine solche Ausdehnung, daß man bald über 800 Convulsionärs zählte. Endlich, es war im Januar 1732, und die Seuche noch im fortwährenden Zunehmen, setzte die Jesuiten-Partei es beim Könige durch, daß der Kirchhof geschlossen wurde. Die Pariser rächten sich damals durch ein Epigramm, das man am andern Tage an der Kirchhofspforte angeschlagen fand, und das ungefähr besagt, der König verbiete hiermit dem lieben Gott, fernerhin Wunder zu thun. In den Häusern und geheimen Versammlungsplätzen dauerte indessen die Epidemie in dem Maße fort, daß endlich durch königlichen Befehl geradezu alle Convulsionen verboten wurden. Die Anfälle selbst gestalteten sich verschiedenartig. Manche empfanden neben den Zuckungen die heftigsten Schmerzen, so daß ihre Glaubensgenossen ihnen zur Hülfe kommen mußten. Bald bildete sich innerhalb der Secte eine besondere Classe, die sogenannten Secouristen, welche blos Hülfsleistungen verrichteten, und zwar wie bei den Johannistänzern in der rohesten Art. Man schlug auf verschiedene Körpertheile mit Steinen, mit Hämmern, mit Degen, mit Holzstücken.
So dauerten diese merkwürdigen Zufälle, bei denen allerdings häufig genug einfache Nachahmung und Betrug mit unterlief, bis zum Beginn der Revolution, wo sie durch die dann auftretende politische Gährung ausgeglichen wurde. – Wenn bei dieser Epidemie die convulsivischen Bewegungen der Extremitäten die Hauptrolle spielten, so darf ich eine andere nicht ganz mit Stillschweigen übergehen, bei welcher die Zunge fast ausschließlich zum Ausdruck der inneren Erregung benutzt wurde. Der Uebergang geistiger Anregung auf dieses Organ ist bekanntlich ein sehr gewöhnlicher. Die meisten Menschen fühlen sich nicht eher ruhig in ihrem Innern, als bis sie sich nach jeder stärkeren Empfindung gegen Andere ausgesprochen haben. In manchen Versammlungen sehen wir dadurch förmliche Rede-Epidemien entstehen, daß manche Anwesende durch die Reden Anderer ebenso unwiderstehlich zum Selbstreden angespornt werden, wie etwa ein Canarienvogel seine Stimme erhebt, wenn in seiner Nähe gesprochen wird. In Schweden war schon in den Jahren 1842 und 1843 in der Provinz Smaeland eine Geistesepidemie ausgebrochen, von der hauptsächlich junge Mädchen ergriffen wurden. Sie fühlten einen starken Drang zur Reue und Buße, und klagten dabei über Schmerzen im Kopfe oder in der Brust. Es folgten dann starke krampfhafte Bewegungen in den Achseln und Armen, welche bis zu starkem Schütteln der Arme und des Oberkörpers ausarteten, dann aber ein Schwall von Worten, welche Ermahnungen zur Buße und zur Bekehrung enthielten, im Allgemeinen also dasselbe Bild, welches ich Ihnen in der Elberfelder Epidemie vorgeführt habe.
Weit bedeutenderes Aufsehen machte indessen die sogenannte Predigtkrankheit und Leserei, die 1850–52 in den Lappmarken verbreitet war. Hier wimmelten ganze Gemeinden und Dörfer, ganze Landstriche von Erweckten, die mit lauter unermüdlicher Stimme Predigten vorlasen, sangen und eiferten, abwechselnd aber auch still saßen und seufzten oder auch in Ohnmacht oder Zuckungen verfielen, aus denen sie manchmal erst nach 3–4 Stunden erwachten, um nun allerhand Offenbarungen und Erscheinungen zu beschreiben, die im Zustande der Erschöpfung phantastisch ihrer Seele erschienen waren. Ein schwedischer Arzt, der damals jene Gegenden bereiste, berichtet, daß sowohl der Kutscher seines Schlittens als auch ein auf dem Pferde reitender Knabe, ebenso der Kutscher des zweiten Schlittens, seines Begleiters, und ein neben diesem sitzendes Mädchen während der ganzen Fahrt laut geheult, gesungen und gepredigt hätten, so daß ihnen selbst beinahe Hören und Sehen vergangen wäre. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß die Leserei in den Lappmarken einen günstigen Einfluß auf den moralischen Zustand des Volkes zur Folge hatte, indem sie einen vortrefflichen Ableiter gegen die Trunksucht bildete, welche dort in ungewöhnlich hohem Grade verbreitet war.
Aber ich will Sie nicht weiter mit der Aufzählung von Vorgängen ermüden, die, wie die bisher erwähnten, unter sich eine große Aehnlichkeit haben, sondern wende mich zu denjenigen epidemischen Bewegungen, als deren Triebfeder politische Ideen anzusehen sind. Ich werde mich dabei nur auf einige Bemerkungen beschränken und mich ausschließlich auf französische Zustände beziehen; denn bei keinem anderen Volke kommt der directe Uebergang von sinnlicher Empfindung zur Bewegung häufiger und reiner zur Erscheinung als bei den Franzosen. Wer die historische Gallerie in Versailles durchwandert, den überfällt ein eigenthümliches Gefühl von der Wandelbarkeit menschlicher Bestrebungen, wenn er diese Reihen von Gemälden überblickt und sieht, wie verschwenderisch eine ganze Nation heute Liebe und morgen Haß gespendet, wie sie heute mit voller Hingebung dem Principe der Volkssouveränetät, morgen dem Absolutismns und der Knechtschaft gehuldigt hat. Tritt man aber in Paris heraus auf die Straße und sieht dort mit eigenen Augen den ewigen Wechsel der Erscheinungen, wie ihn die Mode erzeugt, sieht dort jene bewegliche, fröhliche, zugängliche Menge gaffend und horchend vorüberziehen, dann scheint das Räthsel jener politischen Wandlungen seiner Lösung näher zu treten. Robespierre, dieser eiserne Republikaner, wahrlich, er hatte eine richtige Ahnung, als er in der Mannigfaltigkeit äußerer Eindrücke den größten Feind der Republik erblickte und immer und immer wieder auf die Rückkehr zu einfachen Zuständen hinwies. Aber solches Bemühen war vergeblich in der Heimathstätte der Schaulust, der Moden und Novitäten. „Armer Robespierre,“ sagt Heinrich Heine in einem seiner Pariser Briefe, „Du wolltest republikanische Strenge einführen in einer Stadt, wo 150,000 Putzmacherinnen und 150,000 Perruquiers und Parfumeurs ihr lächelndes, frisirendes und duftendes Gewerbe treiben!“ Aber eben deshalb stand der Demagogie, so wenig sie auf dauernde Erfolge rechnen durfte, ein weiter und leicht zugänglicher Spielraum zu Gebote, den sie in einem bis dahin unerhörten Umfang zu benutzen verstand. Von den französischen Demagogen hatte Keiner es richtiger begriffen, als Camille Desmoulins, daß man nicht mit Vernunftgründen, daß man mit Knalleffecten, daß man mit Farben und Tönen die große Menge in Bewegung setzen müsse. Wer in Paris war, kennt die kleine Kanone, die im Hofe des Palais royal allmittaglich mit Hülfe eines Brennspiegels durch die Sonnenstrahlen abgefeuert wird. Camille Desmoulins war es, der am 12. Juli 1789 diesen Schuß gewissermaßen als Signalschuß benutzte und auf eine Bank tretend „zu den Waffen!“ rief. Er war es, der dabei vom nächsten Baume ein grünes Blatt herabriß, es als Cocarde an den Hut steckte und die dort zahlreich versammelten Spaziergänger aufforderte, seinem Beispiel zu folgen. Es bedurfte nur weniger Minuten, und alle umstehenden Bäume waren ihres Schmuckes beraubt, alle Hüte mit dem grünen Wahrzeichen der Freiheit versehen. Am folgenden Tage trug ganz Paris die grüne Cocarde, die Aufregung wuchs stündlich, bis am 14. Juli die Bastille erstürmt und damit der Revolution das Thor geöffnet wurde. Es ist bekannt, wie dann die blau-weiß-rothe und später, als man mit pikanteren Eindrücken die Sinne kitzeln wollte, die rothe Farbe das Symbol der Revolution geworden ist, und soll ich der treibenden Kraft der Töne gedenken, so erinnere ich nur an die Marseiller Freiheitshymne, die Hunderttausende in Bewegung setzte und mehr für die Republik geleistet hat, als die durchdachtesten Beweisgründe für die Vortrefflichkeit dieser Staatsform. Im Laufe der Revolution begegnen wir einem fein durchdachten System von Sinnesreizen, welche in schrittweiser Steigerung die Menge in Bewegung hielten; Paraden, Fackelzüge, Verbrüderungsfeste folgten eines dem andern und zeigten sich jedesmal als unvermeidliche Vorboten, wo der Sturz eines Theils der bestehenden Gewallt oder einer politischen Partei in Aussicht stand. Kein großartigerer Anblick aber in der [380] ganzen Geschichte, als mitten in dieser schon schrankenlosen Bewegung einen Mann zu finden, der sie mit hervorgerufen, der sie nach Kräften gefördert hatte, der aber ihre weiteren Folgen, den Sturz der Monarchie und den Eintritt der Schreckensherrschaft mit einem staunenswerthen Seherblicke voraussah und die Freiheit aus den Händen der Freiheitshelden zu retten entschlossen war. Er fühlte sich berufen, die Rolle zu übernehmen, die Boerhave in jener Harlemer Epidemie gespielt hatte, und er sah sich nur nach dem Instrument um, womit er die Operation zum Wohle des Staatskörpers vollziehen könne. Mirabeau’s frühzeitiger Tod war für seine Zeit ein unersetzlicher Verlust, der Nachwelt aber hat er das interessante Schauspiel eines Kampfes entzogen, welchen ein Genie ohne Gleichen mit einer Bewegung ohne Gleichen aufzunehmen im Begriff stand.
Vor mehr als dreißig Jahren begrüßten wir auf der lateinischen Schule der Franke’schen Stiftungen zu Halle einen neuen Lehrer, der Ruge hieß, Dr. Arnold Ruge. Wir sollten bei ihm deutsche Verse machen lernen. Wir liebten ihn sofort und hatten alle aufrichtigen Respect vor ihm, ohne daß er jemals etwas der Art gefordert hätte, wie dies andere Lehrer vergebens thaten. Wer von uns keinen Vers machen lernte, setzte doch immer Himmel und Hölle in Bewegung, die aufgegebenen Hexameter, Distichen, Jamben und Reime aus dem Gehirn Anderer zu liefern, blos um dem einen Blicke oder Worte des Vorwurfs oder Spottes vom Katheder herab zu entgehen.
Jeder von uns sah ohne Weiteres mit dem scharfen Blick der Jugend für die Vorzüge und Schwächen der Lehrer nicht blos den geharnischten Helden gründlichen Wissens und lebendigen, anregenden Vortrags, sondern noch mehr den kernigen, edeln Mann in seiner ungeschminkten, ich möchte sagen, naiven Würde, ganz nüchtern, ohne alle Phrase und müßige Zuthat.
Ruge personificirt ganz wesentlich den Geist der letzten funfzig Jahre, der Freiheitskriege, in deren höchsten wissenschaftlichen und praktisch-politischen Folgerungen und Forderungen. Das ungeheuere Trauerspiel dieser von Regierungen unterdrückten, vom Volke verlotterten Forderungen und Früchte geht mitten durch sein Leben und alle seine wahrhaft heldenmüthige Thätigkeit. Er personificirt diese Zeit zugleich in einer so sittlich reinen, nüchtern norddeutschen, logisch scharfen, wissenschaftlich starken, sonnenhaft durch sich selbst klaren und leuchtenden Individualität, er hat dem Inhalte dieser unserer Zeit durch Worte und Werke und namentlich einst durch die Hallisch-Deutschen Jahrbücher einen so mächtigen Ausdruck gegeben, daß wir hier, kurz nach jenen Feierlichkeiten, welche zu Ehren der nach funfzig Jahren auferstandenen Geister der Freiheitskriege in’s Leben gerufen wurden, just zur rechten Zeit uns an einem solchen Leben erquicken, durch einen solchen Mann ermannen lernen mögen. Noch jetzt als Verbannter ruft er uns vom Meere herüber zu: „Tod, wo ist Dein Stachel? Hölle, wo ist Dein Sieg? Nichts ist todt. Wir haben nicht umsonst gekämpft und gelitten. Gerade jetzt und nun erst nach funfzig Jahren fangen wir an, in diesem Geiste der Freiheit zu leben und zu fordern.“
„Bei der damaligen Umwandlung glich Deutschland dem Löwen, welchem Don Quixote den Käfig aufmachte. Er war seinen Käfig so gewohnt, daß er nicht herauskam. Oder es glich einem Schlaftrunkenen, dem die Sonne in’s Gesicht scheint und der sich herumdreht, um weiter zu schnarchen. Vor funfzig Jahren legte das Volk einen vollständigen Mangel aller politischen Fähigkeit an den Tag, ja sogar das Bewußtsein von einem freien Gemeindewesen fehlte ihm.“
Und jetzt? „Ebenso allgemein als die Forderung, daß Volk und Staat einig seien, ist die der Selbstregierung. Sie ist nicht mehr die Theorie einiger Freunde der englisch-amerikanischen Freiheit, sondern Eigenthum aller denkenden Deutschen.“
Dies sind einige Stellen aus der unbefangenen, bis jetzt in zwei Bänden erschienenen Selbstbiographie Ruge’s: „Aus früherer Zeit“, worin die tröstliche Thatsache, daß der Geist der Freiheitskriege, damals blos ein dumpfer Unabhängigkeitskampf gegen einen Eroberer, jetzt zum klaren, in allem Volke lebendigen Streben nach Unabhängigkeit zu Hause geworden, ebenso männlich als überzeugend bewiesen und uns ermuthigend an’s Herz gelegt wird.
Er spricht also, obgleich ein Sechziger und Verbannter, noch mit ungeschwächter Kraft und Ueberzeugung ermuthigend mitten in unsere höchsten Bestrebungen und Kämpfe hinein. Den Mann wollen wir näher kennen lernen. Ruge stammt von der Insel Rügen, in deren Hauptstadt Bergen er am 13. September 1803 geboren ward. Sein Vater war damals Verwalter der Güter des Grafen Braße, der, als er seine Kossäthen von Hörigkeit und Frohn befreien wollte, beinahe eine Revolution seiner Leibeigenen gegen sich hervorrief, die sich endlich nur befreien ließen, weil sie es nicht hindern konnten. So sagt Ruge selbst in seiner Selbstbiographie und setzt hinzu. „Die, welche mir Schuld geben, ich hätte den Deutschen immer zu viel zugetraut, wissen nicht, wie früh ich ihr Talent kennen gelernt, sich ihren Befreiern zu widersetzen.“
Sein Vater pachtete sich schon 1804 selbst ein Gut zu Bismitz auf Jasmund an der Ostküste von Rügen. Hier im Thale, von Wogen und Jasmunds blauwellig umspülter weißer Felsenbrust umgeben, von Buchenwäldern, Wassermühle, Forellenbach, Uferbergen, grünen Weiden, weidenden Thieren, Füchsen und Seehunden, von ländlichen und Meer-Schönheiten, erzogen von einem strengrechtlichen, gutherzigen Vater und einer ebenso geistvollen als körperlich starken Mutter, die einmal einen Franzosen, der sie auf den Arm gehauen, eigenhändig und allein mit einem Besenstiele so nachdrücklich zerbläute, daß er betäubt auf dem Hausflur liegen blieb und auf Befehl der zornigen Mutter liegen bleiben mußte, bis er von selber wieder aufstand (der französische Officier, der kam, um die Sache zu untersuchen, gab ihr Recht und setzte hinzu, daß sie, die Franzosen, Deutschland nicht zu sehen gekriegt hätten, wenn die große Nation Napoleon’s Angriffe so erwidert hätte, wie sie, Ruge’s Mutter) – so gesund und stark entsprossen und in solcher Umgebung zum ersten Bewußtsein erwachend, dann schon als Kind persönlich von der Franzosen Herrschaft berührt, daß er eines Nachts in einem dunkeln Gange des Gartens niederkniete und betete, der Tyrann möge zu Grunde gehen, oder er wolle ihn mit eigener Hand erstechen, endlich in und auf Schulen in Bergen, Langenhavshagen und Stralsund schon im 17. Jahre zum sprüchwörtlichen „Altklug“ geworden, fuhr er zu Ostern 1821 als „ganz vernünftiger, junger Fuchs“ mit zweihundert harten Thalern im Ränzel auf einem Hühnerwagen nach Halle hinein auf die Universität.
Mit diesem langen Satze haben wir die ganze Kind-, Knaben- und Schulzeit gleichsam übersprungen, obgleich „diese Welt der Kindheit größere Aufmerksamkeit verdient, als ihr gewöhnlich gewidmet wird.“ Blos weil wir innerhalb eines beschränkten Raumes das ganze bisherige Leben unseres Helden in seinen reichhaltigen Hauptzügen wenigstens andeuten müssen, können wir uns mit dieser frischen Jugend ebenso wenig aufhalten, wie mit der noch bedeutungsvolleren Universitätszeit, der Ruge den ganzen zweiten Band seiner Selbstbiographie[1] widmet. Wer aber nicht nur ein Muster sittlicher Strenge, muthigen Handelns, edler Resignation, riesigen Fleißes, muthigen Kampfes gegen die Albernheiten des alten Studententhums und den Reformator selbst kennen und achten lernen, sondern sich auch das klarste, reichste, lebenswahre Bild von dem damaligen Geiste der Universitäten verschaffen will, der muß diesen Band lesen. Ruge besuchte fast alle Universitäten als Hauptträger oder echter Bevollmächtigter der Burschenschaft, ihrer Bestrebungen, Pläne, Reformen, Vereine und Verschwörungen.
Wir wollen uns bei der Burschenschaft nicht weiter aufhalten: „sie hatte doch nur das Gefühl und den Glauben der Freiheit,“ sagt Ruge selbst; „die verwirklichte Freiheit war uns dann die Philosophie, und eben dieses Bewußtsein gab uns damals und giebt
[381]uns noch die Erhabenheit über das Gesindel, das nur ausschlägt, wenn’s wild wird, aber doch der Allgewalt der Entwicklung weichen muß, die in der Philosophie vornweg genommen wird.“ – Daher später der strenge, unbarmherzige Philosoph Ruge.
Als Hauptvertreter der neuen, sittlich strengen Burschenschaft und des Jünglingsbundes besuchte er, wie gesagt, fast alle Universitäten Deutschlands und der Schweiz. Nie hat Jemand etwas Schlagenderes gegen das Duell gesagt, als Ruge der Student, wie wir’s im zweiten Bande seiner Selbstbiographie finden. Die Polizei verfolgte den Freiheitsgeist der Studenten und diesen sittlichen Ernst der Jugend zu Gunsten landsmannschaftlicher Liederlichkeit und pietistischer Schwanzwedelei Jahre lang und bevölkerte die Gefängnisse größtentheils bei Nacht und Nebel mit immer neuen Opfern.
So ward auch Ruge in einer Januars-Mitternacht 1824 von einem „quäkenden Regierungsrath“ zu Heidelberg „im Namen des Großherzogs“ (nicht des Gesetzes) als Hochverräther verhaftet. Die Thätigkeit der Kamptz und Tzschoppe’s[WS 1] schaffte eine ganze Menge Jünglingsbündler herbei und hielt sie das ganze Jahr hindurch in Untersuchungshaft. Die Meisten wurden endlich zu 15 jähriger Festungsstrafe verurtheilt, darunter Ruge. Nachdem er fünf Jahre lang auf der Festung Coblenz tief und anhaltend studirt und sich sprachlich und philosophisch zu einem Kerngelehrten ausgebildet hatte, wurde er und mehrere Mitgefangene entlassen. Sofort trat er mit dem Geiste der Freiheitskriege wieder auf, er ließ in Stralsund das Trauerspiel „Schill und die Seinen“ veröffentlichen.
In Jena zum Dr. phil. promovirt, arbeitete er vorzugsweise als sehr bald gefürchteter Kritiker mit an den „Blättern für literarische Unterhaltung“.
Wie die Julirevolution von 1830 auf ihn wirkte, werden wir erst ordentlich im dritten Bande seiner Selbstbiographie erfahren. Er ließ sich aber praktisch nicht stören und benutzte die ihm gewordene Erlaubniß, wieder ohne polizeiliches Hinderniß von seiner Arbeit leben zu dürfen, zunächst dazu, in den Franke’schen Stiftungen zu Halle sein Probejahr als Lehrer durchzumachen. Hier, mit der Familie des Kanzlers Niemeyer befreundet, verlebte er glückliche Tage praktischen und poetischen Schaffens. Auf Grund seiner „Platonischen Aesthetik“ wird er Privat-Docent der Universität und verheirathet sich mit Fräulein Louise Düffer, wodurch er zugleich in Besitz eines bedeutenden Vermögens gelangt. Die Honig-Monde werden zu einem Jahre in Italien, besonders in Rom. Dann studirt er in Giebichenstein bei Halle die Philosophie Hegel’s und lehrt sie uns Studenten als Logik, Metaphysik, Politik und Aesthetik bis 1837. Ich war und blieb mit Wenigen ausdauernd sein Zuhörer, und das einzige Heft, welches ich mir je auf der Universität binden ließ, war die Aesthetik von Ruge. Ich und fünf bis sechs Andere, wir hielten’s aus bei ihm. Alle Andern blieben weg; es war ihnen zu starke Kost, vorgetragen in einer streng logischen „reinen Begriffs-Bewegung“, holperig, unbarmherzig, ohne Zeit, sich zu erholen oder es niederzuschreiben. Da saß er auf dem Katheder fest und knorrig, beinahe unbeweglich, hellblond, durchdringend blauäugig, körperlich stark, beinahe massiv, aber ganz unsichtbare, dialektische Gedankenbewegung, ohne Farbe, ohne Fleisch und Blut, ohne Wärme, uns armen Studenten zumuthend, das ganz raum- und zeitlose, ewig schrankenlose Evangelium von der geistigen Freiheit, wie es Hegel in gewaltigen Bänden classisch niedergeschrieben hatte, in unsere freitischgenährten, tabaks- und torfrauch- und bierumnebelten Köpfe aufzunehmen. Es war harte, harte Arbeit für uns.
Als Wirth, Gatte und Vater in seinem Hause (am Franke-Platz mit einem schönen eigenen Garten) stieg er manchmal auf die liebenswürdigste, witzigste Art mitten in unsere Anschauungsweise herab, sang mit uns Studentenlieder, spielte mit der jungen [382] Frau[2] Federball, ließ den kleinen Richard auf dem Knie reiten und ging auf den Kieswegen so fest und zuversichtlich einher, daß sich jeder Fußtritt abdrückte, ein ganzer Mann der Freiheit und Sittlichkeit in Wissenschaft und Leben.
Aber das Universitäts-Katheder ward ihm zu eng. Er schuf sich 1837 die eigenste, mächtigste Wirksamkeit: die halleschen Jahrbücher. Die Jahrgänge 1837–42 und das in Leipzig unter dem Titel „Deutsche Jahrbücher“ fortgesetzte Bruchstück sind und bleiben die ewig siegreiche Schlacht bei Leipzig in Wissenschaft der Philosophie. Wer je in seinem Dünkel Miene machen sollte, über die unfruchtbare Philosophie die Nase zu rümpfen, der greife nach diesen Jahrbüchern. Preußen verbot endlich diese Jahrbücher. Ruge flüchtete nach Sachsen, aber auch hier wurde das Januarheft 1843 weggenommen und dem Verleger O. Wigand weiterer Druck verboten. Die zweite Kammer der Volksvertreter bestätigte das Verbot mit 54 gegen 6 Stimmen.
Ruge suchte sich nun eine Freistätte für Preßfreiheit außerhalb Deutschlands, in Paris. Hier dachte er mit Karl Marx und den Franzosen in „deutsch-französischen Jahrbüchern“ zusammen zu wirken, aber Ersterer zeigt, daß er kein Mensch und kein Mann der Wissenschaft, sondern giftiger Communist ist, Letztere verstehen gar nichts von deutscher Wissenschaft und können nicht mitarbeiten. Die deutsch-französischen Jahrbücher befinden sich jetzt im 5. und 6. Bande der gesammelten Schriften von Ruge und verkündeten 1844 ganz sicher die republikanische Revolution von 1848 in Frankreich, die constitutionelle in Deutschland voraus.
In Paris gescheitert, versucht er’s 1846 mit Julius Fröbel in Zürich, als Verlagsbuchhändler (literarisches Comptoir, Herwegh’sche Gedichte) weiter zu wirken. Auch als solcher verboten, fängt er 1847 das Verlags-Bureau in Leipzig an. Diesem verdanken wir die Veröffentlichung seiner bis dahin „sämmtlichen Werke“ in 10 Theilen mit den übersetzten „Briefen von Junius“, diesem ewig classischen Werke des echten Manneszornes in constitutionellen Staatsverhältnissen. Es sind seitdem noch 14 Werke hinzugekommen und zwei unter der Presse oder Feder. Wir können hier leider auf eine Würdigung derselben nicht eingehen und beschränken uns blos auf Erwähnung der nach unserer Meinung werthvollsten: „Das Komische“, erste wirklich philosophische Lösung dieses Begriffs und „verwickelten Processes“, „die Loge des Humanismus“, „Friedrich Schiller’s Leben“ (in St. Louis gedruckt und bei amerikanischen Schillerfeiern vorgetragen), „Uebertragung von Buckle’s Geschichte der Civilisation“ und „Aus früherer Zeit“, die in zwei Bänden erschienene und wahrscheinlich in zwei bis drei folgenden vollendete Darstellung und Kritik seines eigenen Lebens und Wirkens und unserer letzten sechzig Jahre. Mancherlei Dichtungen, Dramen, Novellen u. s. w. von Ruge sind zu kalt-classisch gerathen, als daß sie auf unsern wieder sentimental verdorbenen Geschmack hätten bedeutend wirken können. Mehrere, wie „die neue Welt“ (Trauerspiel) etc. kenne ich noch nicht, andere sind noch ungedruckt.
Den März 1848 erlebte Ruge in Leipzig, wo er besonders mit Nobert Blum verkehrt hatte. Der Minister Oberländer, der die deutschen Jahrbücher gegen Regierung und Kammer-Majorität vertheidigt hatte, bildete damals keinen feindlichen Gegensatz zum Ruge’schen Standpunkte.
Breslau wählte ihn für die deutsche Reichs-Versammlung nach Frankfurt. Hier verlangte Ruge mit seiner Partei: „Centralgewalt aus unserer Mitte gewählt, Unterordnung aller Fürsten unter diese Centralgewalt, also Einheit auf dem Boden der Freiheit“. Gagern’s „kühner Griff“ und das deutsche Parlament selbst versuchten’s mit Einheit ohne Freiheit und schufen jene verhängnißvolle Reichsverweserei mit unverantwortlicher Centralgewalt und ohne Verbindlichkeit gegen die Beschlüsse des Parlaments. Ruge hielt dies für Selbstabdankung der National-Versammlung, schied aus und nahm in Berlin die in Leipzig gegründete Reform wieder auf, weil nach seiner Ueberzeugung nun Alles auf Preußen und nichts mehr auf Frankfurt ankam. In Frankfurt hatte sich die Volksvertretung selbst umgebracht.
Die „Reform“, mit dem Privateigenthum Ruge’s, 60,000 Thlr., begründet, gelang und ergab, wie von Sachverständigen und durch den Absatz nachgewiesen war, jährlich einen anständigen Gewinn, als General von Wrangel mit seinen Truppen in Berlin einzog, die Nationalversammlung auflöste und die „Reform“ verbot. Da Ruge am Morgen nach dem Verbote die Zeitung trotzdem wie üblich erscheinen ließ, wurde die Druckerei geschlossen und er selbst mußte Berlin verlassen. Spätere Reclamationen um Rückerstattung seines Eigenthums blieben auch unter der „neuen Aera“ unbeantwortet. Ruge hat diese Angelegenheit und Correspondenz mit dem Ministerio der neuen Aera in einer englisch geschriebenen Broschüre dem Volke seiner zweiten Heimath, als gesetzlich englischer Bürger, zur Beurtheilung zugänglich gemacht.
Ruge, um seine Existenzmittel gebracht und heimathlos, begab sich nach Leipzig, dann mit der badenschen Gesandtschaft nach Paris.
In Folge der Niederlage Ledru Rollin’s am 13. Juni ward er auch von da vertrieben. Nach dem Siege der Contre-Revolution in ganz Europa, und in Leipzig durch Veruntreuung seines Verlagsgeschäfts (sein Commis B. verkaufte es für seine eigene Tasche), in Berlin durch Schließung seiner Druckerei aller seiner Habe beraubt, suchte und fand er eine Zuflucht in England. In London wollte ihm nichts gelingen. So siedelte er sich 1850 in Brighton am Meere, Frankreich gegenüber, in dem aristokratischen Vororte Londons an, wo die gute Gesellschaft im Herbst und Winter jedesmal bis zur Parlaments-Eröffnung an der Meeresküste entlang wohnt, fährt, reitet und sich amüsirt. Hier schuf er sich durch harte Arbeit und eiserne Ausdauer, durch die Kraft und das Ansehen seines Wissens und seiner starken, geraden, edelmännlichen Persönlichkeit auf fremdem Boden, durch fremde Menschen, in fremder Sprache eine neue Welt und Wirksamkeit. Durch öffentlichen und Privatunterricht erwarb er so viel, daß er die Seinigen anständig ernähren und seine Kinder würdig erziehen und versorgen kann. Er verdiente aber mehr, viel mehr, die aufrichtigste Hochachtung und Liebe seiner englischen Mitbürger. Da wird man selten eine edle Familie in Brighton finden, die nicht warm würde, sobald man von Ruge spricht.
In Deutschland braucht er sich nichts mehr der Art zu erwerben: er gehört zu den wenigen Männern der Zeit, die auch die bittersten Feinde, wenn sie ehrlich und gebildet genug dazu sind, unbedingt achten müssen.
Das ist das nothwendigste Außenwerk zum Leben Ruge’s. Er selbst liefert uns in seinen Erinnerungen „Aus früherer Zeit“ das lebendig Innere und den wahren Zusammenhang zu dem äußerlichen Rahmen. Er giebt die Wahrheit und den innersten Sinn seiner Erlebnisse und seiner Zeit wieder. Das wird ein wichtiges Werk, da diese Zeit so reich und anziehend ist, da sie unsere Zeit ist, in der wir Alle wurzeln, aus der wir die Lebenskraft für unsere Zukunft und das Werk der Befreiung ziehen, für welche er arbeitete, kämpfte, opferte und litt, wie Wenige.
Ruge vermuthet, daß er in England sterben werde, und hat sich für seinen Grabstein folgenden Zuruf an die Heimath gedichtet:
„Menschen ließ ich zurück und der Heimath freundliche Fluren,
Doch nicht den Stolz und den Muth, welcher die Menschen befreit;
Und es bewegt kein Hauch die gehässige Wolke der Knechtschaft,
Welche des Volkes Gemüth wider die Freien empört
Und die Vertrieb’nen an’s Ufer der gastlichen Fremde gebannt hält,
Bis sie der Tod umarmt, treu bei der Fahne des Rechts.“
Wir hoffen, daß er noch in seinem, in unserm Deutschland leben werde. Er ist erst 60 Jahre alt und noch in voller Mannes- und Lebenskraft. Sollte aber endlich auch sein Leib in englischer Erde begraben werden, was er gethan und erstrebt, lebt und wirkt unsterblich in unserm Deutschland.
Die Entdeckung der Nilquelle. In der glücklichen Zeit, wo wir „Robinson Crusoe“ erst zu buchstabiren, dann zu lesen und schließlich in unserer Phantasie zu durchleben pflegten, wo wir für Cooper’s Urwälder schwärmten und uns mit seinen Indianerhäuptlingen zusammenlebten, konnten wir uns nie der kindlichen Furcht erwehren, daß bald die ganze Herrlichkeit ein Ende haben und es in wenigen Jahren keine unentdeckte Insel mehr geben werde, auf die wir uns als Robinson Crusoe zurückziehen, keine waldeinsame Wildniß, über die wir als Huronenhäutptling herrschen könnten. Unaufhörlich quälte uns der Gedanke, daß die prosaische Civilisation mit ihrer rastlosen Entdeckungswuth nicht einhalten werde, bis wir groß geworden seien, und mit Angst und Widerwillen sahen wir den Zeitpunkt herannahen, wo die ganze Welt wie eine blau und roth gemalte Landkarte mit allen Nebenflüssen und Vorbergen vor den Augen unromantischer Menschen aufgeschlagen liege und in der Schule auswendig gelernt werden müsse, wie die Geographie von Kurhessen mit seinen vier Provinzen und 21 Kreisen, mit Fulda, Werra, Weser, Lahn, Main, Diemel, Schwalm etc. und all’ den vertrackten Höhenzügen und Wasserscheiden, die uns so viel schwarze Striche und Strafarbeiten einzutragen pflegten. Nun, wir sind groß und alt geworden, ohne daß sich unsere kindische Furcht verwirklicht hätte. Noch immer bleibt ein gut Stück Erdoberfläche zu entdecken, und wenn auch die Romantik aus dem gründlich entdeckten Lippe-Detmold und dem ziemlich vollständig entdeckten Urwald des Leipziger Rosenthals verschwunden ist, und aus Amerika, Australien, Japan, dem Reiche der Mitte und dem Fürstenthum Waldeck demnächst zu verschwinden droht, so herrscht sie doch in Form von undurchdringlichen Wüsteneien, entdeckungsfeindlichen Cannibalen, uncivilisirten Fiebern, gerösteten und verspeisten Entdeckern, zweifelhaften Gorillas und unzweifelhaften Menschenjägern noch souverän in dem Inneren Afrikas. Aber ewig kann das nicht dauern; ein Stück nach dem andern wird in unsern Karten verzeichnet, und endlich muß allerdings die Zeit kommen, wo es nichts mehr zu entdecken giebt und der Beduinenhäuptling der Saharah im Stande sein wird, seinem gottbegnadeten Vetter von Dahomey eine freundnachbarliche Anstandsvisite mit einem Eisenbahnbillet erster Classe abzustatten.
Ein anderes vom Alterthum überkommenes Geheimniß, in dessen mysteriösen Schatten vor Jahrtausenden die menschliche Cultur geboren und erzogen wurde, ist vor dem unaufhaltsamen Ungestüm des modernen Unternehmungsgeistes gefallen. Was der Speculation der griechischen Philosophie und dem Gebote der römischen Herrschaft nicht gelang, das ist soeben zwei abenteuernden Engländern gelungen – die Quelle des Nils ist kein Geheimniß mehr, sondern eine geographische Trivialität, die hinfüro in jedem Schulatlas ihren wohlverzeichneten Platz finden wird. Vier, vielleicht fünf und sechs Jahrtausende lang haben die Menschen an den Ufern dieses wunderbaren Stromes gestanden und mit religiöser Scheu und menschlicher Wißbegierde nach der Himmelsgegend geblickt, woher die überströmenden, befruchtenden, Leben zeugenden und Segen spendenden Fluthen des majestätischen Nils sich ergossen. Unsere Chronologie läßt uns im Stiche. Ein Fetzen Leichentuch, das einer Mumie zur verwitterten Hülle dient, ein irdenes Gefäß, ein rohes, in Granit gehauenes Symbol sind die Urkunden, aus denen wir ägyptische Geschichte studiren müssen. Aber so viel ist gewiss: ehe Memphis und Theben existirten, ehe Obelisken und Pyramiden, jene kolossalen Spielzeuge einer kindlich unbewußten Cultur, ihre ewigen Schatten über ungezählte Jahrhunderte warfen, ehe der menschliche Gedanke in Hieroglyphen einen Ausdruck fand, ehe die alttestamentlichen Patriarchen ihre Wanderungen begannen, ehe Noah aus den Trümmern einer untergehenden Welt seine Arche baute, sannen Magier und Hirten, Könige und Sclaven, weise, gotterfüllte, stille, fremde Menschen über die unerklärlichen Wunder des heiligen Stromes nach, beobachteten mit Furcht und Hoffnung, mit Andacht und Gebet sein Steigen und Fallen und warfen sich die Frage auf: Woher kommt dieser Schrecken und Wohlthäter unseres Landes?
Lucian berichtet, daß Cäsar beabsichtigte, auf die Reize der Cleopatra und die ehrgeizigen Hoffnungen des Bürgerkriegs zu verzichten, um sich auf eine Entdeckungsreise zur Lösung des Räthsels zu begeben. Nero schickte zwei Centurionen ab, mit dem Befehle, die Nilquelle aufzufinden. Doch die Natur läßt sich nicht im Sturme erobern, und sie verlacht das ungestüme Machtgebot eigenwilliger Despoten. Jahrhundert und Jahrhundert verstrichen, und das älteste Geheimniß der ältesten Cultur blieb unerklärt. Zahllose Menschenleben sind geopfert worden, ohne daß dieses Opfer etwas Anderes vermocht hätte, als den Weg für weitere Nachforschungen zu zeigen. Endlich ist das Geheimniß ergründet und die Quelle des Nils vor Aller Augen enthüllt worden. Sir Roderick Murchison, der berühmte englische Geolog, erzählte die Geschichte neulich in der „Geographischen Gesellschaft“ von London, und sie ist sehr einfach, wie die Geschichte aller wahrhaft großen Erfindungen und Entdeckungen.
Die englischen Entdecker Speke und Grant, frühere Officiere der indischen Armee und an die Wildnisse von Mittelasien gewöhnt, besaßen den Vortheil, daß sie wußten, wo sie nicht zu suchen hatten. Sie vergeudeten ihre Kräfte nicht in dem so oft vergeblich gemachten Versuche, stromaufwärts zu der Quelle des Flusses hinanzusteigen. Am 1. October 1860 reisten sie von der Ostküste Mittelafrika’s ab. Während des ersten Jahres kamen sie nur wenig vorwärts. Das Land war durch das Ausbleiben der Regenzeit ausgedörrt, und die Hauptbeschäftigung der Eingebornen schien ein permanenter Stammeskrieg zu sein. Den Neujahrstag des Jahres 1862 brachten sie in der Hauptstadt des Königreichs Karagwe zu, an der südwestlichen Spitze des großen Nyanza-Sees. Der König dieses Landes ist ein aufgeklärter Despot und „marschirt an der Spitze der Civilisation“ in Centralafrika, wie der Kaiser der Franzosen an der Spitze der Civilisation in Europa. Seine Unterthanen werden in der elendesten Knechtschaft erhalten und zum „Ruhme“ der Nation und des königlichen Hauses abgeschlachtet; aber nach außen hin ist Alles Liberalismus, Aufklärung, Nationalitätenbefreiung. Daher ließ er den beiden Entdeckungsreisenden sehr schätzbare Unterstützung angedeihen. Das benachbarte Königreich Uganda ist von einer Negerrace niedrigerer Geistesverfassung bevölkert und von einem gutmüthigen, aber schwachen jungen Manne beherrscht, der es für seine erste Regentenpflicht hält, dem Gotte seines Stammes täglich einen Menschen zu opfern. Diese beiden Länder umschließen den ungefähr 150 engl. Meilen langen und breiten See, der ringsum von den schroffen und fast unübersteiglichen Mondbergen gegen die Neugier civilisirter Menschen geschützt wird und nach Norden hin den Nil zum Abflusse hat. Sechstausend Fuß über der Meeresoberfläche, von kegelförmigen Bergen bis zur Höhe von 10,000 Fuß umgeben, liegt der ungeheure Wasserbehälter, der so lange aller Speculation und Nachforschung gespottet hat.
Sir R. Murchison glaubt, daß die regelmäßige jährliche Ueberfluthung des Stromes nicht durch das Schmelzen des Schnees auf den umliegenden Bergen verursacht werde, sondern durch die tropischen Regen, welche von dem porösen Bergboden aufgefangen und von allen Seiten her in dies natürliche Wasserbassin geleitet werden. Dem sei jedoch, wie ihm wolle, so viel ist jetzt außer Zweifel gestellt, daß der Mutterstrom des Nils aus diesem See kommt. In einer Breite von 150 Ellen wälzt sich der Strom ungefähr aus der Mitte des nördlichen Ufers und beginnt seinen reißenden Lauf mit einer Stromschnelle von zwölf Fuß Höhe. Das sind die trockenen Tatsachen; die romantischen Einzelnheiten sind noch nicht bekannt und werden wohl von den glücklichen Reisenden selbst später erzählt und veröffentlicht werden. Wir werden dann en détail erfahren, wie sie mit ihren Chronometern und Instrumenten dem barbarischen Volke van Uganda entkamen; wie es ihnen gelang, den Lauf des Stromes bis zum 2. Grade nördlicher Breite zu verfolgen, wo er sich nach Westen wendet und einen kleineren See durchfließt; wie sie der Biegung folgten und mit Hülfe ihrer Instrumente fanden, daß er in 70 engl. Meilen 1000 Fuß gefallen war; wie sie unter dem 3. Grad 45 Minuten eine Karawane türkischer Elfenbeinhändler antrafen; wie sie etwas weiter nördlich auf ihren Landsmann Mr. Baker stießen, der so weit vorgedrungen war, um sie aufzusuchen, und wie sie endlich ihre ruhmvolle Reise zur Wiege der Civilisation durch die Entdeckung krönten, daß Mr. Patherick, ein anderer englischer Entdeckungsreisender, der schon seit Jahr und Tag todt gesagt war, sich frisch und gesund am Leben befand.
Was gewinnt die Welt bei dieser Entdeckung? werden die Nützlichkeitsmenschen fragen. Wird sie den Handel befördern, die Baumwollcultur ausbreiten und einen profitablen Civilisationsfortschritt bezeichnen? Die Entdecker Speke und Grant haben den Gesichtskreis des menschlichen Wissens erweitert; sie haben der Natur vielleicht das älteste ihrer Geheimnisse abgerungen, mit unsäglichen Entbehrungen und unter beständiger Gefahr ihres Lebens; sie sind kühn über die Gräber ihrer Vorgänger hinweggeschritten und haben nicht gewankt, bis sie am Ziele angekommen waren. Das ist freilich Alles, und dieses Alles wird belohnt mit – einer goldenen Medaille der „geographischen Gesellschaft“! Freilich würde es vortheilhafter gewesen sein, Goldfelder in Australien zu entdecken oder Niederungen zur Anpflanzung von Baumwollstauden aufzusuchen; aber in unserer realistischen Zeit thut es einem außerordentlich wohl, auf Männer zu stoßen, die Muth und Aufopferung genug besitzen, um für ein idealistisches Ziel, das sich nicht auf Thaler und Silbergroschen berechnen läßt, ihr Leben einzusetzen.
Wie der Tod in die Welt kam. Bekanntlich geht in der ganzen Welt das Gerede, daß in früherer Zeit die Menschen gar nicht starben oder doch unverhältnißmäßig viel älter wurden als jetzt. Wie aber das Leben gar so kurz geworden sei, darüber ist man verschiedener Ansicht.
Die Zulukaffern erzählen: nachdem die Menschen geschaffen waren, gefielen sie dem großen Gott Umukunkulu, und er schickte das Chamäleon zu ihnen mit der Nachricht, daß sie niemals sterben sollten. Als dies bekannt wurde, so war große Freude auf Erden. Die Menschen betranken sich bei Tag und bei Nacht und thaten, was ihnen nur in den Sinn kam. Da merkte der Gott Umukunkulu, daß er einen faux pas gemacht hatte. Er schickte nun die Eidechse herunter, und – weil es für den Umukunkulu als Gott nicht passend gewesen wäre, sein Wort zu brechen – so mußte die Eidechse den Kaffern erzählen, das Chamäleon habe gelogen. Als die Kaffern solches erfuhren, ergrimmten sie sehr über das Chamäleon und machten Jagd, um es umzubringen. Das Chamäleon aber entsetzte sich dermaßen, daß es ganz weiß wurde vor Schrecken, und da es zuvor braun gewesen war, so erkannten’s die Kaffern nun nicht mehr, und es entging der Verfolgung. Seit dieser Zeit ist bei den Menschen der Tod und beim Chamäleon der Farbenwechsel üblich geworden.
In Amerika unter den Indianern geht die Sage, den ersten Menschen seien die Krankheiten ganz und gar unbekannt gewesen. Deshalb lebten auch die Menschen viel länger als heutzutage. Sie starben erst, wenn sie sich die Beine abgelaufen und den Schlund abgeschluckt hatten. Da konnte Einer viel auf den Füßen sein und manchen käftigen Zug thun und lebte doch seine zweitausend Jahre.
Daß die Weiber, neben vielen andern Calamitäten, auch den Tod in die Welt gebracht haben, das wird fast überall berichtet. Die Caraiben in Südamerika sagen, der Gott Kururuman, der die Welt schuf, habe anfänglich nur Männer zuwege gebracht. Diese lebten einig unter einander, waren guter Dinge und wußten nichts von Krankheit und Tod. Aber das Weib des Kururuman, die Göttin Kulimina, ärgerte sich, daß das schöne Geschlecht nicht auch auf der Erde vertreten sei. Sie ging also hin und machte Weiber. Als nun die Weiber auf der Erde erschienen, verwunderten sich die Männer sehr. „Welch’ niedliche Thierchen das sind,“ sagten sie, „sie sehen beinahe wie wir aus!“ und die Männer und Weiber fingen an, mit einander ein lustiges Leben zu führen. Aber es hielt nicht lange vor. Bald stifteten die Weiber Zwietracht. Es gab Eifersucht und Streit nachher auch Mord und Diebstahl. Und der Gott Kururuman ärgerte sich
[384] über den Unfug, und er führte zur Strafe von nun an das Sterben in die Welt ein.
Ein wenig anders ist es bei den Grönländern gewesen. Der erste Mann, erzählt die grönländische Sage, hieß Kaliak und war ganz allein auf der Erde. Ihm ging’s gut, denn Fische und Seehunde hatte er vollauf zu essen, und Thran konnte er trinken nach Herzenslust. Er lebte auch viele tausend Jahre. Aber endlich bekam er Langeweile. Als er wieder im Winter, wo die Nacht vier Monate dauert, in seiner Höhle saß, sah er wehmüthig seinen Daumen an. „O Daumen,“ sagte er, „Du liebster von allen Fingern, ein Stück von Dir gäb’ ich darum, wenn ich nicht mehr allein in der Welt wäre!“ Kaum gesagt, so fing der Daumen an zu wachsen. Zuerst kam ein Kopf mit zwei niedlichen Aeuglein aus ihm hervor, dann sproßten auch zwei kleine Arme und Beine nach, und als das Ganze fertig war, da war es ein Mädchen so fein und zierlich, wie sich’s ein Grönländer nur wünschen mag. Seit der Zeit ist der Daumen um ein Glied kürzer als die andern Finger geblieben. Der Mann aber kroch jetzt zur Winterszeit gern in seine Höhle und langweilte sich nicht mehr. Als vollends das Weib anfing Kinder in die Welt zu setzen, da hatte der Mann eine große Freude. Die Freude aber dauerte nicht lang. Denn die Kinder zeigten einen recht gesunden Appetit, und jedesmal, wenn der Alte Hunger bekam, war die Schüssel schon leer gegessen. Der arme Kaliak wurde nun so mager wie ein Häring und versank in trübselige Gedanken. Das Weib aber sah ein, daß die Sachen so nicht fortgehen konnten. „Höre, Alterchen,“ sagte es, „mit uns ist’s aus. Die Kinder nehmen überhand, und es ist Zeit, daß wir ihnen Platz machen. Wir wollen jetzt einmal sterben!“ Da hatte denn der Mann auch nichts dagegen, und sie legten sich hin und starben. So ist nach der Sage der Grönländer der Tod in die Welt gekommen.
Kunstketzereien. Nr. 2. Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze. Meine Künstlerwerke, seufzt der theatralische Künstler, entstehen im Augenblick und vergehen mit ihm! Die Nachwelt kann sie nicht sehen, genießen und bewundern.
Und dieses Malheur – angenommen, es wäre eins – träfe nur den Mimen? Zunächst wenigstens theilt er es mit dem Virtuosen, und außerdem mit dem allergrößten Theil der Erdbewohner. Ruhmwürdige Leistungen liefert doch wohl nicht allem der Schauspieler; große, nützliche, bewunderungswürdige Thaten haben im Laufe der Zeiten gar viele Menschen vollbracht. Wie viele davon sind denn aber sinnlich wiederholbar vor den Augen der Nachkommen? Daran denkt aber der Bühnenkünstler nicht; er hat die Werke der Dicht- und Tonkunst, der Sculptur, Malerei, Architektur im Auge, die bleiben und zeigen die Kunst ihrer Schöpfer den folgenden Generationen.
Mit großen Einschränkungen! Malerwerke, Leinwand und Farben sind nicht unsterblich; sie erbleichen oder verdunkeln mit der Zeit, und gehen früher oder später ganz zu Grunde. Von den Werken der alten Bildhauer sind wenige übrig geblieben, und die meisten davon nur verstümmelt. Von anderen kennt man wieder die Namen der Verfertiger nicht! Wo sind so viele großartige Wunder der Architektur hin, Paläste und Tempel, ja ganze Städte, wie Palmyra, Babylon mit seinen schwebenden Gärten, Theben mit seinen hundert Thoren hin? Wegrasirt von der Erde sind sie ganz und gar, oder liegen in Trümmern verstreut da, als traurige Prediger von der Vergänglichkeit aller irdischen Größe. Allen diesen großen Künstlern früherer Zeiten ist es ergangen, wie es den theatralischen ergeht, ihre Werke sind nicht auf die Nachwelt gekommen. Schriften der Dichter, Denker, Componisten erhalten sich, besonders seit Erfindung der Buchdruckerkunst und des Notenstichs, länger, möglicherweise in alle Ewigkeit hinein. Aber wahrlich für die meisten Autoren meist mehr zum Nachtheil als zum Vortheil!
Für eine Unzahl von Dichtern, Schriftstellern, Musikern, Malern wäre es sicherlich ein Glück gewesen, wenn ihre Werke sie nicht überlebt hätten. Durchblättert die Kunst- und Literaturgeschichten, durchstöbert die Bibliotheken und Kunstarchive, welch eine Unmasse nachgelassener Werke wimmelt euch entgegen! Keiner wahrscheinlich von allen diesen Autoren, der nicht mit der süßen Ueberzeugung gearbeitet hätte, ein Product für die Bewunderung aller Zeiten geliefert zu haben. Bekümmert sich die Nachwelt darum? Und wenn es hier und da einmal einem Nachkommen einfällt, den Nachlaß eines Altvordern zu betrachten, was findet er oft? Verwundert ruft er aus: Wie, dieses geschmacklose, schwache, langweilige Ding hat seinen Zeitgenossen gefallen und dessen Verfertiger berühmt gemacht? Unter zehntausend erhaltenen Werken ist vielleicht eines, das einen relativen, und unter hunderttausend erst eines, das einen bleibenden Werth für alle Zeiten hat. Ach, die Nachwelt! Wie lange ist Klopstock todt? 59 Jahre erst. Wer liest seinen „Messias“ noch?
Aber sind solche Geister wirklich nichts gewesen? Mögen ihre Werke späteren Generationen wenig oder gar nicht mehr munden, ihr Verdienst wird deshalb um nichts geschmälert; sie genügten ihren Zeitgenossen, und bedurften und besaßen zur Hervorbringung ihrer Werke für den Standpunkt und Geschmack ihrer Zeit dieselben großen Fähigkeiten, welche die größten Geister späterer Epochen zu verwenden hatten. Ihren Ruhm haben sie sich mit Recht erworben, und mit Recht lebt ihr Name in der Geschichte fort.
Und nun ist es Zeit, an den Nachsatz in Schiller’s Spruch zu erinnern:
Denn wer den Besten seiner Zeit genug
Gethan, der hat gelebt für alle Zeiten.
Was will der Mime sich also ausnahmsweise beklagen. Die Geschichte seiner Leistungen und sein Name leben fort, das ist der Kranz, den die Nachwelt flicht. Roscius starb 61 Jahre vor Christus. Die Kunstgebilde dieses großen Mimen sind mit ihm verschwunden, aber die Vortrefflichkeit derselben und sein Ruhm leben fort in der Geschichte: er ist unsterblich. Eben so wenig werden sich ein Garrik, Talma, Schröder, Ekhof, Iffland, Ludwig Devrient, so wie ihre ebenbürtigen weiblichen Collegen über die versagten Kränze der Nachwelt beklagen, wenn sie da, wo sie jetzt sind, noch Nachrichten von der Erde empfangen können.
Wie wurde Theodor Körner von Leipzig aus gerettet? Die Biographien von Theodor Körner, welche dem Verfasser der nachstehenden Erzählung bekannt sind, erwähnen nur im Allgemeinen, daß derselbe von Leipzig aus durch treue Freunde nach Carlsbad gebracht worden sei. Ein Beweis, daß über das Wie noch nichts in Erfahrung gebracht worden ist. Jetzt nach funfzig Jahren erregt aber Alles, was Theodor Körner betrifft, da sein Todestag nahe ist, ein besonderes Interesse, und so glaube ich, daß diese einfache Erzählung von ihm einigen Beifall finden wird.
Es war am 28. Juni 1813 Vormittags,[3] an einem schönen, warmen Tage, als ich, damals ein junger Mann und Besitzer eines literarischen Geschäfts in Chemnitz, zu einer befreundeten Dame gerufen wurde. Sie theilte mir mit, daß ihrem Manne, welcher aber verreist sei, von einem Freunde in Leipzig ein preußischer Officier, Namens Körner, der in dem Ueberfall bei Kitzen verwundet worden, empfohlen wäre, um ihn sicher nach Carlsbad zu bringen. Sie bat mich um Rath, wie dies auszuführen wäre, und erwähnte, daß er sich in Carlsbad unter dem Schutze der Herzogin von Kurland und ihrer Schwester, der Frau von der Recke, welche dort verweilten und mit seinem elterlichen Hause befreundet wären, begeben wolle. Obgleich eine Reise bis an die Grenze nicht ohne Gefahr war, da französische Marodeurs umherstreiften, so entschloß ich mich doch, ihn durch meine Begleitung sicher nach Annaberg, der größeren Strecke des Weges, zu bringen und dazu Extrapost in meinem Namen zu bestellen und dort das Erforderliche zu seiner weitern sichern Reise zu besorgen, welches meine Freundin mit Dank annahm.
Im Nebenzimmer fand ich einen großen, schlanken Mann von edler Haltung und Gesichtsbildung in dunkler Kleidung, welcher von einem geschickten Wundarzt aus der Nachbarschaft verbunden wurde. Er hatte bei dem Ueberfall drei Hiebwunden an der linken Seite des Kopfes bekommen, wovon eine ziemlich tief war. Es war Theodor Körner, der Dichter und beliebte dramatische Schriftsteller, jetzt Officier und Adjutant im Lützowschen Freicorps oder der schwarzen Legion, wie es damals genannt wurde. Er war mit einer Perrücke versehen, theils zum Schutz der Wunden, theils um sich unkenntlich zu machen. Er war von Leipzig über Frohburg in einem offenen unscheinbaren Wagen bis vor Borna, einem Dorfe eine Stunde vor Chemnitz, gefahren, dort abgestiegen und zu Fuße in die Stadt gegangen. Ich sagte ihm, was ich mit meiner Freundin über seine Weiterbeförderung verabredet hätte, und empfahl mich dann, um das Erforderliche in meinem Geschäft zu besorgen und die Extrapost zu bestellen. Nach Tische, nachdem er zu mir gekommen, die Postchaise vorgefahren war und meine Frau uns mit Kirschen zur Labung versehen hatte, fuhren wir ab. Unterwegs unterhielten wir uns sehr angenehm. Er erzählte mir von seinem Leben und seiner Familie, auch sprachen wir über Literatur und seine theatralischen Schriften, die bereits Epoche gemacht hatten. Auf der Hälfte des Weges, vor Ehrenfriedersdorf, machten wir Halt, um sowohl uns zu restauriren, als auch die Pferde füttern zu lassen, da es eine Station von vier starken deutschen Meilen war und dazumal noch keine Chaussee existirte. Nach einiger Zeit trat ein sächsischer Gensd’arm ein, der, da er eine Extrapost vor der Thüre traf und zwei noble Herren, die sich mit Kaffee regalirten, in der Stube fand, nicht nach unseren Pässen fragte, die wir auch nicht hatten. Bald darauf ging es weiter, und wir kamen ohne Gefährde glücklich nach Annaberg und fuhren nach dem Posthause, wo ich gleich wieder rasche Pferde als Extrapost nach Carlsbad bestellte. Während dies besorgt wurde, gingen wir zu einem Kaufmanne, an den Körner von dem Chemnitzer Hause durch ein mitgebrachtes Schreiben empfohlen war. Dieser Herr unterhielt sich mit ihm und empfahl ihm, sobald er die Grenze passirt sei, sich der österreichischen Behörde zu erkennen zu geben. Wir begaben uns dann nach der Post zurück, wo Alles bereit war. Körner dankte mir mit herzlichen Worten für Alles, was ich für ihn gethan hätte, wir schüttelten und druckten uns die Hände, und nach innigen Wünschen einer glücklichen Beendigung seiner Reise unter Gottes Schutz stieg er in den Wagen und fuhr davon. Bald darauf kehrte auch ich mit der Chemnitzer Postchaise, welche ich dort behalten hatte, nach Hause zurück, wo ich in der Nacht um zwei Uhr eintraf.
Vier Jahre nachher, im Sommer 1817, machte ich mit meiner Frau eine Reise in meine alte Heimath und blieb auf der Rückreise in Berlin bei Verwandten einige Tage. Hier beehrte mich der Geheime Oberregierungsrath Körner, Theodor Körner’s Vater, mit seinem Besuche, da er meine Anwesenheit durch meine Verwandten, mit denen er freundschaftlich bekannt war, erfahren hatte. Er dankte mir mit herzlichen Worten und Thränen in den Augen für den großen Dienst, den ich seinem verstorbenen Sohne geleistet hätte, und empfahl sich mir und meiner Frau.
Berichtigung. Wir erklären hiermit in Folge preßpolizeilicher Anordnung und dem Verlangen des Herrn Theodor Schwarz in Güstrow gemäß, daß sein Name in dem Artikel: „Gottfried Kinkel’s Befreiung“ in Nr. 7–10 der Gartenlaube vom Jahre 1863 ohne seine Zustimmung, welche einzuholen wir keine Veranlassung zu haben glaubten, genannt ist.
Eine Freundin der Kinderwelt wünscht eine Kleinkinder-Bewahranstalt in einem thüringischen Dorfe zu begründen, dessen Bewohner größtentheils unbemittelte Leute sind, die um Lohn auf den Feldern, in den Forsten und Scheunen arbeiten, ihre kleinen Kinder dann meistens sich selbst überlassen oder den älteren Geschwistern zur Beaufsichtigung übergeben müssen, ein Umstand, der schon manches Unglück veranlaßt hat. Wer für diese Stiftung sein Scherflein beitragen will, dem erbietet sich die Redaction der Gartenlaube gern zur Vermittlung der Gaben an die edle Kinderfreundin.
- ↑ Ruge: „Aus früherer Zeit“ bis jetzt zwei Bände. Berlin, F. Duncker.
- ↑ Die erste Frau war ihm nach kurzem Glück durch den Tod entrissen worden. Er vermählte sich 1834 mit einer Freundin der Verstorbenen, einer Dresdnerin, seiner jetzigen Frau, der Mutter seiner zwei Söhne und zwei Töchter. Der älteste Sohn ist praktischer Arzt in Berlin, der zweite studirt als Ingenieur in Zürich. Die jüngste Tochter ist erst dreizehn Jahre alt.
- ↑ An demselben Tage fand auch die denkwürdige Unterhaltung zwischen Napoleon I. und dem Minister von Metternich im Marcolini’schen Palais zu Dresden statt.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Tschoppe's