Die Gartenlaube (1867)/Heft 42
Das Innere eines nahen Bauernhauses bot indessen ein volles Bild des Friedens und der Behaglichkeit; wer es gesehen, ahnte wohl nicht, wie nahe Sorge und Angst daran vorüber hasteten. Vergebens rüttelte der Sturm an den Läden, die so fest verschlossen waren, daß kaum ein Lichtstrahl durch die Ritzen zu dringen vermochte, das sichere Haus in der Umwallung einiger mächtiger Lindenbäume wehrte ihm den Eingang und nur gegen die Rückseite hin, wo über eine Balkenlage wie über eine Brücke die Auffahrt zu Stadel und Tenne emporstieg, ließ sich zuweilen ein knarrender Ton vernehmen, als ob das Scheunenthor nicht fest in Schloß oder Angeln liege oder ein nicht ganz wohl befestigtes Brett allmählich dem stets erneuten Anprall des Windes zu weichen und in den Fugen sich zu lockern beginne.
Es war der Oedhof, das stattliche Besitzthum von Susi’s alter Base, die das Kind der Schwester zu sich gerufen hatte, um in den letzten Tagen, deren Herannahen sie fühlte oder ahnte, nicht ganz allein und nicht von fremden Händen gepflegt zu sein. Das Mädchen war wenige Tage vorher eingetroffen, von Bruder Waldhauser geleitet, der sich aber nicht behaglich gefühlt und bald wieder entfernt hatte; die alte Base hatte das Mädchen mit all’ der überströmenden Liebe und Freude aufgenommen, mit welcher man die endliche Verkörperung eines lang gehegten Lieblingswunsches begrüßt, sie war so ausschließend mit Susi beschäftigt und hatte nur für sie Sinn und Gedanken, daß er die Hoffnung bald als eine trügerische erkennen mußte, als könnte es ihm durch Freundlichkeit oder Anschmiegen gelingen, ein Stück der reichen Erbschaft zu erschleichen. Er gab daher den Versuch um so rascher auf, als die Base gegen ihn ebenso kalt und schroff abweisend war, wie sie das Mädchen mit Beweisen ihrer Zuneigung überschüttete. Rasch entschlossen änderte er deshalb seinen Plan und wandte all’ seine Liebenswürdigkeit der Schwester zu, damit sie, da bei ihrer steten und schweren Kränklichkeit ihr Ende doch unmöglich fern sein konnte, demjenigen ihrer Brüder einen Vorzug einräumen solle, der ihr ja im Leben ebenfalls so sehr den Vorzug gegeben.
In der Wohnstube, die wie gewöhnlich die Ecke im Erdgeschosse des Hauses bildete, war es gar behaglich, denn der große dunkle Kachelofen war nach der Sommerruhe zum ersten Male wieder geheizt, die Feuerstrahlen spielten aus dem halbgeschlossenen Thürchen auf dem Boden hin und wieder, als wollten sie mit der hängenden Oellampe wetteifern, welche gegen die sonstige Sitte und Gewohnheit des Landes über dem Tische in der Ecke aufgehangen war – die Besitzerin des Hofes hatte die Neuerung eingeführt, als das Erdöl sich überall zu verbreiten begann, weil sie an den Augen litt und es ihr angenehm war, das Licht nicht vor, sondern über sich zu haben. Aus demselben Grunde war auch das Licht auf den geringsten Grad zurückgeschraubt und verbreitete nicht viel mehr als eine schwache Dämmerung, eben zureichend, um die Umrisse der Stube, die dunklen Balken und Tafeln der Decke und das an den Wänden herumlaufende Holzsims erkennen zu lassen. Ueber dem Tische fehlte nicht der aus allerlei bunten Täfelchen, alten Büscheln künstlicher Blumen und einem Kreuzbilde gebildete Hausaltar; daneben in der breiten Fensternische unter dem aufgehangenen Kalender lagen die wenigen Bücher, welche das kleine Lesebedürfniß der Hausbewohner erforderte, eine alte großgedruckte Bibel mit Holzschnitten, ein Evangelienbuch, die Geschichte von Isidor, dem wackern Bauern zu Ried, die Märlein von der schönen Magellone, einer Königstochter aus Britannia, und von den vier Haymonskindern. Auf der Ofenbank lag ein schlichtes Kissen zum Lager für den Bauer, wenn er naß und erkältet von der Arbeit heimkam und des Trocknens und Erwärmens bedurfte am mächtigen Ofen; es war schon in die zehn Jahre, daß der Bauer sich ganz zum Ausruhen von der Arbeit niedergelegt hatte, aber das Kissen war noch da und harrte sein, als sei es gestern gewesen, daß er darauf geruht, als müßte es heute sein, daß er Schnee und Tropfen vom Hute schüttelnd in die Stube trete. Längs der Sitzbank an der Wand standen die Spinnräder für die Mägde bereit; darüber an der einen Seite des Thürgerüstes hing das zinnerne Weihwasserkesselchen mit einem Paar lockiger und flügelschlagender Engel; gegenüber an der andern Seite ragte das braune Holzgehäuse der alten Standuhr empor, ein Erb- und Prachtstück des Hauses, denn zu oberst auf dem wie ein Dach geformten Deckel der Uhr saß ein künstlich geschnitzter Hahn, der bei jedem Stundenschlage die Flügel regte und laut krähend mit dem einen Fuße einen fliegenden Zettel empor hob, auf dem geschrieben stand:
O Mensch, so oft der Gockel schreit,
Bedenk’s, es wart’t nach dieser Zeit
Auf dich die große Ewigkeit!
Vor dem Ofen, in dem alten schwarzbraunen Lederstuhle saß die Bäuerin, die Herrin des Hofes, eine hagere hohe Gestalt mit nicht unfreundlichen, aber ernsthaften Gesichtszügen, deren Ausdruck durch das vollständig silberweiße Scheitelhaar und durch den starren Blick der alterstrüb gewordenen Augen nur noch mehr hervorgehoben wurde. Die ungelenken, immer frierenden Beine waren [658] mit einer Decke verhüllt, aber die Haltung des Körpers war trotz der vielen Jahre, die auf dem Nacken lasteten, hoch aufgerichtet und fest; die Frau war ungebrochen im Gemüth und saß aufrecht, als wollte sie dadurch den Augen nachhelfen, die stündlich immer mehr den langgewohnten strengen Dienst nicht mehr zu leisten gesonnen schienen. Auf dem Schooße der Alten lag eine grobe Wollenstrickerei mit starken hölzernen Nadeln, wie auch die halb Erblindete sie zu gebrauchen vermochte – in den Händen hielt sie eben den großen Rosenkranz und ließ unter leise gemurmeltem Gebete die schwarzen Kugeln daran abwärts gleiten – sie mußte beide Geräthe in der Nähe haben, um in ihre einsame Abgeschiedenheit noch einen Rest irdischer Abwechselung bringen zu können und die Arbeit mit dem Gebete zu vertauschen, den letzten Faden menschlicher Thätigkeit, der sie noch hienieden festhielt, anzuknüpfen an die Strahlen des hereindämmernden Jenseits.
„Wer ist da?“ fragte sie, den Kopf erhebend, als sie die Thür in den Angeln sich bewegen hörte. Es war Susi, die eingetreten; sie erwiderte nichts, leise und wie unkörperlich trat sie zu der alten Frau und glitt, deren Hände erfassend, auf den Schemel zu ihren Füßen nieder. Sie war noch feiner und zarter geworden, als damals, wo sie von der Kreuzstraße geschieden; nur die Blässe war gewichen und die Wange sogar mit lebhafter Röthe überhaucht, aber die Farbe war von fast unheimlichem Glanze, nicht wie der Strahl einer ruhig wärmenden Gluth, sondern wie der Widerschein eines verborgenen Brandes, der insgeheim fortglimmend Leben und Lebenskraft von innen heraus versengt und verkohlt. Wer das Mädchen sah, mochte wohl begreiflich finden, wie der schlaue Waldhauser darauf verfiel, die Susi noch gegönnten Tage voraus zu berechnen, wie das Brennen einer Lampe, der von karger Hand die nährenden Tropfen zugezählt worden.
„Du bist’s, mein Dirnl’,“ sagte die Greisin mit gütigem Tone, „Du kommst und gehst ja daher, so still wie ein Geist … sag’ mir nur einmal, was es denn mit Dir ist? Du lachst nit, Du weinst nit; Du hast kein Leid und kein’ Freud’ – das ist nichts für ein Madel von Deine Jahr’! Du bist ja doch sonst anders gewesen, – haben Dich denn die paar Jahrln in der Stadt so ganz und gar umwenden können? Was ist Dir denn gescheh’n? Ich hab’ Dich schon so oft gefragt – aber Du sagst halt nichts!“
„Weil ich nichts zu sagen hab’, Bas’l,“ erwiderte Susi, „ich bin nur krank – es thut mir so weh, da drinnen, zu tiefst’ in der Brust und im Herzen …“
„Du sündigst halt auf meine alten halbblinden Augen,“ sagte kopfschüttelnd die Alte; „hätt’ ich mein Augenlicht noch, daß ich Dir in’s Gesicht sehen könnt’, ich wollt’ Dir’s wohl sagen, ob Du aufrichtig bist oder ob Du die alte Schwester von Deiner Mutter betrügen und anlügen kannst!“
„Bas’l – sei gut mit mir!“ schluchzte Susi, auf deren Hand gebeugt, „Du kannst es nit glauben, was ich aussteh’ …“
„Ich glaub’s, ich glaub’s wohl, denn ich spür’s, wenn ich’s auch nicht seh’,“ antwortete die Greisin, indem sie ihr nach dem Gesicht tastete und streichelnd über Stirn und Augen fuhr, „aber ich muß davon reden, weil ich Dich anders haben möcht’! Weil ich möcht’, Du solltest wieder das liebe lebfrische Dirnl’ werden, wie von eh’ … Ich sorg’, es wird Dir halt zu langweilig und zu einsam sein, da auf dem einschichtigen Oedhof … vielleicht wirst anders, wenn Du eine junge Cameradin und Gesellin bei Dir hast, mit der Du ’rum laufen und plaudern kannst, wie Dir um’s Herz ist! Wie ist es denn mit der Franzi? Hat sie Dir denn nit versprochen, daß sie Dich heimsuchen, daß sie vielleicht ganz bei uns bleiben will?“
„Das hat sie,“ antwortete Susi mit einer raschen Bewegung nach dem Herzen, als habe sie dort plötzlich einen stechenden Schmerz empfunden, „allerdings, sie hat versprochen zu kommen – und mir ist manchmal zu Muth, als müßte mir wieder wohl und frei um’s Herz werden, wenn sie Wort halten thät …“
„Nun also, so sei wohl und getröst’,“ begütigte die Alte, „dann wird’s ja wieder recht werden, denn was die Franzi versprochen hat, das halt’ sie auch, für das kenn’ ich sie lang! … Und da hast wieder den groben Schalkel an,“ fuhr sie fort und tastete an Susi’s Kleidern herum, „und das Bauern-Mieder … Willst also Dein’ Stadtgewand ganz und gar den Abschied geben?“
„Ich will nichts wissen,“ rief Susi hastig und mit aufwallender Heftigkeit, „ich will nichts mehr hören und sehen von der Stadt!“
„No, no,“ erwiderte die Base lächelnd, „ich werd’ Dich nit dazu zwingen; mir kann’s recht sein – wenn’s mir nach’gangen wär’, hättst Du zuerst nichts zu thun gehabt in der Stadt! Ich bin froh, wenn Du wieder bei uns bleiben und wieder ein Bauernleut werden willst – aber wissen möcht’ ich doch, was Dir die Stadt gar so verleid’t hat; ich hab’ mir schon allerhand Gedanken d’rüber gemacht! Kannst es denn gar nit zuwegen bringen, Susi, daß Du Dir ein Herz fassen könnt’st und könnt’st aufrichtig reden mit mir? Ich bin doch die Schwester von Deiner Mutter selig; ich hab’ Dich so gern, wie sie Dich gehabt hat, denn Du bist ihr letztes und liebstes Kind gewesen. … Kommt’s Dich gar so hart an, wenn Du bei mir bist, daß Du Dir einbild’st, es ist Dein’ Mutter, die mit Dir redt?“
Ergriffen neigte das Mädchen sich vor und barg ihr verwirrtes Antlitz im Schooße der Greisin; ein weiteres Wort derselben hätte vielleicht genügt, das Band zu sprengen, das unverkennbar um Susi’s Gemüth geschlungen war – es blieb ungesprochen, denn die Thür ging auf und die Magd trat mit „Gelobt sei Jesus Christus“ ein, um den Tisch zur Abendmahlzeit zu bereiten; die andern Dienstboten, die Knechte und Dirnen folgten und reihten sich um den Tisch. Bald war das grobe Tuch ausgebreitet, die blechernen Löffel waren vertheilt, die Holzteller aufgestellt und nach kurzem von der Oberdirne vorgesprochenem Gebet ging es eifrig daran, die in der Mitte dampfende Schüssel zu leeren.
„Was meinst, Bäuerin?“ fragte der Knecht. „Ich denk’, wir sollen morgen mit dem Dreschen anfangen.“
„Ist ja noch viel zu früh,“ entgegnete die Frau, „ist um Martini noch bald genug …“
„Ja, die Jahrgäng’ sind halt nit gleich – heuer kriegen wir eben einen frühzeitigen Winter! Hörst, wie’s draußen wettert und an den Läden rüttelt! Es schneit, was nur herunter kann, es gefriert gewiß heut’ Nacht und der Schnee bleibt schon liegen für heuer!“
„Warum nit gar!“ rief in verweisendem Tone die Frau. „So geschwind thut sich die Welt nicht verkehr’n! Wir haben heut’ Sanct Galli-Tag’, – ich denk’ über siebzig Jahr und niemals noch in mein’ langen Leben ist der Schnee liegen ’blieben um Sanct Galli-Tag! Verlaß Dich auf mich, Hies – bis morgen ist es wieder hell. Der Schnee ist weg, übermorgen ist es wieder trocken und wir können noch den Haber anbauen auf der obern Breiten … nimm den Sam’ morgen her und arbeit’ ihn tüchtig durch auf der Putzmühl, daß nit so viel Wicken und Trespen drunter aufgeh’n, wie ferten – das wird gescheidter sein als das Dreschen, und so ist’s auch alleweil Brauch gewesen auf dem Oedhof und soll’s bleiben, so lang’ ich noch Herr bin im Haus … Und was ist’s denn mit dem Roßbuben, dem Wastl?“ fuhr sie fort, als von keiner Seite eine Erwiderung erfolgte. „Der ist heilig wieder nit da, weil ich ihn nit hör’. Was ist’s mit ihm? Wo ist er?“
„Weiß nit,“ sagte der Baumann mürrisch, „wird wohl nach Miesbach hinein sein, – hat alleweil schon gesagt, er müßt’ einmal hinein und sich ein Paar Stiefel kaufen …“
„Was?“ fuhr die Frau zürnend auf. „An einem Werktag lauft er von der Arbeit weg und ohne daß er mich fragt? Stiefel will er sich kaufen? Mit was denn – hat er nit sein Liedlohn schon voraus fast auf ein halbes Jahr? … Ein liederlicher Bursch ist er, der ausgedient hat auf dem Oedhof! Kannst ihm sagen, Hies, wenn er nach Haus kommt, er soll sein Bündel schnüren und mir nimmer unter die Augen kommen …“
„Hoho,“ sagte der Knecht brummend, „wer wird Einen gleich fortjagen, wegen dem bissel Ausbleiben! Wo willst gleich ein’ andern Rosser hernehmen, Bäuerin, und ein tüchtiger Schaffer ist der Wastl, das muß ihm sein ärgster Feind lassen …“
„Und wenn er der beste Knecht wär’,“ sagte die Bäuerin, wieder vollkommen ruhig mit hörbarer Festigkeit, „und wenn er der einzige auf der Welt wär’ … es ist jetzt das dritte Mal, daß er mir Sprüng’ macht – er kommt mir nicht mehr in’s Haus! Auf dem Oedhof ist es allemal richtig her’gangen, so lang’ er steht … es ist kein’ unrechte Sach’ darin gelitten worden und kein unrechtes Leut; so ist’s Brauch auf dem Oedhof und ich hab’s schon gesagt, so soll’s bleiben, so lang’ ich noch der Herr [659] bin im Haus! … Was ist Dir denn, armer Narr?“ unterbrach sie sich selbst und legte die Hand auf das Haupt Susi’s, die ihren Arm gefaßt hatte und wie krampfhaft festhielt. „Du zuckst und zitterst ja ordentlich. … Bist wieder kränker?“
„Ich glaub’ wohl,“ flüsterte Susi, „es wird so sein …“
„So leg’ Dich nieder und schau, daß Du schlafen kannst … zuvor aber sollst noch das Nachtgebet vorbeten – das ist auch ein alter Brauch und Du weißt, ich laß den alten Brauch nit abkommen. Sonst hab’ ich’s immer selber gethan … aber meine Augen, meine Augen! Wirst es können, Madel?“
„Ich denke …“ sagte Susi sich erhebend, während die Ehhalten aufstanden, die Bänke bei Seite schoben und an denselben niederknieten; Susi hatte das Gebetbuch vom Fenstersims genommen, während dessen hob die Uhr zum Schlagen aus, acht Mal regte der Hahn die Flügel und hob den Zettel mit der Mahnung an die Ewigkeit. Mit bebender Stimme sprach Susi das einleitende Vaterunser, dessen letzte Bitten von der Versuchung und Erlösung vom Uebel Alle mit gedämpfter Stimme nachsprachen. Dann folgten die Fürbitten für den verstorbenen Besitzer des Oedhofes und für Alle, die aus der Verwandtschaft und Freundschaft des Hauses schon in die Ewigkeit hinüber gegangen waren; den Schluß bildete das Gebet für die Lebenden, daß der Himmel ihnen beistehen möge, den schweren mühevollen Weg zum Heile zu vollenden. „Gieb, o Gott und Vater mein,“ hieß es dann:
„Lasse Deines Sterbens Pein
Nicht an mir verloren sein,
Decke Du mit Deiner Gnad’ …“
Susi war so ergriffen, daß es ihr unmöglich war, die letzten Worte hervor zu bringen; die alte Base vollendete statt ihrer und schloß mit fester Stimme:
„Decke Du mit Deiner Gnad’,
Mich und meine Missethat!“
Sie wollte Amen sagen, aber im selben Augenblick dröhnte die Stube von einem mächtigen Schlage, der von außen an einen der Fensterläden geführt wurde; die Scheiben klirrten, Alle sprangen verwirrt und entsetzt in die Höhe und schauten einander mit betroffen fragenden Blicken an; nur die alte Bäuerin stand da, kerzengerade aufgerichtet, als schmerzten die müden, kranken Füße nicht mehr und mit den verdunkelten Augen starrte sie nach der Stelle, von welcher der Schall kam, als gedächte sie, die doppelte Dunkelheit zu durchdringen. „Wer untersteht sich,“ rief sie zürnend, „solche Büberei zu treiben an einem ehrlichen Haus! Hinaus, Hies und Ihr andern Burschen, und fangt den nichtsnutzigen Menschen, der das Gebet und die Nachtruh’ stört …“
„Ach mein’ … was wird’s gewesen sein!“ sagte der Knecht zögernd, „vielleicht ein Betrunkener, der vom Markt heim’gangen ist …“
„Hinaus!“ eiferte die Bäuerin wieder. „Hinaus und schau’ mir nach, ob nichts am Haus passirt ist! Der Betrunkene kann mir auch den Hof über’m Kopf anzünden, wenn ich mir das gefallen lass’. … Oder hast kein Courag’, Hies, und muß ich etwan selber geh’n?“
Beschämt hatte der Knecht die Laterne vom Simse herabgenommen und lang’ an dem Docht herumgestochert, bis er ihn endlich zum Brennen brachte; langsam und unwillig verließ er dann die Stube, mit ihm die andern Knechte, neugierig und in scheuer Entfernung drängten die Mägde nach. Eine Weile lag athemlose Stille über der Stube und den darin Zurückgebliebenen, nur die Uhr pickte, das Feuer knisterte und eine aufgescheuchte Fliege stieß summend wider die Scheiben. Die Suchenden mochten beinahe das Haus umwandert haben, als von rückwärts, in der Richtung von der Scheune her, ein mehrstimmiger Ruf der Ueberraschung ertönte.
„Sie haben wirklich etwas gefunden …“ murmelte die Oedbäuerin. „was wird es sein, was sie gefunden haben …“
Schon kam eine der Dirnen, die Hände zusammenschlagend und schreiend, zurück. „Da haben wir’s!“ rief sie schon von Weitem, „das ist eine saubere Bescheerung. … Ein Kind haben sie Dir gelegt, Bäuerin … ein leibhaftiges lebendiges Kind liegt draußen auf der Tenn’ im Heu …“
Ueber das hagere Antlitz der Bäuerin schlug die Röthe des Zornes empor.
„Ein Kind gelegt? Mir? Auf dem Oedhof?“ rief sie wie außer sich. „Kann so was bei mir passiren? Wer darf mir eine solche Schand’ anthun und mein’ ehrlichen Haus?“
„Wer?“ erwiderte die Dirne lachend. „Das wird schwer zu sagen sein; aber wer’s gethan hat, der hat wohl denkt, die Oedbäuerin ist eine reiche Frau und eine gute Frau, die kann und wird das arme Kindel leichter aufzieh’n als ich …“
„Sieh Du nach, Susi!“ rief die Bäuerin, sich wieder zur alten Gelassenheit zurückzwingend, „ich will von Dir hören, was es ist …“ Aber das Mädchen regte sich nicht. Als wäre die Schwäche der Alten auf sie übergegangen, war sie zu deren Füßen in die Kniee zusammengebrochen; über ihr Antlitz zog die Blässe der Ohnmacht mit der Gluth des Fiebers wechselnd, ihr Athem flog und die Hand, die sie nach dem Stuhle streckte, sich daran aufzurichten, zitterte und vermochte nicht, etwas zu fassen. Es war auch unnöthig, daß sie ging, schon kam einer der Knechte zurück und brachte die Bestätigung des Vorgefallenen.
„Das ist eine schöne Geschichte!“ rief er lustig. „Und wie fein das ausg’studirt ist! Bei einem solchen Wetter, wo Einem, wenn man nachlaufen wollt’, der Wind das Licht in der ersten Secunden ausblast und wo es stürmt und weht, daß die Fußtritt verschneit sind, eh’ daß man eine Hand umkehrt! Es muß Jemand gewesen sein, der sich gut auskennt im Haus, denn er hat accurat g’wußt, daß hinten am Stadelthor ein Brett locker gewesen ist, da ist er hereingeschlupft und hat sich noch recht wohl Zeit gelassen, denn er hat vom Stadel eine ganze Burd’ Heu und Stroh heruntergerissen und ein Bettl gemacht, daß das Kind fein warm liegen und ihm nichts geschehen sollt’, bis man’s etwa find’t … es ist auch ganz gut eingewickelt in ein saubres Deckerl; aber da bringt’s die Dirn’ schon, da kannst Du’s gleich selber seh’n …“
„Halt!“ rief die Bäuerin, so laut und befehlend sie konnte, und wandte sich der Thür zu, wo bereits die Magd mit dem Kinde auf den Armen den Fuß auf die Schwelle setzte. „Zurück da! Tragt’s das Kind hin, wohin Ihr wollt … in mein’ Stuben kommt’s nit herein, auf dem Oedhof ist kein Platz für ein solches Sündenkind …“
Die Leute standen unschlüssig und von der Härte der Bäuerin überrascht, die trotz ihrer sonstigen Strenge und Entschiedenheit doch etwas Ungewohntes an sich trug. Alle waren mit sich und mit dem unerwarteten Ereigniß beschäftigt, Niemand achtete auf Susi, deren Aufregung den höchsten Grad fieberhafter Anspannung erreicht hatte; jetzt war sie mit Anstrengung zu der Greisin hingewankt, faßte ihre Hand und drückte sie mit wortloser Innigkeit an Stirn und Mund.
„Bist Du’s, Dirnl?“ sagte die Bäuerin. „Willst fürbitten für das elende Geschöpf, von dem seine schlechte Mutter sich losmacht und es hinauswirft in Wind und Wetter, ob vielleicht ein Mensch barmherziger ist als sie und hebt es auf? … Ich will noch nichts sagen; ich will mir’s aufbehalten. … Schaut erst einmal nach, ob das Kind nichts bei sich hat, woran man’s erkennen könnt’, wem’s angehört …“
Die Mägde warteten die Wiederholung eines Befehls nicht ab, der mit der Befriedigung ihrer Neugierde so sehr zusammentraf. „Wie gut es schlaft!“ sagte die eine, während sie das auf den Tisch gelegte Kleine aus dem umhüllenden Kissen loswickelte. „Es weiß gar nichts von Allem, was mit ihm geschehen ist! … Und was es für ein feines blasses Gesichtl und was für durchsichtige Handerln hat … so zart wie ein wachsernes Christkindl. … Und da, unter den Windeln, auf der Brust – da steckt richtig ein geschriebenes Lesen …“
„Her mit dem Zettel!“ rief die Bäuerin, „Susi, nimm und lies, was auf dem Zettel steht.“
Das Mädchen fuhr sich mit der Hand über die Augen, denn es floß und schwamm ihr wie ein Nebel vor denselben. Sie las:
„Ich bitt’ gar schön’, nehmt mich auf:
Gebt mir auch die heil’ge Tauf’,
Vater und Mutter hab’ ich nit,
Um Gottes willen verstoßt mich nit!“
Alle schwiegen einen Augenblick, Susi hatte sich der Base an die Brust geworfen und weinte bitterlich. Der Hahn auf der Uhr krähte wieder und mahnte an die Ewigkeit.
„Nein,“ sagte die Greisin, indem sie näher trat, nach dem Kinde tastete, das sie nicht sah, und ihm wie segnend die Hand auf die Stirne legte, „verstoßen will ich Dich nit! Der Gockel ruft mir’s zu, wie nah mir vielleicht die große Ewigkeit schon [660] ist, – ich will das bissel Zeit, das mir noch geschenkt ist, benutzen und will gut machen, was ein Anderes verbrochen hat! Bleib’ bei mir, Du armes Würm’l’ – ich will für Dich sorgen, anstatt Deiner ehrvergessenen gottlosen Mutter …“
„Das ist schön und brav von der Bäuerin,“ sagte die Magd, indem sie sich die Augen wischte, „aber vielleicht thut sie der Mutter doch auch zu viel! Wer weiß, in was für einer Noth und Schand’ sie vielleicht ist und ihr das Herz blut’t, daß sie ihr Kind muß von sich lassen …“
„Still sei!“ rief die Alte heftig, „davon will ich nichts hören … ich will das Kind behalten, ich will dafür sorgen, daß es ordentlich und brav werden kann und dem Oedhof einmal Ehr’ macht, aber von der Mutter will ich nichts hören und seh’n … die soll sich nit blicken lassen vor mir … und wenn ihre Noth so groß wär’, daß sie bis an den Himmel langt, und ihre Schand’ so tief wie die Höll’, sie müßt’ aushalten und müßt sie ertragen, aber ihr Kind darf sie nit von sich geben und eher muß sie ihr Herz zehn Mal verbluten lassen und brechen …“
Niemand wagte und fand eine Erwiderung.
„Und jetzt,“ fuhr sie nach einer Weile fort, „jetzt geht und legt Euch nieder – es ist lang Schlafens-Zeit! Komm’ Du auch, Susi … das Kind kann da liegen bleiben, da geschieht ihm nichts und wenn es sich rührt, hören wir’s wohl hinein in die Kammer … kannst die Ampel brennen lassen, daß man gleich Licht hat, wenn man’s braucht. … Und Du, Hies,“ rief sie, an der Schlafkammer sich umwendend, noch einmal zurück, „Du hast jetzt gleich ein Geschäft für morgen … der Andrä soll den Samen-Haber putzen, Du aber gehst in aller Fruh zum Herrn Pfarrer und hinein auf’s Gericht und erzählst, was geschehen ist … und so gute Nacht!“
Die Dienstboten gingen schweigend; die Bäuerin, von Susi geleitet, verschwand in der dunklen Seitenkammer und bald verrieth die völlige Stille, daß der Schlaf seine besänftigenden Schwingen über dem Hause und seinen Bewohnern ausgebreitet hatte. Düsterer brannte die Lampe; da huschte geisterhaft, wie die Alte es bezeichnet hatte, Susi im Nachtgewande aus der Kammer hervor: auf ihre Augen allein war die Ruhe nicht herabgestiegen. Sie wankte dem Tische zu; in der Nähe desselben sank sie in die Kniee, breitete die Arme gen Himmel aus und flüsterte ein heißes, nur ihm verständliches Gebet des Danks; dann trat sie zu dem Kinde, beugte das Angesicht darauf und überdeckte es mit glühenden Küssen. –
Es war nur natürlich, daß die Kunde von dem, was auf dem Oedhofe geschehen, überall das größte Aufsehen machte und daß das Gerede von Hof zu Hof flog und von Dorf zu Dorf, als wäre es durch fernhin leuchtende Bergfeuer angezeigt oder durch sogenannte Wasserreiter verbreitet worden, welche bei außerordentlichen Wettergüssen in die tiefer gelegenen Gegenden hinaus sprengen, um, der Ueberschwemmung voran eilend, die Kunde zu bringen, daß die Gebirgsflüsse „ausgießen“ und das Hochwasser hinter ihnen darein gesaust komme. Das Ungewöhnliche der Sache an sich hätte schon hingereicht, die allgemeine Neugierde zu erregen, die vielen besonderen Einzelheiten aber waren erst recht dazu angethan, sie anziehend zu machen; mit den Gerüchten um die Wette flogen Vermuthung und Argwohn einher, von der Neugier geweckt und von der Schmähsucht getragen, welch’ beiden ein um so ergiebigeres Feld sich öffnete, je geringer die Ausbeute des gleich am andern Tage vom Gerichte vorgenommenen Augenscheins war und je unbedeutendere Anhaltspunkte sich auf den von Pfarrer und Amtmann nach allen Richtungen angestellten Erkundigungen und Nachforschungen ergaben. Der Augenschein hatte gar nichts ermittelt. Die Vorhersagung der Oedbäuerin war eingetroffen: gegen Morgens hatte der „warme Wind“ über die Berge hereingeblasen und in wenig Stunden den Schnee hinweggehaucht, als wäre nie eine Flocke gefallen; nur stellenweise, im Schatten eines Baumes oder einer Zaunhecke entlang war davon eine besonders geschützte oder dichte Ansammlung liegen geblieben. In einer solchen fanden sich allerdings die Spuren von Tritten, die von einem weiblichen Fuße herzurühren schienen, aber sie trugen ebenfalls nichts Kennzeichnendes an sich und zeigten nur den Abdruck eines Schuhes, wie er von der gesammten weiblichen Bevölkerung der Gegend getragen zu werden pflegt. Der nächste Nachbar, der Besitzer des etwas weiter abwärts gelegenen Einzelhofes, war wohl auch am fraglichen Abend durch das lärmende Bellen seines Hundes aufmerksam geworden und hatte, den Kopf durch das Schiebfensterchen steckend, eine weibliche Figur zu sehen geglaubt, welche in der Richtung vom Oedhofe her gelaufen kam, aber Wind, Gestöber und die dichte Verhüllung hatten es ihm unmöglich gemacht, sie zu erkennen. Diesem gegenüber leitete die örtliche Vertrautheit, mit welcher das Unternehmen ausgeführt worden war, sowie das völlige Schweigen des sonst sehr wachsamen Haushundes dringend darauf hin, daß der Thäter ein Bekannter des Hauses gewesen mußte, – ja, ein später auftauchender Umstand schien sogar eine Weile dazu angethan, volles Licht nach dieser Richtung zu geben, diente aber schließlich doch nur dazu, die Unklarheit und den Zweifel noch mehr zu steigern.
Einige Tage nach dem Auffinden des Kindes hatte der Hütbube des Oedhofs in der Bretterluke, durch welche eingedrungen worden war, an einem vorstehenden Nagel ein Stückchen Zeug von einem Weiberrocke gefunden, dessen Beschaffenheit und Muster so eigenthümlich und von dem sonst üblichen abweichend war, daß man wohl hoffen durfte, in der Trägerin eines solchen auch die Thäterin aufzufinden. Es ergab sich bald, daß ein einziger Krämer im nahen Markt diesen Stoff auf seinem Lager gehabt und einen Rest davon lange vergeblich feil geboten hatte, – die eine Hälfte des letztern war vor mehr als einem Jahre von der Pflegetochter des Aichbauern, von Franzi, der schönen Kellnerin an der Kreuzstraße, gekauft worden, – das andere Stück hatte wenige Wochen vorher eine Landfahrerin gekauft, eine Tirolerin, die mit kleinem Landkram in einem Rückenkorbe von Dorf zu Dorf hausiren ging und nebst ihrer Waare ein Kind darin mit sich herum trug. Nun lag die Vermuthung dringend nahe, daß diese es gewesen, die auf dem Oedhofe die Gelegenheit erspäht, sich einer Last auf gute Art zu entledigen; auch das Alter des Kindes stimmte damit überein, denn dasselbe war immerhin ein paar Monate alt, mußte also, da es noch ungetauft war, in völlig unbegreiflicher Weise irgendwo verborgen gehalten und der Kenntniß der weltlichen wie der geistlichen Behörden entzogen worden sein. Auch das war durch das Herumziehen der Mutter am einfachsten erklärt.
So kam es, daß von Allem nichts auf die Spur der Thäterin leitete; das kleine Mädchen blieb wohl behütet und bewahrt auf dem Oedhofe und von dem ganzen Gerede nach einiger Zeit nichts übrig, als der Umstand, daß Franzi’s Name in der Sache genannt und in bedenklicher Weise in dieselbe verflochten worden war. Obwohl nun Franzi’s Benehmen überall und zu jeder Zeit tadellos gewesen, obwohl Niemand auch nur das Entfernteste über Beziehungen oder Verhältnisse zu sagen wußte, welche zur Bestätigung einer solchen Annahme dienen konnten, kam das einmal laut gewordene Gerücht doch nicht wieder zur Ruhe: es pflanzte sich fort, wie ein giftiger Wurm ungesehen unter dem hohen Grase dahin kriecht. Manche, denen Franzis herrische und entschiedene Art mißliebig gewesen, glaubten daran mit jenem Behagen, das gemeine Seelen immer als eine Art von Rachegenuß empfinden, wenn sie eine edlere Natur, der sie ihrer Begabung wegen gram sind, straucheln oder gar einen Schritt thun sehen, welcher geeignet ist, sie zu ihnen hinunter zu ziehen.
Die günstiger Gesinnten zuckten die Achseln; sie glaubten die Sache nicht, aber unmöglich erschien sie ihnen doch nicht: es war der eigen gearteten Person bei ihrem entschlossenen Wesen und ihrer stillen Gemüthsart wohl zuzutrauen, daß sie es verstanden habe, das Unternehmen mit solcher Schlauheit durchzuführen und noch obendrein in so gelungener Weise den guten Schein zu wahren. Nur wenige Orte waren, wohin das Gerücht nicht drang, wenige Menschen, die es nicht beschäftigte – zu den wenigen gehörten einmal Susi und die Oedbäurin, denen Niemand etwas davon sagen wollte, weil, wenn der Verdacht begründet war, der Gedanke an ein vorhergegangenes Einverständniß unabweislich nahe lag, und dann Franzi selbst, welche ruhig und unbekümmert dem Geschäft nachging und ihre Arbeit verrichtete, bis die Zeit heran kommen sollte, den Dienst an der Kreuzstraße mit einem andern zu vertauschen. Vielleicht hatte das Gericht die Sache nicht aus dem Auge verloren, bedachte sich aber, bei Franzis völligen Unbescholtenheit vor der Zeit mit einer Bezichtigung hervor zu treten; von den Gästen aber, die im Wirthshause einsprachen, kam Niemand dazu, der gewandten Kellnerin gegenüber eine Andeutung zu machen, denn man wußte, daß sie zu antworten verstand und daß sie nicht Lust und Geduld hatte, auch nur ein schiefes Wort ohne Abwehr hinzunehmen.
„Je mehr Bevölkerung, desto weniger Uebervölkerung,“ hat neulich ein volkswirthschaftlicher Schriftsteller ausgerufen. Dies klingt unsinnig genug, aber es ist nichts destoweniger eine alte Wahrheit, die erst jetzt nach und nach begriffen wird. Wir wollen sie hier nicht wissenschaftlich erklären, aber durch ein Bild einigermaßen anschaulich machen.
Auf den tausendmeiligen Wüsten und Prairien Nordamerikas, durch welche eben jetzt die riesigste aller Eisenbahnen zur Verbindung des atlantischen und großen Oceans gebaut wird, springen gleichsam über Nacht ganze Städte empor und ernähren mit jedem Tage eine fast um hundert Procent steigende Bevölkerung auf Stellen, wo vorher kein einziger Mensch nur vierundzwanzig Stunden zu leben im Stande war, und die dünn verstreuten Indianerstämme – noch lange nicht ein Mensch auf eine Quadratmeile – führen einen mörderischen Krieg gegen die eindringende Civilisation, weil sie nun auf ihren Tausenden von Quadratmeilen nicht mehr Lebensmittel genug erjagen zu können fürchten. Die paar Tausende von Indianern werden denn auch mit der Zeit elendiglich verhungern, um auf ihren ungeheuren Jagdgründen Millionen von Menschen und einem blühenden Wohlstande derselben Platz zu machen. Je Einer auf einer Quadratmeile verhungert oder lebt kaum wie das armseligste Raubthier, je Tausend oder Zehntausend oder noch mehr Menschen auf derselben Quadratmeile nähren sich desto besser und leben um so [662] menschlicher, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, je dichter neben einander sie produciren und Ueberflüsse zum Austausche mit den Producten und Waaren ferner Länder bieten können. Der verlassenste und ärmste Straßenjunge Londons hat in der elendesten, überfülltesten Gasse mehr Gelegenheit Geld zu verdienen und ist reichlicher von wohlfeilen Lebens- und Luxusmitteln umgeben, als der absolut herrschende Indianerhäuptling in seinem von Natur reichen, vielleicht Tausende von Quadratmeilen ausgedehnten Lande.
In dem üppigreichen Indien sind unter englischer Herrschaft während der letzten zwei Jahre über zwei Millionen Menschen auf einem Gebiete, welches halb Europa ernähren könnte, thatsächlich verhungert; in London, wo drei Millionen Menschen sich auf einem Stück Erde zusammendrängen, das nicht so viel hervorbringt, wie allein die Katzen für ihren Lebensunterhalt brauchen, und wo jeden Morgen vielleicht eine halbe Million vom Schlafe erwacht, ohne zu wissen, wovon sie den Tag über leben wird, ist während der letzten Jahre wohl kein einziger geradezu Hungers gestorben. Das Räthsel löst sich, wenn man begreift, daß im volkswirthschaftlichen Sinne Uebervölkerung nicht das Verhältniß der Menschenmenge zur Bodenfläche, sondern zur Ernährungsfähigkeit, zur Möglichkeit der Verwerthung von Kräften, zu guter, wirthschaftlicher Existenz bedeutet. Mit diesen Vorbetrachtungen können wir uns getrost in die trostlosesten Gegenden des Londoner Elends begeben und uns mitten in der schmutzigsten Armuth, mitten unter den wimmelnden Schaaren von Hunger und Entbehrung eines Luxus erfreuen, der uns selbst in kleinen behäbigen Landstädten Deutschlands mehr oder weniger unzugänglich sein mag.
Wer die blühenden Vorstädte Londons mit ihren unabsehbaren Reihen von gartenumgebenen Villen verläßt, um über oder unter der Erde mit Dampf in der Gegend der Bank, wo täglich alle „respectablen“ Menschen aussteigen, sich diesen Mittelpunkt der Weltcivilisation näher zu betrachten, wird schon kaum begreifen, wie dieses London in der City noch dieselbe Stadt sein kann, wie die, welche er vor einigen Minuten draußen im Sonnenschein und im saftigsten Grün verlassen hat. In diesen steinernen Palästen um die Bank herum wird der Reichthum der Welt in Form von Wechseln und hin und her geschaufelten Goldhaufen in ganzen Säcken voll Gold und riesweise in Banknoten in Form von allen möglichen fliegenden Drachen mercantiler Speculationen umgesetzt. Die Straßen sind zwar hier nicht mit Gold gepflastert, aber blos deshalb nicht, weil eine solche Verschönerung für unpraktisch gilt; doch ist der Grund und Boden so viel werth, daß er, dicht mit Goldstücken belegt, für diese noch nicht zu haben sein würde. Ein Kauflustiger wollte einmal hier eine Baustelle dicht mit Gold belegen, wenn sie ihm dafür verkauft würde; aber der Eigenthümer schüttelte den Kopf und meinte, dazu könne er sich blos verstehen, wenn das Gold dicht neben einander auf die hohe Kante gestellt werde.
Von diesem goldenen Mittelpunkte Londons aus ist es nur einige hundert Schritte weit bis zur Hundeteichstraße, Houndsditch. Sie sieht schon selbst schäbig und schmutzig genug aus, aber wenn man um diese oder jene Ecke herum von hier aus in eine Nebengasse einbiegt, befindet man sich plötzlich wie in einem ganz fremden Lande unter Leuten, Nationen und Racen, die gar nicht wie Engländer aussehen, eine ziemlich unverständliche Sprache reden und Kleider, Sitten und Gebräuche zeigen, von denen die zehn Minuten weit davon handelnden, sehr reinlichen und sehr modern gekleideten Herren meist gar keine Ahnung haben. Diese Nebenstraße könnte ebensogut in Kairo oder in Constantinopel liegen, nur daß hier die Kameele, die Fez’ und Turbans fehlen. Im Uebrigen sieht sie und alle die engen, sich hier kaldaunenartig verschlingenden Nebenstraßen und Gäßchen ganz so schmutzig und seltsam aus mit ihren drei Etagen hohen, verfallenen, schmutzigen, schimmeligen Höhlen und Hütten, Schuppen und Buden, die zum Theil straßeneinwärts so überhängen, als wollten sie sich gegenseitig in die Arme fallen. Aus den nicht selten zerbrochenen oder offenen, hier und da mit Eisengittern verschlagenen Fenstern quillt ein solcher Reichthum von Taschentüchern und alten Kleidungsstücken, von Pfannen und Töpfen und Tiegeln, von Hacken und Spaten, von alten Herrenstiefeln und koketten Damenhüten, von allen möglichen Culturinstrumenten und Civilisationswerkzeugen hervor, daß sie den engen Streifen nebligen Himmels über uns verdunkeln und die Straße stellenweise ganz überwölben. Und unten auf dem engen, schmutzigen, klebrigen Straßenpflaster, welch’ ein Gewühl und Gewimmel von ameisenartiger Geschäftigkeit, von Handel und Wandel, von Schmutz und Elend, von Licht und Schatten, voll dichtgedrängter Herrlichkeiten für Gaumen und Magen, für Kleidung, ja für Putz und Pracht! Freilich muß man am Sonntag Morgen kommen, um diese malerische Wunderwelt in ihrer ganzen Herrlichkeit kennen zu lernen. Zu diesem Zwecke geht man aus der City etwa mit Sonnenaufgang ostwärts durch Bishopsgatestreet bis Houndsditch und hier auf der linken Seite bis zu einer engen Passage, welche den Namen Phil’s-Buildings führt. Sie endigt mit einem steinernen Thore, aus dessen Dunkelheit ein dichtes Gedränge von Menschen und überfüllten Buden schauerlich hervorleuchtet.
Dieses Thor bildet den Haupteingang zu dem großen Kleider- und Lumpenmarkt der Ostendier Londons, einem großen, viereckigen Platz, der von allen Seiten mit hohen Wänden und von ineinander hakenden hölzernen Buden und Schuppen umgeben ist. Die Verkaufsstellen strotzen von männlicher und weiblicher Kleidung jeder Art und jedes Ranges und Werthes. Es fehlt nicht an Sammet und Seide, aber auch nicht an zerfetzten Lumpen, die gleichwohl immer noch viel besser sind, als die, welche die Käufer und Käuferinnen tragen, so daß sie sich hier für verhältnißmäßig wenig Kupfermünze metamorphosiren und in ihren Sonntagsstaat werfen können. Auch an erneuerten Schuhen und Stiefeln, das Paar zu vier Pence, oder drei Silbergroschen vier Pfennige, fehlt es nicht. Freilich waren die Stiefeln einem Jungen, welchem sie für diesen Preis geboten wurden, noch zu theuer, so daß er den wohlmeinenden Rath erhielt, er möge sich außerhalb dieses aristokratischen Kleider-Bazars in der nächsten Straße nach einem wohlfeileren Paar umsehen. Und ich zweifle nicht, daß er in der eigentlichen Marktstraße ebenso gute Stiefeln für zwei und einen halben Silbergroschen fand, denn in diesem Bazar müssen die Verkäufer für ihre Verkaufsstellen eine Abgabe entrichten, so daß sie schon deshalb auf höhere Preise halten und überhaupt auf ein respectableres Publicum rechnen. Der kaum drei Käse hohe Junge hier in rothem und blauem Sammet, in welchen ihn eine wohlthätige Lady des Westendes gesteckt haben mag, trägt auch sein Brett voll kleiner Kuchen und Zuckersachen, die er mit schriller Stimme ausbietet, mit einer so vornehmen Miene, als sei er sich der Vorzüge dieses Bazars bewußt und es komme ihm blos auf anständige Kunden an. Doch verkauft er, wie ich sehe, ohne Unterschied des Standes und der Person jedes Stück Kuchen und Fruchttorte für einen halben Penny.
„Only a h’penny“„ (Nur einen halben Penny) schreit eine tiefere Stimme neben ihm und bietet für diesen Preis ein Glas schäumender Limonade, die für den achtfachen Preis anderswo nicht besser zu haben ist und die sich selbst der Bürgermeister oder sonstige Aristokrat einer kleinen deutschen Stadt nicht so bequem und billig herstellen kann, wie sie hier jedem zerlumpten Jungen vor den Mund gehalten wird. Ueberhaupt kennen wohl die meisten Bewohner von Dörfern und kleinen Städten in Deutschland diese Herrlichkeiten, welche hier für das niedrigste Stück Kupfer massenweise ausgeschrieen und gekauft werden, kaum dem Namen nach. Das naschhafteste und verzogenste Kind in Deutschland hat wohl nie von den weißen Cocosnüssen gekostet, welche hier in schönen, frischen Schnitten aufgehäuft liegen und hinter den Zähnen der schmutzigsten Jungen verschwinden.
Auf den großen umhergetragenen Präsentirtellern fliegender Conditoren lachen ganze Berge von Zuckerwaaren in Form von „drops“ (Tropfen) aller möglichen Farben und Fruchtkuchen, Pasteten und Torten aus ihren ziemlich dicken Staubkrusten hervor, welche den Zucker vertreten, und locken alle verdienten, erworbenen oder gestohlenen halbe und Viertelpence aus den Taschen der zahlreich umherlungernden Jugend. Und giebt es nicht mitten auf der Straße große Kessel voll Aalsuppe, fünf Pfennige die Tasse?
Welcher Crösus eines deutschen Krähwinkels kann sich für den zehnfachen Preis und für zehnfache Mühe einen solchen Labetrunk verschaffen? Selbst tüchtige Stücke würziger Ananas aus halbverfaulten Köpfen stehen hier dem niedrigsten Proletarier wahrhaft spottbillig zur Verfügung. In den Läden hinter schmutzigen Glasscheiben locken verführerisch riesige, geröstete Kartoffeln mit und ohne Butter, substantielle Stücke von Erbsenpudding, gekochtes und gebratenes Fleisch kalt und warm, Kaffee und Thee, weichgekochte Eier, Streifen gerösteten Specks, frische Austern, alle Arten von geräucherten und gekochten Fischen und Crustaceen, alle mögliche [663] Gattungen von Muschelthieren und Meeresschnecken und Shrimps, (ganz kleine Krabben) die zugleich auch von unzähligen Karren auf der Straße feilgeboten und zum Theil sofort gegessen werden; Sprotten, welche in Deutschland hier und da geräuchert als Delicatessen auf dem Theetische oder zum Rothwein erscheinen, werden hier frisch und silberweiß glänzend haufenweise in die schadhaftesten Körbe der zotteligsten Proletarierweiber geschaufelt, und ohne Shrimps trinken auch diese Käufer und Kunden dieses Lumpenmarktes selten ihren Thee. Daß sie immer Weißbrod – oder wenigstens ein sogenanntes Braunbrod (brown bread) – dazu essen, versteht sich von selbst, denn unser deutsches Schwarzbrod wird in London immer nur noch von einzelnen deutschen Bäckern als Rarität an deutsche Landsleute verkauft.
Schon mitten im Winter kommen ganze Flotten beladen mit Apfelsinen an und geben Monate lang selbst den engsten und schmutzigsten Straßen ein appetitlich goldgeflecktes Ansehen. Der gewöhnliche Preis, wofür sie auf allen Straßen aus Karren und Körben lustiger, schmutziger Irländer und Irländerinnen ausgeschrieen werden, ist: zwei für einen Penny, doch kann man auch leicht drei und vier für zehn Pfennige erhandeln. Diese und viele andere Lebens- und Genußmittel drängen sich hier auch auf dem ärmsten Sonntagsmarkte des Unterrocks-Gäßchens (Petticoat-Lane) so massenweise und wohlfeil durch die dichte Menge, daß sie uns beinahe umsonst in die Tasche fallen oder nach dem Mund emporschwellen. Alle diese Herrlichkeiten sind feil für die niedrigsten Kupfermünzen, und auch wer keinen Farthing (¼ Penny) mehr hat, weiß sich durch Diebslist oder durch Geschicklichkeit von den fallenden Schätzen mehr anzueignen, als sich manchmal der reichste Eigenthümer in unseren kleinen Städten und Dörfern für schweres Geld erkaufen kann. Die ganz verstoßene und pennylose Jugend frißt sich hier mit durch, wie die Sperlinge unter den Hühnern. Manchmal hackt wohl ein neidisches Huhn nach einem solchen umherhüpfenden Spatze, aber er ist viel zu pfiffig und gewandt, als daß er sich treffen ließe. Ebenso gelingt es diesen barfüßigen Jungen, beim heimlichen oder offenen Stibitzen der Rache des Bestohlenen oder dem Arme des Policeman unter den Armen und Beinen der dichten Menge hinweg zu entwischen und lächelnd, siegreich und zu neuen Angriffen bereit an der nächsten offenen Stelle wieder emporzutauchen.
Wir sind hiermit aus dem Kleider-Bazar unvermerkt durch einige enge Straßengewinde in der Hauptader dieses vom Gesetze verpönten, aber praktisch blühenden Sonntagsmarkt-Verkehrs in Petticoat-Lane angekommen. Die Wege dahin und die verschiedenen aus- und einmündenden Nebenstraßen sehen einander ziemlich ähnlich und sind mehr oder weniger von derselben Menge, demselben Marktverkehr angeschwollen, nur daß in dieser Gasse sich Alles noch dramatischer und dichter drängt und alle Arten des Kaufs und Verkaufs am leidenschaftlichsten getrieben werden. Es ist schwer, in diesem ewigen Gedränge und Geschiebe von Irländern und Juden, von Arbeitern und Proletariern jedes Geschlechts und Alters, von Waaren, Producten und Menschen aus allen Theilen der Erde dies oder jenes Augenblicksbild festzuhalten; aber einige Scenen und Gestalten prägten sich mir sofort so ein, daß sie mir stets unvergeßlich bleiben werden.
Mitten aus den in der Mitte der Straße aufgehäuften Verkaufsartikeln aller erdenklichen Art und zwischen den wandernden persönlichen Buden, die unter unaufhörlichem Geschrei ihre Schätze im dicksten Gedränge anzubringen suchen, ragte sitzend ein offenbar menschliches und sogar weibliches Wesen strickend hervor; die Früchte ihrer Arbeit lagen auf ihrem Schooße ausgebreitet. Die ganze Gestalt hatte in Gesicht und Kleidern nur eine einzige schmutzig braune Farbe. Wo andere Menschen ihre Backen haben, häuften sich eine Menge Spuren von Stößen und Schlägen, Mißhandlungen und Entbehrungen aller Art. Von einer Stirn war wenig, von Augen gar nichts zu sehen; letztere lagen tief in großen Höhlen verborgen wie in dem Kopfe eines Skelets. Auf einer Seite des Kopfes flogen einige dünne, graue Haare im Winde hin und her, auf der andern hingen die letzten Spuren eines Hutes herunter. So saß sie da und strickte eifrig mit ihren knöchernen Händen und hörte blos auf, um dann und wann ein Paar Kindersocken, ihr eigenes Werk, zu einem Penny zu verkaufen. Ein Paar gestrickte Kindersocken, neu und weiß, für zehn Pfennige! Und davon lebte die Ruine eines ehemaligen Weibes, offenbar auf eine ehrliche Weise, und verdiente sich damit sicherlich einen Ehrenplatz unter den Heldinnen der Armuth und des Elends.
Nicht weit von ihr stach die eigentliche Schönheit von Petticoat Lane als Beherrscherin und Verkäuferin eines mitten auf der Straße aufgestapelten Haufens weiblicher Kleidungsstücke hervor und wußte durch ihre ziemlich anmuthige Koketterie durch ihr lachendes, fröhliches Gesicht unter dem à l’Impératrice aufgekämmten Haar selbst ärmste Männer herbeizulocken und zu ungewöhnlicher Freigebigkeit für ihre Frauen oder Töchter zu verleiten. Wie kam diese Schönheit unter die verwitterten, vertrockneten, gedunsenen und nicht selten verhauenen Gesichter, die sich hier in der engen, schmutzklebrigen, pestilenzialen Straße drängten? Konnte sie hier aufgewachsen sein und dieses Gesicht entwickelt, conservirt haben? Sehr wahrscheinlich, denn unter der Jugend und namentlich unter den Kindern leuchteten lachend und lustig manche frische und volle Gesichter aus dem ziemlich stark aufgetragenen Schmutze hervor, wie ich sie ebenfalls nicht selten aus den elendesten Kellern anderer Armuths- und Elendsstraßen hervorlachen gesehen habe. Dies hat mich schon zu der Annahme verleitet, daß manche Menschen wie gewisse Thiere und Blumen (letztere fand ich oft in schönster Blüthe feilgeboten oder in den Fenstern der elendesten Dachkammern und Keller) durchaus nicht der gesunden Luft und des himmlischen Segens der Sonne zu ihrem Gedeihen bedürfen. Rechts, an der Wand des sieben Stockwerke hohen Palastes, aus welchem heraus die angenehmsten Düfte die verpestete Luft dieses Sonntagsmarktes durchwürzten (es ist das Theewarenlager der ostindischen Compagnie), zeigte sich eine grimmige Figur, welche zu dem furchtbaren Räuberdrama in dem benachbarten großen City-Theater einlud. Der lebensgroß angeklebte Räuber blickte stolz auf die Irländer herab, die sich aus den großen Vorräthen von sehr alten, aber bestechend überklebten, geflickten und gewichsten Stiefeln und Schuhen für ihre strumpflosen, schmutzigen Beine drei-, viermal neu aufgelegte Kunstwerke Crispin’s aussuchten und anpaßten. Zu den sonntagsstaatlichen Füßen gehört auch eine neue oder verjüngte Kopfbedeckung. Deshalb blühte just mitten in der Straße ein lebhafter Handel mit Mützen und Hüten aus einem großen Kasten heraus, für welchen ein furchtbar schreiendes Individuum unter einem riesigen, breitkrempigen Papphute hervor einen hohen Adel und bürgerliches Publicum als Kunden einlud, während der Eigenthümer dieser Schätze einem erwischten Käufer die ihm aufgedrungene Mütze durch ein vorgehaltenes Stück Spiegelglas als die vortrefflichste Verschönerung seines Kopfes darzustellen suchte. Das wandernde Kreuz dahinter war mit Hosenträgern behangen. Etwas weiter links machte ein riesiger Kerl mit einer großen, gläsernen Schüssel auf dem Kopfe aus der rechten Hand eine Art Sprachrohr, um seine Gurken, ununterbrochen schreiend, über Tausende von anderen Schreiern hinweg, anzupreisen. Ihn übertrafen mit ihren kreischenden Stimmen noch die fanatischen Kleiderjuden auf der linken Seite des Hintergrundes, welche aus ihren großen Vorräthen von allerhand zusammengeschacherten, zurechtgeflickten und aufgebügelten Bekleidungsstücken immer eines nach dem anderen hoch in die Luft schleuderten und die Qualität und Billigkeit derselben mit den feurigsten Zungen ausposaunten, während die Leute zum Theil meuchlings angefallen werden, um sich mit Gewalt eines nach dem anderen anprobiren zu lassen, so daß man sich manchmal gar tapfer wehren mußte, um der Scylla eines solchen Geschäftes zu entgehen, worauf man freilich auch nicht selten in die benachbarte Charybdis eines noch viel fanatischeren mosaischen Mannes fiel. Kauft man auch keinen Rock, muß man doch sehr tapfer sein, um ohne Taschentuch zu entkommen. Die während der Woche im hundert Quadratmeilen großen London gestohlenen seidenen Taschentücher hängen ganz besonders verlockend gewaschen und geplättet hoch oben entlang, und wem es darauf ankommt, das ihm abhanden gekommene sich wieder anzueignen, kann mit ziemlicher Sicherheit darauf rechnen, es hier wiederzufinden und für einen civilen Preis zum zweiten Male zu kaufen. Er muß sich hernach freilich in Acht nehmen, sonst kommt er in die Lage, es vielleicht schon nach ein paar Stunden wieder oben an der früheren Stelle locken und lächeln zu sehen. Es ist überhaupt das Hauptmerkmal des Sonntagsmarkts von Petticoat-Lane, daß ein sehr großer, vielleicht der größte Theil der auf ihm feilgebotenen Gegenstände gestohlenes Gut ist.
Und fortwährend wechselt dies Schauspiel von unabsehbaren Menschenmassen von allerhand Kleidern, Knöpfen, Glas-, Gold- und Putzsachen, von Bildern, zum Theil unter Glas und Rahmen, von Eß- und Trinkwaaren, Früchten und Delicatessen [664] aller Art, von Armuth und Reichthum, von Hunger und Ueberfülle in allen nur erdenklichen Stufen und Gestalten, und in diesem raschen, kräftig pulsirenden Umsatze von allen möglichen nothwendigen Lebens- und erquickenden Genußmitteln mitten in der trostlosesten Armuth der Dreimillionenstadt liegt das Geheimniß, daß hier in dieser scheinbar entsetzlichsten Uebervölkerung weniger Menschen hungern, leiden und umkommen, als in den von Natur gesegneten Prairien und Steppen, die sich in Asien und Amerika noch vielhundertmeilig ausdehnen. Wir können deshalb den Satz, womit wir anfingen, auch umkehren und sagen: je weniger Bevölkerung, desto mehr Uebervölkerung, und uns aus dem schmutzigen Gedränge des Sonntagsmarktes im Unterrocks-Gäßchen zu London mit dem Troste hervorwinden, daß die großen Städte, welche in der civilisirten Welt immer mehr anschwellen und mit fabelhafter Schnelligkeit ehemalige Wüsten und Einöden für einen höheren Wohlstand und besseren Lebensgenuß künftiger noch ungeborner Millionen erobern, desto eher zu festen Burgen und Bürgschaften allgemeiner menschlicher Glückseligkeit werden, je dichter nebeneinander freudig schaffende und thätige Menschen wohnen und miteinander verkehren und je kräftiger sich die kosmopolitischen Schwingen Mercur’s von den Bleigewichten der Politik des Mars, der Völkerfeindseligkeit, der gewaltsamen Steuern und Abgaben zu befreien wissen werden.
Des Mannes erste Wissenschaft,
Das Vaterland zu lieben,
Wie hast du, deutsche Burschenschaft,
Voll Eifer sie getrieben!
Zum Schwerte von der Feder,
Dein Hörsaal war die große Zeit,
Das Schlachtfeld dein Katheder.
Und als des Volkes blut’ge Saat
Im Dunkeln schleichender Verrath
Sein tückisch Netz gezogen,
Auf’s Neue standest du voll Muth
Zum heil’gen Kampf verbündet,
Den Holzstoß angezündet.
Kein Freudenfeuer sollt’ entloh’n,
Es war ein Scheiterhaufen
Für Alle, die mit schnödem Hohn
Verfinstert hatten sie das Land
Und mußten’s nun erhellen,
Wie krümmten knisternd sich im Brand
Die feilen „Schmalzgesellen“!
Daß sich die Fäuste ballten,
Der wilde Nachtsturm hat gerauscht
In deiner Fahne Falten,
Und von der Burg, da Gottes Wort
Hast du, der Freiheit letzter Hort,
„Frei ist der Bursch!“ gesungen.
Du sangst es noch, daß sich entsetzt
Die Büttel und die Kriecher,
Die Demagogenriecher;
Doch ließ dich der Verfolger Wuth
In Haft und Acht verkommen,
Aus deiner Asche ist die Gluth
Und was du nur zur Nacht vertraut
Schweigsamen Felsenmassen,
Am hellen Tag ertönt es laut
Weithin auf Markt und Gassen:
Austilgt die lange Schande,
Wir wollen frei und einig sein
Im deutschen Vaterlande“!
Gesegnet, deutsche Burschenschaft,
Nie fehle uns’rer Manneskraft
Das Feuer deiner Jugend,
Und wenn uns die Erfüllung naht,
Fiel noch die letzte Schranke,
Doch dein bleibt der Gedanke!
Correggio, der Meister im romantischen Helldunkel, hat uns in seiner „büßenden Magdalena“ das reizende Ideal einer Reuigen vor die Sinne gerückt. Aus den Zügen des schönen Weibes, das in stiller Waldeinsamkeit auf die Erde hingestreckt ist, recht dazu angethan, beim Lesen bußfertiger Schriften über ein Leben voll Weltfreuden Traurigkeit zu empfinden, welche eine Reue bewirkt, die Niemanden gereut[1], leuchtet zwar das Gefühl inniger Hingabe an die Buße, doch auch noch etwas menschlich Versöhnendes von der irdischen Liebe eines Weibes, welches die labyrinthisch verschlungenen Pfade des Lebens gewandelt, aber nicht den Ausgang verloren hat.
In der Gräfin Ida Hahn-Hahn tritt uns nach ihren eigenen Geständnissen eine moderne Maria Magdalena entgegen. Ohne daß sie den Anspruch erhöbe, eine „Wunderperle in einer Klostermuschel“ zu sein, wie sie die Klosterfrauen nennt, und ohne dem Zweig des Klosterlebens selbst ausschließlich anzugehören, den sie von Frankreich nach Mainz verpflanzt hat, trägt sie jetzt dennoch das Klosterkleid der „Töchter der heiligen Jungfrau Maria von der Liebe des guten Hirten von Angers“ mit schwarzem Schleier, dem Symbol der Trennung von der Welt, mit der blauen Gürtelschnur, der „Farbe der Abtödtung“, und mit dem silbernen Herzen, dem das Bild des „guten Hirten“ eingeprägt ist. Vor ihrer „Bekehrung“ war die Gräfin Hahn-Hahn als fruchtbare Schriftstellerin eine Erscheinung in der Literatur, die nicht allein durch die in ihren Romanen offen ausgesprochenen Welt- und Lebensansichten und scharf gezeichneten Charaktere großes Aufsehen erregte, sondern auch durch ihre wechselnden Lebensschicksale eine Zeit lang gerade in der vornehmen Gesellschaftssphäre tonangebend war. Sie tritt uns nach ihrer Bekehrung als eine geheimnißvolle Sphinx, als ein Räthsel entgegen, dessen Lösung die Seelenkunde geradezu herausfordert.
Welche beinahe sich aufhebenden Gegensätze berühren sich in dem Leben dieser vornehmen, schriftstellernden Frau! Sie muß, so lange sie in „Babylon“ wandelte, wie sie nach biblischem Sprachgebrauch ihr früheres von ihr selbst „verfehlt“ erklärtes Leben nennt, viel erlebt und erlitten haben, bis sie sich aus „innerer Lebensnöthigung“ auf den Weg „nach Jerusalem“ aufraffte, ihrem früheren Welttreiben gänzlich entsagte und sich in die Beschaulichkeit einer klosterartigen Lebensvereinsamung und in die Erbaulichkeit kirchlicher Thätigkeit flüchtend zurückzog, ohne indessen einer leidenschaftlichen Jugendliebe auch in den vorgerückten Jahren untreu zu werden – der Schriftstellerei. Denn darin ist sie eben so fruchtbar in „Jerusalem“ geblieben, wie sie es früher in „Babylon“ war.
Von ihrer Familie hat die Gräfin das excentrische und vagabundirende Wesen, in dem ihre Lebensansichten, ihre inneren und äußeren Wandlungen wurzeln, wie es scheint, erblich überkommen. Auf dem Gute ihres Großvaters, des Erblandmarschalls Grafen [665] Hahn-Neuhaus, dem als einem astronomischen Enthusiasten zu Ehren ein Gebirg im Mond das „Hahngebirge“ genannt wird, wurde Ida am 22. Juni 1805 zu Tressow in Mecklenburg geboren und zählt demnach jetzt bereits zweiundsechszig Lebensjahre. Noch excentrischer war ihr Vater, Graf Karl, der vierzig Jahre lang bis in sein höchstes Alter mit ungezügelter Leidenschaft, die sich bis zur Theaternarrheit steigerte, den Director wandernder Schauspielertruppen spielte, ohne der wahren Schauspielkunst auch nur je im Geringsten genützt zu haben. Zuletzt zu Altona von seinem einzigen Sohne standesgemäß versorgt, wurde er vor zehn Jahren im Mai todt im Bette gefunden, nachdem er noch Abends vorher zum Zeitvertreib Rollen abgeschrieben hatte. Desto besonnener war die Mutter Sophie, die Tochter des Landschaftsdirectors von Bär auf Dönnie im damaligen Schwedisch-Pommern, die nach des Großvaters Tode mit ihrem Gatten nach Remplin übersiedelte, wo noch zwei Schwestern und ein Bruder der Gräfin Ida folgten. Dort war es auch, wo der Vater sein erstes Liebhabertheater mit einem Kostenaufwand von sechszigtausend Thalern einrichtete und schon im sechsundzwanzigsten Lebensjahre mit sechstausend Thalern Jahresrente unter Curatel gestellt wurde.
Eine standesgemäße eheliche Verbindung, welche die Gräfin Ida in ihrem einundzwanzigsten Lebensjahre mit ihrem reichen Vetter, dem Erblandschaftmarschall Grafen Friedrich Hahn-Hahn auf Basedow schloß, stellte der geistreichen Weltdame eine glänzende gesellschaftliche Laufbahn in Aussicht, allein schon nach drei Jahren löste ihr lebenslustiger Gemahl gegen ihren Willen diese Verbindung. Sie war nun auf die Erfüllung der wichtigsten mütterlichen Pflicht, die Erziehung ihrer einzigen Tochter, hingewiesen, die leider, geistesschwach, in der Schweiz auf dem bei Interlaken gelegenen Abendberge berüchtigten Andenkens starb. Mit ihrer Mutter lebte sie jetzt eine Reihe von Jahren abwechselnd in Berlin und Dresden, später aber bedurfte sie der „Emotionen“ und reiste deshalb in Europa unstät umher. Sie sah Italien und Sicilien, Spanien und Frankreich, Schweden und Großbritannien, auch die heiligen Orte des Orients. Diese Wanderungen, die ihre Sehnsucht nach etwas Unbekanntem leidenschaftlich kundgeben, das ihr ganzes Sein auszufüllen im Stande wäre, hat sie im „Jenseits der Berge“, in den „Reisebriefen“ und im „Reiseversuch im Norden“ anziehend beschrieben.
Dies waren jedoch nur Vorstudien. Damals beherrschte George Sand (Madame Aurora Dudevant) mit ihren socialen Romanen, mit ihren geistvollen, doch emancipirten Grundsätzen die ganze vornehme Welt. Nach einem solchen Ruhm geizte von nun an Gräfin Ida, die sich mit der Gluth ihrer Seele und Sinne in die volle Lebensströmung hineinwarf. Sie entpuppte sich nach und nach in ihren Romanen als die meisterhafte Darstellerin excentrisch blasirter Lebensansichten, die in den großen inneren Zwiespalt der auftretenden Personen mit der Welt hineinblicken lassen. Immer sind es aber nur Erzeugnisse einer überreizten Phantasie, die alle aus dem raffinirten Egoismus eines Herzens hervorgingen, das nur in sich den Mittelpunkt der Welt erblickt, in den übrigen Menschen aber keine gleichberechtigten Wesen.
Im Jahre 1833 erschien ihr erster Roman „Aus der Gesellschaft“, der, wie alle folgenden, ein gutes und echtes Stück eigener Lebensgeschichte enthüllt. Sie lebt in diesen Romanen in der That in „Babylon“; inhaltlich gleichen sie sich alle; überall sucht sie „den Rechten“, der ihr immer wieder durch den Tod oder eine andere Ursache, welche hauptsächlich im Wechsel liegt, entrissen wird. Der bedeutendste und berühmteste ihrer zahlreichen Romane – in einem Jahre erschienen sogar drei Romane von ihr – ist unstreitig Faustine. Aus ihm lassen wir sie uns in freiester Ungebundenheit, ohne alle Schminke in ihrer anspruchvollsten Persönlichkeit entgegentreten. Gräfin Ida hatte jetzt schon das sechsunddreißigste Lebensjahr überschritten und gerade durch eine Operation, welche dem berühmten Dr. Dieffenbach in Berlin mißlungen, das schielende linke Auge verloren. Sie widmete diesen Roman ihrem treuen Freunde Bystram, dessen Stelle in ihrem Herzen früher der geistreiche Heinrich Simon in Breslau eingenommen. Ueber den gewählten Titel „Faustine“ giebt die Verfasserin folgenden Aufschluß: „Jemand fragte die Heldin des Romans, wie sie zu ihrem seltsamen Namen (Faustine) gekommen, und sie sagte: ‚Mein Vater hatte solche Liebe zu dem Goethe’schen Faust, daß er, um in jedem Augenblick seines Lebens an das Meisterwerk erinnert zu werden, seinen beiden ersten Kindern den Namen Faust und Faustine beizulegen beschloß. Meine [666] Mutter bebte vor diesen barbarischen Namen; sie hatte ganz andere Lieblinge. Unsäglich war die Freude der Eltern. Zwei Kinder erblickten zugleich das Licht der Welt. So ward ich Faustine und meine Schwester Adele getauft. Vater und Mutter starben. Für mich aber hat mein Taufpathe Faust stets ein ganz besonderes Interesse gehabt, unabhängig von dem Zauber seiner Person und seiner grandiosen Weltanschauung. Ich wollte immer mein eigenes Schicksal in diesem rastlosen Faustleben, in diesem Dürsten und Schmachten nach Befriedigung finden, aber der zweite Theil hat mir das unmöglich gemacht. Ich denke, es schreibt wohl Jeder von uns seinen eigenen zweiten Theil zum Faust; der Goethe’sche ist allzu individuell; die Kräfte eines Faust dürfen brechen, nicht erlahmen,‘ rief Faustine. ‚Sind sie gebrochen im rastlosen Kampfe, so gehe er heim nach Gretchens öder Hütte und suche dort im Tode, was er im Leben umsonst gesucht: ein Haus für die Ewigkeit. Der göttlichen Barmherzigkeit und der reinen Liebe sind keine Grenzen gesetzt; heben sie die matte Seele in den Himmel, warum nicht die ringende Feuerseele?‘
‚Schreiben Sie doch einen zweiten Theil zum Faust,‘ sprach Veldern (eine Figur des Romans) scherzend.
‚Nein, ich lebe ihn lieber,‘ entgegnete Faustine. ‚Schreiben ist nur ein Surrogat für Leben.‘“
Hier ist der Wendepunkt im Leben der Hahn-Hahn-Faustine mit aller Entschiedenheit ausgesprochen: erst unbeschränkter Genuß, ein völliges Sichausleben und Ausglühen in der Welt und Gesellschaft, gleich einem feuerspeienden Berge, dann, zusammenstürzend in sich selbst wie ein Aschenkegel, Zuflucht und völlige Abgeschiedenheit im Kloster und strengste Askese.
In der weiteren Entwickelung der Faustine, in der Schürzung des tragischen Conflicts und in der gewaltsamen Durchhauung desselben durch ihren Eintritt in das Kloster hat die Gräfin uns selbst die Entwickelung und den Verlauf ihrer eigenen Seelen- und Lebenskrankheit pathologisch und psychologisch genau dargestellt. „Meine Seele ist dürr und öde,“ sagt Faustine, „keines Aufschwungs mächtig, ausgesperrt aus ihrem alten Himmel der Begeisterung, der Phantasie, der Kunst. Laß mich einen neuen aufsuchen, den, welchen die Religion uns verheißt. Laß mich den Rest meines Lebens einzig Gott weihen und in ein Kloster gehen.“ An einer anderen Stelle ruft Faustine aus: „Wenn du wüßtest, Herz, wie müde ich bin, nicht des Lebens, nicht der Liebe, aber vom Leben und Lieben, so würdest du mich selbst den Weg der Entsagung alles Dessen gehen lassen, was ich bisher so glühend geliebt und gesucht. Ich scheide nicht gleich einer büßenden Magdalena; ich glaube nicht im Staube und in der Asche mit blutigen Kasteiungen gut machen zu müssen, was ich gefehlt habe. Ich will nur Aug’ und Seele unmittelbar in Anschauung Gottes versenken, statt wie bisher in seinen Werken und Geschöpfen ihn zu lieben und zu verherrlichen.“ Die Ehe wird auch wirklich gelöst und Faustine erhält die Dispensation, ohne Noviciat den Schleier bei den „Lebendigbegrabenen“ in Rom nehmen zu dürfen. Ihr Gemahl, Graf Mario Mengen, ist selbst Zeuge ihrer Einkleidung, aber kaum anderthalb Jahre nach derselben stirbt sie nach kurzer Krankheit gottselig im Kloster. Das Klosterleben hat sie nicht getröstet, sondern getödtet.
Im Munde der Gräfin Hahn-Hahn waren die in der Faustine ausgesprochenen Ansichten nicht bloße Worte und vorüberrauschende Empfindungen, sondern Ansichten, die sie bald zur That werden ließ, und deshalb haben wir gerade in diesem Romane das Programm ihrer weiteren Lebensentwickelung vor uns. Nachdem sie an Allem, woran sich ein Weib, und selbst das geistreichste, im Leben und Leiden anklammern kann, gänzlich Schiffbruch gelitten, warf sie sich verzweifelnd bei dem letzten äußeren Wendepunkt ihres Lebens in die Arme der Kirche, in welcher sie, wie es klar und unzweifelhaft aus ihren von da ab zahlreich veröffentlichten geistlichen Werken hervorgeht, ebensowenig eine wahrhafte Umwandlung am inneren Menschen gefunden hat, wie dies früher die Orthodoxie der lutherischen Kirche zu begründen vermocht hatte, in der sie in ihrem Vaterlande Mecklenburg kirchlich exclusiv erzogen worden war.
Seit der Revolution von 1848 schrieb sie einige Jahre nicht, sondern bereitete sich, auch noch gereizt durch den Roman „Diogena“, in welchem die geistreiche Fanny Lewald die schriftstellerischen, wie die Charakterschwächen der Gräfin mit vernichtendem Spotte gegeißelt und die als Heldin verkappte Gräfin sogar im Wahnsinn enden ließ, zum Uebertritt in die katholische Kirche vor. Im März 1850 legte sie in der St. Hedwigskirche in Berlin öffentlich das katholische Glaubensbekenntniß vor dem damaligen Propste Dr. Wilhelm Emanuel Freiherrn von Ketteler ab, an welchen sie von dem Fürstbischof von Breslau, Cardinal von Diepenbrock, gewiesen worden war. Später ging sie nach Mainz, wo unterdessen eben derselbe Geistliche den bischöflichen Stuhl bestiegen hatte. Zwei Jahre lang begann sie nun mit derselben Hast und eitlen Ruhmsucht in Schriften für die Kirche zu werben, deren Luft sie kaum eingeathmet hatte. Sie urtheilte mit Rechthaberei, Eitelkeit und mit crasser Unwissenheit über den Geist, das Wesen und die Geschichte des Protestantismus, wie sie mit blendender Phantasterei ihre neue Kirche in den schnell auf einander folgenden, in Mainz bei Kirchheim erschienenen Schriften verherrlichte: „Von Babylon nach Jerusalem“, „Aus Jerusalem“, „Die Liebhaber des Kreuzes“ und im Büchlein „Unsrer lieben Frau“, worin sie mit zur Schau getragener Ruhmredigkeit als katholisch rechtgläubige Sängerin die Jungfrau Maria in allen verschiedenen Aemtern und Charakteren glorificirt, die ihr die katholische Kirche beilegt.
„Freilich bin ich in der lutherischen Confession getauft und confirmirt,“ sagt sie aufschlußgebend in ihrem ‚Von Babylon nach Jerusalem‘, „aber wie hätte ich dadurch eine geoffenbarte Religion haben sollen, ich hatte ja keine Kirche! Die Protestanten lehren freilich die Existenz einer unsichtbaren Kirche, und das klingt ja ungemein erhaben.“ – „Es kommt mir vor, als sei meine Seele von jeher eine schlafende Katholikin gewesen. Im Schlaf ist man nicht zurechnungsfähig. Wir nachtwandlen sogar und thun im somnambulen Zustande außerordentliche Dinge, die wir wachend nicht vollbringen können. Als meine Seele wach wurde, fand sie sich katholisch; denn Alles, was die Protestanten lehrten, hat sie nie begreifen, nie in sich aufnehmen, nie sich zur Nahrung machen können. Kein Echo tönte wieder, kein Ton schlug an, keine Saite vibrirte. Nicht den geringsten Anknüpfungspunkt fand ich für mein religiöses Gefühl, weder in meiner Jugend noch in späteren Jahren.“ – „Der Protestantismus hat mit der Gemeinschaft der Kirche, mit dem unverlierbaren Mittelpunkte, dem irdischen Stellvertreter Christi, dem Papste, welcher der Schlußstein dieser Gemeinschaft seit achtzehn Jahrhunderten ist, gebrochen, die Autorität und die Tradition mit Füßen getreten, von der Einheit der sichtbaren Kirche sich losgerissen, folglich auch von der unsichtbaren sich abgelöst, welche nichts Anderes, als eine Vervollständigung der sichtbaren ist; mit welchem Rechte durfte der Protestantismus da behaupten, bei diesem Bruch, bei diesem Abfall die christliche Offenbarung respectirt, ja sogar sie gerettet, sie in einer neuen Kirche neu hergestellt zu haben? Der Protestantismus war geboren aus Willkür und behauptete das Recht aus Willkür, und damit hat er sich seinen character indelebilis für die ganze Zeit seines Bestehens aufgedrückt: Willkür ist sein Lebensprincip.“
Dies ist das Grundthema, über welches die Gräfin, wie früher über die sinnliche, so nun über die katholisch-himmlisch-kirchliche Liebe mit einer gewissen blendenden, aber bald abstumpfenden Virtuosität in allen Tonarten ihre Variationen abgeigt. Daß natürlich auch der heilige Ignatius von Loyola als der erste unter den „Liebhabern des Kreuzes“, als das Vorbild aller katholischen Christen gepriesen wird, versteht sich von selbst. „Neunzehn Jahre waren verflossen,“ so ruft sie aus, „nachdem der Heilige sein Schwert am Altarpfeiler auf dem Montserrat aufhing. Die kriegerischen Hoffnungen und Träume seiner Jugend waren anders in Erfüllung gegangen, als er sie geträumt hatte. Er war General, er hatte ein Heer, ein Schlachtfeld, einen Feind (die Protestanten), nur Alles im geistlichen, im überirdischen Gebiete, was er weltlich und irdisch verstanden hatte. So geht das oft bei starken Seelen und Menschen von großem Charakter, wenn die ewige Liebe ihr Herz ergreift: sie übersetzen gleichsam ihr Ziel aus dem Irdischen in’s Himmlische.“
Im November 1852 reiste die hochverehrte Convertitin, an der sich auch das Naturgesetz erfüllte, daß Uebergetretene alle Schranken der Mäßigung und des Herkommens übertreten, um sich gläubiger als die Gläubigen selbst zu zeigen, nach Frankreich, in das große Kloster „vom guten Hirten“ zu Angers. Um Sünderinnen in Büßerinnen und Magdalenen umzuwandeln, muß man selbst eine arge Sünderin gewesen sein. Ihre Absicht war, wie sie in ihrem Büchlein „vom guten Hirten“ selbst sagt, „dem wachsenden Jammer der ungläubigen und daher sittenlosen Zeit [667] gegenüber, außer der Zufluchtsanstalt für Büßerinnen, auch Asyle für verwahrloste und verwaiste Kinder und für junge Personen zu eröffnen, denen aus Mangel an Erziehung und Aufsicht, durch böses Beispiel oder Armuth in der Welt Gefahren drohten.“ Seit siebenzehn Jahren sind von Angers aus in allen Ländern und Welttheilen bereits einundvierzig Häuser gegründet worden, in Deutschland schon vor der büßenden Gräfin in München, Aachen und Münster, seitdem durch sie in Wien und Mainz. „Wie ein stilles Eiland,“ so beschreibt sie die Klöster in dem Büchlein ‚vom guten Hirten‘, „an dessen hohem Gestade kein Nachen landen kann, liegt das Kloster in tiefer Abgeschiedenheit mitten im geräuschvollen Weltmeer und Weltverkehr da. Gegenüber dem Streben der Welt in die Weite und Breite ist es nach innen gesammelt und nach oben gerichtet. Es braucht auch ein unirdisches Element, welches sein mystisches Leben erhält und ernährt, und das ist der Altar, dieser unversiechliche Brunnen der Gnade und der heiligen Liebe, auf welchem das allerheiligste Sacrament ruht und das Kreuz steht. Sie bringen Licht und Schatten diesem mystischen Leben: die Nacht des Kreuzes und den Sonnentag der Eucharistie“ (des Abendmahls). Da haben wir eine Probe des sprachlichen Schwulstes und der gräflichen Mystik.
Zwei Jahre später wurde sie nach Wien eingeladen, wo man ein Kloster „vom guten Hirten“ hauptsächlich in der Absicht zu gründen wünschte, um die Anstalten für weibliche Sträflinge in die Hände der Ordensschwestern zu bringen. Kaiser Franz Joseph nahm huldreich die Bittschrift an, welche ihm die Gräfin über diesen Gegenstand überreichte, und gewährte sie. Auch sämmtliche Minister jener Zeit, Baron Bach, Graf Thun, Baron Kraus und General von Kempen, gingen bereitwilligst darauf ein, und im Sommer kamen die Frauen „vom guten Hirten“ nach Neudorf bei Wien, wo sie bis zur Stunde einer großen Strafanstalt vorstehen.
Die Gräfin aber kehrte nach Mainz zurück, wo auf ihre durch ihre Schriften gewonnenen Kosten ein Kloster für die Frauen „Vom guten Hirten“ erbaut worden war. Sie richtete das Kloster ein und übergab es den Klosterfrauen, damit diese in demselben ihrem schweren Beruf, der Besserung der Verwahrlosten und Gefallenen, nachkommen möchten. Doch wer erklärt auch hier wieder den Zwiespalt der Natur? Die Gräfin selbst nämlich schloß sich in keiner Weise der Congregation an, sondern machte nur die Bedingung, für sich ein Zimmer im Kloster zu bewohnen. Dort lebt sie vollkommen frei und unabhängig bis auf diese Stunde, mit literarischen Arbeiten und Werken der Wohlthätigkeit beschäftigt. Um indessen der Möglichkeit irgend eines Conflictes mit dem Mutterhause in Frankreich vorzubeugen, wurde einige Jahre später das Kloster und dessen Dotirung an das Bisthum Mainz als Diöcesananstalt abgetreten und erhielt als solche von der Staatsregierung Corporationsrechte.
Der Gräfin einzige noch lebende Tochter starb unvermählt im Jahre 1856. Dafür war sie so glücklich bei ihrem Bruder und dessen Familie, einem mecklenburgischen Edelmann, der Besitzungen zu Neuhaus in Holstein hat, Propaganda zu machen. Auch er trat im Jahre 1858 zur katholischen Kirche über.
Außerordentlich gesteigert hat sich seitdem die literarische Fruchtbarkeit der Gräfin, und man kann sie die bedeutendste Publicistin der katholischen Kirche nennen; keine in der Gegenwart auftauchende Frage, die mit dieser Kirche in Berührung steht, hat sie ohne literarische Erörterung gelassen. So hat sie in vier Bänden mit „hoher bischöflicher Approbation“ „Bilder aus der Geschichte der Kirche“ erscheinen lassen. Doch ihrer alten Liebe, dem Romane, hat sie nicht untreu werden können, und zwar füllen die Romane: „Maria Regina,“ „Doralice“, „zwei Schwestern“, „Peregrin“, mit den Beisätzen „Erzählungen oder Familiengemälde aus der Gegenwart“, stets zwei Bände, wie sie auch gegen Ernst Renan ein Phantasiegemälde „Ben David“ gerichtet hat. Auch die zur Krisis sich drängende Frage von der „weltlichen Macht des Papstes“ hat sie in ihrem neuesten historischen Romane „Eudoxia, die Kaiserin. Ein Zeitgemälde aus dem fünften Jahrhundert“, natürlich im Gegensatz zu Döllinger in München zu Gunsten der weltlichen Macht, motivirend dahin zu beantworten gesucht, daß der Papst weltlicher Souverain bleiben müsse, um als geistlicher Fürst frei zu sein, und daß Rom nie die freie Hauptstadt des freien Italiens werden dürfe. „Rom muß der Mittelpunkt der geistlichen Welt bleiben,“ sagt sie, „weil die heilige Kirche ein menschliches Element hat, und weil die Menschen die Träger ihrer Heiligkeit sind; so bedarf sie für diese Nachfolger der Apostel einer Freistatt, die nicht unter der Botmäßigkeit von Kaisern und Königen steht. Seitdem die christliche Kirche besteht, war Rom ihre Freistatt. Diejenigen, welche versuchten, es ihren Sceptern botmäßig zu machen, gingen einer nach dem anderen zu Grunde und Rom ging wie die Sonne immer auf. Es giebt Sonnenfinsternisse, – ja, ihre Folge ist tiefer Schatten auf Erden.“ So geschrieben am 29. November 1866 nach dem großen deutschen Kriege an dem Sitze des heiligen Bonifacius in der zweiten katholischen Metropole des Rheinlandes, zu Mainz. Hat sich diese, trotz vieler Bischöfe, wie eine Heldin mit der Oriflamme für die katholische Kirche, zu der sie übergetreten, streitende Heldin nicht ein Anrecht auf Heiligsprechung erworben? Wir begnügen uns vom protestantischen Standpunkt aus mit den Worten des frommen katholischen Pascal zu schließen: „La dévotion est une manie qui vient surtout aux femmes d’un certain âges comme une maladie ou comme une mode qu’il faut suivre.“ (Die Frömmigkeit ist eine Manie, welche besonders die Frauen eines gewissen Alters wie eine Krankheit überkommt oder wie eine Mode, die man mitmachen muß.)
Es war ein klarer Herbstnachmittag, als ich in Gemeinschaft eines schwäbischen Freundes dem hoch über Stuttgart gelegenen Bopserwalde zuschritt, um von dort einen Ausflug nach den Meiereien von Hohenheim, den eigentlichen Herzkindern des verstorbenen Königs Wilhelm, zu machen.
Wir wanderten an Fruchtbäumen und Rebhügeln dahin, und so kam das Gespräch ganz naturgemäß auf den Obst- und Weinbau. Als Norddeutschen waren mir Art und Betrieb des letztern ziemlich fremd, und so ließ ich mich gern von meinem sachkundigen Begleiter darüber belehren.
„Ihr müßt ja im Wein förmlich ertrinken,“ sagte ich zu meinem Freunde, indem ich auf die rings emporsteigenden Weingelände wies, welche Stuttgart umgeben. „Wächst Euch doch der Wein gewissermaßen zum Fenster hinein!“
„Mit dem Ersteren hat es keine Gefahr,“ antwortete jedoch mein Begleiter. „Allerdings sehen wir an jedem Straßenende die Weinberge aufsteigen, man sorgt aber auch dafür, daß wir nicht zu viel trinken, oder gar, wie Du vorhin meintest, im Wein ertrinken. Obgleich der Wein in unmittelbarer Nähe, ja beinahe in der Stadt wächst, ist er doch nicht so billig, wie man glauben sollte. Das kommt von der vielen Ausfuhr. Wie mancher schwäbische Wein wird außerhalb als dieser oder jener ‚Château‘ etikettirt und getrunken!“
„Wenn der Wein bei Euch verhältnißmäßig theuer ist, was trinken denn aber Eure Arbeiter während des Schaffens?“ fragte ich.
„Moscht!“ (d. h. Aepfel- und Birnenwein) antwortete er mir auf gut Schwäbisch.
Ich zog bei dem Worte „Most“ die Lippen zusammen, damit mir ja kein Tropfen darüber ginge. In Berlin hatte mich vor einer Reihe von Jahren ein Studiengenosse in den Garten des ‚Apfelpetsch‘ geführt, und noch heute denke ich an den Essiggeschmack, mit dem ich angeführt wurde und der mir damals lange nicht aus dem Munde wollte.
„Ja, so ‘n gut’s Glas Moscht isch eppes Delicat’s!“ fuhr mein Begleiter fort.
„Für Liebhaber!“ entgegnete ich. „Ich, für mein Theil, kann mich mit Most nicht befreunden und ziehe eher Wasser vor.“
„Ja, es kommt freilich darauf an, wie er ist und“ – setzte er nach einer Pause hinzu, „wie er zubereitet wird. Wir wollen [668] heut’ mal im ‚Löwen‘ in Degerloch eine Flasche vorjährigen ‚Bratbieremoscht‘ trinken, und ich bin überzeugt, Du wirst dann eine bessere Meinung von unserem ‚Moscht‘ bekommen.“
„Was – Bratenmost – oder wie nanntest Du doch das Gewächs?“
„Koi G’wächs!“ lachte er. „Brat-Birnen-Most heißt’s auf Hochdeutsch.“
Ich bat ihn nun, mir sowohl darüber, wie über die Obstmostbereitung im Allgemeinen Einiges mitzutheilen, und er erklärte sich hierzu gern bereit.
„Wir haben geschtern selbscht gemoschtet,“ sagte er. „Schade, daß Du nicht früher angekommen bist, Du hättest Dir dann die Moschterei selbst mit ansehen können.“
Er erzählte mir nun Folgendes:
„Bei uns in Schwaben ist der Most ein ziemlich bedeutender Handelsartikel; er dient aber auch dem arbeitenden Landmann, wie Arbeitern der unteren Classen überhaupt, als sehr gesundes Getränk, welches zugleich das zweckmäßigste Erfrischungs- und Stärkungsmittel abgiebt, vorausgesetzt – daß der Most gut zubereitet ist. Bei unzähligen Familien bildet er recht eigentlich den Haustrunk, der, mit einem halben Pfund Brod genossen, erfahrungsmäßig mehr sättigt, als ein Pfund Brod ohne Most. Man kann deshalb bei uns mit Recht behaupten, daß durch einen reichen Obstertrag viel an Brod erspart wird. Was den Obstmost speciell betrifft, so ist der Apfelmost im Allgemeinen dem Birnenmost vorzuziehen, weil jener besser, geistreicher und haltbarer als dieser ist. Während der Apfelmost von guten Sorten sich drei bis sechs Jahre hält, bleibt guter Birnenmost nur ein bis drei Jahre haltbar.
„Unter den Aepfeln sind zur Bereitung eines guten Mostes, neben vielen anderen Sorten, die sogenannten ‚Luiken‘ (eine roth gestreifte Sorte), unter den Birnen die deutsche oder Champagner-Bratbirne, Wolfsbirne die beliebtesten. Maßgebend bei der Auswahl des zum Most geeigneten Obstes ist der Zuckergehalt, da je von dem Reichthum desselben die Güte und Haltbarkeit des Obstmostes abhängig werden. Vor Allem kommt es darauf an, daß namentlich das späte Herbst- und Winterobst mit weinsäuerlichem Geschmack nach der Ernte, mit einem Tuch oder mit Säcken bedeckt, an trockenen Orten gelagert wird, damit es die ‚Lagerreife‘ erhält, welche sich durch die veränderte Farbe des Obstes anzeigt. Ferner ist das Mischen des Obstes mit weinsäuerlichen Aepfeln oder rauhen Birnen bei allen denjenigen Sorten zu empfehlen, welche einen süßen oder herbsüßen Geschmack haben, oder weichteigig sind, da der Most der letzteren sonst leicht schwer, dickflüssig oder zäh wird.
Ist das Obst gebrochen und hat es die nöthige Lager- oder Hochreife erlangt, so wird es in den steinernen Mahltrog oder, wie man auf dem Lande sagt, ‚Werkeltrog‘ geschüttet. In demselben zerquetscht das Obst (wie das unsere Abbildung darstellt) ein Mahlstein, durch den eine nicht selten zwanzig Fuß lange Stange geht, mittels welcher der Stein durch stoßende und schiebende Knechte und Mägde in Bewegung gesetzt wird. Nachdem der Stein in dem bogenförmigen Mahltrog einige Male hin- und hergelaufen, wird das zur Seite gedrängte Obst in die Mitte geschaufelt, dann wieder gequetscht und so lange damit fortgefahren, bis das Obst fein ‚gewerkelt‘ ist. Dieser Obstbrei heißt ‚Troß‘. Das Quetschen in Mahltrögen findet heutzutage nur noch da Anwendung, wo es sich um geringe Mengen von Obst handelt, da man bei großen Quantitäten sich der Obstmühlen bedient. Die Ansicht, daß man bei Bereitung des Obstmostes Wasser zusetzen müsse, hört man oft und namentlich von der Mehrzahl der Mostfabrikanten aussprechen. ‚Der Most werde dadurch besser und haltbarer, während er ohne Wasserzuschuß zu zähe und dickflüssig würde,‘ erklären sie. Bei Frühobst und süßen Obstsorten mag eine Wasserzugabe zu entschuldigen sein, wenn man nämlich keine weinsäuerlichen, rauhen Sorten zum Mischen besitzt, um die Haltbarkeit zu erhöhen. Im Uebrigen ist die Ansicht jedoch durchaus falsch, ihre Ausführung nichts Anderes als ein Vervielfältigungsproceß auf Kosten der Qualität des Getränks.
Das ‚gewerkelte‘ Obst, der ‚Troß‘, wird nun aus dem Mahltrog mittels ‚Gölten‘ (eine Art flacher Kübel) geschöpft und in die Presse (Kelter) gebracht (die wir auf unserer Illustration zur Linken des Beschauers unter dem kleinen Vordach erblicken). In anderen Gegenden, wie am Main, in Frankreich, namentlich in der Normandie, bedient man sich jedoch vorher eines anderen Verfahrens, das dem unsrigen vorzuziehen sein soll. Dort nämlich wird der ‚Troß‘ nicht unmittelbar nach dem Zermalmen in die Presse gebracht, sondern man läßt ihn bei warmer Temperatur fünf bis sechs Tage, bei kalter zehn bis zwölf Tage in Kufen stehen, wo er die erste stürmische Gährung durchmacht; man nennt dies Verfahren ‚Aufnehmenlassen‘. Der bekannte Frankfurter ‚Aeppelwein‘ wird ebenfalls mittels ‚Aufnehmenlassen‘ behandelt, doch setzt man den Troß nur einen bis zwei Tage der stürmischen Gährung aus.[2] Nachdem der Troß den nöthigen Grad des Aufnehmens erreicht hat, nimmt man den Ablaß vor und bringt die groben, zurückbleibenden Theile unter die Presse, welche letztere alsdann einen geringeren Most liefern. Unter den Pressen sind die bekanntesten: die Baum- oder Hebel- und die Spindelpressen, von welchen letzteren die eisernen wegen ihrer bedeutenden Druckkraft den hölzernen vorzuziehen sind. In holzarmen Gegenden werden die zurückbleibenden Trebern getrocknet, als Brennmaterial verwerthet und leisten dadurch einen nicht unbedeutenden Nutzen.
Beim Einfüllen des Mostes in Fässer müssen diese letzteren durchaus gut, rein und schimmelfrei sein. Im Keller tritt dann je nach der Behandlung die Unter- oder die Obergährung ein. Bei ersterer wird das Faß nicht völlig gefüllt, der Spund nur leicht aufgesetzt und erst nach Beendigung der geistigen Gährung nachgefüllt, ein Verfahren, wodurch der Most gehaltreicher wird. Bei der Obergährung wird dagegen das Faß spundvoll gefüllt und das Spundloch offen gelassen, aus dem dann die bewegte Flüssigkeit während des Gährung die Trebertheile und Unreinigkeiten auswirft. Getrunken kann der Most werden, so wie er aus der Presse kommt. Er hat dann ein trübes, braunes Aussehen und schmeckt angenehm süß. Nachdem er ungefähr acht Tage lang im Fasse gegährt hat, ist er ‚räs‘ (von bitter-saurem Geschmack), wo er vielen Mosttrinkern am besten mundet, anderen aber, welche den Geschmack nicht gewohnt sind, die Lippen zusammenzieht.“
„‘S isch eppes Gut’s, so e räser Moscht,“ schloß mein Freund seine gründliche Belehrung und schnalzte, in Anticipation künftiger Mostgenüsse, vor Vergnügen mit der Zunge.
Vor Degerloch dehnte sich eine Obstbaumallee aus, an deren beiden Seiten sich schmucke Obstgärten auf grünem Plan hinzogen. „Seit Jahren,“ begann mein Begleiter wieder, „haben wir eine solche Fülle von Obst auf unseren Bäumen nicht gesehen.“ Und in der That, es war ein prächtiger Anblick! Wie mit vollen Händen hatte hier die Natur gespendet. Der überaus reiche Segen des Jahres drückte die Zweige bis tief zur Erde nieder und überall sah man Stützen angebracht, um den Aesten die schwere Last zu erleichtern, damit sie darunter nicht zusammenbrächen.
Die rothen Dächer von Degerloch, einem hoch auf dem Berge gelegenen Kirchdorfe, das ein Lieblingsort der Stuttgarter ist, tauchten aus dem Obstwalde auf. Ueberall sah man Mägde mit Obstkörben unter den Bäumen, welche geschüttelt und so von der schweren Last befreit wurden. Vor einem der Häuser wurde eben gemostet – es war genau die Scene, wie sie der Künstler im Bild festgehalten hat. Ein Lärmen, Singen, Rufen, Lachen scholl herüber. Und doch sah man an den straffen, angestrengten Bewegungen der Arbeiter, daß das Mosten nichts Leichtes sei. Es schien, als ob Alle nur zum Vergnügen arbeiteten und das Mosten zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehöre. Auf und ab gingen die Mägde mit dem Obst und schleppten es zum „Werkeltrog“, vor dem die Knechte mit dem alten Bauer lachend und scherzend den Mahlstein bewegten. Zwei Mägde waren an die beiden Enden des Mahltrogs postirt, um das „Gewerkelte“ zusammen zu schaufeln, welches später ein Knecht auszupressen hatte. Auch seine Arbeit war keine leichte, ja, wohl die schwerste. Dennoch sang er: „Do!“ und während er den Schwengel der Presse mit allen Kräften an sich zog, machte er eine gewaltig lange Pause. Dann, beim Aufwirbeln der Spindel, sang er weiter: „Schau i mei herztausige Schatz“ und sah dabei nach der schmucken, jungen
[669][670] Magd herüber, welche vorn am Werkeltrog arbeitete. Die andern Knechte hatten das langgezogene „Do“ und das darauf folgende „Schatz“ gehört und unterbrachen den Sänger mit lautem Lachen und derben Scherzen.
Als wir im „Löwen“ die Flasche vorjährigen Bratbirnenmostes leerten, der wie Champagner lebendig moussirte und vortrefflich schmeckte, versöhnte ich mich mit dem Most. Der Wirth erzählte uns, wie die sorgfältig ausgelesenen grünen Bratbirnen, die an und für sich von rauhem Geschmack seien, behufs der Lagerreife auf drei bis vier Fuß hohe Haufen zusammen getragen, nach dem Gelb- und Weichwerden zermalmt würden und dann der Most in „Kufen“ über den Trebern die stürmische Gährung durchzumachen hätte. Nach dem Ablassen werde er in Fässer und frühzeitig aus diesen in Flaschen gefüllt, deren Kork man mit Draht festschnüre. Die Flaschen seien zu legen, damit der Kork stets feucht erhalten bleibe.
Wie ich den Wirth fragte, ob anderer Most lange in den Fässern liegen bleibe, antwortete er mir: „Selte, denn die Schwabe trinket ihren Moscht meischtens frühzeitig aus.“
Fast keine Woche vergeht, daß nicht irgend woher gemeldet würde: „Die leichte Flammbarkeit der modernen Damentoilette hat oder hätte beinahe schon wieder ein Menschenleben gekostet.“ Nicht nur Tänzerinnen von Beruf, sondern auch andere Frauen aller Stände sind in zahlreichen Fällen der Unvorsichtigkeit oder dem traurigen Zufall zum Opfer geworden, daß ihre dünnen baumwollenen Gewänder die Lampen an der Rampe streiften, oder von brennendem Petroleum oder Spiritus überströmt wurden, daß sie der Flamme des Kamins zu nahe kamen, oder daß ihnen der Wind einen Funken von der Cigarre des Begleiters zuführte. Während es der praktischen Chemie längst gelungen ist, Schutzmittel zu erfinden, durch welche auf einfache und sichere Weise den dünnen, äußerst leicht flammbaren baumwollenen Geweben ihre Leichtentzündlichkeit und ihre Fähigkeit, in Flammen auszubrechen und dann von selbst fortzubrennen, genommen werden kann, ist es bedauerlich, daß trotzdem der allergrößte Theil des Publicums, selbst im Angesicht jener betrübenden Verbrennungsfälle, immer noch keine Nachfrage nach diesen Mitteln hält und auch von Seite der Fabrikanten und Appreteure mit sehr seltenen Ausnahmen kein Angebot dieser Mittel oder der damit behandelten Gewebe geschieht.
Vielleicht gelingt es der „Gartenlaube“, endlich die allgemeine Anwendung, wenn nicht gar polizeiliche Anordnung (für die Theater) jener Schutzmittel in’s Leben zu rufen. Möchte kein Familienvater fortan dulden, daß seine Töchter andere als feuersichere Baumwollkleider tragen, und möchten alle für das allgemeine Wohl sich Interessirenden zur Verbreitung des hier Gesagten beitragen!
Gewebe aus einem absolut unverbrennlichen Stoff giebt es allerdings, sie werden aus einem langfasrigen, weißen, seidenglänzenden Minerale, dem Asbest, hergestellt; für die Praxis haben sie jedoch keine Bedeutung, wenn auch die Römer sie benutzt haben sollen, um bei der Verbrennung der Todten die Asche der letzteren zu sammeln. Wollene und seidene Gewebe haben überhaupt keine große Entzündlichkeit; sie brennen nach dem Anzünden entweder gar nicht oder nur sehr schwierig weiter, in jedem Falle glimmen sie nicht fort. Die so vielfach zu Oberkleidern verwendeten Baumwollstoffe dagegen zeigen im höchsten Grade die Eigenschaft, nach dem Anzünden oft äußerst rasch und unter Flamme fortzubrennen und auch fortzuglimmen. Längst und schon im Alterthum sind Versuche gemacht worden, leicht brennbare Stoffe wie Holz, Gewebe, Papier unverbrennlich zu machen; im Allgemeinen wurden die betreffenden Gegenstände mit mineralischen Stoffen z. B. Kalk, Alaun, Eisenvitriol, Borax etc. getränkt oder angestrichen, und in der That erfüllten diese Mittel ihren Zweck mehr oder minder gut. Besonders zu erwähnen ist in dieser Hinsicht das von Fuchs erfundene Wasserglas, eine chemische Verbindung von Kieselsäure und Kali oder Natron, welche dem gewöhnlichen Glase ähnlich sieht, aber die sonderbare Eigenschaft hat, sich gepulvert in kochendem Wasser zu einem Syrup aufzulösen, der, auf andere Gegenstände aufgestrichen, zu einer Glasur eintrocknet, welche sich in kaltem Wasser nicht auflöst und diese Gegenstände, wenn sie dünn wie Papier oder Gewebe sind, schwer verbrennlich macht. So werden Coulissen, Theatervorhänge etc. zweckmäßig durch einen Ueberzug von Wasserglas gegen Feuersgefahr bis zu einem gewissen Grade geschützt. Auf zur Kleidung bestimmten Geweben kann das Wasserglas nicht verwendet werden, dagegen giebt es eine Menge anderer Salze, welche die damit getränkten Baumwollstoffe zwar nicht völlig unverbrennlich – dies ist überhaupt nicht möglich – aber doch so schwer entzündlich und besonders schwer fortbrennlich machen, daß es einfach mit einem Brandloche abgeht, wenn ein unaufmerksamer Herr seine Cigarre auf dem Kleide seiner Nachbarin abstreicht, oder eine kunstbegeisterte Taglioni in’s Parquet hinabzuschweben im Begriffe ist und dabei den Lampen zu nahe kommt.
Zwei praktische Chemiker, Versmann und Oppenheim, haben vierzig verschiedene Salze in dieser Hinsicht geprüft, unter allen aber das schwefelsaure Ammoniumoxyd (schwefelsaures Ammoniak kurzweg genannt) als das empfehlenswertheste gefunden. Am englischen Hofe wird schon geraume Zeit das wolframsaure Natron zum Imprägniren der vor dem Feuer zu schützenden Wäsche benutzt; dieses Salz wird in England producirt und deshalb vorgezogen, weil es nicht nur seinen Zweck vorzüglich erfüllt, sondern weil die damit getränkten Zeuge keine Schwierigkeiten beim Plätten zeigen, während andere Salze mehr oder weniger ein Hängenbleiben des Bügeleisens verursachen. Dieses Salz ist jedoch viel zu theuer für die allgemeine Anwendung, wenigstens finde ich hierin den Grund, weshalb sich die Industrie desselben noch nicht bemächtigt hat. Auch das phosphorsaure Ammoniak ist ein völlig geeignetes Schutzmittel; nach meinen eigenen Versuchen werden dünne Jaconette etc., wenn man sie nach dem Stärken und Trocknen in eine Lösung von einem Theil dieses Salzes in zwölf Theilen Wasser taucht und gut ausringt, nach dem Trocknen so schwer verbrennlich, daß sie durchaus nicht zum Fortflammen und Fortglimmen zu bringen sind, und außerdem lassen sie sich nach dem Trocknen ganz gut plätten. Aber auch dieses Salz ist noch zu theuer und bietet doch nicht viel mehr Sicherheit, als das schwefelsaure Ammoniak, welches letztere mir allein berufen zu sein scheint, bestimmte Theile der Damentoilette vor dem Feuer zu schützen.
Das schwefelsaure Ammoniak wird heutzutage in großen Massen in den Steinkohlengasfabriken bei Gelegenheit der Reinigung des rohen Leuchtgases gewonnen, so daß es von chemischen Fabriken, z. B. von Henner und Comp. in Wyl (Kanton St. Gallen), in nicht ganz reinem Zustande mit 24/5 Gr. und in gereinigtem mit 32/5 Gr. pro Pfund angeboten werden kann. Für die allerdünnsten Stoffe, z. B. Musselin, Organdin, Mull, Linon, Tüll, Gaze, ferner für die weniger feinen Zeuge, wie Jaconett, Percal, Calico, Barège, ist eine kalte Lösung von einem Pfund dieses Satzes in zehn Pfund Wasser völlig zweckentsprechend, während für die noch gröberen Gewebe, wie Kattun, Nanking, Shirting, die Menge des Salzes im Verhältniß zum Wasser sogar etwas herabgesetzt werden kann. Neue, schon appretirte Gewebe werden in der genannten Lösung eingeweicht, dann so stark wie möglich, ohne daß das Gewebe beschädigt wird, ausgepreßt, zum Trocknen aufgehängt und, wenn sie noch nicht völlig trocken sind, geplättet. Ist das Gewebe noch naß, so bleibt in der That das Plätteisen oft darauf hängen, indem es stellenweise anklebt; ist aber der Stoff nur so feucht, wie er etwa aus einem Keller kommend sein würde, so läßt er sich ganz ohne Schwierigkeit glatt und steif plätten, und zwar besser, als wenn er am Ofen oder an der Sonne ganz trocken geworden wäre. Unter den farbigen Mull- und Gazesorten, welche auf Bällen und beim Theater getragen werden, kommen Farben vor, die bei unvorsichtiger Behandlung mit Wasser ausgehen, oder die wenigstens ihre Nüance ändern. Die Präparation solcher nicht waschächter Stoffe wird zwar hoffentlich bald den Consumenten erspart und gleich in der Fabrik bei der Appretur ausgeführt werden; solange sich aber dergleichen präparirte Stoffe noch nicht im Handel befinden, wird man sie selbst in die Cur nehmen müssen, und diese ist denn auch einfach genug.
[671] Stoffe, auf welchen die Farbe gleichsam nur aufgeklebt ist, dürfen nach dem Eintauchen nur ganz lose ausgedrückt werden, und sollte sich hierbei die Nüance ändern, so wird, wie man durch Probiren an einem Lappen desselben Zeuges leicht ersehen kann, durch Zusatz von einigen Tropfen Kleesäure-Lösung, oder, umgekehrt, von einigen Tropfen Salmiakgeist zur Imprägnationsflüssigkeit die Farbe in ihrer ursprünglichen Schönheit zurückkehren. Die Präparation waschbarer weißer, ächtfarbiger oder ächt gedruckter Jaconette etc. hat gar keine Schwierigkeiten; entweder giebt man das Appreturmittel, d. h. den Leim, das Gummi, den Stärkekleister, gleich der kalten Salzlösung bei, oder man steift zuvörderst, läßt trocknen und zieht den Stoff erst nachträglich durch die Salzlösung; in jedem Falle erfolgt zuletzt das Plätten auf die angegebene Weise. Jede einigermaßen geschickte Plätterin wird sehr bald völlige Sicherheit in der Ausführung dieser Proceduren erlangen, und ich kann höchstens noch empfehlen, daß man sich hierbei nicht des zum Plätten der Leinwandwäsche bestimmten Bügeleisens, sondern eines andern, womöglich recht schweren aus Messing bediene, da durch einen größeren Druck derselbe Zweck erreicht wird, welchen man sonst durch recht heißes Plätten erstrebt. Eine übermäßig hohe Temperatur kann nämlich mancher zarten Farbe und wohl auch der Haltbarkeit sehr dünner Stoffe schaden, und ist das Gewebe noch naß, so bewirkt ein zu heißes Plätteisen, besonders wenn es aus Eisen besteht, leicht bräunliche Flecke. Die leinene Leibwäsche feuersicher zu machen, wird wohl Niemand für nöthig halten.
Nach dem angegebenen Preis des schwefelsauren Ammoniaks genügt schon ein Ueberschlag, die Billigkeit des Verfahrens in das Licht zu stellen; zur näheren Berechnung kann ich aber mittheilen, daß hundert Quadratfuß preußisch von Mull ca. ein Loth, von Jaconett ca. zwei Loth, von Kattun ca. fünf Loth Salz erfordern, so daß die Präparationskosten eines Kleides nur einige Pfennige betragen. Zur Beruhigung vorsichtiger Hausfrauen sei noch erwähnt, daß das schwefelsaure Ammoniak für die Gesundheit völlig unschädlich ist, daß es das Waschen des getragenen Stoffes nicht beeinträchtigt, wenn es auch rathsam ist, die Kleider vor dem Waschen durch Einlegen in warmes Wasser von dem Salze zu befreien, und daß vor allen Dingen die Haltbarkeit des Stoffes durchaus nicht verringert wird. In jedem Falle aber möchte ich bitten, sich im Anfange von etwa mißlingenden Versuchen nicht gleich abschrecken zu lassen; und gewiß ist es besser, so lange man noch nicht Meister in der Behandlung ist, ein etwas rauhes oder nicht wie starre Seide steifes, aber feuersicheres Kleid zu tragen, als gelegentlich mit allem Glanze in Flammen zu stehen.
Nachdem so die Praxis dieses „Damenlebenschützers“ genügend erörtert worden, verlangt vielleicht manche wißbegierige Leserin von der Wissenschaft auch eine Erklärung seiner Wirksamkeit. Ich will mich kurz fassen. Hält man einen schmalen Streifen von Baumwollzeug mit einem Ende in die Kerzenflamme, so wird er dort zunächst zum Verkohlen gelangen, er wird braun, dann schwarz, es brechen brennbare Gase und Dämpfe heraus und es bildet sich ein Gerippe von lockerer Kohle; in demselben Momente aber werden diese Verkohlungsproducte auch schon auf ihre Entzündungstemperatur erhitzt und es entsteht da, wo die Gase brennen, die Flamme, während etwas später die Kohle verglimmt. Bei dieser Verbrennung aber wird eine so große Wärme entwickelt, daß die benachbarten Baumwolltheilchen so heiß werden, daß sie auch erst zur Verkohlung und dann zur Verbrennung gelangen, und da sich fortwährend am brennenden Theile die noch nicht brennenden benachbarten Theile entzünden, so schreitet die Verbrennung ungehindert vorwärts. War aber zwischen und in den Fasern der Baumwolle ein mineralischer unverbrennlicher Stoff, wie schwefelsaures Ammoniak, abgelagert, so hemmt dieser nach Entfernung der anzündenden Kerzenflamme das Fortbrennen in mehrfacher Weise. Zunächst entzieht er der Flamme des brennenden Stoffes so viel Wärme, daß die benachbarten Partien nicht genug mehr empfangen, um auch verkohlen und verbrennen zu können, und zwar nimmt das Salz viel Wärme auf, um selbst warm zu werden, dann aber noch viel mehr, um zu schmelzen und zu verdampfen. Das Letztere aber geschieht so langsam, daß die Flamme verlöscht ist, ehe sie weiter greifen konnte, und es bleibt nur noch die Kohle übrig, welche fortglimmen und dadurch von Neuem die Entflammung herbeiführen könnte. Ein aufmerksam angestellter Versuch mit einem Stück präparirten Gewebes zeigt aber, daß es der Kohle zwar unmittelbar nach dem Verlöschen der Flamme stellenweise gelingt, unter Glimmen zu verbrennen, allein die Temperaturentziehung durch das Salz ist so bedeutend und vor Allem ist es dem Sauerstoff der Luft so schwer gemacht, durch die dichte, geschmolzene Kruste von Asche hindurch zur Kohle zu gelangen, daß der Verbrennungsproceß immer mehr in’s Stocken geräth und schließlich nicht ein Fünkchen sich weiter verbreitet, als die anzündende Flamme eingewirkt hatte. So entsteht also nur eine locale Beschädigung des Gewebes, während ein selbstständiges Weitergreifen des Brandes völlig unmöglich ist.
Erinnerungen im Heinrich Heine. Heinrich Heine hat mich den Trommelschläger der Hegel’schen Philosophie genannt; ich habe deswegen geglaubt, im vierten Bande meiner Erinnerungen aus früherer Zeit Reveille für die Philosophie schlagen zu müssen, und trage es Heine nicht nach, daß er mir noch zum Abschiede eins versetzt hat. Ich hatte es reichlich verdient durch meine unbarmherzige Kritik im Anfang der Jahrbücher, die Heine lange genug geduldig ertragen hat. Ja, ich war überrascht von seiner Freundlichkeit, als ich 1843 nach Paris kam. Im Palais royal ging ich eines Abends mit einem jungen israelitischen Freunde an den Springbrunnen entlang. „Heinrich sitzt in der Rotunde,“ sagte er mir, „er wünscht Ihre Bekanntschaft zu machen; erlauben Sie mir, daß ich Sie vorstelle.“
„I, der alte Fuchs! Das ist ja recht menschlich von ihm!“
„Denken Sie nicht, daß er Ihnen Ihre Kritik nachträgt.“
„Was sagt er denn?“
„Er meinte, wenn man ordentlich gekreuzigt würde, stände man auch ordentlich wieder auf.“
„Nun, so lassen Sie uns hingehen.“
Heine war ein kleines, etwas corpulentes Männchen, unbefangen und eine freundliche Erscheinung. Mit kleinen schlauen Augen, erregte er keinen Argwohn, als lauerte er Einem auf. Man war sofort mit ihm vertraut.
„Wie geht’s in Deutschland? Sind die Gefängnisse bald voll? Ich höre, Jeder will sich sein Zimmer zum Gefängniß einrichten, um der Regierung unter die Arme zu greifen,“ begann er.
„Ihre Nachricht bezieht sich wohl zunächst nur auf Preußen,“ erwiderte ich.
„O nein, im Gegentheil, die Preußen sind es schon gewohnt, Staatsgefangene zu sein; die Anderen aber streben ihnen jetzt nach!“
„Sehen Sie dort, da sitzt ein preußischer Spion –“ fiel mein junger Israelit ein.
„Es giebt keine preußischen Spione,“ unterbrach ich ihn, „die Preußen bezahlen sie nicht.“
„Die unbezahlten,“ erwiderte Heine, „sind die schlimmsten: die hoffen erst was zu kriegen.“
So verlief die Unterredung weiter, wie zwischen alten Bekannten, ja, in Kurzem kamen wir sogar auf Privatangelegenheiten, und Heine erzählte, in Paris könne man immer Geld brauchen, wäre es auch nur, um bei Béfour zu essen, und ordentlich zu essen, das sei doch Jeder sich selbst schuldig. So brauche er jetzt gerade zweihundert Franken.
Ein dritter Israelit, der nicht zu unserer Gesellschaft gehörte, im Gegentheil für eine Art Pariah der Zeitungsliteratur galt und mit Recht so angesehen wurde, hatte sich immer in nicht großer Entfernung mit auf- und abgeschwungen, wie wir durch den Garten gegangen waren. Sowie er von den zweihundert Franken hörte, schoß er zu Heine heran und rief aus: „Ich will sie Ihnen leihen.“
Heine trat wie betroffen zurück, sah ihn einen Augenblick prüfend an und erwiderte dann: „Sie sind mir nicht sicher!“ womit der Andere ganz verdutzt abzog.
Wir lachten laut auf. „Gut,“ sagte Heine, „die zweihundert Franken minus sollen uns nicht abhalten, bei Béfour zu essen. Da, die Glasthür steht offen, treten wir ein. Die Mysterien von Eleusis sind hier zu haben.“
Der „Unsichere“ wagte uns nicht zu folgen, und die Aristokratie aß allein. Das Essen war so gut, daß Heine bemerkte, es verdiene knieend eingenommen zu werden, und als er fertig war, rief er aus: „Nun fühle ich mich besser!“
„Ueber Tisch fragte er: „Nun die Jahrbücher, mein Pranger, eingegangen, was wird denn in Deutschland an die Stelle treten?“
Ich theilte ihm mit, Schwegler, ein Schwabe, wolle Jahrbücher der Gegenwart herausgeben, um Alles wiederherzustellen, was wir demolirt hätten.
„Also auch mich, das hab’ ich gehofft. Aber Jahrbücher der Gegenwart? Da sind sie ja schon Maculatur, wenn man sie in die Hand nimmt.“
Nach Tische gingen wir in’s Lesecabinet. Heine gerieth in einer Revue auf einen Aufsatz über die neueste deutsche Literatur. Als ich bemerkte, er sei nicht des Lesens werth, legte er ihn weg mit den Worten: „Ich wollte auch nur sehen wo ich ausgelassen wäre!“
Während des Lesens der Zeitungen wurde ein alter Herr lästig, der sich fortdauernd mit lautem Geräusch räusperte. Heine rief: „Hsch! hsch!“ Dies nahm der Räusperer übel, trat heran und fand sich beleidigt. „Oh! c’était vous, Monsieur!“ sagte Heine entschuldigend, „pardon! Je croyais que c’était un chien!“ (Oh! Sie waren ‘s, mein Herr; Verzeihung, ich glaubte, es wäre ein Hund!) Der alte Herr verneigte sich und gab sich mit der Erklärung zufrieden.
[672] Zu den deutsch-französischen Jahrbüchern, zu denen wir vergeblich französische Beiträge suchten, da jeder erklärte, wir wären nicht von seiner Partei, gab Heine ein paar Gedichte her gegen König Ludwig von Baiern. Diese versalzten uns gleich anfangs den ganzen Kram. Nicht nur, daß sie dem gekrönten Dichter arg mitspielten, an der bairisch-französischen Grenze wurde auch vornehmlich um ihretwillen der größte Theil der Auflage weggenommen. Preßfreiheit hatten wir wohl in dem damaligen Paris, aber es fehlte an der Vertriebsfreiheit, die Heine’s Satiren nun vollends unmöglich gemacht hatten.
Ueber seine Dichtungsart hatte ich verschiedene interessante Unterredungen mit ihm, und er gab zu, daß er die politische Satire besser in Schwung setzen sollte, da er es besser könnte, als die übrigen „sogenannten“ politischen Dichter. Er gab auch wirklich bald darauf sein „Deutschland, ein Wintermärchen“, heraus, mit dem er ein verdientes Glück machte. Ich war natürlich sehr davon erbaut.
„Wollen Sie es kritisiren, da Sie doch damit zufrieden sind? Gut, dann will ich Ihnen einen Abdruck verehren,“ sagte er.
Ich nahm es mit Dank an, hatte aber so viel Gefallen an dem Gedicht, daß ich das Geschenk nicht erwarten konnte, sondern mir das Buch gleich aus der Buchhandlung holte und auch sogleich eine äußerst günstige Kritik niederschrieb, – sie ist in meinen gesammelten Schriften abgedruckt.
Als ich den Brief mit der Recension eben fertig hatte und absenden wollte, trat Heine herein, legte das Buch auf den Tisch und wiederholte seinen Wunsch.
„Ei, so lang’ hab’ ich nicht warten können und gute Bücher muß man sich kaufen. Sehen Sie her! Hier ist es und hier ist die Kritik!“ erwiderte ich.
„Wollen Sie sie mir anvertrauen? Ich schreibe gerade an Campe.“
Der Brief war schon versiegelt; er drehte ihn hin und her. Als ich sagte: „O, Sie können das Siegel erbrechen und Alles lesen,“ freute er sich und schlug vor, wir wollten zusammen auf den Boulevard gehen und ein Glas Eis zusammen essen.
Wir wanderten höchst vergnügt und offenbar gründlich versöhnt mit einander diese civilisirte Straße der alten Hauptstadt des Continents entlang, und Heine rief höchst befriedigt aus: „Es ist doch was werth, daß wir hier so zu sagen zu Hause sind und auf dieser Hauptader der Geschichte zusammen umhergehen können!“
So wußte er einen günstigen Augenblick zu schätzen und festzuhalten. Ich fand einen höchst gemüthlichen Gesellschafter an ihm und blieb fortdauernd mit ihm in dem besten Vernehmen.
Dies zeigt auch folgender höchst merkwürdiger Vorfall.
Freunde von Jacoby aus Königsberg waren bei uns zum Besuch. Sie brachten ‚Das Königliche Wort Friedrich Wilhelm des Dritten‘ mit, das Jacoby, trotz Macchiavelli’s Recept, immer noch erfüllt haben wollte und das ich glücklicher als die französisch-deutschen Jahrbücher wieder über die Grenze in seine Heimath zurückbeförderte. Als wir lebhaft mit der Zukunft des störrischen Vaterlandes beschäftigt waren, wurde uns plötzlich Heine angemeldet. Ich meinte, er käme uns gerade recht, und ließ ihn bitten, hereinzukommen. Er blieb aber in meinem Arbeitszimmer und ließ sagen, er habe dringend mit mir allein zu sprechen.
Ich war auf eine solche Geschäftsmiene von seiner Seite gar nicht gefaßt und wurde neugierig, was er mit mir vorhabe.
Kaum hatten wir uns begrüßt, so rief er mir zu: „Sie müssen mir secundiren, ich will mich mit Armand Marrast schlagen.“
Ich erwiderte, das Secundiren schlüge gar nicht in mein Fach, und das Duelliren, dächte ich, sei ein Aberglaube, dem er entwachsen wäre.
„Das verstehen Sie nicht. Ich muß mich schlagen. Sie kennen Paris nicht. Sehen Sie her, was der National da von mir sagt.“
Der National hatte einen kurzen Paragraphen, worin es ungefähr so hieß: „Heine habe ein Gedicht ‚Deutschland, ein Wintermärchen‘, publicirt, der freien Partei könne Heine aber nicht dienen, er, der Lamennais einen prêtre abominable genannt habe.“
„Nun,“ fragte ich ganz verwundert, „und darüber wollen Sie sich schlagen? wenn Lamennais auch nicht gerade abominable ist, so ist es doch wahr genug, daß er ein prêtre ist; und wie kann Marrast über den Nutzen Ihrer Satiren für unsere Partei urtheilen? Es hat ihm irgend Jemand etwas weis gemacht.“
„Das ist es ja eben, diese verfluchten Juden!“ fuhr Heine heraus.
„Also ein Familienzwist?“ fragte ich.
„Ich bin kein Jude und bin nie einer gewesen,“ sagte Heine pikirt. Ich weiß nicht mehr, in welcher Generation sein Geschlecht schon getauft worden war, auch sah er wirklich nicht jüdisch aus, wie sich jeder durch seine Photographien überzeugen kann. Daß er mich aber ganz ernsthaft, auf’s Kamin gestützt, wie ich ihn noch vor mir sehe, überreden wollte, er sei kein Jude, machte einen komischen Eindruck auf mich. Strauß, der Freund Börne’s, hatte mich gründlich über diesen Punkt aufgeklärt. Die Börnianer waren aber auch an dem Artikel im National schuld, und das war es, was Heine daran ärgerte. Er kam immer wieder auf das Duell zurück und daß ich ihm secundiren müsse.
„Wenn Sie Sich durchaus durch ein Duell blamiren wollen, so müssen wir irgend einen polnischen General zum Secundanten auftreiben. Für mich schickt sich die Metzelei nicht, auch stehe ich mich mit Marrast so freundschaftlich, daß ich ihm unmöglich als kriegführende Partei entgegentreten kann. Wenn Sie aber meine Vermittlung und den Versuch, ihn aufzuklären, annehmen wollen, so, glaube ich, ließe sich die Sache wohl ausgleichen.“
„Es ist wahr, Marrast ist nur irre geführt; wollen Sie das thun? Da bin ich Ihnen sehr verbunden.“
Er ging in dieser Stimmung weg und wollte die Königsberger, zu denen ich ihn nun nochmals einlud, nicht sehen. Sogar meine Versicherung, daß hübsche Mädchen mit dabei wären, half nichts. Als ich zu Marrast kam, war dieser sehr ärgerlich und fuhr heraus, an die dreißig Frankfurter Juden hätten ihn überlaufen und nicht eher geruht, als bis sie ihn bewogen, den Paragraphen in den National zu setzen. Ob denn die Geschichte mit Lamennais nicht wahr und ob Heine nicht ein mauvais sujet wäre?
„Nichtsdestoweniger,“ erwiderte ich, „hat er sich jetzt mit ganz vortrefflichen Satiren gegen das deutsche Unwesen nützlich gemacht. Ich selbst habe sie gelobt und warm empfohlen.“
„Gut,“ sagte Marrast, „wir wollen also sagen, daß er ein gutes Gedicht gemacht habe, mit dem die Opposition vollkommen zufrieden sei, was er auch sonst gesündigt haben möge.“
So ungefähr fiel die Berichtigung aus, mit der dann Heine ganz zufrieden gestellt war. Und wirklich waren die Börnianer zu weit gegangen, indem sie es versuchten, das Wintermärchen für ein schlechtes Gedicht auszugeben. Heine hatte sich Freunde unter den Franzosen gemacht. Denn seine witzige Behandlung politischer und religiöser Gegenstände sagte ihnen zu. Einmal sagte ein Franzose zu ihm: „Je comprends le rationalisme, mais je ne comprends pas l’athéisme.“ (Mit dem Rationalismus kann ich mich befreunden, aber den Atheismus begreife ich nicht.)
„Il est facile à comprende,“ erwiderte Heine, „l’athéisme est le dernier mot du théisme.“ (Er ist leicht zu verstehen; der Atheismus ist das letzte Wort des Theismus.) Das „letzte Wort“ hat einen Anklang von „letztem Willen“.
Solche klare und doch zweideutige Wendungen sind eine Feinheit, die man bei Heine häufig findet.
Der Hellenen-Stein. Jedenfalls ist es immer erfreulich, auf die Fortschritte und Errungenschaften unserer einheimischen Industrie zu blicken, doch ganz besonders dort, wo es sich um ihre großartigsten Leistungen handelt. So hat die Nachahmung des natürlichen Marmors durch ein künstliches Fabrikat schon nahezu den höchsten Gipfel der Vollkommenheit erreicht. Freilich ist dies Streben auch bereits außerordentlich alt, denn schon im römischen Alterthume wurden bekanntlich prächtige Stuccatur-Arbeiten aus künstlichem Marmor hergestellt. Jetzt hat der Techniker Thiel in Kassel vor etwa zwei Jahren eine Masse erfunden und immer mehr vervollkommnet, in welcher er die vorzüglichsten und seltensten Marmorarten Griechenlands ganz täuschend nachzuahmen vermag. Dieser „Hellenen-Stein“ wird in großen Blöcken für Baugegenstände, Gesimse etc., oder in Platten für Waschtische etc., sowie schließlich in Mosaiken aus den verschiedensten Farbenschattirungen hergestellt. Das abgebrannte Schloß zu Braunschweig und ebenso die neue Sängerhalle zu Hamburg sollen demnächst mit künstlerischen Arbeiten aus diesem künstlichen Marmor ausgeschmückt werden.
Zum Dombrand in Frankfurt a. M. Was wir in Nr. 41 unsers Blattes nur als Wunsch hinstellen konnten, die Wiederherstellung des alten Kaiserdoms in Frankfurt a. M. das ist jetzt bereits beschlossene Thatsache. Die Glocken des Domes werden wieder hinaus schallen in das reiche Maingelände, denn bereits hat sich in Frankfurt a. M. ein Dombau-Verein gebildet, um unter Mithülfe seiner Mitbürger, deren Gemeinsinn und Patriotismus sicher nicht kargen werden mit ihren Spenden, das schöne Bauwerk und zumal den allen Frankfurtern so lieben Pfarrthurm von Neuem würdig aus der Asche erstehen zu lassen.
L. B. in F.… t. Daß die Novelle von E. Marlitt „Das Geheimniß der alten Mamsell“ auch bei Ihnen und bei allen Ihren Bekannten zu einer Art von Tagesereigniß geworden ist, wundert uns nicht; die Erzählung hat eben überall wahrhaften Enthusiasmus erregt. In einer Separatausgabe erscheint die Novelle für dieses Jahr nicht; dagegen ist sie durch Ankauf des zweiten und dritten Quartals der diesjährigen Gartenlaube zu dem Preise von Einem Thaler complet noch zu haben.
Inhalt: Der Habermeister. Ein Volksbild aus den bairischen Bergen. Von Herman Schmid. (Fortsetzung.) – Bilder aus dem Londoner Verkehrsleben. Nr. 5. Das Unterrocks-Gäßchen. Mit Abbildung. – Zum October-Jubiläum auf der Wartburg. Dem 18. October 1817 gewidmet. Von Albert Traeger. – Eine gräfliche Büßerin. Von H. Künzel. Mit Portrait. – Aus den Gärten und von den Bergen. 1. Bei der Mosterei in Schwaben. Mit Abbildung.– Feuerversicherung für die Frauenwelt. Von Gustav Merz. – Blätter und Blüthen. Erinnerungen an Heinrich Heine. Von Arnold Ruge. – Der Hellenen-Stein. – Zum Dombrand in Frankfurt a. M. – Kleiner Briefkasten. – Quittung für Lugau.