Die Gartenlaube (1868)/Heft 52

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1868
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 52.   1868.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.


Lorenz und Lore.
Von Paul Heyse.
(Schluß.)


Dieser Plan schien dem guten Manne, der in der frischen Trauer um seine Halbschwester und mehr noch um den Knaben nicht sehr fähig war, selbst zu überlegen, das Rathsamste, was unter so wunderlichen Umständen zu thun sei, und ohne viel Worte zu machen, da ihm der Eintritt in das ausgestorbene Haus die Brust beklemmte, folgte er Lorenz die Treppe hinauf in das Wohnzimmer, wo der Anblick des blassen schlummernden Mädchens und des leeren Alkovens ihm einen Strom von Thränen entpreßte.

Indessen stieg Lorenz, der je eher je lieber diesem Hause und der ganzen Stadt Valet zu sagen wünschte, in das obere Geschoß und trat in Lore’s Zimmerchen, das ihm noch von ihrer Kinderzeit her bekannt war. Während er die Betten, aus denen sie nachgerade herausgewachsen war, zusammenpackte, um sie auf den Wagen zu schaffen, sah er sich in dem sauberen Stübchen mit wehmüthig heiteren Augen um. Es war nicht viel verändert, seit sie Beide in allerlei phantastischen Kinderpossen hier so manche Stunde verbracht hatten. Wie er das Schränkchen öffnete, um das Nöthigste an Kleidern miteinzupacken, glaubte er noch die Farben eines Tüchleins zu erkennen, das sie ihm selbst einmal um den Kopf gebunden, als er einen verwundeten Räuber zu spielen hatte. Und dort hing der alte weiße Schleier, freilich mit den Jahren ergraut, der immer als Brautschleier gebraucht wurde, wenn das Spiel zu Ende war und die geraubte Prinzessin mit dem Räuberhauptmann Hochzeit machte. Auch den nahm er zum Andenken mit. Dann fiel ihm ein Kästchen von eingelegtem Holz in die Augen, das zu unterst im Schranke stand. Der Schlüssel steckte daran, und da es Dinge enthalten konnte, die sie ungern vermißt hätte, erlaubte er sich, es zu öffnen. Es enthielt nichts als allerlei werthlosen Tand, wie kleine Mädchen ihn aufspeichern, ein Halskettchen von Glasperlen, einen alten Taschenkalender, leere Papiere mit Bildern und Sprüchen, in denen einmal Bonbons eingewickelt waren, ein zerbrochenes Messerchen und Aehnliches. Aber wie er es musterte, besann er sich, daß das Messer einmal ihm selbst gehört, daß er die Halskette vor acht Jahren auf einem Markt gekauft und der kleinen Lore geschenkt hatte, und in dem kleinen Kalender stand sein Name mit seiner eigenen Secundanerhandschrift eingezeichnet. Zuunterst endlich lag ein abgegriffenes Buch, das er auch sogleich wiedererkannte. Es war sein altes Exemplar von Schiller’s Räubern, und wie er es jetzt herausnahm und darin blätterte, fielen ihm ein halb Dutzend Briefe in die Hand, die einzigen, die er ihr während der Studentenzeit geschrieben hatte. Jeder steckte noch in seinem Couvert, und sie hatte mit Bleistift den Tag und die Stunde darauf bemerkt, wo sie ihn erhalten hatte. Wie er dies rührende Schatzkästlein einer heimlichen Liebe in der Hand hielt, mußte er einen Augenblick daran denken, was er empfinden würde, wenn das Alles einer Todten gehörte, und er wäre nur dazugekommen, um von dem Vermächtnis; eines getreuen Herzens, zu spät, Besitz zu ergreifen. Dann aber durchdrang ihn gleich wieder mit hohem Jubel das Gefühl, daß er gerade noch zur rechten Zeit gekommen sei und nur warten müsse, bis sie die Augen wieder aufschlage, um das liebe Herz, das sich ihm so früh schon auf ewig ergeben, in beide Hände zu nehmen und nie wieder loszulassen. Also schloß er das Kästchen sorgfältig zu, stellte es wieder in den Schrank und nahm den Schlüssel mit.

Als er endlich mit all seinem bunten Gepäck auf die Straße hinunterkam, fand er hülfreiche Hände genug, Alles geschwind auf dem Wagen unterzubringen, und konnte dazwischen von allen Seiten hören, wie sehr man den Muth und die aufopfernde Sorge des Mädchens für ihre Kranken zu loben wußte, und wie man es ihr gönnte, jetzt aller Noth und Gefahr entrückt zu werden. Ein Nachbar, ein zuverlässiger Mann und Mitglied des Magistrats, dem Lorenz auch die Aufsicht über das leere Haus anvertrauen konnte, half ihm in dem Hinteren Theil des Wagens ein welches Lager herstellen und erzählte dabei mit Thränen, wie viel seine jetzt auch gestorbene Frau auf die Lore gehalten hätte. Er ging selbst mit hinauf, die Schlafende sorgsam, so daß sie nicht aufwachte, die Treppe hinunterzutragen. Als man sie dann sanft auf den Wagen gehoben und in die Kissen gebettet hatte, daß auch ein stärkeres Rütteln ihr nicht wehthun konnte, wurde das Leintuch wieder über die runden Stäbe gespannt, so daß sie gegen Sonne und Staub so wohl geschützt lag wie unter einem Himmelbette. Der Kater war ihr nachgelaufen bis an die Schwelle der Hausthür; dort schien er mit sich zu Rathe zu gehen, ob er bleiben oder mitauswandern solle. Aber nach der gemüthlosen Art seines Geschlechts entschloß er sich, uneingedenk, wie wohl ihm auf Lorens Schooß gewesen war, lieber das Haus zu hüten, und sah dem langsam fortziehenden Wagen mit größtem Gleichmuthe nach.

Erst als sie aus dem Thore waren und der Wagen nun auf der ebenen Landstraße rasch dahinrollte, wandte sich Lorenz, der vorn neben dem kutschirenden Onkel saß, nach der Schläferin um und athmete wie von einem Alpdruck befreit auf, als er zu bemerken glaubte, daß schon jetzt ihre Wangen sich zu röthen anfingen und der ängstliche Zug zwischen den Brauen verschwand. Und wie lieblich lag sie da, ganz umschimmert von dem goldenen [818] Helldunkel, das unter dem warmbesonnten Linnendach webte! Er mußte sich Gewalt anthun, um die Augen wieder abzuwenden, und wenn ihnen Wanderer oder Landleute begegneten und neugierig in den verdeckten Wagen hineinschielten, hätte er ihnen am liebsten zugerufen: „Es ist schon der Mühe werth, zu sehen, was wir da mit uns führen: einen Schatz, ein Goldherz, ein Kleinod von einem Mädchen, dessen ganzer Werth erst im Feuer der schwersten Prüfung an den Tag gekommen ist!“ –

Mit dem Onkel wechselte er nur selten ein Wort. Der alte Mann, ganz in seinen frischen Kummer vertieft, sah stumm vor sich nieder und schien von der Stimmung, in der sein junger Gefährte das schlafende Mädchen betrachtete, keine Ahnung zu haben.

So verging Stunde um Stunde, ohne daß die Lore ein einziges Mal die Augen aufgeschlagen oder auch nur aus dem Traume gesprochen hätte. Es wurde ihrem Freunde fast ängstlich, und da sie Mittags ein paar Stunden rasteten, weil die Pferde Ruhe brauchten und sie selbst hungrig geworden waren, trat er an den Wagen heran, lüftete das Dach ein wenig und rief leise ihren Namen. Ob sie nicht etwas essen wolle, fragte er, und fuhr ihr sogar mit der Hand über die Stirn. Sie schlief bei alledem ruhig fort, und ihre frische Farbe und die gleichmäßigen Athemzüge zeugten dafür, daß ihr nichts Anderes noth that, als eben Schlaf. Der Onkel wußte allerlei Fälle zu erzählen, wo Menschen nach schweren Erschütterungen durch Krankheit oder übermäßige Anstrengung drei Tage und Nächte und noch darüber in Einem Strich geschlafen hätten und hernach frisch und gesund aufgewacht seien. So mußte Lorenz sich in Geduld fassen, was ihm schwerer ward, als er sich eingestand. Denn was ihn aufregte, war durchaus nicht die Sorge, sie möchte überhaupt nicht wieder aufwachen, sondern die Sehnsucht, zu erfahren, ob sie am hellen Tage noch wissen würde, was sie ihm in der Nacht gebeichtet hatte.

Der Tag neigte sich schon und unter dem Wagendach war tiefe Dämmerung, als sie das Dorf erreichten, an dessen Pfarrer Sophie, des Lorenz Schwester, verheirathet war. Eben da der Wagen in den Hof rollte, trat die Pfarrerin aus dem Hause und erstaunte nicht wenig, ihren Bruder so völlig unverhofft wiederzusehen, noch mehr aber, als er schon vom Sitz herab ihr ein Zeichen machte, jeden lauten Ausruf schwesterlicher Freude zu unterdrücken, da Jemand im Wagen schlafend liege. Die Mutter kam indeß dazu, empfing den langentbehrten Sohn mit tausend Freuden und lauschte dann gleich der Tochter mit tiefstem Antheil der halblauten Erzählung, wie Alles gekommen und wen er da im Wagen mitgebracht habe. Nachdem aber der erste Schrecken über alles Traurige, was Lorenz berichtete, überwunden war, behielt bei der Schwester die muntere, lebensfrische Natur die Oberhand. Sie öffnete selbst das Leintuch über dem Wagen und konnte die schlafende Lore, die so rosig wie ein Kind in ihren Kissen lag, nicht genug betrachten. „Wer hätte gedacht,“ sagte sie leise zu dem Bruder, „daß die wilde Hummel einmal so zahm und der unscheinbare magere Zaunstecken ein so allerliebster Rosenstock werden würde! Liegt sie nicht da wie zum Anbeißen und verzieht nur manchmal ordentlich vornehm das Mündchen, wenn eine Fliege sich darauf setzen will? Und jetzt seufzt sie tief aus der Brust, als träume sie von dem Schrecklichen, das sie überstanden hat! So Gott will, ist es nun vorbei, armes Herz, und Du sollst hier gute Tage haben, Wir wollen sie unten in die große Bügelstube legen, meinst Du nicht auch, Mutter? Da sieht sie, wenn sie aufwacht, gleich in den Garten und meint am Ende, sie sei schon im Paradiese. Und ich schlafe die Nacht bei ihr, daß ich gleich bei der Hand bin, wenn sie etwa im Finstern die Augen aufmacht und sich nicht zurechtfindet. Der Lorenz aber soll gelobt werden, daß er so vernünftig gewesen ist, das Kind gleich aufzupacken und zu uns zu bringen. Und was unsere Männer für Augen machen werden, wenn sie vom Spaziergang heimkommen und finden hier das schlafende Dornröschen! Ich stehe nicht dafür, Mutter, daß der Vater sich nicht auf seine alten Tage noch einmal verliebt. Er hatte schon immer über die Straße hinüber ein Auge aus das liebe Gesicht, und hier auf dem Lande, wo er nichts zu basteln hat, kann er leicht aus Müßiggang auf böse Gedanken kommen. Dann muß der Lorenz sehen, wie er die Unheilstiftern wieder aus dem Hause bringt.“

Sie warf dabei ihrem Bruder, der sich erröthend abwandte, einen schalkhaften Blick zu und machte sich eilig daran, das Gartenzimmer einzurichten, Betten aufzuschlagen und den Kindern Schweigen zu gebieten, die lärmend zwischen den Gemüsebeeten spielten. Erst als das Alles beschickt war, rief sie Lorenz und den Oheim zu Hülfe, und eben so behutsam, wie sie das Mädchen hinaufgebettet hatten, wurde sie jetzt vom Wagen gehoben und in’s Haus getragen. Als sie in dem neuen Bette lag, schien es einen Augenblick, als wolle sie wach werden. Sie verlangte zu trinken, öffnete aber, während die Pfarrerin ihr Wasser reichte, die Augen nicht, und gleich darauf sank das Haupt wieder in die Kissen und sie schlief von Neuem.

So fanden sie die heimkehrenden Männer und die Weissagung der Pfarrerin schien einzutreffen. Wenigstens war der alte Meister erst, nachdem er eine halbe Stunde lang so scharf, als ob er es zeichnen wollte, das schlafende Kind betrachtet hatte, aus dem Zimmer wieder herauszubringen, und auch der Pfarrer, ein schlichter, fast schüchterner Mann von wenig Worten, wurde ganz beredt, als Abends am runden Tisch, an dem auch der Onkel Platz gefunden, die Rede natürlich gleich wieder auf die Lore kam. „Mutter,“ sagte Sophie mit drolligem Eifer, „die Hexe muß wieder fort, je eher je lieber. Wir waren bisher doch auch nicht so übel, wenigstens betheuerten es in schwachen Stunden unsere eigenen Männer. Jetzt ist gar nicht mehr die Rede von uns. Ich hoffe nur, sie hat es nicht allein auf die Ehemänner abgesehen, sondern behext auch nächstens einmal einen Junggesellen, daß der sie uns dann vom Halse schafft.“

Der, auf den dieser Pfeil gezielt war, ließ nicht merken, daß er sich getroffen fühlte. Er war heiterer als gewöhnlich, hatte viel zu erzählen, Schulgeschichten und Streiche aus seiner Knabenzeit, bei denen Lore stets eine Rolle spielte, und ging endlich in so fröhlicher Müdigkeit zu Bette, wie ein Mensch, der mit schwerem Kopf und leichtem Herzen von einem lustigen Gelage kommt. Als er am andern Tag, später als gewöhnlich, erwachte, war sein erster Gedanke, wie die Nacht wohl vergangen sein möchte und ob Lore endlich die Augen aufgeschlagen hätte. Er fand die Eltern, den Schwager und den Onkel unten in dem Familienzimmer versammelt, noch ungewiß, wie es stehe. Man hatte am Morgen durch die Thür Sophie mit ihrer Schlafcameradin sprechen hören und erwartete nun jeden Augenblick Beide zum Frühstück eintreten zu sehen. Statt dessen aber kam, nachdem noch eine ziemliche Zeit verstrichen war, die Pfarrerin allein, nicht mit so heiterem Gesicht, wie sie gestern gute Nacht gewünscht hatte, sondern betroffen und nachdenklich. Gegen Morgen, erzählte sie, sei Lore, da die Hähne draußen überlaut krähten, mit einem tiefen Seufzer’aufgewacht und habe sich im Bette aufgerichtet. Sie selbst sei gleich bei der Hand gewesen, habe ihr guten Morgen gewünscht, und da sie erstaunt gefragt, wie sie hieher komme und warum sie nicht mehr bei der Tante sei, nach und nach unter tausend Trostworten und Liebkosungen ihr den Zusammenhang aufzuklären versucht. Ob sie ihn ganz begriffen, wisse sie nicht; denn ohne irgend darauf einzugehen und über das Geschehene ein Wort zu verlieren, sei das arme Kind plötzlich in die heftigsten Thränen ausgebrochen und habe, in ihr Kissen gedrückt, ein paar Stunden unaufhörlich fortgeweint. Das sei nun gewiß gut und heilsam gewesen und sie habe sich auch wohl gehütet, diese erleichternden Thränen durch Zureden und Beschwichtigen hemmen zu wollen. Auch seien sie endlich von selbst versiecht. Aber statt daß nun, wie sie gehofft, das Gefühl der Rettung und der Wohlthat, in reinerer Luft bei befreundeten Menschen geborgen zu sein, sie milde und zugänglich gemacht hätte, habe sich eine Starrheit und Stummheit ihrer bemächtigt, an der die liebevollsten Bemühungen erfolglos abglitten. Sie sei zwar aufgestanden und habe erklärt, daß sie sich ganz gesund fühle, bis auf eine Schwere in den Gliedern. Auch habe sie Lust bezeigt, etwas zu genießen. Aber zum Frühstück herüberzukommen sei sie nicht zu bewegen gewesen und habe auch auf’s Aengstlichste gebeten, daß Niemand, nicht einmal die Mutter, sie aufsuchen möchte, da sie sich unfähig fühle, mit irgend einem Menschen ein Wort zu sprechen.

Der alte Meister, der immer gleich damit bei der Hand war, auf Weiberlaunen zu schelten, und sich überdies sehr viel Macht über kranke Gemüther zutraute, wollte sofort zu dem wunderlichen Mädchen hinüber und vermaß sich, sie in Kurzem zur Raison zu bringen. Dem widersetzte sich die Tochter auf’s Bestimmteste. „Wenn ich,“ sagte sie, „ihr jetziges Betragen mit dem früheren Zustand zusammenhalte, in dem Lorenz sie gefunden, so kommt mir fast die Sorge, daß die Verstörung dieser entsetzlichen Tage [819] einen schwereren Eindruck in ihrem Gemüth hinterlassen habe, als wir dachten, und daß es viel Pflege und Mühe bedürfen wird, bis der finstere Geist wieder von ihr weicht. Sie redet kein einziges verworrenes Wort, aber ihre Blicke hängen beständig am Boden, als fürchte sie, wenn sie aufschaute, den Tod leibhaftig vor sich stehen zu sehen oder irgend ein Gespenst, das sie sich nachlocke. Ich habe sie nicht bewegen können, einmal durch’s Fenster auf die Blumenbeete hinaus zu sehen, und von ihrem Stuhl neben dem Bett ist sie nicht wegzubringen. Als ich ihr sagte, daß der Onkel schon heut am Morgen wieder fort müsse und ob sie ihm nicht wenigstens guten Tag sagen und für seine Hülfe danken wolle, hat sie nur den Kopf geschüttelt und gesagt: ,Ich kann nicht! Gewiß, Sophie, ich kann nicht. Sage Du ihm, daß ich Ihm danken lasse, aber ich kann keinen Menschen sehen.’ Und so habe ich sie endlich allein gelassen, um ihr Frühstück zu holen. Vielleicht wird ihre Stimmung ruhiger werden, wenn ihre leiblichen Kräfte erst wieder sich gehoben haben.“

Lorenz hatte das Alles, ohne ein Wort zu sagen, in tiefer Betrübniß mitangehört und sich das Seine dabei gedacht. Es war ihm ganz klar, daß vor Allem die Scheu, nach den Vorgängen der letzten Nacht ihm wieder in’s Gesicht zu sehn, das arme Kind so menschenfeindlich machte. Was sie ihm gebeichtet hatte, in der Meinung, es sei wie ein Testament und sie nehme damit Abschied von ihm für dieses Leben, müßte ihr jetzt, da sie weiter leben sollte, als eine Entweihung ihrer heiligsten Geheimnisse, als ein unheilbarer Bruch aller jungfräulichen Sitte erscheinen, zumal da sie nicht wußte noch ahnte, wie es jetzt um sein Herz stand, vielmehr der Meinung war, es habe sich schon lange ganz von der Jugendgespielin abgewendet. Darum schien ihm nichts nöthiger, als ihr diesen Wahn zu benehmen und sie zu überzeugen, daß ihre rührende Hingebung, weit entfernt ihm unweiblich zu erscheinen, ihn vielmehr wie ein unverhofftes Geschenk überschwänglich beglückt habe. Als daher der Tag ohne neuen Zwischenfall vergangen war und die Schwester berichtet hatte, die Stille und liebevolle Pflege fange sichtbar an, wohlthätig auf ihre Stimmung einzuwirken, faßte er einen raschen Entschluß und trat, ohne Jemand davon zu sagen, in Lore’s Zimmer. Sie saß am Fenster, beschäftigt, aus dem schwarzen Stoff, den die Pfarrerin ihr hatte kaufen müssen, ein Trauerkleid für sich zu nähen.

Als sie die Thüre gehen hörte, wandte sie den Kopf ein wenig, in der Meinung, die Sophie eintreten zu sehen. Kaum aber erkannte sie den noch auf der Schwelle Zaudernden, als sie die Arbeit von ihrem Schooß gleiten ließ und mit einer Geberde des tödlichsten Entsetzens in die hinterste Ecke des Zimmers stürzte. „Bitte! bitte!“ war Alles, was sie, das Gesicht in die Hand gedrückt, mit der andern Hand ihm flehentlich abwinkend, hervorbringen konnte.

„Lore,“ rief er, „soll denn das Leben wieder scheiden, was der Tod zusammengefügt hat? Bin ich Dir plötzlich so sehr verhaßt geworden, daß Du mich nicht einmal ansehn magst? Was habe ich nur gethan, daß nun Alles vergessen sein soll, was uns zu einander geführt hat? Sieh mich nur ein einziges Mal an, damit Du erkennst, daß ich der Alte geblieben bin, nein, nicht mehr der Alte, der Dich nicht begriff und Deinen ganzen Werth nicht verstand, sondern ein unglücklicher Mensch, wenn Du Dich von mir abwendest und Alles wieder verleugnest, was mir in jenen dunklen Stunden einen ganzen Himmel aufgeschlossen hat.“

Er schwieg und hoffte, daß sie ruhiger werden und sich endlich zu ihm wenden würde. Aber als hätte sie keins seiner Worte verstanden, wiederholte sie nur immer ihre beschwörende Geberde und ihr ängstliches „bitte, bitte!“ und so verließ er sie zuletzt in rathloser Betrübniß, aus Furcht, ihren Zustand nur zu verschlimmern, indem er ihn zu heilen versuchte.

Auch jetzt konnte er sich noch nicht entschließen, irgend Jemand von den Seinigen ins Vertrauen zu ziehn. Er glaubte es Lore schuldig zu sein, das, was sie jetzt sogar ihm bekannt zu haben bereute, keinen Dritten erfahren zu lassen. Als aber der Rest der Woche so hinging, ohne daß man einen Schritt weiter kam, und Lore, so sehr sie im Uebrigen aufzuleben schien, an ihrer Menschenscheu eigensinnig festhielt, fühlte er, daß zu viel auf dem Spiele stand, um nicht etwas Entscheidendes zu wagen. Am Samstag Abend also, als die Kinder zu Bett geschickt waren und die Familie in ziemlich gedrückter Stimmung beisammen saß, rathschlagend, ob man einen Arzt zu Hülfe rufen oder noch eine Woche sich in Geduld fassen solle, erklärte Lorenz plötzlich, er habe sich entschlossen, morgen abzureisen, da er gewiß wisse, nur seine Gegenwart sei die Ursache, daß die Lore sich so beharrlich von allen Menschen abschließe. Er erzählte nun mit den kleinsten Umständen Alles, was in jener Nacht geschehen und gesprochen worden war, und wie er bestimmt glaube, sie stelle sich ihren nächtlichen Besuch als etwas weit Schlimmeres vor, das sie selbst sich nie verzeihen könne und das auch ihm einen tiefen Schatten über ihr Bild werfen müsse. Darum wolle er für’s Erste ganz aus dem Wege gehn und es der Zeit und der klugen Freundschaft der Frauen überlassen, nach und nach ihr eine mildere Ansicht der Sache beizubringen.

Als er geendet hatte und die Anderen, über diese unerwartete Aufklärung betroffen, stumm blieben, wandte sich die Schwester zu ihm und fragte halblaut, ob er denn wirklich seiner Neigung für die Lore gewiß oder nur durch Mitleid und eine Art ritterlichen Pflichtgefühls für sie erwärmt sei?

„Nein, wahrhaftig,“ erwiderte Loren; mit lauter Stimme und sah dabei den Vater an, „ich fühle, daß ich nur sie und keine Andere je zum Weibe haben kann, und Gott weiß, was ich darum gäbe, es ihr je eher je lieber sagen und die Eltern um ihren Segen bitten zu können.“

„Den hast Du,“ sagte der alte Meister und stand in großer Bewegung auf, den Sohn zu umarmen, und als er ihn los ließ, stand die Mutter neben ihm, ihren Liebling gleichfalls an’s Herz zu drücken, worauf er, keines Wortes mächtig, in die Arme der Schwester und des Schwagers sank.

Als aber die erste Rührung, die Alle stumm machte, sich wieder gemäßigt hatte und Lorenz, wie man denken kann, von der Schwester gescholten worden war, daß er diese wichtigen Enthüllungen ihnen so lange vorenthalten hatte, wurde eifrig bis tief in die Nacht hinein berathen, was nun geschehen sollte, um auf möglichst zarte und sichere Art den peinlichen Knoten zu lösen. Zuletzt vereinigten sich Alle dahin, einem Vorschlage der Pfarrerin beizustimmen, gegen den nur ihr Mann einige schwache Bedenken hatte, da er selbst eine Rolle dabei spielen sollte. Aber der munteren Beredsamkeit seines klugen Weibes konnte er auf die Länge nicht widerstehen, und so ergab er sich und man trennte sich mit fröhlichen Hoffnungen für den anderen Morgen, wo der Plan zur Ausführung kommen sollte.

Dieser andere Morgen war, wie gesagt, ein Sonntag und hierauf hatte die Pfarrerin ihren Plan gebaut. Als sie nämlich zugleich mit der Lore, neben der sie noch immer schlief, aufgestanden war, fragte sie, während das Mädchen zum ersten Mal ihr schwarzes Kleid anzog, ob sie heute nicht mit ihnen in die Kirche gehen wolle, es werde ihr gewiß wohlthun und ihre Stimmung beruhigen. Das Mädchen, das überhaupt die Art hatte, auf jede Frage erst nach einem kleinen Besinnen zu antworten, schüttelte schwermüthig den Kopf und erwiderte dann: „sie habe selbst das lebhafteste Verlangen, die Predigt zu hören, aber es sei über ihre Kräfte, heute schon unter Menschen zu gehen, und man möge noch ein wenig Geduld mit ihr haben.“

„Das wollen wir gewiß,“ versetzte die Pfarrerin. „Aber um meinen Bruder thut mir’s leid, der wieder in seine Schule zurück muß, heute schon, und nun mit dem Gedanken von hier weggeht, Du habest, obwohl er Dich so herzlich lieb hat, einen Haß auf ihn, und sein Anblick sei Dir so widerwärtig, daß Du seinetwegen auch uns Anderen auswichest.“

Während sie das sagte, stand das arme Kind abgekehrt, um zu verbergen, daß sie über und über von tiefer Schamröthe übergossen war. „Wie soll ich ihn hassen?“ brachte sie endlich stockend hervor. „Ich bin ihm so vielen Dank schuldig, und gewiß, Sophie, ich habe meine Gesinnung gegen ihn nicht geändert und wollte, ich könnt’ es ihm beweisen, und wenn es mich das Leben kostete. Aber verlange nicht, daß ich ihn sehen soll, und frage auch nicht, warum; er soll gehen und mich vergessen. Ich bin nicht werth, daß er nach mir fragt.“

„Mag’s darum sein,“ sagte die Pfarrerin mit verstellter Gleichgültigkeit, während sie heimlich über die Bestätigung von Lorenz’ Vermuthung frohlockte. „Du bist eben ein krankes Kind, dem man seine Launen zu Gute halten muß, und mit der Zeit machen wir Dich schon wieder gesund. Aber wenn Dich so nach der Predigt verlangt, die kannst Du hören, ohne in die Kirche zu [820] gehen. Siehst Du da am Ende des Gartens das Sommerhäuschen, zu dem die drei Stufen hinaufführen? Von da aus sieht man über, die Gartenmauer auf den Kirchhof, und der Chor der Kirche ist nur zehn Schritte weit entfernt. Wenn im Sommer, wie jetzt, die Kirchenfenster offen stehen, hört man den Prediger. Wort für Wort bis in unsern Garten herüber. Da kannst Du Dich hinsetzen und ganz im Verborgenen den Feiertag heiligen, und wenn es aus ist, vor uns Anderen wieder hier in Deinem Schmollwinkel sitzen.“

Damit nahm sie den gesenkten Kopf des Mädchens zwischen ihre Hände, küßte sie herzlich auf Stirn und Mund und ließ sie dann allein.

Bald darauf fingen die Glocken an zu läuten und nun sah die einsam Trauernde, hinter den Vorhängen des offenen Fensters verborgen, alle Hausgenossen, die Kinder voran, durch den Garten wandeln, nach dem Pförtchen, das auf den Kirchhof führte. Lorenz ging neben, seiner Mutter; er hatte das Gesicht still zu Boden gekehrt, und Lore glaubte einen traurigen Zug um die Lippen zu bemerken, und daß er blasser als sonst war. Es wurde ihr so weh dabei, daß ihr die Augen übergingen. Dann aber, als nun außer ihr keine lebende Seele im Hause war, faßte sie sich doch ein Herz und ging mit ungewissen Schritten, wie eine eben Genesene, über den Hausflur in den Garten. Es war ihr so selig beklommen zu Muth, als kehrte sie aus dem Grabe wieder in die Himmlischen Lüfte zurück die sie zu athmen fast verlernt. Die Lilien und Centifolien betäubten sie fast mit ihrem Duft, die Morgensonne übergoß sie so gewaltig mit Wärme und Glanz, daß sie nach jedem zehnten Schritt stehen bleiben und die Augen schließen mußte. Sie athmete erst wieder freier, als sie das Sommerhäuschen erreicht hatte, in dessen kühlem, von Jalousien rings umschlossenem Raum eine lauschige grüne Dämmerung herrschte. Da setzte sie sich mit zitternden Knieen auf eine Bank, faltete die Hände im Schooß und horchte andächtig hinaus, wie nun die Glocken verhallten, die Orgel anhob und bald darauf der Gesang der Gemeine einfiel. Wie einem Wanderer, der viele Tage durch Frost und Hitze auf wilden Wegen sich durchgeschlagen hat, ein warmes Bad allen Staub und alle Mühsal von den Gliedern spült, so umbrauste sie der feierliche Strom der Musik und löste den Druck, der auf ihrer Seele lag. Dann Hörte sie die tiefe ruhige Stimme des Pfarrers und verstand wirklich hier in der Ferne jedes seiner Worte. Er hatte den Text gewählt, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen. Dieses tiefsinnige Wort, dessen Gepräge durch gedankenlosen Gebrauch wie manch anderer goldene Spruch abgegriffen und verflacht worden ist, suchte er erst, so weit es seiner ländlichen Gemeinde verständlich war, nach seinem ganzen Umfang im Allgemeinen auszulegen, und ging dann auf die Erlebnisse der nächsten Gegenwart über, die Wahrheit dieser Verheißung an der furchtbaren Heimsuchung durch die mörderische Krankheit zu bewähren. So viele, die sorglos hingelebt und ihres Schöpfers schier vergessen hätten, seien durch die Trauer, die über sie und ihre Nächsten gekommen, nach innen geführt und an das Heilige und Ewige erinnert worden. Alle christlichen Tugenden, die in guten Tagen verachtet und kaum gedankt zu werden, pflegten, habe die allgemeine Noth zu Hülfe und That aufgeboten; der Mensch sei dem Menschen brüderlicher nahe getreten, als sonst, und unter den schweren Prüfungen des himmlischen Vaters habe die bange Seele wieder lernen müssen, daß wir alle Kinder Gottes seien, und daß unser Vater uns liebe, weil er uns züchtige. Wie bei einem Erdbeben, das friedliche Hütten und Häuser zerstöre, oft eine warme Heilquelle oder verborgene Erzadern zu Tage kämen, deren Entdeckung die heimgesuchte Gegend zehnfach für ihren Verlust entschädige, so werde der Segen, den hier der Tod gestiftet, hoffentlich auf Geschlechter hinaus nachwirken, und die Saat der Trübsal Früchte der Freude bringen.

Das und Aehnliches sagte der wackere Diener Gottes und wohl Wenige unter seinen Zuhörern wurden tiefer von seinen eindringlichen Worten bewegt, als das verwaiste Mädchen, das ihnen über den Friedhof hinüber lauschte. Als er dann gebetet hatte, hub er noch einmal an: er habe der andächtigen Gemeinde noch mitzutheilen, daß der Segen des Herrn in dieser Zeit der Prüfung sich an zwei getreuen Herzen erwiesen habe, die angesichts des Todes den Bund für’s Leben geschlossen und somit ein neues Zeugniß dafür abgelegt hätten, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen. Auch in ihnen habe das Beben der Erde, auf der sie bisher, ohne sich zu erkennen, neben einander gewandelt, die warme Quelle an den Tag gebracht und ihre Kinder und Kindeskinder würden dereinst die schwere Schickung zu preisen haben, aus der, wenn Gott Segen verleihe, eine fröhliche Zukunft entsprießen würde.

Bis hierhin hatte die Lauscherin im Sommerhaus mit Herzklopfen zwar, weil sie an ihre eigenen Liebe dachte, aber noch ahnungslos zugehört. Als aber nun die Gemeinde aufgefordert wurde, das verlobte Paar mit dem Prediger gemeinsam der Gnade des Herrn zu empfehlen und nach dem Namen, der ihr der theuerste war, ihr eigner Name von der Kanzel ertönte, war der Eindruck so übermächtig, daß ihr einen Augenblick die Besinnung schwand und ihr Kopf gegen den Fensterrahmen sank, hinter dem sie gesessen hatte. Sie hörte nichts von dem Segen, den der Prediger der Gemeinde ertheilte, nichts von der Orgel, die mit Brausen einfiel und den Schlußgesang begleitete, und erst, als sich Schritte den Stufen des Sommerhäuschens näherten, wachten ihre Sinne wieder auf. „Wo steckt das eigensinnige Ding?“ hörte sie den Meister rufen. „Was? Nicht mit in die Kirche gehen, wenn man aufgeboten wird? Und nun mit dem eigenen Schwiegervater Versteckens spielen? Schöne Sitten das! Aber nun soll sie auch zur Strafe erst dem alten Graubart einen Kuß geben, ehe wir sie dem Bräutigam lassen.“

Mit diesen Worten öffnete der Alte die Thür und kam gerade recht, das Mädchen, das aufgestanden war, ihm entgegenzugehen, und von der Erschütterung in eine zweite Ohnmacht fiel, in seinen Armen aufzufangen. – Als sie die Augen wieder aufschlug fand sie sich, auf der Bank sitzend, allein in der sonnigen Dämmerung mit Dem, dem sie ihr ganzes Lebenlang nie wieder hatte in die Augen sehen wollen, und von dem nun erst der Tod, der sie vereinigt, sie wieder scheiden sollte.




Die liebe lustige Zeit in Stützerbach.


„Anmuthig Thal! Du immergrüner Hain!
Mein Herz begrüßt euch wieder auf das Beste;
Entfaltet mir die schwerbehangnen Aeste,
Nehmt freundlich mich in eure Schatten ein,
Erquickt von euren Höh’n, am Tag der Lieb und Lust,
Mit frischer Luft und Balsam meine Brust!“

Als der Minnegesang von der Wartburg in das Land erklang, zog die Mythe mit ihm über Berg und Thal und legte den Schleier poetischer Weihe um Wald, Fels und Quelle, die lebendig wurden im sagen- und liederreichen Volksmunde. Selbst die alten Zeugen einer bedeutenden Geschichte, die Burgen und Warten, die Schlösser und Klöster Thüringens sind davon umwoben. Aber auch einfache Häuser und niedrige Hütten stehen im grünen Lande umher, die in anderer Weise verherrlicht erscheinen, auf den Wanderer eine besondere Anziehungskraft ausüben, die als Stätten, welche große und gute Menschen betreten haben, geweiht sind für alle Zeiten.

In der Nähe von Ilmenau, auf der Höhe des Berges „Gickelhahn“ mit der weiten Umschau, steht ein Jagdschlößchen in hölzernem Gewande. Das kleine Haus war ehemals ein Lieblingsaufenthalt Karl August’s von Weimar und erweckt beim Anblick immer wieder das Andenken an eine große Zeit und an ein geniales Treiben in dem Walde, der in der Nähe auch die Bretterhütte birgt, in welcher Goethe wochenlang seinen Aufenthalt nahm und das seelenvolle Lied „Ueber allen Wipfeln ist Ruh“ an die Wand beim Fenster schrieb. Als er im Greisenalter an seinem Geburtstage es wieder auffand, weinte er, und auch der Wanderer wird die eigenhändigen Züge des Dichters, mitten im hohen stillen Walde, nicht anders als in der gehobensten Stimmung betrachten können.

[821]

Rasthaus von Karl August und Goethe in Stützerbach.
Nach der Natur aufgenommen von Otto Günther.

[822] Ein anderes geheimnißvolles Gedicht ist von derselben Hand in der von hier aus bald erreichten Felsgrotte des Hermannsteins eingegraben. Nächst dem Eingange zur Grotte findet der aufmerksame Sucher rechter Hand, in Mundes Höhe, ein in die Felswand gehauenes S, das der Frau von Stein gewidmet ist, der Frau seiner tiefsten, innigsten Verehrung, „der lieben Begleiterin aller seiner Gedanken, der unversiechlichen Quelle seines Glücks“, welcher Goethe viele seiner schönsten Lieder gesungen hat. Sie begrüßte er auch von hier aus mit dem „Kuß der Gedanken“ und schrieb an die Entfernte, daß er das „S“ wieder besucht und geküßt habe.

Tage der Liebe und Lust waren es, die Dichter und Fürst hier zusammen verlebten. Aus der Residenz, aus der oft drückenden Hofatmosphäre sehnte sich der jugendliche Fürst hinaus in die frische freie Luft. Er wollte wieder einmal die Sonne in den Bergen auf- und untergehen sehen, am liebsten mit Goethe; und wenn die Jagdlust über ihn kam, so war nächst dem Ettersberg dann Ilmenau mit seinen schönen Wäldern das weitere Ziel. Von dem freundlichen Städtchen aus durch das liebliche Manebacher Thal über das Dorf gleichen Namens führt der Weg zu dem in einem Nebenthal sich reizend hinstreckenden Dorfe Stützerbach. Auch der Berg- und Waldespfad dahin ist zu empfehlen; er zieht sich durch den romantischen Schortegrund an dem rauschenden Gebirgswasser, an der engen Schlucht und dem Wasserfall des Finsterlochs vorüber. Der gellende Schall der Holzschläger-Axt unterbricht zuweilen die Ruhe des Waldes, und hie und da schüret ein rußiger Köhler den Meiler, dessen Rauch sich in die Fichten erhebt. Die Arbeiter des Forstes, der Glashütte, der Porcellanfabrik bilden den größeren Bestand der Einwohner Stützerbachs. Der eine Theil des Dorfes ist preußisch, der andere weimarisch, und das tanzlustige Völkchen zieht den Vortheil aus der getheilten Herrschaft, daß es an weimarischen Tanztagen hüben, an preußischen drüben sich vergnügt und also häufiger Gelegenheit zum Fröhlichsein hat, als andere Dorfbewohner.

Zwei Wanderer waren wir ausgezogen zum Genuß der anmuthigen Gegend, besonders aber auch hier den Spuren jener lustigen weimarischen Zeit nachzugehen. Vom Gickelhahn durch hohe Fichten- und Buchenwaldungen führte uns der Weg nach Stützerbach hinab. Eine Stunde des schönen Sommerabends widmeten wir der unansehnlichen alten Schenke, denn der Tanzboden war für uns diesmal der classische Boden, dem unsere Forschung galt. Als einer der kleinsten und geringsten eines Thüringer Walddorfs, durchaus noch im Urzustande, erschien er uns mit seiner steilen, schmalen Stiege, auf welcher gewiß nur mittels des Ellenbogens Raum erobert wurde, wenn die Geige erklang von dem Plätzchen aus, das erhöht und mit einem Holzgeländer umgeben war und zum Orchester diente. Einige Bänke standen den Wänden entlang, mehrere Thüren führten zu anstoßenden Stübchen; die unebenen Dielen aber waren eben erfüllt von der frisch eingeführten duftenden Heuernte. Wie einfach und dürftig war der Apparat, wie klein der Raum, wie niedrig die Decke für die beiden Männergrößen, die dem Luxus des Hoflebens entflohen waren und hier unter Naturmenschen Genuß fanden!

In Sützerbach gab es besonders lustige Nächte; Karl August und Goethe kamen oft von Ilmenau dahin. Schnelle Rosse unter den Schenkeln, Mond und Sterne über den Mützen, jagten sie dem Manebacher Thale entlang, dem engeren Thalgrunde zu, wo, das Dörfchen im Schlummer zu liegen schien. Doch aus der Schenke blinkte das Licht, da tönte Trompetenklang und munter ging der Fiedelbogen. Die schönsten Mädchen wurden im Tanze geschwungen, da gab’s zu „miseln“, zu liebeln und zu scherzen mit den gluthvollen wilden Rosen des Dorfes, eine fröhliche Nacht hindurch, bis die Musik verstummte und der anbrechende Tag an den Heimritt mahnte.

Unter den anderen Häusern im oberen Dorfe interessirt uns zunächst das eine, welches wir hier als reizende Idylle in getreuer an Ort und Stelle aufgenommener Abbildung geben. Man sieht ihm seine hundert Jahre an, sie blicken aus den bleigefaßten Fensterscheiben auf die gewiß seit geraumer Zeit unverändert gebliebenen Umgebungen, auf das anspruchslose Gemüse- und Blumengärtchen, auf die hölzernen Nachbarhütten herab. Was da wächst und wuchert, es kennt nicht die ordnende Hand des Gärtners, es gedeiht wie zufällig, es ist verwildert und natürlich, wie es der Maler will. Die alten Linden werfen Schatten und Blüthendüft in die Stuben, die bergansteigende Waldeswiese ersetzt den schönsten Gartenflor und der nahe Wald grünt in üppigster Frische.

Die alte Frau Gundelach war früher die Besitzerin des Hauses und erzählte gern, daß unter dem stattlichen Schieferdache innerhalb der holzbekleideten Wände der gnädige Großherzog und Goethe öfter zur Jagdzeit Stand- und Ruhequartier genommen hatten. Sie zeigte noch die Stuben der hohen Gäste, in der einen, welche Goethe bewohnt hatte, das weißgestrichene große Bett, den kleinen goldverzierten geschliffenen Spiegel zwischen den zwei Fenstern, das Tischchen darunter, ein vielkissiges Sopha, einige Bilder und einfache Stühle, wie den landesüblichen, weit in die Stube vorspringenden gewaltigen Kachelofen. Nicht anspruchsvoller waren das dreifenstrige Zimmer und die Kammer, welche der Fürst bewohnt hatte, ausgestattet; es sei denn, daß eine alte Tapete, ein großes Schreibpult und ein altertümliches Wetterglas als besonderer Ausputz zu betrachten waren.

In neuerer Zeit sind vom Weimar’schen Hofe dem merkwürdigen Hause eine gute Goethe-Büste und das sauber gemalte Portrait Karl August’s, gestiftet worden, die allerdings dazu beitragen, die Phantasie der Besucher der geweihten Stätte zu beleben. Sie tritt vor uns, die gedrungene Gestalt des besten Fürsten, des leutseligen, des ganzen Mannes mit dem großen Geiste. In der grünen Jagdpekesche, die mächtigen Hunde an der Seite, die Cigarre im Munde, beging er hier die ansehnlichen Forsten, welche mit Fleiß cultivirt wurden; er besichtigte die Anstalten und Rüstzeuge der Wildhegung; Naturliebe und Kühnheit hatten ihn zu einem leidenschaftlichen Jagdfreunde gemacht. Dem Drange der Körperkräfte gab er damals zuweilen auch in Hetz- und Parforce-Jagden Raum. Der Oberforstmeister von Wedel, von Jugend an sein Jagdgenosse, war auf solchen Fahrten sein steter Begleiter, aber auch Goethe und andere Freunde vom Musenhofe nahmen Theil an der Lust. Am grauenden Morgen hielten die Jäger zu Roß, die Meute sprang ungeduldig am Koppel, und die Bauern zogen als Treiber in den Wald hinaus. Nicht immer ging es ohne Sturz, Armbruch und Verwundung für den Herzog ab, und als er einmal beim Ausweiden eines erlegten Hirsches mit Hand angelegt und sich das Ohr mit Blut nur befleckt hatte, soll ein Ettersburger Bäuerlein sorglich gesagt haben: „Durchlaucht, Er hat Schweiß am Löffel.“

Einfachheit und Ungebundenheit liebend, war er leutselig im Umgange mit dem Geringsten, wie besonders mit seinen, treuen Dienern. Der Kammerdiener Hecker, der des Herzogs abgetragene Kleider empfing, durfte sich schon zu sagen erlauben, daß königliche Hoheit die verschossene fadenscheinige Pekesche wahrlich nicht länger tragen könne. „Was bekommst Du dafür, wenn Du sie vermöbelst?“ frug der Herr. „Höchstens zwei Thaler!“ war die Antwort, und Karl August zog die Börse mit den Worten: „Da hast Du’ Deine zwei Thaler, laß mir meine Pekesche.“

Zur Weihe dieses Hauses denken wir uns ferner darin wandelnd, denkend, dichtend Goethe, die große Seele in der Gestalt eines Apoll, den lebensvollen Dichter, dessen Erscheinung – wie alle Zeitgenossen berichten – eine unwiderstehlich glanz- und siegvolle war, der vor allem hier in die intimsten Beziehungen zu dem jungen Fürsten trat, dem das Leben erst recht aufging in dieser Freundschaft, welche für das Land und die Welt so fruchtbar wurde. Besonders in der ersten Zeit solcher Verbindung, in der jugendlichen Sturmperiode waren Ilmenau und Stützerbach die Tummelplätze der Geister von Weimar, unter denen sich außer Wedel auch Einsiedel, Knebel, Seckendorf, Stein und andere befanden. Mit Humor und Ausgelassenheit ergab man sich, neben dem Jagdvergnügen und den forcirten Ritten, einer Art poetischen Zigeunerlebens. Man liebte es, am Tage, wie unter mondheller Himmelsdecke, im Walde zu lagern, dabei zu schmaußen, zu trinken und allerlei Scherz zu treiben. „So recht in den Fichten drin zu liegen bei einfachen guten Menschen“ war ganz nach Goethe’s wie Karl August’s Eigenart, und mit den Gefühlen, denen sie sich hier in freiester Stimmung hingaben, ist sicher das Material zu mancher abenteuerlichen romantischen Scene in „Wilhelm Meister“ gefunden worden, wie bekanntlich auch auf dem Thüringer Walde in derselben Stimmung „Dem Schnee, dem Regen, dem Wind entgegen“ entstanden ist.

Einst hatte man hier am Fuße eines Felsens Hütten gebaut, sie mit Tannenreisern gedeckt, um geschützt vor dem Wetter die [823] Nacht im Freien zuzubringen. Der Mond beleuchtete den Wald mit bleichem Strahle, vor den Hütten brannten Feuer, die ihren rothen Schein auf die bewegten und sitzenden Männergruppen warfen. Man kochte und briet die Beute der Jagd, und die Weinflasche ging im Kreise herum. Spät erst machte der Schlaf seine Rechte geltend, der Herzog war nach stürmischer Jagd in seiner Hütte eingeschlummert, vor welcher Goethe, bei glimmenden Kohlen sitzend, das neue, merkwürdige Leben an seinen Gedanken vorüberziehen ließ.

Dieser Scene geschieht nur zur Vervollständigung des hier gegebenen Bildes Erwähnung. Eine große künstlerische Darstellung derselben brachte Jahrgang 1861 Nr. 16 der „Gartenlaube“, mit Text von Diezmann, dem um die Goethe- und Schillerliteratur hochverdienten Verfasser des besten Buches über diese Periode, unter dem Titel: „Goethe und die lustige Zeit in Weimar.“

Das Andenken an die liebe lustige Zeit in Stützerbach wurde vom Freundeskreise in Weimar selbst bis in die spätesten Lebensjahre frisch erhalten. Von den einzigen drei Kirschbäumen, die in Stützerbach standen, ließ Goethe mit zartem Sinn jährlich zum Geburtstage Karl August’s, am dritten September, Kirschen kommen, welche dort später reiften.

Die Sturm- und Drangzeit der Kraftgenialität mußte durchlebt werden, der Most hatte gähren müssen, um edler Wein zu werden; der seltene Bruderbund zwischen Fürst und Dichter ist der bewundernden Mit- und Nachwelt zur segensreichsten, edelsten Erscheinung geworden.
H. H.




Der Eislauf
Von Max Wirth in Bern.
(Schluß.)

Eine aufregende Geschichte erzählt Georg Anderson von einem nordamerikanischen Ansiedler, welcher Freiheit und Leben der Schnelligkeit seiner Stahlsohle verdankt. Derselbe war von Indianern gefangen, in Fesseln geschlagen und gemartert worden. Nach ein paar Tagen zeigte man ihm ein paar Schlittschuhe, welche unter der Beute aus seinem Dorfe mitgenommen worden waren. Seine Feinde, unbekannt mit deren Gebrauch, forderten ihn auf, denselben ihnen zu zeigen. Ein Strahl von Hoffnung erleuchtete da plötzlich sein verzweifelndes Herz. Mit zitternder Hand beeilte er sich die Schlittschuhe anzuschnallen. Er ging sofort auf’s Eis und begann vorsätzlich auszugleiten, hin und her zu taumeln und zu fallen; jedoch mit Bedacht fortwährend vom Ufer sich entfernend, während die arglosen Indianer über seine vermeintliche Ungeschicklichkeit lachten. Dieselben befanden sich auf dem fernen Gestade eines der unermeßlichen Seeen des großen nördlichen Continentes, und die Eisdecke, welche sich vor den Augen ausdehnte, endigte erst mit dem Horizont. Als der Gefangene sich weit genug entfernt glaubte, fiel er das letzte Mal, schnallte die Schlittschuhe fester, erhob sich und zog mit voller Eile aus, während die Indianer sich kaum zeitig genug von ihrem Erstaunen erholten, um ihm ein paar Kugeln nachzusenden, welche ihn verfehlten und harmlos auf dem Eise fortrollten. – Obgleich jetzt frei, war der Ansiedler doch nicht außer Gefahr, denn er hatte eine weite Eiswüste ohne Nahrung und Obdach zu durcheilen, den Nachstellungen der Wölfe oder der noch unerbittlicheren Indianer preisgegeben; oft gezwungen bei klaffenden Spalten meilenweite Umwege zu machen, bis er eine schmale Stelle fand, über die er springen konnte. Aber endlich nach zwei Tagen und Nächten stieß er erschöpft und verzweifelnd auf einen Trapper, welcher ihn in die nächste Ansiedelung brachte. –

Ein interessantes Naturphänomen haben wir auf dem Moosseedorfsee beobachtet, welches sich mehr oder weniger auf allen Teichen, Mooren und Seen, deren Grund sumpfig ist, wiederholt. Es bilden sich nämlich im Eise auf solchen Gewässern Blasen, die von aufsteigenden Gasen – wenn ich nicht irre, Kohlenwasserstoffgas – herrühren. Stößt man ein Loch in eine solche Blase und hält rasch ein brennendes Zündholz daran, so steigt eine Flamme auf, deren Umfang nach der Größe der Blase sich richtet. Im vorigen Winter ließen wir eine so große Blase explodiren, daß die aus dem Eise hervorbrechende Feuersäule armsdick und zwei Schuh lang war und etwa fünfzehn Secunden lang brannte. Für die Jugend ist es ein aufregendes Vergnügen, auf diese Art so zu sagen Feuer aus dem Eise hervorquellen zu sehen. Die Bauern schüttelten den Kopf dazu.

Zum Schlusse vergönne mir der Leser, mich an den engeren Kreis der Adepten zu wenden und die hohe Schule der Schlittschuhfahrkunst etwas systematischer aufzuführen, als es im vorigen Winter geschehen ist. Die Grundlage, auf welcher die hohe Schule beruht, ist der Bogen. Auch aus Halifax in Neuschottland schreibt ein Genosse im vorigen Winter: „Der Schlittschuh kann nicht mehr leisten, als den Bogen, soweit es regelrechtes Figurenfahren betrifft. Wenn Leute vom ‚Namen auf’s Eis schreiben‘ sprechen, außer im Fall, wo ein geschickter Schlittschuhläufer einen Namen hat, der aus den Buchstaben C O E S besteht, so glaubt ihnen nicht.“

Ich schicke voraus, daß ich mich folgender Abkürzungen bedienen werde: R. V. gleich Rechter Fuß vorwärts; L. V. gleich Linker Fuß vorwärts; R. R. gleich Rechter Fuß rückwärts, L. R. gleich Linker Fuß rückwärts; A gleich auswärts, E gleich einwärts.


Fig. 1

Die hohe Schule beginnt also mit dem Bogen, der nach acht Richtungen gezogen werden kann: R. V. A.; L. V. A.; R. R. A.; L. R. A.; R. V. E.; L. V. E.; R. R. E.; L. R. E. Einmal, R. V. A. und dann L. V. A. und so abwechselnd fort Bogen zu fahren (Figur 1), heißt man bei uns „Holländern“. Man kann diese Bewegung noch dadurch steigern und interessanter machen, wenn man mit dem den Bogen beginnenden Fuß über den andern „übertritt“.

Fig. 2

Aus dem Bogen entwickelt sich der Kreis (Fig. 2), welcher in derselben Weise mit dem Fuße nach je vier Richtungen gezogen werden kann.

Fig. 3

Es kostet einige Anstrengung, um den Kreis abzuschließen, denn die beim Abstoß am stärksten wirkende Kraft läßt allmählich nach. Der Kreis wird daher nie rein. Dagegen lenkt man aus der Kreisbewegung bei andauernder Uebung von selbst in die Spirale (Fig. 3) ein, welche man bis zu vierfachem und, wie es im vorigen Winter bei außerordentlich günstigem Eise geschah, zu fünffachem Kreise ausdehnen kann. – Das einfache Bogenfahren genügt schon, um sowohl allein als zu zwei und zu vier anmuthige Evolutionen auszuführen. Ein schönes Bild giebt der einfache „Eistanz“: Bogen R. V. A.; L. R. A. und so fort. Diese Tour ist besonders in Nancy zu Hause.

Fig. 4

Vom einfachen Bogen geht man zu Bogencombinationen mit einem und demselben Fuße über. Zuächst kommt der Doppelbogen (Fig. 4), den man, wie den Bogen, nach acht Richtungen ausführen kann: R. V. A. und R. R. E.; L. V. A. und L. R. E.; R. R. A. und R. V. E.; L. R. A. und L. V. E.; R. V. E. und R. R. A.; L. V. E. und L. R. A.; R. R. E. und R. V. A.; L. R. E. und L. V. A. Abwechselnd mit dem einen und dem andern Fuße diese Doppelbogen fahrend und sie je recht zum Halbkreis ziehend, kann schon ein einzelner Läufer sehr anmuthige Situationen darstellen. Man ist darin besonders in Frankfurt am Main Meister.

[824]

Fig. 5

Vom Doppelbogen kommen wir zum dreifachen Bogen (Fig. 5). Man beginnt ihn gleich dem Doppelbogen: R. V. A. und R. R. E. und R. V. A. und so fort. Diese Figur wird besonders in London, Glasgow, Quebec (Canada) und in Halifax (Neuschottland) gefahren und bis zum fünf-, ja neunfachen Bogen mit demselben ausgedehnt, entweder gerade aus (Fig. 6) oder im Kreis (Fig. 7), wie bereits im vorigen Jahr dargestellt wurde.

Fig. 6

Bei günstigem Wind und auf hartem, spiegelglattem Seeeis gelang es im vorigen Winter einen zwölffachen Bogen mit einem Fuß zu machen.

Fig. 7       Fig. 8      Fig 9

In England und Amerika liebt man sehr Tänze aufzuführen, wobei vier Personen stets zwei oder dreifache Bogen fahren. Mit der alten Art von Schlittschuhen, deren Eisen vor dem Absatz endigten, kann man dem Dreibogen die Form eines Doppel-E (Fig. 8) geben.

Dieselbe Art von Schlittschuhen ist nöthig, um das Absatzdrehen (Fig. 9), welches man bis zu sechs bis acht Mal zuwege bringen kann und worin man wieder in Nancy und in Canada excellirt, hervorzubringen.

Fig. 10

Hierher gehört noch eine Figur, welche der Präsident des Glasgower Schlittschuhclubs, Georg Anderson, anführt, die ich selbst aber noch nicht gelernt habe, da es mir nicht gut möglich war, aus der concentrischen Richtung der Spirale wieder herauszufahren (Fig. 10).

Ebenso muß ich gestehen, daß mir Fig. 11, welche nach Anderson in Canada exercirt wird, unbekannt ist.

Fig. 11

Wir gehen nun zu einer anderen Bewegung über, der Combination von zwei Bogen in derselben Richtung in Gestalt des lateinischen S. Um diese Figur auf das Eis zu schneiden, beginnt man mit einem Bogen L. V. A., wirft dann den rechten Fuß so weit als möglich vorwärts und dann rasch ebenso weit rückwärts. So kommt man in den inneren Bogen. Diese Bewegung mehr entwickelnd kommt man zum Doppelkreise oder der Acht (Fig. 12).

Fig. 12

Sehr schön ist diese Bewegung abwechselnd mit dem rechten und linken Fuß ausgeführt, nach Art des „Holländerns“.

Fig. 13

Aus dem S wird fortgesetzt die Schlangenlinie (Fig. 13), welche auch das Glasgower Schlittschuhbuch aufführt. Diese Bewegung führt zu einer überaus ansprechenden Figur, der Combination des einfachen Bogens mit dem S (Fig. 14 und 15), welche, je nachdem man den Bogen mehr oder weniger dem Kreis nähert, anmuthigere Gestalt gewinnt.

Fig. 14

Fig. 15

Ueberaus schwierig, kühn und das Auge fesselnd sind die Combinationen dieser Figuren mit multiplicirten Bogen; sei es, daß man das S mit dem dreifachen Bogen beginnt, oder endigt, oder einen solchen an beiden Enden desS zieht; jede Figur je auf einem Fuß (Fig. 16, 17 und 18).

Fig. 16

Verwegen nimmt es sich aus, wenn man in raschem Kraftschwung die Figur 18 mit dem einen und die Figur 17 dann mit dem andern Fuß fährt.

Fig. 17

Im vorigen Winter gelang es einmal unter günstigen Umständen, die Figur 18 in doppelter Länge, d. h. im Ganzen mit fünfzehn Bogen auf einem Fuße darzustellen.

Fig. 18

Eine der schwierigsten und schönsten Figuren, welche weder in Canada noch in England bekannt zu sein scheint, ist die Doppelspirale (Fig. 19). Obgleich eigentlich nur aus einem verlängerten S bestehend, darf sie doch als das Meisterstück der Schlittschuhfahrkunst betrachtet werden.

Fig. 19



[825]

Karoline von Günderode.

Eine Erinnerung.

Im Jahre 1839 war die berühmte Bettina von Arnim der Mittelpunkt eines schwärmerischen Cultus, an dem sich vorzugsweise eine Anzahl jugendlicher Studenten und angehender Doctoren, Moritz Carrier, Heinrich Oppenheim, Ottomar von Behr, Gebhard von Alvensleben, Philipp Nathusius etc. betheiligten.

Ein Brief von Carrier, der Berlin verließ, bot mir selbst die erwünschte Gelegenheit, mich bei der genialen Frau einzuführen, welche damals durch die Herausgabe von „Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde“ die höchste Sensation erregte und allgemein gefeiert wurde. Mit klopfendem Herzen, voll Begeisterung und Erwartung stieg der neunzehnjährige Bursche die breite Steintreppe des früher gräflich „Raczinsky’schen Palais unter den Linden“ hinauf, wo Bettina in jener Zeit noch wohnte.

Ein Diener meldete mich und nach einigem Zögern wurde ich vorgelassen. Ich trat in ein großes saalähnliches Zimmer, dessen graue, schmucklose Wände mit hohen Büchergestellen und zahlreichen Bänden bekleidet waren. Unter einer ausgezeichneten Copie der „Io von Correggio“, dieser gemalten Liebes-Apotheose, stand ein einfaches Sopha, auf dem eine Frau von ungefähr fünfundfünfzig Jahren in halb sitzender, halb liegender Stellung ruhte. Sie trug ein schwarzes, bequemes, bis zum Halse hinaufreichendes Seidenkleid und um das dunkle, hier und da schon grau gefärbte Haar ein feines Spitzentuch unter dem Kinn festgeschlungen. Ihr Gesicht war nicht schön, aber im höchsten Grade interessant und geistreich zu nennen, besonders erschien der Blick ihrer dunklen Augen von einer magnetisch fesselnden Gewalt beseelt. In den Bewegungen ihrer kleinen, aber zierlichen Gestalt verrieth sich eine jugendliche Elasticität, in ihrer Sprache eine wunderbar überraschende Lebendigkeit.

Ohne sich aus ihrer nachlässigen Lage zu erheben, nahm sie den Brief aus meiner Hand, las ihn und richtete während des Lesens von Zeit zu Zeit einen prüfenden Blick auf den ihr durch Carrier empfohlenen Ueberbringer desselben.

„Es ist gut,“ sagte sie nach einer Pause in ihrem Frankfurter Dialect. „Wenn Sie an Ihren Freund Carrier wieder schreiben, so benachrichtigen Sie ihn von mir, daß er mir nicht so viele Studenten auf den Hals schicken soll. Ich hab’ jetzt grad’ genug von der Sorte gesehn.“

„Aber die Studenten haben nur den einen Wunsch, Sie zu sehen und Sie kennen zu lernen, gnädige Frau!“ erwiderte ich keck.

„Sie scheinen mir ja ein ganz vernünftiges Bürschle zu sein,“ versetzte sie lachend. „Nehmen Sie sich einen Stuhl, setzen Sie sich her zu mir und erzählen Sie mir, was Sie hier in Berlin wollen.“

Nur zu gern folgte ich der freundlichen Einladung und bald sah ich mich in ein Gespräch verwickelt, wobei ich nach und nach nur die Stelle des stummen bewundernden Zuhörers übernahm. Jetzt erst begriff ich den dämonischen Zauber, den diese hochbegabte Frau auf ihre Umgebung, besonders auf den empfänglichen Geist der Jugend ausübte. Wie ein Gewitter entlud sich über mir die hinreißende Gewalt ihrer Rede: ein elektrischer Strom floß ununterbrochen von ihren feinen Lippen, der Sturm und das Wehen dithyrambischer Begeisterung. Zuckende Gedankenblitze, blendende Paradoxen, poetische Schönheiten, witzige Einfälle jagten im wirbelnden Sturm an mir vorüber und drohten mir die Besinnung zu rauben.

Unwillkürlich mahnte mich ihre ganze Erscheinung an die prophetischen Sibyllen, an jene gottbegeisterten oder vom Dämon erfaßten Frauen des Alterthums, deren Mund die Wunder des Himmels verkündigte und von überirdischen Offenbarungen überfloß. Bald sprach sie von ihrem Verhältniß zu Goethe, von der höchsten Poesie der Liebe, von Jean Paul, den sie mit einem Bergwerk voll edler, aber ungeschmolzener Metalle, voll kostbarer ungeschliffener Steine verglich, von häßlichen Gnomen und wunderlichen Kobolden gehütet; bald sprang sie auf die Theologie und Schleiermacher über, indem sie mir erzählte, wie ihr der berühmte Geistliche, der ihr Freund gewesen, einen oder den andern seiner Schüler zugeschickt habe, um ihnen den Kopf zu öffnen, das Wesen der Religion klar zu machen. Dann wieder wendete sie sich zur heutigen Medicin, deren Unzulänglichkeit und Schwächen sie mit dem geistreichsten Spott geißelte, wogegen sie sich als eine eifrige Anhängerin und Freundin der Homöopathie zu erkennen gab. Als ich aber als angehender Arzt die Allopathie zu vertheidigen suchte, widerlegte sie mich mit mehr bestechenden, als wissenschaftlichen Gründen.

„Ein Tröpfchen Schlangengift,“ sagte sie bei dieser Gelegenheit, „ein unsichtbarers Partikelchen von dem Speichel eines tollen Hundes reicht schon hin, einen Menschen zu tödten; warum soll ein Zehntausendstel der passenden Arznei nicht hinreichen, ihn zu heilen? Der bloße Geist, Freude und Schreck, Kummer und Sorge können uns krank machen, warum soll der Geist uns nicht auch gesund machen?“

So ging es fort, und mir selbst war dabei zu Muthe wie dem Schüler in Goethe’s Faust, als ginge mir ein Mühlrad im Kopfe herum. Aber trotzdem schied ich voll Bewunderung von der genialen Frau, die mich freundlich einlud, sie bald wieder zu besuchen. Seitdem sah ich Bettina öfters bald allein, bald in größerer Gesellschaft jener ausgezeichneten Männer und Frauen, die sich wöchentlich wenigstens einmal um sie zu versammeln pflegten.

Einige Wochen später ließ sie „Die Günderode“ bei einem bisher gänzlich unbekannten jungen Buchhändler Levysohn in Grünberg erscheinen, der als Student zu unserem Freundeskreise zählte und auch später mit uns noch in literarischer Verbindung stand. Sie hatte dieses neue Buch, welches den Briefwechsel Bettina’s mit dem Stiftsfräulein von Günderode enthielt, den Studenten gewidmet: „Deutschlands Jüngerschaft, welche, dem Recht zur Seite, Klingen wetzend der Gnade trotzt; mit Schwerterklirren und der Begeisterung Zuversicht der Burschen Hochgesang anstimmt: ,Landesvater, Schutz und Rather!’ mit flammender Fackel, donnernd ein dreifach Hoch dem Herrscher, dem Vaterland, dem Bruderbunde jauchzt und, Strömen gleich, zusammenrauschet in ein gewaltig Heldenlied.“

Angeregt durch diese Widmung, welche ihre begeisterten Freunde und jugendlichen Verehrer wohl zunächst auf sich beziehen durften, beschlossen wir durch Ueberreichung eines prachtvollen Albums unsern Dank im Namen der studirenden Jugend auszusprechen. Ein talentvoller Maler zeichnete das Titelblatt, worauf Bettina selbst mit der Günderode dargestellt war, wie sie in romantischer Umgebung an den Ufern des Rheins Hand in Hand standen. Poetische Gaben, Lieder und Gesänge feierten die beiden Dichterinnen und beklagten den frühen Tod der schönen, geistvollen Freundin Bettina’s. Eine Deputation aus unserer Mitte überreichte der Letzteren das sinnreiche Geschenk als Zeichen unserer schwärmerischen Verehrung, worüber sie offen ihre große Freude zu erkennen gab.

Bald darauf besuchte ich die geniale Frau; ich fand sie allein, vor ihr lag das ihr von uns gewidmete Album aufgeschlagen. Sie war sichtlich bewegt und sprach mit mir mehr als sonst von ihrer eigenen Vergangenheit, von ihrem Leben mit den Geschwistern, von ihrem Bruder Clemens Brentano, vor Allen aber von der Günderode und dem traurigen Ende ihrer unglücklichen Freundin, die sich bekanntlich selbst den Tod gegeben. „Das Meiste und Beste,“ sagte Bettina im Laufe des Gesprächs, „was ich geworden bin, habe ich der Günderode zu danken. Sie war eine entzückende Erscheinung, eben so schön, als wunderbar begabt. Sie hatte braunes Haar und blaue Augen, die waren gedeckt mit langen Augenwimpern. Ihr Lachen klang so sanft und doch so heiter wie das Girren der Turteltaube. Ihre Gestalt war so weich und fließend, daß man unwillkürlich das Gefühl hatte, sie paßte nicht für diese rauhe Erde. Ihr ganzes Wesen war verkörperte Poesie, sie selbst eine begabte Dichterin. Ihre Verse klangen, wenn sie las, wie eine fremde Sprache, die ich mir erst übersetzen mußte, aber sie waren reich an sinnigen Gedanken. Sie hatte, als ich sie kennen lernte, unter dem angenommenen Namen ‚Tian‘ ein Bändchen ‚Gedichte und Phantasien‘ erscheinen lassen, auch mehrere Dramen und eine dialogisirte Geschichte, ‚Pietro‘ geschrieben. Weit größer aber als ihre poetische Begabung war ihre wissenschaftliche und philosophische Bildung. Sie wollte mich Philosophie lehren und drang darauf, daß ich [826] mich an ein logisches Denken gewöhnen sollte, wie sie auch in allen übrigen Dingen auf eine gewisse Ordnung hielt, weshalb sie mir oft mein zerfahrenes, wildes Wesen zum Vorwurf machte. Ueberwiegend neigte sie sich zur Reflexion, zum Nachdenken, selbst zu einem gewissen kritischen Mißtrauen gegen sich und Andere. Als aber mein Bruder Clemens ihr dies einmal schrieb oder sagte, antwortete sie ihm: ‚Sagen Sie nicht, mein Wesen sei Reflexion oder gar mißtrauisch – das Mißtrauen ist eine Harpyie, die sich gierig über das Göttermahl der Begeisterung wirft und es besudelt mit unreiner Erfahrung und gemeiner Klugheit, die ich stets jedem Würdigen gegenüber verschmäht habe.‘“

„Es bleibt doch immer,“ versetzte ich, „räthselhaft, daß eine so fein organisirte, besonnene und reflectirende Frauennatur, ein so zartes, schüchternes Mädchen, wie Sie selbst Ihre Freundin schildern, sich gewaltsam das Leben nahm. Welche Gründe konnten sie zu einer solch schrecklichen That drängen, und ist es wahr, daß die Veranlassung dazu eine unglückliche Liebe gewesen sein soll?“

„Ich selbst,“ erwiderte Bettina, „habe erst nach ihrem Tode die Wahrheit erfahren, von der ich, so lange sie lebte, keine Ahnung hatte. Ich wußte nichts von ihren sonstigen Verbindungen und Verhältnissen, nur zuweilen sprach sie den Wunsch aus, früh zu sterben. Ich weiß nicht, ob Sie sich meiner Mittheilungen erinnern, die ich in meinem Briefwechsel mit Goethe über die seltsame Todessehnsucht der Günderode gegeben habe?“

Ehe ich Bettina noch antwortete, sprang sie von ihrem Sopha auf und kletterte auf die bereitstehende Leiter, um das genannte Buch aus einem der oberen Fächer ihrer Bibliothek zu holen. Sie schlug die bezeichnete Stelle auf und las sie mir mit ergreifender Stimme vor:

„Einmal kam mir die Günderode freudig entgegen und sagte: ‚Gestern habe ich einen Chirurg gesprochen, der hat mir gesagt, daß es sehr leicht ist sich umzubringen.‘ Sie öffnete hastig ihr Kleid und zeigte mir unter der schönen Brust den Fleck; ihre Augen funkelten freudig; ich starrte sie an, es ward mir zum ersten Mal unheimlich, ich fragte: ‚nun! – und was soll ich denn thun, wenn Du todt bist?‘ ‚O,‘ sagte sie, ‚dann ist Dir nichts mehr an mir gelegen, bis dahin sind wir nicht mehr so eng verbunden, ich werd’ mich erst mit Dir entzweien;‘ – ich wendete mich ab nach dem Fenster gewendet und schwieg; – ich sah sie von der Seite an, ihr Auge war gen Himmel gewendet, aber der Strahl war gebrochen, als ob sich sein ganzes Feuer nach innen gewendet habe; – nachdem ich sie mir eine Weile beobachtet hatte, konnt’ ich mich nicht mehr fassen, – ich brach in lautes Schreien aus, ich fiel ihr um den Hals und riß sie nieder auf den Sitz und setzte mich auf ihre Kniee und weinte viel Thränen und küßte sie zum ersten Mal auf ihren Mund, und riß ihr das Kleid auf und küßte sie an die Stelle, wo sie gelernt hatte das Herz treffen; und ich bat mit schmerzlichen Thränen, daß sie sich meiner erbarme, fiel ihr wieder um den Hals und küßte ihre Hände, die waren kalt und zitterten, ihre Lippen zuckten, sie war ganz kalt, starr und konnte nicht die Stimme erheben; sie sagte leise: ‚Bettina, brich mir das Herz nicht.‘“

„Einige Zeit darauf,“ fuhr die berühmte Frau mit Ueberschlagung einiger Zeilen fort, „kam ich wieder zu ihr; da zeigte sie mir einen Dolch mit silbernem Griff, den sie auf der Messe gekauft hatte; sie freute sich über den schönen Stahl und über seine Schärfe; ich nahm das Messer in die Hand und probte es am Finger, da floß gleich Blut, sie erschrak; ich sagte: ‚O Günderode, Du bist so zaghaft und kannst kein Blut sehen, und gehest immer mit einer Idee um, die den höchsten Muth voraussetzt; ich hab’ doch noch das Bewußtsein, daß ich eher vermögend wär’, etwas zu wagen’, obschon ich mich nie umbringen würde; aber mich und Dich in einer Gefahr zu vertheidigen, dazu hab’ ich Muth; und wenn ich jetzt mit dem Messer auf Dich eindringe – siehst Du, wie Du Dich fürchtest?‘ – sie zog sich ängstlich zurück; der alte Zorn regte sich wieder in mir unter der Decke des glühendsten Muthwillens; ich ging immer ernstlicher auf sie ein, sie lief in ihr Schlafzimmer hinter einen ledernen Sessel, um sich zu sichern; ich stach in den Sessel, ich riß ihn mit vielen Stichen in Stücken, das Roßhaar flog hier- und dahin in der Stube, sie stand flehend hinter dem Sessel und bat ihr nichts zu thun; ich sagte: ‚eh’ ich dulde, daß Du Dich umbringst, thu’ ich’s lieber selbst;‘ ‚mein armer Stuhl!‘ rief sie; ‚ja was, Dein Stuhl, der soll den Dolch stumpf machen; ich geb’ ihm ohne Barmherzigkeit Stich auf Stich.‘ Das ganze Zimmer wurde eine Staubwolke; so warf ich den Dolch weit in die Stube, daß er prasselnd unter das Sopha fuhr; ich nahm sie bei der Hand und führte sie in den Garten in die Weinlaube, ich riß die jungen Weinreben ab und warf sie ihr vor die Füße, ich trat darauf und sagte: ‚So mißhandelst Du unsere Freundschaft.‘ – Ich zeigte ihr die Vögel auf den Zweigen und daß wir, wie jene, spielend, aber treu gegen einander bisher zusammen gelebt hätten, ich sagte: ‚Du kannst sicher auf mich bauen, es ist keine Stunde in der Nacht, die, wenn Du mir Deinen Willen kund thust, mich nur einen Augenblick besinnen machte, – komm vor mein Fenster und pfeif’ um Mitternacht, und ich geh’ ohne Vorbereitung mit Dir um die Welt. Und was ich für mich nicht wagte, das wag’ ich für Dich; – aber Du! – was berechtigt Dich, mich aufzugeben? – und wie kannst Du solche Treue verrathen? und versprich mir, daß Du nicht mehr Deine zaghafte Natur hinter so grausenhaft prahlerische Ideen verschanzen willst;‘ – ich sah sie an, sie war beschämt und senkte den Kopf und sah auf die Seite und war blaß; wir waren beide still, lange Zeit. ‚Günderode‘ sagte ich, ‚wenn es ernst ist, dann gieb mir ein Zeichen;‘ – sie nickte, bald darauf reiste sie in’s Rheingau und ich sah sie nicht mehr wieder.“

Tief ergriffen und voll Bewunderung durchlebte ich im Geiste die dramatische Scene, welche zugleich einen so lebendigen Einblick in dies romantische Verhältniß und in den Geist jener von Ueberschwänglichkeit und Schwärmerei erfüllten Periode gewährte.

„Alles, was Sie über die Günderode mittheilen,“ sagte ich nach einer Pause, „klingt so geheimnißvoll und poetisch, daß Sie gewiß meine Neugierde verzeihlich finden werden, wenn ich von Ihnen, gnädige Frau, die näheren Umstände und vor Allen die Ursache ihres Todes zu hören wünsche.“

„Die Sache ist kein Geheimniß mehr und ich will Ihnen gerne mittheilen, was ich selbst später darüber erfahren habe. Allerdings war eine unglückliche Liebe schuld an ihrem Tode. In einem befreundeten Hause hatte die Günderode den bekannten Professor Creuzer kennen gelernt, der, wie Sie wissen, Lehrer an der Universität zu Heidelberg war. Obgleich er nichts weniger als schön war, machte sein tiefes Wissen, verbunden mit seiner persönlichen Liebenswürdigkeit, einen tiefen Eindruck auf das Herz meiner armen Freundin. Sie sympathisirte mit seinen symbolischen Studien, für die ich mich nie begeistern konnte, während er an ihren poetischen Arbeiten den lebhaftesten Antheil nahm. Mehrere Gedichte von ihr in dem von ihr herausgegebenen ,Tian’ verdankten diesem Verhältniß ihr Entstehen, so wie Creuzer manche ihrer Gedanken in seine Schriften aufgenommen hat. Mit jedem Tage wurde ihre Verbindung inniger und leidenschaftlicher, so daß sie nicht mehr getrennt zu leben vermochten. Leider aber war Creuzer an eine weit ältere ungeliebte Frau gefesselt, die er vor Jahren aus Dankbarkeit geheirathet hatte.“

„Die alte Geschichte!“ unterbrach ich Bettina. „Nun ist mir Alles erklärlich.“

„Und doch war das Schicksal meiner unglücklichen Günderode weit tragischer, als Sie sich vorstellen können. Es liegt eine furchtbare Ironie in der Weise, wie es mit der Armen spielte, ihr den Himmel aufthat, um sie dann in das dunkle Grab zu stoßen. Creuzer war fest entschlossen, die verhaßte Ehe mit seiner alten Frau zu lösen, und, wenn auch mit Widerstreben, willigte diese, eine gutherzig beschränkte Natur, in die von ihm vorgeschlagene Scheidung. Schon glaubte die Günderode am Ziele ihrer Wünsche zu stehn, als der Geliebte, wahrscheinlich in Folge der vorausgegangenen Kämpfe und Aufregungen, heftig am Nervenfieber erkrankte. Sein Leben schwebte in der höchsten Gefahr, und sicher wäre er seinen Leiden erlegen, wenn ihn nicht jene von ihm halb verstoßene Frau mit der größten Aufopferung bei Tag und Nacht gepflegt hätte, ohne von seinem Bette zu weichen, ohne sich vor der Gefahr der Ansteckung zu fürchten.“

„Welch’ entsetzlicher Kampf für den armen Mann!“ rief ich unwillkürlich.

„Gerührt von der treuen Anhänglichkeit des vernachlässigten Weibes, ergriffen von ihrer uneigennützigen Liebe, bestürmt von seinen Verwandten und Freunden, von Dankbarkeit erfüllt, vielleicht auch aus kleinlicher Rücksicht auf die öffentliche Meinung, oder aus Furcht und Schwäche, die den Grundzug seines pedantischen [827] Wesens bildeten, versammelte Creuzer in den ersten Tagen seines wiederkehrenden Bewußtseins die ihm zunächst stehenden Freunde und erklärte ihnen feierlich, daß seine Seele bereits vor Gott gestanden und am Rande des Grabes ihm die Nichtigkeit aller irdischen Verhältnisse aufgegangen sei. In Gegenwart Aller bat er die überraschte Frau um Verzeihung, indem er sie weinend in seine Arme schloß. Zugleich gab er seinem Vertrauten, dem Professor Daub, der in alle Verhältnisse eingeweiht war, den Auftrag, der Günderode oder einer ihrer Freundinnen diese unerwartete Sinnesänderung mitzutheilen, indem er zugleich sich selbst gelobte, jede Verbindung mit ihr für immer abzubrechen.“

„Ich glaube,“ sagte ich, als Bettina inne hielt, „daß Creuzer kaum ein Vorwurf treffen kann.“

„Und doch kann ich ihm nicht verzeihen,“ erwiderte sie traurig. „Er war ein schwacher, haltloser, schwankender Charakter, einer solchen flammenden Liebe nicht werth. Statt an mich schrieb Daub an eine andere Freundin, bei der die Günderode sich damals aufhielt. Durch einen unbegreiflichen Zufall fiel der Brief in die Hände der Unglücklichen; ohne den Inhalt zu ahnen, erbrach sie ihn, las ihr schreckliches Geschick und die gut gemeinten Warnungsworte am Schluß: ‚Hüten Sie die Günderode vor dem Rhein und vor Dolchen.‘ Sie hatten die entgegengesetzte Wirkung und beschleunigten nur ihren Tod, statt ihn zu verhüten, wie es wohl die ursprüngliche Absicht war. Mit unbegreiflicher Ruhe schrieb sie noch einige Briefe, worauf sie in größerer Gesellschaft zu Abend aß. Mit einer sonst nicht gekannten Hast und Heftigkeit rief sie der Freundin ‚gute Nacht‘ zu. Niemand ahnte ihr Vorhaben, da sie gewohnt war, des Abends an dem Ufer des Rheins zu wandeln und sich ihren Gedanken und Träumen zu überlassen. Als sie aber nach elf Uhr noch nicht heimgekehrt war, wurde das ganze Haus unruhig. Boten wurden ausgeschickt, um sie zu suchen, doch vergebens. Erst am nächsten Morgen fand man die Leiche, von drei Dolchstichen an derselben Stelle des Herzens durchbohrt, die sie mir gezeigt, die ich geküßt hatte. Neben ihr lag das Messer mit dem silbernen Griff. Um den Hals hatte sie porzellanene Schalen, mit Steinen angefüllt, sich mit einem Handtuch fest gebunden, um sich zu ertränken, falls der Dolch sie fehlen sollte. Ich selbst erfuhr erst später das grauenvolle Ereigniß, als ich, von furchtbaren Ahnungen und Träumen gequält, von fieberhafter Angst verzehrt, wiederholt in meine Geschwister drang, mit mir in das Rheingau zu reisen. Hier erhielt ich nur zu schnell die Bestätigung meiner Befürchtungen. Ich hatte die Freundin für immer verloren. Auf dem Kirchhof zu Winkel ruht die Unglückliche, die mir Alles war. Auf ihrem Leichenstein lies’t man die schöne Inschrift:

Erde, du meine Mutter, und du, mein Ernährer, der Lufthauch!
Heiliges Feuer, mir Freund, und du, o Bruder, der Bergstrom,
Und du, mein Vater, der Aether, ich sag’ euch Allen mit Ehrfurcht
Freundlichen Dank; mit euch hab’ ich hienieden gelebt und ich gehe
Zur andern Welt, euch gern verlassend. Lebt wohl denn,
Bruder und Freund, Vater und Mutter, lebt wohl! –“

Bettina schwieg, in ihrem dunklen Auge glänzte eine Thräne der Erinnerung an ihre arme Freundin.

Max Ring.


Die Wildschützen im bairischen Gebirge.

Es ist wohl der Frage werth, worauf denn der unvertilgbare Hang zum Wildern, der unserm Gebirgsvolk von Alters innewohnt, beruht. Er hat zwei Wurzeln, eine edlere und eine gemeine. Die erstere liegt in dem Gefühl, das schon Schiller mit seinem Schützenlied dem Knaben Tell’s in den Mund legt; in der Sehnsucht nach Freizügigkeit. Es steckt ein aristokratischer Zug im Charakter der Bergbewohner, ein souveraines Bedürfniß freier Bewegung, das den dortigen Bauer am stärksten von dem unbeholfenen, an der Scholle klebenden Bauer des Flachlandes unterscheidet.

In den Bergen ist die Freiheit schon von der Natur begünstigt; das Athmen einer schärferen Luft, die Gewohnheit einer stärkeren Bewegung ist es, die den Gebirgsländer kühn, ritterlich, für Andere interessant gemacht hat. Derselbe Zug ist es, der ihn auch zum Wildschützen gemacht hat. Denn für diesen Hang zu freiem Schweifen ist die Jagd wie geschaffen. Sie giebt den ziellosen Wegen ein Ziel; sie giebt den Reiz der Schwierigkeit und der Gefahr. Man fühlt sich noch einmal so stolz, wenn man die Waffe über die Schulter trägt, man ist kein Bauer mehr, man ist – ein Freier.

Der andere Zug, der zum Wildern lockt, ist ein communistischer. Fast in allen Staaten hat der Kampf um das Jagdrecht eine politische Rolle gespielt, die von der besitzlosen Classe überall im gleichen Sinne ausgebeutet ward. Während sich die Juristen die Köpfe heiß stritten, wurden Andere mit der Controverse schneller fertig und sagten einfach, das Wild ist herrenlos, das Wild ist frei. Diese Idee besteht auch heutzutage noch, trotz aller Jagd und Strafgesetze, sie drückt sich noch schärfer in dem Satze aus, den man dutzendmal hören kann – das Wild ist für die armen Leute! Nicht Freiheit der Person, Freiheit des Eigenthums begehren diese.

So haben viele solcher „armen Leute“ zur Büchse gegriffen, und von dieser Sorte des Wildschützen ist nur ein Schritt zum Verbrecher. Sie treiben die Jagd nicht zur Lust, sondern zum Erwerb, sie sind keine Jäger, sondern Diebe.

Das Unwesen an sich hat zu allen Zeiten bestanden; aber warum blüht es heutzutage ärger als je? Die Spannung ist unerträglich geworden. Der nächste Grund ist natürlich, wie überall, der Widerstreit der Interessen, aber ich glaube, man darf das polemische Element nicht unterschätzen, das in unserer Zeit selbst bis in die unteren Classen durchdrang und alle Parteien und Gegensätze einander schroffer gegenüberstellte. Die junge Generation ist in einer so oppositionellen Luft herangewachsen, daß es den schlimmeren Elementen derselben leicht wird, auch die Behörde und die Vorgesetzten unter den Begriff der Partei zu stellen, d. h. als ihre natürlichen Gegner zu betrachten.

In dieser Weise steht ein Theil der Forst- und Jagdfrevler den Forstbehörden gegenüber – mit einer Eigenmacht, die duldsamere Zeiten nicht gekannt haben. Die rauhe Lebensweise schärft den rauhen Sinn der Vagabunden; die Verleugnung ihres Ansehens zwingt die Forstbeamten, dasselbe um so entschiedener zur Geltung zu bringen. Und wer könnte sich noch wundern, wenn unter diesen Eindrücken Beziehungen entstehen, die man nur in diplomatischer Sprache als „herzliches Einverständniß“ bezeichnet? Nach allen Seiten hin hat sich eine Rivalität entwickelt – an Kraft, an Glück, an Schlauheit; man sucht sich zu überlisten, zu überholen, zu übertreffen und im schlimmsten Falle zu – treffen. Manche dieser Reibungen haben keinen andern Zweck, als sich gegenseitig zu foppen, dann wirken sie komisch, weil die Bravour, die dabei entwickelt wird, geradezu in’s Kolossale geht. Exempla sunt odiosa – aber das thut nichts.

Vor mehreren Jahren kletterte ein wilder schmächtiger Bursche in den Felsen eines Berges herum, den vielleicht manche der Leser selber bestiegen haben. Er war müde geworden und meinte, eine kleine Siesta, ein beruhigendes Mittagsschläfchen wäre ihm wohl zu gönnen. Langsam und vorsichtig schob er sich durch das Latschengestrüpp an einen Felsvorsprung, wo die Wand etwa sieben Klafter tief abfiel. Dort legte er sich nieder; der Rucksack, in dem sich der auseinandergeschraubte Stutzen befand, kam unter das Haupt und auch ohne gutes Gewissen ruhte er doch bald sanft. Minder sanft war das Erwachen. Der Förster – der ihn nicht kannte – stand mit gespanntem Hahn vor ihm und weckte ihn durch einen Fußtritt.

Mit wilden Sätzen sprang der Bursch’ in die Höhe; was war zu thun? Die Büchse lag ja im Rucksack; der Weg war ihm vom Förster vertreten und auf der andern Seite – die Felswand. Er sollte als Gefangener mit dem Förster hinuntersteigen, so lautete dessen bestimmter Befehl – aber das war unmöglich. Die Schand’ vor seinem Dirndl – wenn er so zum Gericht müßte – die hält er nie und nimmer aus.

Verzweifelt nestelte der Wildfang an dem losen Halstuch, es war nicht lange Zeit zum Besinnen. An ein Entrinnen war nicht zu denken, denn die Wand war sieben Klafter tief und siebenmal sechs thut zweiundvierzig. Unten lag hohes Steingeröll; wer [828] zweiundvierzig Fuß darauf hinunterspringt, zerschmettert sich alle Knochen. Aber das Dirndl! Die Schand’ vor dem Dirndl! – Der Bursche stand dicht am Abgrund, seine scheuen Seitenblicke maßen die Tiefe. „Jesus Maria, und Joseph!“ brüllte er zum Himmel – ein Sprung – man sah noch die Hand, die nach dem Latschenaste griff und daran hinunterfuhr; der Ast schnellte zurück in die Höhe – ein dumpfer Krach – horch! – und weg war er.

Der alte Förster stand da, wie begossen. „Sacrament,“ sprach er halblaut; „diesmal kriegt der Teufel einen warmen Braten; der ist maustodt, wie er hinunterkommt.“ Leise regten sich die Gewissensbisse in der zottigen Brust des Alten: „Hätt’ ihn doch nicht so in die Verzweiflung treiben sollen; Wildern ist eine Todsünd’, den hab’ ich pfeilgrad’ in die Hölle hineingesprengt.“ Es gruselte ihm ein wenig, hinabzusehen; denn solche Klumpen sieht man nicht gerne liegen, die gerade noch lebendig waren und jetzt sind Kopf und Füße nicht mehr auseinanderzukennen. Rathlos schweiften seine Blicke über die Halde hin, die unter dem Steingerölle lag; da klang auf einmal ein Juhschrei zu ihm empor. Er sah Jemand im Fluge über die Haide laufen und dieser Jemand war – sein Gefangener.

Als er außer Schußweite war, blieb er stehen und schwenkte den Hut: „Guten Abend, Herr Förster,“ rief er herauf, „ich bedank’ mich halt schön, daß Sie mich so gutwillig ausgelassen haben. Und noch was möcht ich halt bitten – nit wahr, laufen’s mir fein nit nach und springen’s ja nit über die Wand da ’runter. ’s ist nit wegen mir, ’s ist mir blos wegen Ihnen, denn dös prellt verdammt in die Füß’.“ Dann jauchzte er noch einmal und verschwand im Walde. Der Förster, fuchswild, sprach jetzt gar nicht mehr vom Zuchthaus, sondern gleich von der Hölle. „Wart’ nur, Dich bring ich doch noch in die Hölle,“ sprach er laut vor sich hin; einstweilen aber beneidete er ihn um – solche Knochen.

Der Vater dieses Knochenhelden ist der Hans-Anderl. Das ist des Jungen graues Vorbild, noch jetzt ganz derselbe fidele Schelm, denn wenn der Bub weit weg ist, dann stiehlt der Alte seinem eignen Buben Pulver und Blei und geht selber zum Wildern. Wie sonderbar gucken die grauen schlauen Augen aus dem rußgefärbten „Gefriß“; seine weißen Stoppeln hat er mit schwarzem Wollenbart maskirt und troddelt lustig durch die Morgendämmerung. Er ist der Ueberzeugung, daß Gott die gute Sache begleitet. Für einen Siebenziger geht’s mit dem Steigen noch ganz passabel; erst in der tiefen Mulde, die vom Gipfel des Berges nach Osten neigt, macht er eine kleine Rast. Jetzt heißt es „Oehrl spitzen“. „Horch – jetzt rasselt es. Da kommt schon einer,“ denkt der alte Hans-Anderl und sinkt andächtig auf die Kniee. „Und was für ein Mordskerl von Bock – haha, der kennt mich nimmer, weil er gar so nah vorbeilauft; der meint, der Hans-Anderl steigt ja doch nimmer ’rauf und ein Andrer trifft z’erst nix.“ Dieweil er also dachte, knallt’s und der „Mordskerl“ war eine Leiche. Er versteckte den rühmlich Gefallenen sorgfältig unter den Tannenzweigen, denn zum Hinuntertragen ist er doch zu schwer; „den muß heut’ Nacht der Bub spediren.“

Unterdessen hatten den Schuß, der in einsamer Morgenfrühe weit durch die Berge hallte, zwei Jäger vernommen.

„Das war ein Wilderer,“ sprachen sie und folgten dem Knall. Bald waren sie auf der Höhe des Grates angelangt, wo man in die Mulde hinuntersieht – „bst“ – winkte der eine, „da schau hinab; siehst Du was? Das Tröpfl dort hat geschossen.“ Der andre zog das Fernrohr hervor, und nun konnte man’s ganz deutlich sehen, wie der alte maskirte Sünder zwischen dem Steingeröll herumlungerte – ohne das Damoklesschwert zu ahnen, das über seinem Haupte hing. Es ward beschlossen, ihn zu umgehen, und als sie auf dreihundert Schritte herangekommen, da hieß es – „Halt, Wer da?“

Der jugendliche Alte schnellte empor, wie vom Blitze gerührt, aber statt eine Antwort zurechtzulegen, legte er die Büchse an die Wange. Zu spät – drüben hat’s schon geknallt, das Gewehr fiel ihm aus den Händen und von rücklings stürzte er in’s Gerölle.

Hin ist hin, dachten die Jäger und zogen ihrer Wege, ohne das Opfer lang anzuschauen; in einigen Tagen wird man ihn schon finden. „Wenn sie nur sicher wüßten, wer es war,“ flüsterten die Beiden zu einander. „Am Ende war’s gar der alte Hans-Anderl; das wär’ verdammtes Mißgeschick, denn vor dem seinen Buben ist Niemand sicher. Die Hauptsache ist jetzt nur, daß kein Mensch erfährt, wer ihn erschossen hat; dem Förster wollen sie’s gestehen, aber sonst darf es Niemand wissen.“ Spornstreichs auf heimlichen Fußsteigen liefen sie hinab und klopften an die Thür des Försters.

Der Bericht klang sehr lakonisch. „Herr Förschtner,“ sagten sie, „dösmal hat’s einen z’sammgerissen: grad habn wir ihn niederg’schossen.“ – „Herrgottsacrament,“ polterte der Förster, „schon der Zweite dies Jahr. Was war’s denn für einer, war er geschwärzt, kennt ihr ihn? Hoffentlich ist’s nicht der alte Hans-Anderl, weil’s immer heißt, daß der da droben wildert, das gäb’ viel böses Blut unter den Leuten!“

„Ja, wahrscheinlich wird’s der sein,“ erwiderte der Eine bekümmert, „g’wiß wissen wir’s nit, aber ein alter Kerl ist’s gewesen, soviel haben wir schon gemerkt.“

„Herrgottsacrament,“ brummte der Förster abermals – „wenn der morgen abgeht und seine Leute suchen ihn, das wird eine schöne Suppen geben.“ Mit gesenkten Häuptern standen die beiden Missethäter da und drückten sich lautlos zur Thür hinaus. Es war ein fataler, verdrießlicher Tag im Forsthaus. Der Herr hatte keinen Appetit (obschon es Knödel gab, welche sonst seine Lieblingsspeise waren), der Daxel bekam ganz unmotivirte Prügel und die Kinder verkrochen sich auf den Heuboden, um nicht die Leidensgefährten des Daxel zu werden.

Unterdessen schlug der Hans-Anderl, der oben in der Mulde lag, die grauen Aeuglein auf und – acceptirte die Situation. Es war nur ein Schrotschuß gewesen. Sorgsam untersuchte er die Wunde, fünf oder sechs der fatalen Körner sind im Schenkel stecken geblieben. In Ermangelung eines chirurgischen Bestecks zog der alte Praktikus sein Eßbesteck aus der Tasche und begann mit dem Messer die Operation. Ein Schrot nach dem andern bohrte er aus der Wunde, und als er sie alle sechse hatte, stand er auf und ging von dannen. „Wenn sie nur meinen Gemsbock nicht ‚gestohlen‘ haben,“ dachte er sich, aber Gott sei Dank, der Gemsbock war noch am alten Fleck.

Jetzt kam erst die zweite Frage, ob ihn die Jäger am Ende trotz der Verlarvung erkannten. Dann muß er vor’s Gericht, und die Bauern fürchten das Gericht noch heutzutage mehr, als die Hellenen ihrerzeit den Tartarus. Da galt es einen Meisterstreich auszuführen. Das Forsthaus war etwa zwei Stunden von der Stelle entfernt, wo sie ihn „todtgeschossen“ hatten; wie wär’s denn, wenn er jetzt schnurgerad hinunterstiege und sich beim Förster sehen ließe, um nach irgend einem gleichgültigen Ding zu fragen? Dann kann doch kein Mensch mehr glauben, daß er derjenige gewesen sei, den die Jäger für todt und lebendig auf dem Platze gelassen. – Gedacht, gethan. An einer befreundeten Quelle, die er zugleich als Spiegel und Waschbecken benutzte, wusch er sich das schwarze „Gefriß“, sein Stutzen ward unter einem Stein am Kreuzweg versteckt und das Uebrige – wird sich wohl finden.

Mit der rosigen Laune, die wir immer haben, wenn wir Streiche machen, stieg er herunter und klopfte an das Försterhaus. Dem Förster war das Gespenst des Hans-Anderl den ganzen Tag vor den Augen herumgegeistert, nun konnte er kaum sein freudiges Erstaunen verbergen, als der leibhaftige – Hans-Anderl vor ihm stand.

„Sie haben neulich ein paar Holzfuhren bestellt, Herr Förster,“ sprach dieser in devotem Ton; „ich möchte nur fragen, bis wenn Sie’s haben wollen, weil ich ohnedies gerade in der Nähe bin.“

„Das ist jetzt g’spaßig,“ erwiderte der Förster; „heut haben wir von Dir gesprochen. Es heißt manchmal, Du gingst stark wildern, und heut’ früh hab’ ich munkeln hören, daß wieder Einer wär’ erschossen worden. Und Jemand hat gleich gar gemeint, Du wärst Derselbige.“

„Geh’, laß mich aus, Herr Förster, mit solchem G’spaß,“ sprach Hans-Anderl halb scherzhaft, halb moralisch entrüstet. „Da schauen’s einmal dös Fußg’stell an, wie mühsam ich dahergeh’, da ist’s mit dem Wildern wohl vorbei. So – erschossen haben’s wieder Einen – g’schieht ihm recht, dem Spitzbuben.“

Damit verband er ein ehrfurchtsvolles Compliment und ging seiner Wege. „Das Holz bring’ ich schon morgen,“ rief er durch’s Fenster nach. „Wenn auch Einer hin ist,“ sprach der Förster, „ich bin froh, daß es nur der nicht ist. Aber sehen kann man’s wieder, wie leicht man einem Menschen Unrecht thut. Der alte Krüppel da und Wildern!“ –

[829]

Des Försters letzte Heimkehr. Nach dem Oelgemälde von F. Defregger[WS 1]in München.

[830] Solche Fälle machen es begreiflich, daß sich das oberbairische Volkslied mit seiner stark humoristischen Tendenz ganz besonders in diesen Stoffen entwickelt hat. Es liegt das Rührende und das Muthwillige nirgends so nah beisammen, als in dem, was einem Wildschützen passiren kann, und darum haben wir Lieder von fein elegischer Tonart bis zur tollsten Satire.

Und bal i amal stirb,
Brauch i Weihbrunn koan (kein Weihwasser),
Denn mein Grab dös wird naß
Von mein’ Dirndl sein Woan’ (Weinen).

In den anderen sprudelt ein Uebermuth, der manchmal beinahe genial, eine Schelmerei, die manchmal unsäglich komisch ist. So handelt eines dieser Trutzlieder von einer Haussuchung, die bei einem Verdächtigen nach dessen Gewehr gehalten wird. Auf drastische Weise ist es beschrieben, wie die Jäger kommen, wie sie schnüffeln und Alles durchstöbern, den Strohsack aufschneiden und die Bettlade umkehren. Nach beendigter erfolgloser Suche servirt ihnen der Verfolgte einen Teller mit Sauerkraut, davon er ein frisches Faß im Hause hat und das ihnen vortrefflich mundet. Am Boden des Fasses aber war der sorgsam zerlegte Stutzen verborgen.

Und nur in’s Sauerkraut
Da habn’s nit einig’schaut,
Das Kraut habn’s abig’fressen
Und d’ Bix ham’s ganz vergessen.

So lustig geht’s freilich nicht immer aus. In der Gegend des Isarthals hauste vor einiger Zeit ein Forstwart, welcher weit und breit gefürchtet ward. Sieben Schuh war er hoch, funkelnde Augen, offene Brust und ein grauer grimmiger Schnurrbart! Wenn er so dahinschritt im Walde, sah er aus wie der leibhaftige Nimrod. Neun Menschen hatte er schon erschossen und fast jährlich kam ein neuer dazu; man hatte ihm Rache geschworen und Briefe gelegt, daß sie ihn lebendig in seinem Haus verbrennen wollten, aber der Alte kannte keine Furcht. Bei Nacht und Nebel stieg er in den Bergen herum, mit der Kugel im Laufe und seinen Buben zur Seite, der ihm nachlief wie ein gieriger Jagdhund. Auch auf den Buben hatten sie geschossen – aber der Alte kannte keine Furcht; am Ende ist er kugelfest.

Eines Tages, da er allein umherschweifte, trat ihm eine Rotte von sieben oder acht vermummten Gestalten in den Weg, und diese fingen den alten Nimrod lebendig. Dann warfen sie ihn zu Boden und knebelten ihn, und nachdem sie ihn gräulich gelästert hatten, ward er an einen Baum gebunden, um dort zu verhungern. Drei Tage und Nächte stand er also da, mit weitgespannten Armen; er sah, wie der Mond heraufstieg, wie der Hirsch durch’s Dickicht brach und erschreckt an ihm vorübersauste, wie der Morgen und der Abend graute. Am dritten Abend kamen sie wieder, und weil er noch lebte, so sollte ihm das Leben geschenkt sein. Sie banden ihn los und bildeten Spalier, durch das er Spießruthen laufen mußte. Hoffentlich gaben ihm die Kolbenstöße einen Denkzettel, aber wenn’s noch nicht genug ist, dann fliegt beim Nächsten, den er todtschießt, der rothe Hahn auf’s Dach.

Vierzehn Tage später erschoß er den Nächsten – doch eh’ noch der Hahn kam, kam die Ordre, die ihn versetzte. Er ward hinausgesetzt weit weg auf’s flache Land, und als er fortzog aus den Bergen, weinte er wie ein Kind. Das ist die echte wilde Gebirgsnatur – so grausam und zugleich so weich.

Im Laufe des vergangenen Sommers ward ich zu mehreren Sectionen beigezogen, die an erschossenen Wilderern gemacht wurden. Der eine war gar ein frischer lustiger Gesell gewesen, hellbraun, hoch gewachsen, kaum neunzehn Jahre. Er arbeitete über Tag in einer Sägemühle, bei Nacht aber, wenn die Räder stille standen, trieb es ihn hinaus in’s Weite. Allenthalben war er beliebt, weil er so wunderschön Cither schlug und sang – wenn er Abends vor der Mühle saß, wenn die Bursche und Mädchen dort zum Haingart zusammen kamen.

Zwei Tage vorher hatte ich ihn noch jodeln hören; es war ein peinliches Gefühl, als ich nun hineintrat in die Todtenkammer, wo er in seinen gewohnten Kleidern auf dem Schragen lag. Schon die kräftigen Schuhe, die kurzen Hosen und die flotte Joppe hatten etwas Befremdendes; man kann sich diese bewegliche malerische Tracht gar nicht an einem Todten denken. Die Kugel war ihm vom Rücken in’s Herz gedrungen, und wie er so da lag – die prächtige Gestalt – da fiel mir unwillkürlich Siegfried im Wald und auf der Bahre ein.

Man begann ihn auszukleiden, die Taschen wurden untersucht – und ein Zufall, den ich nie vergessen werde, ist mir da begegnet. Als wir nämlich in die Brusttasche griffen, fand sich ein Stück Papier, auf dem mit Bleistift einige frische Zeilen standen. Es waren die ersten Verse eines Wildschützenliedes, das der arme Schelm beim frühen Morgenlicht sich aufgeschrieben:

Und sollt ich heut’ noch müssen
Im Wald mein Leben büßen,
Ich bleib’ halt doch getreu
Bei meiner Wilderei.

Einmal trifft’s uns ja Alle …

Hier brachen die Verse ab; ehe er den letzten dazu gesetzt, war der erste in Erfüllung gegangen. Ich habe das Blatt zu mir genommen und bewahre es noch heute als ein charakteristisches Andenken.

Mehr gräßlich, als schön, sah ein Anderer aus, den die Grenzjäger zwischen Kreuth und Achenthal getödtet hatten, denn der lag noch in der ganzen Vermummung auf dem Todtenbett, mit falschem Bart und rußigem Gesicht, die Faust auf der Brust geballt. Niemand kannte ihn, aber einzelne Spuren, die man bei ihm fand, wiesen darauf hin, daß er von Lenggries daheim war. Sofort wurden ein paar Bauern, die aus der dortigen Gegend gerade anwesend waren, als Identitätszeugen berufen. Neugierig, mit einem rohen Schauder traten die rauhen Sachverständigen heran an den Todten. Man nahm ihm den schwarzen Bart weg, man wusch ihm das Gesicht – und nun lag er da, wie er leibt und lebt.

„Das ist der Sepp von Lenggries,“ sprach der Eine, „der war vierzehn Jahr lang mein Nachbar.“

„Ja, der ist’s,“ sprach der Andere halblaut, und dann eilten Beide zur Thüre hinaus, als ob sie fürchteten, zum Verräther des Todten geworden zu sein.

Uns aber blieb eine schreckliche Arbeit; es war mitten im Juli und der Leichnam schon ein wenig in Verwesung; er hatte die Augen offen und starrte uns so gequält entgegen, als wir Messer und Meißel anlegten. Mitten im Herzen fand sich ein Stück gehacktes Blei; der Tod mußte ihn wie ein Blitz getroffen haben. In später Nachmittagsstunde kam ein unheimlicher Zug von zehn oder zwölf Gesellen über die Berge herüber und meldeten sich beim Amte. Ihre Worte hatten so etwas bang Verlegenes, ihre Haltung so etwas Drohendes und Forderndes; es waren die Freunde des Gefallenen, die sich dessen Leiche ausbaten, um sie daheim zu begraben. Man gewährte es ihnen und in finsterer Nacht fuhren sie den zerstückelten Körper in einem wohlverpichten Sarge von dannen. Zu den beiden Seiten des Leiterwagens aber saßen sie als Ehrenwache; man hörte nicht, was sie zu einander flüsterten beim Rasseln der Räder, doch es klang wie Rachegedanken.

Lenggries ist jetzt das eigentliche Centrum des Wildschützenwesens, der Menschenschlag ist dort rauher, die geographische Lage günstiger, als irgendwo. Außerdem ist die Isar, die aus dem Karwendelgebirge hier vorüberströmt, jederzeit bereit, die diebischen Gemsbraten und Rehschlegel nach München zu spediren.

So haben’s die Alten nicht getrieben, und deshalb beklagen sie auch hier (wie beim Haberfeldtreiben), „daß die Wilderei in Verfall gerathen sei“. Die jungen Spitzbuben sind zu sehr vom Geist der Neuzeit angesteckt, von dem Annexionsgenie der Gegenwart. Früher hat Einer jahrelang gespart, um sich endlich einen Stutzen zu verdienen; jetzt stehlen sie schon das Gewehr und dann den Gemsbock, und dann den Schubkarren, auf dem sie ihn weiterführen. Sie sind auch grausamer geworden gegen Wald und Wild. Früher wußte man manchen rührenden Zug zu berichten, daß die verwundete Hirschkuh oder das verwaiste Rehkalb beim Wildschützen Zuflucht vor dem Jäger fand; jetzt schießen sie das Kalb und die Mutter über den Haufen. So sagen die Alten, und sie haben nicht ganz Unrecht. Der Wilderer, welcher aus Leidenschaft jagt, schont die Jagd, weil er sie liebt und für sein Recht hält; der Wilddieb, welcher sein Unrecht übt, verwüstet, was er nicht stehlen kann. Wenn’s nicht gar so abgenützt klänge, könnte man wohl sagen, daß auch hier die Romantik zum Teufel gegangen ist. Es ist nun einmal ihr Schicksal in unserem Jahrhundert. Oder kann man es noch romantisch nennen, wenn solche Aasjäger aus Wuth, daß sie keinen Gemsbock gefunden, den [831] nächsten besten Geisbock erschießen, der da vergnügt wie ein Pascha mit gekreuzten Beinen in seinem meckernden Harem sitzt?

Man meint bisweilen, so einfache und primitive Verhältnisse, wie die der Bauern, hätten keine Mysterien; und doch zeigt sich das mysteriöse, das geheim verwegene, das vehmartig vermummte Treiben, das unter der einfältigen Oberfläche im ländlichen Leben regiert, ganz eclatant beim Wildschützenunwesen. Der Rächer erscheint wie aus dem Boden gestiegen, der Verbrecher verschwindet wie in den Boden versunken; Jeder weiß im Geheimen Alles und öffentlich wissen Alle nichts – es besteht ein tyrannisches Zusammenhalten.

Ich erinnere mich noch heute an eine Scene im Wirthshaus von Kreuth. Es war ein Herbstabend, der Mond war voll, Grenzjäger und Forstleute saßen am Tische, der dicht beim Fenster stand. Auf einmal – ein Blitz, ein Knall, die Scheibe splittert, eine Kugel fliegt zwischen den Köpfen Zweier, die keine Handbreit auseinander waren, in die Decke. Der Eine fuhr sich gemüthlich mit der Hand über’s Ohr, wie’s etwa der Tiras mit den Pfoten thut, wenn er besorgt um seine Ohren ist, die Andern stürzten hinaus in’s Freie. Es waren nicht sechs Schritte bis dorthin, und doch war weit und breit keine Spur zu sehen. Lautlos und mondhell war die Nacht, Alles wurde durchsucht und Alles war umsonst! – Hier war das Werk der Rache mißlungen; aber oft genug ereignen sich Fälle, wie der, welcher unserem Künstler vor Augen gestanden, wo die Kugel des Wilderers nur zu gut getroffen hat und das Opfer der Rache den Seinen in solchem Zustande heimgebracht wird.

Was die gerichtliche Verfolgung solcher Fälle angeht, so liefert auch diese nur selten ein volles Ergebniß. Häufig leibt der Thäter zweifelhaft; häufig weiß er sich in jenen Fällen, die tödtlich ausgehen, mit Nothwehr zu rechtfertigen.

Nur eine veränderte Anschauung kann diese Verhältnisse bessern; die Meinungen, nicht die Gesetze (wie Manche glauben) müssen sich ändern.

Carl Stieler.


Blätter und Blüthen.


Deutsche Christbäume im Ausland. Es ist eine nicht wegzuleugnende Thatsache, daß, wer einmal als Kind unter einem Christbaume gestanden, denselben nie im Leben wieder vergißt und ihn mitnimmt, wohin ihn auch sein späteres Schicksal wirft.

Mein Schicksal ist es gewesen, daß ich Weihnachten in den verschiedensten Ländern der Erde zubrachte, und ordentlich rührend war es zu sehen, wie hartnäckig die Deutschen aller Orten an der alten lieben Sitte fest hielten und diese, während ihre Erinnerungen wie in einer Art von Heimweh an dem alten Vaterland hafteten, gleichsam über die Erde säeten.

In England hat der Christbaum schon durch die halb deutsche Königin feste Wurzel geschlagen und ist nicht mehr auszurotten. Langsam, aber sicher streut er, von London aus, seinen Samen durch das ganze britische Reich, und die Zeit wird kommen, wo sich ein englisches Kind ebensowenig ein Weihnachtsfest ohne Baum denken kann, wie ein deutsches.

Und Amerika? – wohin ich hörte, wurde nur, wenn von Weihnachten die Rede war, von einem Baum gesprochen, und in Venezuela sagte mir ein echter Yankee, als die Rede auf Weihnachten in den Vereinigten Staaten kam und ich ihn frug, ob er auch den Christbaum kenne: „Nun, wir werden doch das Christfest nicht ohne Tanne verbringen sollen?“

Größere Hindernisse haben südlichere Völker zu bewältigen, da unsere Nadelholzbäume unter den Tropen nicht so recht gedeihen, aber sie wissen es doch auch in vielen Fällen möglich zu machen, und wo sie durch benachbarte hohe Gebirge begünstigt sind, pflanzen sie jetzt sogar die Christbäume an.

Als ich noch, vor mehr als zwanzig Jahren, in Louisiana war, hatten wir große Noth um einen Christbaum, denn weder Fichten noch Tannen gab es in der Nachbarschaft, nur einzelne Kiefern standen dort in dem niedrigen Land, und ein Kieferwipfel mußte deshalb zu einem Christbaum ausgeschnitten werden. – Aber auch Lichter fehlten, um ihn zu erleuchten, und ich erinnere mich noch recht gut, welche Mühe ich hatte, um sie herzustellen, aber ein Weihnachten ohne sie war nicht denkbar – und es ging. Es wurden kurze Schilfstücken (das dortige sogenannte cane) in gleiche Längen geschnitten, dann ein Docht hineingezogen, und das Ganze dann mit dem gelben Wachs wilder Bienen ausgegossen. Allerdings konnte man die Form nicht wieder entfernen, aber das schadete auch Nichts; das Material war werthlos, und mit einem scharfen Messer gelang es leicht das Schilf oder Rohr in seinen Streifen von den also gegossenen Wachslichten abzuschälen und diese dadurch vollkommen herzustellen.

Ebenso fehlte es an einem Conditor in Pointe Coupée, um den Baum zu füllen, aber auch das wurde überwunden. Die Hausfrau buk dünne Kuchen, diese schnitten wir in alle mögliche Formen und hatten die Genugthuung, an dem heiligen Abend die Kinder den aufgeputzten und mit Lichtern besteckten Baum unter lautem Jubel umspringen zu sehen.

Ich habe trübere Weihnachten verlebt!

Drei Christtage hintereinander lag ich in den wilden Wäldern von Missouri und Arkansas, einsam bei meinem Lagerfeuer, aber stets suchte ich mir dann einen Nadelholzbaum, unter dem ich mein Feuer entzündete, und wenn es auch in der einen Nacht vom Himmel herunterschüttete wie mit Mulden, wenn auch in einer anderen Schnee den Grund deckte und die kleinen Eiszacken wie Zuckerwerk von den Zweigen niederhingen und in dem Gluthenschein meines Feuers blitzten und funkelten, im Geist war ich doch daheim bei den Lieben, und ich hätte die Nacht nicht um das wärmste trockenste Lager missen mögen.

Ein Weihnachten verbrachte ich in Batavia. – Aber auch dort wissen sich die Deutschen – und mit ihnen schon manche holländische Familien – zu helfen. Ein Weihnachtsbaum muß geschafft werden, ob der nun aus Taxus oder einem anderen ähnlichen Stamm hergestellt wird. Die Zweige sind störrisch, aber man stützt sie mit Bambusstäben, daß sie die Lichter tragen, und Abends funkeln sie doch selige Erinnerungen in die Herzen der Eltern und Jubel in die der Kinder hinein.

In Lima verbrachte ich eine andere Weihnacht. Trostloses Land, in dem kein Regen fällt, kein Baum gedeiht – dort gab es keine Bäume, auch fast keine deutschen Familien, und die einzige Erinnerung war Sonneberger und Nürnberger Spielzeug, das auf der Plaza von Lima von Indianern und Mulatten feilgehalten wurde, während ringsumher angezündete Lichter den Baum ersetzen mußten.

Ein Weihnachten verbrachte ich in der Südsee auf einem Walfischfänger – trauriger heiliger Abend! Wir trieben mit halbgerefften Segeln draußen auf dem Ocean umher – es gab keinen Baum und keine Lichter. Nur eine trübe Oellampe brannte in der Cajüte und dort wurde ein steifer – vorn in dem Vorcastle bei den Matrosen ein schwacher Grog gebraut, das war der ganze Weihnachtsjubel. Die einzigen Bäume, die wir dort hatten, waren die Mastbäume, und Alles, was daran hing, der Ausguck, der sich den ganzen Tag umsehen mußte, ob er keine „Fische“ erspähen könne.

Besser war es in Mexico, wo ich das letzte Weihnachten verbrachte, und zwar in der Hauptstadt des Landes.

Der dortige Christmarkt versetzt uns im Nu in die Heimath. Man kann es sich kaum denken, daß man sich unter den Tropen befindet, denn ein solcher Wald von Fichtenbäumen ragt überall empor, und zahlreiche Buden mit Zuckerwerk wie die tausend verschiedenen kleinen, oft sehr originellen Spielsachen werden überall in Buden feilgeboten.

Die Hochebenen von Mexico sind aber auch unseren Nadelhölzern besonders günstig und sie gedeihen mit außerordentlicher Ueppigkeit. Ich habe wirklich in meinem Leben keine schöneren und regelmäßiger gewachsenen Fichten gesehen wie gerade in Mexico, und wie prachtvoll werden sie dort von den Deutschen aufgeputzt! Auch das kann ihnen Nichts von ihrem Reiz nehmen, daß statt vergoldeter Aepfel vergoldete Bananen und Granatäpfel daran hängen, die Kinder jauchzen ihnen mit ebensolcher Lust entgegen und in den Eltern lebt die eigene Jugend wieder auf.

Und was für ein Drängen und Treiben auf dem Christmarkt dort! Aber die katholischen Christen jener fremden Welt haben ja einen fast ähnlichen Gebrauch wie unseren Christbaum, das sogenannte nacimiento oder Geburtsfest des Heilandes, wo sie eine ihrer Stubenecken mit grünen Zweigen und Moos schmücken, mit Lichtern bestecken und mit kleinen Figuren und Gruppen aus der biblischen Geschichte füllen. Von dem Nacimiento bis zu unserem Christbaum ist aber nur ein Schritt, und da sich auch viele Deutsche mit mexicanischen Familien verheirathet haben, so rückt unser alter lieber Christbaum mit fliegenden Fahnen in das den Fremden sonst eben nicht besonders freundliche Land ein und unterwirft sich die Staaten, einen nach dem andern.

Nur in dem durch die Natur eben so begünstigten Venezuela fehlt es noch sowohl an Fichten wie Tannen, und doch bieten die mächtigen, von fünf- bis siebentausend Fuß hohen Berge die herrlichste Gelegenheit sie anzupflanzen. Dürftige Kiefern keimen da wohl, aber noch haben es die Deutschen dort zu keinem wirklichen Christbaum gebracht – was aber auch hoffentlich nicht mehr lange dauern soll.

Aus dem alten Thüringer Wald habe ich mir guten Samen zu Fichten und Tannen verschrieben, und wenn diese Zeilen in der Gartenlaube stehen, schwimmt er schon seinem Ziel, dem fernen Süden, entgegen. Dort werden ihn sorgende deutsche Hände pflegen, und in wenigen Jahren sollen die deutschen Kinder in Venezuela eben so freudig den lieben Baum umtanzen, wie daheim bei uns im alten Vaterland.

Es giebt nichts Schöneres auf der weiten Welt als unser heimisches Weihnachtsfest, weil es eben so ganz den Kindern gehört und die Eltern dabei, in ihnen, wieder ihrer eigenen Jugendzeit gedenken. Selbst alte Junggesellen flüchten sich an dem Abend unter die Zweige des lieben Baumes – Reue im Herzen über ein verlorenes und verfehltes Leben. Daß er deshalb fortgrüne und blühe, das echte Symbol deutscher Gemüthlichkeit und ein Civilisator, der Segen und Freude bringt, wo es ihm gelang seine Aeste auszubreiten!

Fr. Gerstäcker.


Die Sprungfeder-Matratze. (Ein Capitel über das Schlafen.) Es ist eine angenehme Sache, sich in heißer Sommernacht auf eine Sprungfeder-Matratze zu werfen, denn es giebt kein kühleres Lager, als eine solche ohne Bedeckung mit anderen Betten. Aber eben diese Kühlung sollte uns aufmerksam machen, daß ein solches Lager den größten Theil des Jahres ohne Auflage von Betten oder gewöhnlichen Matratzen zu kalt für den menschlichen Körper ist. Schreiber dieses hat schlimme Erfahrungen gemacht und will sie mittheilen, um Andere aufmerksam zu machen, welche vielleicht dasselbe erfahren haben, aber die Ursache nicht erkannten.

Mit guten dicken Roßhaarmatratzen versehen, hatte die Familie diese [832] nach und nach hartgelegen, – Gott lob! Jahre lang ohne Krankheit. Nun wurde der Sattler gerufen, die Matratzen zu lockern. Er fand sie so schwer und haarreich, daß er meinte, mit Zuthat von etwas Werrig etc. könne man recht gut zwei Sprungfedermatratzen aus einer dichten Matratze machen. Das ließ sich hören und wurde ausgeführt, denn die Matratzen waren nicht in dem Verhältniß wie die Familie gewachsen und eine Vermehrung erwünscht. Das war um die Zeit, wo die Frösche quaken und der Hollunder blüht, und das neue Lager wurde herrlich befunden. Als der Winter kam, noch ehe es kalt wurde, machte ich als Belieger einer Federmatratze die unangenehme Erfahrung, daß ich – sonst so zu sagen im Hinlegen einschlafend, nicht einschlafen konnte und im Bett nicht warm wurde. So ging es lange fort, und ich machte mich schon mit dem traurigen Gedanken vertraut, daß plötzlich ein vorzeitiges Alter mit Wärmeabnahme bei mir eingetreten sei, als ich die Bemerkung machte, daß nur die untere, d. h. die beim Schlafen aufliegende Hälfte des Körpers kalt war. Jetzt wurde die Matratze untersucht und gefunden, daß auf den Federn nur eine dünne, lockere Schicht Haare liege, die ganze dicke Matratze, wie man ganz offen sehen konnte und wie es bei allen derartigen Polstern der Fall ist, ein hohler Raum sei. Jetzt wurde das Lager durch eine aufgelegte dichte Matratze warm gemacht, und sogleich stellte sich die Körperwärme, welche zum Einschlafen nöthig ist, wieder her. Aber eine Erkältung hatte ich weg, die ich Monate lang nicht los wurde. Sie hätte auch zu schwerer Krankheit führen können.

Wie vielen Personen mag es ähnlich gegangen sein, ohne daß sie den Grund entdeckten! Wie Mancher mag sich in Gasthäusern auf der Reise in solchen Betten erkältet haben! Manch’ junges Ehepaar hat nur solche Matratzen zur Ausstattung, und leidet unbewußt Schaden an der Gesundheit. Manches „Besuchsbett“ ist eine solche luftige Matratze, und der Gastfreund denkt nicht daran, daß er den lieben Besuch damit Zeitlebens krank machen kann. Ich wiederhole daher nochmals: Sprungfedermatratzen sind zweckmäßig und angenehm im Sommer ohne andere Auflage, im Winter aber nur bei Auflegung von dichten Matratzen oder Federbetten zu gebrauchen. Wer beides nicht haben kann, lege sich lieber auf Stroh, als auf eine solche verführerische Gesundheitsräuberin. Ja, wo der Fußboden kalt ist, da ist nicht einmal ein dünnes Federbett oder eine schwache Matratze warm genug, um die für den Körper nöthige Wärme zu erhalten, denn die hohle Matratze läßt alle Bettwärme nach unten entweichen. Man fühle nur einmal beim Aufstehen in das Stroh des Bettes, wie durchwärmt es ist. Alle diese Wärme geht bei der Federmatratze verloren. Eine feste Unterlage oder gar Stroh kann man bei diesen Matratzen nicht anbringen, denn sonst verrosten die Federn und vermodern die Bindfaden, mit denen sie befestigt sind.

Also nochmals: lieber schlafe man auf einer harten Strohmatratze, Jahr aus, Jahr ein, als blos auf einer Stahlfedermatratze. J.     




Ein literarischer Doppelgänger. Wie mir von Freunden in Nordamerika, besonders in Newyork und Umgegend, mitgetheilt wird, werden seit einiger Zeit von einem angeblichen deutschen Schriftsteller, der sich Dr. Damm nennt, in verschiedenen dortigen deutschen Zeitungen Gedichte veröffentlicht, und zwar als sein Eigenthum und mit seiner Namensunterschrift, welche, abgesehen von dem durch ihn veränderten Titel, sich buchstäblich gleichlautend in den seit Jahren von mir unter meinem Namen herausgegebenen Sammlungen meiner Gedichte befinden. Um Aufklärung dieser seltsamen Uebereinstimmung ersucht, ist Herr Dr. Damm, nach verschiedenen anderen unwesentlichen Ausflüchten, schließlich mit der Behauptung hervorgetreten, die fraglichen Gedichte seien allerdings sein Eigenthum und von ihm bereits im Jahre 1860 in dem damals und später von mir herausgegebenen „Deutschen Museum“ unter dem Pseudonym „Paul Erhard“ veröffentlicht worden; darüber, wie eben dieselben Gedichte in die mit meinem Namen versehenen Sammlungen gekommen und ob dies mit oder ohne mein Wissen geschehen, behauptet der angebliche Herr Dr. Damm keine Auskunft geben zu können. – Dieser Aussage gegenüber beschränke ich mich auf die einfache Erklärung, daß die verschiedenen Sammlungen meiner Gedichte selbstverständlich keine anderen enthalten, als die ich selbst geschrieben, und daß namentlich diejenigen Gedichte, welche im Jahre 1860 sowie überhaupt zu irgend einer Zeit im „Deutschen Museum“ unter dem Namen „Paul Erhard“ erschienen, ebenfalls mein ausschließliches und selbstständiges Eigenthum sind; – womit dann der Beurtheilung der Leser überlassen bleibt, was sie von dem Verfahren des Herrn Dr. Damm halten wollen. Robert Prutz.     




Kleiner Briefkasten.

Herrn Götz in Lublin. Die von Ihnen eingesendete filz- oder papierähnliche Substanz, welche auf den Wiesen von Horodlo bei Lublin, in einem Raum von 250 Morgen, nach einer Ueberschwemmung des Bug-Flusses zurückgeblieben war, ist eine Süßwasseralge, Cladophora viadrina, welche (wie der Beiname zeigt) den Weichselländern eigenthümlich ist. Man nennt die eingetrocknete Masse Meteorpapier. Ein solches findet sich auch anderwärts häufig in Gräben und an Flußufern, besonders in Polen (aber auch in Arabien, im Kafferlande u. s. w.) und besteht allemal aus eingetrockneten Süßwasseralgen (Conferven). – Auf Ihre Anfrage, ob diese Substanz nicht industriell zu verwerthen sei, ist zu erwidern, daß sie recht wohl zum Wattiren von Steppdecken, Röcken und dergleichen verwendet werden könnte. Um sie aber zum Handelsartikel zu machen, müßte Ihr Lieferant, der Strom, sich verpflichten, jährlich bestimmte Mengen davon zu liefern. Dr. Richter, Dresden.     

E. Fr. Wir bitten über Ihre Erzählung zu verfügen. Sie ist nicht ohne eine gewisse Poesie, überhaupt warm empfunden, in der Form aber noch zu sehr den Neuling in der literarischen Composition verrathend.

An E. H. Will sich uns E. H., der Verfasser der sehr warm geschriebenen Schattenbilder, nicht nennen?

L. D. in Berlin. Das ist ein Irthum. In dieser Vollständigkeit ist die Schulze-Delitzsch’sche Stiftungs-Erklärung nur in der Gartenlaube veröffentlicht.

„Dem Unbekannten“ ist „das Eingesandte“ zur Verfügung gestellt.



Inhalt: Lorenz und Lore. Novelle von Paul Heyse. (Schluß.) – Die liebe lustige Zeit in Stützerbach. Mit Abbildung. – Der Eislauf. Von Max Wirth in Bern. (Schluß.) Mit Abbildungen. – Karoline von Günderode. Eine Erinnerung. Von Max Ring. – Die Wildschützen im bairischen Gebirge. Von Carl Stieler. Mit Abbildung. – Blätter und Blüthen: Deutsche Christbäume im Ausland. Von Fr. Gerstäcker. – Die Sprungfeder-Matratze. – Ein literarischer Doppelgänger. Von Robert Prutz. – Kleiner Briefkasten.



Nicht zu übersehen!

Mit dieser Nummer schließt das vierte Quartal und der sechszehnte Jahrgang unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten ihre Bestellungen auf das erste Quartal des neuen (siebenzehnten) Jahrgangs schleunigst aufgeben zu wollen.




Wir beginnen den nächsten Jahrgang mit dem längsterwarteten Roman der Verfasserin von „Gold-Else“ und „Das Geheimniß der alten Mamsell“

Reichsgräfin Gisela
von
E. Marlitt

und lassen darauf eine zweite Erzählung von Karl Gutzkow „Durch Nacht zum Licht“ und sodann eine historische Novelle aus der Spessart’schen Bauernerhebung von L. Schücking: „Verlassen und Verloren“ folgen.

Außerdem liegen Beiträge vor von: R. Benedix, Beta, K. Blind, Bock, H. Bodenstedt, Brehm, Albert Fränkel, E. Geibel, Fr. Gerstäcker, G. Hammer, Paul Heyse, G. Hiltl, Fr. Hofmann, L. Kalisch, S. Kolisch, Laube, H. Lingg, J. C. Lobe, R. Löwenstein, A. Meißner, Melchior Meyr, Adolf und Karl Müller, Robert Prutz, Prof. Richter, Max Ring, Riotte, Arnold Ruge, Joh. Scherr, Herman Schmid, Schulze-Delitzsch, Ludwig Steub, Ludwig Storch, Albert Traeger, Temme, Otto Ule, Carl Vogt, Franz Wallner, M. M. von Weber, A. Wilbandt, Max Wirth, den Damen M. von Humbracht, E. Polko etc.


Um unsere Leser und Leserinnen durch eine kundige Hand einzuführen in die hervorragendsten Schöpfungen unserer Dichter und Schriftsteller werden wir von jetzt ab monatlich wiederkehrende Beleuchtungen der neuesten Literaturerscheinungen geben. Es ist uns gelungen, für diese ebenso schwere, als wichtige Aufgabe eine unserer bewährtesten Literaturgrößen zu gewinnen, und schon in einer der nächsten Nummern hoffen wir dem großen Kreis unserer Leser mit Nr. 1 der

Literaturbriefe an eine deutsche Frau
von
Karl Gutzkow

eine vielfach belehrende, anregende und interessante Lectüre zu bieten.

Leipzig, im December 1868. Redaction und Verlagshandlung.     


Geschmackvolle Decken zum Einbinden der Gartenlaube sind durch alle Buchhandlungen auch zum Jahrgang 1868 zu dem billigen Preise von 13 Sgr. zu beziehen. Die Verlagshandlung.     


Mit dieser Nummer zugleich werden Titel und Register des Jahrgangs 1868 ausgegeben.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. — Verlag von Ernst Keil in Leipzig. — Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Franz Defregger; Vorlage: Defregge