Die zehn Gebote (Hermann von Bezzel)/Schluß der Gebote II
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Gott dräuet zu strafen alle, die diese Gebote übertreten. Darum sollen wir uns fürchten vor seinem Zorn und nicht wider solche Gebote tun. Er verheißet aber Gnade und alles Gute allen, die solche Gebote halten. Darum sollen wir ihn auch lieben und vertrauen und gerne tun nach seinen Geboten.
Siehe, ich habe dir heute vorgelegt das Leben und das Gute, den Tod und das Böse. 5. Mos. 30, 15.
Gott dräuet zu strafen alle, die diese Gebote übertreten, so haben wir in unserer Jugend gelernt. Ob wir es in alten Tagen nicht verlernt haben, ist die Frage. Und damit wir uns darüber Rechenschaft geben können, möchte ich heute, wo wir die anfangs Oktober des vorigen Jahres begonnenen Betrachtungen beschließen wollen, an dich, Gemeinde des Herrn, zwei Fragen richten: die eine: was ist denn Sünde? die andere: was hält dich von der Sünde ab?
So preist man die Sünde, daß sie einen Menschen erst dazu mache, was er werden soll. Ihr seht denn wohl, daß man bei einer solchen Betrachtung der Sünde eine Erlösung nicht nur nicht braucht, sondern geradezu verwerfen muß. Und andre sagen: Sünden sind Mängel des Verstandes: lehre dein Kind das Bessere kennen und es wird das Bessere tun, denn jegliches Gute ist lehrbar, und was noch nicht gelernt ist, das ist noch nicht gelehrt. Darum unterweise die Kinder – so lesen wir jetzt – in allem Schönen und Guten; sage dem Kind, daß das unrecht und jenes schön ist, und es wird von selbst das eine meiden und das andere tun. Oder man sagt: was heißt Sünde? Sünde ist bloß der Schatten, der auf das einzelne Werk fällt. Dasselbe Werk, das jetzt im Dunkeln liegt, ist nach einer Stunde rein und klar: nicht du sündigst, sondern die Sonne Gottes schädigt dich, welche nicht immer in ihrem vollen Reichtum auf dein Werk fällt.
Ich habe euch nur einige Erklärungen der Sünde gesagt und euer Herz möchte sich allem zuneigen, wenn es nicht auf das Kreuz hinblicken und aus diesem Gedanken heraus| sagen müßte: was so ein Opfer gekostet hat, kann keine Kinderkrankheit, nichts Erlerntes und Erlernbares, nicht ein vorüberziehender Schatten, sondern muß eine Tatsache sein. Ein alter Vater, Melanchthon, sagt: Ein Wunder und Kranker erklärt nicht seine Wunden weg, um sie zu heilen, weiß auch, daß seine Wunden nicht bloß eine Verneinung der Gesundheit sind, sondern er weiß, daß seine Wunden schmerzen, und nennt den Schmerz Schaden und den Schaden nennt er Leid. Wenn dich deine Sünden schmerzen, helfen dir alle Erklärungen nichts und alle Beschönigungen genügen dir keinesfalls und deine Seele will wenigstens das hören, daß es positive Sünde sei. Und jetzt wirst du sagen: Sünde ist willentliche Trennung vom Lebensquell, Bevorzugung der Hölle vor der Heimat und der Heimatsferne vor dem Heimatsfrieden; Sünde ist ganz bewußte Abkehr von dem Gott des Lebens, der Gedanken des Friedens über uns hat, Sünde ist fortgesetzter Selbstmord des an sie gebundenen Menschen, bis dieser Mensch an der Verhinderung der täglichen Lebensnahrung verkümmert, hinsiecht und stirbt.Wenn du diese Frage also beantwortest, dann lasse mich die zweite an dich richten: Was hält dich von der Sünde ab? Und auf Grund der Erklärung Luthers nenne ich ein dreifaches: Knechtesfurcht, Kindesfurcht, Mannesfurcht.
Knechtesfurcht zuerst. Denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer. Du Mensch behütest deinen Leib vor Üppigkeit im Essen, Trinken und in der Kleidung, du hältst ihn auch von groben Sünden des Fleisches frei, weil man dir sagt und weil es deine Erfahrung dich lehrt, daß aus der Üppigkeit und Unreinheit böse Krankheiten, hartes Siechtum und ein schweres, einsames Alter folgt. Du wirst selbst sagen: das ist noch kein Grund reiner Art, das ist Knechtesfurcht. Weil du weißt, daß Gott die Sünden gegen den Leib mit furchtbarem Ernste heimsucht, Unreinheit der Jugend mit langsamem Ausdorren des Leibes bezahlt, darum nimmst du dich in Zucht und acht. Und du hältst deine Hand von fremdem Gut zurück, weil du weißt, es kommt doch an den Tag: dein guter Name geht dir verlustig, deine Ehre fällt dir dahin. Es ist nicht die Furcht vor dem treuen Gott, sondern die knechtische Furcht vor dem strengen Herrn, der alles an den Tag bringt. Du willst auch darum mit der Wahrheit es ernst nehmen; du willst darum auch den Feiertag in Ruhe verbringen, damit dein äußeres Leben nicht frühzeitig abgenützt werde. Ist das wirklich ein sittlicher Grund, um deswillen man die Sünde meidet? Im tiefsten Hintergrund steht die knechtische Furcht, daß der Herr eintreten und dich vernichten möchte. Und doch, besonders bei der Erziehung möchte ich diese knechtische Furcht nicht missen. Wollte Gott, unser Volk hätte mehr davon! Es ist nichts Reines, aber etwas Gutes; nichts Edles, aber etwas Sicheres:| nichts Hohes, aber doch etwas Ernstes. Wollte Gott, es würden die Sonntagsvergnügungen, diese nächtlichen Ausschweifungen in Schande und Sünde durch die Furcht vor dem heiligen Gott zurückgeschreckt, der hereinbricht und ganze Menschengeschlechter in den Staub legt. Wollte Gott, es würde die Scheu vor ihm auch die Furcht vor dem Raub des Besitzes des Nächsten erwecken. Wenn du in deiner Seele etwas von dem Wort des Psalmisten merkst: „Ich fürchte mich vor Dir, daß mir die Haut schaudert“, so darfst du deiner Seele oft sagen: es ist nicht recht so, und doch diese Furcht in dir wirken lassen. Siehe, wenn du heute über deine Mitschwester ein recht scharfes Wort sprichst, sollte dich wenigstens die Furcht zurückhalten: über ein Kleines steht der Richter vor der Türe und welches Gericht wird er dann über mich sprechen? Und wenn du in deinem Herzen bittere Gedanken hegst so schwer, daß sie dir das Bild deines Nächsten ganz verhüllen und verdunkeln, dann soll wenigstens die äußere Furcht dich besiegen. Aber freilich, Furcht richtet Zwang an und wer deswegen die Sünde meidet, weil er die Strafe fürchtet, der ist ein Knecht, ein Knecht, der den Willen seines Herrn tut mit Zittern und Angst, aber er tut ihn doch; ein Knecht, der sich’s wenigstens ernst sein läßt, seines Herrn Befehle auszuführen, der im Schweiße seines Angesichtes ein ehernes Joch trägt. Er ist mir doch lieber, als diese leichtlebigen Christenleute, die nach einem verträumten Leben unter das Kreuz sich flüchten. Ein Mensch, der es sich sauer werden läßt, der seinen ganzen Willen in eherne Schranken zwingt, der seinen Leib nach Gottes Gebot in Zucht hält und seinem Auge gebietet, ist kein großer Mensch, kein glücklicher Mensch, aber ein fleißiger Arbeiter und ein rechter Knecht. Und der Herr wird zu einem solchen Menschen zwar nicht sagen: du frommer und getreuer Knecht, aber doch: du armer Mensch, dir war das Leben schwer, aber nicht umsonst. Nein, ich gehe soweit,| zu sagen, wenn es einer in seinem ganzen Leben nicht weiter brächte, als zur Knechtesfurcht, so wäre er doch für andere etwas, ein Vorbild, wie man es ernst nimmt.Indes, woran kann ich es denn merken, daß ich in der männlichen Furcht stehe? Daran, daß alle meine Gedanken auf das Eine sich sammeln und richten, daß ich Jesum sehen möchte. Frage dich in dieser Abendstunde: ist dir’s gleichgültig, ob du ihn einmal sehen wirst? Ist dir’s ein Schrecken, daß du ihn einmal sehen mußt? Oder ist es deine höchste Freude mit dem Apostel zu sagen: „Welchen ihr nicht gesehen und doch lieb habt und nun an ihn glaubet, wiewohl ihr ihn nicht sehet, so werdet ihr euch freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude und das Ende eures Glaubens davon bringen, nämlich der Seelen Seligkeit.“ – Ich glaube, die meisten unserer sogenannten Christen werden sagen: eigentlich habe ich soviel Lehren von Christus gehört, daß ich kein Verlangen danach trage, ihn zu sehen; denn die meisten Menschen, auch Christen, denken nicht daran, daß nach diesem Leben noch eines kommt. Auch unsere sogenannten Kirchenleute haben es sich so zurechtgelegt, daß es nach diesem Leben entweder ganz aus ist, oder daß eine allgemeine Seligkeit anbricht. Ist dir’s ein Schrecken, daß du Christum siehst, den Christus, von dem das Lied sagt: ein König hoch und unerreichbar? Ist dir’s ein Schrecken, daß du Jesum siehst mit der Frage: ein Lebenlang war Ich bei dir und du kennest mich nicht? Oder ist es deine höchste Freude, daß endlich einmal die Nebel sinken und die Schatten weichen und die Nacht zerrinnt und am Morgen ist Jesus da? Du selbst magst dir Antwort geben, deiner Seele mußt du es sagen, damit sie beizeiten wisse, wie es steht. Und je mehr du begehrst, Jesum zu sehen, desto mehr erfährst du, was der Apostel sagt: Wer solche Hoffnung zu ihm hat, der reinigt sich, gleichwie Er rein ist.
In dem Leben eines Menschen, der Jesum sehen| möchte, wirkt ein doppeltes Feuer: das Feuer, das die Sünde verzehrt und das Feuer, das ihn selbst verzehrt. Gott entzünde dieses Feuer in eurer und in meiner Seele! Die Flamme verbrennt nicht, sondern läutert, reinigt und befreit zum ewigen Leben.
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