Ein Besuch in Goethe’s Wohnhaus zu Weimar
Ich hatte geraume Zeit vorher alle meine freie Zeit benützt, um Goethe’s Leben und Werke mit offenen freudigen Sinnen wieder einmal zu genießen und kam nun, voll dieses Hochgenusses, den Schauplatz eines so großen Meisterlebens und Wirkens mit verehrendem Auge zu sehen.
Es dunkelte schon stark, als ich Weimar erreichte; nichts destoweniger [213] ließ ich bis auf den Goetheplatz vorfahren, stieg hier aus und schickte den Wagen nach einem Gasthofe weiter.
Da stand ich denn vor dem langfrontigen, ziemlich vornehm aussehenden Hause, welches den großen Mann vom Jahre 1782 bis zu seinem Tode 1832 beherbergte! Freude und Wehmuth, Bilder seines Lebens und Gestalten seiner mannigfaltigen Werke erfüllten drängend meine Seele. Ich nahm es fast übel, daß die
ab und zu spazierenden Weimaraner kein Auge zu haben schienen für die denkwürdige Stelle, für die Tempelhalle eines so großen deutschen Dichterlebens.
Der Abend rückte indessen vor und ich beschloß, nach dem Gasthofe zu gehen und den nächsten Morgen (Freitag), an welchem das Goethe-Haus den Fremden geöffnet wird, ruhig abzuwarten.
Um aber wenigstens den anregendsten Weg zu gehen, nahm ich meine Richtung nach der Marienstraße zu und bog dann links nach der Ackerwand ein.
Hier kam ich an der Mauer von Goethe’s Hausgarten vorüber und konnte die Fenster des berühmt gewordenen Arbeitszimmers des Dichters sehen. Gern hätte ich auch einen Blick in den Garten selbst gethan, allein die Mauer ist ziemlich hoch und ich konnte trotzdem, daß ich auf einige Treppenstufen des gegenüber befindlichen
Hauses stieg, nur wenig von der innern Beschaffenheit des Gartens sehen.
Ich ging also weiter und begnügte mich mit dem Andenken an einige Scenen, welche von Verehrern und Freunden des großen Mannes der Nachwelt überliefert worden sind. In diesem Hausgarten war es auch, wo unter Anderm der getreue Eckermann einst mit dem 75-jährigen Goethe einen Baschkirenbogen zu Schießübungen benutzte. „Goethe stand da, wie der Apoll, mit unverwüstlicher innerer Jugend“ – ich dachte an die Verse:
„Läßt mich das Alter im Stich?
Bin ich wieder ein Kind?“
Eckermann schoß zuletzt und zwar in den Fensterladen von Goethe’s Arbeitszimmer; der Pfeil saß so tief im weichen Holze, daß es nicht gelang, ihn wieder herauszubringen. „Lassen Sie ihn stecken,“ sagte Goethe, „er soll mir einige Tage als eine Erinnerung an unsere Späße dienen.“ Dann gingen Beide im Garten auf und ab, sprachen über den Bogen des Odysseus, über die Helden des Homer, dann über die griechischen Tragiker und endlich über die vielverbreitete Meinung, daß das griechische Theater durch Euripides in Verfall gerathen.
Ich war am nächsten Morgen, wie sich denken läßt, nicht der Letzte, welcher die Stunden von neun bis zwölf Uhr benutzte, um das Innere des Goethe-Hauses zu sehen.
Mit einiger Verwunderung vermißte ich über dem Thore des Hauses jede an den großen Dichter erinnernde Ueberschrift und ich gestehe, daß es mir wohlgethan hätte, wenigstens „Goethe-Haus“ oder „Hier wohnte Goethe“ zu lesen.
Besser gefiel mir schon die untere Flur des Hauses. Hier sprechen verschiedene an der Treppe stehende Abgüsse antiker Statuen, wer des Hauses Gebieter einst gewesen. Der gute Eindruck wächst, wenn man, die Treppe hinaufschreitend, von Gypsabgüssen und anderen Kunstgegenständen umgeben bleibt, und im ersten Stocke über einem hellen Treppenraume an der Decke eine gemalte Aurora von Goethe’s vielgenanntem Freunde, H. Meyer, erblickt.
Ich blieb hier nicht lange allein der stille Beschauer; bald stellten sich Fremde und Heimische einzeln und in Gruppen ein, die nach den sehenswerthen Zimmern drängten. Links vom Treppenraume gelangt man zu einem Saale, der die Mitte des Hauses ihrer ganzen Länge nach einnimmt. Salve! heißt es über dessen Eingänge, der gegenwärtig knapp zugemessenen und erschwertes Zugänglichkeit der innern Hausräume ziemlich widersprechend.
An den Saal stoßen zu beiden Seiten mehrere Zimmer.
In denen rechter Hand befinden sich Goethe’s eingerahmte Handzeichnungen und Kupferstiche, wie überhaupt einzelne Abtheilungen in Anticaglien, Medaillen, Münzen, Majoliken, Autographen u. s. w.; linker Hand stößt an den Mittelsaal das Empfangs- und Gesellschaftszimmer, in welchem jetzt Goethe’s Kunstsammlungen ausgestellt sind.
Es bedarf wohl nur der Erwähnung, daß der Katalog der [214] zeichnenden Kunst allein vierthalbhundert Seiten enthält, um den bedeutenden Umfang der Goethe’schen Sammlungen anzudeuten; darum wird der Leser dieser wenigen Zeilen auch kein näheres Eingehen auf diese mannigfaltigen Schätze hier erwarten.
Goethe selbst gesteht seinem treuen Eckermann einmal, was ihn seine Studien, die er stets durch Ankauf bezüglicher Gegenstände der Kunst und Wissenschaft zu unterstützen suchte, bis in seine alten Tage gekostet haben. ,Eine halbe Million meines Privatvermögens ist durch meine Hände gegangen, um das zu lernen, was ich jetzt weiß; nicht allein das ganze Vermögen meines Vaters, sondern auch mein Gehalt und mein bedeutendes literarisches Einkommen seit mehr als fünfzig Jahren.“
Gewiß ist, daß es in Deutschland viele weit bedeutendere Kunstsammlungen giebt als diese, aber keine von diesem speciellen und charakteristischen Interesse. Denn man darf von vornherein nicht außer Acht lassen, daß Goethe Vieles gekauft hat, um daran zu lernen, und an mangelhaften Kunstgegenständen sich die Grade der Vollkommenheit eines wahren Kunstwerks recht anschaulich zu machen. Wer daher über manches Stück der Goethe’schen Sammlungen bedenklich werden wollte, muß die Worte beherzigen, welche Herr Sekretair Schuchardt seiner Beschreibung der Goethe’schen Sammlungen vorausschickt.
„Für Goethe,“ sagt er, „war der geistreiche Gedanke, die Art und Weise der Auffassung und Darstellung desselben die Hauptsache. Diesen zu erkennen, genügte ihm auch eine weniger gute Nachbildung, ein minder guter Nachdruck, ja selbst das Fragment eines bedeutenden Werkes. Goethe sammelte und sah das Gesammelte eben als Dichter, als schaffender Künstler.“
Ein Brief des Dichters an seinen sehr geschätzten Kunstgenossen Heinrich Meyer sagt dies noch deutlicher mit folgenden Worten:
„Zur wahren Erkenntniß braucht man eigentlich nur Trümmer. Diese guten, vortrefflichen, aber höchst beschädigten, diese schwachen, ausgedruckten, diese ungeschickt ausgestochenen, kopirten und in so manchem Sinne versehrten und zerfetzten Blätter haben gerade meine kritische Fähigkeit aufgeregt und mir in einsamen Stunden sehr große Freude gemacht. Wie sehr Recht haben Sie nicht, daß es zur wahren Kenntniß nur wenig bedürfe; wie sehr Recht hätten Sie nicht, wenn es nicht eines großen Umweges bedurfte, zu diesem Wenigen zu gelangen.“
Freilich dürfen wir nicht vergessen, daß dieses ein Mann geschrieben, dessen Kunstgeschmack durch unzählige bedächtige Anschauungen vollendeter Meisterwerke bereits sicher stand, der also bei Betrachtungen mangelhafter Stücke die ganze Zwischenstufe bis zu ihrer vollkommenen Ausführung leicht schöpferisch zu ergänzen verstand. War Goethe dann mit einem bedeutenden Gegenstände oder mit einer Kunstrichtung in’s Reine gekommen, so stellte er seine Gedanken in klarer Ordnung zusammen und überlieferte sie in fruchtbaren Aufsätzen denjenigen, welche solche Geistesresultate zu würdigen verstehen.
Mit Recht bemerkt Adolf Stahr in seinem Tagebuche: „Weimar und Jena,“ daß in diesen Sammlungen Goethe’s Studien, seine Werke und sein ganzes Leben den ergänzenden, erklärenden Kommentar erhalten. „Diese Reliquien verkommen, diese Sammlungen verzetteln lassen,“ fügt er dann hinzu, „wäre eine That der Barbarei, welche allein hinreichen würde, den letzten Rest des Nimbus zu zerstören, mit welchem das Volk von Denkern und Dichtern sich zu umgeben liebt.“
Hoffentlich wird es trotz des mißlungenen ersten Versuches doch nicht gelingen, Goethe’s Haus und Sammlungen so zum Eigenthum der deutschen Nation zu machen, wie Schiller’s Haus ein Eigenthum der Stadt Weimar ist; es würde dann auch der bittere Umstand wegfallen, daß Fremde, oft sehr weit hergekommene Reisende, entweder gar nicht oder unter erschwerenden Umständen und nur theilweise das Haus und die Sammlungen des großen Gelehrten und Dichters sehen können.
Wer Goethe’s Haus besucht, wird natürlich besonders nach speciellen Reliquien des großen Mannes Verlangen tragen, und mit Begierde nach dem Hefte suchen, welches die eigenhändigen Zeichnungen Goethe’s enthält.
Es ist ein Heft von zweiundzwanzig Stücken, die im Jahre 1810 während eines Aufenthaltes in Jena entstanden sind. Goethe hatte sich dahin begeben, um den zweiten Band seiner Farbenlehre abzuschließen, und wurde dort von dem Verlangen überfallen: „was von Zeichnungsfähigkeit in ihm läge, noch einmal zu versuchen.“
„Dies geschah nun auf diese Weise (erklärt er selbst), daß ich bei einsamen Spaziergängen mir gewisse Gegenstände so fest als möglich einprägte, und nachher zu Hause mit der Feder auf’s Papier fixirte, auch wohl an der Natur selbst Umrisse versuchte oder nach Erzählungen mir Gegenden vorbildete – – und so entstanden denn nachstehende zweiundzwanzig Blätter, die ich mit eben so wunderbarer Aufmerksamkeit aufzog, umrahmte und mehr oder weniger ausführte. Da mit dem August sich diese gewissermaßen angestrengte Neigung völlig verlor, auch von mir nachher derart wenig hervorgebracht wurde, und selbst, wenn ich es versuchen wollte, nicht gelang, so habe ich diese Zeichnungen sämmtlich zusammengehalten, keine fremde Hand, wie ich sonst bei Skizzen gern that, darin walten lassen, und so dieser eigenen Lebens- und Kunstepoche ein Denkmal zu erhalten gesucht; wie ich sie denn auch gegenwärtig in einem Bande gesammelt, um sie für ein Ganzes zu erklären, woraus Fähigkeit sowohl als Unfähigkeit beurtheilt werden könne.“ –
Doch wir kehren zu den denkwürdigen Räumlichkeiten des berühmten Dichterhauses zurück.
Den obenerwähnten Saal und die Zimmer mit den Kunstsammlungen haben wir erreicht, indem wir uns vom äußeren Treppenraume aus links wandten; rechts davon gelangt man in die besonderen Gelasse des Goethe’schen Bibliotheks-, Arbeits- und Schlafzimmern.
Die Anzahl von Büchern in dem Bibliothekszimmer ist ansehnlich; die Aufstellung derselben ganz übereinstimmend mit der Goethe eigenthümlichen schmucklosen Einfachheit. Von besonderem Interesse jedoch sind hier die gesammelten Briefe und Tagebuchhefte des Dichters und der mit Smaragden gezierte goldene Lorbeerkranz, welchen die Vaterstadt Frankfurt ihren, großen Sohne zum 79jährigen Geburtstag geschickt hat.
Denkwürdiger, wenn auch den Charakter der strengsten Einfachheit ebenfalls beibehaltend, ist das Goethe’sche Arbeitszimmer. Hier befindet sich an der Vorderseite zwischen zwei Fenstern ein unansehnlicher Spiegeltisch, darauf eine Uhr und ein Weinglas stehen. Ein eichener Tisch von länglich runder Form nimmt die Zimmermitte ein, davor steht ein einfacher Stuhl. Von den Fenstern rechts an der Wand befindet sich ein anderer Tisch von Birnbaumholz, er ist oben mit Randfächern versehen, in welchen Handbücher u. dergl. ausgestellt sind, der untere Theil des Tisches ist für die Aufnahme von großen Heften, Atlanten, eingerichtet. Ueber diesem Tische hängt ein Gypsmedaillon des von Goethe so sehr und oft bewunderten Napoleon’s I. mit der Umschrift: Scilicet immenso superest ex nomine multum. Nicht weit davon steht ein Behältniß mit Dichterwerken, welche Goethe als Geschenke verehrt worden sind. Da Goethe besonders in seinen spätern Jahren seine Arbeiten fast nur zu diktiren pflegte, wobei er mit über den Rücken gelegten Armen gewöhnlich auf und abging, so dürfte es nicht sonderlich wundern, wenn man einen für den alten Herrn gemäßen Schreibtisch in dem Arbeitszimmer ganz vermißte. Aber er hatte ja Briefe zu schreiben, seinen Namen zu unterfertigen und manche Notiz zu verzeichnen, daher denn auch links an der Wand ein langes Stehpult von weichem Holze angebracht ist, auf welchem Goethe das Nothwendigste eigenhändig schrieb. Hier steht auch jene kleine Napoleonsbüste aus Milchglas, welche, gegen das Licht gehalten, feurig in’s Bläuliche schimmert und von Goethe als für die Theorie seiner Farbenlehre brauchbar, besonders geschätzt war. Neben dem letztgenannten Stehpulte befindet sich eine Thüre, welche in das Schlafgemach des Dichters führt. An derselben ist ein Papierbogen mit Anmerkungen zur neuern Zeitgeschichte befestigt, dahinter Tabellen schematischer Begriffe zur Musik und Geologie.
Das Schlafgemach, oder besser, die Schlafkammer Goethe’s entspricht eben nur einem bescheidenen Sinne; es hat nur ein Fenster und Raum für ein schmuckloses Bett, vor welchem ein grüngepolsterter Lehnstuhl steht. – Ein Vorfall, der sich an dieses Zimmer knüpft, und den Goethe’s Diener eines Tages erzählte, hat immer einen seltsamen, fast dämonischen Eindruck auf mich gemacht; er stehe denn auch hier als eine der merkwürdigsten Erinnerungen aus dem Leben eines so wunderbaren Mannes.
„Einst – so erzählt der Diener – klingelte Goethe mitten in der Nacht, und als ich zu ihm in die Kammer trete, hat er sein eisernes Rollbette vom untersten Ende der Kammer herauf bis an’s Fenster gerollt und liegt und beobachtet den Himmel.
[215] „Hast Du nichts am Himmel gesehen?“ fragte er mich, und als ich dies verneinte, sagte er: „So lauf einmal nach der Wache und frage den Posten, ob er nichts gesehen.“
Ich lief hin, der Posten hatte aber nichts gesehen, welches ich meinem Herrn meldete, der noch eben so lag und den Himmel unverwandt beobachtete.
„Höre,“ sagte er dann zu mir, „wir sind in einem bedeutenden Moment, entweder wir haben in diesem Augenblicke ein Erdbeben oder wir bekommen eins.“
Und nun mußte ich mich zu ihm aufs Bett setzen, und er demonstrirte mir, aus welchen Merkmalen er das abnehme.
Am nächsten Tage erzählte mein Herr seine Beobachtungen bei Hofe, wobei eine Dame ihrer Nachbarin in’s Ohr flüsterte:
„Höre, Goethe schwärmt!“
Der Herzog aber und die übrigen Männer glaubten an Goethe, und es wies sich auch bald aus, daß er recht gesehen; denn nach einigen Wochen kam die Nachricht, daß in derselben Nacht ein Theil von Messina durch ein Erdbeben zerstört worden.
In diesem Schlafzimmer starb auch Goethe am 22. März 1832 im 83. Jahre seines reichen herrlichen Lebens.
Als ich das Goethe-Haus verließ, waren es weniger die eben gesehenen Gegenstände als die mancherlei Bilder aus Goethe’s Leben, welche mich beschäftigten. Die wundersame persönliche Erscheinung des Dichters, die Art und Weise seines Verkehrs mit Menschen fast jedes Standes und Faches, und überhaupt die unvergleichliche Menge seiner in diesem Hause entstandenen Schöpfungen und wissenschaftlichen Arbeiten sind auch wohl geeignet, unsere Vorstellungen ganz einzunehmen. Dreiunddreißig Jahre war der geniale Mann alt, da er das eben geschilderte Haus bezog, und im dreiundachtzigsten Jahre seines Lebens starb er darin. Rechnet man auch die vielen und andauernden Reisen nach Italien, in die Schweiz und in die verschiedenen Bäder, sowie die häufigen Aufenthalte in Jena, Ilmenau u. s. w. ab, so bleibt doch noch ein hübsches Menschenalter übrig, welches der große Dichter ständig in diesem Hause zugebracht hat. Und in welchen mannigfaltigen Gestalten, trotzdem er stets derselbe blieb, erschien er nicht im Laufe einer solchen Zeit! Anfangs noch manchmal vom Dämon seiner Jugend ergriffen, gewaltig dahinbrausend; nach und nach von Maß und Form beherrschte ruhig, gelassen, strenge und milde zugleich, aber selbst innerhalb dieser allgemeinen Umrisse seiner Erscheinung wieder oft und oft ein Anderer! Was geben nur die Tagebücher und Aufzeichnungen seiner Lieben und Vertrauten selbst in seinem hohen Alter noch für Metamorphosen seiner Erscheinung! Heute empfängt er z. B. seinen Eckermann im blauen Oberrocke und in Schuhen, eine erhabene Gestalt; das Gesicht ist kräftig und braun, voller Falten, in Allem zeigt sich Biederkeit und Festigkeit, Ruhe und Größe – Goethe spricht langsam und bequem, wie man sich einen bejahrten Monarchen denkt; – morgen ist er ganz ein Anderer, in allen Dingen rasch und entschieden wie ein Jüngling. Ein andermal ist großer Thee beim alten Herrn; alle Zimmer flammen von hellen Lichtern, und eine zahlreiche auserwählte Versammlung von Gästen bewegt sich durch die Räume: da erscheint er wieder – auf dem schwarzen Anzug der Stern, „welcher ihn so wohl kleidet“ und ist sehr heiter. Nun aber sitzt er gleich des andern Tages wieder als behäbiger Familienvater am Mittagstische, tranchirt Geflügel mit Geschick und schenkt dabei gelegentlich seinen Gästen ein. Man könnte sagen, daß Goethe’s äußere Erscheinung, so sehr sie im Ganzen dieselbe blieb, doch immer die vorwiegend charakteristische Farbe von dem Geiste erhielt, der ihn eben besonders beherrschte. Denn ich glaube nicht zu irren, daß der schöpferische Dichter in ihm das erste Wort führte, wenn er eines Abends sehr aufgeweckten Geistes gefunden wird, seine Augen im Widerschein des Lichten funkeln, sein ganzer Ausdruck Heiterkeit, Kraft und Jugend bezeugt; – daß ein andermal die schwer gebändigte Thatkraft eines Helden in ihm die Vorhand hat, wenn er von Napoleon I. mit Begeisterung spricht, und dröhnenden Schrittes hin und wieder schreitet; – daß er endlich gewiß vorwiegend den trockenen mathematischen Gesetzen der Natur nachsinnt, wenn er dasitzt: ruhig, klar, gemessen, alle Dinge, die zur Sprache kommen, mit den wenigsten und besten Worten scharf bezeichnend. Selbst sein Herz hat noch in seinem hohen Alter ein gewisses Recht auf seine äußere Erscheinung, und so wird er eines Abends an seinem Arbeitstische gefunden „in wunderbar sanfter Stimmung, wie Einer, der von himmlischem Frieden ganz erfüllt ist, oder wie Einer, der an ein süßes Glück denkt;“ – freilich, hatte er doch kurz zuvor sein liebliches Abenteuer im böhmischen Bade erlebt, in dessen Folge sein neuestes liebstes Gedicht: „Elegie von Marienbad,“ erstanden war.