Eisenbahnen, Straßen- und Luftverkehr, Post und Telegraph (1914)

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Autor: Heinrich von Frauendorfer und Karl von Völcker
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Titel: Eisenbahnen, Straßen- und Luftverkehr, Post und Telegraph
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aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band, Siebentes Buch, S. 3–50
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
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Erscheinungsort: Berlin
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[875]
Eisenbahnen, Straßen- und Luftverkehr, Post und Telegraph
Von Staatsminister a. D. von Frauendorfer, München
u. Ministerialrat v. Völcker, München


Der Weltverkehr.

In den letzten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts hat sich, nicht gekennzeichnet durch bestimmte geschichtliche Ereignisse, aber in ihren Wirkungen deutlich wahrnehmbar, eine wichtige Wandlung in der wirtschaftlichen Verkettung der Völker durch den Weltverkehr vollzogen.

Wohl gab es einen Weltverkehr, seitdem die neue Welt entdeckt war. Aber der Weltverkehr hat die Rohstoffe und Lebensmittel des Massenbedarfs fast drei Jahrhunderte lang überhaupt nicht erfaßt und sie selbst noch während des größten Teils des neunzehnten Jahrhunderts nur zwischen den Küsten der Weltmeere vermittelt. Das Innere der Kontinente ist dem Weltverkehr in den Massenhandelsgütern fast vier Jahrhunderte hindurch so gut wie verschlossen geblieben.

Den Eisenbahnen war es vorbehalten, dem Verkehr die Welt im vollendeten Sinne des Wortes zu öffnen.

Aber auch sie bedurften hierzu der Entwicklung eines halben Jahrhunderts. Ihre Frachten waren anfangs für den Massenverkehr zu teuer, auch die Technik der Seeschiffahrt war zunächst einem solchen Massenverkehr nicht gewachsen und die Weltwirtschaft war für den regelmäßigen Austausch von Massengütern noch nicht organisiert. Diese Organisation mußten die Eisenbahnen erst vorbereiten. Sie ermöglichten zunächst den Austausch der Menschen in großem Stile. Eine Völkerwanderung bewegte sich seit den 1830er Jahren in ununterbrochenem Strom über den Atlantischen Ozean und wurde drüben wiederum durch die Eisenbahnen, die in mächtigen Strängen den amerikanischen Kontinent von der atlantischen bis zur pazifischen Küste durchqueren, verteilt. Der Personenverkehr wurde zum Pionier des Güterverkehrs. Die Besiedelung der neuen Welt mit einer tatkräftigen Bevölkerung europäischer Kultur führte zur Umwandlung weiter bisher unausgenützter Steppen und Prärien in fruchtbares Ackerland. Allerorten wurden die Bodenschätze gehoben. In den westeuropäischen Kulturländern entwickelten sich mächtige Industrien: ihre wachsende Bevölkerung kann nunmehr von der eignen Landwirtschaft nicht mehr ernährt, auch die Rohstoffe müssen zu einem großen Teil von außen bezogen werden. Es entsteht ein intensiver Austausch von Industrieerzeugnissen gegen Lebensmittel und Rohstoffe zwischen den Industriestaaten einerseits und den Agrarexportländern anderseits, eine internationale Arbeitsteilung und eine vielgestaltige wirtschaftliche Verkettung der Länder der ganzen Erde.

[876] Noch stehen wir mitten in dieser gewaltigen Umwälzung, aber man kann vielleicht den Zeitpunkt, da Wilhelm II. Deutscher Kaiser wurde, auch als den Zeitpunkt bezeichnen, zu dem die neue Zeit des Weltverkehrs anbricht.

Freilich ernste Sorgen sollte die neue Entwicklung dem jungen Kaiser schon in den ersten Jahren seiner Regierung bereiten. Die vaterländische Landwirtschaft, bisher das Fundament unseres Volkslebens, wurde in ihren Grundfesten erschüttert. Das unaufhaltsame Eindringen fremden Getreides auf den heimischen Markt bewirkte einen Preissturz dieses wichtigsten Bedarfsgegenstandes, wie ihn die Geschichte der Kulturländer seit sechs Jahrtausenden nicht zu verzeichnen hat. Der Weizen, der in den Jahren 1871 bis 1876 in Deutschland durchschnittlich 235 Mark die Tonne gekostet hatte, war 25 Jahre später auf 161 Mark gesunken.

Aber wie Kronos seine eigenen Kinder verschlingt, so sollte der Weltverkehr selbst bei der Beseitigung der Schäden, die er angerichtet hatte, mitwirken.

Kaiser Wilhelm II. hat mit klarem Blick die Bedeutung des Weltverkehrs in unserem heutigen Wirtschaftsleben erkannt. Sein geflügeltes Wort von der Welt, die unter dem Zeichen des Verkehrs steht, legt ebenso wie die ganze Richtung seiner Politik Zeugnis hiervon ab. In einer über 40 Jahre dauernden Friedensperiode konnten sich unter dem segensreichen Einfluß des Verkehrs, der Deutschland immer enger mit der ganzen Erde verknüpfte, die in unserem Vaterlande schlummernden wirtschaftlichen Kräfte mächtig entfalten und eine Zeit beispiellosen Aufschwunges von Handel und Industrie heraufführen. Und diese Entwicklung ermöglichte es, der notleidenden Landwirtschaft mit einem wirksamen Zollschutz zu Hilfe zu kommen. Die reich gewordene Industrie konnte die höheren Lebensmittelpreise bezahlen, die Landwirtschaft aufs neue erstarken. Und sie vergalt der Industrie in reichem Maße, was diese ihr gegeben hatte. Sie wurde ihr wichtigster Abnehmer. Und so sehen wir heute am Ende einer 25 jährigen Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. eine blühende Landwirtschaft neben einem kräftig entwickelten Handels- und Gewerbestand. Unser Vaterland erfreut sich jenes glücklichen Wirtschaftszustandes, in welchem die günstige Entwicklung jedes einzelnen Erwerbszweiges die Entwicklung des anderen mächtig fördert.

Und so kräftig war der Aufschwung, daß heute die deutsche Nation sich für ihren Geburtenüberschuß den nötigen Ellbogenraum im eigenen Lande geschaffen hat, daß die deutsche Auswanderung, die dem Vaterlande bis gegen das Ende der 1880er Jahre alljährlich Hunderttausende seiner besten Söhne entführt hatte, nahezu zum Stillstand gekommen ist.–

Die Eisenbahnen.

I. Die Eisenbahnpolitik.

Die Verstaatlichungspolitik.

Die großen Verstaatlichungsaktionen in den deutschen Ländern, vornehmlich in Preußen, waren schon vor 1888 im wesentlichen abgeschlossen. Es gab in Deutschland sieben größere in sich geschlossene und selbständig nebeneinander bestehende Staatsbahnsysteme: die Reichseisenbahnen, [877] die preußische, bayerische, sächsische, württembergische, badische und oldenburgische Staatsbahnverwaltung.

In Preußen wurden in der Folge noch etwa 2400 km Privatbahnen verstaatlicht. Auch in Mecklenburg wurde der größte Teil der Privatbahnen des Landes in das Eigentum und den Betrieb des Staates genommen, Bayern erwarb 1909 die pfälzischen Eisenbahnen.

Der hessische Staat löste 1897 den in seinem Gebiet liegenden Anteil der hessischen Ludwigsbahn ein, nahm sie aber nicht in eigenen Betrieb, sondern übergab sie dem preußischen Staat zur gemeinsamen Mitverwaltung (siehe folgende Seite).

So stand am Ende des Rechnungsjahres 1911[1] in Deutschland einem Staatsbahnnetze von 57 541 km ein Privatbahnnetz von nur 4731 km und ein Kleinbahnnetz von 10 131 km gegenüber.

Die Lokal- und Kleinbahnpolitik.

Gegen das Ende der 1860er Jahre war das deutsche Hauptbahnnetz in seinen wesentlichsten Bestandteilen vollendet. Schon damals begann man für den Bau von Eisenbahnen, die weniger dem allgemeinen Verkehr als der örtlichen Erschließung der durchzogenen Gebietsteile dienen sollten, Erleichterungen wirtschaftlicher und technischer Art zuzugestehen.

Die Zeiten, da die Leute die Eisenbahnen noch bekämpften, waren längst vorüber. Überall in Stadt und Land war man sich der großen wirtschaftlichen Vorteile des Eisenbahnverkehrs klar bewußt geworden.

Um so mehr drängten nun auch die abseits von den großen Hauptlinien gelegenen Gebiete darnach, der Schienenverbindung teilhaftig zu werden, zumal sie durch die Ablenkung des Verkehrs von der Straße auf die Eisenbahn und durch den Wettbewerb der an der Bahn gelegenen Wirtschaftsgebiete zum Teil schwer gelitten hatten.

Bei der Lösung des Lokalbahnproblems schlug die Eisenbahnpolitik der deutschen Bundesstaaten nicht die gleichen Wege ein.

Ein stattliches Netz staatlich betriebener, vorwiegend schmalspuriger Lokalbahnen ist in Sachsen aus staatlichen Mitteln ohne Heranziehung der Interessenten erbaut worden. Auch in Bayern ist ein engmaschiges Netz staatlicher Lokalbahnen entstanden, bei dessen Herstellung aber die Interessenten die Grunderwerbungskosten aufbringen mußten. Württemberg verfolgte in seiner Lokalbahnpolitik ein gemischtes System, indem es teils staatliche Lokalbahnen unter Heranziehung der Interessenten zu den Grunderwerbungskosten baute, teils private Lokalbahnen genehmigte, deren Bau es vielfach durch einmalige feste Staatszuschüsse förderte. Die Badische Eisenbahnpolitik bevorzugte den privaten Lokalbahnbau, wobei die Unternehmungen gleichfalls zum Teil durch Zuschüsse à fonds perdu unterstützt wurden.

Grundsätzlich verschieden war die Richtung der preußischen Kleinbahnpolitik. [878] Sie schuf neben dem Haupt- und Nebenbahnnetz ein drittes Netz von Bahnen, das unter der Bezeichnung Kleinbahnen die Bahnen niederster Ordnung umfaßt. Das Kleinbahngesetz vom 28. Juli 1892 versteht unter Kleinbahnen Eisenbahnen, die vornehmlich den örtlichen Verkehr innerhalb eines Gemeindebezirkes oder benachbarter Gemeindebezirke vermitteln. Die beiden wichtigsten Gattungen der Kleinbahnen sind die städtischen Schnell- und Straßenbahnen und die sogenannten nebenbahnähnlichen Kleinbahnen. Die städtischen Verkehrsmittel sollen in einem besonderen Abschnitt betrachtet werden. Die nebenbahnähnlichen Kleinbahnen verbinden die abgelegenen Gebietsteile mit dem nächsten Absatzmarkt und mit den Haupt- und Nebenbahnen des Landes. Sie werden bei Erfüllung der im Gesetze vorgeschriebenen Bedingungen zur Ausführung im Wege des Privatunternehmens genehmigt und gegebenenfalls durch staatliche Beihilfen aus besonderen Fonds unterstützt. Voraussetzung für die staatliche Beihilfe ist eine angemessene Beteiligung der höheren Kommunalverbände und der Interessenten. Die staatliche Beihilfe wird meist in gleicher Höhe wie die Beteiligung der Provinz bemessen und erfolgt in der Regel durch Eintritt des Staates in die Gesellschaft.

Das preußische Kleinbahngesetz ist für die Regelung des Kleinbahnwesens in anderen deutschen Bundesstaaten (insbesondere Baden, Mecklenburg, Oldenburg, Hamburg) und auch in außerdeutschen Ländern vorbildlich geworden.

Unter der Herrschaft des Gesetzes hat sich das Kleinbahnwesen in Preußen rasch entwickelt. Der preußische Staat hat bis zum 1. April 1912 insgesamt 109 Millionen Mark an staatlichen Beihilfen für Kleinbahnen aufgewendet. Im ganzen gab es zu diesem Zeitpunkt in Deutschland rund 10 000 km nebenbahnähnliche Kleinbahnen mit einem Anlagekapital von über 700 Millionen Mark.

Das gesamte deutsche Neben- und Kleinbahnnetz hat sich von 1888–1911 von 9900 auf 35 600 km vermehrt und damit an Länge das Hauptbahnnetz mit 34 500 km bereits überholt.

Es ist in den Entwicklungsgesetzen des modernen Verkehrs begründet, daß sich die Eisenbahnen durch eine stets fortschreitende Differenzierung immer enger den vielgestaltigen Verhältnissen und Bedürfnissen unseres Wirtschaftslebens anpassen, und es ist ein unbestreitbares Verdienst der preußischen Verkehrspolitik, daß sie diese Tendenz fortschreitender Arbeitsteilung in unserer Volkswirtschaft richtig erkannt hat und ihr bei der Organisation des Eisenbahnwesens praktisch entgegengekommen ist.

Reichen Segen haben die in immer engeren Maschen das Land überziehenden Neben- und Kleinbahnen allerorten verbreitet. Die Erzeugnisse der Land- und Forstwirtschaft konnten zu günstigeren Preisen abgesetzt, die unausgenutzten Schätze des Bodens gehoben werden. Neue Industrien entstanden, die der Bevölkerung lohnende Beschäftigung brachten. Zahlreiche unrentierliche Postverbindungen konnten aufgelassen, die Kosten der Straßenunterhaltung gemindert werden, den großen Hauptbahnlinien wurden neue Transportmengen zugeführt.

Der Einheitsgedanke in der deutschen Eisenbahnpolitik.

Die Erkenntnis der überlegenen Macht der größeren Wirtschaftseinheit führte im Jahre 1896 Hessen dazu, für seine Staatseisenbahnen eine [879] unkündbare Betriebs- und Finanzgemeinschaft mit Preußen abzuschließen, innerhalb deren die Bahnen beider Staaten als einheitliches Netz verwaltet und die Reinüberschüsse aus dem Betrieb nach einem ein für allemale vereinbarten Schlüssel verteilt werden. Auf ähnlicher Grundlage beruht auch ein zwischen Preußen, Baden und Hessen im Jahre 1901 für den Betrieb der Main-Neckarbahn abgeschlossener Staatsvertrag. In beiden Fällen war die Gemeinschaft für die beteiligten Staaten von günstigen Wirkungen begleitet.

Auch die deutschen Mittelstaaten haben zu Beginn der 1900er Jahre mit Preußen über die Frage eines engeren Anschlusses ihrer Eisenbahnunternehmungen an den preußischen Großbetrieb verhandelt. Für sie konnte jedoch nur ein Gemeinschaftsverhältnis in Fragen kommen, bei dem der selbständige Fortbestand ihrer Eisenbahnen gewahrt blieb. Die Verhandlungen führten zunächst zum Plane einer Betriebsmittelgemeinschaft. Dieser Gedanke kam indessen nicht zur Verwirklichung, da über die beiden wichtigsten Grundfragen, die Organisation und den Teilungsschlüssel keine Einigung erzielt werden konnte. Man suchte daher eine minder weitgehende Vereinheitlichung zu erreichen und faßte den Abschluß einer Güterwagengemeinschaft ins Auge. Und diese gelang. Am 1. April 1909 trat ein Übereinkommen aller deutscher Staatsregierungen mit Eisenbahnbesitz über die Bildung eines deutschen Staatsbahnwagenverbandes ins Leben.

Deutscher Staatswagenverband.

Nach diesem Übereinkommen wird der gesamte Güterwagenpark der deutschen Staatseisenbahnen der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt. Jede Verbandsbahn benutzt die Güterwagen jeder anderen Verbandsbahn wie ihre eigenen zur beliebigen Beladung nach dem In- oder Auslande, es gibt keine Aufschreibungen und keine Übergabe oder Untersuchung der Wagen an den Grenzen und keine Rückleitung der Wagen an die Heimatbahn nach der Benutzung. Die Verbandsbahnen zahlen an den Verband eine Vergütung nach der Zahl der auf ihren Strecken geleisteten Achskilometer und der Gesamtbetrag, den sie einzahlen, wird unter sie wieder verteilt nach der Zahl der von ihnen vorgehaltenen Wagenachsen.

Die Wirkung war ausgezeichnet. Die Leerläufe der Güterwagen in Deutschland gingen zurück, der Wagenpark konnte besser ausgenutzt, der Ausgleich zwischen Wagenbestand und Wagenbedarf einheitlich geregelt, dem Wagenmangel konnte erfolgreicher entgegengewirkt werden. Die Verwaltungen sparten Leerführungs- und Rangierkosten, Abrechnungspersonal in den Wagenbureaus und Übergabspersonal an den Grenzen.

Weitergehende Bestrebungen.

Aber die öffentliche Meinung gab sich mit dem Erreichten nicht allenthalben zufrieden. In Presse und Parlament forderte man eine weitgehende Vereinheitlichung der deutschen Eisenbahnen, allerdings nicht ohne Widerspruch. Die Meinungen blieben geteilt. Im Mittelpunkt der Erörterungen steht dermalen das Problem der sog. „föderativen Eisenbahngemeinschaft“. Die deutschen Eisenbahnen sollen eine volle Betriebs- [880] und Finanzgemeinschaft schließen, deren Organ ein unter preußischer Spitze stehendes, im übrigen aber mit Vertretern aller deutschen Eisenbahnen besetztes Gemeinschaftsamt und ein aus Delegierten der Einzellandtage bestehendes Eisenbahnparlament sein soll.

Die Gemeinschaftsidee wurde von einem Teil der deutschen, insbesondere der süddeutschen Handelskammern lebhaft unterstützt. Der deutsche Handelstag setzte sogar eine Kommission nieder, die über die Frage der Vereinheitlichung der deutschen Eisenbahnen auf Grund eines zu sammelnden umfassenden Unterlagenmaterials eine Denkschrift ausarbeiten soll.

Niemand wird bestreiten, daß ein Zug fortschreitender Betriebskonzentration durch unser Wirtschaftsleben geht. Aber gleichwohl wird man die föderative Eisenbahngemeinschaft nicht als das Ziel empfehlen können, auf welches die Steuerlinie der deutschen Eisenbahnpolitik eingestellt werden sollte. Die Schwierigkeiten der Organisation und des Teilungsschlüssels würden bei der föderativen Gemeinschaft noch schwerer zu überwinden sein als bei der Betriebsmittelgemeinschaft. Und würden sie überwunden, so bestünde die Gefahr, daß bei einem derartigen Gebilde der Zwiespalt zwischen den Interessen der Gemeinschaft und der einzelnen Teilnehmer und die große Summe der hieraus entspringenden Reibungen und Konflikte schließlich die ersprießliche Weiterentwicklung des deutschen Eisenbahnwesens in Frage stellen würden.

Vereinheitlichungsbestrebungen treten nicht bloß im deutschen Eisenbahnwesen, sondern überall hervor, mag das Staats- oder das Privatbahnsystem herrschen. Während aber die Gemeinschaftsbildung in Deutschland von weiten Kreisen befürwortet und von den Staatsregierungen selbst gefördert wird, wird sie in den Ländern des folgerichtigsten Privatbahnsystems, in den Vereinigten Staaten von Nordamerika und in England, als dem Gesetz des freien Wettbewerbs zuwiderlaufend, von der öffentlichen Meinung bekämpft und durch staatliche „Antitrustgesetze“ zu verhindern oder doch zu erschweren gesucht. In England klagt man darüber, daß infolge der fortschreitenden Betriebsvereinigung unter den Eisenbahnen „der Wettbewerb tot sei,“ wie Acworth sich ausdrückt, und in Deutschland führt man bittere Beschwerde darüber, daß die einzelnen deutschen Eisenbahnverwaltungen überhaupt noch den Wettbewerb gegeneinander aufnehmen.

Vielleicht liegt auch in diesem Kampfe der wirtschaftspolitischen Prinzipien die Wahrheit in der Mitte.

Verbände zur Vereinheitlichung.

Die deutschen Eisenbahnen sind heute schon durch Verbände der mannigfachsten Art miteinander verknüpft. In den letzten 25 Jahren ist eine ganze Reihe weiterer Vereinheitlichungen neu hinzugekommen: Es wurden gemeinsame Signal- und Fahrdienstvorschriften, einheitliche Abfertigungs-, Beförderungs- und Ladevorschriften eingeführt, die Konkurrenz unter den deutschen Eisenbahnverwaltungen ist durch die Vereinbarungen über die Umleitungen im Güterverkehr eingeschränkt worden, im Jahre 1909 haben die deutschen Staatseisenbahnen eine Gütertarifgemeinschaft gegenüber dem Auslande abgeschlossen, [881] und 1907 trat ein einheitlicher deutscher Personentarif ins Leben, nachdem für den Güterverkehr einheitliche Tarifvorschriften und eine gemeinsame Güterklassifikation schon 1877 geschaffen worden waren.

Daneben bestehen wichtige Eisenbahnverbände, deren Wirkungsbereich über die deutschen Grenzen hinaus sich erstreckt. In ganz Zentraleuropa verkehren durchgehende Personen- und Gepäckwagen ohne Rücksicht auf die Landesgrenzen. 1893 trat das Berner Internationale Übereinkommen über den Frachtverkehr in Kraft, vermöge dessen die Bahnen des ganzen europäischen Kontinents eine internationale Transportgemeinschaft bilden, ein internationales Übereinkommen über den Personenverkehr ist unter den europäischen Staaten gleichfalls schon vereinbart und bedarf nur noch der Ratifikation durch die Regierungen.

Durch diese Vorgänge scheint die künftige Entwicklung vorgezeichnet zu sein. Sie wird sich wohl nicht nach der Richtung bewegen können, daß die deutschen Eisenbahnen zu einer einzigen großen Gemeinschaft zusammengeschlossen werden, sondern nur dahin, daß schrittweise weitere Einzelvereinbarungen da abgeschlossen werden, wo damit Verbesserungen in der Verkehrsbedienung und Wirtschaftsführung erreicht werden können.

Der so eingeschlagene Weg entspricht der geschichtlichen Entwicklung Deutschlands, die nie zur Zentralisierung geneigt hat. Auch er verbürgt eine zweckmäßige Bedienung des allgemeinen Verkehrs und zwar unter Wahrung der individuellen Interessen der einzelnen Landesteile.

II. Bau und Betrieb.

Das Eisenbahnnetz.

Das Eisenbahnnetz Deutschlands hatte 1911 an voll- und schmalspurigen Bahnen einschließlich der nebenbahnähnlichen Kleinbahnen eine Gesamtlänge von 72 400 km, fast doppelt soviel als 25 Jahre vorher.

An Engmaschigkeit seines Eisenbahnnetzes wird Deutschland mit 134 km Bahnen auf 1000 qkm nur von Belgien (288 km auf 1000 qkm), sonst von keinem anderen Lande der Erde übertroffen.

Die baulichen Anlagen.

Aber in dem Zuwachs an Bahnlänge liegt nicht der Schwerpunkt der Entwicklung. Das abgelaufene Vierteljahrhundert war vor allem eine Zeit großartigen inneren Ausbaus der bestehenden Bahnen. Es galt in erster Linie den drängenden Anforderungen des mächtig wachsenden Verkehrs gerecht zu werden, hierfür die Anlagen zu erweitern und zu vervollkommnen, den Fahrpark zu verstärken und seine Ausnutzung zu verbessern.

Und doch hat die Verkehrsnot des Jahres 1912 im rheinisch-westfälischen Industriegebiet gezeigt, daß bei dem Zusammentreffen ungünstiger Verhältnisse in Zeiten hochgespannter Wirtschaftslage selbst Zurüstungen von so gewaltiger Bedeutung, wie sie das preußische Staatsbahnunternehmen auszeichnen, versagen und daß bedenkliche Störungen [882] in der Verkehrsabwicklung eintreten können. Die Verwaltung hat nicht gezögert, mit umfassenden betrieblichen und organisatorischen Maßnahmen einzutreten, um der Wiederkehr ähnlicher Verkehrsschwierigkeiten vorzubeugen. Ein umfassendes Bauprogramm befindet sich in Ausarbeitung, um auf Bahnhöfen und Strecken für die Aufnahme und den geregelten Abfluß plötzlich andrängender Verkehrsfluten Raum zu schaffen.

Das Anlagekapital der deutschen Eisenbahnen (einschließlich der Schmalspurbahnen und nebenbahnähnlichen Kleinbahnen) stieg in 25 Jahren bis 1911 von 9,8 auf 18,5 Milliarden Mark.

Große Aufwendungen wurden gemacht, für den Bau zweiter, dritter und vierter Gleise, für die Trennung des Personen- und Güterverkehrs, für die Beseitigung schienengleicher Wegübergänge, für die Verbesserung der Linienführung der Bahnen, für die Verstärkung des Oberbaues.

Die Zahl der Stationen (ohne Kleinbahnstationen) ist in 25 Jahren von 6400 auf 13 300 (1911) gestiegen.

Riesensummen wurden für die Neuanlage und den Umbau von Personen-, Güter- und Rangierbahnhöfen aufgewendet. Aus der Zahl der neuerrichteten Mittel- und Großstadtbahnhöfe seien nur jene in Aachen, Bremen, Chemnitz, Köln, Darmstadt, Dortmund, Dresden, Eisenach, Erfurt, Essen, Hamburg, Mainz, Metz, Nürnberg und Wiesbaden erwähnt. Von dem neuen Hauptbahnhof in Leipzig ist zunächst nur die preußische Hälfte vollendet. Aber schon läßt die wuchtige Hauptfront, eine mächtige Schalterhalle, die hochgewölbte Betondecke über dem Stirnbahnsteig den Beschauer einen überwältigenden Eindruck von diesem modernsten Wahrzeichen deutscher Bahnhofbaukunst gewinnen. Grohe Bahnhofneubauten stehen in Karlsruhe vor der Eröffnung, in Stuttgart in der Ausführung.

Der Betrieb.

Den steigenden Anforderungen des Verkehrs hinsichtlich der Geschwindigkeit der Züge und der Größe der Zugseinheiten wurde durch immer größere Abmessungen der Lokomotiven Rechnung getragen. Die wirtschaftliche Ausnutzung des Brennmaterials wurde durch die Anwendung des Verbundsystems und des Heißdampfes erhöht.

Im Schnellzugsdienst trat der vierachsige Wagen an die Stelle des zwei- und dreiachsigen. In den D-Zügen verkehren Speisewagen, deren Benutzung auch den Reisenden der III. Klasse freigegeben wurde. Zahlreiche Kurswagen ersparen dem Reisenden das Umsteigen an Knotenpunktstationen. Die Wagen sind mit Abort und Wascheinrichtung versehen, in den D-Zügen auch mit Seife und Handtüchern ausgerüstet.

Die Beleuchtung der Züge hat mannigfache Wandlungen durchgemacht. Das jetzt fast allgemein verwendete hängende Gasglühlicht dürfte allen Anforderungen an eine gute Zugbeleuchtung entsprechen.

Am 1. Mai 1892 wurden in Preußen die ersten D-Züge, Schnellzüge mit Durchgangswagen und Faltenbalgverbindung, eingerichtet. Sie ermöglichen den Reisenden die freie Bewegung innerhalb des ganzen Zuges. Die Einrichtung des deutschen D-Zuges ist von den meisten europäischen Eisenbahnen übernommen worden.

[883] 1894 wurden die ersten Expreßzüge der Internationalen Schlafwagengesellschaft über deutsche Linien geführt. Der Orientexpreßzug Paris–Wien–Konstantinopel machte den Anfang, ihm ist eine ganze Reihe von anderen Luxuszügen gefolgt, die als Nord-, Nord-Süd-, Ägypten-, Riviera-, Neapel-, Lloyd-Expreßzüge usw. Deutschland nach allen Richtungen durcheilen.

Im Schnellzugsverkehr der deutschen Bahnen werden Grundgeschwindigkeiten von 90 und 100 km, bei einzelnen Zügen auch noch mehr, angewendet. Die Reisegeschwindigkeit der Schnellzüge suchte man vor allem durch Vergrößerung der aufenthaltslos durchfahrenen Strecken zu erhöhen. Im Sommer 1911 wurde eine beträchtliche Zahl neuer, nur an den großen Verkehrspunkten anhaltender Schnellzüge eingeführt, nicht weniger als 23 Strecken von mehr als 150 km Länge werden seitdem von den Schnellzügen ohne Aufenthalt durchfahren. Obenan unter diesen Zügen stehen die im Sommer 1912 eingeführten D-Züge 79/80, die auf der 677 km langen Strecke Berlin–München nur in Halle und Nürnberg anhalten.

Auch der Nahverkehr wurde erheblich verbessert. Hier galt es vor allem den Zugverkehr zu verdichten, wofür die billige kleine Zugseinheit vielfach die wirtschaftliche Voraussetzung ist. Die Lösung dieses wichtigen Problems ist in der allerneuesten Zeit mit großen Mitteln in Angriff genommen worden. Auf den preußischen Staatsbahnen sind zahlreiche elektrische und benzol-elektrische Triebwagen, in Württemberg zum Teil auch Wagen mit Explosionsmotoren in Gebrauch, in Bayern suchte man die kleine Betriebseinheit durch die Einführung des leichten Zuges zu gewinnen.

Aber neben der Verbesserung der Verkehrseinrichtungen war stets die Erhöhung der Sicherheit des Betriebes die vornehmste Sorge der deutschen Staatsbahnverwaltungen.

In den Stationen mit größerem Personenverkehr wurden schienenfreie Zugänge zu den Bahnsteigen hergestellt. Das Signalwesen wurde vervollkommnet, die Bahnhöfe erhielten gesonderte Ein- und Ausfahrsignale, die Stellung derselben wird durch Vorsignale angekündigt. Das weiße Licht, das leicht mit fremden Lichtern verwechselt werden kann, wird als Fahrsignal bei allen deutschen Bahnen beseitigt.

Die in den letzten 25 Jahren auf allen Bahnhöfen durchgeführte Weichen- und Signalzentralisierung sichert mechanisch die richtige Stellung der Weichen, wenn die Signale auf Fahrt gestellt sind.

Auf den deutschen Bahnen fahren die Züge in Raumabstand. Kein Zug darf von einer Station abgelassen werden, wenn nicht vorher festgestellt ist, daß der vorausgegangene Zug auf der nächsten Station eingetroffen ist. Zur mechanischen Sicherung der Zugfolge wurde die elektrische Streckenblockung eingeführt. Die überwiegende Mehrzahl der deutschen Schnellzuglinien ist heute schon mit dieser wichtigen Sicherungseinrichtung versehen.

Damit sich die Stationen leicht untereinander und mit dem Streckenpersonal verständigen und rasch benachrichtigt werden können, wenn ein Zug auf freier Strecke liegen bleibt oder von einem Unfall betroffen wird, sind die Hauptbahnstrecken und zahlreiche Nebenbahnen mit Streckentelephonen ausgerüstet worden.

[884] Die bedeutenderen Bahnhöfe wie auch zahlreiche kleinere Stationen erhielten die elektrische Beleuchtung.

Alle diese Maßnahmen, zusammen mit der Verbesserung der Bahnhof- und Streckenverhältnisse, haben ein fortschreitendes Sinken der Unfallziffer zur Folge gehabt. Deutschland wird an Sicherheit des Dienstes auf seinen Eisenbahnen von keinem anderen Lande der Erde übertroffen.

Der elektrische Bahnbetrieb.

Schon von Anfang an war die Elektrizität eines der unentbehrlichsten Hilfsmittel im Eisenbahnbetrieb. Immer weitere Anwendungsgebiete hat sie sich erobert. Dem letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts war es vorbehalten, sie dem Eisenbahnverkehr auch als Mittel zur Fortbewegung der Züge dienstbar zu machen.

Seit Anfang der 1890er Jahre werden in Deutschland Straßenbahnen elektrisch betrieben. Die günstigen Erfolge ermutigten dazu, die Einführung des elektrischen Betriebes auch für die Haupt- und Nebenbahnen ins Auge zu fassen. Zunächst blieben die Versuche, abgesehen von einigen Nebenbahnen, beschränkt auf großstädtische Schnell- und Vorortbahnen. Größere Schwierigkeiten zeigten sich, als man der Verwirklichung des Gedankens näher trat, den elektrischen Betrieb auf die großen Fernbahnen zu übertragen. Diese Schwierigkeiten zu überwinden, sind Wissenschaft und Technik des In- und Auslandes auf dem Wege. Auch die deutschen Eisenbahnverwaltungen sind hierbei nicht untätig geblieben.

Die preußische Staatsbahnverwaltung trat an die Elektrisierung der mit Schnell-, Personen- und Güterzügen befahrenen Hauptbahnlinien Magdeburg–Bitterfeld–Leipzig–Halle und der schlesischen Gebirgsbahn Lauban–Königszelt heran und hat den elektrischen Probebetrieb auf der Teilstrecke Dessau–Bitterfeld nunmehr schon über ein Jahr lang durchgeführt.

Die Bayerische Regierung hat in den Jahren 1907 und 1908 ihrem Landtage Denkschriften über den Ausbau der Wasserkräfte des Landes und über die Einrichtung des elektrischen Bahnbetriebes vorgelegt und Mittel für die Herstellung von Wasser-Kraftwerken und für die Elektrisierung verschiedener im Alpengebiet und Alpenvorland gelegenen Bahnlinien angefordert.

Baden hat die Wiesenthalbahn für den elektrischen Betrieb ausgerüstet und bereits mit den elektrischen Fahrten begonnen.

Auch Sachsen und Württemberg sind in die Prüfung des Problems der elektrischen Zugbeförderung eingetreten.

Die preußische Staatsregierung hat aber noch einen weiteren wichtigen Schritt auf dem Wege der Ersetzung des Dampfbetriebes durch den elektrischen Betrieb getan, indem sie ihrem Landtage im Jahre 1912 eine Vorlage über die Einrichtung elektrischer Zugförderung auf den Berliner Stadt-, Ring- und Vorortbahnen unterbreitete. Es sollen 557 elektrische Lokomotiven beschafft und insgesamt 123 Millionen Mark aufgewendet werden. Die Verhandlungen im Parlament standen unter dem Zeichen des Prinzipienkampfes zwischen Dampf und Elektrizität. Hier wie auch bei anderen Gelegenheiten [885] zeigte sich, daß dem ursprünglichen Enthusiasmus, mit dem die Öffentlichkeit die Elektrisierungsfrage aufgenommen hatte, an vielen Stellen ein gewisser Skeptizismus gefolgt ist, der allerdings weniger durch praktische Mißerfolge als dadurch veranlaßt war, daß die Hoffnungen, die man auf einen raschen Siegeslauf der elektrischen Vollbahnlokomotive gesetzt hatte, sich doch langsamer zu erfüllen scheinen, als man erwartet hatte.

Die Wissenschaft verspricht sich von dem elektrischen Bahnbetrieb große wirtschaftliche Erfolge. Die zentralisierte Erzeugung elektrischer Energie in einer ortsfesten Maschinenanlage ist, auch wo keine Wasserkräfte zur Verfügung stehen, der Dampferzeugung im Lokomotivkessel wirtschaftlich überlegen. Die elektrische Lokomotive braucht keinen Kessel, kein Brennmaterial und Speisewasser mitzuführen, sie ist jeden Augenblick betriebsbereit. Ihre Bedienung und Unterhaltung ist einfacher, die Bedienung mehrerer elektrischer Lokomotiven im gleichen Zug kann von einem Punkt aus geschehen, die Rauchplage des Dampfbetriebes entfällt.

Aber bei der Überführung des Problems der elektrischen Zugsbewegung in die Wirklichkeit haben sich, wie bereits angedeutet wurde, technische und wirtschaftliche Schwierigkeiten ergeben, die zurzeit noch nicht voll überwunden sind. Die Dampflokomotive blickt auf eine 100jährige Entwicklung zurück, die elektrische Lokomotive für einphasigen Wechselstrom, der die für den Fernbahnbetrieb geeignetste Form der Energieübertragung zuläßt, ist noch nicht 10 Jahre alt. Wenn man jedoch die überwältigende Entwicklung betrachtet, die die moderne Technik in allen ihren Zweigen genommen hat, wird man zuversichtlich erwarten dürfen, daß es in nicht ferner Zeit gelingen wird, die elektrische Lokomotive als ebenbürtige Zugkraft in den Vollbahnbetrieb einzuführen.

Heute schon hat die elektrische Zugkraft die Dampfkraft verdrängt, wo es sich um reine Tunnel- und Untergrundbahnbetriebe handelt, vor allem aber im großstädtischen Schnellbahnbetrieb, bei dem eine große Zahl von Zügen in dichtester Folge zu befördern und wegen der zahlreichen Haltstationen Anfahrbeschleunigungen notwendig sind, wie sie die Dampflokomotive auch bei außergewöhnlich starken Abmessungen nicht zu bieten vermag. Auch da, wo billige Wasserkräfte zur Verfügung stehen, hohe Kohlenpreise zu bezahlen und ungünstige Steigungsverhältnisse zu überwinden sind, wird wohl heute schon der elektrische Betrieb dem Dampfbetrieb wirtschaftlich überlegen sein. Immer aber setzt er wegen der hohen festen Kosten, die er erfordert, einen bestimmten Grad von Betriebsintensität voraus. Der elektrische Betrieb ist seinem Wesen nach die wirtschaftlich und technisch geeignetste Betriebsform für die höheren Intensitätsstufen des Eisenbahnverkehrs. Für Bahnen mit wenig dichtem und wenig gleichmäßig verteiltem Verkehr wird er mit gleichem Erfolge nicht verwendet werden können. Ob endlich die militärischen Bedenken gegen die ausschließliche Anwendung des elektrischen Betriebes auf den großen Fernbahnen sich völlig werden beseitigen lassen, mag hier dahingestellt bleiben.

Voraussichtlich wird der Ausgang des Kampfes zwischen den beiden Energiearten um die Herrschaft im Eisenbahnbetrieb nicht der sein, daß die alte Technik von der neuen völlig verdrängt wird. Es wird vielmehr auch hier wie so häufig in unserem vielgestaltigen Wirtschaftsleben eine Arbeitsteilung eintreten, bei der für jede der beiden Betriebsformen ein Anwendungsgebiet bleibt, das ihr von der anderen nicht mehr streitig gemacht werden kann.

[886]

Die Schnellbahnfrage.

Es ist vorgeschlagen worden, die elektrische Triebkraft zur Lösung der sogenannten Schnellbahnfrage heranzuziehen. Dieses Problem hat die Geister im letzten Jahrzehnt des abgelaufenen Jahrhunderts stark beschäftigt. Man schlug vor, die wichtigsten Verkehrszentren mit einem Netz besonderer, nur dem Personenverkehr dienender Bahnen zu verbinden, die mit außergewöhnlichen Geschwindigkeiten – 150–200 km in der Stunde – betrieben werden sollten. In Berlin wurde eine Studiengesellschaft für elektrische Schnellbahnen gegründet, die mit großen Mitteln an die praktische Untersuchung der Frage herantrat. Ein Schnellbahnwagen dieser Gesellschaft hat am 28. Oktober 1903 die größte je auf der Schiene zurückgelegte Geschwindigkeit von 210 km in der Stunde erreicht. Der Sturmwind legt 75, der Adler 100, der heftigste Orkan, wie er in unseren Breiten überhaupt nicht vorkommt, 150–190 km in der Stunde zurück.

Aber die weitere Entwicklung der Schnellbahnfrage entsprach nicht den glänzenden Hoffnungen, zu denen die Erfolge dieser Versuchsfahrten zu berechtigen schienen. Die Fahrten wurden bald darauf eingestellt. Sie hatten eben die Möglichkeit, im regelmäßigen Betrieb Geschwindigkeiten bis zu 200 km zurückzulegen, noch nicht erwiesen. Und schwerer noch als die technischen Schwierigkeiten wären die wirtschaftlichen Bedenken zu überwinden, die sich der Erbauung besonderer Schnellbahnen für den reinen Personenverkehr entgegenstellten.

III. Verkehr.

Der Personenverkehr. 1. Einzelne Fahrpreisermäßigungen.

In den 1880er Jahren ging eine kräftige Bewegung durch Europa, die nach einer Ermäßigung der Personentarife verlangte. Ein Erfolg dieser Bewegung war die Einführung des Baroßschen Zonentarifs in Ungarn im Jahre 1889. Andere Länder sind dem ungarischen Beispiel gefolgt. Auch die deutschen Regierungen haben in den Jahren 1889 bis 1891 über die Einführung einer gemeinsamen deutschen Personentarifreform, allerdings nicht auf der Grundlage eines Zonen-, sondern eines reinen Entfernungstarifs, verhandelt. Die Verhandlungen sind ohne Ergebnis geblieben.

Mannigfache Einzelermäßigungen wurden seitdem eingeführt, so ein ermäßigter Arbeiterkartentarif und ein ermäßigter Militärtarif, beide auf der Grundlage des Einpfennigsatzes für das km, der ermäßigte Vororttarif für Berlin 1891, ein Zonensystem, bei welchem die Fahrpreise bis auf 1⅓ Pfennig für das km herabgehen. Mit der Einführung dieses Vororttarifs setzte das gewaltige Wachstum von Großberlin in seinen Vororten ein. Auch in Bayern und Baden wurden Vorortverkehre zu ermäßigten Sätzen (2 Pf. für das km) eingerichtet.

Für den allgemeinen Reiseverkehr wurde im Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen das zusammenstellbare Fahrscheinheft geschaffen, eine Einrichtung, an der sich nach und nach der größte Teil der europäischen Eisenbahnverwaltungen und eine größere Zahl der Schiffahrtsgesellschaften beteiligt haben. Noch eine Reihe von besonderen [887] Ermäßigungen wurde in den einzelnen Bundesstaaten eingeführt, der wichtigste Schritt war jedoch die Verlängerung der Gültigkeitsdauer der Rückfahrkarten, zunächst in Süddeutschland auf 10 Tage, dann 1901 auf den preußischen und bald darauf bei allen deutschen Staatsbahnen auf 45 Tage. So kam es, daß in Deutschland nur mehr der vierte Teil des gesamten Reiseverkehrs sich nach dem ordentlichen Tarif abwickelte.

2. Reform 1907.

Dieser Umstand und die bunte Musterkarte von Tarifsätzen und Fahrpreisermäßigungen, die in den deutschen Landen nunmehr Geltung besaßen, führte gegen Ende 1904 zur Wiederaufnahme gemeinsamer Verhandlungen unter den deutschen Regierungen über die Reform der Personentarife. Das Ergebnis dieser Verhandlungen war die Einführung eines neuen einheitlichen Personen- und Gepäcktarifs auf allen deutschen Staatseisenbahnen am 1. Mai 1907.

Die Rückfahrkarten wurden beseitigt, die Wohltat des 2 Pfennig-Satzes, der in Norddeutschland für die IV. Klasse seit vielen Jahren bestand, wurde auch dem deutschen Süden zuteil. Freilich das Vierklassensystem wurde von Bayern und Baden nicht übernommen. Dagegen wurde in diesen Ländern der 2 Pfennig-Satz allgemein für die III. Klasse Personenzug (sogenannte IIIb Klasse) gewährt. Ein einheitliches Tarifschema für alle Klassen (7–4,5–3–2 Pfennig für das km) wurde eingeführt. Die kilometrischen Schnellzugszuschläge, die bisher von den einzelnen Verwaltungen in verschiedener Höhe erhoben wurden und in einzelnen Fällen bis zu 41% des eigentlichen Fahrpreises betrugen, wurden gleichfalls beseitigt und durch einen nach Zonen abgestuften Schnellzugszuschlag im Höchstbetrag von 2 Mark für die I. und II. und 1 Mark für III. Klasse ersetzt. Auf den norddeutschen Bahnen war bisher Freigepäck im Gewichte von 25 kg gewährt; auch dieses wurde aufgehoben und dafür ein stark ermäßigter, nach Zonen und größeren Gewichtseinheiten abgestufter Gepäcktarif eingeführt, der zum Teil sogar die Eilgutsätze unterbietet.

Auf zusammenstellbare Fahrscheinhefte wird eine Ermäßigung nicht mehr gewährt.

Neben dem ordentlichen Tarif wurden nur noch wenige bestimmte Fahrpreisermäßigungen beibehalten.

Als die Verhandlungen unter den Bundesregierungen über die Reform bereits in allen wesentlichen Teilen abgeschlossen waren, wurde durch das Reichsgesetz vom 3. Juni 1906 die Fahrkartensteuer eingeführt, die noch vor der Tarifreform ins Leben trat. Sie läßt die 2 Pfennig-Klasse frei und belastet die III., II. und I. Klasse in Sätzen, die im Verhältnis von 1:2:4 abgestuft sind. Die Fahrkartensteuer nahm dem Reformtarif seine Einfachheit. Die ungleichmäßigen Steuerzuschläge und die starke Mehrbelastung der höheren Wagenklassen bewirkten eine beträchtliche Verschiebung der Wirkungen der Tarifreform, eine erhebliche Abwanderung aus den höheren Klassen in die unteren.

Die öffentliche Meinung nahm die Reform wenig günstig auf. Man sah nur ihre Schattenseiten und doch brachte sie einen großen Fortschritt für den Reiseverkehr, insbesondere in Süddeutschland durch die starke Verbilligung der Fahrpreise für die minderbemittelten Klassen.

[888] Heute wird Deutschland an Billigkeit seines Tarifes für die unterste Klasse des Personenzugs von keinem Lande Europas übertroffen.

Was die Tarifreform des Jahres 1877 auf dem Gebiete des Güterverkehrs war, das war die Reform von 1907 für den Personenverkehr. Sie hat die deutsche Zersplitterung auf diesem Gebiete im wesentlichen beseitigt. Sie hat den Reiseverkehr von einer lästigen Fessel befreit, indem sie die veraltete Prämie für die Rückkehr nach dem Ausgangspunkte der Fahrt beseitigte.

Freilich die Einfachheit des neuen Tarifs ist durch den Hinzutritt der Fahrkartensteuer stark beeinträchtigt worden. Man denke nur an die Zuschlagsberechnung beim Übergang in eine höhere Wagenklasse. Die Tarifreform hat es unterlassen, mit einem kühnen Schritt zum Dreiklassensystem zurückzukehren, wie es 1891 der Maybachsche Entwurf beabsichtigt hatte. Sie hat darum dem deutschen Volke die volle Einheit im Personenverkehr nicht gebracht. Sie war ein Kompromiß und bei allen ihren Vorzügen keine bahnbrechende Neuerung im Eisenbahnverkehr. Eine vierte Klasse kennt heute außer Deutschland kein anderes Land der Erde. In England führen die meisten Bahnen nur zwei Klassen, in den Vereinigten Staaten von Nordamerika nur eine einzige, wenn man von dem Zuschlag für die Benutzung der Pullmanwagen absieht. Das Dreiklassensystem hätte eine große Vereinfachung des Tarifbildes und eine beträchtliche Kostenminderung der Personenbeförderung ermöglicht. Die Abschaffung der vierten Klasse würde einen Beitrag zum Ausgleich der sozialen Gegensätze geliefert haben, auf deren Verschärfung in unserer Zeit hoch aufstrebender industrieller Entwicklung so viele Umstände einwirken, trotz der groß angelegten Sozialpolitik des deutschen Reiches und trotz der sichtlich fortschreitenden Besserung in der Lebenshaltung der unteren Schichten unseres Volkes.

3. Entwicklung des Personenverkehrs.

Die Entwicklung des Personenverkehrs in Deutschland während der letzten 25 Jahre war glänzend. Die Durchschnittseinnahme aller deutschen Bahnen (ausschließlich der Kleinbahnen) für das Personenkilometer ist von 3,29 Pfennig auf 2,35 Pfennig, also um mehr als ⅓ gesunken, die Einnahmen aus dem Personenverkehr sind um mehr als das Dreifache gestiegen. Der Deutsche gibt heute auf den Kopf der Bevölkerung 2½-mal soviel an Fahrgeld aus als vor 25 Jahren und legt durchschnittlich jährlich über 600 km auf den Eisenbahnen zurück. Sein Jahresbudget an Eisenbahnfahrgeldern erreicht dabei freilich noch nicht dasjenige eines Einwohners Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und Belgiens, übertrifft aber jenes aller übrigen Länder der Erde.

Der Güterverkehr 1. Tarifermäßigungen.

Die bei der Gütertarifreform des Jahres 1877 eingesetzte ständige Tarifkommission und der ihr beigegebene, aus Vertretern der Landwirtschaft, des Handels und des Gewerbestandes gebildete Ausschuß der Verkehrsinteressenten, dann die Eisenbahnbeiräte der deutschen Bahnen, bieten die Gewähr, daß die Entwicklung des deutschen Tarifwesens sich den Bedürfnissen des Wirtschaftslebens anpaßt. Wie im [889] Personenverkehr so haben sich auch im Güterverkehr die Tarife fortgesetzt ermäßigt. Eine stattliche Zahl von Güterarten ist in den letzten 25 Jahren aus höheren Tarifklassen in niedere eingereiht, zahlreiche billige Ausnahmetarife sind neu geschaffen worden.

Die deutsche Tarifpolitik suchte der Industrie den Bezug der notwendigen Rohstoffe und Brennmaterialien zu erleichtern, die Ausfuhr ihrer Fabrikate zu fördern und hierbei auch den Wettbewerb der deutschen Schiffahrt zu stärken, der Landwirtschaft Düngemittel und Saatgut unter günstigen Bedingungen zuzuführen, den Lebensmittelverkehr zu verbilligen. Durch niedrige Frachten erlangte das geringwertige Massengut in immer weiterem Umfange die Transportfähigkeit. Ein erst im vorigen Jahre eingeführter preußischer Ausnahmetarif für Erze vom Siegerland nach den oberschlesischen Hochofenstationen übertrifft mit einem Satz von 0,9 Pfennig für das Tonnen-km, wobei eine Abfertigungsgebühr überhaupt nicht zur Erhebung gelangt, alle bisher auf deutschen Eisenbahnen gewährten Ermäßigungen und geht sogar unter die Schiffsfrachten auf leistungsfähigen künstlichen Wasserstraßen herab. Um die großen Entfernungen minder schwer ins Gewicht fallen zu lassen, wurde mehrfach, so bei dem neuen Stückgut- und bei dem Rohstofftarif, von dem System der Staffelung Gebrauch gemacht.

2. Ladefähigkeit der Güterwagen.

Durch die Vergrößerung der Ladefähigkeit der Güterwagen wurde die Wirtschaftlichkeit der Güterbeförderung erhöht. Der 5 t-Wagen der ersten Eisenbahnen ist in Deutschland, zum Unterschied von dem Vorgang der englischen Bahnen, schon sehr bald durch den 10 t-Wagen ersetzt worden. Heute besitzt der deutsche Normalgüterwagen eine Ladefähigkeit von 15 t, und bereits ist mit der Beschaffung von 20 t-Wagen in erheblichem Umfange begonnen worden.

Für den Verkehr ergeben sich aus der allmählichen Abnahme des Bestandes an 10 t-Wagen mancherlei Unbequemlichkeiten. Trotzdem haben die deutschen Landeseisenbahnräte das Vorgehen der Eisenbahnverwaltungen verständnisvoll gebilligt. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika besitzt der Normalwagen eine Ladefähigkeit von 30–40 t, und hierin liegt einer der Gründe dafür, daß der Durchschnittspreis der amerikanischen Frachten fast um die Hälfte niedriger ist als in Europa. Je größer das Ladegewicht, desto geringer ist das tote Gewicht, das im Durchschnitt mit der gleichen Menge Gut befördert werden muß. Auf der Steigerung der einheitlichen Massenleistung beruht im Eisenbahngroßbetrieb eine der wichtigsten Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Fortschritt. Die deutschen Verwaltungen haben wiederholt für die volle Ausnützung großer Wagen tarifarische Vorteile gewährt. Der Weg, den die deutsche Tarifpolitik damit eingeschlagen hat, kann im Zusammenhang mit der fortschreitenden Vergrößerung der Wagengefäße für die weitere Entwicklung der Wirtschaftlichkeit des Gütertransports von großer Bedeutung werden.

3. Sonstige Verbesserungen.

Mannigfache Verbesserungen sind auch auf dem Gebiete des Güterbeförderungs-, Abfertigungs- und Abrechnungsdienstes erzielt worden. In den Jahren 1904/5 wurde ein vereinfachtes [890] Abfertigungsverfahren eingeführt, durch das im inneren und Wechselverkehr aller deutschen Eisenbahnen das Schreibwerk vermindert und eine jährliche Ersparnis von über 2 Millionen Mark erzielt worden ist.

Am 1. April 1913 ist eine neue Eisenbahnzollordnung in Kraft getreten, die die bisherige Überwachung der Eisenbahnorgane durch das Zollpersonal wesentlich einschränkt und das Eisenbahnpersonal selbst zur Durchführung der Zollkontrolle mit heranzieht. Viel Doppelarbeit und manche Verzögerungsursache im Gütertransport wird dadurch beseitigt werden.

Auf dem Gebiete des Transportrechts ist neben dem schon erwähnten Berner Internationalen Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr vom Jahre 1890 vor allem die Einführung des dritten Buchs des Deutschen Handelsgesetzbuchs vom 10. Mai 1897 von einschneidender Bedeutung gewesen. Seit seinem Inkrafttreten ist die deutsche Eisenbahnverkehrsordnung nicht mehr wie früher bloße Verwaltungsvorschrift, deren Bestimmungen erst durch den Abschluß des Frachtvertrags zum Vertragsrecht werden, sondern Rechtsverordnung, die unmittelbar verbindliche Normen schafft. Daraus ergeben sich wichtige Rechtsfolgen. Auch abgesehen hiervon wurde das Frachtrecht durch das neue Handelsgesetzbuch in wichtigen Punkten umgestaltet.

4. Frachturkundenstempel.

Die Reichsfinanzreform des Jahres 1906 hat auch den Güterverkehr besteuert. Es wurde ein Frachturkundenstempel eingeführt, der sich indessen für den Güterverkehr weit weniger unangenehm fühlbar gemacht hat, als die Fahrkartensteuer im Personenverkehr.

5. Entwicklung des Güterverkehrs.

Das Durchschnittserträgnis der deutschen Eisenbahnen aus dem Güterverkehr ist in den letzten 25 Jahren von 4,08 auf 3,62 Pfennig für das Tonnen-km oder um rund 10% gesunken. Dermalen ist der Durchschnittspreis der Güterbeförderung in Deutschland teils nicht, teils nicht wesentlich niedriger als in der Mehrzahl unserer Nachbarländer. Aber die günstige Entwicklung des deutschen Verkehrs spricht dafür, daß die Tarife den Bedürfnissen des Wirtschaftslebens wohl angepaßt sind.

Die Güterbewegung auf den deutschen Eisenbahnen hat sich in den letzten 25 Jahren um mehr als das Dreieinhalbfache und die Güterverkehrseinnahme um das Dreifache vermehrt. Im Jahre 1911 wurden 57 Milliarden Tonnen-Kilometer auf den deutschen Bahnen geleistet und daraus über 2 Milliarden Mark vereinnahmt. Auf den Kopf der Bevölkerung trifft in Deutschland eine Ausgabe an Güterfrachten von 33 Mark. Der Frachtenaufwand des deutschen Volkes wird selbst von Großbritannien nicht erreicht.

IV. Verwaltung und Finanzen.

Verwaltungsordnung.

Die Verwaltungsorganisation der preußischen Staatseisenbahnen vom 1. April 1880 war in der Zeit der großen Verstaatlichungen von Maybach geschaffen worden. Sie hatte vor allem [891] die Überführung der großen Privatbahnunternehmungen in den Staatsbetrieb zu erleichtern. Den Direktionen wurden zur besseren Beherrschung der örtlichen Verhältnisse besondere Behörden, die Eisenbahnbetriebsämter, untergeordnet. Damit war ein Verwaltungsapparat von drei für den ganzen Dienst ausgebildeten Instanzen – Ministerium, Direktionen und Betriebsämter – gegeben, der ein umfängliches Schreibwerk veranlaßte und die Erledigung der Geschäfte verteuerte und verzögerte. Als im Jahre 1890 Minister von Thielen die Leitung des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten übernommen hatte, setzte er eine Kommission sachverständiger Männer ein, die mit der Aufgabe betraut wurde, die vorbereitenden Arbeiten für eine Neuordnung der Verwaltung durchzuführen.

Die Neuordnung trat mit dem 1. April 1895 ins Leben. Die Betriebsämter wurden beseitigt, die Zahl der Direktionen wurde von 11 auf 20 erhöht, den Direktionen wurden als Organe für die örtliche Dienstaufsicht Inspektionen unterstellt, von denen jede nur einen bestimmten Dienstzweig (Betrieb, Verkehr, Maschinen- und Werkstättewesen) zu verwalten hat. Die Organisation wurde im Jahre 1907 durch die Schaffung eines den Eisenbahndirektionen gleichgeordneten Eisenbahnzentralamts ergänzt.

Der Erfolg der Neuordnung des Jahres 1895 war glänzend. Das im Verwaltungsdienst beschäftigte Beamtenheer konnte sofort um über 3000 Arbeitskräfte vermindert werden. Der Verwaltungsreform folgte eine Zeit unvergleichlicher Entwicklung der Staatseisenbahnen, ein Aufschwung, wie ihn kaum je ein Eisenbahnunternehmen erlebt hat.

Die preußische Neuordnung ist in vieler Beziehung für die sächsische Neuordnung vom Jahre 1899 und insbesondere für die Neuordnung der bayerischen Staatseisenbahnen vom Jahre 1907 vorbildlich geworden.

In Bayern wurde die Generaldirektion der Staatseisenbahnen durch fünf Eisenbahndirektionen und eine Anzahl zentraler Ämter ersetzt. Den Eisenbahndirektionen wurden gleichfalls Inspektionen für die Hauptzweige des örtlichen Dienstes untergeordnet. Infolge der Neuordnung konnten 1100 Arbeitskräfte aus dem Verwaltungsdienst gezogen werden. Auch sonst hat die bayerische Verwaltungsreform die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt.

Personalverwaltung und Wohlfahrtspflege.

Über 700 000 Beamte und Arbeiter sind im Dienste der deutschen Eisenbahnen beschäftigt. Von der Tüchtigkeit und Dienstfreudigkeit dieses Angestelltenheeres hängt die geordnete Abwicklung des Eisenbahnverkehrs ab, der heute die Grundlage eines geregelten Verlaufes unseres ganzen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens bildet.

Die Eisenbahnpolitik ist vor die Entscheidung der Frage gestellt: Soll das Verhältnis zwischen Verwaltung und Personal durch privatrechtlichen, jederzeit frei lösbaren Dienstvertrag geregelt oder soll es durch das festere Band der dauernden Amtsübertragung geknüpft und da, wo der Staat Eisenbahnunternehmer ist, mit allen Garantien des öffentlichen Beamtenrechtes umgeben werden?

Bei den meisten außerdeutschen Ländern ist das Dienstverhältnis zwischen der Eisenbahnverwaltung [892] und der großen Masse ihrer Angestellten beiderseits frei kündbar. Bei den deutschen Staatseisenbahnen stehen alle diejenigen Angestellten, die in ihrem Dienste unter eigener Verantwortung handeln, im etatsmäßigen Beamtenverhältnis. Die Zahl der etatsmäßigen Beamten hat, obwohl im modernen Großbetrieb mit der Vervollkommnung der technischen und administrativen Einrichtungen die disponierende Tätigkeit hinter der rein mechanischen Dienstleistung mehr und mehr in den Hintergrund tritt, doch erheblich stärker zugenommen als die Zahl des Arbeiterpersonals. Die Zahl der etatsmäßigen Beamten beträgt zurzeit 37% des Gesamtpersonals der deutschen Eisenbahnen.

Die Lebenshaltung des Personals ist kaum je so durchgreifend verbessert worden als in den letzten 25 Jahren. Der Durchschnittsbezug auf den Kopf des Gesamtpersonals der deutschen Staats- und Privatbahnen ist von 1100 Mark im Jahre 1888 auf 1650 Mark im Jahre 1911 gestiegen.

Der Eisenbahndienst stellt an die körperliche Leistungsfähigkeit und geistige Spannkraft des Personals große Anforderungen. Um den Gefahren vorzubeugen, die aus einer Übermüdung des Personals entstehen können, hat man seit Ende der 1880er Jahre begonnen, die Dienstzeit durch strenge Vorschriften zu umgrenzen. Die Zeitdauer der durchschnittlichen täglichen Arbeitsleistung ist seitdem fortwährend verkürzt worden.

Die Fürsorge für die Wohlfahrt des Personals hat sich in den letzten 25 Jahren zu einem neuen wichtigen Zweig der Verwaltungstätigkeit der Staatseisenbahnen entwickelt.

Beamte und Arbeiter erhalten Urlaub, bei Erkrankung freie ärztliche Behandlung und bei Dienstunfähigkeit Pensionen. Auch für die Hinterbliebenen wird gesorgt. Die Leistungen der besonderen Kasseneinrichtungen der Eisenbahnverwaltungen auf dem Gebiete der Kranken-, Invaliden- und Altersversicherung gehen über die reichsgesetzlichen Mindestleistungen weit hinaus. Für die Gewährung von Unterstützungen an das Personal in Fällen augenblicklicher Notlage stellen die Verwaltungen überdies reichliche Mittel zur Verfügung.

Dem Personal werden während der Dienstleistung bequeme und reinliche Unterkunfts- und Übernachtungslokale, Wasch- und Badegelegenheit, Schutzkleider, Kocheinrichtungen zum Wärmen der Speisen zur Verfügung gestellt, billige Speisen und alkoholfreie Getränke verabreicht; es werden Dienst- und Mietwohnungen mit Gärten, für unverheiratetes Personal Ledigenheime erbaut. An Baugenossenschaften und auch zum Eigenhausbau werden nieder verzinsliche Darlehen von den Eisenbahnverwaltungen hingegeben. An 100 000 Wohnungen für das Personal bestehen zurzeit im Bereiche der deutschen Staatseisenbahnverwaltungen.

Die Arbeiter wirken an der Regelung ihrer Verhältnisse in den Arbeiterausschüssen mit.

Die Eisenbahnen der außerdeutschen Staaten sind in den letzten Jahrzehnten vielfach von Arbeitseinstellungen mehr oder minder ernster Art heimgesucht worden. In manchen Ländern sind strafgesetzliche Bestimmungen gegen den Streik der Eisenbahner [893] erlassen worden. Dem deutschen Wirtschaftsleben sind bisher, obwohl strafgesetzliche Bestimmungen nicht bestehen, die schweren Schädigungen eines Eisenbahnstreiks erspart geblieben.

Die Eisenbahnfinanzen.

Die Eisenbahnen (ausnahmlich der Kleinbahnen) haben in Deutschland im Jahre 1911 eine Gesamteinnahme von fast 3⅓ Milliarden Mark erzielt, mehr als in irgend einem anderen Lande Europas, England nicht ausgenommen, obwohl das Anlagekapital der englischen Eisenbahnen um mehr als die Hälfte höher ist als das der deutschen.

Die Einnahmen der deutschen Bahnen haben sich in den letzten 25 Jahren verdreifacht. Ihre Entwicklung war allerdings keine gleichmäßig aufsteigende, vielmehr spiegeln sich in ihr getreu die Wellen der Bewegung unseres allgemeinen Wirtschaftslebens wieder. Die wirtschaftlichen Krisen der Jahre 1890/91, 1901 und 1908 kommen in Einsenkungen der Entwicklungslinie der Eisenbahneinnahmen zum Ausdruck. Die Regelmäßigkeit ihrer Wiederkehr und ihre kurze Dauer legt aber Zeugnis ab von dem gesunden Zustande unseres Wirtschaftslebens.

Die gesamten Betriebsausgaben der deutschen Eisenbahnen haben 1911 über 2 Milliarden Mark betragen. Während die Einnahmen in den letzten 25 Jahren sich verdreifachten, haben sich die Ausgaben fast vervierfacht, die Selbstkosten des Eisenbahnbetriebs haben also stärker zugenommen als die Einnahmen. Weitaus den größten Ausgabenposten der Eisenbahnverwaltungen bildet der Aufwand für das Personal. Er ist verhältnismäßig am stärksten gestiegen. Denn zugleich mit den Bezügen des Personals ist seine Zahl stark erhöht worden.

Für die Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Eisenbahnunternehmens gibt die sogenannte Betriebszahl (Betriebskoeffizient) einen Anhaltspunkt. Sie drückt die Betriebsausgaben in Hundertteilen der Betriebseinnahmen aus.

Die Betriebszahl der deutschen Bahnen ist in den letzten 25 Jahren von 55 auf 65 gestiegen und hat in einzelnen Rechnungsjahren auch die letztere Ziffer noch erheblich überschritten.

Trotzdem hat der Betriebsüberschuß ausgereicht, um im Jahre 1911 das Anlagekapital der deutschen Bahnen mit 6½% zu verzinsen. Die Betriebsrente ist in Deutschland höher als in den anderen europäischen Ländern, obwohl die deutschen Tarife zum Teil niederer sind. In den außerdeutschen Ländern erfordern die Eisenbahnen vielfach Zuschüsse aus allgemeinen Staatsmitteln zur Deckung ihrer Schuldenlast, in Deutschland bringen sie größtenteils dem Staate Überschüsse ein.

Die Verzinsung des Anlagekapitals der deutschen Eisenbahnen hat sich seit 25 Jahren beträchtlich gehoben.[2] Die Bahnrente hat sich also verbessert in einer Zeit, in der die Betriebskosten gestiegen und die Tarife gesunken sind. Diese Erscheinung ist, abgesehen von den Fortschritten der Technik und der Vereinfachung der Verwaltung, vor allem eine Folge des Gesetzes der Massennutzung, das den modernen Verkehr beherrscht. Mit der Zunahme der Transportmengen werden die Anlagen besser ausgenützt, der Umsatz wächst, die Preise sinken, der Ertrag steigt.

[894] Der Überschuß des Eisenbahnbetriebs hat in erster Linie für die Deckung der Zinslast zu dienen. Bei keiner der deutschen Staatsbahnverwaltungen erreicht die Schuld die volle Höhe des Anlagekapitals. Bei allen ist teils infolge von Schuldentilgung, teils infolge der aus laufenden Mitteln erfolgten Vermehrung des Anlagekapitals die Schuld langsamer gewachsen als das Anlagekapital.

Die Anschauungen darüber, ob Staatsschulden für werbende Anlagen überhaupt getilgt werden müssen, sind geteilt. Sicher ist aber, daß die Lage eines wirtschaftlichen Unternehmens, mag es Staats- oder Privatunternehmen sein, um so günstiger ist, je mehr es abgeschrieben hat. Darum haben alle deutschen Verwaltungen eine planmäßige Schuldentilgung eingeführt. Die Tilgungssätze bewegen sich zwischen 0,6 und 2,3% der Schuld.

Wenn infolge von Wellenbewegungen in der allgemeinen Wirtschaftslage die Einnahmen eines Eisenbahnunternehmens zurückgehen, können in der Regel die Ausgaben nicht sofort dementsprechend ermäßigt werden, sie steigen vielmehr noch eine Zeitlang weiter. Die Folge ist, daß in solchen Jahren der Überschuß stark zurückgeht und nach Umständen auch für die Verzinsung der Schuld nicht mehr ausreicht. Solche Schwankungen in den Ergebnissen des Eisenbahnbetriebs üben äußerst ungünstige Rückwirkungen auf den Gesamtstaatshaushalt aus. Die meisten deutschen Staatseisenbahnen sind daher in den letzten Jahren zur Bildung von Ausgleichsfonds übergegangen, die aus den Überschüssen guter Jahre gespeist werden. Es ist damit eine wichtige Sicherung des Eisenbahn- und allgemeinen Staatshaushalts der Bundesstaaten geschaffen worden.

Die Staatseisenbahnen haben ihre Betriebsüberschüsse, soweit diese nicht für die Verzinsung und Tilgung der Eisenbahnschuld notwendig sind, an den allgemeinen Staatshaushalt abzuliefern, ebenso wie umgekehrt der Staatshaushalt etwaige Fehlbeträge im Eisenbahnbetrieb zu decken hat. In den meisten Bundesstaaten ist in den letzten Jahren das Verhältnis zwischen Eisenbahnbetrieb und allgemeinem Staatshaushalt und die gegenseitige Zuschußleistung geregelt worden. In Preußen haben die Ablieferungen für allgemeine Staatszwecke im letzten Jahrzehnt jährlich zwischen 99 und 220 Millionen Mark betragen.




In mehreren außerdeutschen Ländern haben sich die Eisenbahnen in den letzten Jahren genötigt gesehen, zur Deckung des steigenden Betriebsaufwandes Erhöhungen ihrer Tarife durchzuführen oder doch ins Auge zu fassen. Die deutsche Volkswirtschaft ist vor dieser Gefahr bisher bewahrt geblieben. Bei den deutschen Staatseisenbahnverwaltungen haben sich im Gegenteil, wie im Vorstehenden gezeigt wurde, ungeachtet großer Mehrleistungen für den Verkehr und für die Wohlfahrt des Personals, in den letzten Jahrzehnten wichtige Wandlungen zur inneren finanziellen Kräftigung der Unternehmungen vollzogen. Auf eine geradezu glänzende finanzielle Entwicklung blickt das preußische Staatseisenbahnunternehmen zurück. Es dürfte wie an Größe so auch an sicherer Gründung seiner wirtschaftlichen Lage von keinem anderen Eisenbahnunternehmen der Welt übertroffen werden.

[895]

V. Die städtische Verkehrspolitik.

Die Straßenbahnen.

Städte können, sobald sie 50 000 Einwohner erreicht haben, in der Regel die Straßenbahn nicht mehr entbehren. Bei dem starken Anwachsen der städtischen Bevölkerung im deutschen Reiche sind immer neue Straßenbahnnetze in den Mittelstädten entstanden. Die bereits bestehenden sind mächtig erweitert worden. In den 1890er Jahren begann die Elektrisierung der Straßenbahnen und damit eine Epoche glänzenden Aufschwungs und immer größerer Verbreitung dieses Verkehrsmittels.

Am 1. April 1912 gab es in Deutschland etwa 4600 km Straßenbahnen, die Gleislänge der deutschen Straßenbahnen hat sich in 25 Jahren versechsfacht.

Die Gemeinden waren in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr bestrebt, den Privatbetrieb durch den gemeindlichen Betrieb zu ersetzen. Freilich die Gefahren, denen der staatliche Betrieb wirtschaftlicher Unternehmungen ausgesetzt ist, drohen dem gemeindlichen Betrieb in verstärktem Maße, und so macht sich neuerdings eine gewisse Strömung gegen die weitgehende Kommunalisierung technischer Betriebe, insbesondere gegen gemeindliche Betriebe der Straßenbahnen geltend.

Die Stadt Berlin hat bei ihren im Jahre 1911 zum Abschluß gelangten Verhandlungen mit der großen Berliner Straßenbahn den Weg des Kommunalbetriebs nicht beschritten. Sie hat vielmehr der genannten Gesellschaft den Straßenbahnbetrieb im Weichbild Berlins in einem bis zum Jahre 1950 laufenden Vertrag wiederum übertragen, sich dabei jedoch einen maßgebenden Einfluß auf die Verwaltung des Unternehmens und das Recht, die Bahnen unter bestimmten Bedingungen einzulösen, gesichert.

Die Stadtschnellbahnen.

Stadtschnellbahnen, d. s. auf eigenem Bahnkörper geführte Eisenbahnen, die lediglich dem inneren städtischen Schnellpersonenverkehr dienen, sind in der Regel nur in Weltstädten Bedürfnis.

Gleichwohl haben die Industriestädte Barmen, Elberfeld und Vohwinkel, die zusammen noch keineswegs die Einwohnerzahl einer Weltstadt erreichen, zur Vermittlung ihres überaus lebhaften gegenseitigen Personenverkehrs ein ganz neues eigenartiges Stadtbahnunternehmen ins Leben gerufen. Sie erbauten als Stadtschnellbahn eine Schwebebahn nach dem System Langen. Die Wagen hängen an Drehgestellen, die auf einer einzigen Schiene laufen. Die Bahn ist hoch über dem Gelände auf mächtigen Stützen meist über der Wupper geführt. Sie besitzt eine Länge von 13,3 km und hat kaum 1½ Millionen Mark für das Kilometer gekostet, während sonst eine Stadtbahn, wenn sie als Hochbahn ausgeführt wird, nicht unter 3 Millionen Mark und als Untergrundbahn nicht unter 5–10 Millionen Mark für das Kilometer herzustellen ist. Dabei steht die Schwebebahn der Stadtbahn an Schnelligkeit und Leistungsfähigkeit nicht nach. Trotzdem hat das interessante Unternehmen der drei Städte bisher keine Nachahmung gefunden.

Wenn man in Übereinstimmung mit der statistischen Begriffsbestimmung Stadtgebilde von mehr als 1 Million Einwohner als Weltstädte bezeichnet, so ist im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts Groß-Hamburg (mit Altona) in die Reihe der Weltstädte [896] eingetreten. Es hat in dieser Zeit zwei selbständige Stadtschnellbahnen erhalten, die 27 km lange elektrische Schnellbahn Ohlsdorf–Hamburg–Altona–Blankenese, die zum größten Teil vom preußischen Staat hergestellt ist und von ihm betrieben wird, und die 28 km lange elektrische Hoch- und Untergrundbahn, die für Rechnung des Hamburgischen Staates von den Firmen Siemens & Halske und der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft erbaut und nunmehr von diesen beiden Gesellschaften auch in Pacht genommen wurde. Wichtige Anschlußlinien zur Aufschließung des umliegenden Geländes für die großstädtische Besiedelung sollen künftig das Hamburger Stadtbahnnetz ergänzen.

In der Reichshauptstadt Berlin ist die schon im Jahre 1882 eröffnete Stadt- und Ringbahn nunmehr an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt. Sie wird noch als Dampfbahn betrieben und soll, wie schon oben erwähnt wurde, für den elektrischen Betrieb eingerichtet und damit in den Stand gesetzt werden, einen doppelt so großen Verkehr zu bewältigen.

Eine neue wichtige Schnellbahn, die elektrische Hoch- und Untergrundbahn, ist im Jahre 1902 zunächst mit der Strecke Warschauer Brücke–Zoologischer Garten mit Abzweigung zum Potsdamer Platz eröffnet und seitdem mehrfach erweitert worden. Mit den zurzeit in Ausführung begriffenen und voraussichtlich noch in diesem Jahre zur Eröffnung gelangenden Neubaustrecken wird das Netz der Groß-Berliner Hoch- und Untergrundbahnen eine Gesamtlänge von etwa 60 km erreichen.

Die sonst so mächtig emporstrebende Reichshauptstadt ist in den letzten Jahrzehnten in der Entwicklung ihres Schnellbahnwesens hinter anderen Weltstädten zurückgeblieben. Die Teilung Groß-Berlins in eine Reihe von Einzelgemeinden, deren jede ihre eigene Verkehrspolitik verfolgte, ließ einen einheitlichen Plan für die Ausgestaltung des Schnellbahnnetzes nicht zustande kommen.

Zwecksverbandsgesetz für Groß-Berlin.

Um ein Organ zu schaffen, das die einander widerstrebenden Sonderinteressen vereinigt, hat der preußische Staat einen Verkehrs- und gemeindepolitisch gleich interessanten gesetzgeberischen Schritt getan, indem er durch das im vorigen Jahre in Kraft getretene Zweckverbandsgesetz für Groß-Berlin die 9 Gemeinden des großstädtischen Verkehrsgebietes zwangsweise zu einem Zweckverband zusammenschloß. Der Zweckverband soll der gemeinsame Träger einer einheitlichen Bahn-Baulinien- und Freiflächenpolitik sein. Das groß gedachte Gesetz, in welchem die preußische Regierung mit kraftvoller Initiative dem schädlichen Einfluß der kommunalen Zersplitterung im Verkehrswesen Groß-Berlins entgegenzuwirken sucht, wird zweifellos dazu beitragen, der deutschen Reichshauptstadt auch auf diesem Gebiete den ihr gebührenden Platz unter den Weltstädten wiederum zu verschaffen.

Das Gesetz hat die Tätigkeit des Zweckverbandes nicht auf die Verkehrspolitik beschränkt. Nach der bisherigen Entwicklung ist leider nicht anzunehmen, daß das großstädtische Wohnungsproblem durch die Verkehrspolitik allein wird gelöst werden können.

Tausende von Kilometern neuer Straßen-, Vorort- und Stadtschnellbahnen sind [897] in den letzten Jahrzehnten in den deutschen Großstädten erbaut worden, aber die Wohnungen sind nicht billiger geworden. Wo der Verkehr mit ländlichem Grund und Boden in Berührung trat, sind hohe Grundpreise entstanden, die Mietkaserne ist immer weiter in die Außenbezirke und selbst in die Vororte vorgedrungen, den minderbemittelten Klassen ist es nicht beschieden worden, auf eigener Scholle zu wohnen.

Mancherlei Mittel zur Abhilfe sind vorgeschlagen, sogar einer grundsätzlichen Änderung unseres Eigentumrechts am Grund und Boden wird das Wort geredet. Das Zweckverbandsgesetz hat in glücklicher Weise in den Wirkungskreis der neugeschaffenen Organisation neben der Verkehrspolitik auch die Baulinien- und Freiflächenpolitik gelegt. Gerade die Verbindung von Verkehrs- und Wohnungspolitik erscheint bedeutungsvoll: Die Vorstreckung erstklassiger, den Bedürfnissen des Wohnverkehrs besonders angepaßter Schnellbahnen in Gebiete ländlichen Charakters, die Sicherstellung großer billiger Geländeflächen für den Wohnungsbau vor der Herstellung der Bahnen, sowie die zielbewußte Schaffung von Erleichterungen für die Ansiedelung der minderbemittelten Klassen, womit die Befriedigung der Wohnungsbedürfnisse der Wohlhabenden und die Deckung des Geländebedarfs der Industrie Hand in Hand zu gehen hätte, dürften in der Tat vielleicht die alleinigen Mittel sein, die geeignet sind, die erstrebenswerte Ausbreitung der Bevölkerung unserer Millionenstädte über weite Flächen blühenden Gartenlandes anzubahnen.

VI. Deutsche Eisenbahnpolitik in den Schutzgebieten.

Im Jahre 1894, also zehn Jahre nachdem Deutschland in die Reihe der Kolonialmächte eingetreten ist, wurde mit der ersten 14 km langen Teilstrecke der Usambara-Bahn in Deutsch-Ostafrika die erste Eisenbahn in unseren Schutzgebieten eröffnet. Bereits 1906 gab es in den deutschen Kolonien 1000 km Bahnen.

Von nun an setzte eine überaus rasche Entwicklung ein. Es ist das Verdienst Dernburgs, daß er die große Bedeutung der Eisenbahnen für die wirtschaftliche Entwicklung unserer Schutzgebiete erkannt und einen groß angelegten Plan für den Ausbau des Kolonialbahnnetzes ausgearbeitet hat. 1908 und 1910 brachte er zwei große Kolonialvorlagen ein, und schon 1910 war das zweite Tausend Kilometer Bahnen überschritten. Nach Vollendung der jetzt im Bau begriffenen Linien, etwa Ende 1913, wird Deutschland in seinen Schutzgebieten rund 4500 km Bahnen besitzen, unsere Kolonialbahnen werden damit an Länge bereits dem Eisenbahnnetz der Schweiz gleichkommen.

In Deutsch-Ostafrika ist außer der Usambara-Bahn, die bis Moschi, 352 km von der Küste in das Innere vorgestreckt ist, nunmehr auch die Mittellandbahn auf eine Länge von 867 km bis nach Tabora, der wichtigsten Stadt des Schutzgebietes mit 40 000 Einwohnern, fertiggestellt. Sie wird in westlicher Richtung bis zum Ostufer des Tanganjika-Sees fortgesetzt und vermittelst eines auf diesem See einzurichtenden Dampfschiffbetriebs Anschluß an das Kongobahnnetz erhalten, das einen Ausläufer bis zum Westufer dieses Sees entsenden wird. Man hofft den See von beiden Seiten bis Ende des Jahres 1913 erreichen und damit die erste großen, teils aus Eisenbahnlinien, teils aus Schiffahrtsstrecken [898] bestehende Verkehrsstraße quer durch Afrika vom indischen bis zum atlantischen Ozean eröffnen zu können.

Ein ganzes Netz von Bahnen ist in Deutsch-Südwestafrika entstanden, wo von den Küstenplätzen Swakopmund und Lüderitzbucht aus Stichbahnen bis tief in das Innere hergestellt und durch eine mächtige Nord-Südlinie Karibib–Windhuk–Keetmanshoop miteinander verbunden wurden. Das Eisenbahnnetz in Deutsch-Südwestafrika ist mit fast 2000 km das größte in den deutschen Schutzgebieten.

Kleinere, aber wirtschaftlich nicht unbedeutende Aufschließungslinien sind in Togo und Kamerun teils ausgeführt, teils im Bau begriffen.

Die deutschen Kolonialbahnen sind fast durchwegs Staatsbahnen im Besitze der Schutzgebiete selbst. Einige wichtige Linien sind erst neuerdings in das Eigentum des Reichs übergegangen. Den Betrieb führen jedoch Privatgesellschaften gegen Entrichtung eines Bahnpachtzinses.

Die Bahnen sind teils in Meterspur, teils in Kapspur (1,067 m) ausgeführt. Die Kapspur ist die Spurweite der englischen Bahnen in Südafrika und der Kap-Kairo-Bahn, die nach Cecil Rhodes kühnem Plan den afrikanischen Kontinent von Süden nach Norden in einer Länge von 9500 km (mit Einschluß der Dampfschiffstrecken) durchziehen soll, allerdings jetzt noch eine Lücke von 3500 km aufweist. Wo bei unseren deutschen Kolonialbahnen ein Anschluß an die englischen Bahnen in Südafrika oder an die Kap-Kairo-Bahn künftig in Frage kommen kann, wurde die Kapspur gewählt.

Das Anlagekapital der Bahnen in den deutschen Schutzgebieten wird Ende 1913 auf etwa 378 Millionen Mark angewachsen sein. Es beträgt ungefähr 84 000 Mark für das Kilometer, nicht ganz ein Drittel des Anlagekapitals der deutschen Bahnen im Mutterland. Im Jahre 1911 haben die deutschen Kolonialbahnen eine Verzinsung des Anlagekapitals von 2,2% aufgebracht, ein sehr zufriedenstellendes Ergebnis, wenn man berücksichtigt, daß sie Erschließungsbahnen sind, die in allererster Linie der wirtschaftlichen Hebung der Schutzgebiete dienen sollen.

Wie die kürzlich erschienene Denkschrift des Reichskolonialamts feststellt, haben die neu in Betrieb gesetzten Bahnen vielfach einen geradezu erstaunlichen Einfluß auf die Kolonialwirtschaft ausgeübt, weshalb bei der Beurteilung ihrer Wirtschaftlichkeit vor allem die indirekte Rentabilität berücksichtigt werden muß. Die Bahnen in den Schutzgebieten mehren die Einnahmen an Zöllen und Steuern, mindern die Ausgaben für die Verwaltung und militärische Sicherung der Schutzgebiete und decken auf diese Weise wenigstens mittelbar die Verzinsung ihres Anlagekapitals.

In Deutsch-Ostafrika mußte, solange es keine Bahnen gab, ausschließlich der Mensch die Lasten tragen. Aber der Trägerverkehr ist langsam und teuer. Mehr als 25–35 kg nimmt ein Träger nicht. Er muß daneben noch seine Lebensmittel und die Utensilien für die tägliche Rast tragen. Je nach den Verhältnissen müssen für die Beförderung der Lasten Preise von 0,60–2,30 Mark für das Tonnenkilometer bezahlt werden. Auch bei der in Togo üblichen Lastenbeförderung in Karren, die von Menschen gezogen werden, und bei dem in Südafrika vorherrschenden Transport im Ochsenwagen betragen die durchschnittlichen Frachtenpreise 0,60–1,70 Mark für das Tonnenkilometer. Die Tarife der [899] Eisenbahnen in den deutschen Schutzgebieten bewegen sich zwischen 20 und 25 Pfennig für das Tonnenkilometer. Der gewaltige wirtschaftliche Einfluß dieser Transportverbilligung im Zusammenhang mit der Schnelligkeit, Regelmäßigkeit und Sicherheit des Eisenbahnverkehrs ist ohne weiteres verständlich.

Dazu kommt, daß der Bahnbau der eingeborenen Bevölkerung lohnenden Gewinn bringt und damit ihre Bedürfnisse steigert. Andererseits werden durch die Bahn die zahlreichen Arbeitskräfte, die früher durch die Trägerkarawanen in Anspruch genommen wurden, für den Anbau des Landes frei. Es ist von anderer Seite zutreffend darauf hingewiesen worden, daß ein Eisenbahnzug in Afrika, wenn er nur 50 t Nutzlast 200 km weit an einem Tage befördert, soviel leistet, wie eine Karawane von 13 000 Trägern. Auch für den Europäer wird durch die Eisenbahnen die Ansiedelung erleichtert und eine Verbesserung der Lebensbedingungen geschaffen. So treten die segensreichen Wirkungen des Eisenbahnbaus in unseren deutschen Schutzgebieten augenfällig zutage. Die deutsche Verkehrspolitik unter Kaiser Wilhelm II. ist somit auch hier ihrer großen wirtschaftlichen Aufgabe gerecht geworden.




Rückblick über das Eisenbahnwesen.

Nach mannigfachen Wandelungen in den eisenbahnpolitischen Anschauungen ist Deutschland ein halbes Jahrhundert nach der Erbauung der ersten Bahnen grundsätzlich zum Staatsbahnsystem übergegangen. Es hat die Staatsbahnpolitik auch in seinen jungen Kolonialbesitz übertragen.

Das Staatsbahnsystem hat in den letzten 25 Jahren die Probe des Erfolges in Deutschland glänzend bestanden. Die Klippen, die sonst die wirtschaftlichen Unternehmungen des Staates bedrohen, sind dem deutschen Staatsbahnwesen nicht gefährlich geworden, die bitteren Enttäuschungen, die man teilweise anderwärts mit Eisenbahnverstaatlichungen erlebt hat, sind Deutschland erspart geblieben. Der staatliche Eisenbahnbetrieb hat die in ihn gesetzten Hoffnungen in reichem Maße erfüllt. Die Eisenbahnen sind von den deutschen Regierungen wahrhaft gemeinwirtschaftlich verwaltet worden und haben zu der glänzenden Entfaltung des deutschen Wirtschaftslebens das Ihrige beigetragen. Dabei haben sie sehr befriedigende Erträgnisse geliefert. Und diese erfreuliche Entwicklung des deutschen Eisenbahnwesens hat sich im wesentlichen während der Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. vollzogen.

Niemand wird für Deutschland den Vorrang vor den anderen Ländern der Erde für den ganzen Bereich des weitverzweigten Getriebes der Eisenbahnen in Anspruch nehmen. Bei der Vielgestaltigkeit der wirtschaftlichen und technischen Bedingungen des Eisenbahnwesens in den verschiedenen Ländern wird die Führung auf den einzelnen Gebieten bald von dem einen, bald von dem andern Lande übernommen.

Deutschland hat bis jetzt England nicht erreicht in der glänzenden Ausbildung seines hochentwickelten Personenverkehrs und in der unvergleichlichen Schnelligkeit seiner Güterbeförderung, die deutschen Bahnen werden von den amerikanischen, französischen und englischen übertroffen in einzelnen Rekordleistungen der Fahrgeschwindigkeit, in der [900] Billigkeit der Frachten stehen sie hinter den amerikanischen Bahnen und in der Kühnheit der Ingenieurbauten hinter den schweizerischen und hinter österreichischen Bahnen zurück.

Aber was Behaglichkeit des Reisens bei raschen und reichlichen Verbindungen auf Haupt- und Nebenlinien, Billigkeit des Personenverkehrs, namentlich für die minder leistungsfähigen Schichten der Bevölkerung und für die arbeitenden Klassen, was sorgfältige Anpassung der Gütertarife an die Bedürfnisse des Wirtschaftslebens anlangt, was großräumige und vornehme Ausgestaltung der Bahnhofanlagen und würdige Ausführung aller Bahnbauten, was Ordnung, Sicherheit und Pünktlichkeit des Betriebes, wohl durchdachten Ausbau der Verwaltungseinrichtungen, Gediegenheit der Wirtschaftsführung, wohlwollende Fürsorge für das Personal und unbedingte Verlässigkeit des Beamtentums betrifft, dürfte Deutschland wohl von keinem anderen Lande der Erde übertroffen werden.

Der Straßenverkehr.

Auf der Straße, dem ältesten Gebiet menschlicher Verkehrstätigkeit, haben sich im letzten Vierteljahrhundert Umwälzungen von revolutionärer Bedeutung vollzogen. Fahrrad und Kraftfahrzeug sind in die Reihe der Hilfsmittel des modernen Verkehrs eingetreten.

Das Fahrrad.

Das Fahrrad ist zwar in seinen wesentlichen Bestandteilen eine deutsche Erfindung, aber erst die französische und englische Industrie hat es zum praktisch brauchbaren Verkehrsmittel ausgebildet. Nachdem die englische Industrie gegen das Ende der 1880er Jahre an die Stelle des Hochrades das Niederrad gesetzt und der englische Tierarzt Dunlop die pneumatische Bereifung erfunden hatten, konnte sich das Fahrrad die Welt erobern.

England konnte seine Alleinherrschaft in der Fahrradindustrie nicht behaupten. Heute erzeugt Deutschland nicht nur seinen Bedarf an Fahrrädern im wesentlichen selbst, sondern es führt auch Fahrräder im Werte von 6½ Millionen Mark im Jahre aus.

Anfangs fast nur zu Sport- und Vergnügungszwecken benutzt, ist das Fahrrad längst zu einem unentbehrlichen Verkehrswerkzeug für die breitesten Schichten des Volkes geworden. Es dient dem Arbeiter und Angestellten im Verkehr zwischen Wohn- und Arbeitsstätte, Handwerksleute, Ärzte, Polizei und Feuerwehr bedienen sich seiner, auch im kleinen Warenverkehr hat es sich einen Platz gesichert, die Postverwaltung macht in der Telegrammzustellung, Briefkastenleerung und sonst vom Fahrrad Gebrauch.

Die staatliche Aufsichtstätigkeit konnte an dem neuen Verkehrsmittel nicht vorübergehen. In der ersten Zeit nahmen die einzelnen Bundesstaaten je für sich die polizeiliche Regelung des Fahrradverkehrs vor. Aus der Ungleichheit ihrer Vorschriften ergaben sich indessen Unzuträglichkeiten, die 1907 zur Feststellung einheitlicher Grundsätze, betreffend den Radfahrverkehr, durch den Bundesrat führten.

Das Fahrrad wurde anfangs vielfach besteuert. Seitdem es zum allgemeinen Verkehrsmittel des Volkes wurde, ist die Steuer in den meisten Bundesstaaten beseitigt worden.

[901]

Das Kraftfahrzeug.

Die ersten Straßen-Dampfwagen sind mit den ersten Lokomotiven entstanden. Aber erst die Verwendung des schnellaufenden, leichten und bequem zu bedienenden Verbrennungsmotors hat dem Kraftfahrzeug seine heutige Stellung unter den Verkehrsmitteln gesichert.

Wie das Fahrrad, so verdankt auch der Kraftwagen mit Verbrennungsmotor deutschem Erfindungsgeist seine Entstehung. Aber auch hier war es nicht die deutsche Industrie, die die Erfindung ins praktische übersetzt hat. Frankreich gebührt der Ruhm, die Standardtype des modernen Automobils ausgebildet und dasselbe in den Verkehr eingeführt zu haben. Das Jahr 1895 mit dem berühmten Automobilrennen Paris–Bordeaux wird gemeinhin als das Geburtsjahr des modernen Kraftwagens bezeichnet. Von diesem Jahre an beginnt sein Siegeslauf durch die Welt.

Auch beim Kraftfahrzeug stand am Anfang die Verwendung für den Sport- und Luxusverkehr im Vordergrund. Aber diese Verwendung trat allmählich mehr und mehr zurück, und heute überwiegt die Verwendung für wirtschaftliche Zwecke. Der Arzt und der Geschäftsmann, der Fabrikbesitzer und der Gutsherr bedienen sich seiner für Geschäfts- und Wohnfahrten. Als Kraftdroschke verdrängt es die Pferdedroschke. Bei den Fahrzeugen des Feuerlösch- und Rettungsdienstes wird die tierische Bespannung durch den Benzinmotor ersetzt. Als Motoromnibus tritt das Kraftfahrzeug mit der Straßen- und Stadtschnellbahn in Wettbewerb, als Postmotor und Überlandomnibus mit der Klein- und Nebenbahn, als Tourenwagen sogar mit der Hauptbahn erster Ordnung. Es hat die Alleinherrschaft der Eisenbahn im Fernverkehr gebrochen. Vergnügungs- und Gesellschaftsfahrten, Studien- und Dienstreisen werden auf weite Entfernungen mit dem Kraftwagen ausgeführt. Der Kraftwagen befördert seinen Fahrgast mit der Geschwindigkeit des Schnellzuges und macht ihn unabhängig von Schiene, Bahnhof und Fahrplan. Auch im Lastenverkehr gewinnt das Kraftfahrzeug an Boden. Als Lieferungswagen, als Fahrzeug für städtische Postverbindungsfahrten, sowie für die Gepäck- und Eilgutzustellung ist es wegen seiner Schnelligkeit dem Pferdefuhrwerk überlegen. Selbst zur Beförderung von schweren Lasten, von Baumaterialien, Bier, Spediteurgut und dergleichen wird es mit Vorteil verwendet.

Zum Antrieb des Kraftfahrzeuges dient in erster Linie der Verbrennungsmotor, viel seltener der aus Akkumulatoren gespeiste Elektromotor und ganz selten die Dampfkraft. Als sog. gleisloser Zug entnimmt das Kraftfahrzeug die elektrische Energie für seine Fortbewegung einem über der Fahrbahn gespannten Doppeldraht, ohne daß es wie die Straßenbahn der Schiene bedarf. Als Motorlastzug nimmt es ganze Reihen von Anhängewagen, die genau der Spur des führenden Fahrzeuges folgen und oft jeder für sich mit eigenem Antrieb versehen werden.

Die Herstellung von Kraftfahrzeugen ist zu einem wichtigen deutschen Industriezweig geworden, der heute etwa 25 000 Angestellte und Arbeiter beschäftigt. Die deutsche Kraftwagenindustrie nimmt, was die Erzeugung von Qualitätsware anlangt, heute mit eine führende Rolle in der Weltproduktion ein. Ein Benzwagen hat in Florida eine Geschwindigkeit von 228 km in der Stunde und damit die größte überhaupt je von einem Fahrzeug erreichte Geschwindigkeit zurückgelegt. Zu Beginn des Jahres 1912 gab es in [902] Deutschland 70 000 Kraftfahrzeuge (einschließlich Krafträder). 10% hiervon dienten dem Lasttransport. Von den der Personenbeförderung dienenden Kraftfahrzeugen finden rund 30% für Vergnügungs- und Sportzwecke, alle übrigen für geschäftliche oder berufliche Zwecke Verwendung. Die dem Lastenverkehr dienenden Fahrzeuge nehmen verhältnismäßig stärker zu als die dem Personenverkehr dienenden.

Das Pferdefuhrwerk, das schon durch die Eisenbahn aus der herrschenden Stellung, die es jahrtausende lang eingenommen hatte, in die dienende verdrängt worden war, hat in unserer Zeit abermals einem neuen Verkehrsmittel weichen müssen. Aber auch diesmal wird der Kampf nicht zur Ausschaltung der altehrwürdigen Technik führen. Das Pferdegespann wird sein Anwendungsgebiet behalten, in das ihm das Kraftfahrzeug nicht folgen kann, und bald wird das wachsende Verkehrsbedürfnis in unserer raschlebigen Volkswirtschaft die Einbuße, die das Pferdefuhrwerk in seiner Verbreitung zunächst erleiden mußte, wieder ausgeglichen haben.

Das neue Mittel des Weltverkehrs hat auch die Verkehrspolitik vor neue Probleme gestellt.

Der Kraftwagenverkehr ist mit nicht geringen Gefahren für das Publikum verbunden. Die Gesetzgebung mußte daher sowohl die zivilrechtliche Haftbarkeit bei vorkommenden Unfällen regeln, als auch dem Eintritt solcher Unfälle durch polizeiliche Vorschriften vorzubeugen suchen.

Die gewöhnliche Verschuldenshaftung des bürgerlichen Rechts war gegenüber dem Kraftwagenverkehr nicht ausreichend. Das Reichsgesetz vom 2. Mai 1909 hat daher die Verschuldenhaftung durch die Gefährdungshaftung ersetzt. Der Fahrzeughalter soll, ähnlich wie nach dem Reichshaftpflichtgesetz der Eisenbahnunternehmer, ohne Rücksicht auf sein Verschulden für die Beschädigungen haften, die durch das Fahrzeug herbeigeführt werden, allerdings nur insoweit, als es sich nicht um die durch das Fahrzeug beförderten Personen und Sachen selbst handelt. Auch ist die Haftpflicht des Fahrzeughalters zum Unterschied von der Haftpflicht des Eisenbahnunternehmers durch bestimmte Höchstbeträge begrenzt. Damit sind die Interessen des Publikums gewahrt, ohne daß die Entwicklung des neuen Verkehrsmittels gehemmt wird.

Das gleiche Reichsgesetz enthält auch die grundlegenden Bestimmungen für die polizeiliche Regelung des Verkehrs mit Kraftfahrzeugen. Eine Bundesratsverordnung vom 3. Februar 1910 hat die nötigen Ausführungsvorschriften erlassen. Die polizeilichen Anordnungen, die durch Strafandrohung gesichert sind, beziehen sich auf die Kennzeichnung der Wagen, die Prüfung der Wagenführer, das Verbot von Wettfahrten usw. Die Fahrgeschwindigkeit ist innerhalb geschlossener Orte auf 15 km in der Stunde beschränkt. Auf freier Landstraße ist in liberaler Weise nicht wie in anderen Ländern eine bestimmte Höchstgeschwindigkeit vorgeschrieben, sondern nur gefordert, „daß die Fahrgeschwindigkeit jederzeit so eingerichtet wird, daß Unfälle und Verkehrsstörungen vermieden werden und daß der Führer in der Lage bleibt, unter allen Umständen seinen Verpflichtungen Genüge zu leisten“.

Der Kraftwagenverkehr macht an den Landesgrenzen nicht Halt. Am 11. Oktober 1909 ist in Paris unter fast allen europäischen Staaten ein internationales Abkommen [903] über den Kraftwagenverkehr abgeschlossen worden, zu dem unterm 21. April 1910 eine deutsche Ausführungsverordnung ergangen ist.

Wie in den meisten europäischen Ländern, so ist auch in Deutschland eine Kraftwagensteuer eingeführt worden. Nach dem Reichsgesetz vom 2. Juni 1906 wird die Steuer, die keineswegs von drückender Höhe ist, in Stempelform für die Erteilung der Erlaubniskarten erhoben.

Die Heeresverwaltung gewährt den Besitzern von sogenannten Armeelastzügen, d. i. für militärische Zwecke brauchbaren Kraftfahrzeugen bestimmter Leistungsfähigkeit einmalige und auf die Dauer von 5 Jahren jährlich wiederkehrende Prämien und sichert sich dadurch einen stattlichen Part von Transportmitteln für den Mobilmachungsfall zu verhältnismäßig billigem Preise. Das Vorgehen der deutschen Heeresverwaltung, das auch anderwärts Nachahmung gefunden hat, ist nicht nur von großer Bedeutung für die Wehrkraft der Nation, sondern hat auch eine günstige Rückwirkung auf die Wirtschaftlichkeit des Lastenverkehrs und auf die Entwicklung der deutschen Kraftwagenindustrie ausgeübt.

Der Luftverkehr.

Das lenkbare Luftschiff.

Das letzte Menschenalter hat dem vieltausendjährigen Sehnen des Menschengeschlechts, dem Vogel gleich willkürlich den Luftraum zu durchmessen, Erfüllung gebracht. Es lag nahe, zur Erreichung dieses Zieles an die ein Jahrhundert alte Technik des Luftballons anzuknüpfen und diesen durch entsprechende Formgebung und durch Ausrüstung mit Motor, Propeller und Steuer zum lenkbaren Fahrzeug umzugestalten. Als Motor war der durch die Automobiltechnik vortrefflich ausgebildete leichte Benzinmotor fast ohne weiteres brauchbar. Nachdem es schon 1884 einem französischen Lenkballon gelungen war, bei einer Fahrt von fast 8 km Länge zu seinem Ausgangspunkt zurückzukehren, haben kühne Sportsleute und geistvolle Ingenieure in Frankreich um die Jahrhundertwende die ersten praktisch brauchbaren Lenkluftschiffe hergestellt.

Um die gleiche Zeit, zu der in Frankreich diese erfolgreichen Arbeiten durchgeführt wurden, trat auch ein deutscher Mann an die Lösung des Problems heran. Es war Graf Zeppelin, dem das Verdienst gebührt, das erste deutsche lenkbare Luftschiff erbaut zu haben. Während man aber in Frankreich das halbstarre System verfolgte, bei welchem unter der Ballonhülle ein starrer Längskörper angebracht und dadurch dem Fahrzeug eine feste Längsform gegeben wird, war der Grundgedanke der Zeppelinschen Lösung die Herstellung des Luftschiffes aus einem durchaus starren Gerippe von schlanker zylinderischer Gestalt, das in seinem Innern eine Reihe selbständiger, mit Wasserstoff gefüllter Abteilungen aufnahm. Die ersten Versuche mißglückten vollständig. Aber mit bewunderungswürdiger Beharrlichkeit verfolgte Graf Zeppelin den eingeschlagenen Weg weiter. Endlich am 9./10. Oktober 1906 gelangen die ersten Fahrten über dem Bodensee, am 1. Juli 1908 unternahm er die denkwürdige Zielfahrt in die Schweiz, eine der kühnsten und aeronautisch schwierigsten Leistungen, die wohl je ausgeführt wurden, und [904] wenige Wochen darauf die große zweitägige Dauerfahrt nach Mainz, die mit der heute noch nicht voll aufgeklärten Katastrophe von Echterdingen endigte. Aber dieses neuerliche Mißgeschick konnte das deutsche Zeppelin-Luftschiff in seinem siegreichen Vorwärtsdringen nicht mehr aufhalten. Die große Fernfahrt hatte in Deutschland einen gewaltigen Eindruck gemacht, eine allgemeine nationale Begeisterung bemächtigte sich des deutschen Volkes, und durch eine freiwillige Sammlung wurde ein Kapital von über 7 Millionen Mark aufgebracht für die Fortsetzung des Luftschiffbaues in großem Stil.

Wohl war auch in der Folge noch manches widrige Geschick zu überwinden, aber immer vollkommner wurde der Bau der Luftschiffe, immer größer ihre Geschwindigkeit und damit ihre Unabhängigkeit von den Luftströmungen. Die neuesten Luftkreuzer des Zeppelintyps erhalten Maschinen mit bis zu 500 Pferdestärken, die ihnen einen Vortrieb von mehr als 75 km in der Stunde verleihen. Sie sind die schnellsten Luftschiffe der Welt und können auch gegen stürmische Winde erfolgreich ankämpfen.

Auch das unstarre Luftschiff hat in Deutschland seine vollkommenste Ausbildung erfahren. Das Zeppelin-Luftschiff ist um so erfolgreicher, je größer seine Dimensionen sind, es kann nur in seinem eigenen Element und mit der eigenen Maschinenkraft von Ort zu Ort befördert werden. Das unstarre System ermöglicht die Herstellung viel kleinerer Fahrzeuge, die jederzeit ohne Schwierigkeit zerlegt und verpackt werden können. Das unstarre Luftschiff ist von Major Parsefal geistvoll durchgebildet und zu einem vielseitig verwendbaren und überaus leistungsfähigen Fahrzeug ausgestaltet worden.

Das Flugzeug.

Es ist ein interessantes Beispiel jener nicht seltenen Duplizität der Ereignisse, daß fast um die gleiche Zeit, zu der es gelang, die ersten praktisch brauchbaren Lenkballons zu bauen, das Flugproblem auch mit Fahrzeugen schwerer als die Luft seiner Lösung zugeführt wurde.

Auf Grund genauer Beobachtung des Vogelflugs baute der Berliner Flugforscher Lilienthal zu Beginn der 1890er Fahre Gleitflugapparate, die teils aus einfachen, teils aus doppelt übereinander angeordneten Tragflächen bestanden und mit denen er beim Abflug von einer Anhöhe unter geschickter Ausnutzung des Gegenwindes Entfernungen von mehreren hundert Metern freischwebend in der Luft zurücklegen konnte. Lilienthal fiel seinen kühnen Versuchen zum Opfer, als er eben im Begriffe stand, zum Flug mit motorischer Kraft überzugehen.

Seine bahnbrechenden Arbeiten wurden zur Grundlage der Erfindung des Flugzeugs. Auf Lilienthal bauten die beiden Amerikaner Gebrüder Wright bei ihren Versuchen in den Vereinigten Staaten auf. Sie rüsteten ihren als Doppeldecker ausgebildeten Gleitflieger mit Motor und Propeller aus, und damit gelang es ihnen, in den Jahren 1903 bis 1905 die ersten Flüge auszuführen. So war das Flugzeug geschaffen. Es wurde in der Folge, insbesondere in Frankreich wesentlich vervollkommnet, neben dem Doppeldecker wurde auch der viel leichtere, geschwindere, aber auch gefährlichere Eindecker ausgebildet. Auch deutsche Piloten haben mit deutschen Apparaten bedeutende Flüge ausgeführt. So hat der Münchener Ingenieur Hirth auf einer Rumplerschen Taube die 530 km lange Strecke München–Berlin in 5¾ Stunden Flugzeit [905] zurückgelegt. Die Flugmaschine hat Höhen von über 5000 m und Geschwindigkeiten von über 170 km in der Stunde erreicht und außer dem Piloten noch 5 Passagiere mit in die Lüfte genommen.

Bedeutung des Luftverkehrs.

Der Schwerpunkt der praktischen Bedeutung von Luftschiff und Flugzeug liegt zurzeit noch auf militärischem Gebiet. Als Friedensverkehrsmittel kommen sie noch kaum in Betracht, wenn auch ihre Verwendung für Zwecke der geometrischen Landesaufnahme und auch für die Personen- und Postbeförderung in unerschlossenen und unwegsamen Gebieten der Tropen ernstlich vorgeschlagen wurde. Hier würde insbesondere das Flugzeug als das von der Straße ganz unabhängige Automobil der Lüfte zur Vermittlung des Kleinverkehrs unschätzbare Dienste leisten können, aber leider ist es für die Bedienung eines regelmäßigen Verkehrs, seiner außerordentlichen Gefährlichkeit halber, heute noch kaum brauchbar. Seine Führung erfordert eine ungewöhnliche Geschicklichkeit. Die kleinsten Versehen des Piloten, die geringsten Fehler im Mechanismus, unvorhergesehene Luftströmungen führen zu Katastrophen. In Deutschland allein haben im Jahre 1912 nicht weniger als 42 Piloten und Passagiere von Flugzeugen bei dem gefährlichen Sport den Tod gefunden.

Die Betriebssicherheit des lenkbaren Luftschiffs ist erheblich höher. Aber seine geringe Wirksamkeit im Kampfe mit widrigen Luftströmungen und die hohen Kosten der Fahrzeuge sowohl als der Luftschiffhallen stehen auch einer Verwendung des Luftschiffes als regelmäßigen Verkehrsmittels zurzeit noch entgegen.

Die menschliche Technik hat bis jetzt wohl die Möglichkeit eines Luftverkehrs praktisch bewiesen, aber Fahrzeuge, die wirtschaftlich und technisch den Anforderungen eines regelmäßigen Betriebs entsprechen, werden erst in einer nun folgenden Periode ernster Konstruktions- und Versuchsarbeit ausgebildet werden müssen. Das letzte Menschenalter hat das Telephon, die elektrische Bahn, das Fahrrad, das Automobil und die drahtlose Telegraphie in den Dienst des Verkehrs gestellt. Wir dürfen bei dem jüngsten Sproß des Weltverkehrs nicht kleinmütig sein. Aber wir dürfen auch nicht übersehen, daß die Luftschraube noch auf eine sehr junge Entwicklung zurückblickt im Vergleiche mit der ehrwürdigen Technik von Straße und Wagenrad, auf der die Technik des Automobils aufbauen konnte.

Post- und Telegraphenverkehr.

Auch in der Entwicklung des postalischen Nachrichten-, Zeitungs- und Warenverkehrs, sowie des elektrischen Nachrichten-Schnellverkehrs spiegelt sich der gewaltige Aufschwung wieder, den das wirtschaftliche, soziale und geistige Leben Deutschlands in den letzten Jahrzehnten genommen hat. Der Anteil, den die deutschen Postverwaltungen an der Förderung des nationalen Handels und der deutschen Industrie, des Familien-, Gemeinde- und Staatswesens und namentlich auch der geistig-sittlichen Beziehungen unserer Volksgenossen sich zuschreiben dürfen, läßt sich nicht messen. Das Jahr des Regierungsantrittes [906] Kaiser Wilhelms II. fand in Umfang, Technik und Betrieb ein auf das höchste entwickeltes Post- und Telegraphenwesen vor. Gleichwohl hat die Zwischenzeit zahlreiche neue Fortschritte von zum Teil eingreifendster Bedeutung gebracht.

I. Verkehrsentwicklung.

Der Postverkehr.

Wie sehr während der Regierungszeit unseres Kaisers die deutschen Posteinrichtungen sowie der deutsche Postverkehr in seinen verschiedenen Zweigen an Umfang zugenommen haben, lassen die folgenden Angaben ersehen.

Während im ganzen deutschen Reiche Ende 1887 19 476 Postanstalten und 74 848 Postbriefkästen gezählt wurden, waren Ende 1911 vorhanden 40 950 Postanstalten und 155 766 Postbriefkästen.

Es hat sich demnach während dieses 24jährigen Zeitraumes die Zahl der Postanstalten und ebenso diejenige der Postbriefkästen mehr als verdoppelt. Die Postanstalten zur Einwohnerzahl in Beziehung gesetzt, zeigt sich, daß im deutschen Reiche eine Postanstalt entfiel

Ende 1887 auf 2406 Einwohner;
Ende 1911 auf 1585 Einwohner.

Es haben sich mithin während dieser 24 Jahre die deutschen Postanstalten wesentlich stärker vermehrt als die Bevölkerung Deutschlands.

Im Briefpostverkehr, der neben der Beförderung von Briefen und Postkarten auch die Beförderung von Drucksachen, Geschäftspapieren und Warenproben in kleinen Mengen ohne Kaufwert umfaßt, wurden von den deutschen Posten vermittelt in Millionen Stück:

1887 1911
im ganzen davon innerhalb
Deutschlands
im ganzen davon innerhalb
Deutschlands
Briefe   897,8 735,2 3215,4 2712,8
Postkarten 276,6 251,4 1871,4 1617,2
Drucksachen 275,3 218,5 1477,6 1243,0
Geschäftspapiere 25,5 20,0
Warenproben 20,3 11,6 103,4 67,4

Innerhalb des in Vergleich stehenden 24jährigen Zeitraumes ist demnach gestiegen der Briefverkehr auf das 33/5fache, der Warenprobenverkehr auf das 5fache, der Verkehr in Drucksachen und Geschäftspapieren auf nahezu das 5½fache und der Postkartenverkehr auf das 6 ¾fache.

Im Zeitungsverkehr wurden von den deutschen Posten befördert in Millionen Stück:

1887 1911
im ganzen davon innerhalb
Deutschlands
im ganzen davon innerhalb
Deutschlands
Zeitungsnummern 624,8 607,5 2278,7 2222,2
Außergewöhnliche Zeitungsbeilagen 41,3 41,3 290,7 290,7

[907] Der Zeitungsverkehr hat somit von 1887–1911 um das 3⅔fache zugenommen, während zugleich die Zahl der beförderten außergewöhnlichen Zeitungsbeilagen sich versiebenfachte.

Im deutschen Postpaketverkehr ist von 1887–1911 gestiegen in Millionen Stück die Zahl der

1887       1911
Pakete ohne Wertangabe von 97,8 (91,7) auf 292,3 (264,8)
Pakete, Briefe und Kästchen mit Wertangabe von 12,2 (10,5) auf 13,6 (10,9)

(Die in Klammern gesetzten Zahlen bedeuten hier und im folgenden die Beförderungsziffern für den Verkehr innerhalb Deutschlands.)

Sohin hat innerhalb des Zeitraumes 1887–1911 der Verkehr in gewöhnlichen Paketen um das 3fache zugenommen, während der Verkehr in Wertpaketen und sonstigen Wertsendungen nur eine geringe prozentuale Steigerung der Stückzahl aufweist. Die von den Absendern angegebenen Geldwerte haben hierbei betragen in Millionen Mark:

1887       1911
bei den Wertpaketen   3 749,2 (3 359,9) 11 600,9 (11 087,7)
bei den übrigen Wertsendungen 10 663,2 (9 876,4) 10 731,0 (10 092,4)

In dem auf den deutschen Posten bewältigten Postanweisungsverkehr hat sich innerhalb der Periode 1887–1911 die Stückzahl von 67,7 (65,3) auf 186,2 (174,9) Millionen, d. h. um das 2¾fache, der gesamte Geldwert von 3991,6 (3887,7) auf 9525,3 (9028,3) Millionen Mark, demgemäß um das 22/5fache gesteigert.

Seit 1909 ist im Postanweisungsverkehr allerdings ein gewisser Rückgang eingetreten, der noch anhält. Diese Erscheinung hängt aber offensichtlich zusammen mit der Einführung des Postscheck- und Überweisungsverkehrs.

Im Geldeinziehungsverkehr, den die deutschen Posten in Gestalt der Nachnahme- und Postauftragssendungen vermitteln, haben betragen in Millionen Mark die Geldwerte:

1887       1911
der Nachnahmesendungen   78,8 ( 71,9) 1327,0 (1266,7)
der Postaufträge 444,9 (442,4) 717,9 ( 713,0)

Es bedeutet dies eine Steigerung des Gesamtwertes der einzuziehenden Geldbeträge bei den Nachnahmesendungen um das 17fache, bei den Postaufträgen um nahezu das 1⅔fache.

Zu großer Bedeutung hat sich der in Deutschland am 1. Januar 1909 eingeführte Postscheck- und Überweisungsverkehr entwickelt. Die deutschen Postverwaltungen sind mit dieser Einrichtung einem in weiten Geschäftskreisen lange und lebhaft gefühlten Bedürfnis entgegengekommen. Bereits am Schlusse des ersten Jahres nach der Einführung waren 43 929 Postscheckkonten eröffnet worden. In weiteren zwei Jahren (Ende 1911) hat sich diese Zahl auf 74 726, demnach um 70% gehoben. Der Gesamtumsatz, der sich Ende 1909 auf 11,77 Milliarden Mark belaufen hatte, hat Ende 1911 mehr als [908] das 2½fache, nämlich 29,51 Milliarden Mark erreicht. Die Guthaben der Kontoinhaber waren Ende 1909: 76,2 Millionen Mark; Ende 1911: 161,8 Millionen Mark, haben sich demnach innerhalb zweier Jahre mehr als verdoppelt. Eine günstig fortschreitende, wenngleich nicht entfernt so gewaltige Entwicklung (Umsatz Ende 1911: 70,7 Millionen Mark) zeigt auch der internationale Postgiroverkehr, an dem Deutschland beteiligt ist.

Der Telegraphenverkehr.

Der Vermittelung des Telegraphenverkehrs, der älteren Form des elektrischen Nachrichtenschnellverkehrs, dienten in Deutschland Ende 1887: 14 990 und Ende 1911: 46 444 Telegraphenanstalten. Während der 24 Jahre von 1887–1911 hat sich demnach die Zahl der Telegraphenanstalten mehr als verdreifacht. Und während 1887 eine Telegraphenanstalt auf 3126 Einwohner entfiel, kam 1911 eine Telegraphenanstalt bereits auf 1398 Einwohner.

Die Zahl der beförderten Telegramme betrug in Millionen Stück:

1887 1911
21,7 (15,1) 60,9 (39,6).

Es kommt dies gleich einer Steigerung um nahezu das 3fache innerhalb 24 Jahren.

Eine besondere Sparte der Telegraphie, der Wetternachrichtendienst, der sich mit der Übermittlung der Wettervorhersagen und Wetterberichte befaßt und dessen Bedeutung von der Landwirtschaft und anderen Erwerbsständen, auch von der Touristik immer mehr gewürdigt wird, hat namentlich im letzten Jahrzehnt sich beträchtlich erweitert. In Deutschland hat sich die Zahl der die Wettervorhersage für den folgenden Tag enthaltenden Telegramme im Jahre 1911 auf rund 7½ Millionen Stück gesteigert. Im Anschluß an den telegraphischen Unfallmeldedienst, der ständig ausgebaut wurde, haben auch noch einige weitere Dienstzweige, mit denen die Telegraphie sich dem Gemeinwohle dienstbar macht, nämlich der Hochwassernachrichtendienst, der Eisnachrichtendienst und neuerdings der Gewittermeldedienst, eine wachsende Zunahme des Telegrammverkehrs mit sich gebracht.

Neben der Draht-Telegraphie hat sich in den letzten Jahrzehnten die drahtlose Telegraphie (Funkentelegraphie) herausgebildet, die auf der Benützung der elektrischen Wellenschwingungen beruht. An der Entwicklung dieses Verfahrens, die allenthalben rasch vorwärts schreitet, ist Deutschland in hervorragendem Maße beteiligt. Ende 1911 befanden sich an deutschen Küsten 19, an Bord deutscher Schiffe 283 Stationen für drahtlose Telegraphie. Von diesen 302 Stationen waren 242 nach dem System Telefunken (Slaby-Arco-Braun), 56 nach dem System Marconi und 4 nach dem System De Forest eingerichtet. Die 19 Küstenstationen und 166 von den Bordstationen dienen dem öffentlichen Nachrichtenverkehr. Die im Jahre 1911 von den deutschen Bordstationen vermittelten Funkentelegramme beliefen sich auf die Gesamtzahl von 63 379; hiervon wurden 36 710 von Bordstationen abgegeben, 19 018 waren nach Bordstationen bestimmt und 7651 wurden zwischen Bordstationen gewechselt. Ohne Zweifel ist die Entwicklung der drahtlosen Telegraphie noch nicht abgeschlossen. Schon jetzt ist sie für die Seeschiffahrt, [909] namentlich für die Sicherung des Schiffahrtbetriebes, ein unentbehrliches Verkehrsmittel geworden. Sie vermittelt Sturmwarnungen und Nachrichten über sonst bevorstehende Wetterveränderungen. Ihre Bedeutung für die Heeresverwaltung, namentlich aber für die Marine, wächst von Tag zu Tag. Der Reisende auf hoher See kann jetzt telegraphische Nachrichten mit dem Festlande austauschen; auf den großen Ozeandampfern werden Zeitungen gedruckt, die durch die Funkentelegraphie in den Stand gesetzt sind, dem Reisenden, ebenso rasch wie die Festlandszeitungen ihrem Leserkreise, die neuesten politischen und geschäftlichen Nachrichten zu vermitteln.

Der Fernsprechverkehr.

Einen überaus raschen Aufstieg in der Entwicklung nahm in Deutschland der jüngere Zweig des elektrischen Nachrichten-Schnellverkehrs: das Fernsprechwesen. Wie kein anderer Zweig des öffentlichen Nachrichtendienstes hat sich die das gesprochene Wort vermittelnde Telephonie in unserem öffentlichen, geschäftlichen und gesellschaftlichen Leben eingebürgert. Ende 1877 wurde in Deutschland das erste Fernsprechamt eröffnet. Der Schwerpunkt der Entwicklung des deutschen Fernsprechwesens fällt aber in das letzte Vierteljahrhundert, in die Regierungszeit Kaiser Wilhelm II. Ende 1887 zählte man in Deutschland: a) Orte mit Fernsprechnetzen 164; b) Sprechstellen 28 531; c) Teilnehmer 25 253; d) vermittelte Gespräche 101,5 Millionen; davon im Ortsverkehr 91,4 Millionen; im Fernverkehr 10,1 Millionen.

Ende 1911 hatten sich diese Zahlen bereits vermehrt:

zu a) um mehr als das 43fache, nämlich auf 7092
zu b) um mehr als das 40fache, nämlich auf 1 154 518
zu c) um mehr als das 282/5fache, nämlich auf 718 472
zu d) um mehr als das 20fache, nämlich auf 2074 Millionen.

Von diesen 2074 Millionen Gesprächen entfielen auf den Ortsverkehr 1696,7 Millionen; auf den Fernverkehr 377,3 Millionen.




Gesamtbild.

Aus der zusammenfassenden Betrachtung der vorstehenden Darlegungen ergibt sich, daß nicht nur die dem Nachrichtendienst, der Zeitungs- und Warenbeförderung, der Geldvermittelung und dem Postbankverkehr dienenden Einrichtungen der deutschen Postverwaltungen, sondern namentlich der durch diese Einrichtungen vermittelte Verkehr in allen seinen Zweigen die Bevölkerungsentwicklung Deutschlands weit, zum Teil in hochpotenziertem Verhältnisse überholt haben. Denn während innerhalb der Vergleichsperiode 1887–1911 die Einwohnerzahl des Deutschen Reiches nicht um die Hälfte zugenommen hat, hat sich, um nur die wichtigsten Sparten zu nennen, der Postanweisungsverkehr (der Stückzahl nach) um das 2¾fache, der Verkehr in gewöhnlichen Paketen sowie der Telegrammverkehr um das 3fache, der Briefverkehr um das 33/5fache, der Zeitungsverkehr um das 3⅔ fache, der Postkartenverkehr um das 6¾fache, der telephonische Gesprächsverkehr um das 20fache gehoben. Das Gesamtbild, [910] das die Verkehrsergebnisse der deutschen Postverwaltungen darbieten, bringt beredt zum Ausdrucke das gewaltige Vorwärtsdrängen der treibenden Kräfte der deutschen Nation auf weiten und wichtigen Gebieten der menschlichen Kulturbetätigung.

II. Betrieb und Technik.

Den im letzten Vierteljahrhundert erzielten Verkehrsaufschwung haben die Postverwaltungen Deutschlands unmittelbar und mittelbar gefördert durch mannigfache Neuerungen und Verbesserungen im Betriebe, durch eine Reihe technischer Vervollkommnungen, sowie durch zahlreiche verkehrspolitische Maßnahmen auf dem Gebiete der Gesetzgebung, Verordnung und internationalen Vereinbarung.

Betriebsverbesserungen.

Dem bewährten Grundsatze folgend, daß vermehrte Verkehrsgelegenheiten und Betriebsverbesserungen verkehrsbelebend wirken, haben die deutschen Postverwaltungen fortgesetzt ihr Augenmerk auf die Vermehrung der Postanstalten, vor allem der für den Landpostdienst bestimmten Hilfspostanstalten, sowie der Telegraphen- und Fernsprechanstalten gerichtet. Außerdem wurden die amtlichen Verkaufsstellen für Postwertzeichen (Ende 1911 rund 28 000) vermehrt und in neuerer Zeit weitere Erleichterungen durch Aufstellung von Briefmarken- und Postkartenautomaten (Ende 1911: 967) und von Fernsprechautomaten (Ende 1911: 2713) geschaffen. Von der förderlichsten Wirkung auf die Verkehrsentwicklung waren sodann die zahlreichen Vorkehrungen, die im Interesse der Beschleunigung der Postbeförderung und elektrischen Nachrichtenvermittlung, sowie der Verbesserung der Zustellung der Postsachen und Telegramme getroffen wurden. Abgesehen von der Beförderungsbeschleunigung, die sich von selbst mit der Verkürzung der Fahrzeiten und mit der Vermehrung der für den Postdienst benutzten Eisenbahnzüge und Dampfschiffe ergab, ist eine raschere Postbeförderung vor allem durch die Einstellung von Kraftfahrzeugen erzielt worden. Eine weitgehende Verwendung hat dieses Beförderungsmittel besonders bei der Bayerischen Postverwaltung gefunden, die damit auch eine nicht unbeträchtliche Hebung des Personenpostverkehrs erzielte. So betrug Ende 1911 in Bayern die Zahl der Kraftwagenlinien (einschließlich der nur im Sommer betriebenen) 72 mit einer Gesamt-Betriebslänge von 1579 km; in Verwendung standen hierbei 152 Kraftwagen für den Personen- und 12 Kraftwagen für den Lastenverkehr, dazu 33 Anhänger für Personen- und 27 Anhänger für Lastwagen. Seit der Mitte der 90er Jahre haben die deutschen Postverwaltungen, voran die Reichspostverwaltung, auch das Fahrrad und später das Motorrad in den Dienst gestellt; Ende 1911 wurden im Postbetrieb benutzt über 9000 Fahr- und Motorräder. Soweit diese Fahrzeuge für die Briefkastenentleerung und zu Landpostgängen verwendet werden, trägt ihre Benutzung nicht unwesentlich bei zur Beschleunigung der Postbeförderung. Diesem letzteren Zwecke dienen auch die neuerdings bei einer Anzahl großer Postämter eingeführten Briefstempelmaschinen, dann die das Annahmegeschäft beschleunigenden Stempelapparate für Postanweisungen und Einschreibebrief-Automaten. In Betracht kommt ferner die [911] im Laufe der Jahre auf 80 Rohrpostanstalten angewachsene Rohrpostanlage in Berlin, insoweit sie sich mit der Übermittelung von Rohrpostbriefen und Rohrpostkarten befaßt. Von weitgehender Bedeutung für die raschere Abwicklung des Annahmegeschäftes ist weiterhin die in mehreren großen Postorten eingeführte sogenannte Barfrankierung für Briefsendungen in Massenauflieferungen, soferne die einzelnen Sendungen nach Gattung, Ausmaß, Gewicht, Portosatz usw. von völlig gleichartiger Beschaffenheit sind. Bei der Annahmebehandlung solcher Massensendungen werden Maschinen in Tätigkeit gesetzt, die jede Sendung mit einem die Freimarke ersetzenden Frankostempel versehen (das bayerische Verfahren) oder jeder Sendung die Freimarke unter deren gleichzeitiger Entwertung aufkleben (das bei der Reichspost eingeführte Verfahren). Der Beschleunigung der Telegrammbeförderung war förderlich eine Reihe von technischen Verbesserungen, hauptsächlich aber die beträchtliche Vermehrung der Telegraphenleitungen, deren Gesamtlänge von 1888–1911 sich mehr wie verdoppelt hat. Die Berliner Rohrpostanlage ist zugleich nutzbar gemacht für die beschleunigte Telegrammvermittelung; dem gleichen Zwecke dienen die Rohrpostanlagen, die in fünf weiteren Großstädten eingerichtet wurden. Die Abwicklung des Fernsprechverkehrs wurde gleichfalls beschleunigt durch zahlreiche technische Verbesserungen, sowie durch eine ins Vielfache gehende, noch immer stark zunehmende Vermehrung der Leitungen der Ortsfernsprechnetze und Fernverbindungsanlagen.

Zustellwesen.

Bedeutsam fallen ins Gewicht die namhaften Verbesserungen, welche im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts das Zustellwesen erfahren hat. Die während dieses Zeitraumes eingetretene starke Vermehrung des Bestellpersonals und die damit bewirkte Vermehrung der Bestellgänge, sowie die Mitte 1888 angebahnte und seither immer mehr ausgebildete Heranziehung der Posthilfstellen zum Bestelldienst ist nicht nur der Bewohnerschaft der Städte, sondern ganz wesentlich auch der Bevölkerung des flachen Landes zugute gekommen. Heute erfreut sich im Deutschen Reiche bereits über die Hälfte der Landorte und sonstigen ländlichen Wohnstätten des Vorteils einer mehr als werktäglich einmaligen Zustellung. Nicht unwesentlich wurde die Landbestellung gefördert durch die Ausrüstung von Landbriefträgern mit Pferdefuhrwerk; eine Anzahl von Landbestellern bedient sich auch des Fahrrades. Besonders im städtischen Bestellwesen, namentlich für die Eilbrief- und Telegrammbestellung hat sich die Fahrradbenützung als vorteilhaft erwiesen. Auch die, von einem Teile der Geschäftswelt allerdings nicht ohne Widerspruch hingenommene Beseitigung des Ankunftstempels bei gewöhnlichen Briefsendungen hat das Zustellgeschäft namentlich in großen Postorten günstig beeinflußt.

Einen wesentlichen Anteil an dem erfolgreichen Ausbau des deutschen Post-, Telegraphen- und Fernsprechwesens darf die moderne Technik für sich in Anspruch nehmen. Vor allem ist es das Telegraphen- und mehr noch das Fernsprechwesen, das in den letzten Jahrzehnten durch die Errungenschaften der unablässig arbeitenden Technik zu einer so beispiellosen Stufe der Entwicklung emporgebracht wurde.

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Verbesserungen im Telegraphenwesen.

Im Telegraphennetz hat zunächst das Leitungsmaterial fortgesetzte Verbesserungen erfahren; an Stelle des Eisendrahtes ist in weitem Umfange der an elektrischen Qualitäten überlegene Bronzedraht, in neuerer Zeit auch Hartkupferdraht getreten. Stark vermehrt wurden ferner die unterirdischen Telegraphenleitungen, die gegenüber den oberirdischen Leitungen den Vorzug nahezu absoluter Sicherheit gegen störende Witterungseinflüsse oder mechanische Störungen haben. Unausgesetzt und mit vollem Erfolg wurde an der Vervollkommnung der Telegraphenapparate gearbeitet. Mit der Einführung von Morsehörapparaten (Klopfern) ergab sich eine wesentliche Erhöhung der Schnelligkeit und Sicherheit der Telegrammübermittelung. Eine bemerkenswerte Steigerung der Ausnutzung der Betriebsmittel wurde erzielt durch die Einführung des sog. Simultanbetriebes, nämlich des gleichzeitigen Telegraphen- und Fernsprechbetriebs auf Fernsprechdoppelleitungen, durch die Einführung der Mehrfachtelegraphie, sowie neuerdings durch die Verwendung von Schnelltelegraphen (Maschinentelegraphen) nach mehreren Systemen. Als verbesserte Stromquelle für den Telegraphenbetrieb sind die Sammlerbatterien ständig vermehrt worden. Der elektrische Antrieb der Hughes-Apparate ist bei den meisten größeren Telegraphenämtern durchgeführt.

Drahtlose Telegraphie.

Auf dem Gebiete der drahtlosen Telegraphie (Funkentelegraphie) ist es unermüdlicher Forscherarbeit und Versuchstätigkeit in überraschend kurzer Zeit gelungen, mannigfache und gewichtige Mängel zu beheben, die zunächst der Neuerung anhafteten und ihre praktische Verwertbarkeit in Frage zu stellen schienen. Die auf Vervollkommnung des neuen Verkehrsmittels gerichteten Bestrebungen haben bei der Reichspostverwaltung tatkräftige Unterstützung und förderlichste Mitarbeit gefunden. Durch eine Reihe von Verbesserungen in der Art der Erzeugung und Ausstrahlung der elektrischen Wellen, durch Vervollkommnung der Funkensender und der Empfangseinrichtungen und durch die Konstruktion sonstiger neuer Apparate ist es ermöglicht worden, die Reichweite der Stationen nach und nach beträchtlich, bei Großstationen auf mehrere tausend Kilometer, zu steigern, die Geschwindigkeit der Zeichenübermittelung bis über die Telegraphiergeschwindigkeit bei der mit Morse- oder Klopferapparaten arbeitenden Drahttelegraphie zu erhöhen, die nachteiligen Einflüsse atmosphärischer und sonstiger Störungsgeräusche erheblich abzumindern, sowie die Geheimhaltung der funkentelegraphischen Korrespondenz in höherem Maße sicherzustellen.

Fernsprechwesen.

Im Fernsprechwesen sah sich die Technik in erster Linie vor die Aufgabe gestellt, die Deutlichkeit der Verständigung zu verbessern und die Reichweite der Lautübertragung zu steigern. Den nach dieser Richtung sich bewegenden Bemühungen war der volle Erfolg beschieden. Eine deutlichere und weitreichende Übermittelung der Verständigung wurde zunächst herbeigeführt durch Verwendung vollkommeneren Leitungsmaterials. Der Stahldraht wurde ähnlich wie bei den Telegraphenleitungen durch den wesentlich besser leitenden [913] Bronzedraht ersetzt; daneben wird neuerdings mit Vorteil Hartkupferdraht verwendet. Die fortgesetzte Verbesserung in der Herstellungsweise der Kabel, ihre Ausrüstung mit Selbstinduktionsspulen nach dem System Pupin, wodurch die Benützbarkeit der Kabelleitungen auf weite Entfernungen wesentlich gesteigert wurde, ermöglichten vor allem eine bedeutende Vermehrung der unterirdischen Leitungen für den Ortsverkehr, sowie auch eine Ausdehnung der unterirdischen Leitungsführung im Sprechverkehr von Ort zu Ort. Durch die fortwährenden Verbesserungen der Mikrophone und sonstige Vorkehrungen wurde die Lautwirkung der Sprechapparate, namentlich auch für weitere Entfernungen, beträchtlich erhöht. Im weitesten Umfange erfolgte der Übergang zum Doppelleitungsbetrieb auch für die Teilnehmeranschlußleitungen im Ortsverkehr. Für die Sprechverständigung war diese verbesserte Betriebsart von vorteilhaftester Wirkung. Denn es wurde damit gegen das höchst lästige Mithören von Gesprächen, die auf benachbarten Leitungen geführt wurden, sowie gegen störende Induktionsgeräusche, die von dem Betriebe elektrischer Straßenbahnen oder sonstiger Starkstromanlagen herrührten, wirksame Abhilfe geschaffen. Der Übergang zum Vielfachumschaltersystem bei Vermittlungsstellen mittleren und kleineren Umfangs brachte den Teilnehmern den Vorteil einer beschleunigten Bedienung.

Die Bedeutung der selbsttätigen Umschaltesysteme hat sich durch fortgesetzte Konstruktionsverbesserungen wesentlich gehoben. In Bayern wurde mit gutem Erfolg eine Reihe von kleineren Ortsnetzen mit einem selbsttätigen Gruppenumschalter nach dem System Steidle ausgerüstet. Im Reichspostgebiete wurden, nachdem bei einem kleineren Versuche sich günstige Ergebnisse gezeigt hatten, zwei Fernsprecheinrichtungen mittleren Umfangs nach dem Selbstanschlußsystem Strowger umgebaut. Ein neuer, größerer Versuch wurde gemacht mit der Einführung halbautomatischer Betriebsweise, die den Übergang zum vollautomatischen Anschlußbetrieb erleichtern soll; weitere derartige Einrichtungen sind in Ausführung. Es folgten sodann mehrere, nach den bisherigen Erfahrungen günstig ausgefallene Versuche mit der Einführung des Selbstanschlußbetriebes auf dem flachen Lande. Eine Anschlußeinrichtung für vollautomatischen Betrieb großen Stiles nach einem von Siemens & Halske verbesserten System ist in der bayerischen Landeshauptstadt im Entstehen begriffen. Der selbsttätige Umschaltebetrieb ist bereits in mehreren Stadtbezirken im Gange, in wenigen Jahren wird er für den gesamten Ortsfernsprechverkehr durchgeführt sein.

Wesentlich gehoben wurde durch verschiedene technische Vervollkommnungen auch die Gebrauchsfähigkeit der selbstkassierenden Fernsprechstellen (Fernsprechautomaten), die vor anderthalb Jahrzehnten für den öffentlichen Sprechverkehr in größeren Städten zugänglich gemacht wurden.

Seepost.

Entsprechend dem gewaltigen Anwachsen der überseeischen Handelsbeziehungen Deutschlands sowie der deutschen Kolonialinteressen sind die durch die Seeschiffahrt vermittelten deutschen Postverbindungen fortdauernd verbessert und vermehrt worden. Die Leistungen der vom Deutschen Reiche subventionierten Dampferlinien nach Ostasien und Australien, dann nach Deutsch-Ostafrika haben sich [914] von Jahr zu Jahr gesteigert. Dementsprechend haben die Reichsbeihilfen im Laufe der Jahre sich beträchtlich erhöht; der Gesamtbetrag dieser Beihilfen beläuft sich zurzeit auf rund 7½ Millionen Mark. Außer den Reichspostdampfern werden zahlreiche Dampferlinien, die von deutschen Gesellschaften unterhalten werden, für den überseeischen Postverkehr benutzt. Einen bedeutsamen Fortschritt in der Entwicklung des Seepostdienstes brachte die 1891 getroffene Einrichtung besonderer Seeposten auf deutschen Schnelldampfern im Verkehr mit Nordamerika. Durch diesen Seepostdienst werden während der Seefahrt die Postsendungen vollständig postmäßig bearbeitet, so daß sie sofort nach der Ankunft den Ortspostanstalten der Hafenstadt, bzw. soweit es sich um weitergehende Postsachen handelt, den Bahnposten zugeführt werden können. Die auf diese Weise erreichte wesentliche Beschleunigung wirkte in hohem Maße belebend auf die Entfaltung des Postverkehrs zwischen Deutschland und Nordamerika.

Überseeischer Telegraphenverkehr.

Die Vermittlung der überseeischen telegraphischen Korrespondenz Deutschlands lag lange Zeit fast ausschließlich in den Händen ausländischer, namentlich englischer und amerikanischer Kabelgesellschaften. Im letzten Vierteljahrhundert waren die Bestrebungen der Reichstelegraphenverwaltung andauernd darauf gerichtet, den überseeischen Telegraphenverkehr Deutschlands von den fremden Telegraphenlinien unabhängig zu machen. Dank dieser zielbewußten Tätigkeit konnte sich Deutschland einen wachsenden Anteil am Weltkabelnetz sichern. Noch vor anderthalb Jahrzehnten verfügte Deutschland nur über 6186 km, d. i. kaum 2% der Gesamtlänge des Weltkabelnetzes von damals 318 026 km. Im Jahre 1911 hatte sich dieser Anteil bereits auf 8,1%, nämlich auf 40 661 von 499 570 km erhöht. Von diesem Kabelbesitz Deutschlands entfielen 5533,5 km auf das Reich, 35 127,5 km auf deutsche Privatgesellschaften. Der selbständige Besitz an Unterseekabeln, über den Deutschland verfügt, ist unseren überseeischen Handelsbeziehungen, der Entwicklung unserer Kolonien, dem Preßwesen, der Schiffahrt, der weit sich verzweigenden Kabelindustrie und nicht zuletzt der politischen Machtstellung der Nation in reichstem Maße zugute gekommen. Auch die Telephonie hat die unterseeischen Leitungen ihren Zwecken dienstbar gemacht. Derartige Leitungen vermitteln den Fernsprechverkehr zwischen den deutschen Ost- und Nordseeinseln, Helgoland und dem festländischen Fernsprechnetz, sowie zwischen Deutschland, Dänemark und Schweden.

III. Verkehrspolitische Maßnahmen.

Die Gesetzgebung.

In die Gestaltung des Post- und Telegraphenwesens hat während der verflossenen 25 Jahre die Gesetzgebung nach verschiedenen Richtungen hin bedeutsam eingegriffen.

Neben dem Reichsgesetze vom 13. Mai 1891, welches strafrechtlichen Schutz brachte gegen die Beschädigung der Telegraphen- und Rohrpostanlagen, gegen den Vertrieb und die Wiederbenutzung schon einmal verwendeter Post- und Telegraphenwertzeichen, [915] gegen die unbefugte Nachbildung von Post- und Telegraphenwertzeichen und gegen den Vertrieb solcher Nachbildungen, sowie gegen die vorschriftswidrige Versendung oder Beförderung leicht entzündlicher oder ätzender Gegenstände durch die Post, ist von grundlegender Wichtigkeit das unter dem 6. April 1892 ergangene Gesetz über das Telegraphenwesen des Deutschen Reiches, indem es zunächst das staatsrechtliche Verhältnis der Telegraphie festsetzte. Das Gesetz bestimmt grundsätzlich, daß das Recht zur Errichtung und zum Betriebe von Telegraphen- und Fernsprechanlagen dem Reich bzw. Bayern und Württemberg zustehe, trifft aber für dieses Regal zugleich die im Interesse des Verkehrs erforderlichen Abgrenzungen und Einschränkungen, indem es einerseits zuläßt, daß die Ausübung des bezeichneten Rechtes für einzelne Strecken oder Bezirke an Privatunternehmer oder Gemeinden verliehen werden kann, und indem es andererseits Telegraphen- und Fernsprechanlagen für den inneren Dienst von Behörden usw. und den inneren Betrieb von Transportanstalten, sowie unter gewissen Voraussetzungen Telephon- und Fernsprechanlagen innerhalb enger bemessener Grundstücksgrenzen von der Genehmigungspflicht ausnimmt. Für das Verhältnis der Telegraphie zur elektrischen Industrie und deren Starkstromanlagen ist von Bedeutung die weitere Bestimmung des Gesetzes, daß die Kosten der Schutzvorrichtungen wider die gegenseitige Störung des Betriebes zwischen elektrischen Anlagen dem Teil zur Last fallen, dessen Anlage später errichtet oder geändert wird.

Telegraphen-Wegegesetz.

Den zahllosen und empfindlichen Schwierigkeiten, welche hinsichtlich der Benutzung fremden Grund und Bodens, besonders öffentlicher Wege für Telegraphen- und Telephonzwecke nach dem bis dahin vorhanden gewesenen Rechtszustande sich ergeben hatten, suchte das Telegraphen-Wegegesetz vom 18. Dezember 1899 zu steuern. Es sicherte, unter tunlichster Schonung der mitsprechenden öffentlichen und privaten Interessen, der Telegraphenverwaltung das Recht zur Benutzung der Verkehrswege für die öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphen- und Fernsprechanlagen, die Befugnis zur Führung der Telegraphen- und Fernsprechleitungen durch den Luftraum fremder Grundstücke, sowie zum Betreten solcher Grundstücke behufs der Vornahme notwendiger Arbeiten.

Privatpostanstalten. Zeitungstarif.

Wichtige Änderungen von weittragender verkehrspolitischer Bedeutung brachte das Reichsgesetz vom 20. Dezember 1899, betreffend einige Änderungen von Bestimmungen über das Postwesen. Das Gesetz richtete sich zunächst gegen das Fortbestehen der Privat-Briefbeförderungsunternehmungen, die sich den durch das Postgesetz vom 28. Oktober 1871 geschaffenen Rechtszustand, wonach von der Postzwangspflicht die Ortsbriefsendungen ausgenommen waren, zum Schaden der allgemeinen Interessen zu nutze gemacht hatten. Hand in Hand mit der Beseitigung dieser Privatanstalten wurde das Postregal auf die Ortsbriefe ausgedehnt. Außerdem enthielt das Gesetz einige Tarifänderungen von weittragender Bedeutung, denen Bayern und Württemberg für [916] ihre Verwaltungsgebiete sich ebenfalls anschlossen. In erster Linie erfuhr der Zeitungstarif eine zeitgemäße Reform. Während nach dem alten Tarif die Zeitungsgebühr nicht nach den verschieden hohen wirklichen Leistungen der Post, sondern in festen Prozentsätzen von dem durch den Verleger bestimmten Zeitungspreise berechnet wurde, zieht der neue Tarif, um eine gerechtere Wirkung herbeizuführen, jede Einzelleistung der Post in Berücksichtigung. Die nunmehrige Zeitungsgebühr setzt sich zusammen aus je einem besonderen Satze für die Bezugszeit, die Erscheinungsweise und das Gewicht der Zeitungen. Im weiteren wurde das Meistgewicht des die einfache Portotaxe zahlenden Briefes von 15 auf 20 g und die Ortstaxe auf Briefe des Nachbarortsverkehrs ausgedehnt. Die Vergünstigung dieser letzteren Ermäßigung ist zahlreichen Orten zuteil geworden.

Fernsprechgebühren.

Ein weiteres Gesetz vom 20. Dezember 1899 schuf für das Reichstelegraphengebiet eine neue Fernsprech-Gebührenordnung, die im wesentlichen auch für Bayern und zum großen Teil auch für Württemberg angenommen wurde. Der am 1. Juli 1891 in Kraft getretene Tarif hatte für alle Telephonanschlüsse ohne Unterschied der Größe der Städte und Netze und ohne Rücksicht auf die Benutzung der einzelnen Anschlüsse eine einheitliche Jahresgebühr von 150 Mark vorgesehen; außerdem wies dieser Tarif für den telephonischen Fernverkehr, obgleich inzwischen die Gebührensätze wiederholt ermäßigt worden waren, immer noch Mängel auf. Nach der mit 1. April 1900 ins Leben getretenen Neuregelung haben die Teilnehmer nach ihrer Wahl zu entrichten: entweder eine je nach der Größe der Ortsnetze abgestufte Bauschgebühr in Jahresbeträgen zwischen 80 und 180 Mark oder je nach der Größe der Ortsnetze und dem Maße der Benutzung eine Grundgebühr, in 4 Stufen von 60–100 Mark jährlich steigend, nebst einer Gesprächsgebühr von 5 Pfennig für jede Verbindung. Für die Benutzung der Fernsprechverbindungsanlagen werden Einzelgebühren erhoben, die nach der Entfernung in 6 Sätzen von 20 Pfennig bis 2 Mark abgestuft sind. Durch den neuen Tarif ist eine größere Gleichmäßigkeit und Gerechtigkeit in der Gebührenbemessung erreicht worden. Er hat sich aber im Laufe der Zeit gleichwohl wieder als reformbedürftig erwiesen, da durch ihn diejenigen Teilnehmer, die von der Fernsprecheinrichtung gegen Bauschgebührenzahlung einen übermäßigen Gebrauch machen, ungebührlich begünstigt werden. Der im Jahre 1909 dem Reichstage vorgelegte Entwurf einer neuen Fernsprechgebührenordnung ist jedoch nicht Gesetz geworden.

Postscheck.

Auf Grund des Reichsgesetzes vom 18. Mai 1908 ist am 1. Januar 1909 die Postscheckordnung für das Reichspostgebiet in Kraft getreten; zu dem gleichen Zeitpunkt wurde nach den gleichen Grundsätzen das Postscheck- und Überweisungsverfahren in Bayern und Württemberg eingeführt. Die Erwartungen, die an die Neueinrichtung geknüpft wurden, haben sich voll erfüllt. Es ist als Wirkung des neuen Verfahrens, das eine ungewöhnlich rasche und starke Entwicklung aufweist, eine ganz erhebliche Beschränkung in der Bargeldbewegung eingetreten und damit für den allgemeinen Zahlungsverkehr eine große Menge von Barmitteln flüssig geworden: ein Vorteil, der [917] zu Zeiten ungünstiger Lage des Geldmarktes besonders ins Gewicht fällt. In den Gebühren (für Ein- und Auszahlungen und für Kontoübertragungen) sind wiederholt Ermäßigungen eingetreten. Da die grundsätzlichen Vorschriften über den Postscheckverkehr im Gesetzgebungswege erlassen werden sollen, wurde dem Reichstag im November 1912 der Entwurf zu einem Postscheckgesetze vorgelegt, der indessen noch nicht verabschiedet worden ist. Der Entwurf sieht im wesentlichen vor den Wegfall der vielseitig angegriffenen Zuschlaggebühr (von 7 Pfennig bei jährlich mehr als 600 Buchungen) und den Frankierungszwang für die zu Bareinzahlungen dienenden Zahlkarten; im Verordnungswege sollen sodann die Stammeinlage von bisher 100 Mark auf 50 Mark ermäßigt, die Zahlkarten bis zu jedem beliebigen Betrage zugelassen und der Meistbetrag für Schecks von 10 000 Mark auf 20 000 Mark erhöht werden. Ohne Zweifel werden diese Verbesserungen die Weiterentwicklung des Postscheck- und Überweisungsverfahrens fördernd beeinflussen.

Postprotest.

Auf Grund des Reichsgesetzes vom 30. Mai 1908, betreffend die Erleichterung des Wechselprotestes, wurde am 1. Oktober 1908 in Deutschland das Postprotestverfahren eingeführt, womit einem lebhaften Wunsche des Handelsstandes Rechnung getragen wurde. Die Neuerung bietet die Möglichkeit, für Wechsel (und Schecks) bis zu 800 Mark den Protest auch durch Postbeamte gegen mäßige Gebühren erheben zu lassen.

Funkentelegraphie.

Durch Reichsgesetz vom 7. März 1908 wurden grundsätzlich die funkentelegraphischen Anlagen, dann die telegraphischen Anlagen jeder Art auf deutschen Fahrzeugen für Seefahrt und Binnenschiffahrt, soweit sie zum Verkehr mit dem Land oder anderen Schiffen bestimmt sind, dem Regal des Reiches unterstellt. Dabei ist jedoch der Schiffahrt, soweit die Reichsinteressen es zuließen, die nötige Bewegungsfreiheit im Gebrauche der Telegraphie, namentlich der optischen und akustischen Signalgebung, in weitem Maße gesichert geblieben.

Erleichterungen auf dem Verordnungswege.

Zahlreich sind die Maßnahmen, mit denen die deutschen Postverwaltungen den Bedürfnissen des vielgestaltigen Verkehrs im Verordnungs- und Verfügungswege durch Gebührenherabsetzungen, Erleichterungen in den Versendungsbedingungen, Zulassung neuer Korrespondenzformen und sonstige Vergünstigungen im innerdeutschen Verkehr entgegengekommen sind. Von den hiernach in den letzten 25 Jahren eingeführten Verbesserungen haben vor allem verkehrsbelebend gewirkt verschiedene Tarifermäßigungen, wie die Ermäßigung des Drucksachenportos für Sendungen von über 50 bis 100 Gramm von 10 auf 5 Pfennig, die Ermäßigung der Telegrammgebühr von 6 auf 5 Pfennig für das Wort (bei 50 Pfennig Mindestbetrag), ferner der Gebühr für Postanweisungen bis 5 Mark von 20 Pfennig auf 10 Pfennig.

Einem besonders in Handelskreisen lebhaft empfundenen Bedürfnisse sind die Postverwaltungen entgegengekommen durch Erhöhung des Meistbetrags für Postaufträge von 600 auf 800 Mark, dann für Postanweisungen und Nachnahmen von 400 [918] auf 800 Mark. Eine starke Zunahme des Postkartenverkehrs hatten zur Folge die Zulassung unfrankiert eingelieferter Postkarten, in neuerer Zeit die Zulassung von brieflichen Mitteilungen auf der Vorderseite von Ansichtspostkarten, dann von Postkarten jeder Art. Die Einrichtung verschließbarer Abholungsfächer (Schließfächer) in größeren Städten wurde von der Geschäftswelt begrüßt. Den Drucksachenverkehr förderte die Zulassung von Drucksachen in Form offener Karten. Eine neue Form des Nachrichtenschnellverkehrs bilden die seit einigen Jahren eingeführten Brieftelegramme, das sind Telegramme, die, in den Abendstunden aufgegeben und während der Nacht befördert, nach ihrer telegraphischen Übermittlung am Bestimmungsort als Briefe weiterbehandelt werden, wobei eine Gebühr von 1 Pfennig für das Wort, mindestens von 50 Pfennig für das Telegramm erhoben wird.

Von Bedeutung für den Luftverkehr ist die der neuesten Zeit angehörende Einrichtung von Luftposten, d. i. von Postbetriebsstellen auf Zeppelin-Luftschiffen für die Annahme und Bearbeitung von gewöhnlichen Briefen und Postkarten, die von Mitfahrern der Luftschiffe während der Fahrt innerhalb Deutschlands aufgegeben werden.

Mit den vorstehenden Darlegungen ist nur in einigen wenigen Beispielen das weite Gebiet der Verbesserungen angedeutet, durch die die deutschen Postverwaltungen die Benützung ihrer Einrichtungen der Bevölkerung fort und fort erleichtert haben.

Im Verkehr Deutschlands mit seinen Schutzgebieten und den deutschen Postanstalten im Auslande, sowie im Marine-Briefverkehr sind in den letzten Jahrzehnten ebenfalls weitgehende Taxermäßigungen und namentlich zahlreiche Erleichterungen in den Versendungsbedingungen eingetreten.

Das internationale Post- und Telegraphenwesen.

Der Weltpostverein, dessen Zustandekommen ein unvergängliches Verdienst des Generalpostmeisters Dr. von Stephan bleiben wird, hat während der vergangenen 25 Jahre dreimal (1891 in Wien, 1897 in Washington und 1906 in Rom) getagt. Er hat sich nunmehr über die ganze Welt ausgedehnt, und fortgesetzt vermehrt sich der Anschluß einzelner Postländer an die dem Weltpostvereinsvertrag angegliederten besonderen Übereinkommen, die außer für den gewöhnlichen Briefverkehr für den Wertbrief- und Postanweisungsverkehr, den Paketverkehr, den Postauftragsverkehr und seit 1891 auch für den Zeitungsverkehr getroffen wurden.

In den verschiedenen Zweigen des Aufgabengebietes des Weltpostvereins haben fortwährend durchgreifende Verbesserungen und Erleichterungen stattgefunden.

Die Freiheit des Transites ist gesichert, die Unentgeltlichkeit des Transites zwar noch nicht erreicht, aber zuletzt 1906 auf dem Kongreß in Rom eine weitgehende Vereinfachung und Verbilligung der Transitgebühren erzielt worden. Das Einheitsporto von 25 Centimes für den einfachen Brief mit der nunmehr auf 20 Gramm erhöhten Gewichtsgrenze ist als vertragsmäßige Norm festgestellt.

Daneben hat Deutschland seine besonderen internationalen Vertragsbeziehungen zu einzelnen Ländern im Interesse weiterer Tarifverbilligungen und [919] Versendungserleichterungen für alle Gattungen von Postsendungen fortgebildet. Zu erwähnen ist besonders die ab 1. Oktober 1908 durchgeführte Herabsetzung des Briefportos im unmittelbaren Verkehr zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Nordamerika auf 10 Pfennig für je 20 Gramm, ferner die Zulassung internationaler Antwortscheine zum Nennwerte von 25 Centimes, die die Möglichkeit gewähren, das Porto für die Antwort auf einen Brief nach dem Ausland im Voraus zu bezahlen.

Auch die Entwicklung des Telegraphenverkehrs führte alsbald zu internationalen Vereinbarungen, die sich allmählich zu dem 1865 in Paris gegründeten Allgemeinen Telegraphenverein ausbildeten. Der Verein, der jetzt sämtliche Staaten von Europa und eine große Anzahl von außereuropäischen Ländern umfaßt und dem die meisten Privatgesellschaften, in deren Besitz sich Unterseekabel befinden, angehören, ist im letzten Vierteljahrhundert dreimal: 1890 in Paris, 1895 in Budapest und 1908 in Lissabon zu Beratungen zusammengetreten. Durch den Vertrag und die dazu gehörende Ausführungsübereinkunft haben die Vorschriften über die Benutzung der internationalen Telegraphenanlagen und den internationalen Dienstbetrieb eine einheitliche Regelung erhalten. Der Vertragsverpflichtung, für den internationalen Dienst besondere Leitungen in genügender Zahl zu verwenden und eine rasche Telegrammübermittlung zu sichern, haben die Vereinsverwaltungen Genüge geleistet. Deutschland ist in weitestem Umfange in das internationale Telegraphennetz einbezogen. Die bis in die neueste Zeit fortgesetzten Bemühungen Deutschlands für Einführung eines europäischen Einheitstarifes haben noch nicht zum Ziele geführt. Immerhin hat die Reichstelegraphenverwaltung durch internationale Sondertarife erreicht, daß wenigstens in Mitteleuropa die Telegrammtarife in eine gewisse Übereinstimmung gebracht wurden.

Der Fernsprechverkehr Deutschlands mit seinen Nachbarländern hat in neuerer Zeit ebenfalls internationale Abmachungen über die Regelung des Gesprächaustausches notwendig gemacht.

Die Anregung zur internationalen Regelung der Funkentelegraphie ist von Deutschland ausgegangen. Am 3. November 1906 haben die Vertreter von 30 Staaten zu Berlin einen Vertrag unterzeichnet, der grundlegende Vorschriften für die internationale Funkentelegraphie trifft. Nach diesen Vorschriften ist jede Bordstation verpflichtet, mit jeder anderen Bordstation ohne Unterschied des von ihnen benutzten funkentelegraphischen Systems zu verkehren; es müssen ferner alle Stationen so eingerichtet sein, daß Störungen des Betriebes anderer Stationen möglichst fern gehalten werden; sodann ist den Stationen die Verpflichtung auferlegt, Anrufe von Schiffen in Seenot mit unbedingtem Vorrang vor jeder anderen Korrespondenz entgegenzunehmen und zu erledigen.

IV. Personalverhältnisse.

Mit der gewaltigen Steigerung der Leistungen der deutschen Postverwaltungen hat sich auch ihr Personalstand und die damit verknüpfte umfassende Verwaltungsarbeit bedeutend vermehrt. Die Gesamtzahl der Beamten und Unterbeamten und des sonst im Post- und Telegraphendienste beschäftigten Personals (einschließlich der Arbeiter) [920] hat Ende 1911 über 310 000 Köpfe betragen und damit den Personalstand vor 25 Jahren um fast das Dreifache überholt. Etwa zwei Drittel der Gesamtausgaben entfallen auf den Personalaufwand. Die Steigerung des Personalstandes ist in der Hauptsache zurückzuführen auf die Steigerung des Verkehrs und der verkehrsdienstlichen Leistungen, wurde aber auch nicht unwesentlich beeinflußt durch die erheblichen Erleichterungen, die die deutschen Postverwaltungen durch Verbesserung der Urlaubsverhältnisse, Herabminderung des Arbeitsmaßes und Ausdehnung der Sonntagsruhe fortgesetzt dem Personal zugewendet haben. Die Bezüge der Beamten und Unterbeamten und die Löhne der Arbeiter haben in den letzten 25 Jahren durchgreifende Aufbesserungen erfahren. Die Erweiterung und Vervollkommnung der dem Personal dienenden verschiedenen Wohlfahrtseinrichtungen bildet andauernd den Gegenstand besonderer Verwaltungsfürsorge. Durch die Schaffung von Arbeiterausschüssen suchen die Verwaltungen mit dem Arbeiterpersonal, das auf diese Weise Gelegenheit erhält, seine Anliegen durch gewählte Vertreter unmittelbar vorbringen zu lassen, nähere persönliche Fühlung zu gewinnen.

V. Finanzergebnisse.

Nicht selten stößt man auf die Meinung, daß Post und Telegraphie, wie überhaupt die staatlichen Verkehrsanstalten, nicht berufen seien, aus ihren Betrieben Überschüsse an die Staatskasse abzuliefern. Andererseits wird wiederum die Ansicht vertreten, daß der Staat aus dem Betriebe der Post und Telegraphie möglichst hohe Überschüsse zur Deckung anderer Staatsbedürfnisse erzielen soll. Die richtige Auffassung dürfte auch hier auf der Mittellinie liegen. Post und Telegraphie sind nicht Erwerbsunternehmungen. Es hieße ihren Zweck verkennen, wollte man ihnen nicht die gleichmäßige Befriedigung der auftretenden Kulturbedürfnisse, sondern die Erzielung einer möglichst hohen Rente als erste und nächste Aufgabe zuweisen. Würde in letzterem Sinne das Verwaltungsziel für das Post- und Telegraphenwesen sich bestimmen, so würden gerade die für die allgemeine Volkswohlfahrt wichtigsten Reformpläne, sobald ihre Verwirklichung zunächst Einnahmenausfälle befürchten ließe, im Keime unterdrückt werden, und es hätten die bedeutsamsten Neuerungen, wie die Einführung des Einheitsbriefportos, des Einheitstarifes für die 5 Kilopakete, die umfassenden Verbesserungen des Landpostwesens usw. niemals zur Tat werden können. Wird aber die Verwaltung ihrer Hauptaufgabe gerecht, vor allem die wirklichen Verkehrsbedürfnisse zu erkennen und rechtzeitig für deren Befriedigung zu sorgen, so ist es, namentlich bei sonst nicht günstiger Finanzlage, nur zu begrüßen, wenn aus den Erträgnissen der Post und Telegraphie auch andere Staatsausgaben bestritten werden können. Die deutschen Postverwaltungen haben von jeher eine Verkehrspolitik verfolgt, die auf der richtigen Linie verlief. Es ist ihnen erspart geblieben, notwendige Verkehrsverbesserungen in ängstlicher Scheu vor etwaiger finanzieller Einbuße unterlassen oder zurückstellen zu müssen. Zugleich war es ihnen aber fast regelmäßig vergönnt, ihre Betriebsrechnungen mit Überschüssen abzuschließen. In ihrer Höhe lassen diese Überschüsse allerdings sehr bedeutende Schwankungen erkennen, die einerseits auf die im allgemeinen Wirtschaftsleben zeitweise auftretenden Krisen, [921] andererseits auf sonstige besondere Ursachen (wie auf durchgreifende Besoldungs- oder Lohnaufbesserungen) zurückzuführen sind. Im Ganzen bewegten sich die erzielten Überschüsse auf mäßiger Höhe; erst das Jahr 1911 brachte einen Gesamtüberschuß der deutschen Postverwaltungen, der erstmals die Grenze von 100 Millionen Mark, und zwar um 12½ Millionen Mark überschritt. Im Übrigen spiegelt sich die Entwicklung des Post- und Telegraphenwesens, wie es sich seit der Regierungsübernahme durch Kaiser Wilhelm II. gestaltete, entsprechend wieder in den Finanzergebnissen der deutschen Postverwaltungen. Von 1887–1911 haben sich die Gesamtbetriebseinnahmen von 213,4 auf 858,1 Millionen Mark, die Gesamtbetriebsausgaben von 183,1 auf 745,6 Millionen Mark vermehrt, mithin je vervierfacht.

Die Entwicklung der Post und Telegraphie in Deutschland bietet daher auch nach der finanzwirtschaftlichen Seite ein erfreuliches Bild.

Rückblick über Post- und Telegraphenwesen.

Läßt man die letzten 25 Jahre der Geschichte der deutschen Post und Telegraphie an dem prüfenden Blicke vorüberziehen, so kann nicht verkannt werden, daß wir eine Periode sieghaften Fortschrittes und reicher Erfolge durchlebt haben. Die deutschen Postverwaltungen haben zu ihrem Teile zur Förderung der Volkswohlfahrt mächtig beigetragen und in Verfolgung weitausschauender Verkehrspolitik auf allen Gebieten ihres Wirkungsfeldes fruchtbringende Arbeit geleistet. Sie haben in ihren Neuerungen und Verbesserungen mit den wirklichen Bedürfnissen des wirtschaftlichen, geistigen und sozialen Lebens Schritt gehalten; ja sie sind solchen Bedürfnissen vielfach zuvorgekommen. Manche berechtigte Verkehrswünsche harren freilich noch der Erfüllung, so die allmähliche weitere Ausdehnung des billigen Briefportos (10 Pfennig) im internationalen Verkehr, die Reform des Postpakettarifes für Gegenstände in den Gewichtsstufen über 5 kg, die Änderung des Fernsprechgebührentarifs, die Schaffung einheitlicher Gebühren im europäischen Telegrammverkehr usw. Alles in allem aber darf den Deutschen der von keinem Lande der Erde übertroffene Hochstand des vaterländischen Post- und Telegraphenwesens mit stolzer Freude erfüllen.

Schlußbetrachtung.

Der Verkehr eines Volkes ist eine Äußerung seiner Kultur. In den Anfängen der Kultur begegnen wir der primitivsten Art der Verkehrsbetätigung, mit dem Voranschreiten der Kultur hebt sich gleichmäßig der Verkehr. Kulturrückfälle bedeuten zugleich Verkehrsrückschritte. Wie innig, ja geradezu gesetzmäßig der Zusammenhang zwischen Kultur und Verkehr ist, zeigt die Geschichte aller Zeiten und Völker, am augenfälligsten die lebende Gegenwart. Deutschland hat in langen Friedensjahren seine ganze Volkskraft in ihren wirtschaftlichen, geistigen und gesellschaftlichen Beziehungen zu ungeahnter Höhe entwickeln können. Im friedlichen Wettstreite mit den anderen Kulturnationen ist es in vorderster Reihe geblieben. Wenn auch manche gesellschaftliche und politische Entwicklungen mit Sorge erfüllen können, so ist doch der gewaltige Kulturaufstieg unseres [922] Volkes nicht zu verkennen. Und diesem Kulturstand entspricht der zur höchsten Entfaltung gebrachte Stand des deutschen Verkehrswesens.

Die vorstehenden Darlegungen konnten kein lückenloses Bild von den außerordentlichen Verkehrsfortschritten geben, die das letzte Vierteljahrhundert erfüllen. Sie dürften aber den offenen Blick mit genügender Klarheit erkennen lassen, wie es stolze Wirklichkeit ist, daß der Verkehr Deutschlands, im Gleichschritt mit der kulturellen Weiterbildung der Nation, sich während der Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. bis zur höchsten Stufe der Entwicklung emporgehoben hat.

Mit dem Ausspruche: „Die Welt am Ende des 19. Jahrhunderts steht unter dem Zeichen des Verkehrs“ hat unser Kaiser die Zeitströmung zu Beginn der 1890er Jahre des vergangenen Jahrhunderts treffend gekennzeichnet. Noch für unsere Tage aber hat dieses heute geflügelte Wort seine volle Geltung; es wird auch für die kommenden Jahre das bezeichnende Merkmal vom Wesen und Wirken der deutschen Verkehrspolitik bleiben.


  1. Hier und im folgenden muß die Vergleichung leider mit dem Jahre 1911 abschließen, da die Statistik für 1912 noch nicht vorliegt. – Der Beitrag entspricht dem Stand der Angaben, wie sie um Juli 1913 bekannt waren.
  2. Verzinsung des Anlagekapitals 1886: 4,7%, 1911: 6,5%