Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)/Epiphanias 01

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Am ersten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.

Römer 12, 1–6.
1. Ich ermahne euch, lieben Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, daß ihr eure Leiber begebet zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wolgefällig sei, welches sei euer vernünftiger Gottesdienst. 2. Und stellet euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Verneuerung eures Sinnes, auf daß ihr prüfen möget, welches da sei der gute, der wolgefällige und der vollkommene Gotteswille. 3. Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedermann unter euch, daß niemand weiter von sich halte, denn sich’s gebühret zu halten; sondern daß er von ihm mäßiglich halte, ein jeglicher, nachdem Gott ausgeteilet hat das Maß des Glaubens. 4. Denn gleicher Weise, als wir in Einem Leibe viele Glieder haben, aber alle Glieder nicht einerlei Geschäfte haben; 5. Also sind wir viele Ein Leib in Christo, aber unter einander ist einer des andern Glied, 6. Und haben mancherlei Gaben, nach der Gnade, die uns gegeben ist.

 DIe Evangelien der Epiphaniassonntage führen uns in der Betrachtung des Lebens JEsu Christi, des Sohnes Gottes und Marien, von Seiner ersten Reise, die er als zwölfjähriger Knabe nach Jerusalem machte,| bis mitten hinein in Seine herrliche Thätigkeit als Prophet und Heiland der Welt. Und während sich so das Leben des HErrn vor unsern Augen immer herrlicher enthüllt, gehen die Episteln in ihrer Weise gleichen Schrittes neben her. So wie man in der Weihnachtszeit aus den Episteln die Entstehung der Kirche Gottes und die Ausführung der Menschheit aus dem alten in’s neue Testament, ja aus der alten in die neue Geburt entnehmen konnte, neben dem Bräutigam und HErrn Seine Braut und Magd entstehen und werden sah; so sieht man jetzt neben dem Fortschritt des Lebens JEsu in den Episteln den herrlichsten Fortschritt und die schönste Entwicklung des Lebens Seiner Gläubigen. Es läuft also neben dem Leben JEsu die Beschreibung des verklärten Christenlebens her, und ich denke, meine lieben Brüder, das wird wol der Hauptgedanke sein, welcher die Kirche bei der Wahl der epistolischen Texte für die Epiphaniensonntage geleitet hat. Sie liest überhaupt von uralten Zeiten her in der Zeit nach Weihnachten die Briefe Pauli, und zwar hauptsächlich solche Stücke, die den so eben angegebenen Gedanken, „das Leben der Gläubigen in seiner Entfaltung“ recht ausführlich und eingehend darlegen. Für die ersten drei Epiphaniensonntage liest man das zwölfte Kapitel an die Römer in drei mit einander zusammenhängenden Abschnitten. Der erste Abschnitt, unsre heutige Epistel, legt uns zuerst in einigen großen Zügen das Leben der Gläubigen in seinem Verhältnis zu Gott, zur Welt und zur Kirche vor. Im Texte des nächsten Sonntags verteilt sich die Flut der Gnaden, wie der Strom Nil zur Zeit wo er übergeht, in eine Menge von Kanälen und Rinnen bis in die einzelnen Felder und Gärten des speziellsten Lebens. Da sieht man das heilige Leben des Christen in seiner reichen harmonischen Mannigfaltigkeit. Dann schließt sich von dem 17. Vers an die Epistel des dritten Epiphaniensonntags an, und man sieht im Glanze apostolischer Worte am Sonntage, wo das Evangelium von der Heilung des Aussätzigen, dann des Knechtes des Hauptmanns von Kapernaum erzählt, in der Epistel die christliche Liebe zu den Feinden, wie sie Kohlen auf die Häupter sammelt und die abscheulichste Seelenkrankheit, die es geben kann, die häßlich ist, wie der Aussatz, und träg zum Guten wie ein Gichtbrüchiger, den Haß, auszutilgen und zu heilen sucht. Da laßt uns nun fröhlich zu unsrem heutigen Texte gehen, den Gedanken der Textwahl in Erinnerung, und nicht verlangend, daß im einzelnen große Aehnlichkeit und Beziehung auf’s Evangelium hervortrete.

 Voraus stellen wir noch eine kleine Bemerkung. Der Zusammenhang zwischen Evangelium und Epistel des heutigen Tages liegt, wie bereits gesagt, in der Aehnlichkeit, welche zwischen der Entwicklung des äußern Lebens JEsu und des innern Lebens Seiner Heiligen ist. In der That Zusammenhang genug. Es ist aber noch ein andrer Zusammenhang zu bemerken, der nemlich, zwischen dem heutigen epistolischen Texte und dem Epiphanientage. Evangelium und Epistel des erstgenannten Festes schließen mit den Opfergaben ab, welche die Weisen dem HErrn brachten und der einst die Völker und ihre Könige Ihm bringen werden. Die heutige Epistel dagegen beginnt mit der Hervorhebung eines Opfers, welches wir Gott schuldig sind, welches auch noch von höherem Werth ist, als Gold, Weihrauch und Myrrhen. So tönt also die Stimme des Epiphanienfestes in die Epiphaniensonntage herein und das Volk des HErrn JEsus, deßen Leben uns beschrieben wird, erscheint sogleich in priesterlicher Zier, im Opfer und heiligen Gottesdienste begriffen. Da ist denn der Zeit am schönsten ihr Recht geschehen, und der Epiphaniensonntag an das Epiphanienfest durch die goldene Fessel eines heiligen gemeinschaftlichen Gedankens geknüpft, – und zugleich das Christenleben, welches geschildert werden soll, im Glanze der heiligsten Salbung als ein Leben der geistlichen Priester dargestellt.

 Ohne Zweifel werdet ihr nach Erwägung dieser euch vorgelegten Gedanken ein wenig bereiteter sein, mit mir in den epistolischen Text selbst hineinzugehen, und ich bitte euch nur, daran zu denken, daß ich bereits Eingangs gesagt habe, es verlaufe unser ganzer heutiger Text in drei Abschnitten, man sehe das Leben der Christen zuerst in seinem Verhältnis zu Gott, dann im Verhältnis zur Welt und endlich im Verhältnis zur Kirche.

 Das Verhältnis zu Gott ist vielfach dargelegt in dem Worte „Opfer“. „Ich ermahne euch, lieben Brüder, durch die Erbarmung Gottes, eure Leiber darzustellen zum Opfer, das da lebendig, heilig, Gott wolgefällig sei, euer vernünftiger Gottesdienst.“ Die Heiden, auch die Juden brachten| Gott Opfer dar, die außer der Person des Opfernden lagen, Thiere, welche ihr Leben aufgeben mußten, um Opfer zu sein, so daß also vom Opfer der Tod unzertrennlich war. Diese Art und Weise, Gott blutige, sterbende, todte Opfer darzubringen, deutete auf Christum und hörte mit dem einzigen, ewig giltigen Opfer des blutigen, sterbenden, todten Leibes und Leichnams JEsu Christi auf. Unsre Versöhnung ist vollbracht, es sind mit Einem Opfer in Ewigkeit alle vollendet, die geheiligt werden. Wer will zur Versöhnung durch neue Versöhnopfer etwas hinzu thun? Doch sind damit nicht alle Opfer im neuen Testamente abgethan, viele Stellen des neuen Testamentes beweisen, daß es noch Opfer gibt, und schon der erste Vers unsrer heutigen Epistel, von dem wir eben reden, zeigt das Dankopfer, welches wir Gott bringen dürfen, ganz hell und klar. Das Dankopfer, sage ich, denn alle unsre Opfer sind Dankopfer, auch Brandopfer dazu, wenn du’s faßen willst. Das Opfer, von welchem in unserm Texte die Rede ist, ist unser Leib. Dieser Leib aber ist kein todtes Opfer, kein sterbendes, blutendes, sondern ein lebendiges, wie der Text sagt, sintemal wir unsre lebendigen Leiber dem HErrn zum Opfer darstellen sollen. Lebendige Opfer gab es im alten Testamente nicht, wenn auch bereits im Stande der Nasiräer der Gedanke einer persönlichen Hingabe an Gott den HErrn eingehüllt lag. Im neuen Testamente hingegen gibt es lebendige Opfer, nemlich die Opfer unsres Leibes, und unser Text lehrt es uns deutlich, daß sie heilig und Gott wolgefällig seien. Ja er sagt, die Darbringung solcher lebendigen Opfer sei nun mehr der vernünftige, wahrhaftige Dienst Gottes, unsers HErrn. Es ist wahr, daß im Griechischen an der Stelle des deutschen Wortes „vernünftig“ ein Ausdruck steht, welcher allenfalls auch in folgender Weise übersetzt werden könnte: „welcher sei euer, dem Wort gemäßer Gottesdienst.“ Da übrigens die Auffaßung „dem Wort gemäß“ doch schwieriger ist als die andere, und es im neuen Testamente allerdings der vernünftige Gottesdienst ist, dem HErrn die Glieder des Leibes aufzuopfern, so werden wir es wol am besten laßen, wie Luther und andre Uebersetzer es aufgefaßt haben; wir werden es für den vernünftigen Gottesdienst gelten laßen, daß man dem HErrn den Leib zum lebendigen, heiligen und Gott wolgefälligen Opfer gebe. Man wird zunächst nur aufzufinden haben, wie der Leib zu einem lebendigen Opfer werde, und warum diese Aufopferung des Leibes ein vernünftiger Gottesdienst heiße. Da wird man dann auch desto beßer begreifen, warum der Apostel seine Brüder zu Rom „durch die Erbarmungen Gottes“ anfleht und vermahnt, ihre Leiber Gott zum Opfer zu bringen.
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 In dem deutschen Worte „Opfer“, welches aus dem Lateinischen stammt, ist hauptsächlich die Hingabe deßen, was man opfert, an denjenigen ausgedrückt, dem alle Opfer vermeint sind. Das deutsche Wort ist ganz verwandt mit „Gabe“. Anders ist es mit dem griechischen Worte unsers Textes, in ihm liegt der Gedanke ausgesprochen, daß sterben muß, was geopfert werden soll; es bedeutet zunächst ein blutiges Opfer. Während nun unser Leib mit dem Namen bezeichnet wird, der an den Tod des Opfers erinnert, wird doch der Zusatz gemacht, daß der Leib ein lebendiges Opfer sei. Daraus schloß man im Altertume, daß also von einer Abtödtung des Leibes die Rede sein müße, aber nicht von einer solchen, die den leiblichen Tod nach sich führt, sondern von einer gemäßigten, bei welcher des Leibes Leben bestehen kann. Das Opfer wäre darnach nichts anders, als eine um Gottes Willen vorgenommene Abtödtung, Kasteiung und Zähmung des Leibes, bei welcher man die Gewisheit hat, Gottes heiligen Willen zu vollziehen. Wenn der Apostel Paulus an einer Stelle sagt, er betäube seinen Leib; wenn andre Stellen dieser Art in der heiligen Schrift nicht mangeln; wenn neben der christlichen Freiheit im Genuß von Speis und Trank bei den Heiligen des neuen Testamentes die Uebung des Fastens hergeht und keineswegs verboten, sondern frei gegeben und von dem Mund des HErrn JEsu selber mit Maß und Regel versehen wird: so gehört das alles zusammen in das Kapitel vom Opfer des Leibes und in unsern Text. Man darf sich dies Werk der Aufopferung nur nicht als ein trauriges, betrübtes Geschäft vorstellen, sondern als ein solches, das nach der Anordnung JEsu mit gesalbtem Angesicht und Geiste geschieht. In der alten Zeit, ja bei den Römischen und Orientalen auch in der neuen Zeit, haben sich viele mit allem Ernst darauf verlegt, ihren Leib durch Abtödung zum Opfer zu machen. Das Altertum liefert große Beispiele, die uns nicht blos befremden sollten, die wir bewundern dürften,| auch deswegen bewundern, weil ein gewaltiger Ernst der leiblichen Abtödung sehr oft mit einem hohen Alter, ja mit den höchsten und ungewöhnlichsten Altersstufen des menschlichen Lebens zusammengeht. In den protestantischen Kirchen freilich denkt niemand mehr daran, die Darbringung des Leibes als lebendiges, heiliges, Gott wolgefälliges Opfer durch Abtödung auszuüben. Die neueren Erzieher haben zwar gar nichts gegen eine Abhärtung des Leibes zum Zwecke der Stählung und Kräftigung desselben; sie schlagen manches vor, was der Abtödung der alten Asceten verglichen werden könnte; sie brauchen ähnliche Mittel, aber zu einem ganz andern Zweck. Wer dasselbige thun wollte, um Gott in seinem Leibe ein nicht sterbendes, sondern kräftiges, lebendiges Opfer darzubringen, von dem würde man allenthalben mutmaßen, er sei auf geradem Wege nach Rom. Und doch reden nachweisbar nicht blos protestantische Theologen, sondern die Schrift selbst von einem löblichen Maße der Abtödung, und wir sehen nirgends, daß die leibliche Uebung gar nichts nütze, wenn gleich an einem Orte, daß im Vergleich mit dem Segen der Gottseligkeit ihr Nutzen ein geringer sei. Indeßen ist es ja allerdings richtig, daß eine pur äußerliche Abtödung des Leibes den Sinn des Apostels nicht trifft. Gottseligkeit thut unendlich mehr, als die bloß leibliche Uebung. Wer Gottes und Seines Geistes voll ist, in dem darf nur der Gedanke angeregt werden, den Leib als lebendiges, heiliges, Gott wolgefälliges Opfer darzubringen, so wird Lust und Liebe dazu im Innern erwachen, und der Ueberschwang der gottverlobten Seele wird die Bitte und Vermahnung des Apostels herrlicher hinausführen, als die allerdings oft peinliche und gesetzliche Abtödung der alten Asceten. – Dreierlei ist es, was die Seele am Leibe dieses Todes vielfach hindern und beschweren kann, der Anlaß zur bösen Lust, wie er allerdings oftmals hervortritt, die leibliche Schwere und Trägheit, welche den Geist so oft langsam macht zum Guten, und die Maßlosigkeit und Unordnung auch in der rechtmäßigen Begier nach leiblichem Genuß. Es ist ganz richtig, daß die Lust und alles Böse den Sitz nicht im Leibe, sondern in der Seele hat, und wer das Böse im Leibe, als in der Materie suchen wollte, gegen den müßte man mit jenem Eifer ankämpfen, mit welchem die Kirche je und je diese heillose Irrlehre bekämpft hat. Wer nun aber um deswillen nicht begreifen wollte, daß die Seele durch ihr leibliches, irdisches Organ mit der Welt um sie her in Verbindung steht, und daß ihr auf dem Wege der Sinne nicht blos richtige Gedanken, sondern auch ein Heer von bösen Begierden und viel Hindernis des guten Willens zugeführt werde, der würde durch eine richtige Lehre für eine derselben nicht widerstrebende tägliche Erfahrung und Wahrnehmung abgestumpft erscheinen. „Aergert dich dein Auge, Hand oder Fuß,“ sagt der HErr und gibt damit nichts anders zu erkennen, als was so eben gesagt wurde, daß der Leib und seine Glieder Anlaß zum Aergernis der Seele geben können. Will man nun auch das priesterliche Geschäft der Aufopferung nicht wie manche Asceten von außen nach innen, sondern auf dem Wege der Gottseligkeit von innen nach außen vollziehen, so muß man doch auch das erkennen und sich nach Leib und Seele dahin treiben und regieren laßen, daß Lust, Trägheit und Maßlosigkeit überwunden und auf diese Weise nicht blos die Seele, sondern auch der Leib als ein lebendiges, heiliges, Gott wolgefälliges Opfer dem HErrn dargebracht werde. Ob von außen nach innen, oder umgekehrt das Opfer vollzogen werde, ist übrigens die geringere Frage; vielleicht schließt eins das andre nicht einmal aus. Daß es aber geschehe, muß einer heiligen Seele ernster Lebenszweck sein. Auch das Fleisch muß durch den heiligen Geist wahrhaft lebendig, heilig und Gott wolgefällig werden, und wer dafür sorgt, übt einen vernünftigen Gottesdienst. – Es ist eine merkwürdige Sache, meine lieben Brüder, daß die griechische Sprache für Vernunft und Wort ein und denselben Ausdruck braucht, so daß der Name der ewigen, göttlichen Natur unsers HErrn JEsus, welcher bekanntlich „Gottes Wort“ ist, und die geschaffene menschliche Vernunft samt dem geschaffnen Worte mit einem und denselben Ausdruck, dem Ausdruck „Logos“ bezeichnet werden. Bei sothaner Sache ist es leicht zu denken, daß zuweilen das griechische Wort gebraucht wird, ohne daß man auf der Stelle unterscheiden kann, wie es zu übersetzen und zu deuten ist. Diese Mehrdeutigkeit geht auch auf das Eigenschaftswort über, welches von dem Hauptwort „Logos“ stammt; es kann dasselbe eben sowol heißen „dem Wort gemäß“ als „vernünftig“. So kann auch in unsrer Stelle eben sowol übersetzt werden, „welches sei euer dem Wort gemäßer Gottesdienst,“| als, „welches sei euer vernünftiger Gottesdienst.“ Dabei muß jedoch bemerkt werden, daß das Eigenschaftswort, welches hier steht, überhaupt nur zweimal in der heiligen Schrift vorkommt, nemlich in unserm Texte und 1. Petri 2, 2; so wie, daß es von den griechischen Kirchenvätern selber, also von denen, denen Wort und Sache am nächsten stand, nicht anders ausgelegt wird, als „vernünftig“ oder „geistig“. Auch dürfte man wol um so mehr diese Auslegung annehmen, als der Ausdruck „Wort Gottes“, so wie wir ihn von der heiligen Schrift alten und neuen Testaments zu brauchen pflegen, im neuen Testamente gar nicht gewöhnlich ist. Man wird daher schon deshalb in unsrer Stelle, wie auch in der des heiligen Petrus 1. Petri 2, 2 den Ausdruck mit dem Kirchenvater Chrysostomus und andern, so wie mit Luther durch die Worte „geistig oder vernünftig“ geben müßen. Es ist auch der Sinn ein vortrefflicher. Das ist wahrhaft vernünftiges und geistiges Leben, wenn ein Mensch seinen Leib dem HErrn als ein lebendiges, heiliges, Gott wolgefälliges Opfer darbringt. Nicht das ist Geist und Vernunft, den Lüsten fröhnen; wol aber kann man es Geist und Vernunft nennen, wenn einer seines Leibes Herr wird und die leiblichen Geschäfte und Dinge in Einklang mit dem geistigen Leben und in Eintracht mit der Seele, die nach ewigen Zielen strebt, zu versetzen weiß. Wer seines Leibes Herr ist und der Regungen desselben, wer ihn beherrschen kann und zu heiligen weiß, der ist der größte Meister und Weise. Man könnte sich denken, daß jemand höhnend den letzten Satz weiter fortführen und sagen würde: Ja, der ist ein solcher Weiser und Meister, der es auch weiter gebracht hat, als St. Paulus selbst Röm. 7, da er ausruft: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen vom Leibe dieses Todes.“ Allein die Klage, welche der Apostel in der eben angeführten Stelle erhebt, bezeichnet keineswegs die höchste Lebensstufe, welche St. Paulus erklommen hat, so wahr sie auch ist und auf alle Menschen, selbst auf Apostel in oft wiederkehrenden inneren Lagen paßt. St. Paulus dankt auch durch JEsum Christum unsern HErrn für den Sieg im schweren Kampf, trägt in sich den heiligen Geist, von dem geschrieben steht: „welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder,“ und weiß auch zu rühmen, daß er durch den heiligen Geist verklärt werde von einer Klarheit in die andere. Daher redet er auch in unserm Texte von einem geistigen, vernünftigen Gottesdienst, von einer solchen Verklärung des Christen, durch welche auch der Leib heilig und gewissermaßen durchleuchtig wird. Sind wir auch selbst bis dahin nicht emporgedrungen, so wird uns doch unser Ziel damit gezeigt. Wir müßen auch alle zugestehen, daß dies Ziel nicht blos das würdigste ist, welches wir uns denken können, sondern auch ein erreichbares und mögliches, weil sonst der Apostel nicht dazu ermahnen und aneifern würde. Das letztere aber thut er ja alles Ernstes: er ermahnt uns durch die Barmherzigkeit Gottes, oder er ermahnt uns, daß wir um der göttlichen Barmherzigkeit willen „unsre Leiber“ dem HErrn zum Opfer begeben mögen. Die Barmherzigkeit Gottes, die uns widerfahren ist, die uns täglich widerfährt und uns erziehend und leitend treu verbleibt, ist der Grund, auf welchem St. Paulus so hohe Dinge von uns verlangt. Wir sollen Gottes heilige Priester sein, zu opfern geistliche Opfer, zu üben einen geistigen Gottesdienst, Gott anzubeten im Geist und in der Wahrheit, und unser Leib und gesammtes leibliches Leben soll bei all’ unsrer Anbetung und all’ unserm Gottesdienst das Opfer sein, welches unser Geist dem HErrn darbringe, täglich neu und immer wieder. – Da haben wir meine lieben Brüder, was unser Text von unserm Verhältnis zu unserm Gott sagt und es liegt darin für uns Lehre, Strafe, Beßerung und Züchtigung genug, für uns, die wir uns großenteils kaum je einmal besonnen haben, daß wir auch als Glieder des neuen Testamentes Gott Opfer darbringen können, und die wir eben so wenig oder noch weniger auf den Gedanken gekommen sind, daß an die Stelle der alten Opferthiere unser Leib treten und Gottes heiliges, lebendiges Opfer werden solle. Das ist nun aber so, und geht uns das wider unsern gewohnten Sinn, so wird es mit dem zweiten Teile der Epistel nicht anders sein.
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 Unter uns kann man auch in christlichen Kreisen immer aufs neue und bis zum Ekel die Frage aufwerfen hören, in wie weit sich ein Christ dem weltlichen Leben anbequemen und mit der Welt gehen dürfe. Viele Christen sind in diesem Stücke wie jene Frauen, von denen geschrieben steht, daß sie immerdar lernen und nimmer zur Erkenntnis der Wahrheit kommen; sie werden mit der Welt nie fertig. Es ist| das die unheilvolle, unglückselige Folge jener Vermengung des Weltlichen und Geistlichen, welche in die Kirche eingedrungen ist, seitdem die Staaten christlich werden wollten und die Völker massen- und haufenweise nicht blos unter die Katechumenen, sondern geradezu unter die Gläubigen aufgenommen wurden. Der Uebertritt der meisten zur christlichen Religion war nicht voller Ernst der Seele, sondern geschah aus irdischen, zeitlichen und sündigen Gründen. Sie ließen sich taufen, stellten sich in äußerlichen Formen der Kirche gleich, blieben aber innerlich, wer sie waren und brachten ihre Urteile, Sitten und Freuden in die Gemeinde Christi mit herein. Wie die heiligen Patriarchen die Kainiten nicht bekehrten, wol aber ihre Kinder von denselben dermaßen verderbt wurden, daß am Ende Gott nicht blos von den Kainiten, sondern vom ganzen menschlichen Geschlechte sagen mußte: „alles Fleisch hat seinen Weg verderbt;“ so gieng es auch mit der Kirche. Sie wurde der Heiden nicht Meister, die wie Ströme in ihre Gebiete strömten, wol aber riß der Strom des heidnischen Wesens in die christlichen Gebiete ein und zerstörte das Gute, was da war. Ein wenig Sauerteig verderbt den ganzen, Teig, wie viel mehr mußten solche Massen von Sauerteig den neuen, süßen Teig verderben. Seit Constantin dem Großen bis auf unsre Zeiten hat die Kirche, und zwar in allen Confessionen, die schwere Strafe der Verweltlichung zu tragen, dafür, daß sie nicht bleiben mochte, was sie sein sollte, ein schmaler Weg, sondern mit Willen wurde, was sie nie hätte werden sollen, ein breiter Weg. Es ist zu verwundern und ist ein Beweis von überschwänglichem, göttlichem Segen und unverwüstlichem Leben, daß es nach 1500 Jahren einer solchen Mischung nur noch überhaupt eine Kirche gibt, daß nur noch ein Kampf gegen das Böse da ist, daß nur noch innerhalb der Kirche das unterschieden wird, was eigentlich Welt und eigentlich Kirche ist, daß nicht aller Unterschied aufgehört hat und das Böse nicht wie eine Sintfluth den Boden der Kirche bedeckte. Dagegen ist es aber auch unter solchen Umständen gar nicht zu verwundern, wenn immer neu die Frage aufgeworfen wird: wie weit darf ich mit der Welt gehen. Hat doch die Kirche im Ganzen und Großen die Welt in ihre Mauern aufgenommen und eine Vereinbarung mit ihr getroffen, vermöge welcher sie mit ihr auf einem Boden, wie die Philister mit den Kindern Gottes wohnen muß. Bei solcher Grenzverrückung und Grenzverstrickung, bei solchem Durcheinander des Guten und Bösen ist es erklärlich, wenn einem die Augen vergehen und aller klare Blick der Einfalt verloren geht. Was ist das aber im Grunde auch für eine Frage: wie weit soll ich’s mit der Welt halten? Die Frage schon beweist, daß das Herz vergiftet ist; die Frage schon ist falsch. Frage lieber einfach: „Soll ich’s mit der Welt halten, oder nicht“; so bekommst du die Antwort: Nein, du sollst es mit der Welt nicht halten; der Welt Freundschaft ist Gottes Feindschaft. Damit ist dir dann die weitere Frage, wie weit du’s mit der Welt halten sollst, ganz erspart. Gar nicht sollst du’s mit der Welt halten, es gibt kein gerechtes Maß der Weltliebe; das geringste ist zu viel; alles was in der Welt ist, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. – Wollte man aber sagen: innerlich begehre man es allerdings mit der Welt nicht zu halten, äußerlich aber könne man es nicht immer vermeiden, es sei puritanische Beschränktheit, das nicht einzusehn; so kann es wol sein, daß die Kinder der Wahrheit einen Augenblick von dem lähmenden Zauber berückt werden, welchen die Anwendung von Secten- und Puritaner-Namen auszuüben pflegt; aber lang kann die Benebelung bei denen nicht dauern, die am Wort und bei der Wahrheit bleiben, denn nach dem Worte Gottes soll man auch Weltförmigkeit vermeiden. „Die Welt ist mir gekreuzigt und ich der Welt,“ sagt St. Paulus, was heißt das anders, als: wir sind geschiedene Leute, geschieden innerlich und äußerlich, geschieden für immer. Unser Verhältnis zu Gott heißt Opfer, unser Verhältnis zur Welt heißt Scheidung. Eines so einfach, wie das andre. Will aber jemand diese Lehre nicht annehmen, so weisen wir ihn einfach auf den zweiten Vers unsers Textes und legen ihn wie ein rothes, leuchtendes Siegel der Gewisheit und der Wahrheit der gepredigten Lehre vor eure Augen. „Stellet euch nicht dieser Welt gleich,“ sagt der Text, oder näher beim Worte zu bleiben: Nehmet nicht einerlei Lebensform mit der Welt an, seid nicht weltförmig. So sagt St. Paulus, und der kannte die Theologie der Rücksichten und die christliche Politik der Klugen ohne Zweifel vortrefflich. Warum sagt der Mann, der weder Pietist noch Puritaner war, nicht anders? War er etwa auch beschränkt, wie ein Dorfpfarrer,| der es nicht weiß, noch versteht, noch erfahren hat, wie wenig man in den höhern Lebenskreisen bei solchen Ansichten gilt und bleiben kann und wirken kann? Wer wird sich so etwas zu sagen getrauen? Wer kann St. Paulum meistern, wenn er in das mühselige Wirrsal des gegenwärtigen Christenstaates hinein seine Posaunenstimme erschallen läßt: „Werdet nicht weltförmig“?! – Gebt aber Acht, meine lieben Brüder; St. Paulus fährt noch weiter fort und spricht: „Verändert euch aber durch Verneuerung eures Sinnes.“ Also ist es der alte Sinn, den der Apostel nicht leiden kann, er mag sich gebärden und eine Form annehmen, wie er will. Der Christ muß schon auch eine Lebensform haben, eine Form, die ihm nicht angeboren ist, in die er hinein wachsen und werden muß. Kein unförmlich Wesen Gott gefällt. Wenn das nicht wäre, so würde der Apostel nicht sagen: „Verändert euch“, oder wie es eigentlich heißt: „Verwandelt euch, nehmt eine andre Form an.“ Es soll nur die rechte Form sein. Die aber entsteht nicht durch Anbequemung an die Welt, sondern durch Verneuerung des Sinnes. Die Welt ist alt, das Christentum ist neu. Verneuert wird der Sinn, die Einsicht, der Verstand, wenn er der heidnischen, abgöttischen, abfälligen, sich immer gleichen finstern Welt den Abschied gibt und christlich wird, dem Sinne Christi und seiner Apostel ähnlich. Christlich und neu, das ist eins, je christlicher dein Sinn wird, je durchdrungener dein Geist von dem Geiste Christi, desto unwillkürlicher wird dein ganzes Leben und alle seine Form erneut und der Sinn der lautern Einfalt, das reine Gegenteil der Welt, wird dann innerhalb des breiten Weges und der dichtgedrängten Massen wie ein Fremdling gehen, ja wie nach der Fabel im Lande der Höckerigen der Mann von graden Gliedern gieng. Es ist allerdings ein Wandel in solcher Umgebung nicht angenehm zu nennen, er fühlt sich nicht wie Erdenglück an, aber er hat dennoch seinen Lohn. Diesen Lohn verkündigt der Apostel mit den Worten: „auf daß ihr prüfen oder in Erfahrung bringen möget, welches da sei der gute, wolgefällige, vollkommene Gotteswille.“ Wer weltförmig und dabei ein Christ sein will, dem fehlt das Organ, in allen Fällen den Willen Gottes zu erkennen und seine Wege zu gehen. Unsicher wird das Auge, das Herz, der Gang: die immerwährende Rücksicht, die man auf die Welt zu nehmen hat, läßt nach keiner Seite hin ganz und aufrichtig werden. Durch die selbsterwählten Klippen schiffen, unversehrt, wenn auch mühevoll, schwimmen, sich durchschlagen mit Politik und Winkelzügen und am Ende des Lebens auf der Einbildung ausruhen, als habe man ein reiches Leben und große Erfahrungen hinter sich, das ist die Herrlichkeit der Weltförmigen. Gott aber läßt es den Aufrichtigen gelingen, und bei der täglichen Verneuerung, Reinigung und Läuterung des Sinnes gewinnen sie auch täglich mehr das Auge der Einsicht in das, was Gottes guter, wolgefälliger und vollkommener Wille in allen Fällen sei. Denkt an den Knaben JEsus im heutigen Evangelium. Er weiß, daß er sein muß in dem, das seines Vaters ist. Das ist Gottes guter, wolgefälliger, vollkommener Gotteswille über ihm. Maria und Joseph, so heilig sie sind, erkennen diesen Willen nicht, aber JEsus erkennt ihn. Das macht der neue Sinn, den er hat, der sich in ihm entfaltet, wie der Tag, in welchen die andern erst allmählich durch Verläugnung dieser Welt hinein wachsen müßen. – Wenn euch das Verhältnis des Christen zur Welt als reine Scheidung nicht richtig gefaßt zu sein scheint, so laßt nur euren Sinn erneuert werden durch den Geist des HErrn, so dringt nur auf dem Wege der Herzensreinigung in die völligere Erkenntnis des göttlichen Willens hinein. Daß wir dies alles sollen, daran zweifelt kein verständiger Christenmensch, und thun wir’s, so werden wir bald auch in dem einig sein, worüber der eine und andre bedenklich ist, nemlich, daß im Reiche Gottes keine Weltförmigkeit gilt.

 Es ist aber bereits gesagt worden, daß sich die in unserm Texte enthaltenen Ermahnungen des heiligen Apostels teils auf das Verhältnis zu Gott, teils auf das zur Welt, teils auf das zur Kirche beziehen. Wir stehen nun bei diesem dritten Teile, welcher der Ausführung nach in unserm Texte den meisten Raum einnimmt, ohne daß man doch sagen könnte, daß er mehr und der Erklärung bedürftigere Gedanken enthalte, als die zwei vorigen Teile. Im Gegenteil macht die apostolische Ausführlichkeit die größere Ausführlichkeit der Predigt überflüßig.

 Der Apostel gründet die Belehrung über das Verhältnis des Christen zur Kirche auf die uns bekannte apostolische Lehre von der Kirche als einem Leibe, der aus vielen Gliedern besteht. „Gleichwie| wir in einem Leibe viele Glieder haben, aber alle Glieder nicht einerlei Geschäft haben, also sind wir viele Ein Leib in Christo, aber unter einander ist einer des andern Glied und haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist.“ Auch bei dieser Darstellung geht der Apostel, wie in andern Stellen, die von der Kirche reden, ganz von der Einheit der unsichtbaren und sichtbaren Kirche aus. Er weiß sehr wol, daß eigentlich zur Kirche nur die wahrhaft Gläubigen gehören, aber er behandelt alle sichtbaren Glieder der Kirche in so lange als wahre Glieder, als nicht durch das Misglücken der bruderlichen Zucht an dem oder jenem der handgreifliche Beweis gegeben ist, daß er kein Glied der Kirche sei. Wie könnte das auch von einem praktischen Manne anders geschehen, zumal wenn man das Verhältnis des Einzelnen zur Kirche darzustellen im Begriff ist. Kann ich denn zur unsichtbaren, d. h. meiner Wahrnehmung entzogenen, mir unbekannten Kirche in ein Verhältnis treten, muß nicht alles, was Geist heißt, wenn es dem mit einem Leibe verbundenen Menschengeiste bemerklich werden soll, selbst irgendwie leiblich werden? Mit einer unsichtbaren Kirche, welche sich in der sichtbaren verbirgt, kann ich in keine mir bewußte Gemeinschaft treten, wol aber mit einer solchen unsichtbaren Kirche, die sich mir sichtbar macht, mit einer sichtbaren Kirche, die ich für den Leib der unsichtbaren nehmen kann und in welcher ich die unsichtbare Kirche als vorhanden begrüßen darf. Kurz, die Lehre von der unsichtbaren Kirche ist zum Troste für die Zeiten und Orte aufgefunden, wo sich offenbar die Kirche im Verfall befindet und unter dem Haufen der Gottlosen und Maulchristen verborgen ist, nicht aber zu einer Grundlage des Verhaltens eines Gliedes zum andern, oder zur ganzen Kirche. Die Kirche ist allerdings Ein Geist, wie das die heilige Schrift mehrfach bezeuget, aber sie ist auch Ein Leib, und schon dieser Ausdruck deutet auf die Notwendigkeit hin, daß die Kirche sichtbar werden muß, damit ich sie sehen und finden und faßen und mich als Glied des Ganzen erkennen kann. Sehen wir das ein, so werden wir auch schnell erkennen, wie man jeden einzelnen Christen in seinem Verhältnis zur ganzen Kirche auffaßen müße. Kein einzelner Christ ist selbst ein Ganzes, sondern ein Teil, ein Glied der Kirche, deßen Beruf es auch ist, sich als Glied und Teil zu erkennen. Kein einzelner Christ hat alle Gaben des heiligen Geistes; nur Christus hat den Geist ohne Maß, wir aber haben ihn nach dem Maße, in welchem er durch göttliches Erbarmen einem jeden zugeteilt ist. Jeder hat seine Gabe, die er empfangen hat, um sich mit derselben als Glied des großen Ganzen zu erweisen, den andern Gliedern und eben damit dem Ganzen zu nützen. Gleichwie das Auge das Ohr bedarf, die Hand den Fuß und jedes Glied das andre, eine Hand die andre wäscht, ein Fuß den andern vorwärts bringt, die Hand dem ganzen Leibe Handreichung, der Fuß dem ganzen Leibe Gänge thut, alle Glieder von einander, der Leib von den Gliedern und die Glieder vom Leibe abhangen, so kann auch in der Kirche kein Christ den andern entbehren, weil jeder die Gabe des andern bedarf und dem ganzen Leib nur dann wol ist, wenn alle Glieder den ihnen befohlenen Dienst thun und ein jedes seine Gabe erweist. Wer freilich in einer Gemeinde lebt und den Sinn Kains haben und behalten will, der nach seinem Bruder nicht fragte und deßen Hüter nicht sein wollte, der wird wenig Freude an einer solchen Lehre haben. Was kümmert der sich um die Kirchgemeinde; die ist ihm kein Leib, sondern ein zufällig zusammengewürfeltes Ganzes, das so wenig verliert, wenn er sich nicht zu ihm hält, als er selbst, wenn er sich von ihm scheidet, oder nicht richtig zu ihm verhält. Die Anerkennung dieser heiligen Lehre von der Kirche als einem Leibe mit vielen Gliedern ist eine Sache der Liebe, und wer keine Liebe hat, für den ist die ganze Lehre nichts, für den ist aber auch die Kirche selbst nichts, und der kann allerdings auch kein Interesse haben, darnach zu fragen, in welchem Verhältnis er zur Kirche steht. Hat hingegen jemand unter euch so viel Liebe, als man bedarf, um die Lehre von der Kirche zu erkennen, der wird nach dem Gesagten schnell belehrt sein, welches sein Verhältnis zur Kirche sei. Der Apostel gibt dazu auf Grund der Lehre von dem Leib und seinen Gliedern die schönste Anweisung im dritten Vers des Textes, in dem er spricht: „Ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, einem jeden, der unter euch wohnt, daß er nicht übermäßig halte neben dem Maß hin, darnach er halten soll, sondern daß ein jeder von sich also denke, daß es mäßiglich und gesund sei, so wie Gott einem jeden das Maß des Glaubens| ausgeteilt hat“, oder nach Luthers in diesem Verse vortrefflicher Uebersetzung, „daß niemand weiter von sich halte, denn sichs gebührt zu halten, sondern daß er mäßiglich von ihm halte, ein jeder nachdem Gott ausgeteilt hat das Maß des Glaubens.“ Es ist zwar in keiner Uebersetzung möglich, wörtlich und treffend den Sinn des Apostels wiederzugeben, namentlich aber den dreifachen Ausdruck von der rechten Selbstschätzung. Aber was der Apostel will, das ist dennoch klar. Er gibt ein Maß an, nach welchem man sich selbst zu schätzen hat; dieses aber ist nichts anderes, als das Maß des Glaubens, das Gott einem jeglichen Gliede am Leibe Christi mitgeteilt hat. Man wird unter dem Worte Glauben in dieser Stelle wol nicht blos den rechtfertigenden Glauben, sondern alles dasjenige zu verstehen haben, was wir Glaubensleben, geistliches Leben, inneres Leben zu nennen pflegen, und wenn wir auch den Ausdruck nicht völlig aus dem sechsten Verse verstehen, Glauben und Gnadengaben nicht ganz gleichbedeutend nehmen dürfen, so wird doch zur richtigen Auffaßung des Verhältnisses eines jeden Gliedes am Leibe Christi zu den andern Gliedern und zum Ganzen die Erkenntnis und Erwägung der vom HErrn geschenkten Gnadengaben besonders viel beitragen, auch die Gabe zum Glaubensleben zu rechnen sein. Wer das Maß seines Glaubenslebens und seiner Gabe richtig erkennt und schätzt und seine Stellung in der Gemeine darnach beurteilt, von dem kann man sagen, er habe das richtige Verhältnis zur Kirche gefunden, er halte nicht weiter von sich, denn sich gebührt zu halten, sondern er halte mäßiglich von sich. Wenn z. B. der heilige Paulus in jenen bekannten Stellen, darin er sein Verhältnis zu den andern Aposteln beschreibt, sagt, er halte dafür, daß er nicht weniger sei, als die hohen Apostel, daß er mehr gearbeitet habe, als die andern alle u. s. w., so schätzt er sich nach dem Maße des Glaubenslebens und der ihm verliehenen Gaben, und so groß auch das Urteil von ihm selber lautet, so ist es doch nicht übertrieben, nicht unmäßig, sondern im Gegenteil das gerechte, gesunde Urteil eines Mannes, dem die heilige Sophrosyne, oder die Tugend des rechten Maßes und der gesunden Ansicht aller Dinge zur andern und neuen Natur geworden ist. Ist es etwa eine Demut, wenn der Mensch nicht wahrhaftig ist und sich selbst nicht richtig schätzt noch erkennt? Ist nicht Wahrheit und Wahrhaftigkeit eine solche Grundlage der Demut, daß man ohne sie selbst zum Heuchler und Gleißner wird? Darf jemand seine Gaben gering schätzen, wenn sie groß sind, oder ists ein Beweis von geistlichem Leben, wenn einer das Maß des Glaubens nicht kennt, das in ihm ist? Man kann ja nicht blos durch die Menge der Sünden demütig werden, sondern auch durch die Größe der Gabe und durch die Fülle des inwendigen Lebens, welche Gott beigelegt hat. „Er hat Großes an mir gethan, der da mächtig ist und des Name heilig ist,“ ruft die Mutter Gottes; sie weiß ihre Größe; sie weiß aber auch ihre Niedrigkeit, wie sie denn ausruft: „Er hat die Niedrigkeit Seiner Magd angesehen.“ Da hebt das Gefühl der Niedrigkeit das Gefühl der Größe nicht auf; beide gehen wunderschön zusammen, wie auch David sagt: „Wenn du mich demütigst, machst du mich groß.“ – Uebrigens, meine lieben Brüder, sind ja freilich nicht alle Männer, wie St. Paulus, nicht alle Apostel, Propheten und Lehrer der Völker. Nicht alle werden daher mit solchem Maße des Glaubens und der Gaben ausgerüstet sein, daß sie sich eine hohe Stellung in der Kirche und eine große Wichtigkeit für dieselbe zuschreiben müßten. Die Glieder, aus denen der Leib zusammengesetzt ist, sind zum Teil auch sehr geringe Glieder, und das Maß des Glaubenslebens und der Gabe ist bei manchen, die zum Leibe gehören und selig werden, auch ein bescheidenes und geringes. Da wird also auch nicht jeder durch die Erkenntnis seines Verhältnisses zu der Kirche und ihren Gliedern eine Anreizung zur Selbstüberschätzung bekommen können. Nicht die Ueberschätzung, nicht die Form des Hochmuts, die auf andre verachtend heruntersieht, wol aber die wird zu fürchten sein, die neidisch auf andre hinaufsieht und durch Unzufriedenheit und Mismut den eigenen süßen Honigtropfen austreten möchte, den Gott gegeben hat, blos deswegen, weil andre mehr haben. Wahrlich es ist keine von beiden Hochmutsformen schön und erträglich, weder der Hochmut, noch der unzufriedene Neid. Am Ende aber läßt man sich doch den ersteren noch lieber gefallen als den letzteren, zumal ein Mensch, der seine eigne Gabe unzufrieden gering schätzt, seinem Edelstein nicht blos die goldne Faßung der zufriednen Freude, sondern auch den segensreichen Blick und Glanz für andre nimmt. O, es ist schön, wenn hochbegabte| Menschen unter der Last der Gnaden wie unter einem kostbaren Kreuze gebeugt und demütig gehn; aber wahrlich sehr schön und anmutig, liebreizend und erhebend ist auch der Blick auf den zufriedenen Kleinen, der fröhlich über sein geringes Maß des Glaubens und der Gabe dieselben wie Flügel braucht und damit ein und demselben ewigen Ziele entgegen steuert, wie der Hochbegabte. Müde geht oft der letztere unter der Last der Gnaden, während der erstere sich öfter freudenvoll durch die Luft himmelwärts schwingt. Es liegt daher auch keineswegs daran, daß man ein großes Maß des Glaubens und der Gabe habe, – das ist ja Gottes Rath und Wille, wie er einen jeden ausstatten will. Vielmehr liegt alles daran, daß jeder seine Gabe erkenne und im Glauben darreiche Tugend und in der Tugend Bescheidenheit und in der Bescheidenheit Mäßigkeit und in der Mäßigkeit Geduld und in der Geduld Gottseligkeit und in der Gottseligkeit brüderliche Liebe und in der brüderlichen Liebe gemeine Liebe, wie St. Petrus im ersten Kapitel der andern Epistel sagt.

 Das ist eine wunderliche Sache, daß uns beim Lesen der apostolischen Briefe und der sonntäglichen Episteln so gar oft Dinge begegnen, die hochbetont sind und doch von den meisten übersehen werden, die vollkommen richtig sind und nichts desto weniger vergeßen und verachtet werden, als wären sie kindische Reden oder Lügen. So ist es auch hier mit dem dritten Teil unsrer Epistel. Es kann in der Welt keinen Grundsatz geben, der sich mehr von selbst empfiehlt, wie der, daß kein Mensch in der Kirche eine größere Stellung einnehmen kann, als er durch das Maß des Glaubens und der Gabe vermag. Es kann daher auch niemand leugnen, daß es eine Pflicht des Christenmenschen ist, nach dem Maß seines Glaubens und der Gabe zu forschen. Auch kann jedermann einsehen, daß Friede, Ruhe, Glück und Freude da wohnen muß, wo jeder bescheidentlich seine Gabe kennt und braucht; da hingegen Hader, Streit und Unglück eintreten muß, wo die Brüder nicht in der lebendigen Erkenntnis ihrer Gnade und Gabe stehen und gehen. Man kann auch sagen, daß die im zweiten Vers der Epistel gebotene Erneurung unsres Sinnes, so wie die Prüfung und Erfahrung des guten, wolgefälligen, vollkommnen Gotteswillens, ohne fortschreitende Erkenntnis der Gnade und Gabe gar nicht stattfinden kann, wie denn auch der Apostel beides durch den Uebergang aus dem zweiten in den dritten Vers in Zusammenhang bringt. Und doch, meine lieben Brüder, wer merkt auf das Alles, wer sucht sein Verhältnis zur Kirche und ihren Gliedern und zu dem Zweck sein Maß des Glaubens und der Begabung zu erkennen; Sündenerkenntnis wird von allen als ein Lebensziel erkannt, aber Gnaden- und Gaben-Erkenntnis? Es kann einem jeden einleuchten, daß dem hoffärtigen Treiben der Ueber- und Unterschätzung, der Selbsterhebung und der Verachtung andrer, kein kräftigerer Damm und mächtigerer Tod entgegengesetzt werden kann, als die bescheidene Erkenntnis der Gnaden und Gaben der einzelnen Glieder. Dennoch wird gar kein Fleiß darauf verwendet, keine Treue geübt, sondern man sucht sich wol gar das schwere Geschäft durch die Ausrede vom Hals zu schaffen, es sei nicht nötig, die Grenzen der Gnade und Gabe zu erkennen, es sei am Ende schöner und lieblicher, wenn man sei, was man könne, ohne gerade sein Maß und seine Grenzen im Bewußtsein zu tragen; man könne am Ende wol gar durch genaue Kenntnis der Gabe sich auf den Weg des Hochmuts versteigen. So entflieht man der Epistel, die wir heute gelesen, und andern Stellen, wie z. B. dem 12. Kapitel im 1 Kor.–Briefe. – So wird man am Ende gar weiser und klüger, als St. Paulus, ohne daß man doch einen geradern und richtigern Weg zum Flore aller Gaben, zum Frieden der Gemeinde, zur Tödtung der Leidenschaft angeben könnte. – Ach Jammer und Not, es muß doch ein jeder etwas von sich denken und halten, und der Apostel befiehlt das rechte Maß der Selbstschätzung einzuhalten, er befiehlt und offenbart dies Maß, indem er sagt, ein jeder soll sich nach Gabe und Glauben schätzen. Er befiehlt und du willst nicht. Was willst du denn? Willst du gar keine Meinung von dir selbst haben? Das geht nicht. Unklar oder klar hat jeder ein Urteil über sich; so suche doch das rechte, klare Urteil nach dem rechten Maße, das dich und andre bescheiden macht und uns alle friedlich über-, neben- und unterordnet. Das aber willst du nicht, du bist wie ein Stein, den man nicht fügen kann; du fügst dich nicht, da wird dich der Steinmetz wenden und schlagen und hauen, bis du dich fügst, oder vor Härtigkeit zerspringst und weggeworfen wirst, weg aus dem Bau, in welchen sich Gottes geistliche Steine zum Bau erheben, zum Preis des HErrn.

|  O, wir elenden, hochmütigen, trägen Menschen und Christen! Was ist schöner als ein Priester und Opfer Gottes sein, wie JEsus, von der Welt sich scheiden, wie Paulus, und sich einfügen mit Gabe, Fleiß und Tugend in den Leib des HErrn, wie Petrus und alle Christen. Und wir wollen nicht. Apostel bitten und vermahnen dazu und wir wollen nicht. Gottes Wort treibt, Gottes Kräfte ziehen dazu, und wir wollen nicht. Wir wißen auch nichts Schöneres, Beßeres und Größeres, doch wollen wir nicht. Wenn wir einmal wollen und es versuchen und üben, so wird uns himmlisch wol, da sind wir selig in unsrer That, und es belohnt sich die Mühe mit Freuden, die Kräfte, das Leben der zukünftigen Welt regen sich in uns; dennoch sinken wir wieder hin in den gewohnten Jammer und wollen dann wieder nicht und schließen das Auge gegen das Morgenroth des ewigen Lebens müde und schläfrig zu. Ach wir elenden, trägen, unglückseligen Menschen, wenn Du uns nicht hilfst, Du Helfer aus aller Not, der Du alle Grabsteine unsres geistlichen Todes lüften und uns lebendig und kräftig machen kannst für Dein heiliges Reich! O nimm uns doch in Deine Hände und bilde uns nach Deinem Sinn, daß wir seien Priester und Opfer vor Dir, allem weltlichen Wesen gegenüber Feinde, und in Deiner heiligen Kirche Meister in Deinen guten Gaben, die mit bescheidener, aber unaufhaltsamer Kraft in der Erkenntnis ihres Maßes dem Berufe leben, den Du durch Deine Gabe geschenkt hast.
Amen.


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