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Leyer und Schwert (Max Ring)

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Textdaten
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Autor: Max Ring
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Titel: Leyer und Schwert
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 36–39, S. 509–512, 521–525, 537–541, 549–556
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[509]
Leyer und Schwert.
Historische Novelle von Max Ring.


I.

Noch nie war das Burgtheater in Wien so gedrängt voll gewesen, als bei der ersten Aufführung des neuen Trauerspiels „Zriny“ von Theodor Körner. Die Jugend des Dichters, die Wahl des Stoffes und die vortreffliche Besetzung hatten ein überaus zahlreiches Publicum herbeigelockt, das mit gespannter Erwartung dem Beginn der Vorstellung entgegensah. Das Parquet war zum großen Theil von den anwesenden Ungarn eingenommen, deren nationaler Held in dem Stücke gefeiert werden sollte. In den Logen saß die Elite der Wiener Gesellschaft, die hochgestellte Aristokratie und die reiche Finanzwelt. Neben der liebenswürdigen Frau von Pereira bemerkte man den preußischen Gesandten, Wilhelm von Humboldt, der, ein Freund von Körner’s Vater, ein ganz besonderes Interesse an dem Erfolge dieser ersten Aufführung nahm.

Der Dichter selbst befand sich hinter den Coulissen, wo er noch einige nöthige Anordnungen zu treffen hatte, obgleich schon mehrere kleine Stücke von ihm auf der Bühne mit großem Beifalle gegeben waren, so konnte er sich doch einer gewissen Aufregung nicht erwehren, die sich in seinen hastigen Bewegungen und in dem stärkeren Pochen seines Herzens bekundete. Es ist ein eigenthümliches Gefühl, das wohl jeden dramatischen Schriftsteller bei einer ersten Aufführung zu ergreifen pflegt. Die größte Aehnlichkeit hat diese Empfindung mit der des Spielers, welcher eine hohe Summe auf eine Karte setzt. Wer mit dem Theaterleben nur einigermaßen bekannt ist, der weiß nur zu gut, daß alle Berechnungen hier täuschen können, und der Zufall seine wunderlichen Launen hat. Die Stimmung des Publicums ist so veränderlich, wie das Glück; sie hängt von einem Ungefähr, von der Lust oder Unlust der Schauspieler, von einer mangelhaften Decoration, von der Ungeschicklichkeit eines Statisten ab. Dennoch liegt ein wunderbarer Zauber in dieser Ungewißheit des Erfolges, und wer einmal mit den Bretern, welche die Welt bedeuten, genauere Bekanntschaft gemacht hat, der läßt nicht bald davon, und wird selbst von einem Mißlingen nicht so leicht zurückgeschreckt.

Aehnliche Gedanken bewegten die Seele des jungen Dichters, der von Hoffnung und Zweifel bestürmt wurde. Das Bild der geliebten Eltern umschwebte ihn, und er gedachte wohl auch des Kummers, den ein nicht vorauszusehender Durchfall seines Trauerspiels diesen bereiten würde. Der treffliche Vater, hinlänglich bekannt als der Freund Schiller’s, hatte die früh sich äußernde dichterische Thätigkeit des jungen Theodor eher zurückgedrängt, als gefördert. Aus eigener Anschauung kannte er das eben nicht beneidendswerthe Loos eines deutschen Poeten. Er rieth um so mehr von einer solchen Laufbahn ab, da er als fein gebildeter Kenner und Kritiker die höchste Anforderung an jeden Dichter stellte, und über alle mittelmäßige Leistungen entschieden den Stab brach.

Der erfahrene, lebenskluge Mann hatte dem Sohne erst vor Kurzem in diesem Sinne geschrieben:

„Zu bedauern ist Jeder, der von der Gunst der Musen Unterhalt erwartet. Nähren soll den Mann sein Geschäft, und hierzu soll sich der Jüngling vorbereiten. Zu der Kunst treibt ihn die Liebe, und was sie ihm dagegen darbietet, hat er blos als Geschenk anzunehmen, aber nie als auf einen Sold darauf zu rechnen. – – Die Kunst sei die Würde Deines Lebens. Widme ihr Deine schönsten Stunden, aber nicht immer zur Production, sondern oft auch zum Studium.“

Theodor besaß trotz seiner Jugend hinlängllche Besonnenheit, um die Richtigkeit dieser väterlichen Worte einzusehen, aber auf der andern Seite trieb ihn sein Genius und der jugendliche Schöpferdrang zu immer neuen Versuchen. Das Glück war ihm dabei in auffallender Weise günstig gewesen; mehrere kleine Lustspiele hatten von Seiten des nachsichtigen Wiener Publicums eine überaus freundliche Aufnahme erfahren, selbst ein größeres Schauspiel „Toni“, nach einer Novelle von Heinrich Kleist gearbeitet, wurde mit enthusiastischem Beifall aufgenommen, und machte den Namen des Dichters schnell bekannt. Um so mehr fürchtete er einen Umschlag der öffentlichen Meinung, zumal er sich in seinem neuen Trauerspiele „Zriny“ auf ein ihm bis jetzt fremdes Gebiet der Geschichte gewagt hatte.

Er verschwieg auch den Schauspielern, welche in seiner Nähe standen, nicht seine Besorgnisse, während diese dem jungen Dichter Muth einzusprechen versuchten.

„Verlassen Sie sich auf mich,“ sagle der erste Liebhaber Korn, welcher die Rolle des „Juranitsch“ in dem Drama spielte. „Ihr Zriny wird nicht durchfallen, dafür haben Sie gesorgt. Der Stoff ist herrlich und die Begeisterung, die aus Ihren schönen Versen weht, muß zünden. Ich kenne meine Wiener. Geben Sie Acht, das Stück macht Furore und bringt Ihnen Geld und Ehre ein.“

„Das gebe Gott,“ seufzte der ängstliche Dichter. „Je länger ich mit dem Theater zu thun habe, desto unsicherer fühle ich mich.“

„Das geht uns Allen so,“ sagte der tüchtige Charakterdarsteller Ochsenheimer. „Ich bekomme jedes Mal wieder das Lampenfieber, wenn ich in einer neuen Rolle auftrete. Für den Ausgang kann Einem kein Mensch einstehen. Ich habe in meiner [510] Bühnenpraxis Geschichten erlebt, die sich gar nicht erzählen, geschweige gar erklären lassen. Das Publicum ist ein vielköpfiges Ungeheuer.“

„Und was haben nicht Dichter und Schauspieler von der Kabale und den verwünschten Recensenten auszuhalten!“ bemerkte der feurige Schauspieler Grüner. „Die Kerle sollte man eigentlich alle hängen lassen.“

„Bis jetzt habe ich mich über die Kritik nicht zu beklagen,“ entgegnete bescheiden der Dichter. „Sie hat meine geringen Versuche mit einer anerkennungswerthen Nachsicht aufgenommen.“

„Wird noch kommen,“ brummte der erfahrene Ochsenheimer. „Mit jedem Erfolge wächst auch die Zahl der Feinde, aber trösten Sie sich nur, lieber Herr Körner! Mein Wahlspruch ist: besser Neider als Mitleider.“

Das erste Zeichen, welches jetzt der Inspicient gab, unterbrach die Unterhaltung, und sämmtliche Künstler eilten auf ihren Posten. Körner selbst stellte sich in eine Coulisse, und sah dem Treiben der Maschinisten zu, die noch mit dem Aufstellen der Decorationen beschäftigt waren. Die Bühne bietet hinter dem Vorhange dem Beobachter ein ganz verschiedenes Bild von ihrer gewöhnlichen Erscheinung dar. Der Zauber verschwindet, die Illusionen werden zerstört; die goldenen Paläste und bezaubernden Gärten verwandeln sich in der Nähe in grobe Pinseleien und Kleckse; die gediegene Pracht erweist sich als betrüglicher Flitter. Alles ist nur auf Täuschung aus der Ferne berechnet. Man sieht die grobe Schminke, die lügenhafte Pracht, den falschen Putz, welche durch die künstllche Beleuchtung erst ihre volle Wirkung thun. Die ungeschickten Statisten mit ihren nichtssagenden Gesichtern drängen und stoßen sich, die Schauspieler, denen der Dichter sein theuerstes Gut anvertraut, scherzen und lachen, reden von den gleichgültigsten Dingen oder treiben ihre Possen. Selbst die wahren Künstler sind nur mit sich und dem Triumph beschäftigt, den sie durch ihre Rolle zu erlangen hoffen. Das Ganze kümmert sie weit weniger, als der eigene Erfolg. Verlassen steht der Dichter voll banger Erwartung, ohne daß auf ihn die nöthige Rücksicht genommen wird. Er bleibt allein mit seinem Zweifel, seinen Hoffnungen und Befürchtungen.

Ein ähnliches Gefühl beschlich auch Theodor, je näher der entscheidende Augenblick herannahete. Er hörte das Brausen des sich immer mehr anfüllenden Hauses, die Unruhe des Parquets, die Ungeduld des sich drängenden Parterres, welches wie das Meer hin und her wogte, und sein Opfer zu verlangen schien. Zwar besaß er hinlänglichen Muth, aber in solchem Momente wird auch der Muthige verzagt, und die lebhafte Phantasie des Dichters erging sich wider Willen in schreckenden Bildern. Alle Schwächen und Fehler seines Werkes, die er selber nicht verkannte, die Einwürfe seiner Freunde, denen er es vorgelesen, fielen ihm jetzt ein, und hätte es noch in seiner Macht gestanden, so wäre die Aufführung wenigstens am heutigen Tage unterblieben. Er hatte sein Trauerspiel erst vor einigen Wochen den geistreichen Freunden seines Vaters, Wilhelm von Humboldt und dem berühmten Aesthetiker Friedrich Schlegel vorgelegt, die Beide sich äußerst vortheilhaft darüber geäußert hatten; aber selbst die Billigung dieser ausgezeichneten Kunstkenner vermochte nicht, in diesem Momente seine aufsteigenden Besorgnisse zu beschwichtigen.

Weit besser gelang dies einem reizenden Mädchen, das jetzt für die Rolle der „Helene“ vollkommen angekleidet aus der Damengarderobe heraustrat, und den ängstlichen Dichter mit einem vertraulichen Kopfnicken begrüßte. Es war dies die junge und höchst talentvolle Schauspielerin Antonie Adamberger, seit kurzer Zeit der Liebling des Wiener Publicums. Die anmuthige Künstlerin besaß in ihren Zügen, wie in ihrem ganzen Wesen, den Zauber echter Weiblichkeit, dem kein Herz, und am wenigsten das eines Dichters zu widerstehen vermochte. Sie war eine jener seltenen Erscheinungen im Theaterleben, welche in dieser geschminkten Welt voll Täuschung und Lüge sich die ganze Wahrheit und Unschuld einer ursprünglichen Künstlernatur zu bewahren wissen. Nicht der leiseste Flecken lag auf ihrem Leben, und die Verleumdung verstummte in ihrer reinen Nähe. Voll Begeisterung für ihren Beruf, hatte sie sich der Bühne gewidmet, einzig und allein ihrer Kunst lebend. Ebenso durch körperliche Reize wie durch ihr Talent glänzend, fehlte es ihr nicht an Verehrern und Bewunderern, aber noch hatte kein Mann einen Eindruck auf ihr Herz gemacht, und alle Bewerbungen um ihre Liebe wurden bald mit feinem Spott, bald mit würdigem Ernst von ihr zurückgewiesen. Sie lebte zurückgezogen unter der Obhut ihrer trefflichen Eltern und der alten Großmutter, welche von ihr mit rührender Zärtlichkeit gepflegt und verehrt wurde.

Was bis jetzt keinem Manne gestattet war, hatte sie Theodor erlaubt, sie in ihrem Hause zu besuchen. Sie war in einigen seiner Stücke mit dem größten Beifalle aufgetreten, und so mit ihm bekannt geworden. Natürlich fehlte es zwischen dem jungen Dichter und der reizenden Künstlerin nicht an vielfachen Berührungspunkten, aus denen nach und nach ein der Liebe verwandtes Gefühl erwuchs. Theodor achtete indeß Antonien zu hoch, um eines jener gewöhnlichen Verhältnisse anzuknüpfen, die in der Bühnenwelt oft eben so leicht geschlossen, wie gelöst werden.

Es war ihm heiliger Ernst mit seiner Neigung, und als er das Geständniß seiner zärtlichen Leidenschaft nicht länger zurückzuhalten vermochte, so bot er mit Bewilligung seiner vorurtheilslosen Eltern der überraschten Künstlerin mit seinem Herzen auch seine Hand, ohne sich um das Vorurtheil der Menge und um das Geschwätz gewisser Kreise zu kümmern, welche über die Verbindung mit einer Schauspielerin vornehm die Nase rümpften. Nur eine Bedingung hatte der Vater des Dichters dem Sohne auferlegt, nämlich mit seiner Verheirathung noch einige Jahre oder doch wenigstens so lange zu warten, bis er eine angemessene Anstellung gefunden haben würde, um sich und seine Braut hinlänglich zu ernähren. Die Liebenden fügten sich dem väterlichen Ausspruche, indem sie den weisen Grund vollkommen einsahen auf ihr gutes Glück bauten. Einige hochgestellte und einflußreiche Gönner des jungen Paares, welche mit seinen näheren Verhältnissen bekannt, bemühten sich im Stillen, ihm die vorläufig seinen Wünschen und seinem Talente ganz entsprechende Stelle eines kaiserlichen Hof-Theaterdichters mit einem nicht unansehnlichen Gehalte zu verschaffen. Zum Theil von der Aufnahme der heutigen Vorstellung hing das von ihm ersehnte Ziel und der Erfolg jener Bemühungen bei dem damaligen Intendanten, dem Fürsten Lobkowitz, ab.

Dieser Umstand und besonders der Stolz, seinen Eltern nicht länger zur Last fallen zu wollen, war ein zweites und bedeutendes Gewicht in der Wagschale der gegenwärtigen Aufregung. Zu dem Ehrgeiz des Dichters gesellte sich die Sehnsucht des Bräutigams, der sobald als möglich die Erwählte seines Herzens heimführen wollte.

In derartige Gedanken versunken, bemerkte er daher nicht eher die holde Künstlerin, bis ihn der Saum ihres Gewandes leise streifte und ihre Hand leise berührte. Er blickte auf, und ein unwillkürlicher Ausruf der Bewunderung entschlüpfte seinen Lippen. So schön war ihm seine „Toni“ noch nie erschienen. Sie war bereits für ihre Rolle vollkommen angekleidet; eine Tunika von weißer Seide umspannte ihre schlanke Gestalt, während der ungarische Kalpak mit wehenden Reiherfedern sich keck auf ihrem Lockenhaupte wiegte. Ein idealer Hauch umschwebte das anmuthige Mädchen, welches mit schwärmerischen, seelenvollen Blicken an den Zügen des Dichters hing. Sie schien in seinem Innern zu lesen und zu wissen, was in seiner Brust vorging.

„Muth, mein theurer Freund!“ flüsterte sie leise, ihm die Hand drückend. „Eine innere Stimme sagt es mir, daß der Abend für uns Beide ein schöner werden wird. Dein Trauerspiel muß dem Publicum gefallen.“

„Du bist eine bestochene Richterin,“ lächelte er ihr zu, „und überträgst die Liebe zu Deinem Dichter auch auf seine Werke.“

„Du irrst, mein geliebter Theodor! Wie oft hab’ ich nicht schon Deine Arbeiten einer strengen Kritik unterworfen und Dich getadelt. Die echte Liebe ist nicht blind, sie sieht die Schwächen und Fehler an dem geliebten Gegenstande; denn wenn sie nichts zu entschuldigen und zu vergeben hätte, so wäre ihr ja das schönste Vorrecht geraubt.“

„Und Du vergibst und entschuldigst so gern und viel. Toni! Du bist mein guter Engel.“

„Wenn ich der wäre, so würde ich heute bei dem lieben Gott ganz besonders für Dich bitten, daß er Dir einen glänzenden Erfolg schenkt.“

„Du wirst mehr thun. Du wirst auf den Schwingen Deiner Kunst mein Werk zum Himmel tragen und in Deinen Rollen das Publicum bezaubern, wie Du mich bezaubert hast.“

„Das will ich thun, so weit ich es vermag. Du sollst einmal sehen und selber urtheilen, wie ich die Helene spielen werde. [511] Die Rolle hast Du mir aus der Seele geschrieben. Es ist mir, so oft ich sie ansehe, gerade so zu Muthe, als wären es meine eigenen Gedanken und Gefühle, die Du mir abgelauscht, als wäre ihr Geschick das meinige, als müßte ich einst, wie sie, mit Dir für das Vaterland sterben und als ein heiliges Opfer der guten Sache fallen.“

Während die Schauspielerin so sprach, leuchteten ihre Augen von einem überirdischen Glanze und sie schien dem Dichter selbst wie die Verkörperung jener idealen Heldenjungfrau in seinem Trauerspiele, die, ihres Vaters würdig, den Tod der Schande vorzieht und durch die Hand ihres geliebten Juranitsch wie eine edle Römerin zu sterben weiß.

Eben wollte Theodor ihr mit gleichem Enthusiasmus antworten, als die Glocke des Souffleurs den Beginn der Vorstellung verkündigte. Er hatte nur noch so viel Zeit, um einen innigen Kuß auf die Hand der Geliebten zu drücken, welche auf die andere Seite eilte, wo sie ihr Stichwort zu erwarten hatte. Das kurze Gespräch mit Toni hatte ihn wunderbar gekräftigt und alle seine Befürchtungen verscheucht. Das alte Vertrauen war zurückgekehrt, die Spannung verschwunden, und als der Vorhang langsam in die Höhe rauschte, vermochte er der Aufführung mit einer Ruhe zu folgen, als handelte es sich um das Werk eines andern und ihm völlig fremden Dichters.

Eine athemlose Stille herrschte in dem vollen Hause bei den ersten Scenen, allmähllch wurde das Publicum wärmer und folgte dem Verlaufe der Handlung mit wohlverdienter Theilnahme, die sich bereits im zweiten Aufzuge zu mehrfachen Ausbrüchen des lauten Enthusiasmus steigerte. Besonders sprach die Scene zwischen den Liebenden an, welche meisterhaft gespielt wurde. Juranitsch stürzte fort zum neuen Kampfe und ließ die geliebte Braut zurück. Toni sprach als „Helene“ den schönen Monolog mit einer Innigkeit und Zartheit, welche das Publicum zur Bewunderung hinriß; sie hauchte in wunderbar rührenden Tönen ihre Klagen aus:

Leb’ wohl, leb’ wohl! – Müßt’ er mich jetzt verlassen?
Mir wird das Herz so voll, wenn ich ihn sehe,
Die Luft ist mir so süß in seiner Nähe –
Die Glückliche, sie darf ihn stets umfassen.
Daß all’ die schönen Farben so verblassen!
Daß ich den einen Strahl nie wiedersehe!
Ach Gott! – mir war so wohl in seiner Nähe,
Und jetzt bin ich so einsam und verlassen! –
Wo ist er hin? – wo ist mein Stern geblieben? –
Von kühnem Geist nach stolzer Bahn getrieben,
Nein, wie sein Herz, unendlich, wie mein Lieben! –
Ich träume schwer; die Burgen seh’ ich rauchen!
Könnt’ ich mein Herz in seine Seele tauchen,
Der Ahnung Qual in Thränen auszuhauchen!

Als sie geendet hatte, ging anfänglich nur ein leises Gemurmel des Beifalls durch die Räume des Theaters. Die Zuschauer waren noch zu ergriffen, um sogleich durch ein rohes Händeklatschen den mächtigen Eindruck zu stören. Erst wie sie langsam die Bühne verließ, folgte ihr der laute Sturm der Bewunderung nach. – Theodor selbst war auf das Tiefste erschüttert, seine eigenen Verse erhielten in dem Munde der Künstlerin eine fast prophetische Bedeutung. Ein Schauer erfaßte ihn und seine Augen wurden naß. Als sie an ihm vorüberging, vermochte er kaum, ihr zu danken. Sie schien ihn zu verstehen und lächelte ihn freundlich an.

Der fernere Verlauf der Darstellung entsprach vollkommen der erregten Erwartung, von Scene zu Scene wuchs der Beifall des Publicums und als am Schlusse die Gattin Zriny’s mit der Fackel auf dem Pulverthurme stand, die Heldenschaar zum Tode gerüstet sich auf die Feinde stürzte, da fiel der Vorhang unter dem tobenden Jubel der begeisterten Zuschauer, welche wiederholt den Namen des gefeierten Verfassers riefen. Besonders waren die anwesenden Ungarn entzückt von der Verherrlichung ihres vaterländischen Leonidas, aber auch die guten Wiener wurden von dem Heldentode Zriny’s mächtig ergriffen und fühlten die nahe liegende Bedeutung des zeitgemäßen Stoffes, welcher auf die immer mehr hervortretenden Sympathien für die Befreiung Deutschlands von dem Joche des fremden Unterdrückers anzuspielen schien.

Alle diese Umstände vereinigten sich, dem Verfasser eine bisher in den Räumen des Burgtheatsrs noch nie erhörte Auszeichnung zu verschaffen. Es war fast das erste Beispiel, daß ein Dichter, der nicht zugleich Schauspieler gewesen wäre, von dem Publicum in dieser Weise geehrt wurde. Körner nahm auch deshalb Anstand, dem immer stürmischer werdenden Rufe sogleich Folge zu leisten, aber das aufgeregte Haus gab nicht eher nach, bis er, von dem Schauspieler Grüner fast mit Gewalt fortgezogen, auf der Bühne erschien.

Es war ein in seinem Leben unvergeßlicher Augenblick.

Die Herren begrüßten ihn mit wiederholtem Zuruf, die Frauen, und darunter die schönsten und vornehmsten Damen der Wiener Aristokratie, lehnten sich weit vor über die Brüstung ihrer Logen, um den Gefeierten zu sehen.

Theodor bedurfte einiger Augenblicke, um sich zu sammeln und seinen Dank in schmuckloser Rede auszudrücken.

„Ich fühle es deutlich in mir,“ sagte er mit bebender Stimme, „daß ich diesen schönen Zuruf nicht meiner schülerhaften Muse, nein! nur dem schönen Eifer des edlen Künstlervereins und dem begeisternden Andenken an die große That einer großen Nation zu danken habe.“

Als der Vorhang zum letzten Mal am heutigen Abend gefallen, der Jubel verbraust und die Glückwünsche der ihn umringenden Schauspieler verstummt waren, suchten seine Blicke die holde Braut, welche mit vor Seligkeit strahlenden Augen ihm die Hand reichte.

„O!“ flüsterte sie, sich innig anschmiegend, „ich bin so glücklich mit Dir, daß ich mich fast vor unserem Glücke fürchte.“

„Wie kommst Du zu solchen Gedanken?“

„Mir ist es immer, als drohte unserer Liebe ein schweres Mißgeschick.“

„Was auch kommen mag, unsere Liebe wird jede Prüfung bestehen. Ich bin Dein auf ewig.“

„Ewig!“ wiederholte Toni mit nachdrucksvoller Bedeutung.




II.

Einige Tage war von nichts Anderem in Wien die Rede, als von dem Erfolge des jungen Dichters und von seinem Trauerspiele. Alle Welt wollte das Stück sehen und den Verfasser kennen lernen. Sämmtliche Plätze für die nächsten Vorstellungen waren schon im Voraus vergeben, die Billete wurden weit über den gewöhnlichen Preis bezahlt. Theoder fehlte es nicht an Einladungen und Beweisen der ehrenvollsten Theilnahme von Seiten der ersten Wiener Häuser. Selbst die Salons der Aristokratie standen ihm offen und mancher schöne und sonst so stolze Mund hatte für ihn ein freundliches Lächeln und ein aufmunterndes, selbst zuvorkommendes Wort.

Es gehörte schon ein hoher Grad von Charakterfestigkeit dazu, um nicht der gewöhnlichen Eitelkeit zu verfallen und sich von dem allgemein gestreuten Weihrauch nicht betäuben zu lassen. Zum Glück besaß Körner nicht jene Selbstüberschätzung, woran so manches schöne Talent schon zu Grunde gegangen ist. Außerdem hatte er an dem trefflichen Vater und an den Freunden desselben, besonders an Humboldt, die besten und zugleich schärfsten Beurtheiler seiner Leistungen, die ihn weder durch Schmeicheleien einwiegten, noch durch übermäßige Strenge entmuthigten.

Das Glück war ihm in dieser wie in jeder anderen Beziehung auffallend günstig. Mit zweiundzwanzig Jahren hatte er bereits einen hervorragenden Namen in der deutschen Literatur und noch dazu auf dem überaus schwankenden Boden des Drama’s eine fast gesicherte Stellung sich errungen. Seine Eltern legten ihm ferner keine Hindernisse in den Weg bei der Wahl seines Berufes und ihre Wohlhabenheit und Freigebigkeit schützten ihn vor der gemeinen Sorge des Lebens. Der bekannte und hochgeachtete Name seines Vaters erleichterte ihm den Eintritt in die Gesellschaft, öffnete ihm die besten Kreise, welche sonst selbst dem Verdienste schwer zugänglich sind, verschaffte ihm Freunde, die ihn nach allen Seiten förderten, und ebnete alle seine Pfade. Zu dem Allen kam noch die Liebe einer schönen, geistreichen und tugendhaften Künstlerin, die er in kurzer Zeit als sein holdes Weib heimzuführen gedachte. Und als wollte das Geschick nicht müde werden, seinen Liebling mit reichen Gaben zu überschütten, so fügte es zu dem Uebrigen noch neue und gewichtige Gunstbezeigungen hinzu.

Kaum waren einige Tage nach der ersten Aufführung des Zriny verstrichen, so beeilte sich der kaiserliche Theaterintendant, Fürst Lobkowitz, den Dichter für immer in Wien zu fesseln, indem er ihm jetzt von freien Stücken die Stelle eines Hof-Theaterdichters mit einem für die damaligen Verhältnisse ganz ansehnlichen Gehalte antrug. Körner nahm dies Anerbieten an, um so bald als [512] möglich selbstständig zu werden und die Unterstützung seiner Eltern, von der er noch zum Theil lebte, entbehren zu können. Wurden auf diese Weise seine materiellen Ansprüche und Wünsche erfüllt, seine Zukuft gesichert, so versetzte ihn ein Brief von Goethe, den er in jener Zeit erhielt, in wahrhaftes Entzücken. Der deutsche Dichterfürst, ebenfalls ein Freund von Körner’s Vater, bekundete in seinem Schreiben die größte Anerkennung für das Talent des strebsamen Jünglings, dessen kleinere Lustspiele er mit Beifall auf der Weimarschen Bühne, die unter seiner Leitung stand, zur Aufführung gebracht hatte. Der Meister ließ es dabei nicht an trefflichen Rathschlägen für den hoffnungsvollen Schüler fehlen, den er zu sich einlud, um unter seinen Augen das Bildungswerk zu vollenden.

Mit dem Decrete seiner Anstellung als Hof-Theaterdichter und den ehrenvollen Zeilen Goethe’s eilte Theodor zu der Geliebten, um sie an seiner Freude Theil nehmen zu lassen. In Toni’s Nähe verschwanden ihm die Stunden wie Augenblicke, indem sich Beide mit jugendlicher Schwärmerei den lachenden Bildern der Zukunft überließen.

„In wenigen Monaten,“ sagte er, sie sanft umschlingend, „wirst Du mein geliebtes Weib. Dann bauen wir uns in dem freundlichen Döblingen ein trautes Nest, umgeben von duftenden Blumen und rankendem Weinlaub. Da will ich für Dich dichten und die schönsten Rollen schreiben. Du wirst meine Muse, meine Göttin sein.“

„Und ich werde für meinen Dichter sorgen und ihm das Leben so behaglich und angenehm machen, wie ich nur kann. Es soll Dir an nichts fehlen und selbst die „gebackenen Händel“, die Du so gern ißt, bereitet Dir Deine Muse, welche über die Kunst nicht das Kochen verlernt hat, mit eigener Hand.“

So scherzte das anmuthige Mädchen und machte den glücklichen Dichter noch glücklicher durch ihre sonnig helle Heiterkeit und kindliche Naivetät.

Als Körner nach längerem Verweilen in seine Wohnung zurückkehrte, fand er daselbst einen Adjutanten des Erzherzogs Karl von Oesterreich, des berühmtesten deutschen Feldherrn, der in seinen Kämpfen gegen Napoleon sich ewigen Ruhm erworben hatte. Der überraschte Dichter fragte den Officier nach der Ursache seines Besuches.

„Ich komme,“ sagte dieser, „im Auftrage des Erzherzogs, der Sie persönlich kennen zu lernen wünscht, nachdem er Ihr herrliches Gedicht auf die Schlacht von Aspern gelesen und Ihren Zriny gesehen. Seine kaiserliche Hoheit erwartet morgen um die zehnte Stunde Ihren Besuch, um Ihnen mündlich seine höchste Anerkennung auszusprechen.“

Mit einem achtungsvollen Gruße verabschiedete sich der Adjutant und ließ Theodor in seliger Verwirrung zurück. Der Held, den er am meisten verehrte, in dem er das Ideal eines deutschen Mannes erblickte, hatte an ihn gedacht und sich mit den Leistungen seiner Poesie beschäftigt. Jetzt sollte er den hohen Herrn auf dessen ausdrücklichen Wunsch von Angesicht zu Angesicht sehen, ihn kennen lernen und ihm gegenüber seine Bewunderung aussprechen dürfen. – Wie schlug sein Herz, von gewaltigen Empfindungen bewegt, als er die Treppen des erzherzoglichen Palastes emporstieg. Derselbe Adjutant, der ihn vorher aufgesucht, empfing ihn und führte ihn in das Audienzzimmer, wo er ihn bat, einige Augenblicke zu verweilen. Die ganze Umgebung zeichnete sich durch würdevolle Einfachheit aus, fern von jedem Luxus und dem gewöhnlichen Prunk der Großen. An den Wänden hingen einige Portraits von berühmten Feldherrn aus früherer Zeit, wie Prinz Eugen und Laudon. Auf dem Schreibtische lagen mehrere Bücher und Landkarten, in denen der Besitzer so eben studirt zu haben schien. Dies Alles deutete auf einen Fürsten hin, der die Vorzüge seiner hohen Geburt durch eigene Tugenden zu überstrahlen und nicht durch äußeren Glanz, sondern durch inneren Werth zu imponiren liebte. Während Theodor sich ähnlichen Betrachtungen mit jenem ehrfurchtsvollen Schauer überließ, den uns die Nähe jeder wahrhaft großen Natur einzuflößen pflegt, öffneten sich die hohen Flügelthüren. Durch das Geräusch aufmerksam gemacht, wandte er sich um. Vor ihm stand ein Mann im kräftigsten Lebensalter von mehr untersetzter als hoher Gestalt, die jedoch durch eine gewisse würdevolle und feste Haltung gehoben wurde. Sein längliches Gesicht trug die bekannten Züge des österreichischen Kaiserhauses, umflossen von einer unbewußten Majestät und geadelt durch den Ausdruck einer geistigen Ueberlegenheit, welche sich, mit angeborener Bescheidenheit gepaart, hinter die einfachsten Formen seines Benehmens und wohlthuenden Herzlichkeit verbarg.

Er war das Bild eines echten Deutschen, bei dem eine fast unscheinbare Schale den trefflichen Kern umgab. Er wollle mehr sein als scheinen.

Nur in seinen Blicken, die bis in die Tiefe der Seele drangen, verrieth sich das Genie. Seine Augen leuchteten bald im milden Glanze, bald in flammender Gluth. Das Wetterleuchten der Schlachten zuckte dann und wann in diesen blauen Sternen.

Der Erzherzog warf einen prüfenden Blick auf die jugendliche, anmuthige Gestalt des Dichters, der sich tief verneigte. Mit wohlwollendem Lächeln trat er auf ihn zu, seinen ehrfurchtsvollen Gruß erwidernd.

„Ich habe Sie rufen lassen,“ sagte er freundlich, „um Ihnen meinen Dank zu bekunden. Nicht dem Dichter allein, sondern vor Allem bin ich dem deutschen Manne diese Anerkennung für die Gesinnung schuldig, welche Sie in Ihrem herrlichen Liede „Auf dem Schlachtfelde von Aspern“ ausgesprochen haben.“

„Ihre kaiserliche Hoheit beschämen mich durch Ihre Güte. Ich fühle nun in diesem Augenblicke, daß mein Talent an der Größe meiner Aufgabe scheitern mußte. Das Wort des Sängers schwindet vor der That des Helden.“

„Sagen Sie lieber, vor den Thaten eines Volkes, das zu jedem Opfer stets sich bereitwillig gezeigt, wenn auch leider die von uns gestreute blutige Saat nicht immer die gewünschte Frucht getragen hat. Doch wir haben unsere Pflicht gethan, unsere Ehre gewahrt; das Uebrige liegt in Gottes Hand.“

Plötzlich brach der Erzherzog diese schmerzlichen Ergießungen ab, indem er sich bemühete, dem Gespräche eine andere Wendung zu geben. Er lenkte die Unterhaltung auf das Gebiet der Literatur, deren neueste Erscheinungen und Fortschritte er mit überraschender Aufmerksamkeit verfolgt zu haben schien. Er sprach mit hoher Anerkennung von Goethe, mit Begeisterung von den Dramen Schiller’s, wobei er längere Zeit verweilte. Dann erging er sich mehr in allgemeinen Betrachtungen über den Beruf des wahren Dichters, indem er vor allen Dingen den nationalen Standpunkt hervorhob.

„Sie haben,“ bemerkte er, „mit Ihrem „Zriny“ einen höchst glücklichen Wurf gethan, weil die Wahl des Stoffes Ihnen die reichsten Anknüpfungspunkte an die Gegenwart bot, und die in Aller Herzen lebenden Sympathien dafür erweckte. Ich bin nicht der jetzt allgemein verbeiteten und selbst von den geistreichsten Männern vertheidigten Ansicht, daß die Kunst nur um ihrer selbst willen da sei. Sie darf sich nicht selbstgefällig isoliren, und über die schöne Form den Inhalt und ihre Beziehungen zu dem Leben und seinen Ansprüchen aufgeben. Wenn sie wirken und Segen bringen soll, so muß sie im Vaterlande und im Volke Wurzeln haben. Sonst bekommen wir eine Kunst- oder Stubenpoesie, die, auf die sogenannten Gebildeten berechnet, dem eigentlichen Volke ewig fremd und ungenießbar bleibt. Gerade in einer Zeit, wie die gegenwärtige, darf sich der Dichter nicht abschließen, er hat die schöne Aufgabe, die Liebe zum Vaterlande zu erwecken, den gesunkenen Muth zu erheben –“

„Und wenn der Augenbllck kommt,“ fiel Körner mit jugendlicher Schwärmerei ein, „die Leyer mit dem Schwerte zu vertauschen und mit seinem Tode die Wahrheit seiner Lieder zu besiegeln.“

„Von Ihnen glaube ich,“ entgegnete der Erzherzog, „daß Sie nicht bloße Phrasen bringen. Ich traue Ihnen zu, daß Sie eben so rasch zu dem Schwerte greifen werden, wie zu der sanften Cither, wenn das Vaterland Sie ruft.“

„O, daß die Zeit schon da wäre!“

„Die Zeichen deuten auf große Ereignisse; in Spanien hat sich das Volk erhoben und kämpft mit wahrem Löwenmuthe; der Brand von Moskau wirft seinen ersten Flammenschein furchtbar und erhaben in die Welt, wie das „Mene-Tekel“, von der Hand des Ewigen geschrieben. Die deutschen Herzen schlagen lauter, und wenn mich nicht Alles täuscht, so gehen wir einer gewaltigen Katastrophe, einem wahrhaften Befreiungskampfe entgegen.“

[521] Der Erzherzog, bisher so zurückhaltend und vorsichtig, ließ die beobachteten Schranken immer mehr fallen und seine echt deutsche Gesinnung brach jetzt ungehindert hervor. An der Begeisterung des patriotischen Dichters entzündete sich der eben so patriotische Eifer des im Kampfe bereits bewährten Helden. Alte Erinnerungen lebten in seiner hohen Seele auf, neue Hoffnungen erschlossen ihre Blüthen. Nicht zwei fremde, durch Geburt und Lebensstellung so weit von einander verschiedene Personen standen einander hier gegenüber, sondern zwei für das gemeinsame Vaterland gleich laut und kräftig schlagende Herzen voll der edelsten Gesinnung.

Eine Stunde war fast unbemerkt verstrichen, als der Erzherzog den Dichter verabschieden mußte.

„Es ist mir lieb,“ sagte er, Körner seine Hand reichend, „einen solch’ wackern jungen Deutschen kennen gelernt zu haben.“

Mit diesen schlichten Worten entließ er den Dichter, der seine tiefe Bewegung kaum zu bewältigen vermochte. Eine mächtige Umwandlung war die Folge dieser Unterredung, welche alle seine schlummernden oder mit Gewalt zurückgedrängten Empfindungen von Neuem aufwühlte. Dahin schwanden die reizenden Bilder einer geträumten Häuslichkeit, die lachenden Aussichten einer heiteren Zukunft. Ernste und dunkle Scenen des nahe bevorstehenden Kampfes für das Vaterland nahmen ihre Stelle ein, blutige Visionen, wilde, kühne Erscheinungen des Schlachtentodes und der mörderischen Vernichtung. Statt der friedlichen Bühne breiteten sich die schrecklichen Leichenfelder vor der Phantasie des Dichters aus, schmetternder Hörnerklang und das dumpfe Rasseln der kriegerischen Trommel verdrängten den sanften Klang der Lyra und der sie begleitenden Flöten. Statt von friedlichem Lorbeer, träumte der Dichter von blutgetränkten Eichenkränzen um das Haupt der Erschlagenen. Selbst das Bild der Geliebten erblaßte wie in dämmernder Ferne vor der Gestalt des Vaterlandes, das aus der bisherigen Erniedrigung mit Hülfe seiner Söhne sich zu erheben bereit schien.

Wie klein und unbedeutend kam Theodor jetzt Alles vor, was er bisher geleistet und erlebt hatte, neben der hohen Aufgabe, die seiner noch harrte! Was er bis jetzt gegeben, waren nur Worte und Redensarten, zum Theil von Anderen geborgt und von der Oberfläche geschöpft.

Er fühlte, daß damit noch nichts gethan, die Schuld des Daseins nicht abgetragen sei. Für seine Ueberzeugung wollte er sein Herzblut, für eine einzige große That seinen leicht erworbenen Ruhm, sein Leben selber hingeben.

Von solchen Gedanken erfüllt, bedurfte es nur des leisesten Anstoßes, um den Wunsch, die schwankende Sehnsucht zum festen Entschlusse zu gestalten und eine neue gewaltige Wendung seines Schicksales herbeizuführen.

Der Weg führte ihn an dem Hause vorüber, welches von Wilhelm von Humboldt, dem preußischen Gesandten, bewohnt wurde. Es drängte ihn, das volle Herz vor dem väterlichen Freunde auszuschütten, bei dem er sicher war, Rath und Hülfe in allen Bedrängnissen zu finden. Der geniale Staatsmann empfing den jungen Dichter mit der ihm eigenen Liebenswürdigkeit in seinem Arbeitscabinete, trotzdem er gerade in diesem Augenblicke mit den wichtigsten Angelegenheiten beschäftigt war.

„Sie kommen gewiß,“ sagte er mit freundlichem Lächeln, „um mein Urtheil über Ihr neuestes Trauerspiel, über Ihre „Rosamunde“ zu hören. Verzeihen Sie nur, daß ich im Drange meiner Geschäfte noch nicht dazu gekommen bin, es vorzunehmen. Am besten wird es sein, wenn Sie es an einem Abende in meiner Familie vorlesen. Sie werden uns Allen einen großen Genuß dadurch bereiten.“

„Nicht deswegen bin ich hier,“ entgegnete Theodor, „eine wichtigere Angelegenheit führt mich zu Ihnen, Excellenz!“

„Lassen Sie hören, womit ich Ihnen dienen kann.“

„Ich komme so eben vom Erzherzog Karl, der mich rufen ließ. Die Worte und der Anblick des edlen, deutschen Helden reiften in meiner Seele einen Entschluß, den ich schon lange Zeit mit mir herumgetragen. Ich will Wien verlassen, um meinen Arm der Befreiung des Vaterlandes zu weihen, die, wie ich weiß, in naher Aussicht steht.“

„Wie?“ fragte Humboldt überrascht, „Sie wollten Ihre eben erst errungene, glänzende Stellung aufgeben, einer Laufbahn entsagen, die Sie mit so seltenem Glücke betreten haben? Was werden Ihre Eltern, was Ihre Braut dazu sagen?“

„Ich fühle lebhaft all’ die Unruhe und Besorgniß meiner guten Mutter, ich kenne die Bedenken meines Vaters, der als sächsischer Unterthan sich gezwungen sehen dürfte, meinen Schritt zu mißbilligen, aber im Grunde seines Herzens wird er mein Vorhaben segnen, denn er selbst hat diese Liebe zu unserem deutschen Vaterlande mir in’s Herz gesenkt, sie gehegt und gepflegt. Meine Braut wird mich verstehen; ihr Herz schlägt für die gute Sache, der sie ihre Liebe zu opfern bereit sein wird.“

„Aber Sie können dieser auf andere Weise besser nützen. Der Geist ist ebenfalls und eine edlere Waffe, als die rohe Kraft im [522] Dienste des Vaterlandes. Sie können auf einem anderen Felde Wichtigeres und Bedeutenderes leisten. Ein großes Pfund ist Ihnen anvertraut, das Sie der Menschheit schulden. Nicht umsonst ward Ihnen das schöne Talent verliehen, daß Sie besitzen.“

„Ich war auf Ihren Einwurf gefaßt; aber meine Meinung ist die: Zum Opfertode für die Freiheit und für die Ehre seiner Nation ist Keiner zu gut, wohl aber sind Viele zu schlecht dazu! – Hat mir Gott wirklich etwas mehr als gewöhnlichen Geist eingehaucht, der unter den günstigsten Verhältnissen sich entwickeln durfte, wo ist eine Gelegenheit, wo ich ihn mehr geltend machen kann? – Eine große Zeit, der wir entgegengehen, will große Herzen und fühl’ ich die Kraft in mir, eine Klippe sein zu können in dieser Völkerbrandung, ich muß hinaus und dem Wogenbrande die muthige Brust entgegendrücken. Soll ich in feiger Begeisterung meinen siegenden Brüdern meinen Jubel nachleyern? – Soll ich Komödien schreiben auf dem Spotttheater, wenn ich den Muth und die Kraft mir zutraue, auf dem Theater des Ernstes mitzusprechen? – Daß ich vielleicht mein Leben wage, das gilt nicht viel; daß aber dies Leben mit allen Blüthenkränzen der Liebe, der Freundschaft, der Freude geschmückt ist, und daß ich es doch wage, daß ich die süße Empfindung hinwerfe, die mich beseligt, das ist eben das Opfer, würdig einer solchen Sache. Wer wollte noch feilschen und rechnen, wo es das Höchste gilt? Je mehr Einer hat, desto mehr ist er zum Geben verpflichtet. Nicht mit der halben, mit der ganzen Kraft, mit Geist und Leib, mit Blut und Leben muß jeder Deutsche eintreten, wenn die große Stunde der Befreiung schlägt.“

„Und sie wird schlagen,“ entgegnete Humboldt, indem er über den Patrioten den Diplomaten vergaß. „Sie ist näher, als wir Alle geglaubt haben. Diese Depeschen, die ich so eben aus Berlin erhalten und Ihnen mittheilen will, da Sie mein volles Vertrauen verdienen, legen ein Zeugniß ab für den Geist, der in dem preußischen Volke lebt. York’s kühne That, die Bemühungen des über das ganze Land verbreiteten Tugendbundes und vor Allem der Uebermuth der Unterdrücker haben den glimmenden Funken zur hellen Flamme entfacht. Länger läßt sich der kriegerische Muth der Nation nicht zurückhalten; der König sieht sich, trotz seiner Friedensliebe und Unentschlossenheit, gezwungen, dem allgemeinen Drängen nachzugeben. Es handelt sich nur noch darum, seine Person vor dem Feinde in Sicherheit zu bringen und den Verdacht der Franzosen einzuschläfern. Während der feine Hardenberg mit seinen diplomatischen Künsten Napoleon zu umstricken sucht, ruft der feurige Stein im Gefolge des russischen Kaisers alle deutschen Sympathien wach und schürt die heilige Gluth der Begeisterung. Schon werden im Stillen alle Vorbereitungen für den nahen Kampf getroffen, schon sammeln sich die einzelnen Truppentheile, schon waffnet sich die Jugend und das Volk zeigt eine nie geahnte Opferfreudigkeit.“

„Und Sie wollen mich zurückhalten?“ fragte Theodor vorwurfsvoll.

„Nein, bei Gott, das will ich nicht! Wäre ich jünger und kräftiger, ich würde gewiß mich selber anschließen und der heiligen Sache mit meinem Arme dienen. Ich müßte nicht der Freund und Bewunderer des hellenischen Alterthums sein, wenn ich Ihren Eifer tadeln sollte. An den freien Griechen scheiterte der asiatische Despotismus eines Xerxes, an dem deutschen Volke wird der neue Weltdespot zu Grunde gehen, wenn mich meine Ahnungen nicht trügen. Aber wir müssen mit Vorsicht auftreten und nicht durch Uebereilung das große Werk in Gefahr bringen. Selbst hier in Wien sind wir vor französischen Spionen nicht sicher und deshalb hielt ich es für meine Pflicht, Ihnen jeden vorschnellen Schritt zu widerrathen. In einigen Wochen wird die Entscheidung nicht ausbleiben und dann werde ich Ihnen selbst die Hand zu Ihrem Vorhaben bieten, ihren Vater bestimmen, daß er seine Einwilligung Ihnen nicht versagt, und Ihr ungehindertes Fortkommen nach Preußen vermitteln. Bis dahin müssen Sie mir Ihr Versprechen geben, nichts zu unternehmen. Vor allen Dingen aber verlange ich das tiefste Stillschweigen und die Bewahrung unseres Geheimnisses.“

„Ihre Excellenz können sich auf mein Wort verlassen. Ich verlange nur, daß ich sogleich von Ihnen in Kenntniß gesetzt werde, wenn der Krieg von Seite Preußens an Napoleon erklärt wird, damit ich keinen Augenblick verliere, um in die Reihen seines Heeres zu treten.“

„Dafür will ich Sorge tragen und es soll Ihnen nicht an den nöthigen Empfehlungen fehlen, die Ihnen eine freundliche Aufnahme sichern werden.“

In freudig bewegter Stimmung verließ Theodor den Gesandten, der ihm mit freundlichen Blicken nachschaute.

„Wo ein solcher Geist,“ sagte dieser ergriffen, in der Jugend lebt, da ist das Vaterland noch nicht verloren.“




III.

Seit jenem Tage stand Theodor’s Entschluß fest, seine bisherigen Verhältnisse aufzugeben und an dem großen sich vorbereitenden Kampfe Theil zu nehmen. Mit jugendlicher Ungeduld erwartete er den Augenblick, auf den all’ sein Sinnen und Trachten gerichtet war. Seine Unruhe war der Geliebten nicht entgangen, und umsonst bemühte er sich, die Ursache dieser Umwandlung vor ihr zu verbergen. Ein liebendes Frauenherz sieht mit scharfen Augen und prophetischen Blicken. Toni ahnte die nahe bevorstehende Trennung, aber sie vermied es, darüber mit ihm zu reden. Es drückte ihn, vor ihr ein Geheimniß zu haben, er war jedoch durch sein an Humboldt gegebenes Wort gebunden; auch fehlte ihm der Muth, das entscheidende Wort zu sprechen. Er fürchtete, sie zu betrüben, obgleich er ihr die Kraft zutraute, das Unabänderliche mit Würde zu ertragen. Indem er aber an die nahe bevorstehende Abschiedsstunde dachte, verdoppelte er seine Zärtlichkeit für sie. Nie war er aufmerksamer und hingebender gewesen, als in der letzten Zeit, doch sie ließ sich darum nicht täuschen und war auf Alles vorbereitet. Zuweilen litt sie an Anwandlungen einer verzeihlichen Eifersucht, doch diese Gespenster einer selbstquälerischen Phantasie verschwanden wieder, wenn sie in sein treues Auge blickte und seine vom Herzen kommende Sprache hörte. Der edle Jüngling konnte sie nicht betrügen und wenn er sie verlassen wollte, so mußte ihn ein edlerer Grund als gemeine Treulosigkeit bestimmen.

Endlich erhielt er von Humboldt die gewünschte Nachricht. Preußen hatte an Napoleon den Krieg erklärt, der König war nach Breslau gegangen und hatte von dort den berühmten Aufruf an sein Volk erlassen. Theodor las mit Begeisterung jene fürstlichen Worte, welche darauf berechnet waren, den Geist der Nation in seinen Tiefen aufzuregen, die Herzen zu entflammen und jeden Deutschen an seine Pflicht zu mahnen. Thränen stürzten aus seinen Augen, als er geendet hatte, Thränen der Rührung und der Bewunderung. Alle Bedenken schwanden in seiner Seele vor dem großen, welterschütternden Ereignisse. Der Augenblick war gekommen, den er so sehnlichst herheigewünscht, der ihn mit Entzücken und Schauder zu gleicher Zeit erfaßte. Unter der Gewalt dieses ersten Eindruckes stürzte er zu Toni, der er athemlos das Blatt, worin der Aufruf stand, entgegenhielt.

„Lies!“ sagte er mit bebender Stimme. „Lies, was ich so eben von Humboldt erhalten habe.“

„Ich hab’ es längst geahnt,“ entgegnete sie, nachdem sie gelesen hatte. „Du willst mich verlassen, um an dem heiligen Kampfe Theil zu nehmen.“

„Und Du zürnst mir nicht?“

„Darf ich denn, selbst wenn ich so schwach wäre? Ich werde Dich nicht zurückhalten, wenn Dich das Vaterland ruft. Ich wußte ja, daß ich Dein Herz mit ihm theilte, daß Du mir nur zur Hälfte angehören konntest. Du mußt Deine Pflicht thun, ohne auf das Blümchen zu achten, das Dein Fuß jetzt rücksichtslos zertritt.“

„Toni, Du thust mir weh!“

„Bei Gott, das wollte ich nicht! Ich bin nur ein armes Mädchen, das seinem Schmerze nicht zu gebieten vermag. Ich habe zu schön geträumt, um nicht über ein solches Erwachen laut zu klagen. Nenne mich schwach, egoistisch, meine Liebe hat mich einzig und allein zu einer solchen Egoistin gemacht. Ich kann mich noch nicht in die mir zugemuthete Heldenrolle finden. Jetzt fühle ich es klar, daß ich Deine „Helene“ besser spiele, als in der Wirklichkeit bin.“

„Dein Juranitsch wird aus dem Kampfe siegreich zurückkehren und Dir tausendfach den Kummer vergüten, den er Dir bereiten muß.“

Unter Thränen lächelnd reichte Toni dem Dichter ihre Hand, indem sie seinem gütlichen Zureden Gehör schenkte. Sie war, wie sie sich richtig selbst bezeichnete, keine heroische Natur, aber sie besaß dafür jene echte Weiblichkeit, welche vor keinem Opfer zurückschrickt, sobald sie sich von der Nothwendigkeit eines solchen überzeugt hält. Die Liebe machte sie stärker, als sie war; um den [523] Geliebten nicht zu kränken, bekämpfte sie diesen großen Schmerz ihres Lebens und verbarg die Thränen, welche sie nur im Verborgenen seinem Verluste weinte. Mit der ihr eigenen Besonnenheit sorgte sie von nun an fast ausschließlich für Theodor’s Ausrüstung und schaffte Alles herbei, was zu seiner Reise nöthig war. Die wenigen Tage, welche er noch in Wien verweilte, wurden durch Abschiedsbesuche ausgefüllt. Theodor besaß eine große Anzahl von Freunden und Bekannten, welche an ihm und seinem Geschick den lebendigsten Antheil nahmen. Viele hielten seinen Entschluß für jugendliche Schwärmerei und suchten ihn davon abzubringen, Andere, zu denen besonders Frau von Pereira und ihre schöne Cousine Marianne Saling gehörten, gaben dagegen unumwunden ihm ihre Bewunderung zu erkennen. Er mußte ihnen versprechen, noch einen Abend in ihrer Gesellschaft zuzubringen und von seinen Kriegserlebnissen fortwährend Nachricht zu geben.

Obgleich er am liebsten die freien Stunden bei seiner Toni zubrachte, so konnte er die dringende Einladung der befreundeten Familie nicht ablehnen. Das Haus des Herrn Pereira war eines der glänzendsten in Wien und in seinen Sälen versammelte sich die beste und vornehmste Gesellschaft, Staatsmänner, Diplomaten und die geistreichsten Schriftsteller wurden von der Großmuth des Mannes und der Liebenswürdigkeit der Hausfrau angezogen. Ein Kranz der schönsten Frauen umgab die ausgezeichnete Wirthin, welche eben so sehr durch ihre körperlichen wie durch ihre geistigen Vorzüge glänzte. Es herrschte in diesem Kreise der freie Ton einer heiteren Geselligkeit, dem durch die vorhandenen bedeutenden Persönlichkeiten eine höhere Weihe zu Theil wurde. Für einen jungen Mann, wie Theodor, mußte eine derartige Versammlung einen ganz besonderen Reiz zu jeder anderen Zeit haben; heute war er jedoch zu zerstreut und von dem nahe bevorstehenden Abschied ergriffen.

Deshalb verließ er die in jeder Beziehung auserwählte Gesellschaft so zeitig als möglich, nachdem er einige flüchtige Worte mit den Damen des Hauses und einigen Bekannten, wie Humboldt und Schlegel, welche ebenfalls zugegen waren, gewechselt hatte. Er wußte, daß Toni im Theater beschäftigt war, und richtete deshalb seine Schritte nach der Burg. Es war eine helle Mondscheinnacht, welche den ehrwürdigen Stephansdom mit lichtem Silberglanze umfloß und wie mit einer Glorie umgab. Vom Thurme schlug die mächtige Glocke die zehnte Stunde, als er vorüberschritt. Bei den feierlichen Klängen erfaßte ihn ein eigenthümlich wehmüthiges Gefühl. Der alte Stephansthurm mit seinen gothischen Pfeilern und Bogen war ja auch ein alter Bekannter, von dem er Abschied nahm. Wie oft hatte er voll Bewunderung seine schlichte Größe angestaunt und, wenn auch Protestant, den Drang gefühlt, in seinen heiligen Hallen niederzuknieen und bei dem mächtigen Brausen der Orgel sein Gebet zu sprechen. Er wäre kein Dichter gewesen, wenn er diesen frommen Riesen nicht jetzt wie einen alten Freund gegrüßt, den er im Begriff stand zu verlassen.

Das Strömen der Menge über den Platz verkündigte ihm, daß die Vorstellung im Theater zu Ende war. Er beeilte sich deshalb, um seine Braut noch anzutreffen. Da ihre Wohnung ganz in der Nähe war, so pflegte sie selten und nur bei schlechtem Wetter von einem Wagen Gebrauch zu machen. Meist ging sie in seiner Gesellschaft oder in Begleitung eines Mädchens, das ihre Garderobe trug, zuweilen auch ganz allein, da sie sich nicht fürchtete. Als Körner in eine der kleinen Seitenstraßen einbog, sah er eine weibliche Gestalt im hastigen Laufe auf ihn zukommen, gefolgt von einem Manne in fremder Uniform. Im hellen Mondschein erkannte er Toni, welche bei seinem Anblick einen lauten Freudenschrei ausstieß und fast athemlos seinen Arm erfaßte.

„Beschütze mich vor dem Zudringlichen!“ flehte die geängstigte Schauspielerin.

Theodor wandte sich nach dem Fremden um, indem er ihn zur Rede stellte.

„Was wollen Sie von meiner Braut?“ fragte er entrüstet.

„Ihre Braut?“ lachte dieser höhnisch. „Ich wußte in der That nicht, daß das Fräulein Ihre Braut sei.“

„So will ich es Ihnen sagen, um Ihren unanständigen Verfolgungen ein Ende zu machen. Ein solches Benehmen einem wehrlosen Mädchen gegenüber ziemt keinem Mann von Ehre.“

„Ich bin der Baron von Färber, und stehe in französischen Diensten,“ entgegnete der Unbekannte hochfahrend.

„Und ich heiße Theodor Körner,“ rief der Dichter in gereiztem Tone, „und verachte jeden Deutschen, der dem Tyrannen dient.“

„Wir sehen uns wieder,“ murmelte der Baron, indem er es für gerathen hielt, seinen Rückzug anzutreten, da der Streit bereits mehrere Zuhörer herbeigezogen hatte, welche für den Dichter offen Partei nahmen.

Bald war er im Schatten der naheliegenden Häuser verschwunden. Toni gab nun dem Geliebten nähere Auskunft über ihr so eben erlebtes Abenteuer. Seit einigen Tagen hatte sie schon in der Fremdenloge, so oft sie auftrat, das ihr widerwärtige Gesicht des Barons bemerkt, der sie unablässig mit seinen Blicken verfolgte. Er hatte es sogar gewagt, ihr anonym einen Brief, Blumen und allerlei werthvolle Geschenke zu überschicken, welche sie natürlich zurückgeschickt hatte. Wie die meisten Frauen von ihrem Stande, fand sie jedoch nichts Besonderes und Verdächtiges in solchen Aufmerksamkeiten, die Schauspielerinnen vielfach zu Theil werden. Auch wollte sie nicht Theodor durch voreilige Berichte in Unruhe versetzen. Dies war der Hauptgrund, weshalb sie bisher geschwiegen hatte. An diesem Abende verließ sie nach ihrer Gewohnheit das Theater gleich nach beendigter Vorstellung, um sich nach Hause zu begeben. An der kleinen Ausgangspforte, die nur für die Künstler der Burg bestimmt war, wurde sie von dem Baron erwartet, welcher ihr hier auflauerte. Anfänglich hielt sie ihn für ihren Bräutigam, und eilte darum auf ihn zu, um ihn freudig zu begrüßen; sobald er sie aber anredete, wurde sie ihren Irrthum gewahr. Sie ließ seinen schon ergriffenen Arm vor Schreck fahren, und entfernte sich in eiliger Verwirrung; eben so schnell folgte er ihr nach, indem er die leidenschaftlichsten Geständnisse seiner Liebe ihr zuflüsterte. Je rascher sie ging, desto mehr beschleunigte auch er seine Schritte, wobei er nicht abließ, sie mit seiner Neigung bekannt zu machen.

Trotzdem Theodor weit entfernt von jeder Eifersucht war, so verstimmte ihn Toni’s Erzählung. Bald aber schwanden die Wolken auf seiner Stirn vor ihrer unwiderstehlichen Liebenswürdigkeit. Er begleitete sie bis an die Thür, wo er mit einem zärtlichen Kusse von ihr Abschied nahm. Indem er die holde Gestalt an sein Herz drückte, fühlte er die ganze Größe des sich selber auferlegten Opfers; ein schmerzlich wehmüthiges Gefühl erfüllte seine Brust, und zitterte noch in seiner Seele nach, als Toni schon längst verschwunden war.

Er blieb noch einige Augenblicke unter ihrem Fenster stehen, und sah zu den weißen Vorhängen ihrer Wohnung empor. Ein leichter Schatten bewegte sich, und er glaubte das Profil der Geliebten zu erkennen.

„Gute Nacht!“ flüsterte er leise. „Gott behüte mir diesen Schatz, daß ich ihn wiederfinde, wie ich ihn verlassen.“

Er war zu aufgeregt, um nach seinem Hause zu gehen und die Ruhe zu suchen. Aus der Ferne tönte durch die stille Nacht die Lust des heitern Wiens. Die Kaffeehäuser waren alle noch hell erleuchtet und mit Gästen gefüllt; fröhliche Leute zogen an ihn vorüber und sangen lustige Lieder, von rothem „Ofener“ und kräftigem „Nußberger“ angeregt. Er fand darunter einige bekannte Schauspieler, die den Dichter mit österreichischer Herzlichkeit begrüßten und trotz seines Widerstrebens mit sich fortzogen. Seine nahe bevorstehende Abreise war bekannt geworden und wurde von Allen mit innigem Bedauern aufgenommen. Jetzt konnte er ihrer Einladung nicht widerstehen, mit ihnen noch ein Glas zum Abschiede zu leeren. Er mußte ihnen in das nächste Weinhaus folgen, wo bald der feurige Ungarwein wie flüssiges Gold in den Glasern funkelte.

„Es lebe der Dichter des Zriny!“ rief der Schauspieler Korn. „Auf ein baldiges und glückliches Wiedersehen!“

„Auf ein glückliches Wiedersehen!“ wiederholte der Chor der ihn verehrenden Gäste.

Die Gläser klangen so hell wie festliches Glockengeläute zu dem allgemeinen Wunsche der Anwesenden, welche Körner als Mensch und Dichter gleich lieb hatten und nur ungern scheiden sahen. Noch mancher Toast wurde auf sein Wohl geleert, bis er sich selber erhob, um den Freunden zu danken. Er sprach mit Begeisterung von der Kunst, der er stete Treue gelobte, wenn er auch gegenwärtig für längere Zeit freiwillig ihr entsage, um an dem Befreiungskampf seiner deutschen Brüder Theil zu nehmen.

„Dem Vaterlande gilt dies Glas!“ rief er laut, sein Glas erhebend. „Wenn erst diesem meine Schuld gezahlt, dann kehre ich zu Euch zurück, um einzig und allein der Kunst zu leben.“

„Und jetzt ein frisches Lied!“ ließ sich Ochsenheimer vernehmen, „ein Lied von unserem Körner!“

Damit waren alle Anwesende einverstanden und die trefflichen Sänger begannen nach einer ansprechenden Melodie:

[524]

„Es blinken drei freundliche Sterne
In’s Dunkel des Lebens hinein:
Die Sterne, sie funkeln so traulich;
Sie heißen Lied, Liebe und Wein. –“

Noch manches andere Lied wurde gesungen und manches Glas getrunken, ehe die Gesellschaft sich entschließen konnte, aufzubrechen. Beim Fortgehen bemerkte Theodor an einem abgesonderten Tische zwei Personen, welche sich leise flüsternd unterhielten. Der Eine war der Baron von Färber, der Andere ein Abenteurer, der in Wien allgemein für einen französischen Spion gehalten wurde. Beide thaten, als ob sie den Dichter nicht bemerkten; sie steckten die Köpfe zusammen und zischelten. Als sich Körner umwendete, begegnete sein offenes Auge den lauernden Blicken des Barons, dessen tückische Physiognomie sich seinem Gedächtnisse für immer einprägte.

Noch eine andere Beobachtung berührte ihn schon früher unangenehm. Als er nämlich vom Tische aufstand, bemerkte Ochsenheimer zufällig, daß dreizehn an der Tafel gesessen. Der Schauspieler scherzte über die ominöse Zahl, Theodor aber, der nicht ganz vom Aberglauben frei war, konnte sich eines leisen Schauers nicht erwehren, obgleich diese augenbllckliche Verstimmung bald wieder schwand. – Die Freunde begleiteten ihn bis zu seiner Wohnung, und zogen Arm in Arm mit ihm durch die stillen Straßen. Es war eine herrliche, sternenklare Winternacht, und das alte Wien mit seinen eingeschneiten Dächern glich einer Feenstadt mit silbernen Zinnen. So gingen sie an den Ufern der Donau, die, zum Theil zugefroren, wie eine demantene Zauberbrücke in magischer Beleuchtung schimmerte. Das winterliche Landschaftsbild paßte zu des Dichters eigenem Gefühl, aber die heiteren Scherze der Künstler verdrängten bald wieder die in ihm aufsteigende Trauer. Noch einmal wurde vor der Thür auf das Herzlichste Abschied genommen, die Hände geschüttelt und ein inniges Lebewohl gesagt. In seiner Stube überließ sich erst der Dichter ganz seiner Stimmung; all die reizenden Bilder seines Wiener Aufenthaltes traten vor seine Seele und umschwebten ihn, er fühlte die ganze Größe seines nahen Verlustes und des Abschiedes von der theuren Kaiserstadt, die ihm so viel gewährt, den Lorbeer des Ruhmes und die Rose der Liebe. – Er nahm die Guitarre in die Hand, sein Lieblingsinstrument; das blaue Band daran, mit Rosen gestickt, war ein Geschenk seiner Toni. Nachdem er einige Griffe über die Saiten gethan, sang er mit leiser wohlklingender Stimme ein Abschiedslied von Wien:

Leb’ wohl! Leb’ wohl! – Mit dumpfen Herzensschlägen
Begrüß’ ich Dich, und folge meiner Pflicht.
Im Auge will sich eine Thräne regen;
Was sträub’ ich mich? Die Thräne schmäht mich nicht. –
Ach, wo ich wandle, sei’s auf Friedenswegen,
Sei’s, wo der Tod die blut’gen Kränze bricht:
Da werden Deine theuren Huldgestalten
In Lieb’ und Sehnsucht meine Seele spalten.

Was er so gesungen, brachte er zu Papier, indem er den einmal angeregten Gedanken zu einem Gedichte gestaltete, das er am nächsten Morgen der Geliebten brachte.

Endlich schlug die Stunde der Trennung von Wien und Toni. Die holde Braut suchte ihn voll liebevoller Aufopferung über ihren Schmerz zu täuschen und lächelte unter Thränen, während ihr von bangen Ahnungen erfülltes Herz zu brechen drohte. Immer von Neuem umschlang sie ihn und rief ihn zurück, wenn er schon bis zur Thüre gegangen war. Dann heuchelte sie wohl auch eine größere Fassung, als sie wirklich besaß. Ihre Seele war von bangen Befürchtungen erfüllt, die sie vor ihm zu verbergen suchte.

„Bin ich nicht ein thörichtes Mädchen?“ fragte sie. „Am liebsten möcht’ ich mit Dir ziehen in den Krieg und an Deiner Seite kämpfen und sterben. Doch nein, Du wirst nicht sterben, Du wirst als Sieger aus dem Kampfe zurückkehren, und ich werde Dich mit wohlverdientem Lorbeer schmücken.“

„Nicht mit dem Lorbeer, sondern mit der Myrthe, theures Mädchen! Wenn ich wiederkomme, ist das Vaterland frei, und dann erst sollen sich unsere schönsten Träume erfüllen; dann bauen wir unser Nest, und keine Gewalt auf Erden soll uns trennen.“

„Ich will Dir auch ein Amulet mitgeben, das Dich vor jedem Unheil behüten wird. Ich hab’ es von der Großmutter bekommen, die es als ein theures Erbstück unserer Familie mir auf die Seele gebunden hat. Wer es trägt, hat nichts zu befürchten und ist vor jedem Unglück geschützt; so sagte sie mir oft. Nimm es hin und trag’ es zum Angedenken, wenn Du auch nicht daran glaubst.“

„Was Deine Hand mir reicht, bringt sicher Glück. Deine Liebe ist der Talisman, der mich vor jedem Unfalle schützen wird.“

Erröthend zog sie aus dem keuschen Busen eine alte Goldmünze hervor, auf welcher in seltsamen Charakteren ein frommer Spruch um ein Crucifix eingegraben war. Sie hing ihm das Amulet um und er versprach, es niemals abzulegen und auf seiner Brust zu tragen.

Noch einen langen, langen Kuß drückte sie auf seine Lippen; dann drängte sie ihn selbst, sie zu verlassen, weil sie sich einer Ohnmacht nahe fühlte. –




IV.

Das war ein wunderbares Schauspiel, welches im Monat Februar 1813 die alte Stadt Breslau in Schlesien darbot. Sonst ein regsamer und fleißiger Handelsort, hatte sich ihr Weichbild plötzlich in ein kriegerisches Lager verwandelt. Der König von Preußen war von Berlin hierher geflüchtet und hatte sein Hoflager in der Nähe der Grenze aufgeschlagen. Um ihn schaarten sich seine Getreuen, die Räthe der Krone und die berühmtesten Generäle. Welche Namen von gutem Klang wurden da genannt, welche großen Männer sah man da täglich nach dem Schlosse gehen, um dem viel geprüften Monarchen ihre Treue zu beweisen und mit Rath und That ihm beizustehen! Neben dem greisen Blücher, der im hohen Alter sich die Gluth der Jugend zu bewahren wußte und kaum seine kriegerische Ungeduld zu zügeln vermochte, schritt der bedächtig kluge Gneisenau in eifrigem Gespräche mit dem genialen Scharnhorst, der sein System der Landwehr den aufmerksamen Zuhörern auseinandersetzte und ihre Gegenbemerkungen mit schlagenden Gründen zu widerlegen suchte. – Dort der stattliche hohe Herr mit aristokratischer Haltung und einnehmenden, würdevollen Zügen war der Staatskanzler Hardenberg, der all’ die unerschöpflichen Hülfsquellen seines schöpferischen Geistes jetzt entwickelte, um den großen an ihn gestellten Anforderungen zu genügen. Aeußerlich anscheinend ruhig, war er in seinem Herzen voll banger Sorge, aber auch voll Hoffnung für die nächste Zukunft. Nicht umsonst hatte er den kühnen Schritt gewagt, den Geist des Volkes anzurufen, um das Land von seinen Unterdrückern zu befreien. Die Jahre eines schmachvollen Friedens waren von ihm auf das Beste benutzt worden, um auf dem Wege einer eben so kühnen als weisen Gesetzgebung den Bürgersinn zu heben, die durch Zwang, Bedrückungen und Vorurtheile aller Art gelähmten Kräfte des Staates zu entfalten. Seine Bemühungen waren jetzt reichlich durch die Opfer belohnt, welche die Nation mit Freuden darbrachte, und mit hoher Befriedigung konnte er den Abgesandten des russischen Kaisers die Mittel zeigen, die ihm zu Gebote standen, um den Krieg mit Nachdruck zu beginnen und fortzusetzen.

Ein einiges Gefühl ging durch das ganze preußische Volk, welches auf den Aufruf des Königs aus allen Theilen der Monarchie herbeiströmte, um an dem heiligen Kampfe Theil zu nehmen. Kaum, daß ein Obdach noch zu finden war, obgleich die Einwohner mit echt schlesischer Gastfreundschaft Haus und Tisch mit den Fremden theilten. Die Gasthäuser und Schenken waren überfüllt; Generäle und Minister mußten sich oft mit einem elenden Hinterstübchen begnügen und Leute aus den besten Ständen waren glücklich, wenn sie nur noch ein Strohlager fanden. Auf dem großen „Ringe“ drängten sich die frisch angekommenen Truppen, welche hier eingekleidet wurden und zur Fahne schworen. Das alte gothische Rathhaus war umlagert, die breiten Treppen stets von der muthigen Jugend besetzt, die sich zum freiwilligen Dienste und zu anderen Opfern meldete. Hier zog ein neu gebildetes Regiment unter klingendem Spiele und dem Jauchzen der Menge vorüber, dort wurden Rekruten eingeübt und in aller Schnelligkeit einexercirt. Das waren aber nicht jene gepreßten und gezwungenen Marionetten mehr, sondern begeisterte Männer, die mit Bewußtsein Blut und Leben einer großen Sache weihten.


[537] Neben dem flotten Studenten stand der ruhige Bürger, der fleißige Beamte, der kräftige Bauer. Der Unterschied der Stände schien vollkommen aufgehoben und die ganze Nation glich einer riesigen Familie von gleichgesinnten Brüdern. Der einseitige, provinzielle Geist war verschwunden, es gab jetzt keine Schlesier, keine Sachsen, Brandenburger, Ost- und Westpreußen mehr; nur ein Volk, erfüllt von der erhabensten Begeisterung.

Das war eine herrliche Zeit, ein mächtiger Völkerfrühling voll göttlicher Blüthen!

Jedes Herz fühlte sich gehoben, jede Kraft entfaltete frei ihre Schwingen. Der niedrige Egoismus mußte vor dem gewaltigen Aufschwunge, vor dem frischen Enthusiasmus weichen. Der Gelehrte verließ seine Studirstube, der Landmann seinen Pflug, der Schreiber warf die Feder hin, um nach der Büchse zu greifen. Auf den Altar des Vaterlandes legte Jeder seine Opfer nieder, der reiche Mann seine Schätze, die arme Wittwe ihren Trauring, das Höchste, was ihr übrig geblieben. Eine Jungfrau Breslau’s, welche das schönste blonde Haar besaß, hatte sich dasselbe abschneiden lassen und verkauft, weil sie nichts bieten konnte, als diesen einzigen Schmuck, den ihr Gott gegeben. Aus ihren Locken wurden Ringe geflochten und zu hohen Preisen bezahlt als ein Andenken ihrer hochherzigen Gesinnung.

Die Straßen waren mit Kanonen und Munition angefüllt; in den Werkstätten wurden Geschütze gegossen, Lafetten gebaut und alle Handwerker arbeiteten unablässig bei Tag und Nacht an der Ausrüstung des Heeres. Wer nicht als Krieger mitgehen konnte, blieb darum nicht zurück und förderte in seiner Weise das Werk der Befreiung. Frauen zupften Charpie und nähten Verbandstücke, Knaben leerten ihre Sparbüchsen oder trugen Waffenstücke herbei, stolz auf ihre Bürde und traurig, daß sie wegen ihrer Jugend an dem Kampfe noch nicht Theil nehmen durften.

In diesen Tagen der frischesten Entwickelung und Begeisterung war auch Körner auf Umwegen in Breslau angelangt. Er brannte vor Begierde, sich den Reihen der Krieger anzuschließen. Seine Wahl war schnell getroffen, er meldete sich bei der Freischaar, welche der kühne Major von Lützow unter seine Fahne sammelte. Theodor wurde nach einer ärmlichen Schenke vor dem Oderthor gewiesen, wo sein künftiger Befehlshaber sein Quartier aufgeschlagen hatte. Er trat in ein großes, ärmliches Zimmer und frug nach dem Major, der jedoch, durch dienstliche Geschäfte abgehalten, nicht zugegen war. An seiner Stelle empfing ihn eine zarte Dame mit feinen Zügen, deren vornehme Haltung und Anmuth wunderbar von der wüsten Umgebung abstach. Sie befand sich von einem Kreise jugendlicher Krieger umringt, von denen sie mit größter Ehrerbietung angeredet wurde. Ihr schlanker Wuchs, die blonden Locken um die edle, weiße Stirn und die blauen, mild strahlenden Augen verliehen ihr das Aussehen eines deutschen Frauenbildes, wie es die alten Maler darzustellen liebten. Ein eng anschließendes, bis zu dem Nacken hoch hinaufreichendes Kleid von schwarzer Seide und ein weißer stehender Kragen verstärkten diesen Eindruck keuscher Weiblichkeit.

„Ich bin die Gattin des Majors von Lützow,“ sagte sie mit sanfter, wohlklingender Stimme. „In seiner Abwesenheit bin ich bereit, Ihre Wünsche zu vernehmen.“

„Ich habe die Absicht, als Freiwilliger einzutreten. Da aber der Herr Major nicht zugegen ist, so will ich zu einer gelegeneren Zeit kommen.“

„Er hat mich ermächtigt, in seiner Abwesenheit die Meldungen anzunehmen; darum bitte ich um Ihren Namen, damit ich ihn in die Liste des Bataillons eintragen kann.“

„Ich heiße Theodor Körner,“ entgegnete der Dichter zögernd.

„Theodor Körner!“ rief die Dame überrascht, indem sie sich verneigte. „Der Dichter Körner! Sie sind uns Allen hoch willkommen als eine der schönsten Zierden unseres Corps.“

Damit reichte sie dem Jünglinge ihre weiße Hand wie einem alten Freunde. Auch die übrigen Anwesenden drängten sich an ihn heran, um ihn herzlich zu begrüßen. Besonders zutraulich erwies sich ihm ein hochgewachsener Krieger mit den edelsten Zügen, der in seinem blonden Lockenschmucke und seinem kräftig männlichen Wesen auch auf Theodor den angenehmsten Eindruck machte. Er nannte sich Friesen und war eine jener Heldennaturen, bei denen sich die Stärke mit der Anmuth, die Kraft mit einer seltenen Bescheidenheit paarte. Nicht mit Unrecht erhielt und verdiente er später den Namen des deutschen Achill. Friesen war zu Großem berufen, als ihn auf französischem Boden eine tückische Kugel aufständischer Bauern mitten in seiner Siegeslaufbahn niederstreckte.

Beide Jünglinge fühlten sich vom ersten Augenblicke an zu einander hingezogen und waren schon nach wenig Stunden innig befreundet. In solch aufgeregten Zeiten reift die Blüthe schnell zur Frucht und die Herzen, die ein gleiches Gefühl entflammt, finden und verstehen sich im raschen Fluge der Begeisterung. Auch für die Majorin von Lützow, die später als Gräfin Ahlefeldt in ein bekanntes Verhältniß zu dem Dichter Immermann trat, empfand Theodor die aufrichtigste Verehrung, welche bald in die reinste [538] Freundschaft überging. Sie fand schon in den nächsten Tagen Gelegenheit, ihm einen unter den damaligen Umständen sehr großen Gefallen zu erweisen. Die Einsegnung des Lützow’schen Freicorps sollte in feierlicher Weise vor sich gehen und sämmtliche Theilnehmer dabei im vollen Waffenschmucke erscheinen. Theodor hatte sich eine neue Uniform bestellt, um nicht hinter den Uebrigen zurückzubleiben. Unglücklicher Weise aber, erklärte der von allen Seiten in Anspruch genommene Schneider, die gewünschten Kleidungsstücke nicht zu der bestimmten Frist abliefern zu können. Umsonst verschwendete der ungeduldige Dichter seine ganze Ueberredungskraft, vergebens ließ er es nicht an Bitten und Beschwörungen fehlen, der vielbeschäftigte Kleiderkünstler blieb unerbittlich, indem er sich auf ältere Versprechungen berief. In seiner Noth wandte sich Theodor an die Majorin von Lützow und klagte ihr in verzweiflungsvollen Worten sein Mißgeschick.

Obgleich es schon spät und dunkle Nacht war, begab sich die gutmüthige Dame mit ihrem Schützlinge nach der Wohnung des Meisters, die drei Treppen hoch auf dem schmutzigen Hof lag. Muthig überwand sie alle Hindernisse und trat in die niedrige Wohnung des Schneiders, der nicht wenig von der Erscheinung der anmuthigen, vornehmen Frau überrascht schien und vor Verlegenheit mit einem Satze von seinem Stuhle sprang. Schnell wurde ein Sessel von ihm abgestäubt und herbeigerückt, worauf er nach ihrem Begehren fragte. Was weder den Worten, noch den Versprechungen Theodor’s gelungen war, glückte den liebenswürdigen Schmeicheleien und dem Zureden der Majorin, von deren Herablassung und Freundlichkeit der brave Meister so entzückt war, daß er den Schlaf einer Nacht zu opfern versprach, um zur gewünschten Zeit Theodor die Uniform abzuliefern.

Nach diesem kleinen Abenteuer wohnte dieser mit wahrhaftem Hochgefühle der feierlichen Begehung der Einsegnung bei, welche in der Nähe der kleinen schlesischen Gebirgsstadt Zobten stattfand. Dort versammelten sich zwölfhundert edle Jünglinge mit ihrem Führer und stimmten einen einfachen Choral an, den Körner für diese Gelegenheit gedichtet hatte. Nach Absingung des Liedes bestieg der würdige Geistliche des Ortes, Namens Peters, die Kanzel und hielt an die todesmuthige Schaar eine kräftige, allgemein ergreifende Anrede, wobei kein Auge thränenleer blieb. Es war ein wunderbares Schauspiel, hier Jünglinge, die kaum dem Knabenalter entrückt, neben bärtigen Männern und selbst grauköpfigen Greisen weinend zu sehen. Zum Schlusse erhob sich der Prediger und ließ all’ die anwesenden Krieger den Eid schwören, für die Sache der Menschheit, des Vaterlandes und der Religion weder Blut noch Gut zu schonen und freudig zum Siege oder Tod zu gehen. Höher schlugen all’ die Herzen und pochten gegen die muthige Männerbrust, die Augen flammten und die Lippen leisteten mit ehrfurchtsvollem Beben den versprochenen Eid auf die blanken Schwerter der Officiere.

„Mit Gott für König und Vaterland,“ tönte ein einziger gewaltiger Ruf zum Himmel empor, von dem Gewölbe der Dorfkirche wiederhallend, als leisteten noch Tausende ungesehen den heiligen Schwur neben ihnen.

Plötzlich ertönte ungeheißen und ohne Verabredung wie aus einem Munde: „Eine feste Burg ist unser Gott,“ begleitet von den brausenden Klängen der Orgel,

Das war die Einsegnung des Lützow’schen Freicorps im Angesicht des Zobtenberges und der blauen Höhen des Riesengebirges.

Und nun ging es in’s Feld; mit fröhlichem Horngeschmetter begann die „wilde verwegene Jagd“, an der Theodor lebendigen Antheil nahm. – Eines Abends nach einem beschwerlichen Marsche lagerte die kühne Schaar in der Nähe eines Waldes. Die jungen Birken streuten ihren Duft, welchen die milden Frühlingslüfte weiter trugen. Die Wachtfeuer flammten und beleuchteten mit ihrer rothen Gluth die malerischen Gruppen der muthigen Krieger und ihre blitzenden Waffen. Die Marketenderin, von Körner und seinen Freunden mit dem classischen Namen „Gustel von Blasewitz“ getauft, hatte so eben ein frisches Fäßchen angestochen und schenkte unermüdlich die leeren Gläser voll. Auf dem grünen Rasen saß der Rittmeister Fischer, ein zweiundsiebzigjähriger Greis, der unter Friedrich dem Zweiten bereits als Trompeter unter den sogenannten „Todtenköpfen“ gedient. Trotz seines Alters war er ein Mann von rüstiger Gestalt und Löwenstärke, mit Adleraugen, Habichtsnase, ein paar Fäusten, wie Geierklauen, und schwarzem, über die Brust herabwallendem Barte. Er erzählte den jüngeren Cameraden Soldatengeschichten aus den Tagen des „alten Fritz.“ Aus der Ferne tönte dazwischen der Ruf der ausgestellten Wachen und der Ablösung. Da traten an das Feuer Arm in Arm Theodor und sein neuer Freund, der edle Friesen, ein wahres Dioskurenpaar an kriegerischem Muthe und körperlicher Schönheit.

„Willkommen!“ tönte es von allen Seiten und die Hände wurden geschüttelt.

„Wo habt Ihr Teufelskerle denn gesteckt?“ fragte der Rittmeister, seinen langen Bart streichend.

„Wir sind im Walde gewesen,“ entgegnete Friesen. „Dort war es gar zu schön. Das grüne Laub drängt sich mit Macht hervor, Alles blüht und duftet.“

„Und hinter den Büschen lauern die Franzosen,“ brummte der alte Fischer, „und schicken Euch aus dem sichern Hinterhalt ihre blauen Bohnen in die Brust.“

„Daran haben wir gar nicht gedacht,“ entgegnete Körner. „Ich hab’ mich so wohl gefühlt und auch ein neues Lied gedichtet.“

„Na, man her mit dem Liede,“ rief der alte Rittmeister.

„Hier ist’s,“ antwortete Körner, indem er die mit Perlen gestickte Brieftasche, ein Geschenk seiner Braut, hervorzog. „Ich singe es Euch nach einer bekannten Weise und Ihr stimmt in den Chorus ein und singt den Rundreim mit.“

Und er begann:

„Was glänzt dort vom Walde wie Sonnenschein?
Hör’s näher und näher erbrausen.
Es zieht sich hinunter in düsteren Reih’n.
Und gellende Hörner schallen darein.
Und erfüllen die Seele mit Grausen.
Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt:
Das ist Lützow’s wilde verwegene Jagd.“

Der Chor wiederholte mit wilder Freude die letzten Strophen und die Hornisten fielen zur rechten Zeit mit ihrem Schmettern ein, daß das Echo in den nahen Bergen wach wurde und der grüne Wald wiederhallte. Als Körner das schöne Lied geendet hatte, da brach ein lauter, unerhörter Jubel los. Die Cameraden schlossen einen Kreis um ihn und kränzten ihn mit frischem Eichenlaub, das sie nicht weit zu suchen brauchten.

Von jenem Abende an war dies Lied der Lieblingsgesang der Lützower und Körner der populärste Mann im ganzen Heere. Seine Gedichte aber gingen wie Werbetrommeln durch das ganze Land und wo sie ertönten, da strömten Jünglinge und Männer zu den Waffen.

So diente er dem Vaterlande mit dem Schwerte wie mit seinem Geiste.




V.

Seit dem Ausbruche des Krieges waren bereits zwei große Schlachten und mehrere bedeutende Gefechte geschlagen worden, ohne eine Entscheidung herbeizuführen. Die verbündeten Preußen und Russen mußten trotz aller bewiesenen Tapferkeit sich zum Rückzuge entschließen, aber auch Napoleon fühlte, ungeachtet seiner Siege, das Bedürfniß nach Ruhe, um seine erschöpften Kräfte wieder zu sammeln. Man sprach allgemein von einem nahe bevorstehenden Waffenstillstande, der unter Vermittelung Oesterreichs zu Stande kommen sollte. Dies hielt jedoch den Major Lützow nicht ab, einen jener kühnen Streifzüge zu unternehmen, wie er sie liebte. Es handelte sich um einen Einfall in das südliche Deutschland, den er im Rücken des Feindes auszuführen gedachte. Mit vierhundert entschlossenen Männern brach er auf, nachdem er Körner zu seinem Adjutanten ernannt hatte. Die kleine Schaar brannte vor Begierde, sich mit den Franzosen zu messen, und setzte in der Nähe von Jena über die Saale, um über Plauen und Hof bis nach Augsburg vorzudringen. In dem altenburgischen Städtchen Roda stießen die Freiwilligen auf vierhundert Mann thüringischer Rheinbundtruppen, welche, trotzdem sie Deutsche waren, sich dem Heere Napoleon’s anschließen wollten, aber gerade keine große Lust bezeigten, sich zu schlagen. Lützow befahl seinen Truppen, Halt zu machen, galoppirte mit Körner und nur von zwei Husaren begleitet vorauf in die Stadt und commandirte, gegen die verblüfften Rheinbündler gewendet, die sich einen solchen Ueberfall nicht träumen ließen, „Stillgestanden.“ Sie standen mäuschenstill mit dem Gewehre im Arme.

„Herr Hauptmann,“ rief er dem überraschten Anführer zu, „befehlen Sie Ihren Leuten, das Gewehr zu strecken.“

[539] Dieser hatte alle Besinnung verloren und that, was man von ihm verlangte. Sein Befehl wurde mit der größten Pünktlichkeit nach dem Exercier-Reglement ausgeführt, die Officiere auf ihr Ehrenwort entlassen, von den Soldaten erbot sich die Mehrzahl, freiwillig in preußische Dienste einzutreten, was ihnen von Lützow gern bewilligt wurde. Dieser unblutige Sieg hatte jedoch die Franzosen auf die kleine verwegene Schaar aufmerksam gemacht; größere Colonnen des Feindes setzten sich in Bewegung, um sie zu verfolgen und ihr den Weg abzuschneiden, aber Lützow war ein Meister des kleinen Krieges, bekannt mit allen Listen und Schlichen, führte er die Seinigen durch Haide, Moor und Wald ungefährdet bis an die bairische Grenze, wobei es dem muthigen Parteigänger nicht an Sympathien der deutsch gesinnten Bevölkerung fehlte, die nur gezwungen noch ihre wahre Gesinnung verbergen mußte. In Eilmärschen rückte er bis nach der Stadt Hof vor, um dieselbe im Sturmschritt zu nehmen. Während er den Befehl ertheilte, kam der bairische Commandant mit einem Trompeter und wehendem Tuche herausgeritten. Alle glaubten schon, es sei dies ein Zeichen der Uebergabe, als dieser jedoch erklärte, daß der längst erwartete Waffenstillstand zwischen Napoleon und den Verbündeten abgeschlossen sei. Diese Nachricht wurde von Lützow und seinen Getreuen mit Unwillen aufgenommen, da sie sich mitten in ihrer Siegerlaufbahn aufgehalten sahen, aber sie konnten nicht länger Zweifeln und mußten demnach die Feindseligkeiten einstellen.

Abgeschnitten von jeder Verbindung mit dem Hauptheere, umringt von überlegenen feindlichen Abtheilungen, war die Lage der kleinen Schaar eine wahrhaft bedenkliche, da Napoleon, wie bekannt war, seinen besonderen Haß auf die „Freiwilligen“ und vorzüglich auf die „Lützower“ geworfen hatte. Diese traten indeß, dem abgeschlossenen Vertrage vollkommen trauend, ihren Rückweg an, nachdem ihr Führer dem in Dresden commandirenden General Gersdorf die nöthige Anzeige gemacht und dieser den Lieutenant von Gösnitz ihm als Marschcommissar zugetheilt hatte. Ungehindert gelangten die Truppen bis zu dem Dorfe Kitzen am Floßgraben, unfern Eisdorf und Groß-Görschen, zwei Meilen von Leipzig, wo sie des Nachts ankamen und sogleich ein Bivouac bezogen.

Kaum waren die Pferde abgezäumt, als die Meldung einlief, daß eine starke Cavallerie-Abtheilung anrückte, an deren Spitze sich der Oberst Becker befand. Dieser erklärte, „der Herzog von Padua, der in Leipzig commandirte, lasse den Major Lützow ersuchen, Halt zu machen, da er ihm Officiere senden werde, seinen ferneren Marsch zu dirigiren.“

Damit erklärte sich Lützow vollkommen einverstanden, beide Führer gaben sich gegenseitig das Ehrenwort, ihren Truppen keine Feindseligkeit zu gestatten, und ein Lieutenant der Freischaar wurde nach Leipzig abgeschickt, um von dem französischen Heerführer nähere Verhaltungsmaßregeln einzuholen.

Der Herzog von Padua hatte von Napoleon bereits den gemessenen Befehl erhalten: „Hinreichende Colonnen ausrücken zu lassen, um die Räuberbande,“ so titulirte der Kaiser das Lützow’sche Corps, „einzufangen und niederhauen zu lassen.“

Als der preußische Parlamentär sich bel ihm meldete und unter Berufung auf den abgeschlossenen Waffenstillstand um die weitere Bestimmung der Marschroute bis zur Elbe bat, entgegenete der Marschall:

„Der Major Lützow mit seiner Räuberbande ist auf Befehl des Kaisers außer dem Gesetz erklärt, er hat sich selbst von dem Waffenstillstande ausgeschlossen; Sie sind mein Arrestant.“

Vier handfeste Gensdarmen vollzogen sogleich den Befehl des Herzogs von Padua, indem sie den Officier packten und, nachdem sie ihn entwaffnet hatten, in festen Gewahrsam brachten. Unterdeß hatte Lützow vergebens auf die Rückkehr seines Abgesandten gewartet, von Stunde zu Stunde wuchs seine Verlegenheit, da ihm gemeldet wurde, daß neue feindliche Abtheilungen heranrückten und ihn vollends zu umzingeln drohten. Trotzdem er nicht an einen solchen Verrath glauben konnte, der in der Geschichte des Krieges und des Völkerrechts gleich unerhört war, befahl er den Seinigen, aus Vorsicht aufzusitzen. Er selbst ritt, von Körner begleitet, den feindlichen Truppen entgegen, welche in zwei Corps von fünftausend Mann bestanden. Da ihn ein breiter Feldgraben von den nahenden Gegnern trennte, gab er seinem Pferde die Sporen, um über den Graben zu setzen und von dem Commandeur Aufklärung zu verlangen. Das treue und sonst so sichere Thier trat fehl und strauchelte, so daß der Reiter zu fallen drohte. Theodor konnte sich nicht enthalten, ein Zeichen schlimmer Vorbedeutung zu sehen, und äußerte sich auch in diesem Sinne. Lützow lachte über seinen Aberglauben und bat ihn, die Poesie aus dem Leben zu verjagen.

An der Spitze der ihm gegenüberstehenden Truppen ritt der würtembergische General Normann. Er begrüßte Lützow mit militairischer Höflichkeit, und als dieser um gefällige Aufklärung bat, ob ihm und seinem Corps der Aufmarsch gelte, versicherte[WS 1] jener auf Ehrenwort: „er habe nur Befehl, das nächste Dorf zu besetzen.“ Dagegen bezeichnete er den französischen General Fourier als Befehlshaber der ganzen Abtheilung, und verwies ihn an diesen. Als Lützow sich dahin wendete mit dem Ersuchen, Halt zu machen, um ein Zusammendrängen mit seinen Leuten zu vermeiden, entgegnete der General mit kreischender Stimme:

„L’armistice pour tout le monde, excepté pour vous!“ (Waffenstillstand für Alle, nur nicht für Euch!)

Jetzt konnte Lützow nicht länger über die Absicht des Feindes im Zweifel sein. Schnell wandte er sein Pferd, welches diesmal den Sprung über den breiten Graben ihm nicht versagte. Hinter ihm drein sprengte Körner, doch ehe die Beiden noch die Waffenbrüder erreichten, schwenkte die würtembergische Cavallerie, welche den auf der Chaussee in gestreckter Linie reeitenden Lützowern zur Seite ritt, mit gezogenen Säbeln ein, und warf sich auf die eines solch niederträchtigen Ueberfalls nicht gewärtigen Preußen. Diese wehrten sich mit Löwenmuth, und fochten wacker für ihr Leben. Bald war Körner von dem Getümmel mit fortgerissen, zwei feindliche Dragoner bedrängten ihn zu gleicher Zeit, als er eben im Begriff stand, sich zu Lützow durchzuschlagen, der verwundet vom Pferde gesunken und von Feinden umringt war. Mit kräftigen Hieben wehrte er die beiden Reiter ab, als ein Dritter in der Uniform eines höheren Officiers heransprengte, und ihm den Weg verlegte. Theodor glaubte kaum seinen Augen zu trauen, als er in dem Gesichte seines neuen Gegners die ihm verhaßten Züge des Barons von Färber wiederfand.

„Ergeben Sie sich!“ rief ihm dieser von Weitem zu.

„Lieber todt, als in Ihre Hände fallen,“ antwortete Theodor mit edler Entrüstung.

„So nimm das,“ schrie der Baron, mit einem Pallasch zu einem Hiebe ausholend, den Körner jedoch mit Geschicklichkeit parirte.

Die beiden Reiter hatten sich ein wenig zurückgezogen, vielleicht aus Respect für ihren Oberen, oder weil sie so viel Ehrgefühl und Achtung vor Körner’s Tapferkeit besaßen, daß sie nicht mit dreifacher Ueberlegenheit einen einzelnen Feind angreifen wollten. Damit schien aber dem Baron, der die Stärke seines Gegners bald kennen lernte, nicht gedient zu sein.

„Was steht Ihr?“ rief er ihnen zu. „Helft mir, dem Burschen das Garaus machen!“

Erschöpft von dem anstrengenden Kampfe und aus mehreren Wunden blutend, hielt sich Theodor unter solchen Umständen verloren, aber auch jetzt verließ ihn nicht sein Muth und die Geistesgegenwart, indem er zu einer Kriegslist seine Zuflucht nahm.

„Die vierte Escadron soll vorrücken!“ rief er mit starker Stimme in den Wald hinein.

Die Feinde, welche einen Hinterhalt vermutheten, stutzten und zogen sich zurück, voran der Baron, welcher seinem Pferde feig die Sporen gab und davon sprengte, gefolgt von den Reitern. – Es war die höchste Zeit, denn im nächsten Augenblick sank Theodor, von übermäßigem Blutverlust geschwächt, ohnmächtig von seinem Pferde auf den grünen Rasen nieder.

Es war bereits dunkle Nacht, als Körner aus seiner Ohnmacht erwachte. Mühselig schleppte er sich zu dem nahen Birkenwäldchen, wo er, erschöpft von einem neuen Blutverlust, bis zum Morgen liegen blieb. Die Wunden schmerzten ihn, seine Lippen brannten, deshalb machte er noch einen Versuch, den vorbeifließenden Bach zu erreichen, wo er mit hohler Hand ein wenig Wasser schöpfte. Zwei Bauerkinder, welche im Walde nach Früchten suchten, hörten sein Stöhnen, und kamen neugierig herbei. Er winkte ihnen und das Mädchen bot ihm mitleidig ihr mit frisch gepflückten Erdbeeren gefülltes Körbchen an. Nachdem er sich daran erquickt, ergriff er mit vom Fieberschauer zitternder Hand seine Brieftasche, und riß ein Blatt heraus; dann schrieb er den Namen eines Freundes in Leipzig darauf. Den Zettel gab er dem Knaben, eine gute Belohnung verheißend, zur Besorgung. Dieser versprach, den Auftrag zu vollziehen, und kehrte im eiligsten Laufe nach dem Dorfe zurück, während das Schwesterchen bei dem Verwundeten zurückblieb, um ihn [540] zu pflegen und noch mehr Erdbeeren für ihn zu suchen. Ermattet schlief er wieder ein, von holden Träumen umgaukelt. Im Schlummer nahte ihm die holde Braut, und drückte einen leisen Kuß auf seine bleichen Lippen; noch ein anderes erhabenes Frauenebild stand an ihrer Seite, mit edlen Zügen und von göttergleicher Gestalt. War es die Muse, die ihn selbst im runden Kriegsgetümmel nicht verließ, oder die Freiheit, für die er sein Blut gegeben? Sie beugte sich zu ihm nieder und kränzte seine Heldenstirn mit ewigem Lorbeer. Als er erwachte, fühlte er sich wundersam gestärkt, trotzdem konnte er sich nicht von dem Gedanken frei machen, daß er am Ende seiner Tage stehe. Was ihn in diesem Augenblick bewegte, gestaltete sich zu einem Gedicht, das er mühsam mit Bleistift sogleich niederschrieb:

Die Wunde brennt, die bleichen Lippen beben.
Ich fühl’s an meines Herzens mattem Schlage,
Hier steh’ ich an den Marken meiner Tage –
Gott, wie du willst, dir hab’ ich mich ergeben.
Viel goldne Bilder sah ich um mich schweben,
Das schöne Traumbild wird zur Todtenklage –
Muth, Muth! Was ich so treu im Herzen trage,
Das muß ja doch dort ewig mit mir leben!
Und was ich hier als Heiligthum erkannte,
Wofür ich rasch und jugendlich entbrannte,
Ob ich’s nun Freiheit, ob ich’s Liebe nannte:
Als lichten Seraph seh’ ich’s vor mir stehen; –
Und wie die Sinne langsam mir vergehen,
Trägt mich ein Hauch zu morgenrothen Höhen.

Unterdeß war der ausgeschickte Knabe mit seinem Vater zurückgekehrt. Der gutmüthige Bauer nahm den Verwundeten einstweilen in seine Hütte auf, bis der Freund aus Leipzig anlangte, an den Körner jene Zeilen geschrieben hatte. Doctor Wendler hieß der edle Mann und Menschenfreund, der die Gefahr nicht scheute, womit Jeder von den französischen Machthabern bedroht wurde, der Einen von der Lützow’schen Freischaar bei sich aufzunehmen wagte. Unter dem Schutze der Nacht gelang es ihm, auf Schleichwegen durch das Hinterpförtchen seines Gartens den Dichter nach Leipzig und in seine Wohnung zu bringen, wo er ihn verborgen hielt und durch seine sorgfältige Pflege so weit wieder herstellte, daß er das Bett verlassen konnte. Seine nächste Sorge war, Erkundigungen über das Schicksal seiner Freunde einzuziehen: mit Freude vernahm er, daß sich Lützow mit Hülfe seiner Getreuen gerettet hatte, aber mancher brave Reiter hatte mit seinem Leben zahlen müssen. Weit mehr noch betrübte ihn das Schicksal der Gefangenen, die auf Napoleons ausdrücklichen Befehl wie Straßenräuber die schmählichste Behandlung erlitten und meist in den Kerkern Frankreichs mit Ketten beladen schmachteten. Theodor brannte vor Begierde, seine Cameraden zu rächen, und sich so schnell als möglich wieder dem preußischen Heere anzuschließen und an dem nahe bevorstehenden Kampfe Theil zu nehmen. Nachdem er seine Eltern und Toni unter einem angenommenen Namen, um die Wachsamkeit der französischen Spione zu täuschen, über sein Schicksal beruhigt hatte, war er nur mit dem Gedanken beschäftigt, unbemerkt Leipzig zu verlassen. –

Es war dies keineswegs so leicht zu bewerkstelligen, und für ihn und seinen Gastfreund mit mannichfacher Gefahr verbunden. So geheim auch sein Aufenthalt geblieben war, so fehlte es doch nicht an Aufpassern und Spionen, zu welchem schändlichen Amte sich selbst Deutsche und Männer von hohem Range hergaben. Ein sächsischer General in Dresden hatte es nicht unter seiner Würde gehalten, ein vollständiges „Bureau d’espionage“ für Napoleon einzurichten, wodurch dieser von allen Vorgängen in seiner Nähe Kenntniß erhielt. Zu diesem Zwecke wurden Leute aus allen Ständen besoldet, Diener und Beamte bestochen, und selbst das Briefgeheimniß nicht geschont. Die verborgensten Familienverhältnisse, die Gespräche vertrauter Freunde, hingeworfene Aeußerungen blieben dem wachsamen Auge der französischen Polizei nicht verborgen; vor der gemeinen Angeberei gab es keinen Schutz.

Es war daher kein Wunder, daß auch Körner’s Aufenthalt in dem Hause des Doctor Wendler Verdacht erregte, zumal es ihm nicht an einem erbitterten Feinde fehlte, der ihn zu verderben suchte. Baron Färber befand sich in Leipzig und in der Nähe des Herzogs von Padua; er gehörte zu jener geheimen Sicherheitsbehörde, war die rechte Hand des sächsischen Generals und wurde vielfach zu ähnlichen Missionen benutzt, zu denen sich kein anderer Officier und Mann von Ehre brauchen ließ. Auch nach Wien war er gesendet worden, um die dortige Stimmung zu beobachten und darüber Bericht zu erstatten, da Napoleon Grund zu haben glaubte, der österreichischen Regierung nicht zu trauen. Bei dieser Gelegenheit hatte er Toni im Theater gesehen und jene Leidenschaft für die reizende Schauspielerin gefaßt, welche zu der unangenehmen Berührung mit dem jungen Dichter führte. Seitdem haßte er Körner mit seiner ganzen heimtückischen Bosheit und hatte keinen andern Wunsch, als ihn zu verderben. Er leitete den Ueberfall der Lützow’schen Freischaar, wozu er dem Marschall den Gedanken eingegeben, um seine Privatrache zu befriedigen.

Von seinen ihm untergebenen Spionen, denen er besondere Achtsamkeit auf seinen Gegner eingeschärft hatte, wurde er hinlänglich unterrichtet, um Verdacht zu schöpfen, um so mehr, da er wußte, daß der Doctor Wendler zu den intimsten Freunden der Körner’schen Familie gehörte.

Ohne Ahnung der drohenden Gefahr saß der Arzt in seinem Studirzimmer, als die Frau eines sächsischen Gensd’armen, deren Kind er erst vor Kurzem vom Tode gerettet hatte, ihn dringend zu sprechen wünschte.

„Mein Mann,“ sagte das gute Weib, „hat so eben den Auftrag erhalten, heute Abend Sie zu überfallen und Haussuchung zu halten. Ich bin deshalb vorangeeilt, um Sie in Kenntniß zu setzen, damit Sie keine Ungelegenheiten haben, denn die Franzosen verstehen keinen Spaß.“

Der Doctor dankte ihr und wollte ihr für ihre Nachricht einige Geldstücke aufnöthigen, die sie hartnäckig ausschlug, so sehr er auch in sie drang.

„Ich bin Ihnen noch so großen Dank schuldig,“ entgegnete sie, daß diese kleine Gefälligkeit gar nicht in Betracht kommt. Auch freue ich mich jedesmal, wenn ich den Fremden einen Possen spielen kann. Mein Mann denkt wie ich, aber er muß doch thun, was seines Amtes ist; denn wessen Brod ich esse, dessen Lied ich singe.“

Sobald die Frau gegangen war, dachte der edle Arzt an die Rettung Theodor’s. Obgleich seine Wunden noch nicht geheilt waren, blieb ihm kein anderer Ausweg, als die Flucht zu ergreifen. Mit Hülfe des Doctors legte er die Verkleidung eines Bedienten an, und verließ das Haus sicher und unerkannt von den ihm auflauernden Spionen.

Am Thore erwartete ihn ein Wagen, worin eine Patientin des Doctors saß, die ihrer Krankheit wegen nach Karlsbad reisen sollte. Sie war in das Geheimniß eingeweiht, und führte einen Paß, der auf ihre eigene Person und auf ihren Bedienten lautete.

Als die angedrohte Haussuchung stattfand, war Körner bereits in Sicherheit und den Verfolgern entgangen. –




VI.

Ohne jedes fernere Abenteuer langte Körner wohlbehalten in Karlsbad an, wo ungeachtet der kriegerischen Zeiten eine zahlreiche und elegante Gesellschaft sich eingefunden hatte. Bald fand auch er darunter Bekannte und Freunde, die ihn anzogen, und von denen ihm Schutz und Pflege zu Theil wurde.

Eines Tages saß er auf der Bank des Sprudelhauses, um den Arzt wegen des Wiederaufbruches seiner Wunden zu befragen. Das vulcanische Naturwunder des merkwürdigen Badeortes nahm seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, und er vermochte nicht, seine Augen von dem interessanten Schauspiele abzuwenden. Aus der unterirdischen Werkstätte der Natur, aus den geheimnißvollen Tiefen der Erde brach der kommende Wasserstrom, mit Dampf vermischt, wie ein ungestümer Geist hervor. Körner wurde nicht müde, diesem Steigen und Fallen der brausenden Fluth zuzusehen, die gleich einem Zaubertrank, von Feenhand bereitet, Genesung und Gesundheit allen Hülfsbedürftigen spendete. Er fühlte eine gewisse Verwandtschaft mit jener dämonischen Gewalt, die mit jugendlicher Kraft aus der Felsenrinde drang, und jeden Widerstand besiegte.

Einige Damen in Begleitung eines älteren Herrn näherten sich jetzt dem Sprudel, um von den aufwartenden Brunnenmädchen sich die leeren Becher füllen zu lassen. Die Züge und der Ton ihrer Stimmen kamen ihm bekannt vor; er blickte auf und ein leiser Schrei der Ueberraschung entschlüpfte seinen Lippen. So leise dies geschah, so erregte er doch dadurch die Aufmerksamkeit der Anwesenden, die sich unwillkürlich nach ihm umwendeten.

[549] „Mein Gott!“ rief eine der Damen, deren Kleidung und ganzes Wesen ihren hohen Rang verrieth. „Wenn ich nicht irre, so ist jener junge Mann mein Pathe Theodor Körner, den ich, wie alle Welt, als einen Todten beklagte.“

Unterdeß war der Dichter näher getreten, um die Gesellschaft zu begrüßen, welche aus der Herzogin von Kurland, ihren beiden Töchtern und ihrer Schwester, der bekannten Elise von der Recke, bestand. Bald sah er sich von ihnen umringt und mit wohlwollenden Fragen nach den letzten Ereignissen seines Lebens überhäuft. Die Herzogin von Kurland, eine der ausgezeichnetsten Frauen jener Zeit, war eine Freundin seiner Familie und zugleich in der That seine Taufpathin gewesen. Ihre beiden Töchter, von denen die eine an den Herzog von Dino, den Neffen Talleyrand’s, vermählt war, gehörten zu den hervorragendsten Erscheinungen der Aristokratie, gleich ausgezeichnet durch ihre Schönheit wie durch ihren Geist, während Elise von der Recke als Schriftstellerin und Beschützerin jedes Talents sich einen klingenden Namen erworben hatte. Auch der Herr in ihrer Begleitung war für Theodor kein Fremder, da er in ihm den Dichter Tiedge, den Verfasser der „Urania“, wiedersah, eines Buches, das in jenen Tagen auf keinem Lesetische fehlen durfte und von allen zarten und schönen Lippen laut bewundert und gepriesen wurde.

Der ganze auserwählte Kreis bewies für Theodor die freundlichste Theilnahme und Aufmerksamkeit. Die gute, sanfte Elise, deren ganzes Leben nur im Wohlthun bestand, hatte nicht ohne Besorgniß die bleichen Wangen und das krankhafte Aussehen des Jünglings bemerkt; sie rief deshalb sogleich den in der Nähe verweilenden Arzt herbei, der für die Wiederherstellung des Patienten Sorge zu tragen versprach. Damit nicht zufrieden, übernahm sie selbst mit mütterlicher Sorgfalt die Pflege des Verwundeten, der unter solchen Verhältnissen schnell genas.

Bald war er im Stande, einer Einladung der Herzogin zu folgen, die es ebenfalls nicht an vielfachen Beweisen ihrer Freundschaft und Zuneigung fehlen ließ. Es war ein in jeder Beziehung auserlesener Kreis, der sich in der Wohnung der hohen Frau versammelte. Ihr Rang und die gefeierte Schönheit ihrer Töchter zogen die vorzüglichsten Männer und Damen an. Fast vergaß Theodor in einem Wirbel von Zerstreuung seine Waffengenossen und vor dem Zauber, der ihn umgab, verblaßte selbst das Bild seiner geliebten „Toni“, wenn auch nur für kurze Zeit. – Nach den rauhen Scenen des Krieges und des Lagerlebens fühlte er sich doppelt angenehm berührt von einem Kreise, wo die höchste Bildung mit Feinheit der Sitten, Eleganz des Lebens und nie gesehener Schönheit wetteiferte.

Welch’ eine Welt that sich hier vor dem entzückten Jüngling auf!

Während in der einen Ecke des Salons Elise von der Recke mit Tiedge über die Unsterblichkeit der Seele phantasirte und die tiefsten Fragen der Menschheit verhandelte, versammelten an einem andern Theile die jungen, schönen Herzoginnen von Sagan und Dino die berühmtesten Diplomaten und Staatsmänner zu ihren Füßen, um mit ihnen die Angelegenheiten Europa’s, die Geschicke der Völker zu besprechen. Beide Schwestern zeigten sich schon damals als würdige Verwandte Talleyrand’s, da sie, wie er, mit meisterhafter Geschicklichkeit das Netz der Politik zu verschlingen und zu weben wußten. Ueber den berühmten Staatsmann trugen sie noch den Sieg davon, weil sie mit seinem Geiste die weibliche Anmuth und Liebenswürdigkeit verbanden, ihre Ansichten mit dem Feuer ihrer Augen, ihre Pläne mit dem gewinnenden Lächeln des reizenden Mundes unterstützten. Wer konnte einer solchen diplomatischen Armide widerstehen, zu deren Füßen die einflußreichsten Personen schmachteten?

Es war gerade damals der günstigste Zeitpunkt für politische Intriguen und Verhandlungen. Napoleon hatte, um sich der österreichischen Regierung gefällig zu zeigen, die Miene angenommen, als ob er geneigt sei, den abgeschlossenen Waffenstillstand in einen Frieden zu verwandeln. Im Grunde war es ihm jedoch nur darum zu thun, Zeit zu gewinnen und seine Verstärkungen heranzuziehen. In ganz ähnlicher Lage befanden sich die verbündeten Preußen und Russen, die ebenfalls neue Kräfte sammeln wollten. Beide Gegner gingen daher scheinbar auf die Wünsche des Wiener Cabinetes ein und beschickten eine Art von Friedenscongreß, der in Prag zu Stande kommen sollte. In der That erschienen auch in der alten, böhmischen Residenz die Gesandten der betheiligten Mächte, Wilhelm von Humboldt von preußischer, Baron Anstett von russischer und Metternich von österreichischer Seite. Dagegen ließen die französischen Diplomaten so lange auf sich warten, daß darüber fast die bestimmte Zeit verging und zum Aerger der kriegerischen Jugend und der wahren Patrioten der Waffenstillstand noch um einige Tage verlängert, der Beginn des neuen Kampfes verschoben werden mußte. Als endlich die französischen Gesandten eintrafen, ergab sich schon in den ersten Sitzungen, daß es ihnen nicht Ernst sei, indem sie mit unwesentlichen Streitigkeiten und Etikettenfragen hervortraten und die Zeit vertrödelten. Das Ganze glich einem Possenspiele, dessen Verantwortung ein Gegner dem andern zuschob.

[550] Je näher aber der Tag heranrückte, wo der verlängerte Waffenstillstand zu Ende ging und damit auch das beabsichtigte Friedenswerk aufgegeben werden mußte, mit desto ängstlicherer Spannung waren die Augen Aller auf die Maßregeln der österreichischen Regierung und auf den Mann gerichtet, der damals am Ruder des Staatsschiffes stand.

Wird Kaiser Franz seinem Schwiegersohne Napoleon den Krieg erklären und zu den Verbündeten stehen oder gegen diese die Waffen ergreifen, da sich die bisherige neutrale Stellung kaum länger behaupten ließ?

Diese Frage wurde überall und auch in dem Salon der Herzogin von Kurland mit dem lebendigsten Eifer abgehandelt; die entgegengesetzten Ansichten je nach Neigung und Interesse verfochten und angegriffen. Jedermann fühlte, daß von der Beantwortung derselben das Schicksal der Welt abhing. Die hohe Stellung und der mannichfache Einfluß, den die Personen eines derartigen Kreises ausübten, begnügte sich indeß nicht mit der bloßen Rolle interessanter Zuschauer, sondern ging zu selbstthätigem Eingreifen in das rollende Rad des Schicksals über und gerade die zartesten Hände erwiesen sich hier am mächtigsten und kühnsten. – Die reizende Katharina, Herzogin von Sagan, stand zu den bedeutendsten Diplomaten in naher Beziehung und verkehrte fortwährend mit den Leitern der verschiedenen Cabinete. Da sie für Theodor eine fast schwesterliche Freundschaft zeigte, so wurde auch er von ihr fortgezogen und in das Getriebe dieser geheimen diplomatischen Verwickelungen eingeweiht.

Die Herzogin übte eine fast magische Gewalt über jeden Mann, der in ihre Zauberkreise trat; sie war eins jener seltenen Weiber, das den schwärmenden Jüngling wie den erfahrenen Weltmenschen zu fesseln verstand. Groß und bedeutend selbst in ihren Verirrungen, bald weich und hingebend wie ein einfaches liebendes Mädchen, bald stark und energisch wie ein Held, mit warmem Herzen und kaltem Verstande, einer glühenden und mächtigen Phantasie, die jedoch von einer ehernen Willenskraft beherrscht wurde, mußte eine solche Frau gerade einem Dichter, wie Theodor Körner war, mehr als gewöhnliches Interesse auch ohne ihr Zuthun einflößen. Sie imponirte ihm mehr, als er sich es eingestehen wollte. Es war auch nicht Liebe, was er für sie empfand, aber ein Gefühl von höchster Verehrung und Bewunderung. In Toni sah er das holde Mädchen, die Braut seiner Wahl, sein künftiges Weib, während er zu der Herzogin wie zu einer Erscheinung aus einer anderen und höheren Welt emporschaute. Selbst die Rücksichtslosigkeit und der vertrauliche Ton, den sie zuweilen ihm gegenüber anschlug, verletzte ihn nicht. Es lag darin für ihn weit weniger ein Mangel an Weiblichkeit, als ein hoher, vornehmer Sinn, das Bewußtsein der ihr zustehenden Macht und Würde, womit sie sich über all’ die kleinlichen Formen und Beschränkungen des Lebens hinwegsetzte.

Wie Theodor von der aristokratischen Schönheit der Herzogin sich anziehen ließ, so interessirte sich diese für seine jugendliche Unbefangenheit, für die warme Huldigung, die er ihr ohne Rückhalt entgegentrug, und vor Allem für seinen Dichterruhm, welchen sie jedoch mehr nach dem äußeren Erfolge als nach dem inneren Werthe abzumessen sich versucht fand. Wie die meisten Frauen ihrer Art und ihres Standes schmeichelte ihr der Gedanke, den talentvollen Jüngling zu beschützen, zu fördern, ihm eine bestimmte Richtung zu geben und ihn mit sanfter Hand dem von ihr einseitig gesteckten Lebensziele entgegenzuführen. Im Verlaufe ihrer vielfachen Gespräche mit Körner hatte sie halb im Scherz, halb im Ernst, seine bisherige Laufbahn als eine verfehlte bezeichnet und auf eine andere hingewiesen, für die sie ihm ihre Hülfe und Unterstützung zusagte.

„Sie dürfen,“ sagte sie an diesem Abende, „nicht mehr in den Krieg zurückkehren; Sie müssen in unserer Nähe bleiben, wo sich ein angemessener und für Sie weit mehr passender Wirkungskreis eröffnen wird. Ich habe Ihretwegen an Metternich geschrieben und dieser ist gern bereit, Ihnen eine Stelle in seiner Kanzlei zu geben.“

„Ew. Durchlaucht vergessen, daß ich in preußischen Diensten als Soldat stehe. Wenn ich nicht zurückkehre, wird man mich als Deserteur behandeln.“

„Ich werde für Ihre ehrenvolle Entlassung Sorge tragen. Humboldt ist Ihr Freund; Sie können noch heute an ihn schreiben und um Ihren Abschied einkommen, den man Ihnen nicht verweigern wird.“

„Sie wissen, daß ich einen heiligen Schwur geleistet habe, mein Blut und Leben dem Vaterlande zu weihen.“

„Das sind überspannte Schwärmereien. Sie sind ein geborener Sachse, so wie ich eine gehorene Russin bin, die in Preußen ihre Güter hat und in Oesterreich wohnt. Wo ist denn dieses so oft genannte Vaterland des Deutschen? Ich denke, nur da, wo er seine Wirksamkeit und sein Talent am besten entfalten kann.“

„Es gibt aber noch ein deutsches Volk.“

„O ja!“ spottete die Herzogin. „Eine Nation, von den verschiedensten Interessen und kleinlichsten Bestrebungen zerrissen. Ich kenne Würtemberger, Baiern, Hessen und Rheinländer, die es mit Napoleon halten, Sachsen, welche mit eifersüchtigen Augen auf Preußen sehen und es anfeinden. Das heilige römisch-deutsche Reich ist eine Chimäre, das Phantasiegemälde einiger jugendlicher Phantasten. In der Wirklichkeit existirt es nirgends.“

„Es wird aus diesem Kampfe wie der Phönix aus seiner Asche auferstehen.“

„Ich will Ihnen diesen Glauben nicht nehmen, auch wenn ich ihn nicht theilen kann. Aber selbst vorausgesetzt, daß Sie Recht behalten, wer hindert Sie, dieser Idee in anderer Weise zu dienen, als mit den Waffen in der Hand? Jeder ungebildete Rekrut kann Ihre Stelle auf dem Schlachtfelde ausfüllen, Geister, wie der Ihrige, haben einen höheren Beruf, als mit der Faust darein zu schlagen. Ich will Ihnen eine würdigere Laufbahn eröffnen, wo Sie all’ Ihre schönen Gaben entfalten können. Nicht die Hand, sondern der Kopf regiert die Welt. Ich werde Sie in die Geheimnisse der Staatskunst einweihen und Ihnen die Augen öffnen. Sie sollen das innere Getriebe, die verborgenen Räder und Kräfte der Welt kennen lernen. Dazu scheinen Sie mir geboren, nicht zu dem Handwerk der Waffen, wozu nach meiner Ansicht der Dichter am wenigsten greifen sollte.“

„Und glauben Sie, daß der Dichter einen guten Diplomaten abgeben würde?“

„Warum nicht? Sie sehen noch die Diplomatie mit den Augen und dem Vorurtheile der Menge an. Lernen Sie erst die geheimnisvolle Kunst genauer kennen, beschäftigen Sie sich ernstlich mit ihr und Sie werden mehr Poesie daran finden, als Sie glauben. Ist es denn kein hoher Genuß, das Geschick der Völker zu leiten, große und unerwartete Ereignisse mit Bedacht und kluger Einsicht herbeizuführen, hoch über dem Troß zu stehen und von dieser Höhe herab die streitenden Kräfte mit scharfen Augen zu beobachten? Da gilt es, mit Feinheit den gordischen Knoten zu entwirren, den das gewaltsame Schwert des Kriegers nur zu durchhauen versteht, jeden Vortheil wahrzunehmen, die Schwächen des Gegners zu erspähen und zu benutzen, mit den kleinsten Mitteln oft die größten Erfolge herbeizuführen, durch Ueberredung zu siegen, durch den Geist zu triumphiren. Vor dem gewandten Odysseus und seinem Verstande muß der tapfere Achill verschwinden, der zwar zu kämpfen, aber nicht zu siegen wußte. Troja wäre nicht erobert worden und stände heute noch, wenn das hölzerne Pferd des Ulysses nicht gewesen wäre.“

„Ich fürchte, daß Ew. Durchlaucht eine zu günstige Meinung von meinem Talente haben,“ entgegnete Theodor, mehr geblendet von dem Geiste der Herzogen, als überzeugt.

„Gerade weil Sie ein Dichter sind, eignen Sie sich für diese Laufbahn. Die Zeit ist vorbei, wo blos trockene Geschäftsmänner und ergraute Actenmenschen im alten Schlendrian die Welt regieren können, die aus ihren Fugen zu weichen droht. Wir bedürfen jetzt der jugendlichen Kraft, selbst des Enthusiasmus, um das schwankende Gebäude zu stützen und das Gefallene wieder aufzurichten. Die alten Formen sind zerbrochen und eine neue Ordnung der Dinge bereitet sich vor. So sehr ich auch die französische Revolution hasse, so sehr ich in Napoleon auch nur den tyrannischen Emporkömmling verabscheue, so kann ich Beiden meine Bewunderung nicht versagen. Sie haben Großes gethan und das alternde Europa aus dem Todesschlafe geweckt. Die Völker sind erwacht und in den Adern des Staatslebens kreist ein neues, frisches Blut. Es ist mit uns eine Art von Verjüngungsproceß vorgegangen. Für solche Zeiten der allgemeinen Gährung taugen die alten Schläuche nichts mehr, wir müssen uns nach jüngeren Kräften umsehen, nach Elementen, die, dem Geiste der Zeit verwandt, ihn auch besser kennen und begreifen, als die verschimmelten Perrücken der alten Diplomatie. Das hat Metternich erkannt und darum einige hervorragende Schriftsteller, wie Adam Müller und den genialen [551] Gentz, in seine Nähe berufen. Er bietet auch Ihnen eine ähnliche Stellung, doch Sie müssen sich bald entschließen. In drei Tagen reise ich ab, bis dahin lassen Sie mich Ihren Entschluß wissen.“

„Die Wahl wird mir um so schwerer, da ich gern dem Vertrauen Ew. Durchlaucht und dem Wohlwollen des berühmten Staatsmannes entsprechen möchte.“

„Ich will jetzt nicht länger in Sie dringen. Ueberlegen Sie reiflich meinen Vorschlag; nur das Eine kann ich Ihnen noch sagen, daß Sie der Sache, die Sie mit so vielem Eifer verfolgen, durch Ihre Wahl nicht untreu werden. Der Beitritt Oesterreichs zu den Verbündeten steht in naher Aussicht. Meine Abreise hängt mit diesem wichtigen Ereignisse eng zusammen. Ich begebe mich auf mein Schloß Ratiborzig, wo sich der Kaiser Alexander, Humboldt. Nesselrode, Hardenberg und Metternich zu einer geheimen Zusammenkunft einfinden wollen, um über die zu treffenden Maßregeln zu berathen. Ich glaube, mich für den Erfolg verbürgen zu können, da ich die Gesinnungen des österreichischen Cabinetes kenne. Eine solche Gelegenheit, den Großen der Erde näher zu treten und die bedeutendsten Ereignisse unmittelbar zu beobachten, wird Ihnen nicht zum zweiten Male geboten werden. Sie können mich begleiten und ich werde Sie selbst Ihrem zukünftigen Berufe unter den glücklichsten Vorzeichen entgegenführen.“

Mit Ihrem bezauberndsten Lächeln wandte sich die Herzogin von dem Dichter zu der übrigen Gesellschaft und ließ ihn in Gedanken versunken zurück. Wohl lockte ihn ihr Anerbieten und die glänzende Aussicht, die sich vor ihm erschloß. Er schwankte, von den verschiedensten Empfindungen hin- und hergetrieben, indem bald sein jugendlicher Ehrgeiz, bald seine patriotische Liebe zu dem Vaterlande die Oberhand gewann. Unentschlossen, wohin er sich wenden sollte, nahm er geräuschlos Abschied von dem auserlesenen Kreise der Herzogin von Kurland. So geheim er auch seinen Rückzug antrat, so wurde er doch von den scharfen, strahlenden Augen der hohen Gönnerin bemerkt.

„Ich rechne,“ flüsterte sie im Vorbeistreifen mit einem viel verheißenden Blicke, „auf Ihre Begleitung nach Ratiborzig.“

Theodor verneigte sich, ohne ihr zu antworten, und stürzte aus dem Salon, dessen schwüle Atmosphäre ihn zu erdrücken drohte. Er befand sich in einer eigenthümlichen Aufregung, in die ihn die Unterhaltung mit der Herzogin versetzt hatte. Eine neue, ihm vollkommen unbekannte Welt hatte sich in verführerischem Lichte vor ihm aufgethan, Schönheit und Ruhm winkten ihm verlockend und füllten seine leicht entzündliche Phantasie mit ihren blendenden Bildern. Er hatte früher nie die Diplomatie und ihre Stellung von dem Standpunkte seiner hohen Freundin angesehen; ihre Ansichten waren so überraschend, ihre Auffassung so originell, daß seine bisherigen Vorurtheile dadurch erschüttert wurden; sie hatte den richtigen Ton angeschlagen, um ihn zu gewinnen, indem sie seine Einbildungskraft in Anspruch nahm, seine Neugierde reizte und den Ehrgeiz, der ihm nicht fehlte, stachelte. Er konnte die ihm gebotenen Vortheile nicht so leicht von der Hand weisen, obgleich eine innere Stimme in seinem Herzen mächtig dagegen sprach und die Erinnerung an seine Waffengefährten ihn wiederum in seinen Entschlüssen irre machte.

Was hätte er jetzt darum gegeben, seinen Vater oder einen Freund, wie Friesen, in der Nähe zu haben, um sich Rath bei ihnen zu erholen, da er sich selber nicht die nöthige Einsicht zutraute!

Von solchen Zweifeln gequält, langte er in seiner Wohnung an, wo ihn seine freundliche Wirthin erwartete. Sie händigte ihm zwei Briefe und ein kleines Paket ein, die so eben mit der Post für ihn angelangt waren, An der Aufschrift erkannte er die Hand seines Vaters und Toni’s Schrift. Schnell erbrach er den Brief der Eltern, von denen er schon längere Zeit ohne Nachricht geblieben war. Das Schreiben war zu seinem Erstaunen aus dem nahen Teplitz adressirt, wohin, wie er erst jetzt erfuhr, sein Vater vor den Nachstellungen der Franzosen geflüchtet war. Man hatte diesem den Eintritt des Sohnes in das preußische Heer und besonders den Anschluß an das Lützow’sche Freicorps zum Verbrechen gemacht, so daß er um seiner Sicherheit willen sich genöthigt sah, das ihm lieb gewordene Dresden heimlich zu verlassen und sein einträgliches Amt aufzugeben. Aus jeder Zeile des Biedermannes sprach sein patriotischer Sinn, sein Eifer für die deutsche Sache, seine Opferfähigkeit und sein Gottvertrauen. Nicht sein Schicksal ging ihm zu Herzen, sondern nur die Noth des Vaterlandes und die Sorge um dessen Befreiung von dem Joche der Unterdrücker. Keine Klage, kein Bedauern seiner Verluste enthielt der Brief; frei von jedem Egoismus freute er sich vielmehr, jetzt ungestört und ungehindert seiner Ueberzeugung leben zu dürfen, nachdem er aus dem ihm unter solchen Verhältnissen zur Last gewordenen sächsischen Staatsdienste geschieden war. Er schloß mit der ernsten Mahnung an den Sohn, bis ans Ende auszuharren und für die Erhebung des Vaterlandes mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft zu wirken. – Die sanfte Mutter hatte eine Einladung beigefügt, worin sie den Wunsch aussprach, ihren Theodor in Teplitz zu sehen und umarmen zu dürfen.

Toni’s Brief war, wie sie selber, gut und lieb; in jedem Worte spiegelte sich ihr kindlich frommer Sinn und ihre innige Zärtlichkeit. Aber noch mehr, als durch ihr Schreiben, wurde Theodor von dem Inhalte des Paketes entzückt, das ihr wohlgetroffenes Bild enthielt. Er stellte es vor sich hin und wurde nicht müde, diese sanften, unschuldigen Züge anzusehen, um die der wehmuthsvolle, milde Schmerz der Trennung von dem Geliebten zu schweben schien. Er konnte sich nicht enthalten, das meisterhaft gelungene Portrait zu küssen, es anzureden und all’ seine Gedanken ihm anzuvertrauen, als wenn Toni selbst zugegen gewesen wäre.

All’ sein Schwanken war nun beseitigt; sein Entschluß stand jetzt fest.

Am andern Morgen schrieb er an die Herzogin und lehnte in höflicher Form ihr wohlgemeintes Anerbieten ab. Zugleich nahm er in seinem Briefe von ihr Abschied, da er sich nicht den Muth zu traute, ihrer Ueberredungskraft zu widerstehen. Seine mütterliche Freundin, Elise von der Recke, suchte er dagegen auf, um ihr für die ihm erzeigte Pflege zu danken.

Noch an demselben Tage reiste er nach Teplitz, wo er seine Eltern fand. Dort ruhte er an dem Herzen seiner Mutter, die ihn, vor Freude weinend, in ihre Arme schloß, während der Vater mit Stolz auf den Sohn blickte, der alle seine Hoffnungen nicht nur erfüllt, sondern noch übertroffen hatte.




VII.

Unterdeß hatten die Zeitereignisse eine immer drohendere Gestalt angenommen; die Aussichten auf einen nahen Frieden waren durch die Prager Conferenz nicht verwirklicht worden, indem die angeknüpften Unterhandlungen vollkommen scheiterten, wie sich dies leicht voraussehen ließ.

Metternich war nach Dresden gereist und hatte daselbst seine berühmte Unterredung mit Napoleon gehabt, Der Kaiser empfing den österreichischen Staatsmann in seinem Arbeitscabinete; er bewohnte den Marcolinischen Palast auf der Brühlschen Terrasse in Dresden. Seine Stimmung war im höchsten Grade eine gereizte und er nahm keinen Anstand, dieselbe offen und ohne Schonung zu zeigen, Von seinen Spionen unterrichtet, war ihm die Zusammenkunft auf dem Schlosse Ratiborzig, wo die Herzogin von Sagan als Wirthin ihrer hohen Gäste Alles durch ihre Anmuth bezauberte, nicht verborgen geblieben. Napoleon trat Metternich mit gerunzelter Stirn und düsterer Laune entgegen. Es gehörte mehr als ein gewöhnlicher Muth dazu, den durchbohrenden Blick seiner blitzenden Augen zu ertragen, vor dem seine muthigsten Marschälle zitterten.

„Sie sind nun hier, Metternich,“ so empfing ihn der Kaiser, „sein Sie willkommen! Wenn Sie aber den Frieden wollen, warum kommen Sie so spät? Wir haben schon einen Monat verloren und Ihre Vermittelung wird schon allein dadurch feindselig, daß sie mit Absicht unthätig scheint. Sie lassen mich neuerdings die größten Anstrengungen machen und rechneten ohne Zweifel nicht auf so schnelle Ereignisse. Der Sieg hat diese kühnen Anstrengungen gekrönt. Ich gewinne zwei Schlachten. Meine Feinde stehen auf dem Punkte, von ihren Täuschungen zurückzukommen; auf einmal schlüpfen Sie zwischen uns hinein. Zu mir sprechen Sie von Waffenstillstand, zu jenen von Allianz, und Alles geht in Verwirrung über. Ohne Ihre unglückliche Dazwischenkunft würde jetzt der Friede zwischen mir und den Verbündeten geschlossen sein. Geben Sie nur zu, seit Oesterreich die Rolle des Vermittlers übernommen hat, steht es nicht mehr auf meiner Seite.“

„Die einzige Absicht,“ entgegnete Metternich würdevoll, „welche Seine Majestät der Kaiser, mein allergnädigster Herr, zu erreichen [552] strebt, ist: den Cabineten Europa’s jenen Geist der Mäßigung und Achtung vor den Rechten und dem Besitze der unabhängigen Staaten einzuflößen, von dem er selbst beseelt ist. Oesterreich wünscht eine Ordnung der Dinge, die vermöge einer weisen Vertheilung der Macht die Bürgschaft des Friedens unter die Aegide einer Verbindung unabhängiger Staaten setzt.“

„Sprechen Sie deutlicher,“ unterbrach ihn Napoleon, „und kommen wir zum Ziele; aber vergessen Sie nicht, daß ich Soldat bin, der lieber den Handel abbricht, als sich unter das Joch beugt. Ich habe Ihnen Illyrien angeboten, damit Sie neutral bleiben; genügt Ihnen das? Meine Armee reicht vollkommen hin, die Russen und Preußen zur Raison zu bringen, was ich von Ihnen verlange, ist Ihre Neutralität.“

Der Kaiser, welcher eine zustimmende Antwort erwartete, richtete seine Blicke fragend auf Metternich, dieser aber schwieg. Da regte sich in Napoleon die vulcanische Natur des geborenen Corsen, seine Lippen zuckten von der inneren Bewegung, seine marmorkalten Züge verzerrten sich und seine Augen schossen ihre Blitze auf den ruhigen Diplomaten. Mit hastigen Schritten, die Hände, in denen er den bekannten dreieckigen Hut hielt, auf dem Rücken, stürmte er durch das Cabinet in das benachbarte Zimmer, wo die Karten und Pläne aufbewahrt wurden. Metternich blieb an seiner Seite und suchte den Aufgebrachten zu besänftigen, indem er ihn von der Nothwendigkeit überzeugen wollte, von französischer Seite für den Frieden der Welt die geforderten Opfer zu bringen.

„Wie?“ schrie Napoleon mit erhobener Stimme, „nicht blos Illyrien? auch die Rückkehr des Papstes nach Rom! und Polen und das Aufgeben von Spanien! und Holland, den Rheinbund und die Schweiz! Das nennt Ihr also den Geist der Mäßigung, der Euch beseelt? Mit einem Federzuge vermeint Ihr, die Wälle von Danzig, Küstrin, Glogau, Magdeburg, Wesel, Mainz, Antwerpen, Alessandria, Mantua, der stärksten Festungen in Europa, fallen zu machen, deren Schlüssel ich mir durch wiederholte Siege erobert habe? Und ich, gehorsam Euerer Politik, soll Europa, das ich noch zur Hälfte besetzt halte, räumen, meine Legionen mit gesenktem Gewehr hinter den Rhein, die Alpen, die Pyrenäen zurückführen, einen Vertrag unterschreiben, der nur eine riesenhafte Capitulation wäre, und mich wegen einer unsicheren Zukunft auf den Edelmuth derjenigen verlassen, deren Sieger ich heute bin? Zu einer Zeit, wo meine Fahnen noch an den Mündungen der Welchsel, an den Ufern der Donau wehen, wo meine Armee triumphirend an den Thoren von Berlin und Breslau steht, wo ich selbst an der Spitze von dreimalhunderttausend Mann mich hier befinde, schmeichelt sich Oesterreich, mich zu veranlassen, solche Bedingungen zu unterzeichnen? Ohne den Degen zu ziehen – eine solche Zumuthung ist Beschimpfung. Hat Sie mein Schwiegervater hierher geschickt? In welche Stellung will er mich gegenüber dem französischen Volke bringen?“

Plötzlich, wie von einem neuen Gedanken ergriffen, wandte er sich mit kaltem Hohn an den österreichischen Staatsmann mit der verletzenden Frage:

„Ei, Metternich, wie viel hat England Ihnen geboten, um gegen mich eine solche Rolle zu spielen?“

Den schwer Beleidigten verließ seine gewohnte Ruhe und Fassung nicht, nur eine schnell vorübergehende Blässe verrieth den Schmerz über die ihm widerfahrene Kränkung, die er nicht verdient zu haben glaubte. Im Eifer des Gesprächs hatte Napoleon, ob aus Zufall oder mit Absicht, mag unentschieden bleiben, den kleinen welthistorischen Hut auf den Boden fallen lassen. Beide bemerkten diesen Zwischenfall und der Kaiser schien zu erwarten, daß der Diplomat sich beeilen würde, diese Kopfbedeckung aufzuheben und ihm zu überreichen. Vielleicht wollte er an diese unbedeutende Dienstleistung seinen Dank anknüpfen und den Uebergang zu einer Versöhnung und zu einer milderen Sprache finden. Es war ein entscheidender Moment und das Schicksal der Welt ruhte jetzt auf diesem kleinen Hute, der so ruhig am Boden lag.

Stillschweigend und voll Erwartung ging der Kaiser auf der entgegengesetzten Seite, während er Metternich geschickt in die Nähe des Hutes zu bringen wußte. Dieser schritt aber, indem er that, als ob er ihn nicht bemerkte, mit noch größerer Geschicklichkeit darüber hin. Der Abgesandte Oesterreich’s bückte sich nicht.

Zornig biß Napoleon mit knirschenden Zähnen sich auf die bleichen Lippen; dann machte er eine verabschiedende Bewegung, welche Metternich benutzte, um sich zurückzuziehen.

Der Krieg war somit erklärt. Oesterreich’s Beitritt zu der Sache der Verbündeten gesichert.

Am zehnten August verkündigten die Glocken des Rathhauses zu Prag und der Hauptpfarrkirche im Thein langsam die mitternächtige Stunde, denen die Glocken des alten, herrlichen Doms zu St. Veit auf dem Hradschin mit zwölf feierlichen Schlägen antworteten; es war das letzte Stündlein, welches den Friedenshoffnungen jetzt hier geschlagen hatte. – Zu derselben Zeit in später Nacht erließen die Bevollmächtigten von Preußen und Rußland ihre Abschieds-Noten, welche am anderen Morgen Metternich mit einem Schreiber an die französischen Gesandten, den Herzog von Vicenza und den Minister Narbonne, abgehen ließ.

Es war der Absagebrief Oesterreichs an Napoleon, welchem die Kriegserklärung auf dem Fuße folgte, deren Verfasser der bekannte Schriftsteller Gentz, ein geborener Preuße, war.

Theodor jubelte, als er die Nachricht in Teplitz erhielt; er riß sich aus dén Armen seiner Eltern und der einzigen Schwester, die er überaus zärtlich liebte.

„Geh’ mit Gott,“ sagte der würdige Vater beim Abschiede. „Thue Deine Pflicht, schone nicht Dein Leben, wo es gilt, aber setze Dich auch nicht unnöthig der Gefahr aus. Der Himmel segne Dich und Dein Thun.“

Schmerzlicher war die Trennung von der zärtlichen Mutter, die ihren eben erst dem Tode entronnenen Sohn wieder in den Kampf ziehen sah; sie vermochte nicht, die Thränen zu unterdrücken; immer von Neuem umarmte sie den Sohn und hielt ihn fest, als könnte sie nicht von ihm lassen. Auch seine Schwester Emma warf sich schluchzend an seine Brust.

„Wenn Du stirbst, so werde ich Dich nicht lange überleben,“ sagte sie, von plötzlichen Todesahnungen erfaßt.

„Du bist eine kleine Thörin,“ schalt der Bruder, seine eigene Rührung gewaltsam unterdrückend. „Der Krieg kann nicht lange dauern und ich werde mit Gottes Hülfe als Sieger zu Euch zurückkehren und meine Emma wohl dann als die Braut eines wackern Mannes wiederfinden. Oder ich bringe Dir den Bräutigam mit. Mein Freund, der wackere Friesen, der Dich nur aus Deinen Briefen an mich kennt, liebt Dich schon, ohne Dich gesehen zu haben. Soll ich ihn von Dir grüßen?“

„Grüße ihn; als Dein Freund ist auch er mir durch Deine Schilderung werth geworden,“ entgegnete die Jungfrau mit sanftem Erröthen.

„O, wenn Du ihn erst kennen lernen wirst, er wird Dir schon gefallen! Er ist der schönste Mann, den ich gesehen habe, schön, wie ein Apoll, und tapfer, wie Achill. Ihr Beide sollt und müßt ein Paar werden.“

So scherzte Theodor in der Abschiedsstunde, den eigenen Schmerz verbergend und die Seinigen aufrichtend. Doch es bedurfte dessen kaum, denn seine Familie besaß den besten Schutz in ihrem tiefen religiösen Gefühl und in ihrer Liebe zu dem Vaterlande, dem sie mit freudigem Herzen jedes Opfer und selbst das höchste brachten. In jenen denkwürdigen Tagen waren die Gemüther Aller von dem gleichen Geiste der Hingebung und des Gottvertrauens erfüllt; der patriotische Sinn war in der ganzen Nation erwacht und bewirkte wahrhafte Wunder. Jünglinge wurden zu Helden und Mütter sahen mit Stolz auf ihre Söhne, die sich freudig in den Kampf stürzten; schwache Frauen dachten und handelten, wie die gepriesenen Weiber Sparta’s und Roms, mit antikem Sinne den Verlust der theuersten Kinder tragend. Alle kleinlichen und egoistischen Gedanken schwanden vor der einen großen Idee, welche alle Herzen höher schlagen ließ.

Es war eine große und schöne Zeit der Erhebung, Prüfung und Läuterung.

Noch einmal kniete Theodor vor seine Mutter hin und bat um ihren Segen.

„Gott mit Dir und unserem Vaterlande,“ flüsterte sie mit bebender Stimme.

Ihre Augen leuchteten in überirdischem Glanze, sie weinte nicht mehr, sondern blickte mit begeisterter Zuversicht zu dem Himmel empor, in dessen Schutz sie ihren Liebling empfahl.

Erschüttert richtete sich der Sohn empor und drückte noch einen innigen Kuß auf ihre bleichen Lippen, dann reichte er dem Vater und der Schwester seine Hände und stürzte durch die Thür nach dem Wagen, der ihn unten erwartete. Sein nächstes Reiseziel waren Breslau und Berlin, von wo er zu seinem Corps zu stoßen [553] gedachte. Unterwegs hielt er sich noch einige Tage bei Bekannten und Freunden in Schlesien auf. Wohin er kam, fand er die wärmste und liebevollste Aufnahme; seine Kriegslieder hatten seinen Namen schnell berühmt gemacht, weit berühmter, als seine Dramen; sie lebten im Munde des Volkes. Wo er einem Trupp junger Rekruten, welche zu den Fahnen eilten, begegnete, wo er mit Patrioten zusammentraf, wurden sie ihm entgegengesungen. Er selbst hatte keine Ahnung gehabt von ihrer Verbreitung und der Wirkung dieser Schlachtengesänge. Es war nicht Eitelkeit, was ihn bei dieser Gelegenheit ergriff, sondern das Bewußtsein, auch seinerseits den Geist der Nation zur That geweckt zu haben.

Das machte ihn so froh, wie er schon lange nicht gewesen. Darum bedauerte er auch nicht, daß er die wohlgemeinten Anerbietungen der Herzogin zurückgewiesen.

„Gott hat mir,“ sagte er sich selber, „die Leyer und das Schwert gegeben, ich will sie Beide nach meinen Kräften gebrauchen. Mögen Andere auf einem anderen Boden wirken; ich habe mein Theil vom Himmel erhalten und bin damit zufrieden.“



VIII.

Bei Aufkündigung des Waffenstillstandes stand die Lützow’sche Freischaar nebst der russisch-deutschen, so wie der hanseatischen Legion und einigen englischen Hülfstruppen unter General von Wallmoden auf dem rechten Elbufer oberhalb Hamburg. Körner’s Ankunft wurde im ganzen Lager wie ein glückliches Ereigniß gefeiert.

„Hol’ mir der Teufel,“ schrie der alte Rittmeister Fischer mit dem langen Barte. „Unser Poete ist wieder da. Ich hab’ schon geglaubt, daß ihn der Henker geholt hat. Nun wird man doch wieder ein vernünftiges Lied hören.“

Die alten Waffengenossen umringten ihn und Friesen schloß den Freund mit inniger Herzlichkeit in seine Arme.

„Das ist brav von Dir,“ sagte er, „daß Du gekommen bist. Wir hielten Dich schon für verloren. Wir müssen Deine glückliche Wiederkehr feiern.“

„Das wollen wir,“ bekräftigten die Uebrigen.

Schnell wurde der Feldkessel herbeigeschleppt und darunter ein tüchtiges Feuer angezündet. Die Marketenderin Gustel von Blasewitz lieferte mehrere Flaschen Wein und Rum, die zu einem trefflichen Punsch gemischt wurden. Bald dampfte das liebliche Getränk in den Gläsern.

„Auf das Wohl des Freundes!“ rief der ehrliche Friesen, „er lebe hoch!“

„Er lebe hoch!“ wiederholte der fröhliche Chor mit klirrenden Gläsern.

„Auf einen frischen Kampf und einen seligen Reitertod!“ stieß Körner an. Alle erhoben sich und tranken ihre Gläser aus.

„Jetzt aber,“ mahnte Friesen, „mußt Du uns erzählen, wie es Dir ergangen und wie Du gerettet worden bist.“

Gern erfüllte Theodor den Wunsch der Freunde, und berichtete seine Abenteuer, worauf auch die Cameraden ihre Erlebnisse zum Besten gaben. Eine Geschichte knüpfte sich an die andere, ein Abenteuer an das andere. Die Thaten der kleinen Heldenschaar boten einen reichen Stoff, werth, der Vergessenheit entrissen zu werden. – Als der Major Lützow sein Pferd im Kampfe verloren hatte und in Gefahr stand, gefangen zu werden, bahnten sich seine Getreuen den Weg zu ihm, und hieben ihn wieder aus dem dichtesten Gedränge der Feinde heraus. Der Husar Gebhard stieg von seinem Pferde, und bat den Führer inständigst, sich desselben zu bedienen, indem er statt seiner sich zum Gefangenen machen ließ. Doch das war nicht der einzige Beweis von edler Selbstaufopferung. Der tapfere Friesen kämpfte wie ein Löwe gegen eine ganze Schaar und schlug sich heldenmüthig durch. Da erblickte er in seiner Nähe einen verwundeten Cameraden; mit Riesenkraft hob er ihn vom Boden auf und trug ihn auf seinen Armen in Sicherheit, während er unablässig verfolgt wurde und sein Leben bedroht war.

[554] „Und Euch habe ich verlassen sollen!“ sagte Theodor ergriffen. „Nein, ich bleibe bei Euch, und würden mir alle Ehren und Schätze der Welt geboten!“

Das Feuer war dem Erlöschen nahe, der Kessel mit dem Punsch bis auf die letzte Neige geleert. Die meisten Cameraden hatten sich müde in ihre Mäntel gehüllt, und überließen sich jetzt dem Schlafe; nur Theodor und Friesen blieben noch wach, und tauschten ihre Gedanken und Gefühle aus.

„Meine Schwester läßt Dich auch grüßen,“ sagte Körner. „Sie schätzt und verehrt Dich. Es ist ein gar liebes Mädchen, das Du kennen lernen wirst.“

„Wenn sie Dir ähnlich ist, so werde ich sie lieben, wie ich Dich liebe.“

„Wenn erst Friede ist, so ziehst Du mit mir. Dann mache ich Hochzeit mit meiner Toni. Du sollst mein Brautführer sein, wir werden in Wien und Dresden herrliche Tage verleben. Meine Eltern wünschen, daß ich sogleich nach beendetem Kriege auf einige Zeit unsere Weinbergsvilla in Loschwitz beziehe, wo Schiller seinen Don Carlos gedichtet hat. Vielleicht ist mir die Muse dort so günstig, wie sie ihm gewesen.“

So ergingen sich die Freunde in anmuthigen Aussichten und Hoffnungen. Die Zukunft lag vor ihnen ausgebreitet, wie ein lachendes Gefilde, und sie vergaßen darüber die Gefahren der Gegenwart und die Nähe des Feindes.

Rings umher herrschte die tiefste Stille, kaum durch das Wiehern eines losgebundenen Pferdes, oder durch den Ruf der Wachtposten aus der Ferne unterbrochen. Der Abendwind säuselte durch die Bäume und sang sein Schlummerlied, am blauen Himmel stand der sanfte Mond, und die goldnen Sterne schauten wie treue Augen auf die Schläfer nieder.

Endlich wurden auch die Freunde von der Müdigkeit überwältigt, und schlossen ihre Augen, vor denen der Gott der Träume seine reizendsten Erscheinungen vorüberschweben ließ.

Als der Morgen graute und das Signalhorn tönte, sprangen die Krieger von ihrem einfachen Lager auf. Ein reges Leben, ein frisches Getümmel begann an allen Ecken und Enden. Hier kroch ein bärtiger Kosak unter dem Bauche seines treuen Pferdes hervor, das ihm zum schirmenden Dach gedient, und rieb sich den Schlaf aus den funkelnden Katzenaugen; dort wischte ein tyroler Scharfschütz den gefallenen Nachtthau von seiner Büchse ab, während ein Engländer sein Theewasser mit der seiner Nation eigenen Ruhe zum Kochen brachte, als ob man mitten im tiefsten Frieden lebte. Adjutanten sprengten heran, und brachten den Befehl zum Aufbruch, Officiere bemühten sich, ihre Abtheilungen zu sammeln und Ordnung in das Chaos zu bringen, was trotz der militairischen Disciplin bei diesen aus den verschiedensten Nationalitäten und Ständen zusammengesetzten Truppen keine leichte Aufgabe war.

Der französische General Davoust, welcher von dänischen Hülfstruppen bedeutend verstärkt worden war, bedrohte von Hamburg aus das nördliche Deutschland. Wallmoden, der ihm gegenüber stand, hatte den Befehl erhalten, nur mit Zurücklassung einer Brigade und der leichten Truppen unter Tettenborn, mit dem übrigen Theile seines Armeecorps ungesäumt nach Brandenburg aufzubrechen. Es kam jetzt Alles darauf an, den Franzosen den Abzug Wallmodens und die Stärke und Zahl der ihnen noch gegenüberstehenden Truppen zu verbergen. Dazu eigneten sich vorzugsweise die Kosaken und das Lützow’sche Freicorps, dessen Aufgabe es war, bald hier. bald da unerwartet hervorzubrechen, den Feind bei Tag und Nacht zu beunruhigen, seine Verbindungen zu unterbrechen, seine Zufuhren und Couriere aufzufangen.

An diesem Morgen hatte der Major Lützow einen Streifzug mit zweihundert Reitern angeordnet, dem sich eine kleine Abtheilung tyroler Schützen und Jäger anschloß. Mit fröhlichem Gesange brach die kriegerische Schaar auf, in Erwartung, sich mit dem Feinde zu messen, Theodor und sein Freund Friesen waren bei der Partie und ritten neben einander, in ihrer Nähe der alte Rittmeister Fischer, der aus seiner kurzen Thonpfeife dampfte, stets bereit, dieselbe mit dem Säbel zu vertauschen. – Es war ein herrlicher Morgen; der Thau funkelte im Grase, und die Waffen der Reiter glänzten, von der Sonne angestrahlt. Die Pferde wieherten vor Lust und die Hörner mischten ihre schmetternden Klänge in das Lied der Sänger. Von der Poesie des Kampfes begeistert, dachte Theodor einem neuen Gedichte nach. Wie die Schwerter klangen, weckte der muthige Ton das Echo in seiner Brust.

„Ich wette,“ sagte Friesen, der den Freund schon kannte, „Du denkst an ein neues Lied.“

„Das Ding,“ entgegnete Körner, „ist noch nicht fertig, aber im Kopfe hab’ ich’s schon zurechtgelegt; auch etwas Melodie dazu summt mir im Kopf herum; sobald wir absitzen und zur Ruhe kommen, will ich es aufschreiben und Dir zeigen.“

In der Nähe eines Gehölzes unweit Rosenhagen, rechts der Straße von Gadebusch nach Schwerin, ließ Lützow seine Leute absitzen. Der Tag verging, ohne daß der Feind sich zeigte. Der Führer traf die nöthigen Anordnungen, und stellte an verschiedenen Stellen Wachtposten aus. Friesen erhielt den Auftrag, eine kleine Anhöhe zu besetzen, weshalb die Freunde von einander Abschied nehmen mußten. Von einer wunderbaren Ahnung ergriffen, zeigte der sonst so ruhige Friesen eine an ihm früher nie bemerkte Wehmuth. Er drückte Theodor wiederholt an seine Brust, und schloß ihn fast krampfhaft fest in seine Arme, als ob dies seine letzte Umarmung sein sollte.

„Was fehlt Dir?“ fragte dieser, über die ungewohnte Aufregung des Freundes erstaunt.

„Ich weiß es selber nicht,“ entgegnete jener, „aber unwillkürlich kommt mir der Gedanke, als sollten wir uns nicht wiedersehen, als müßte Einer von uns Beiden sterben.“

„Sei kein Thor! Was fällt Dir ein? Seit sie mich bei Kitzen gezeichnet haben, wo ich wirklich vermeinte, daß es aus mit mir sei, kommt mir nichts mehr an; seitdem bin ich stich- und kugelfest. Also nichts mehr davon; hab’ guten Muth und laß uns auf dergleichen furchtsame Einbildungen nicht achten. Leb wohl!“

So schieden sie; Körner blieb allein zurück, und begab sich in das Hauptquartier, welches sich in einer nahe gelegenen Mühle befand. Nachdem ihm Lützow, dessen Adjutant er war, noch einige Befehle für den nächsten Tag ertheilt, zog er sich auf sein Lager zurück, wo er sich mit dem Gedichte beschäftigte, das er in seine Brieftasche niederschrieb.

Es war das bekannte Schwertlied, welches er wenige Stunden vor seinem Tode dichtete.

Als der Morgen graute, hatte er es beendet, und leise sang er vor sich hin, während er sein eigenes Schwert anschaute:

„Du Schwert an meiner Linken,
Was soll dein heitres Blinken?
Schaust mich so freundlich an,
Hab’ meine Freude dran.
 Hurrah!“

Er zog die blitzende Klinge blank, und stieß sie wieder in die Scheide, daß sie laut erklang und mit ihrem freudigen Klirren zu antworten schien:

„Mich trägt ein wack’rer Reiter,
Drum blink’ ich auch so heiter,
Bin freien Mannes Wehr;
Das freut dem Schwerte sehr.
 Hurrah!“

In seinem poetischen Ergusse wurde er durch die Meldung des Wachtpostens unterbrochen, der die Ankunft eines feindlichen Wagenzuges unter dem Schutze einer starken Infanterieabtheilung anzeigte.

„Aufsitzen!“ befahl Major Lützow.

Die Kosaken erhielten den Auftrag, durch einen stürmischen Angriff den Transport aufzuhalten, während das Lützow’sche Corps der Bedeckung den Rückzug abschneiden sollte. Mit eingelegten Lanzen brachen die Steppenreiter auf ihren kleinen Pferden unter lautem Hurrahruf hervor, und warfen sich mit wildem Ungestüm auf den Zug. Die Bauern, welche die Wagen führten, hieben bei dem Anblick der gefürchteten Kosaken aus Leibeskräften auf ihre Pferde, um so schnell als möglich aus dem Bereiche des Gefechtes zu kommen. Die zum Schutz des Transportes beigegebenen Infanteristen des Feindes hielten sich meist an den Wagen und Pferden an, um das nahe liegende Gehölz zu erreichen, Andere warfen sich in die Gräben zur Seite der Straße und feuerten auf die Lützow’schen Krieger. Diese setzten zunächst den Wagen nach, die bald eingeholt und genommen wurden; weit ernster war jedoch der Widerstand der französischen Tirailleurs, die, in Büschen und Gräben versteckt, gegen die Reiter ein wirksames Feuer eröffneten und ihnen bedeutenden Schaden zufügten. Dabei gebrauchte der Feind noch die List, daß er scheinbar Pardon annahm und, wenn die Lützower heranritten, um dem Gefangenen das Gewehr abzunehmen, es in unmittelbarer Nähe abfeuerten. – Darüber ergrimmte der Rittmeister [555] Fischer, dem es ähnlich erging. Ein windiger Franzose, dem er schon Pardon gegeben, sprang, ehe der Alte ihn daran hindern konnte, wieder zurück, ergriff sein hingeworfenes Gewehr, womit er einen wohlgezielten Schuß abfeuerte, der glücklicher Weise nur den Czako durchbohre. Durch den Graben gedeckt, suchte ihm der Franzose eiligst zu entkommen, aber der grimmige Fischer verstand keinen Scherz; er blieb ihm zur Seite, und rief mit seiner gewaltigen Stentorstimme einigen am Waldrande im Anschlage liegenden Jägern zu:

„Nicht schießen! Tyroler, haltet mir den Musje!“

Zwei handfeste Tyroler sprangen auf, und jagten dem flüchtigen Franzosen nach, den sie bald ergriffen und fest nahmen; gelassen und langsam, als handelte es sich um die gleichgültigste Sache von der Welt, ritt der Alte heran, nur sein graues blitzendes Auge verkündigte die innere Wuth. Mit einem einzigen Hiebe spaltete er dem mordlustigen Feinde den Kopf in zwei Hälften, worauf er eben so ruhig, als wäre nichts geschehen, den blutigen Säbel abwischte, und einen gewaltigen Zug aus seiner gefüllten Korbflasche that.

In diesem Augenblick sprengte Körner herbei; er war Zeuge der eben vollstreckten Execution und wie der Rittmeister voll der höchsten Entrüstung über die Hinterlist der feindlichen Soldaten.

„Die Halunken!“ rief er empört, „Wer ein braver Camerad ist, folge mir!“

Das ließen sich die Lützower nicht zum zweiten Male sagen, obgleich der alte Fischer vergeblich abmahnte und, als die Freiwilligen nicht hören wollten, hinterdrein fluchte und wetterte, wie es einmal seine Art war. Mehrmals ließ der Rittmeister Appell blasen, um die Hitzköpfe von dem gefährlichen Unternehmen abzubringen, aber ihre Erbitterung führte sie nur immer weiter. Wie die Windsbraut stürmten sie einher, Allen voran aber Theodor auf seinem Schimmel, gleich einem jungen Schlachtengott. Leise sang er das am Morgen erst vollendete Gedicht:

„Wohlauf, ihr kecken Streiter,
Wohlauf, ihr deutschen Reiter!
Wird euch das Herz nicht warm,
Nehmt’s Liebchen in den Arm.
 Hurrah!“

„Hurrah!“ jauchzten die kecken Reiter, und dahin brauste die wilde verwegene Jagd am Saume des Waldes. Die Schwerter glänzten im Sonnenlicht und klirrten die wilde Melodie zu dem letzten Liede des Dichters, zu seinem Schwanengesange.

Es wurden mehrere Gefangene gemacht, allein die Reiter waren in dem Gehölze zu sehr im Nachtheile gegen die feindlichen Tirailleurs, welche im Gebüsch und hinter den Baumstämmen versteckt lagen, und aus sicherem Verstecke schossen. Ihre Kugeln waren vorzugsweise auf den kühnen Reiter gerichtet, der auf leuchtendem Schimmel den Andern vorausritt, um den Feind aus seiner Stellung zu vertreiben.

„Hurrah!“ rief er noch einmal, seinem schäumenden Pferde die Sporen einsetzend.

Da fiel aus dem Dickicht ein Schuß. Die Kugel pfiff, die Kugel traf in das Herz, das so glühend für die Freiheit geschlagen. Körner sank zu Tode verwundet von seinem Roß, und sein Blut färbte roth die grüne Haide von Rosenhagen.

Die Freunde, welche ihn fallen sahen, eilten sogleich herbei, und während der Oberjäger Helfritz den Verwundeten aufzurichten sich bemühete, rächten die Andern seinen Tod, so daß keiner der Feinde entkam. Noch einmal schlug Theodor die blitzenden blauen Augen auf.

„Es wird wohl nichts zu bedeuten haben,“ suchte er die Cameraden noch im Sterben zu beruhigen. Bald darauf hauchte er mit einem letzten „Lebt wohl!“ die Heldenseele aus.

Er starb den schönen seligen Reitertod, den er sich oft gewünscht.




IX.

Der Kampf war vorüber, die Leichen der Gefallenen wurden von den Cameraden aufgehoben, um sie feierlich zu beerdigen.

Ein Schmerzensschrei ging durch die ganze Schaar bei der Nachricht, daß auch Körner gefallen, der der Liebling Aller war.

Der alte Rittmeister suchte seinen Schmerz in lauten Flüchen zu verbergen.

„Ich wollte,“ rief er grimmig aus, „daß Euch Freiwilligen alle der Teufel hole. Lieber die feigsten Hundsfötter commandiren, als solche Bramarbasse, die nicht darauf hören, wenn ich Appell blasen lasse!“ Dabei aber rannen ihm die Thränen über den schwarzen Bart und ein schwerer Seufzer entrang sich seiner Brust.

Körners Leichnam wurde in ein der Landstraße zunächst gelegenes Bauernhaus gebracht, in dem Dorfe Wöbbelin. Die Aerzte untersuchten die Wunde, und gaben wenigstens den leidigen Trost, daß die Kugel ihn auf der Stelle getödtet haben müsse, da sie unter der Herzgrube bis in das Rückenmark gedrungen sei. Friesen eilte sogleich mit einigen Freunden und Landsleuten herbei, um eine Grabstätte auszuwählen, und für eine angemessene Leichenfeier Sorge zu tragen.

Sein Schmerz war namenlos. Weinend sank er neben dem todten Waffenbruder nieder.

„Ich folge Dir!“ rief er, überzeugt von seinem nahen Ende. „Droben werden wir uns wiedersehen.“

Er hatte nur zu wahr gesprochen; ein Jahr später vereinigte ihn eine mörderische Kugel auf französischem Boden mit dem Freunde.

Zwei Schreiner von der Compagnie, bei welcher Theodor gestanden, beschäftigten sich, den Sarg für ihren Lieutenant zu zimmern. In dem Bauernhofe waren unterdeß andere Freunde thätig, Kränze von Eichenlaub für den Gefallenen zu winden und ein Paradebett aufzubauen, auf welches der Sarg gestellt werden sollte.

Noch einmal begab sich Friesen in das Kämmerlein, wo der entseelte Freund auf Stroh gebettet lag. Er kniete an seiner Seite hin und sprach ein kurzes, inniges Gebet bei der Leiche. Die hereintretenden Cameraden unterbrachen ihn und erinnerten daran, daß man für die unglücklichen Eltern die Brieftasche aufbewahren möge. In ihr fand sich das mit Bleistift flüchtig geschriebene „Schwertlied,“ sein letztes Vermächtniß. Um den Hals hing das goldene Amulet, welches ihm Toni beim Abschied umgebunden hatte; es war nicht im Stande gewesen, ihn zu beschützen. Das Amulet und einen kleinen goldenen Ring mit einem thränenhellen Demant übernahm ein Freund, um Beides der armen Braut einzuhändigen.

Das Haupt mit einem grünen Eichenkranz geschmückt, wurde Körner in den Sarg gebettet; so lag er da, ruhig mit gefalteten Händen, als ob er schlummerte. Sein edles Gesicht war durch keinen Schmerzenszug, durch keine Verzerrung entstellt, die Verklärung der jenseitigen Seligkeit schien bereits auf seinen schönen Zügen zu ruhen, der Tod hatte seine Macht verloren, die Unsterblichkeit breitete schützend ihre Schwingen selbst über seine Leiche.

Mit gedämpftem Trommelschlage wurde er zu der Ruhestätte getragen, welche die Cameraden mit ihren eigenen Händen für ihn gegraben. Daneben waren größere Gruben zur Aufnahme der mit ihm in demselben Gefechte Gefallenen. Wegen der Nähe des Feindes hatte General Wallmoden eine Ehrensalve aus Geschütz und Gewehr untersagt; aber nicht stumm und lautlos wurde der junge Held bestattet.

Aus den Reihen der Cameraden trat noch einmal der edle Friesen hervor und entbloßte sein Haupt; Alle folgten seinem Beispiele, worauf er mit bebender Stimme das von Theodor gedichtete Gebet sprach:

 „Vater, ich rufe Dich!
Brüllend umwölkt mich der Dampf der Geschütze,
Sprühend umzucken mich rasselnde Blitze.
Lenker der Schlachten, ich rufe Dich!
 Vater, Du führe mich!“

Kein Auge blieb thränenleer, jedes Herz war erschüttert, und die Nähe Gottes that sich diesen rauhen Kriegern kund.

 „Gott, Dir ergeb' ich mich!
Wenn mich die Donner des Todes begrüßen,
Wenn meine Adern geöffnet fließen:
Dir, mein Gott, Dir ergeb' ich mich!
 Vater, ich rufe Dich!“

Leise wiederholten die Cameraden den letzten Vers voll Ergebung in den göttlichen Willen.

Der Sarg war herabgelassen und die Schollen, welche die Hand der Freunde darauf warf, wölbten sich schnell zum Hügel, über den eine alte mächtige Eiche emporstieg. Sein Körper war der Erde zurückgegeben, aber sein Geist schwang sich empor zur himmlischen Heimath. Körner lebte noch bei seinen Cameraden, wie er stets im Munde seiner Nation und einer begeisterten Jugend leben wird. Schon an seinem Grabe wurde es offenbar, denn wie aus einem Munde ertönte mit einem Male:

[556]

Wer scheidet dort röchelnd vom Sonnenlicht,
Unter winselnden Feinden gebettet?
Es zuckt der Tod auf dem Angesicht,
Doch die wackern Herzen erzittern nicht;
Das Vaterland ist ja gerettet!
Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt:
Das war Lützow’s wilde verwegene Jagd.

Die wilde Jagd und die deutsche Jagd
Auf Henkersblut und Tyrannen!
Drum, die ihr uns liebt, nicht geweint und geklagt;
Das Land ist ja frei, und der Morgen tagt,
Wenn wir’s auch nur sterbend gewannen!
Und von Enkeln zu Enkeln sei’s nachgesagt:
Das war Lützow’s wilde verwegene Jagd.




Die deutschen Freiheitskriege waren geschlagen, Napoleon besiegt, und die Verbündeten glücklich aus dem unterworfenen Paris zurückgekehrt. Die alte Eiche bei Wöbbelin, unter der der Dichter schlummerte, grünte wieder, denn es war zur schönen Sommerzeit.

Neben Theodor’s Grabe hatte sich ein zweites erhoben; darin ruhte an seiner Seite die treue Schwester, welche ihm schon nach einem Jahre gefolgt war, und neben ihm zu ruhen wünschte. Ein Rasen deckte die zärtlichen Geschwister; an dem gemeinschaftlichen Hügel knieten zwei Frauen in schwarzer Trauer, neben ihnen ein ältlicher Herr von würdigem Aussehen mit zahlreichen Orden geschmückt.

Es waren Körner’s Eltern und seine Braut, welche der Bühne entsagt hatte, und in der Familie ihres Verlobten gleich einer Tochter lebte.

Der Jahrestag von Theodor’s Tode wurde von ihnen hier still gefeiert; sie klagten nicht, obgleich ihr Schmerz ewig blieb. Nach einem stillen Gebete zog Körner’s Vater ein Blatt heraus, und las folgende Stelle den bewegten Frauen aus einer Rede vor, welche der Dichter Immermann zum Fest der Freiwilligen in Köln gehalten hatte: „Ist der alte Blücher,“ so lauteten die Worte, „der erdgeborene Muth, die erfolgbringende Thatkraft, so tritt in einem andern Kreise eine nach außen hin mit solchen Wirkungen nicht vergleichbare, innerlich aber eben so bedeutende Potenz jenes Kampfes besonders hervor. Die Jugend und Frische des deutschen Gesammtlebens war in seinen zartesten Nerven von der fremden Ueberziehung angetastet worden, deutsches Denken, Sinnen und Dichten stand in Gefahr, mit der heimischen Sprache den fremden Lauten und dargeliehenen, oft aufgedrungenen Geistesformen weichen zu müssen. Deshalb kämpfte die Blüthe der Jugend aus dem Hörsaal, der Kirche, dem Lehrstuhl, der Gerichtshalle so begeistert mit; diese Jugend fühlte, daß das ganze Erbe unserer großen geistigen Ahnen und die Zukunft des Geistes, welche ihr anheim fallen sollte, auf dem Spiele stehe. Der Athem dieser Jugend durchdrang erfrischend das Heer; überall hin waren ihre Sprossen gepflanzt, nirgends aber stand der junge grüne Hain so dicht, als in der Lützow’schen Freischaar. Hier war der Student der Nebenmann des Professors; Aerzte, Künstler, Lehrer, Geistliche, Naturforscher, ausgezeichnete, zum Theil schon hochgestellte Staatsbeamte aus allen Gauen Deutschlands waren an die Jagercompagnien und Schwadronen, deren Masse aus tüchtigen Handwerksgesellen und Bauernburschen bestand, vertheilt, welche zum Zeichen, daß alle Farben des deutschen Lebens erst wieder aufblühen sollten, das farblose Schwarz trugen. – Die Lützow’sche Freischaar war die Poesie des Heeres, und so hat denn auch der Dichter des Kampfes, Theodor Körner, in ihren Reihen gesungen, gefochten und vollendet. Von ihm kann man sagen, was Wallenstein von Max sagt:

 „Sein Leben
Liegt faltenlos und leuchtend ausgebreitet.“

„Ein schönes, beneidenswerthes Leben! Indem er den Kriegsrock anzieht, streift er alles Schwache, Nachgeahmte seiner ersten Versuche ab; er ist ein Anderer geworden. Von Feldwacht zu Feldwacht, von Gefecht zu Gefecht quellen ihm Lieder zu, eigne, unnachgeahmte, unnachahmbare, welche die Nation zu ihren Schätzen stellt, er dichtet sein „Schwertlied“, einen der höchsten Laute unserer Sprache; da werben schon die Trompeten. Er wirft den Stift weg, und ergreift die Eisenbraut, welche er eben besungen; in der Fülle dieser Wonne, auf dem Gipfel solchen Glückes tritt ihn der Tod an rasch, ohne daß er sein Antlitz gesehen hat, und die Brüder geben ihm den letzten Gruß in die erkämpfte Gruft. Er fehlt im Siegesheimzuge, aber er ruht, wie er gehofft, in freier Erde und lebt, wie er es verdient, im deutschen Volke fort von Geschlecht zu Geschlecht:

„Denn was berauscht die Leyer einst gesungen,
Das hat des Schwertes freie That errungen.“

Die Eiche über den Gräbern rauschte im Abendwind, und die letzten Strahlen der untergehenden Sonne fielen auf den grünen Hügel wie eine milde Glorie. Getröstet und gestärkt erhoben sich die Drei, nur in dem Auge der Mutter schimmerte eine Thräne, die bald wieder verschwand.

„Er lebt,“ flüsterte sie mit bewegter Stimme, und ihre Blicke richteten sich zum Himmel, an dem der Abendstern schon tröstend glänzte.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: versicher