RE:Ἐλατήριον

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
korrigiert  
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Saft der unreifen Eselsgurke in Südeuropa, Abführ- und Brechmittel
Band V,2 (1905) S. 22372239
Bildergalerie im Original
Register V,2 Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|V,2|2237|2239|Ἐλατήριον|[[REAutor]]|RE:Ἐλατήριον}}        

Ἐλατήριον, der in verschiedener Weise behandelte Saft aus der unreifen Frucht der Spring- oder Eselsgurke (Ecballium Elaterium Richard, Momordica Elaterium L., Ecball. officinale Nees, Ecball. agreste Reichenbach). Diese in Südeuropa besonders in der Küstenregion auf mageren und unfruchtbaren Feldern häufig zu findende Cucurbitacee (Abbild. u. a. H. Karsten Deutsche Flora II2 459. Schlechtendal-Hallier Flora von Deutschland XXII 16 Tab. 2199) heißt heute in Griechenland ἡ Γαϊδουραγγουριά oder Πικραγγουριὰ (Heldreich Nutzpfl. 50), in Italien Cocomero asinino, Schizzeti, Spontaveleno (Arcangeli Fl. it. 462). Die Alten nannten sie σίκυος ἄγριος (Theophr. hist. plant. IX 9, 4. 15, 6. VII 6, 4. 8, 1. 10, 1), cucumis silvaticus (Scrib. Larg. comp. 70. 224. 237) und cucumis silvestris (Plin. n. h. XIX 74. XX 3); der interpolierte Dioskorides bietet außer neun griechischen noch die lateinischen Namen ἀγκειτούμ = anguinum Plin. n. h. XX 9, κονκουμερεμ ῥουστικουμ οἱ δὲ ἀγρεστεμ, welch [2238] letzteren auch der lateinische Dioskorides IV PME' (Vollmöllers Roman. Forsch. XI 66) hat. Die Frucht ist länglich, grün, weichstachelig, fleischig, dreifächerig, vielsamig, mit einem schleimigen, grünlichen, bittern Saft erfüllt. Sie hängt von dem Blütenstiel herab und trennt sich bei der Reife freiwillig von demselben, wobei der Saft und die Samen elastisch herausgeschleudert werden (O. Berg Handbuch der pharmazeut. Bot. II 1, 395. Wittstein Handwörterb. der Pharmakogn. des Pflanzenreichs 799; bei beiden auch chem. Analyse u. s. w.).

Nach Dragendorff Heilmittel 689 scheint . schon im alten Ägypten verwendet worden zu sein und wird im Papyrus Ebers als Medikament erwähnt, doch vermochte ich davon bei Joachim Papyros Ebers, Lüring Die über die medizin. Kenntn. der alten Ägypter bericht. Pap., Loret La flore pharaon., Joret Les plantes dans l’antiquité et au moyen âge, Pickering Chronol. hist. 249 u. a. nichts zu finden. Sicher kannten und benutzten das . die Hippokratiker. ,Sie wenden es getrocknet und frisch an und zwar als Abführ- und Brechmittel; je nach dem Zwecke wird es entweder mit Salz und Senf oder bloß mit Wasser angerührt, aber auch mit Öl gegeben. Äußerlich wenden sie es zu Pessarien an, indem es mit Schaffett um eine Feder gewickelt eingeführt wird. Häufig auch benutzten sie das Innere der ganzen Frucht, die Wurzel und auch den Saft der Blätter‘ (Berendes Die Pharm. der alten Culturvölker I 228); vgl. den Index von Littrés Ausgabe (Bd. X).

Theophrastos gedenkt seiner öfters, besonders rühmt er (hist. plant. IX 14, 1) seine fast unbegrenzte Haltbarkeit, da es mit dem Alter an Güte nur zunimmt. Er bezeichnet es als das wirksamste Brechmittel und läßt es im Herbste sammeln (hist. plant. IX 9, 4). Auch Nikandros erwähnt Theriaca 866 den σίκυος ἀγρότερος. Die vollständigste Schilderung der Pflanze wie des Heilmittels hat Dioskorides m. m. IV 152 und 153. Nach ihm wurden bei der Bereitung die Früchte über einem Siebe zerschnitten und ausgedrückt, der Saft in einem untergestellten Becken gesammelt, gequirlt und mit einem Leinentuche bedeckt in die Sonne gestellt. Nach wiederholtem Absetzenlassen und Abgießen brachte man den Bodensatz in einen Mörser und formte ihn schließlich zu Pastillen. Es gab aber auch noch einige mehr oder minder abweichende Darstellungsarten. Als das beste sah man dasjenige ἐ. an, welches weiß, leicht, bitter war und am Lichte aufflammte – nach Theophrastos a. a. O. löschte es aber infolge seiner Feuchtigkeit noch nach fünfzig Jahren das Licht aus. Um dasselbe recht weiß und leicht zu machen, verfälschte man es mit Stärkemehl. Zwei bis zehn Jahre alt eignete es sich am besten zu Purganzen; die volle Gabe betrug einen Obolus (0,65 gr.), die kleinste einen halben Obolus, für Kinder hievon die Hälfte; mehr ist gefährlich. Die Alten verstanden also unter . nicht das heutige extraktartige Mittel, sondern ein Satzmehl (faecula). Berendes a. a. O. I 227. Für Asthmatiker empfiehlt es sich als Vomitivum und Laxativum zur Entfernung von Galle und Schleim. In ersterem Falle wird es mit Salz und etwas Senf angemacht, in etwa [2239] linsengroßen Pastillen geschluckt und ein Schoppen warmes Wasser darauf gesetzt; in letzterem wird es in Wasser gelöst und mittels einer Feder möglichst tief in den Schlund eingeführt. Bei geringer Neigung zum Brechen kann man es auch in Öl oder Irissalbe lösen, doch ist das Einschlafen des Patienten zu verhüten. Bei allzu heftiger Wirkung ist reichlich Wein mit Öl zu geben; wirkt auch das nicht, kaltes Wasser, Gerstengraupen, Limonade, Obst u. a. m.

Als Pessarium ist es Emmenagogum und Abortivum. Mit Milch in die Nase geschüttet wirkt es gegen Gelbsucht und chronisches Kopfweh, bei Angina dient es, mit altem Honig und Ochsengalle versetzt, zu Einreibungen (= Euporista I 88).

Galen gibt XII 122 περὶ σικύον ἀγρίου nach Dioskorides so ziemlich dieselben Wirkungen an, XVII B 305 sagt er auch noch, daß es von der Mutter genommen auf das Kind abführend wirkt; XVII A 477 empfiehlt er es gegen Krebs und XIII 732 gegen allzulange haftenden Wundschorf. Ersatzmittel: XIX 729. Ihm folgen die späteren griechischen Ärzte, vgl. Alexand. Trall. ed. Puschmann I 396 Note und II 606. Von den Lateinern gedenkt des E. zuerst Celsus de med. V 12 (evocat et educit), dann Scribon. Largus comp. 70 (gegen angina: elaterii qui est sucus cucumeris silvatici, 224 (gegen condylomata), 237 (Geschwüre). Plinius erwähnt es öfters, besonders ausführlich beschreibt er seine Bereitung und Wirkung n. h. XX 3–10, wo er neben Theophrastos und der Quelle des Dioskorides noch anderen Gewährsmännern folgt. Diesen verdankt er einige Verschiedenheiten in der Darstellung, die abergläubische Verwendung in der Geburtshülfe (6), sowie die Standortsangaben, insbesondere, daß man in Cyrene eine eigene Art gehabt habe, vgl. Plin. n. h. XXVII 143. XXVIII 74, 203. XXX 33 u. a. Daß er es aus dem Samen bereiten läßt statt aus der Frucht, beruht wohl nur auf einer Nachlässigkeit im Ausdrucke.

Eine Beschreibung der Herstellung (Plinius ähnlich) hat Cassius Felix (ed. Rose) de med. VIII, der ad maculas albas, Graeci alphus leucas vocaverunt, ein flegmagogum purgatorium quod dicitur elaterium empfiehlt, und wiederum viel selbständiger Ps.-Galen. ad Patern., wo als das beste das cyrenaicum genannt wird. Bei Ps.-Apuleius de herb. c. 113 ist in den Drucken die Liste der Synonyma und die Beschreibung aus Dioskorides interpoliert, die Hss. und die Editio Romana haben nur Herba cucumis silvaticus (siciden agria cod. Vrat. und Barb.) Latini eam vocant cucumere amaro. nascitur locis maritimis et calidis. Caelius Aurelianus morb. chron. III 5, 72 rühmt gegen Gelbsucht elaterium quod adpellant, hoc est cucumeris agrestis sucum ⟨naribus infundendum⟩; ähnlich Theodorus Priscianus II 79 (Rose). Weiterhin finde ich das ἐ. nur mehr in den Glossaren (Thes. Gloss. em. unter cucumis agrestis). Eine allgemeine Bedeutung = Abführmittel überhaupt hatte das Wort bei den Hippokratikern u. a., vgl. Erotiani voc. Hippocr. conlect. (ed. Klein) 67, 14 ἐλατήρια · κοινώς τὰ τὴν κάτω κοιλίαν καθαίροντα φάρμακα, s. a. Henr. Stephanus Thesaur. s. v.