RE:Censorinus 7

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Röm. Grammatiker
Band III,2 (1899) S. 19081910
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7) Censorinus, römischer Grammatiker (doctissimus artis grammaticae Prisc. I 4, 17; vgl. Cassiod. de orth. GL VII 214. 25), Verfasser eines verlorenen Buches de accentibus (Cassiod. de mus. p. 576 Censorinus quoque de accentibus voci nostrae adnecessariis subtiliter disputavit, pertinere dicens ad musicam disciplinam. Prisc. XIV 1, 6 Censorinus plenissime de his docet in libro, quem de accentibus scribit; daraus ein Fragment über die Praepositionen ebd. XIV 4, 40, ein andres über die Buchstaben I 4, 16f.) und des [1909] auf uns gekommenen Schriftchens de die natali (Sidon. Apoll. carm. 14 praef. 3 Censorino, qui de die natali volumen illustre confecit; vgl. Cassiod. de mus. p. 573. 576). Letzteres ist einem Gönner Q. Caerellius (s. d. Nr. 4) als Geburtstagsgabe gewidmet und abgefasst im J. 238 n. Chr. (c. 18, 12. 21, 6): der ziemlich bunte, mit dem Anlass des Büchleins vielfach nur in recht lockerer Beziehung stehende Inhalt ist für uns von sehr grossem Werte, da der Verfasser zwar nur aus wenigen, aber guten Quellen schöpft und trotz mancher Missverständnisse im einzelnen doch die Lehren seiner Gewährsmänner im allgemeinen verständig und treffend wiedergiebt. Auf die einleitenden Worte der Widmung folgt eine kurze Erörterung über das Geburtstagsopfer und den Genius (c. 2. 3), das Übrige zerfällt deutlich in zwei grosse Abteilungen, von denen die erste (c. 4–15) eine Reihe auf die Entstehung und das Leben des Menschen bezüglicher Fragen (z. B. über die Zeugung, über die Dauer der Schwangerschaft und den Einfluss der Gestirne mit einem Excurse über die Musik, über die klimakterischen Jahre u. a.) mit doxographischer Aufzählung der Lehrmeinungen griechischer Philosophen behandelt, während die zweite sich mit der Zeit und Zeiteinteilung beschäftigt. Die Disposition dieses zweiten Teiles (aevum, saeculum, annus maior, annus vertens, mensis, dies) ist den Büchern XIV–XIX der antiquitates rerum humanarum des Varro entlehnt (O. Gruppe Hermes X 54ff.), die auch für den Inhalt dieses Teiles die Hauptquelle bilden (vgl. z. B. F. Münzer Beitr. z. Quellenkritik der Naturgesch. d. Plinius 106ff.); daneben ist spcciell für die römische Jahresrechnung Suetons Buch de anno Romanorum ausgeschrieben (Reifferscheid Sueton. reliqu. p. 434. G. Wissowa De Macrobii Saturnaliorum fontibus 17ff.; die Ansicht von M. Schanz Hermes XXX 421ff., dass der ganze C., abgesehen von einigen Zuthaten aus secundären Quellen, auf Suetons Pratum zurückgehe, lässt sich ebenso sicher widerlegen wie die von Gruppe Comment. in honor. Mommseni 545, dass dem zweiten Teile eine stark gekürzte, aber auch mit Zusätzen und Nachträgen versehene Bearbeitung der antiquitates humanae des Varro zu Grunde liege); für den ersten Teil ist die Hauptquelle Varros Logistoricus Tubero de origine humana (Diels Doxogr. graeci 186ff.), für die einleitenden Capitel 2. 3 wahrscheinlich desselben Logistoricus Atticus de numeris (citiert c. 2, 2).

Der Schluss des Büchleins ist durch Blattausfall in der Urhandschrift verloren gegangen, und derselbe Defect hat auch den Anfang samt Titel und Verfassernamen einer auf dasselbe folgenden Schrift verschlungen, die in den Hss. und ältesten Drucken ohne Trennung mit dem Geburtstagsbüchlein des C. vereinigt ist; erst L. Carrion erkannte, dass sie mit diesem nichts zu thun hat, und seitdem pflegt die autorlose Schrift als fragmentum Censorini citiert zu werden. Es ist eine Reihe knapper Capitel aus einer encyclopaedischen Darstellung der verschiedensten Disciplinen, der Kosmologie (de naturali institutione, de caeli positione, de stellis fixis et errantibus, de terra), Geometrie (de geometria, de formis, de figuris, de postulatis), Musik (de musica, de nomine [1910] rhythmi, de musica, de modulatione) und Metrik (de metris id est numeris, de legitimis numeris, de numeris simplicibus); der letztgenannte Teil (auch bei Keil GL VI 605–617 abgedruckt) ist der ausführlichste und ermöglicht dadurch eine etwas genauere Prüfung: sowohl die hier zur Anwendung kommende metrische Theorie wie die angeführten Beispiele zeigen, dass das zu Grunde liegende Buch hoch hinaufreicht und überhaupt die älteste auf uns gekommene Darstellung lateinischer Metrik ist (G. Schultz Hermes XXII 265), vielleicht ein Excerpt aus Varro (F. Leo Hermes XXIV 282, 1). Die Abschnitte de caeli positione und de stellis fixis et errantibus stimmen wörtlich mit den Scholia Sangermanensia zu Germanicus Aratea (p. 105, 7–107, 13. 221–224, 4 Breys.) überein, was wohl auf Gemeinsamkeit der Quelle zurückzuführen ist (C. Robert Eratosthenis catasterism. reliquiae p. 202f.).

Die Überlieferung beruht vollkommen auf dem zuerst von Ludwig Carrion (Paris 1583) benützten codex Coloniensis saec. VII (später in Darmstadt, seit 1867 wieder in Köln, vgl. W. Crecelius Spicilegium ex codice Censorini Coloniensi, Elberfeld 1872), auf welchen die sonst bekannten jüngeren Hss. sämtlich zurückgehen, auch der in den grundlegenden kritischen Ausgaben von O. Jahn (Berlin 1845) und F. Hultsch (Leipzig 1867) noch als unabhängige Textquelle behandelte codex Vaticanus 4929 saec. X (L. Urlichs Rhein. Mus. XXII 465ff.); für die sachliche Erklärung ist in der Ausgabe von Heinr. Lindenbrog (zuerst Hamburg 1614) mancherlei Brauchbares zusammengetragen. Die Ausgabe von J. Cholodniak (St. Petersburg 1889) kenne ich nicht, vgl. jedoch F. Hultsch Berliner philol. Wochenschr. 1890, 1651ff. Litteratur zur Kritik und Erklärung s. bei Teuffel-Schwabe R. Litt.-Gesch.⁵ § 379, 6.