RE:Custos 2
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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custodes corporis, Leibwächter | |||
Band IV,2 (1901) S. 1900–1903 | |||
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2) Custodes corporis oder vielmehr Corporis custodes, wie die regelmässige Wortfolge ist, griech. σωματοφύλακες (s. d.), sind überhaupt die Leibwächter von Fürsten und Heerführern, wie des Datames (Nep. XIV 9, 3), Alexanders d. Gr. (Nep. XVIII 7, 1. Arrian. anab. I 6, 5. III 17, 2. VI 9, 3. 28, 3–4. 30, 2 und Abicht Ausg. I S. 20–21), des Partherkönigs Artabanus (Tac. ann. VI 36 corpori custodes, wozu vgl. Dräger Hist. Synt. I² 442), insbesondere aber hiess so die zum kaiserlichen Gesinde gehörige germanische Leibwache des iulisch-claudischen Hauses.
Gegenüber der Schreibung corporis custos (CIL VI 8803. 8804; vgl. Suet. Calig. 55. 58 Germani corporis custodes) bevorzugen die Inschriften die volkstümliche Zusammensetzung corpore-custos (CIL VI 4340. 4342. 4343. 4437. 8810) oder kürzen ab corpor. und corp. cust. bezw. custos (CIL VI 4716. 8802. 8806–8809; XI 3526). Wie Sueton a. a. O., so vervollständigen auch CIL VI 4340 und 8802 die Bezeichnung C. durch Vorstellung von Germanus; vgl. Tac. ann. I 24 (robora Germanorum qui tum custodes imperatori aderant) und XIII 18 (Germanos ... custodes). Suet. Calig. 45 (paucos de custodia Germanos) und Galba 12 (s. u.). Manche Inschriften und Schriftstellen begnügen sich auch mit der blossen Benennung Germanus, Germani, CIL VI 4337. 4338, wenn hier nicht nach 4340 corporecustos zu ergänzen ist, und 4341 (vgl. 4339. 4345. 8811. 4305. 8802–8805. 8807–8809). Joseph. ant. Iud. XIX 119. 125f. 138. 149. 152f. 215 (Γερμανοί). Tac. ann. XV 58. Suet. Nero 34. Dagegen sind unter den Germani bei Herodian. IV 13,6 (Γερμανοὶ ἱππεῖς). VIII 8, 2 und Hist. Aug. Max. et Balbin. 13–14 die equites singulares des Caracalla bezw. des Maximus und Balbinus zu verstehen (Mommsen St.-R. II³ 809, 1; vgl. Jullian Bull. épigr. III 70f.). Batavi endlich nennt die C. Suet. Calig. 43 (numero Batavorum quos circa se habebat; ebenso nennt Cass. Dio LV 24 die späteren Equites singulares); derselbe Name schwebt dem Josephus vor, wenn er XIX 119 (nach der Herstellung von Niese bei Mommsen N. Arch. VIII 349, 6) sagt: δορυφόροι δ’ ἦσαν οὗτοι (οἱ Γερμανοί) ὁμώνυμοι τῷ ἔθνει ἐφ’ οὗ κατειλέχατο Κελτικοῦ τάγμα.
Dass Germanien und vornehmlich das Land der Bataver die Heimat der C. war, bestätigen die Inschriften, von denen fünf bis sechs einen Bataus (CIL VI 8802–8804. 8806. 8807. wahrscheinlich auch in 4341 herzustellen; vgl. den Erben 8802 Batavus), andere einen Frisius (4342) oder Frisiao (4343), einen Ubius (8809; vielleicht auch 8805), einen German(us) Peucenuus (4344), einen Germanus natione Vein. (4339) oder Veius (4337), einen Baetesius (8808; sonst Baetasius), vielleicht auch einen Su[ebus] (8810) nennen. Soweit bekannt, wohnten diese Völkerschaften im römischen Germanien, dass aber auch das freie Germanien jenseits der römischen [1901] Grenze zu der kaiserlichen Leibwache beisteuerte, lehrt Suet. Calig. 43.
Wie die Inschriften beweisen und ihre Einzelnamen, die meist lateinisch (Bassus, Censor, Fuscus, Hilarus, Nobilis, Severus, Valens u. s. w.), seltener griechisch (Alcimachus, Linus, Phoebus u. a.), vereinzelt barbarisch sind, bestätigen, waren diese Leibwächter überwiegend Sclaven des kaiserlichen Hauses: nur CIL VI 4305. 8803 und 8811 bezeugen Freigelassene des Kaisers, und zwar des Claudius, und CIL XI 3526 nennt allein Namen eines C., welche den Namen von Bürgersoldaten entsprechen[WS 1]: C. Lucilius V(a)lens. Wenn aber auch rechtlich unfrei, galten diese Germanen doch thatsächlich als eine Soldatentruppe, und daher ist auch der Leibwächter Nobilis, ein geborener Bataver, freilich missbräuchlich, in seiner Grabschrift CIL VI 8806 miles genannt (vgl. VI 8808 und die Bezeichnung στρατιῶται bei Joseph. ant. Iud. XIX 139).
Vorbildlich war für die C. die im Zeitalter der Bürgerkriege seit Sulla aufgekommene Sitte der Heer- und Parteiführer, sich neben der officiellen cohors praetoria noch eine zuverlässigere persönliche Leibwache von Sclaven und Ausländern zu halten (Jullian Bull. épigr. III 61–62). Als ihre unmittelbaren Vorläufer aber sind die Germani zu betrachten, welche Augustus bis zur Niederlage des Varus als Leibwächter um sich gehabt, damals aber entliess (Suet. Aug. 49 dimissa Calagurritanorum manu, quam usque ad devictum Antonium, item Germanorum, quam, usque ad cladem Varianam inter armigeros circa se habuerat; vgl. Cass. Dio LVI 23, 4 der diese Leibwache Κελτοί nennt, aber von den Galliern, Γαλάται, als verschieden trennt). Mag nun Augustus im J. 9 n. Chr. alle jene Germani oder nur die Landsleute der Angreifer des Varus entlassen haben, jedenfalls bestand zur Zeit des Regierungsantrittes des Tiberius 14 n. Chr. diese kaiserliche Leibwache von Germanen, denn als Tiberius damals seinen Sohn Drusus zur Unterdrückung des Militäraufstandes in Pannonien entsandte, verstärkte er die diesem mitgegebenen zwei Prätorianercohorten auch durch die germanische Leibwache (Tac. ann. I 24). Für Tiberius ist diese Leibwache ausserdem bezeugt durch CIL VI 4339 und 4341, wo beidemal der C. gleich anderen Angehörigen des kaiserlichen Gesindes als Germanicianus bezeichnet ist. Demnach hatten diese beiden Sclaven früher zur Leibwache des Germanicus gehört, in dessen Besitz sie gelegentlich seiner Kriege am Rhein gelangt sein werden. und nach seinem Tode († 19 n. Chr.) kamen sie als Erbschaft in den Besitz seines Adoptivvaters Tiberius (Mommsen zu CIL VI p. 899, 4. Jullian Bull. épigr. III 66. 6). Andere Germaniciani fielen aus der Erbschaft des Germanicus seinen Söhnen, den Prinzen Nero und Drusus zu (CIL VI 4344. 4337); für ersteren sind die C. ausserdem bezeugt durch CIL VI 4342 und 4343, während Sinnio c. Drusianus CIL VI 4437 aus der Erbschaft eines anderen Drusus, vielleicht des Älteren, stammte. Auch für den Bruder des Germanicus, den späteren Kaiser Claudius liegen Inschriften von C. aus der Regierungszeit des Tiberius vor. CIL VI 4338. 4340. 4345; vgl. 4334. 4716 (?). Und für den dritten Sohn des Germanicus [1902] C. Caesar (Caligula) als Kaiser bezeugt die germanischen Leibwächter Suet. Calig. 43. 45. 55. 58. Die letztgenannte Stelle erwähnt die Rache, welche die C. an den Mördern des Caligula nahmen, worüber uns ein ausführlicher Bericht bei Joseph. ant. Iud. XIX 114ff. erhalten ist. Dass Claudius auch nach seiner Thronbesteigung C. hatte, lehren CIL VI 8804. 8807. 8809–8811; vgl. 4305. Für Kaiser Nero liegen inschriftliche und Schriftstellerzeugnisse vor, CIL VI 8802. 8803. 8806. 8808 und für das J. 55 n. Chr. Tac. ann. XIII 18 (excubias militares, quae ut coniugi imperatoris olim, tum ut matri servabantur, et Germanos nuper eundem ⟨in⟩ honorem custodes additos degredi iubet) mit Suet. Nero 34 (matrem . . . mox et honore omni et potestate privavit alductaque militum et Germanorum statione contubernio quoque ac Palatio expulit), sowie für das J. 65 n. Chr. Tac. ann. XV 58 (Verschwörung des Piso: pedites equitesque permixti Germanis, quibus fidebat, princeps quasi externis). Dann aber hat Galba im J. 68 n. Chr. die C. nach Suet. Galb. 12 aufgelöst: Germanorum cohortem a Caesaribus olim ad custodiam corporis institutam multisque experimentis fidelissimam dissolvit ac sine commodo ullo remisit in patriam, quasi Cn. Dolabellae, iuxta cuius hortos tendebat, proniorem. An ihre Stelle treten spätestens unter Traian, wahrscheinlich aber früher, die equites singulares oder imperatoris Augusti (s. d.), welche aber im Gegensatz zu jenen Sclaven eine wirklich militärische Truppe darstellen.
Der Dienst der C. ergiebt sich schon aus ihrem Namen: sie hatten über Leib und Leben des Kaisers oder Prinzen, ihres jeweiligen Herrn, zu wachen und daher u. a. diesen ins Feld zu begleiten (Suet, Calig. 45) und im Kaiserpalast, zu Rom (wo sie übrigens – wenigstens zur Zeit ihrer Auflösung – eine eigene Kaserne hatten, Suet. Galb. 12) oder dem sonstigen Aufenthaltsort, ihres kaiserlichen Herrn neben der Praetorianergarde, jedoch in unmittelbarer Nähe, Wachposten zu stellen. Ausnahmsweise hatte Nero seiner Mutter Agrippina ausser den ihr, wie früher als Kaiserin, so jetzt als Kaiserin-Mutter zustehenden militärischen Wachposten, auch germanische Leibwächter – doch nur für kurze Zeit – zugewiesen (s. o.). Ausser diesem Wachdienst bestimmte das kaiserliche Vertrauen die C. auch zu anderen Aufgaben (Tac. ann. I 24. XV 58), denn sie waren zuverlässig und ihrem Herrn blind ergeben (Suet. Galb. 12; vgl. Joseph. XIX 121. Tac. ann. XV 58). jedenfalls zuverlässiger als die Praetorianer.
Die Bezeichnungen cohors (Galb. 12) und numerus (Calig. 43) hat Sueton von den eigentlichen Truppen auf diese Leibwache übertragen: sie bedeuten nichts mehr und nichts weniger als manus Germanorum bei demselben Suet. Aug. 49. Dagegen bezieht sich die Bezeichnung collegium Germanorum (stets in der Verbindung heres ex collegio Germanorum CIL VI 8802–8805. 8807–8809) nicht auf ihr dienstliches Verhältnis als Leibwache, sondern auf eine – natürlich mit Genehmigung ihres Herrn – privatim und zwar hauptsächlich zu Begräbniszwecken von ihnen gebildete Genossenschaft, wie sie auch für andere Gruppen des kaiserlichen Gesindes bezeugt sind; s. Jullian Bull. épigr. III 68f. Die Geschäfte [1903] dieser Genossenschaft besorgte ein curator (CIL VI 4305 curator Germanorum: vgl. Jullian a. a. O. 70).
Der Titel des Befehlshabers der C. im Jan. 41 n. Chr., Σαβῖνος, den Joseph, ant. Iud. XIX 122 χιλιαρχῶν (tribunus) nennt, ist nicht wörtlich zu nehmen; dieser Sabinus war nach Josephus ein Gladiator und ist also ein Beleg für die Nachricht des Sueton Caligula 55: Threces quosdam Germanis corporis custodibus praeposuit. Die Inschriften bezeugen die Einteilung der C. in decuriae und deren Vorgesetzte, die decuriones (CIL VI 8802–8809. 4345. 8811). Diese Einteilung galt sicherlich nicht blos für die Truppe, sondern auch für das Collegium, wie ja auch für andere Genossenschaften diese Einteilung mit decuriones gewöhnlich war (Jullian a. a. O. 69, 7).
Die decuriones (s. d.) würden zu einer Reitertruppe passen, und es sind auch, insbesondere mit Berufung auf Cass. Dio LV 24, die C. als beritten bezeichnet worden; allein Dio meint hier die Equites singulares seiner Zeit, und andere sichere Anhaltspunkte für jene Auffassung haben wir nicht. Im Gegenteil sprechen die Zeugnisse eher für eine Fusstruppe. Doch ist es nicht ausgeschlossen, dass dieser Truppe, ebenso wie den cohortes praetoriae und den anderen cohortes equitatae, Reiter beigegeben waren und dass auch der Felix Ti. Claudi Germanici eques (CIL VI 4334) zu diesem Mischkorps der C. gehörte.
Schliesslich sei noch bemerkt, dass die uns bekannten Inschriften der C. teilweise gefunden sind in dem Massengrab der Freigelassenen und Sclaven der Kinder des älteren Drusus, des Germanicus und Claudius (CIL VI 4337–4345 und Mommsen ebd. p. 899), zwei auch in dem Grabmal der familia der Marcella (CIL VI 4437. 4716 und Mommsen p. 909f.). Diese und die sonstigen Grabschriften nennen zwei Verheiratete, wovon einer decurio (8811), der andere Gemeiner (8812) war; das Lebensalter (20–40 Jahre), welches die Verstorbenen erreicht haben, ist auffallend gering (4337. 4340ff. 8802ff.); zweimal sind nach Soldatenweise auch die Dienstjahre angegeben, wonach die Dienstzeit mit 17–18 Jahren begonnen hatte (8806. 8808).
Litteratur. Henzen Ann. d. Inst. 1850. 13–18; Bull. d. Inst. 1856, 104–107. Nipperdey zu Tac. ann. XV 58. CIL VI 2 (1882) p. 1170–1171. C. Jullian Bull. épigr. de la Gaule III 1883. 61-71 und im Dict. des antiq. II 2 (1896) 1549 u. d. W. Germani. Th. Mommsen im Neuen Archiv der Gesellsch. f. ältere deutsche Geschichtskunde VIII 1883, 349–351; St.-R. II³ 2 (1887) 808f. Marquardt-v. Domaszewski St.-V. II² (1884) 487–488.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: eutsprechen