Equi circenses. Equus circensis kann zwar im allgemeinen jedes im römischen Zirkus zu welchem Zwecke auch immer verwendete Pferd heißen, im besonderen aber wird damit das Rennpferd, und zwar meistens das Wagenrennpferd (equus curulis oder currilis Corp. gloss. lat. VI 298), gemeint. In der ältesten Zeit, wo man anfing, Feste mit Pferderennen zu veranstalten, mag den noch bescheidenen Ansprüchen der Quiriten das Pferdematerial eigener Zucht, wie man es gerade im Stalle hatte, für diesen Zweck genügt haben. Im Laufe der Zeit aber wurden mit der steigenden Vorliebe des römischen Publikums für den Rennsport und mit der wachsenden Ausdehnung der Gebietsgrenzen an die mit Eleganz verbundene Leistungsfähigkeit der Renner immer höhere Anforderungen gestellt. Zucht, Auswahl und Training wurden mit immer größerem Raffinement betrieben, bis zur Grenze des Möglichen. Die Zahl der Gestüte und Rennställe nahm fort und fort zu. Das einträgliche Geschäft ging im Beginne der Kaiserzeit in die Hände förmlicher Renngesellschaften über (s. Factiones und oben Bd. V S. 1309), vor deren Wettbewerbe die Rennställe des einzelnen Privatmannes allmählich in den Hintergrund traten; bedienten sich doch sogar die Kaiser ihrer, wenn sie Feste mit Rennen veranstalteten. Wie man dem Besucher der Amphitheater durch Vorführung von Kriegsgefangenen frisch unterworfener Völker und ihrer Kampfweise immer wieder neue Reize bot (s. Gladiatores), so wußte man die Neugier des großstädtischen Rennsportliebhabers dadurch
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zu befriedigen, daß man das Gezücht ferner Länder an den Start brachte und durch Kreuzung erstklassiger Exemplare heterogener Rassen die beiderseitigen Vorzüge des Blutes zu potenzieren und durch Vererbung festzuhalten suchte, indem man die sieghaften Pferde sich paaren ließ (Col. III 9, 5). Auf vornehme Stammbäume (stemmata) wurde, wie noch heute, mit Recht großer Wert gelegt (Stat. silv. V 2, 23). Wer als Kenner gelten wollte, lernte sie auswendig (Martial. III 63, 12. Cyprian. de spectac. 5. Ioh. Chrys.. tom. V. serm. 17 Anf.). Vorzügliche Rennpferde wurden zunächst in Italien selbst gezüchtet. Bemerkenswert ist hierfür besonders eine Äußerung des Plinius in seinem Lobpreise Italiens (n. h. XXXVII 202): ne equos quidem in trigariis praeferri ullos vernaculis animadverto, was also noch für das 1. Jhdt. n. Chr. gilt [trigaria faßt Friedländer irrtümlich als Rennen mit Dreigespannen; es ist kein ersichtlicher Grund vorhanden, warum sich die italischen Pferde gerade für diese Art der Bespannung besonders geeignet haben sollten; vielmehr sind die Übungsrennbahnen, die Trainingplätze, darunter zu verstehen nach Corp. gloss. lat. II 201, 45). In erster Linie kommt Süditalien in Betracht, wo Apulien und Calabrien mit ihren ausgedehnten Weideflächen zur Pferdezucht hervorragend geeignet waren, Varro r. r. II 7, 1. 6, wo auch der aus den Rosea rura bei Reate stammenden Roseani gedacht wird. Ebenso werden die benachbarten Hirpiner als besonders edles Blut öfter genannt, Martial. a. a. O. Iuven. VIII 62f. mit dem Scholion: Hirpinus mons est, ubi optimi equi nascuntur. CIL VI 10069 erscheint Hirpinus als Name eines Rappen. Nicht geringer war der Ruhm der großen sizilischen Gestüte. Strab. VI 273. Cic. Verr. II 1, 28; vgl. Leo Gesch. v. Ital. I 143. Die Hor. carm. II 16, 34 erwähnte apta quadrigis equa ist sizilischen Ursprungs, Gordian I. verteilte 238 n. Chr. 100 sizilische Renner an die verschiedenen Faktionen. Hist. Aug. Gord. tr. 4. Außerdem lieferten auch die übrigen Provinzen ein reiches Rennmaterial. So Griechenland, wo ähnlich wie in Sizilien die immer mehr um sich greifende Verödung des Ackerlandes der Pferdezucht einen günstigen Boden schuf. Nemesian. Cyneg. 240. Epirus nennt Verg. Georg. I 59, Thessalien und die Peloponnes Varro a. a. O. CIL VI 10053 werden verzeichnet: 63 (!) Afri, 3 Mauri, 2 Cyrenaei (diese erscheinen auch öfters auf griechischen Siegerlisten), 3 Hispani, 3 Galli, 2 Thessali, 2 Lacones, 1 Aetolus; Afri auch 10047. Eine bemerkenswerte Zusammenstellung der edelsten Geblüte seiner Zeit gibt Veget. veterin. IV 6: curribus Cappadocum gloriosa nobilitas, Hispanorum par vel proxima in circo creditur palma. nec inferiores prope Sicilia exhibet circo, quamvis Africa Hispani sanguinis velocissimos praestare consueverit. Die kappadokischen und phrygischen Renner erlangten namentlich in den späteren Jahrhunderten hohe Berühmtheit. Solin. 45, 5: Terra illa ante alias altrix equorum et proventui equino accommodissima est. Claudian. V 31. XXIX 190ff. LXXIII 3ff. Nemesian. u. Hist. Aug. a. a. O.; vgl. auch Zosim. II 22, 2. In jenen Gegenden befanden sich in [269]
späterer Zeit große kaiserliche Gestüte (dominici greges). Cod. Theod. X 6. XV 10 (Palmatis atque Hermogenis equi) mit den Noten von Gothofredus. Zur Bezeichnung der Gestütsherkunft pflegte man den Pferden, wie bei uns, Brandmale (notae inustae) in den Hinterbacken einzubrennen. Verg. Georg. III 158. Nemesian. Cyneg. 241; vgl. Aristoph. nub. 23. 122. 437. 1298 und equit. 603 sowie die Erklärer dazu. Schlieben 122. Salmasius in Solin. p. 626. Solche Brandzeichen, teils Buchstaben teils Figuren, beobachtet man auch auf bildlichen Darstellungen. Ginzrot II 534. De Laborde Paviment. d’Italica pl. XV. Daremberg et Saglio I fig. 1520. 1532. 1536. II S. 800. Baumeister Denkm. fig. 96. Der Training der Rennpferde begann nicht vor vollendetem dritten Lebensjahre. Erst im fünften Jahre, also wenn sie ausgewachsen und volljährig waren, wurde ihnen die Arbeit im Zirkus zugemutet, Plin. n. h. VIII 162. Col. VI 29. 4 (Friedländer S.-G. II6 334 berichtet über diesen Punkt so, als ob die beiden Zeugnisse auseinandergingen, was aber nicht der Fall ist). Fohlenrennen, wie sie bei den Griechen üblich waren, finde ich bei den Römern nirgends erwähnt. Lehndorff Hippodromus 41ff. Schlieben 216. Bei uns werden heutzutage die Rennpferde bereits mit 1½ Jahren angeritten (in ,Training’ genommen) und müssen zweijährig oder höchstens dreijährig auf der öffentlichen Rennbahn auftreten. Die Strecke, die bei einem Rennen in schnellster Gangart zurückgelegt werden mußte, berechnet man auf 8 km. Bei uns ist ein Rennen über 2 500 m für zwei- bis dreijährige Pferde das Maximum; älteren werden allerdings 4—7 km zugemutet. Während bei vielen Völkern die Stuten den Hengsten im Gebrauche vorgezogen wurden (Schlieben 117), läßt sich aus dem Umstande, daß die uns überlieferten Namen von römischen Rennpferden ganz überwiegend männliche sind, der Schluß ziehen, daß es bei den Römern umgekehrt gewesen ist. Friedländer De nominibus equor. circens., Acad. Progr. Regimont, 1875; S.-G. a. a. O. Mit Einspännern wurde nicht gerannt; das einzelne Pferd erschien im Zirkus nur als Reitpferd. Je nach der Stärke der Bespannung unterschied man Bigae, Trigae, Quadrigae, Seiuges, Septemiuges, Octoiuges, Decemiuges (s. die Art.). Ja sogar eine Bespannung mit zwanzig Pferden findet sich auf einer Kamee abgebildet, Daremberg I fig. 1529. Nur die beiden mittelsten Pferde, unmittelbar links und rechts von der Deichsel, liefen unter dem an dieser befestigten Joche (s. Iugum). Sie hießen iugales, iugarii, introiugi, s. d.; die übrigen funales, weil sie nicht am Joche, sondern an Strängen (funes) zogen. Es ist aus technischen Gründen undenkbar, daß sich mehr als die vier mittleren Pferde, d. h. die beiden Jochpferde und die beiden Strangpferde, am Ziehen des schmalen, leichten Rennwagens beteiligt hätten. Spannte man mehr als vier Pferde an, so ließ man die übrigen, nur durch Koppel mit den Nachbarn verbundenen, auf der Wildbahn gehen (s. Decemiuges und Παρῄορος). Das wichtigste Pferd war das am weitesten links gespannte Wagenpferd (s. Principium). Das Gelingen der scharfen Wendungen um die Metae hing am meisten von seiner Schulung und guten [270] Durcharbeitung ab. Es mußte sich in solch kritischem Augenblicke plötzlich stark versammeln können, um den engen Bogen im kurzen Galopp zu beschreiben, mußte dann der Zentrifugalkraft der übrigen Pferde einen kräftigen Widerhalt entgegensetzen und schließlich nach Vollendung des Bogens sofort wieder in rascheste Gangart übergehen. Meistens wird daher nur dieses Haupt- oder Leitpferd gewissermaßen als Vertreter des ganzen Gespannes genannt und ihm der Sieg im besonderen zugeschrieben. Dig. XXXI 65, 1: equus qui demonstrabat quadrigam. Martial. VII 7. Sil. Ital. Pun. XVI 355ff. CIL VI 10056 u. a. Salmasius in Solin. p. 630ff. Pollack Hippodromica. Leipz. 1890, 33f. 36ff. Die Leistungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit solcher Rennpferde war mitunter erstaunlich und überstieg oft das bei uns übliche Maß, was wohl seinen Grund mit darin hatte, daß man ihnen erst, nachdem sie völlig ausgewachsen waren, die harte Arbeit in der Bahn zumutete. Aus den Wagenlenkerinschriften erfahren wir die Namen von Pferden, deren Siege ins Hundertfache gehen, die demnach Tausende von Kilometern in angestrengtester Gangart zurückgelegt haben. S. Centenarii und Ducenarii equi. Solche Pferde erregten nicht nur Aufmerksamkeit und Bewunderung, sondern wurden auch durch Gedichte und Denkmäler verherrlicht. Obendrein brachten sie ihren Besitzern ansehnlichen Gewinn ein (s. Praemia). Das Geschirr der Wagenpferde war naturgemäß so leicht wie möglich. Außer dem Zug- und Lenkzeuge erblickt man auf Denkmälern noch Schmuck und Schutzvorrichtungen. Der Schmuck bestellt meist in Federn oder Zweigen (wohl in den Farben der Parteien), die zwischen den Ohren am Stirnbande befestigt sind, oder in Glöckchen, Halbmonden und Kreuzen, die am Brustriemen oder am Ende der Schweifwickelbänder hangen. Die Schweife wurden kupiert und der übrig bleibende Haarbüschel mit Bändern umwickelt. Um das Schleudern des Wagens bei den Biegungen zu vermindern, spannte man die Pferde so kurz wie möglich an, so daß sie mit den Hinterteilen fast den Wagenkorb berührten. Da wäre ein langer Schweif nur hinderlich gewesen, ganz abgesehen davon, daß so das lästige und gefährliche Fangen der Leine mit dem Schweife vermieden wurde. Die Schutzvorrichtungen bestehen im Bandagieren der Beine unterhalb der Sprunggelenke, wie es noch heute üblich ist, um den Flechsen einen sicheren Halt zu geben, dann in einem visierartigen Stirnschutze, wohl aus Leder, der von den Ohrwurzeln, allmählich schmäler werdend, bis zum Nasenriemen herabreicht, und in einer Schutzhülle des Halses und der Brust, erstere dicht und nur bei Stangenpferden, wahrscheinlich um bei etwaigen Joch- oder Deichselbrüchen den Hals vor Verletzungen durch die splittrigen Trümmer zu schützen, letztere in Gestalt eines Riemennetzes. Besonders lehrreich ist hierfür das Mosaik von Barcelona, herausgegeben von Hübner Ann. d. Inst. 1863, 137ff., abgebildet bei Baumeister 96 und bei Daremberg I fig. 1520; siehe hierauch die fig. 1523. 1530. 1532 und namentlich 1536. Vgl. die Art. Desultores und Pferd.
Literatur: O. Panvinius De lud. circ. I 18
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(Graevii Thes. antiqu. Rom. 1698, IX 127). J. C. Bulengerus De Circo Rom. usw. LVIIff. und Tractatus de equis (ebd. 722—747). Bianconi-Fea Descr. dei circhi usw. Rom 1789, 61ff. Ginzrot Die Wagen und Fahrwerke d. Alten, München 1817 (Index). Schlieben Die Pferde des Altertums 1867. Gust. Freytag Sportbericht eines römischen Jockeys (Ges. Werke XVI 398ff,). Friedländer bei Marquardt-Wissowa Röm. St.-V. III² 523 und S.-G. II6 333f. Bussemaker und Saglio in Daremberg et Saglio Dict. des ant. I 1197f. und Martin ebd. II 794ff.