RE:Sosius 11
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Senecio, Q. Consular der traianischen Zeit | |||
Band III A,1 (1927) S. 1180–1193 | |||
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11) Q. Sosius Senecio, Consular der traianischen Zeit.
a) Name.
Der vollständige Name Q. Sosius Senecio in einer Jahresbezeichnung (Not. d. sc. 1911, 283) und in der Inschrift seiner Urenkelin Sosia Falconilla CIL VIII 7066 = Dessau I 1105. Sossius Senecio in einer Consulatsangabe CIL VI 31142. Σόσσιος Σενεκίων in Inschriften seiner Tochter Sossia Polla Dessau II 8820. Cagnat IGR IV 779. [Sos]ius Senecio CIL VI 10229, 127 (Testament des Dasumius). Sosius Senecio in der Adresse der Briefe des Plinius I 13 und IV 4 (in der Mehrzahl der Hss. nur Sosius). Σόσσιος Σενεκίων Plut. de prof. in virt. 1 (mor. I p. 181 Bern.); quaest. conv. in den Vorreden zu den einzelnen Büchern, ferner II 3, 1. IV 3, 1. IX 15, 2; vit. parall. Thes. 1; Dio 1. Σόσσιος Plut. Demosth. 1. 31 und oft in den Tischgesprächen. Dio Xiph. LXVIII 16, 2. Σενεκίων Plut. q. conv. II 3, 3. Senecio in den Consulfasten. Sos. CIL X 1488*. Auf einem in Friedberg gefundenen Bronzetäfelchen, auf dem Bergk (Bonn. Jahrb. LVIII 1876, 144) den Nameu des S. lesen wollte, steht vielmehr Sosi Severi (CIL XIII 7404; vgl. Dessau PIR III p. 255 n. 560). Über den Namen Sosius oder [1181] Sossius vgl. Schulze Z. Gesch. lat. Eigenn. 1904, 425.
b) Lebenslauf.
Über die Herkunft des S. ist nichts bekannt, doch gehörte er sicherlich nicht dem Adel an (gegen alle Wahrscheinlichkeit bezeichnet ihn Lully De sen. Rom. patria 1918, 79 als einen Nachkommen des C. Sosius, Consuls 32 v. Chr.). Nicht ausgeschlossen erscheint, daß er von der durch Horaz bekannten Buchhändlerfamilie der Sosii (s. o. Nr. 1) abstammte; seine umfassende literarische Bildung könnte allenfalls dafür sprechen (auch an die Vermutung Hartmans De Plutarcho 1916, 57. 388 mag erinnert werden, daß S. seinem Freunde Plutarch die eigenen geschulten Sklaven zur Vervielfältigung seiner Schriften zur Verfügung gestellt habe). Doch mögen seine Vorfahren immerhin vor Generationen aus dem griechischen Osten nach Rom gekommen sein, er selbst fühlte sich zweifellos als Römer, und es geht nicht an, ihn mit Borghesi (Oeuvr. VIII 367f.) als un Greco zu bezeichnen; dies erhellt auch aus dem Brief des Plinius an ihn (I 13) und aus den Worten Plutarchs in der Widmung der Tischgespräche ἔν τε Ῥώμῃ μεθ' ὑμῶν καὶ παρ’ ἡμῖν ἐν τῇ Ἑλλάδι (I pr. 1), wenn auch an dieser Stelle nur von dem Schauplatz der Symposien die Rede ist. Zudem macht Plutarch gelegentlich eine abfällige Bemerkung über die Senatoren griechischer Herkunft (de tranq. an. 10): er hätte dies nicht getan, wenn sein mächtiger Freund selbst diesen Kreisen angehörte. Für das Alter des S. haben wir nur den einen Anhaltspunkt, daß er im J. 99 zum Consulat gelangte. Wenn er damals wenig über 40 Jahre zählte, gehört seine Geburt etwa in die Zeit zwischen 55 und 59 n. Chr. (ohne zureichenden Grund nimmt Mommsen Ges. Schr. VII 225, 10 an, daß er zum zweiten Consulat ‚in sehr vorgerücktem Alter‘ gelangt sei). Über seine Ämterlaufbahn bis zum Consulat ist nichts überliefert, doch hat er ohne Zweifel die üblichen militärischen Stadien der senatorischen Ämterstaffel durchmessen, da ihn Traian später auf militärische Posten von höchster Wichtigkeit stellte; er wird demnach Legionstribun und als Prätorier Legat einer Legion gewesen sein.
Man wird ferner vermuten dürfen, daß S. in der Provinz Achaia eine amtliche Funktion innehatte. Wir erfahren aus Plutarchs Tischgesprächen, daß er sich längere Zeit in Griechenland aufhieit und dort wiederholt die Freunde bei sich empfing und bewirtete (s. u. Abschn. c). Es liegt in der Natur der Dinge, daß Plutarch hauptsächlich mit jenen Senatoren in engere Berührung trat, die in Achaia amtlich tätig waren; begreiflicherweise mußten sich dann leicht persönliche Beziehungen zu dem berühmtesten griechischen Schriftsteller der Zeit ergeben, der den größten Teil seines Lebens in der Heimat verbracht und, wie er selbst berichtet (praec. reip. ger. 20), schon als junger Mann im Auftrag seiner Vaterstadt den Proconsul aufgesucht hatte. Auch bei anderen Freunden des Philosophen läßt sich feststellen, daß sie in Achaia ein Staatsamt verwalteten, und vermuten, daß diese Funktion den Anlaß zur Freundschaft geboten habe, so bei Avidius Quietus und Herennius Saturninus. Bei [1182] S. könnte, da sich Plutarch ausdrücklich auf ihr Zusammensein in Rom beruft (q. conv. I pr. 1), der Fall allerdings auch so liegen, daß er in jungen Jahren bei Plutarchs erster Anwesenheit in Rom (unter Vespasian, de soll. anim. 19) die Bekanntschaft des Philosophen machte und sie nach geraumer Zeit als Reichsbeamter in dessen Heimat erneuerte. Er kann in Achaia entweder Quaestor oder Legat des Proconsuls oder selbst Proconsul gewesen sein; die höhere Wahrscheinlichkeit spricht für den Proconsulat. Denn einerseits fällt sein griechischer Aufenthalt später als der Proconsulat des Avidius Quietus, der bereits in die Regierung Domitians gehört (q. conv. II 1, 5 p. 58 Bern.; zu Quietus s. u. Abschn. d; Pomtows Ansetzung 95 n. Chr. [Syll. II³ 822 Anm.], entbehrt der sicheren Begründung), andrerseits erwähnt Plutarch im dritten Gespräch des vierten Buches Senecios Gegenwart bei der Hochzeit seines Sohnes Autobulos (666 D p. 157 Bern.). Da Plutarch um das J. 46 geboren wurde (vgl. Mommsen a. a. O. Rohden PIR III p. 55. Pomtow Jahrb. für cl. Phil LIX 549f. Syll. II³ 829 Anm.), sein Sohn demnach kaum vor dem J. 90 geheiratet haben kann, und Senecios amtliche Tätigkeit zwischen 99 und 107 für ein längeres Verweilen in Griechenland keinen Raum läßt, ergibt sich mit ziemlicher Gewißheit, daß die Hochzeit des Autobulos in die Zeit zwischen 90 und 98 gesetzt werden darf (daran würde sich auch nichts ändern, wenn die γαμβροί Plutarchs, Kraton und Firmus, die zusammen mit S. an Symposien teilnehmen [q. conv. I 1. II 3], nicht, wie Volkmann Leben und Schriften des Plut. I 58 meint, seine Schwäger, sondern, wie Heinze Die Familie des Plut. [Progr. Stargard 1886] nachzuweisen sucht, seine Schwiegersöhne waren; wir wären dann nur genötigt, jene Unterhaltungen möglichst nahe an das J. 98 heranzurücken; das 25. Kapitel des Erotikos, demzufolge Autobulos erst um 120 geheiratet haben könnte, kann für die plutarchische Chronologie nicht verwertet werden, wie Volkmann I 31f. Graf Comm. philol. Ribbeck. 69f. Hirzel Dialog. II 234 bewiesen haben [unrichtig Hein Quaest. Plut. 8; der eine Sohn der Epponina, der in Ägypten fiel, hat zweifellos beim Judenaufstand der J. 115–117 den Tod gefunden, vgl. Cichorius Röm. Studien 408f.]; auch Plutarchs angeblich späte Eheschließung, mit der z. B. Pomtow Jahrb. f. cl. Philol. LIX 549 operiert, beruht nur auf dem Amatorius; diese der züchtigen Zurückhaltung des Chäroneers wenig angemessene Schrift rührt ersichtlich nicht von Plutarch her [ebenso Graf, Hirzel und Cichorius a. a. O.; abweichend Hartman De Plut. 457. Christ-Schmid Gr. L.-G. II 16, 498]: die Erklärung des Namens Epponina aus dem Keltischen und die breiten Erzählungen von dem Heroismus keltischer Frauen könnten vielleicht in dem Gallier Favorinus den Verfasser des Dialogs vermuten lassen; anders urteilt Cichorius a. a. O.).
Nach alledem dürfte Senecios intimer Verkehr mit Plutarch in die letzten Jahre Domitians oder in die Regierungszeit Nervas gehören. Das Amt, das er in Achaia bekleidete, wäre demzufolge der Proconsulat, der mindestens fünf Jahre nach der [1183] Praetur erlost wurde und dem Consulat in der Regel unmittelbar vorausging (möglich wäre auch, daß S. zuerst Legat des Proconsuls in Achaia war und einige Jahre später selbst Proconsul wurde). Wenn sich der Passus in einem Ehrendekret der Stadt Apameia Kibotos für seine Tochter (IGR IV 779; s. Nr. 15) διά τε τὴν ἐκ προγόνων εὔνοιαν εἰς τὴν πόλιν nicht nur auf Frontin, sondern auch auf S. bezieht, fungierte er vielleicht auch als Legat des Proconsuls in Asia (sein Schwiegervater verwaltete diese Provinz um das J. 84/85; s. o. Bd. X S. 591f.).
Wahrscheinlich in domitianischer Zeit ging S. die Ehe ein, die – ähnlich wie dies Tacitus von Agricola sagt – ad maiora nitenti decus ac robur fuit. Er heiratete die Tochter eines berühmten Mannes, des als Senator, Militär und Schriftsteller hochangesehenen Consulars Sex. Iulius Frontinus (vgl. Dessau I 1105. II 8820. IGR IV 779. Kappelmacher o. Bd. X S. 591f.) und kam dadurch wohl auch zu anderen Consularen in verwandtschaftliche Beziehung, z. B. zu P. Calvisius Ruso L. Iulius Frontinus, Proconsul von Asia um 93 n. Chr. (s. u. Abschn. d). Nach seinem Alter zu schließen kann die Vermählung nicht vor dem J. 81 stattgefunden haben. Seine Tochter Sosia Polla, die im J. 106 vermutlich bereits mit dem damals ungefähr dreißigjährigen Pompeius Falco verheiratet war und diesem im J. 117/118 noch einen Sohn gebar (s. u. Abschn. d und Nr. 15), wird in der Zeit zwischen 85 und 90 zur Welt gekommen sein.
Frontin ist es wohl auch gewesen, der seinem Schwiegersohn die Freundschaft des Μ. Ulpius Traianus vermittelte. Denn daß die beiden ungefähr gleichaltrigen Senatoren einander schon in dieser Zeit nahestanden, läßt sich daraus erschließen, daß S. und A. Cornelius Palma, gleichfalls einer der Freunde Traians, die ersten Consules ordinarii der neuen Regierung wurden. Traian hatte auf den Consulat, der ihm selbst vom Senate angeboten worden war, verzichtet (hoc ergo honore ... tu otioso ac vacante privatis cessisti ... contigit ergo privatis aperire annum fastosque reserare Plin. paneg. 57f.). Das J. 852 = 99 n. Chr. trug also nach S. und Palma seinen Namen (Palma et Senecione oder Senecione et Palma in den hsl. Consullisten, Mommsen Chron. min. III p. 506. Vagileri Diz. epigr. II 987). Die Consuln führten die Fasces wohl nur bis zum 1. März (vgl. Otto S.-Ber. Akad. Münch. 1919, 10, 75. Harrers Abhandlung Stud. in philol. XIII 1916, 205f. ist mir nicht zugänglich). Nach seinem Consulat muß S. die Verwaltung einer consularischen Militärprovinz übernommen haben. Denn Plinius empfiehlt ihm Varisidius Nepos für die Offizierstellung eines Tribunus semestris und fügt der Lobpreisung seines Kandidaten die Bemerkung hinzu: multa beneficia in multos contulisti (IV 4, 3). Daraus geht hervor, daß die Statthalterschaft des S. von längerer Dauer gewesen sein muß. Für die zeitliche Bestimmung derselben kann das Schreiben des Plinius nicht verwertet werden (das vierte Buch der Briefsammlung ist nicht vor 106 erschienen, enthält aber auch ältere Briefe, vgl. Otto a. a. O. 33f.), indes gehört die Legation zweifellos in die Zeit zwischen die [1184] beiden Consulate des S. (Mommsen Ges. Schr. IV 381); treffen die unten folgenden Ausführungen das Richtige, so ging sie spätestens im J. 105 zu Ende.
An dem Entscheidungskampf gegen die Daker, in dem Decebal und sein Reich den Untergang fanden, muß S. in prominenter Stellung teilgenommen haben (Borghesi Oeuvr. VIII 367f.). Denn er wurde nach dem Ausgang des Krieges nicht allein mit den Triumphalornamenten ausgezeichnet (s. u.), sondern erhielt auch, zugleich mit dem senatorischen ‚Generalstabschef‘ des Imperators L. Licinius Sura, die außerordentliche Ehre des zweiten ordentlichen Consulates. Daraus folgt mit voller Sicherheit, daß ihm in diesem Kriege die wichtigste Mission zugefallen sein muß, die nach der des kaiserlichen Oberfeldherren und seiner beiden ständigen Begleiter (des Legatus Augusti pro praetore Sura und des Praefectus praetorio Claudius Livianus) zu erfüllen war. Die steinerne Bilderchronik des Krieges auf der Traiansäule erzählt uns, daß im zweiten Abschnitt des Krieges (106 n. Chr.) der Angriff auf die Hauptstadt Decebals, Sarmizegetusa, von zwei Armeen ausgeführt wurde, von einer unter dem persönlichen Befehl des Imperators stehenden ‚Westarmee‘ und einer ‚Ostarmee‘ (in dieser Feststellung sind Cichorius Reliefs d. Traiansäule III 178ff. Petersen Traians dak. Kriege II 75ff. v. Domaszewski Philol. LXVI 1906, 341f. Stuart Jones Pap. of the Brit. School Rom. V 1910, 441 einig, während sie in der Lokalisierung der Kriegshandlungen voneinander abweichen; auf diese Fragen soll hier nicht eingegangen werden, die zusammenhängende Darstellung der dakischen Kriege bleibe für den Artikel Μ. Ulpius Traianus vorbehalten). Der Kommandant der ‚Ostarmee‘ war ohne Zweifel der Consularlegat von Moesia inferior, der östlich gelegenen von den beiden dem Kriegsschauplatz benachbarten Provinzen (ebenso war im ersten Dakerkrieg dem Legaten derselben Provinz, Laberius Maximus, eine entscheidende Rolle zugefallen; s. Laberius). In dem Führer dieser Ostarmee und Legaten von Niedermoesien werden wir demnach Sosius Senecio erkennen dürfen. Das groß komponierte Reliefbild, in welchem das feierliche Opfer an der neu errichteten gewaltigen Donaubrücke dargestellt ist – die eindruckvollste und am meisten auffallende Szene in der Bilderreihe des zweiten Krieges –, zeigt uns den Führer einer marschbereiten Armee, der an der Spitze seiner Truppen dem opfernden Kaiser gegenübertritt (Bild XCVIII, vgl. Cichorius 131ff., dessen Zweiteilung des Reliefbildes untunlich ist; Benndorf Mon. v. Adamklissi 117. 124. Petersen 59f. v. Domaszewski 342). Der Schluß liegt nahe, daß in diesem Befehlshaber S. zu erblicken ist, und in der Tat, es erscheint geradezu überraschend, wie sehr das Äußere dieses mittelgroßen Mannes mit den klugen, ernsten, doch jeder Herbigkeit entbehrenden Zügen, dem schlichten, dichten Haupthaar und dem kurzen ‚griechischen‘ Vollbart, dem Bilde entspricht, das wir uns gerne von dem Freunde Plutarchs machen (ähnliche Gesichtszüge zeigt der Heerführer im Bild CII, der, gefolgt von Bläsern und Standartenträgern, [1185] den heranreitenden Imperator begrüßt, doch ist der Kopf der Figur ziemlich zerstört). Für die Annahme, daß S. als legatus Augusti pro praetore Moesiae inferioris am Kriege teilgenommen habe, gibt es noch einen weiteren Anhaltspunkt. Pompeius Falco, Senecios Schwiegersohn, führte in diesem Kriege (nicht, wie zumeist angenommen wird, im ersten Dakerkrieg) die Legio V. Macedonica, die dem niedermoesischen Heere angehörte (s. den Art. Pompeius Falco); da der Offiziersdienst unter dem Befehl eines Verwandten einer Gepflogenheit dieser Zeiten entspricht [vgl. Ritterling österr. Jahresh. X 1907, 309], läßt auch dies darauf schließen, daß S. der Höchstkommandierende war, unter dem Falco als Legat den Krieg mitmachte (er wird der junge Offizier sein, den wir in der Szene an der Donaubrücke [Bild XCIX] vom Armeekommandanten zum Kaiser schreiten sehen). Da am 13. Mai 105 noch A. Caecilius Faustinus der Provinz Niedermoesien vorstand (CIL III p. 865) und Traian erst im Juni von Rom aufbrach (CIL VI 2075), wird die Ernennung des S. mit ausdrücklicher Bestimmung für diesen Krieg erfolgt sein (demnach ist bei Plin. ep. IV 4 von einer früheren Statthalterschaft des S. die Rede). Vielleicht ist auch er unter den Männern zu verstehen, die ,mit dem Kaiser an der Donau überwinterten' und auf deren Erzählung über den Eisgang des Stromes Plutarch (de primo frig. 12, 5) sich beruft (daß hier an Traians Winterlager im J. 98/99 zu denken sei [PIR III p. 56], ist unwahrscheinlich). Mit dem Ende des Krieges erlosch seine Funktion, da wir ihm zu Beginn des J. 107 wieder in Rom begegnen.
Für seine Waffentaten erhielt S. die Ehren, die vom Senate auf Antrag des Kaisers für kriegerische Verdienste ersten Ranges zuerkannt zu werden pflegten: die Insignien des Triumphes und ein Standbild (wohl auf dem Augustusforum, vgl. Dessau I 1023. v. Domaezewski bei Weber Unters. z. Gesch. Hadr. 29). Dio sagt ausdrücklich, daß ihm Traian ein Denkmal errichten ließ (Xiph. LXVIII 16, 2; kein Zweifel, daß hier Sosius Senecio gemeint ist, nicht, wie Reimarus vermutete, Sosius Papus; vgl. u.; im Dio-Exzerpt steht diese Notiz in dem Abschnitt zwischen dem Daker- und dem Partherkrieg, offenbar hat Dio hier, wohl anläßlich des Todes des Licinius Sura, über Traians Freunde zusammenfassend berichtet; Webers Auffassung [S. 28f.] kann ich mir nicht zu eigen machen). Die höchste Auszeichnung war der zweite eponyme Consulat, den S. im J. 860 = 107 n. Chr. verwaltete, zugleich mit L. Licinius Sura, der diese Würde zum drittenmal innehatte (Sura et Senecione Chronogr. a. 354. Syra III et Senecione II Idat. Senecione IIII et Sura III Prosper. Συριανοῦ τὸ γ' καὶ Σενεκίωνος τὸ β' Chron. Pasch. ὑπατευόντων παρὰ Ῥωμαίοις Σύρα καὶ Σενεκίωνος [σεδεκιου cod. Colb.] τὸ δεύτερον act. S. Ign. ed. Zahn 2, 305f.; in Inschriften Licinio Sura III et Sossio Senecione cos. CIL VI 31142. [L.] Licinio Sura I[II] Q. Sosio [Sene]cione [II cos.] Not. d. scavi 1911, 283, Sura III et Senecion[e] II cos. CIL VIII 14560, sonst Sura et Senecione cos. [z. B. de Rossi Inscr. christ. urb. Rom. I p. 3 nr. 2] oder auch [1186] nur Sura III cos. [z. B. CIL VI 622. III 7006f. 7021f.]; Sos. et Sura cos. CIL X 1488* [Fälschung?]; der Irrtum des Prosper und seiner Ausschreiber, die das J. 102 mit Senecione II et Sura II bezeichnen, nach 103 ein Consulat Senecione IIII et Sura II einschieben und zu 107 Senecione IIII et Sura III vermerken [Mommsen Chron. min. I p. 285. III p. 506], hat dazu geführt, daß man dem S. früher vier Consulate zuschrieb [so Paulys RE. VI 1, 1330. Volkmann Plutarch I 39 u. a.], vgl. Borghesi Oeuvr. VIII 367f. Asbach Bonn. Jahrb. LXXII 1882, 12f. Mommsen Ges. Schr. IV 459. Vaglieri Diz. epigr. II 1035); als τὸ β' ὕπατος wird S. nach seinem Tode auf Denkmälern seiner Tochter [IGR IV 779. Dessau II 8820], als cos. II in einer Ehreninschrift seiner Urenkelin [Dessau I 1105] bezeichnet). Die beiden Consuln blieben bis längstens 30. April im Amte (daß die Consulate in diesem Jahre wenigstens vom Mai an viermonatlich waren, ergibt sich daraus, daß ein Consulnpaar für den 30. Juni, 1. und 12. August [Dessau 1699 = 3541. 2002], ein anderes für den 24. November [Dessau 2003] bezeugt ist; vgl. Otto a. a. O. 40).
Ohne Frage gehörte S. zu den Männern, die Traians engsten Freundeskreis bildeten und auf deren Rat der Kaiser das größte Gewicht legte. Dio sagt (LXVIII 16, 2), daß Traian Sosius, Palma und (Publilius) Celsus vor allen anderen ehrte (οὕτω που αὐτοὺς τῶν ἄλλων προετίμησε). Unter den amici, mit denen Traian ungezwungen zu verkehren pflegte (Dio LXVΙΙI 7, 3. Eutr. VIII 4), wird Senecio nächst Licinius Sura dem Herrscher am nächsten gestanden haben, da diese beiden Männer nicht, wie Palma und Celsus, ausschließlich Militärs waren, sich vielmehr durch eine allgemeine Bildung von ungewöhnlicher Vielseitigkeit und wohl auch durch hervorragende staatsmännische Einsicht auszeichneten. Wir gewinnen dabei den Eindruck, daß Sura dem Senecio an oratorischer Begabung, dieser wieder jenem an philosophischer Hochkultur überlegen, daß Sura die glänzendere, Senecio die tiefer veranlagte Persönlichkeit gewesen ist. In seinen philosophischen, auf sittliche Vervollkommnung des Lebens gerichteten Neigungen begegnete S. bei Traian, dem Freunde Dions von Prusa, einem gewissen Verständnis (αἰδεσθεὶς τὴν ὑμετέραν ἔγγονον φιλοσοφίαν Iulian. Caes. p. 328 B. Plin. paneg. 47. Dio LXVIII 7, 4, vgl. v. Arnim Dio v. Prusa 436. Hirzel Dialog II 73. 81f.). Leider ist infolge des trümmerhaften Zustandes unserer Überlieferung nichts Näheres darüber bekannt, in welcher Weise sich sein Einfluß äußerte, aber nach allem, was wir über ihn wissen, besteht kein Zweifel, daß Traian keinen besseren Ratgeber hätte finden können; für die Menschenkenntnis des großen Kaisers legt diese Wahl ein glänzendes Zeugnis ab (τοὺς μὲν ἀγαθούς, schreibt Dio LXVΙΙΙ 5, 3, ἐφίλει καὶ ἐδεξιοῦτο καὶ ἐτίμα). An den Tendenzen der Humanität und Gerechtigkeit, die in Traians Prinzipat obwalten, wird Senecio ein nicht unbeträchtlicher Anteil gebühren; sind dies doch eben jene Grundsätze, die sein hochgesinnter hellenischer Freund als das ideale Erfordernis [1187] wahrhaft ethischer Staatsleitung in seinen Schriften verherrlicht (z. B. in der dem S. zugeeigneten Lebensbeschreibung Dions c. 10; im Brutus, der Parallelbiographie zum Dion, bekennt sich Plutarch zu der Anschauung, daß die Alleinherrschaft im römischen Reich von der Gottheit gewollt sei, c. 47). So wurde Plutarch die einzigartige Genugtuung zuteil, daß seine philosophischen Gedanken auf die Lenkung des Weltreiches bestimmenden Einfluß gewannen, und die Lehre, die er in der Schrift περὶ τοῦ ὅτι μάλιστα τοῖς ἡγεμόσι δεῖ τὸν φιλόσοφον διαλέγεσθαι verkündet hatte – daß es Pflicht des menschenfreundlichen Philosophen sei, eine Freundschaft zu pflegen, die nicht allein einzelnen, sondern Staaten und Völkern zum Wohle gereiche –, trug nun ungeahnt segensreiche Früchte (es ist beachtenswert, daß Plutarch in dieser Schrift auf Platons politische Wirksamkeit am syrakusanischen Hofe zu sprechen kommt, die er in der eben erwähnten Biographie Dions eingehend behandelt; ob nicht auch die – nur fragmentarisch erhaltene – Diatribe max. cum principibus viris phil. esse diss. dem S. gewidmet war?).
Nach seinem zweiten Consulat wird S. – abgesehen vom Testament des Dasumius (Sommer 108, CIL VI 10229, 127) – nicht mehr erwähnt, es sei denn, daß sich eine Stelle in Hist. aug. Hadr. (4, 1. 2) auf ihn bezieht, wo von Hadrian gesagt wird: usus Plotinae quoque favore, cuius studio etiam legatus expeditionis Parthicae tempore destinatus est (im J. 113, Weber Hadr. 26). qua quidem tempestate utebatur Hadrianus amicitia Sosi Papi et Platori Nepotis ex senatorio ordine. Dessau vermutet (PIR III p. 255), daß hier eine Lücke im Texte und Sosius Senecio sowie ein sonst unbekannter Papus gemeint sei (v. Domaszewskis und Webers Gegengründe [Hadr. 26, 95] sind unzureichend). In der Tat könnte hier von S. die Rede sein, der dann nur mit seinem Gentilnamen genannt wäre, während der andere Senator nur mit seinem Kognomen bezeichnet wird (ein Aemilius Papus befand sich damals im Senate, vgl. PIR II p. 369 nr. 376). Eine ähnliche Ausdrucksweise finden wir an derselben Stelle gleich im folgenden, wo es heißt: ex equestri (ordine) ... Liviani Turbonis und in Wirklichkeit zwei Männer, Claudius Livianus und Marcius Turbo, gemeint sind. Hadrian, der als Legionslegat, vielleicht unter Senecios Oberbefehl, am zweiten Dakerkrieg teilnahm, muß ihm schon wegen seines begeisterten Philhellenentums Sympathien eingeflößt haben.
Wenn S. zu Beginn des Partherkrieges noch gelebt hat, so ist er doch vermutlich nicht gar viel später gestorben und wird Traian kaum überlebt haben. Nach dem damals üblichen Intervall hätte er um 116 zum Proconsulat von Africa oder Asia gelangen müssen, aber in den Fasten dieser Provinzen, die gerade für diese Jahre ziemlich vollständig sind, begegnet sein Name nicht. Auch sonst wird er, wie bemerkt, nicht mehr erwähnt (in den ihm gewidmeten plutarchischen Schriften findet sich kein sicheres Anzeichen für die Zeit nach 115; s. u.).
c) Geistige Bestrebungen.
S. stand [1188] in persönlichem Verkehr mit den geistig führenden Kreisen seiner Zeit. In der Korrespondenz des Plinius sind zwei Briefe an ihn gerichtet. In dem einen (I 13) klagt Plinius, daß das römische Publikum an Rezitationen so wenig Anteil nehme, und setzt damit bei S. dasselbe Interesse voraus, das ihn selbst beseelt. Mit den Worten neque enim est fere quisquam qui studia ut non simul et nos amet will der eitle Autor sowohl dem Adressaten als auch sich selbst ein ehrendes Zeugnis ausstellen. Das andere Schreiben (IV 4) ist der bereits erwähnte Empfehlungsbrief für Varisidius Nepos. Ob S. mit dem stärksten literarischen Talente des damaligen Römertums, mit Tacitus, in engerem Kontakt stand, ist unbekannt – freilich vertrat Tacitus die Anschauung, daß tiefere philosophische Studien für einen Senator nicht angemessen seien (vgl. Agr. 4). Viel innigere Bande als mit Plinius, dessen flaches Literatentum ihm kaum sehr zugesagt haben wird, fesselten ihn an Plutarch: ein bleibendes Denkmal der Freundschaft, die den edlen Philosophen von Chaironeia und den römischen Staatsmann verband, sind die Werke, die Plutarch dem Römer gewidmet oder auf seine Anregung hin verfaßt hat: die Abhandlung πῶς ἄν τις αἴσθοιτο ἑαντοῦ προκόπτοντος ἐπ’ ἀρετῇ (mor. ed. Bernardakis vol. I p. 181ff.), ferner die Tischgespräche und endlich die vergleichenden Lebensbeschreibungen der Griechen und Römer, in denen die enge geistige Gemeinschaft, zu der sich Hellenentum und Römertum in diesen Zeiten zusammenfanden, ihren unsterblichen Ausdruck fand.
Für die Zeit, in der das Buch über die Fortschritte in der Tugend erschienen ist, lassen sich der Schrift selbst keine Hinweise entnehmen, doch ist sie von Plutarch sicherlich bereits in vorgerückten Jahren verfaßt (vgl. Hartman De Plut. 55f. Hein Quaest. Plutarch., Diss. Berlin 1916, 25ff.; die zahlreichen Versuche [Literatur bei Christ-Schmid Griech. Lit.-Gesch. II I6 490f.], eine ‚relative Chronologie‘ der Moralia festzulegen, sind bisher noch nicht zu zwingenden Ergebnissen gelangt und führen auch nicht viel weiter, da bei den meisten Schriften immer noch der Spielraum zwischen Domitians Tod und Hadrian bleibt; Hein stützt sich für seine Zeitbestimmungen auf den Erotikos, von dessen Unbrauchbarkeit in dieser Hinsicht oben die Rede war, und auf Pomtows Ansatz für den Beginn der delphischen Priesterschaft Plutarchs [um 95 n. Chr., Jahrb. f. kl. Phil. LIX 549f.], der keineswegs gesichert ist; daß S. unter Traian Consul war, kann für sich allein nicht, wie Hein p. 8 meint, für die Datierung der ihm gewidmeten Werke ins Gewicht fallen, vgl. Bock Wochenschr. f. kl. Phil. 1916, 819f.). Die Tischgespräche entstammen einer Anregung des S., der Plutarch aufgefordert hatte, das Wissenswerteste zusammenzustellen, das in Rom und in Hellas bei Tisch und Becher in ihrem Kreise gesprochen worden war (I pr. 1, mor. vol. IV p. 1f. Bern.). Auch für diese Sammlung läßt sich eine ganz bestimmte zeitliche Fixierung nicht gewinnen, doch sprechen verschiedene Anzeichen dafür, in ihnen ein Alterswerk des Schriftstellers zu erblicken (vgl. Hirzel Dialog [1189] II 226. Hartman 386f.; innerhalb der quæst. conv. ist die Anordnung nicht, wie Volkmann Leben u. Schriften Plut. I 24. 55ff. gemeint hatte, chronologisch, sondern entspricht Plutarchs eigener Angabe σποράδην δ' ἀναγέγραπται καὶ οὐ διακεκριμένως ἀλλ’ ὡς ἕκαστον εἰς μνήμην ἦλθεν II pr., vgl. Graf Comm. philol. Ribbeck. 65f. Hartman 387). Von den βίοι παράλληλοι sind die Viten des Demosthenes und Cicero, Dion und Brutus, Theseus und Romulus dem S. zugeeignet (Demosth. 1. 31; Dio 1; Thes. 1), der offenbar auch in der Widmung des Paares Timoleon-Aemilius Paulius (ὧν ἐν τῷ παρόντι προκεχειρίσμεθά σοι τὸν Τιμολέοντος τοῦ Κορινθίου καὶ τὸν Αἰμίλιου Παύλου βίον) und in der Einleitung des Buches Agis-Kleomenes, Ti. und C. Gracchus (Agis c. 2; ταῦτα μὲν οὖν ἐπικρινεῖς αὐτὸς ἐκ τῆς διηγήσεως, vgl. compar. 5) gemeint ist (vgl. Μewaldt Herm. XLII 1907, 570). Da nach Plutarchs eigenem Zeugnis das Leben des Demosthenes zum fünften, das des Dion zum zwölften Paar der Bioi gehörte (Dem. 3; Dio 2) und die mythischen Biographien später als die rein historischen in Angriff genommen wurden (Thes. 1, vgl. Hartman 479f., unzutreffend Mewaldt a. a. O.), gewinnt die Annahme hohe Wahrscheinlichkeit, daß die ganze Sammlung dem S. gewidmet war (so bereits Michaelis in der mir nicht zugänglichen Dissertation De ord. vit. par. Plut. 1875, 17; der erste Doppelbios, nach Muhl Plut. Studien [Progr. Augsb. 1885] 11f., wohl Epameinondas und Scipio, ist nicht erhalten). Dieser Auffassung widerspricht keineswegs (wie Muhl meint) das Vorwort zum Timoleon, wo Plutarch sagt: ἐμοὶ μὲν τῆς τῶν βίων ἅψασθαι μὲν γραφῆς συνέβη δι' ἐτέρους, ἐπιμένειν δὲ καὶ φιλοχωρεῖν ἤδη καὶ δι’ ἐμαυτόν, da hier von der Anregung, nicht von der Widmung der Biographien die Rede ist; trägt doch gerade diese Vita die Zueignung an S. (für die Frage der Dedikation kommt nichts darauf an, ob die Lebensbeschreibungen paarweise herausgegeben oder ob immer mehrere Paare zusammen ediert wurden und die Anrede an S. zu Beginn eines jeden Buches stand, wie Μewaldt 564ff. annimmt). Beachtenswert erscheint, daß dieselben Gedanken, die Plutarch in der Einleitung zum Timoleon ausspricht – man müsse die Geschichte als einen Spiegel betrachten, sein Leben in geistiger Gemeinschaft mit den großen Männern hinbringen usw. – auch in der gleichfalls dem S. überreichten Schrift über die Fortschritte in der Tugend begegnen; dies erweckt den Anschein, daß diese Abhandlung vor den Bioi geschrieben ist und Plutarch vielleicht gerade durch diese Reflexionen zur Abfassung derselben angeregt wurde. Was die Zeit der Herausgabe anlangt, so setzen mehrere Stellen den Untergang Domitians voraus (Numa 19; Public. 15; Pandius 25), unter dessen Regierung das (ausdrücklich dem S. dedizierte) Paar Dion-Brutus gar nicht hätte erscheinen können. Einen ungefähren Anhaltspunkt für das Leben des Sulla gibt die Angabe, daß seit der Schlacht bei Orchomenos (85 v. Chr.) beinahe zweihundert Jahre verflossen seien (c. 21, vgl. Hartman 475), andrerseits ist Solon vor der Vollendung des Olympieions durch Hadrian (131/132 n. Chr.) verfaßt (c. 32, s. Volkmann [1190] I 80. 91; nach Hartman 133. 475. 482 sind fast alle Moralia vor den Viten geschrieben, aber de Pythiae orac. ist erst nach 120 geschrieben, Weber Hadr. 192f. Mittelhaus De Plut. praec. ger. reip., Diss. Berlin 1911 zeigt, daß praec. reip. ger., an seni res p. ger. und nach diesen de cap. ex inim. util. später erschienen sind als die Hauptmasse der Viten; vgl. ferner Christ-Schmid 491).
Der vertraute Verkehr des S. mit Plutarch reicht in eine weit frühere Zeit zurück als jene, in der die συμποσιακά προβλήματα erschienen. Denn schon als ihm Plutarch die ersten drei Bücher dieser Sammlung zusendet (I pr. 1), spricht er in den Vorreden zum ersten und zweiten Buch von einer geraume Zeit zurückliegenden Vergangenheit (p. 2. 50 Bern.). Als er ihm dann das fünfte Buch übersendet, das sicher nicht viel später als die erste Triade heranskam (πέμψω δὲ καὶ τὰ λοιπὰ ταχέως I pr. 1), waren die beiden Freunde ‚durch Länder und Meere‘ getrennt: ἐπειδὴ μάλα πολλὰ μεταξὺ οὔρεά τε σκιόεντα θάλασσά τε ἠχήεσσα (V pr. 1 p. 176 Bern.). Aber in früherer Zeit war nicht allein Rom (Plutarch weilte wiederholt in der Reichshauptstadt, s. Volkmann I 34ff.), sondern auch Griechenland und sogar die Heimatstadt des Schriftstellers der Schauplatz ihres intimen geselligen Verkehrs gewesen: ᾠήθης τε δεῖν ἡμᾶς τῶν σποράδην πολλάκις ἐν τε Ῥώμῃ μεθ’ ὑμῶν καὶ παρ’ ἡμῖν ἐν τῇ Ἑλλάδι, παρούσης ἅμα τραπέζης καὶ κύλικος, φιλολογηθέντων συναγαγεῖν τἀπιτήδεια (I pr. 1). Ein Gastmahl, an dem S. teilnahm, fand in Athen (I 1, 1), ein anderes, bei dem er selbst die Freunde bewirtete, in Patrai statt (II 1, 1), zur Hochzeit des Autobulos kam er aus Chaironeia (παρὼν ἐκ Χαιρωνείας ὁ Σόσσιος Σενεκίων IV 3, 1 p. 666 D; doch vermuten Volkmann I 39 und Hartman 416 wohl mit Recht, daß eher ἐν Χαίρωνείᾳ zu lesen sei), in der Einleitung zum ersten Gespräch des fünften Buches wird abermals Senecios Anwesenheit in Athen erwähnt, wo gerade der Sieg des Komödiendichters Straton gefeiert wurde (V 1, 1). Die Freundschaft der beiden Männer, in jüngeren Jahren angebahnt, verlor an Herzlichkeit nichts, als der eine von ihnen der berühmteste Schriftsteller seiner Zeit, der andere einer der Großen des Reiches geworden war. Ob die engen Beziehungen zu dem vielvermögenden Consular für Plutarch auch äußerliche Vorteile im Gefolge hatten, wissen wir nicht, indes ist ganz gut möglich, daß der Philosoph die consularischen Ornamente, die ihm (nach dem Zeugnis des Suidas s. Πλούτ. b) von Traian verliehen wurden, der Verwendung des Senecio verdankte, der sein und des Kaisers Freund zugleich war (mit den Worten μεταδοὺς δὲ αὐτῷ Τραιανὸς τῆς τῶν ὑπάτων ἀξίας kann nur die Auszeichnung mit den Orn. cons. gemeint sein, vgl. Volkmann I 91; was Suidas im folgenden bemerkt, kann allerdings in dieser Form nicht zutreffen, doch berechtigt dies nicht dazu, an der Geschichtlichkeit jener Nachricht zu zweifeln).
Aus den Tischgesprächen, an denen S. teilnahm (I 1. 5. II 1. 3. IV 3; in den späteren Büchern wird er nicht mehr redend eingeführt), [1191] ergibt sich, daß er auf der vollen Höhe der Kultur und Bildung seiner Zeit stand und mit der griechischen Literatur vollkommen vertraut war (die Reden der Tischgefährten sind nach Muhl 41. Graf 59f. und Hirzel Dialog II 224f. ihrem wesentlichen Inhalt nach authentisch; dagegen will Hubert Χάριτες Leo dargebr. 1911, 170f. nur eine literarische Fiktion erkennen [zustimmend Christ-Schmid 501]; aber die Worte Plutarchs in der Zueignung des ersten und zweiten Buches (z. B. τινὰ τῶν προρρηθέντων ὑπὸ σοῦ II pr.) sprechen nicht dafür, und das eine kann wohl als sicher betrachtet werden, daß Plutarch die Gespräche dem Bildungsstand und den Anschauungen der Redenden nach Tunlichkeit anpaßte; die Eigentümlichkeit, daß an mehreren Stellen des dem S. überreichten Werkes von diesem in der dritten Person gesprochen wird [I 5, 1. 2. II 3, 1. 3. IV 3, 1], erklären Graf a. a. O. und Hirzel Dial. II 225, 1 damit, daß für einen Teil der Sammlung ältere ὑπομνήματα die Grundlage bildeten; doch bietet diese Beobachtung nicht, wie Graf meint, ein Kriterium für die Datierung der Gespräche; eine andere Erklärung gibt Hubert 176. Senecio wußte die edlen Formen einer echt hellenischen, durch Bildung, Geist und Laune belebten Geselligkeit zu schätzen (q. conv. I pr. 1. 1, 3. II 1, 1). Als Gastgeber regt er selbst die Erörterung der Frage an, welche Themen sich nach Xenophons Kyropädie für Symposien vorzüglich eigneten (II 1, 1); ein andermal meint er, es sei doch notwendig, für gelehrte Unterhaltungen bei Tische eine gewisse Norm festzusetzen, damit nicht, fügt er scherzend hinzu, das homerische νῦν δ’ ἔρχεσθ' ἐπὶ δεῖπνον ἵνα ξυνάγωμεν Ἄρηα zur Wahrheit werde (I 1, 3). An seiner Tafel werden sapphische Lieder gesungen (I 5, 1), er zitiert Verse der Komödiendichter (IV 3, 1), des Pindar und Sophokles (I 5, 2), führt Aussprüche und Lehren des Theophrast (s. u.), Hekataios von Abdera (IV 3, 1) und anderer an, ist in Euripides (I pr. 1. 5, 1), Platon (II 3, 3) und Xenophon und selbstverständlich in Homer gut belesen. Für die politische Geschichte und für das Leben großer Männer empfand er begreiflicherweise starkes Interesse: dies lehrt namentlich die Widmung der Lebensbeschreibungen, die allerdings vor allem ethische Tendenzen verfolgen (q. conv. II 3, 3 führt er selbst eine Begebenheit aus dem sizilischen Sklavenkrieg an). In dem Streit der Rhetorik und Philosophie um die Führung im Geistesleben (vgl. v. Arnim Dio v. Prusa 4ff.) hat sich S. offensichtlich für die Weisheitslehre entschieden. Daß er aber auf philosophischem Gebiete mehr als ein oberflächlicher Dilettant (wenn auch, versteht sich, kein selbständiger Denker) gewesen ist, erkennt man daraus, daß ihm Plutarch die Diatribe de prof. in virtute widmete, die hauptsächlich für unablässige Ausbildung und Fortbildung in der Philosophie, und zwar vor allem in der Ethik eintritt (vgl. Volkmann II 120ff. Hartman 55ff.), und ebenso aus der Art, wie S. in den ‚Tischgesprächen‘ eingeführt wird. Die Worte Plutarchs in der Dedikation des zweiten Buches, οὐ δεῖ δὲ θαυμάζειν τοὺς ἀναγιγνώσκοντας, εἴ σοι προσφωνοῦντες τινὰ τῶν προρρηθέντων [1192] ὑπὸ σοῦ συνηγάγομεν scheinen darauf hinzudeuten, daß bestimmte philosophische Theorien Senecios dem weiteren Freundeskreise Plutarchs wohlbekannt waren (vgl. Muhl 41). An den Vers ποιητὴν δ’ ἄρα Ἔρως διδάσκει, κἂν ἄμουσος ᾖ τὸ πρίν anknüpfend, betont er – unter Berufung auf Theophrasts Schrift über die Musik, die er vor kurzem gelesen habe – die Bedeutung des Eros sowohl für die Musik, deren Grundprinzipien, Trauer, Freude und Verzückung, ‚erotischen‘ Ursprungs seien, als auch für die Poesie (I 5, 2). Anläßlich eines Gespräches über die Frage, was früher dagewesen sei, die Henne oder das Ei (IV 3), begründet er in ausführlicher Darlegung die These ὁ γὰρ κόσμος προὐφέστηκε πάντων τελειότατος ὤν und gelangt zu dem Ergebnis, daß die ‚Erde die Mutter aller Dinge‘ sei (vgl. Muhl 33; Macrobius hat diese Erörterung in breiterer und etwas veränderter Form in seine Saturnalien [VII 16, 1–14] aufgenommen, vgl. Graf 64). An einer anderen Stelle der quaest. conv. sagt Plutarch, es sei ihm zwar unbekannt, welche Ansicht S. gegenwärtig über die Genüsse der Seele und des Leibes hege, aber früher wäre er ein Gegner der materialistischen (von der Schule Epikurs vertretenen) Anschauung gewesen, der zufolge die Seele vom Körper ganz abhängig sei und gleich einem Spiegel oder Abdruck nur die Bilder und Formen der sinnlichen Wahrnehmung in sich aufnehme (V pr.). Diese Äußerungen lehren, daß sich S. gleich seinem Freunde zu einem ‚modernisierten‘, jedem starren Dogmatismus abholden Platonismus bekannte. Offenbar aus diesem Grunde apostrophiert ihn Plutarch in der Einleitung zu den Biographien des Dion und des Brutus, die beide der Akademie angehörten. Man wird kaum fehlgehen, wenn man in dem Chäroneer selbst seinen Wegweiser in der Philosophie erblickt (vgl. Hartman De Plut. 381. 387; so mag es sich erklären, daß die Söhne Plutarchs, die sicherlich bedeutend jünger als S. waren, quaest. conv. VIII 10, 1 ἑταῖροι desselben genannt werden, s. Hartman a. a. O.; Muhls Ansicht, daß dieses Wort den ‚philosophischen Gesinnungsgenossen‘ [das wäre übrigens nach dem Zusammenhang Aristoteliker] bezeichne, widerlegt Graf 68). Dem Stoizismus, der damals unter den hochgestellten Römern nicht wenige Bekenner zählte, stand er sicherlich fern, wie schon daraus hervorgeht, daß Plutarch in der ihm gewidmeten Schrift über die Fortschritte in der Tugend eingehend und unter ausdrücklicher Berufung auf S. (c. 1 p. 75 D) gegen die Stoiker polemisiert.
d) Familie und Freunde.
S. heiratete, wie bereits erwähnt, eine Tochter Frontins (Iulia Frontina?). Sie schenkte ihm eine Tochter, Sosia Polla (s. Nr. 15), auch Sosia Frontina entstammte vermutlich dieser Ehe (s. Nr. 13). Polla heiratete (anscheinend nicht lange vor 106 n. Chr., s. o. Abschn. b) den Senator Q. Roscius Coelius Murena Pompeius Falco, Consul um 111/112 (Falco führte auch die Namen Iulius Eurycles Herculanus [Dessau I 1035]; dadurch irregeführt bezeichnet Hein Quaest. Plut. 12 den vornehmen Spartaner Eurykles Herkulanos fälschlich als Schwiegersohn des S.). In der Wahl des [1193] Schwiegersohnes bewährte sich Senecios Menschenkenntnis; denn Falco war nicht allein in Verwaltung und Heeresdienst wohlerprobt, sondern gleich seinem Schwiegervater hatte er rege geistige und literarische Interessen (s. den Art. Pompeius Falco). Die Nachkommen des Falco und der Sosia, die zu den vornehmsten und reichsten Familien des Senates zählten, führen unter ihren vielen Namen auch die des S., ihres berühmten Ahnherren, und schon bei dessen Enkel, dem Consul 149, ist Sosius zum Hauptgentile geworden, dem gegenüber der väterliche Geschlechtsname Pompeius zurücktrat (vgl. Österr. Jahresh. XVIII 1915 Beibl. 265ff.).
Von den römischen Freunden des S. sind uns C. Calvisius Rufus aus Comum durch Plinius, der den Neffen des Calvisius, Varisidius Nepos, dem Wohlwollen des S. empfiehlt (ep. IV 4; der Munizipalbürger war vielleicht ein Verwandter des bereits erwähnten Consulars P. Calvisius Ruso L. Iulius Frontinus), der Consular Avidius Quietus, der Jünger Thraseas, durch Plutarch bekannt (quaest. conv. II 1, 5), ferner durch das bekannte Testament der Consular L. Dasumius (Tuscus), der S. in einem Kodizill, gleich nach dem Kaiser Traian, mit einem Legat bedachte (CIL VI 10229, 127). Auch C. Minicius Fundanus, der mit ihm die Freundschaft des Plutarch und des Plinius und die Liebe zur Philosophie teilte, wird zu dem Kreise Senecios gehört haben; es ist wohl kein Zufall, daß Fundanus im J. 107 sein Nachfolger im Consulate wurde (s. den Art. Minicius Fundanus). Unter den griechischen Freunden sind die Söhne Plutarchs zu nennen (quaest. conv. VIII 10, 1); bei der Hochzeitsfeier des einen von ihnen, Autobulos, war S. zugegen (IV 3, 1). Ferner nahmen an den Gastmählern gemeinsam mit S. und Plutarch teil: die γαμβροί Plutarchs Kraton (I 1) und Firmus (II 3), ferner Ariston (I 1), Plutarchs intimer Freund Sextius Sulla aus Karthago (II 3), der alexandrinische Grammatiker Theon (IV 3), die Epikureer Alexandros (II 3) und Boethos, ein Mathematiker (V 1). Von den Q. Sosii (oder Sossii), die in stadtrömischen Grabschriften genannt werden (CIL VI 26633–26637. 26642), werden die meisten Freigelassene des S. oder seiner Nachkommen gewesen sein.
e) Persönlichkeit.
Der Zustand unserer Überlieferung läßt es nicht zu, ein schärfer umrissenes Bild von der Persönlichkeit des Sosius Senecio zu entwerfen. Aber wenn wir die spärlichen überlieferten Züge zusammenfassen, dürfen wir wohl sagen, daß er zu den besten Männern seiner Zeit gehört haben muß. Er verband mit dem sittlichen Ernst und der seelischen Heiterkeit des idealistisch gesinnten Philosophenschülers die praktische Tüchtigkeit des römischen Staatsmannes und Heerführers; er wußte im Kronrat des Kaisers und im Kriegslager der Legionen ebenso Bescheid wie im hellenischen Freundeskreis bei dem geistig angeregten, durch des Dionysos und der Musen Huld verklärten Symposion. Und so darf er wohl den Ruhm beanspruchen, nach seinem Teil zu dem Glanze beigetragen zu haben, der wie der Strahl der untergehenden Sonne über dem letzten schönen Tage der Antike liegt.