Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Götter und Geister

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Der Reußen Männlichkeit Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Der Ochse mit der Laterne
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[55]
188.
Götter und Geister.

Mehr als in irgend einem Bezirke oder Landstriche Thüringens begegnet die deutsche Mythenforschung im Voigtlande, im Elstergebiete und dem oberen Theil des diesem nachbarlichen Saalgebietes einer reichen Fülle mythischer Wesen, welche in zahlreichen Einzelsagen auftreten, aber gewissermaßen eine in sich verschlungene, sich durchdringende und gegenseitig ergänzende Götter- und Geisterwelt bilden. Um über diese Dämonenschaar sich selbst klar zu werden, muß man sie in Gruppen theilen, und diese sind hauptsächlich:

      I. Der wilde Jäger und die wilde Bertha; die von Bertha geschirmten und geschützten Heimchen; die vom wilden Jäger verfolgten Holzmännel, Holzweibel, Moosleute.

      II. Riesen und Zwerge, welche letztere in Erdzwerge, Bergzwerge und hülfreiche oder neckische Hausgeister, Hüthchen und Kobolde sich abzweigen.

      III. Die Nixen und Nixenmänner der Elster und der Saale.

      IV. Der Teufel mit seiner Sippschaft, den Drachen, den Bilbzen- und Binsenschnittern, den Pestgeistern, den Hexen.

      V. Als Schätzehüther oder sonstige Spukgestalten und Erscheinungen dämonischer Natur Feuermänner, [56] Irrlichter, wandelnde Lichter, Lindwürme, Hunde, Katzen und sonstige spukende Thiere.

Die Schilderung des eigenthümlichen Wesens jeder dieser mythischen Gestaltungen würde zu einer Abhandlung anschwellen, dasselbe erhellt aus den örtlichen Sagen selbst, nur die Hauptzüge sollen hier festgestellt werden.

Der wilde Jäger ist dieselbe altgermanische Gottheit, die im deutschen Norden wie im Süden als Wode, Wuthan, und unter einer Menge anderer Einzelnamen, wie Abel, Elbel, Bernd, Bernddietrich, Hackelbernd u. s. w. auftritt, mit oder ohne Frau, mit oder ohne Hunde, mit oder ohne sonstiges Gefolge. Er straft sehr hart die, welche ihn durch Anruf höhnen, zeigt sich selten gütig, und rechtfertigt seinen Namen durch stete Wildheit und unbegrenzte Jagdwuth.

Die wilde Bertha ist eine mythische Doppelerscheinung, sie ist theils Gesellin, Genossin, Frau des wilden Jägers, theils selbstständige Herrscherin, und in beiden mit der Hulda ganz ein und dasselbe Wesen. Sie heißt auch Bildabertha, Hildabertha (hier klingt die Hulda an) eiserne Bertha, Perchta und Prechta. Der letztere Name lebt als Prechtl in Tirol, wo sie Herrin der seligen Fräulein (Saligen) und Spinnefrau ist, ganz wie die thüringische Hulda. Ihr Gefolge bilden die Heimchen, ein zartes, schwaches Geschlecht, Seelchen (an die Seligen anklingend) ungetaufter Kinder, die niemals schreckhaft oder schadenfroh auftreten, gleich den Hullenpöpeln, und die Bertha, welche im nahen Orlagau Prechta heißt, ist ihre Königin. Manchen verwandtschaftlichen Zug haben die Heimchen zu dem Geschlechte der [57] Erdmännchen. Sie heißen daher auch Erdmännele, Heimele, Butzelmännele, und werden als äußerst klein von Gestalt gedacht. Sie bringen den Menschen gute Gaben dar, tanzen in großen Schaaren auf Wiesen, lassen sich bisweilen in Abendstunden und im Mondschein sehen, sie sind weiß gekleidet, und ähneln sonach den Licht-Elfen skandinavischer und britannischer Mythen. Die Holzweibel und Holzmännel sind von den Heimchen verschieden, die Sagen von ihnen sind im Voigtlande allgemein verbreitet; früher war es auch der Glaube an sie, und noch jetzt versichert mancher Alte, selbst noch solche kleine Wesen gesehen zu haben. Ihre Aufenthalte waren die größeren Waldungen. Man beschrieb ihr Ansehen so, wie man anderwärts die Kobolde, Hüthchen, Elfen und Trollen schildert, doch stimmen sie mit keinem dieser dämonischen Wesen in ihrem eignen ganz überein. Minder geistig wie Elfen, minder bösartig wie Trollen, minder neckisch wie Hüthchen, hatten sie Freuden und Leiden, welche jene Elementargeister nicht kannten, und der Leiden mehr, wie der Freuden. Sie haben einen mächtigen Feind, das ist der wilde Jäger. Der jagt sie und hetzt sie, und nur gewisse Baumstämme gewähren ihnen vor diesem Feinde Asyle, Stämme, in welche beim fällen, während der abgesägte Baum schallend stürzte, schnell von 2 Leuten 3 Kreuze eingehauen wurden. Darum baten sie oft kläglich die Leute, welche Stöcke rodeten, solche bezeichnete Stammreste nicht heraus zu thun. Von den Hirten bettelten sie Brod, segneten aber dafür die Kühe, daß sie mehr Milch gaben; in den Häusern nahmen sie gern mit Brod und Klösen vorlieb, waren aber hülfreich dafür, bisweilen stahlen sie auch was Weniges. Aber was gezählt [58] war, mußten sie unberührt lassen, ein guter Grund, Ordnung im Hauswesen zu halten. Den Hirtenmädchen halfen sie stricken, oder begabten sie außerdem. So erhielt ein Mädchen, das einem Holzweibel auf sein Bitten Brod darreichte, ein Knaul Garn mit der Weisung, dieses in ihre Lade zu legen, und den Faden zum Schlüsselloch heraushängen zu lassen. Sie thats und das Garn nahm nicht ab, so viel sie davon abwickelte. Sie hätte Garn genug gehabt ihr Lebelang; aber da kam eine Freundin zu ihr, und sah nun das viele, viele Garn, das jene bereits abgewickelt hatte, und unbesonnen vertraute die Hirtin der Freundin das Geheimniß ihrer Garnquelle. Diese wünscht sich auch etwas abzuwickeln, und die Besitzerin giebt es unbedacht zu; kaum hat aber die Freundin angefangen zu wickeln, so hat sie das Ende des Knauls in Händen und der Garnschatz war damit auch zu Ende. Ein Holzhauer erhielt auf eine ähnliche Gabe die Versicherung, er werde immer genug haben, und so geschah es auch. Wer mild war gegen die Holzweibel, dem schützten sie Tag und Nacht sein Arbeitsgeräth vor diebischen Händen. Schmerz litten sie ungern. Eine Frau traf eines beim Heurechen mit der Zinke auf die Ferse, da schrie es überlaut und that sehr garstig. Die Holzweibel sangen bisweilen in stillen Mittags- oder Mitternachtstunden gar lieblich, dieß thun auch nach Tiroler Sagen die Saligen, doch unterschied Niemand ihres Gesanges Worte. Von den Holzmänneln sah man selten eines, viele Leute wollen gar nichts von ihnen wissen. Die Kleidung dieser sei grün gewesen mit rothen Aufschlägen, sie hätten dreieckige schwarze Hütchen getragen, die breit und niedrig gewesen. In späterer Zeit rodete [59] man alle Stöcke aus, und schonte nicht der bekreuzten, buk Kümmel unters Brod, fluchte öfters, und so zogen in einer Nacht die Holzweibel und die Holzmännel über die Elster, weit, weit fort, gegen Morgen hin, und was nahmen sie mit? die gute Zeit. Manche Forscher muthmaßen in diesen Holzleuten, die, ähnlich den Wichteln anderer deutschen Gaue, als ein schwaches, scheues Völklein geschildert sind, – frühere Bewohner, die riesen- und kernhaften Eindringlingen weichen mußten, und sich vor ihnen in die Einsamkeit von Wald, Geklüft und Bergeshöhlen bargen und retteten.

Die Moosleute sind in den Sagen von den Holzleuten kaum unterschieden, nur daß ihre Gestalt anders gedacht wird. Jene sind bekleidet, die Moosleute sind zottig, struppig, ähneln Alraunen, und sie dienen vorzugsweise dem wilden Jäger als Wild und Jagdbeute, sie vertilgt er schaarenweise, von ihnen wirft er Hälften oder Viertel denen als Beute-Antheil zu, die mit ihnen jagten, ja nur ihm höhnend zuschrien, oder hängt sie ihnen vor die Hausthüre, welche Stücke nur unter Umständen wieder fortzuschaffen sind, und gräulich stinken.

Die Riesen treten in den Sagen dieser Gegenden, wie überall, vereinzelt auf, sie hüthen Schätze, wohnen in Bergen und Felsen, lassen sich zu Zeiten sichtbar erblicken, haben aber keine Beziehung zu den „wilden Männern“ anderer Sagen, auch keine zum wilden Jäger.

Die Zwerge der Voigtlandsagen erscheinen nicht als Diener und Boten verzauberter Kaiser oder Helden, wie die am Kiffhäuser, auch nicht als für sich arbeitende kunstreiche Schmiede u. vgl., sondern mehr den Kobolden verwandt. Häufig gedenken ihrer die Bergmannssagen in der [60] Gegend von Saalfeld; sie sind selbst als Baumännchen über der Erde hülfreich, und wenn sie als Hausgeister Dienste leisten, heißen sie Gupel, vielleicht aus Kobold verdorben, wenn man nicht an Güetel (Grimm D. M. 449 †) denken will. Noch lebt diese Benennung in den Familien namen Göpel und Göbel fort.

Nixer und Nixen reden für sich selbst, bedürfen keiner Erläuterung. Oft ist für jeden Fluß nur von einer Nixe die Rede, z. B. Donauweibchen, Ilmnixe u. a.

Hier zu Lande haben die Flüsse deren auf alle Fälle mehrere. Die Nixe, die in Saalfeld in die Fleischbänke geht, dürfte schwerlich dieselbe sein, die unter der Saale bei Halle ihr Wochenbette hält. Eigenthümlich ist dieser Gegend, daß das sonst in Thüringen seltnere Vorkommen des Nix das der Nixen überwiegt. Auch in einzelne Weiher und Teiche sind Nixen gebannt, die in örtlichen Sagen leben.

Der Teufel, dieser alte Ueberall und Nirgends, ist überall derselbe, mindestens im mittleren Deutschland; im Voigtlande aber und in der Saalgegend manifestirt er sich, statt wie in Tirol als Jäger, meist als Drache, welcher seinen Bündnern Milch oder Geld bringt, und zwar gewöhnlich in Gestalt von Feuerballen, die sich in die Schornsteine senken. Er wartet auch mit Butter, Mehl und Eiern auf, und heißt guter Drache, wenn er Gaben zuführt, armer Drache hingegen, wenn er als langer Wiesbaum durch die Fensterzwickel in die Häuser fährt, und nichts hinterläßt als höllischen Gestank. Damit ist dann nichts gedient. Dem guten Drachen werden gereinigte Gefäße hingestellt, in die er seiner Bürde sich entledigt, und diese Gefäße werden aus Hölzern gefertigt, die an heiligen Tagen [61] gefällt sind, Linde, Wachholder, Eibisch. Die Rahmtöpfe haben theilweise noch immer altgermanische Formen. Der Dualismus zwischen dem guten Drachen und dem armen ist sehr eigenthümlich und reicht über die jüdisch christliche Teufelsidee hinaus in die germanische, vielleicht noch mehr wendisch slawische Frühzeit. Endlich giebt es auch noch Gelddrachen, sie bewachen Schätze, sind feurig, speien Feuer, und gehören mehr zu den Lintwürmen.

Bilbzen oder Binsenschnitter sind zum Theil Teufelsbündner, welche mit an die Beine gebundenen Sicheln durchs Getreide schreiten und was sie auf diese Weise absäbeln, führt ihr Patron ihnen, wenn das Getreide reif ist, doppelt und dreifach zu – es hat jedoch die Bilbzenkunst manches aber – anderntheils sind die Bilbzen elbische Wesen, welche sich bisweilen in Kugelgestalt, drachenartig, durch die Felder rollen, und ungeheuren Schaden anrichten; sie erscheinen aber auch in menschlicher Gestalt, weiß gekleidet, mit fliegenden Haaren, oder sie wehen und drehen als Wirbelwinde einher, und führen Heu und Getreide weit durch die Lüfte von dannen.

Theils gegen die Bilbzen-Geister, theils gegen die teuflischen Bilsen- oder Binsenschnitter giebt es magische Mittel; Messer, die auf der Klinge 3 Kreuze haben, werden der Bilbze entgegen geworfen mit den Worten: „Da hast Du es Bilbze!“ – da wird sie machtlos. Erblickt jemand einen Binsenschnitter und ruft ihn an während seines verderblichen Ganges, oder schießt mit einer Flinte über ihn weg, so muß der Binsenschnitter noch in demselben Jahre sterben. Wer sein Feld zuerst von außen rings umackert und bestellt, feit dasselbe gegen den Bilsenschnitt. Wird Getreide gedroschen, das durchschnitten war, so stellt [62] sich der Bilsenschnitter ein und will etwas borgen. Giebt man ihm nichts, so behält man jenen Zehnten am Getreide, den der Teufel außerdem seinem Bündner zugeführt hatte. Werden beim Ausdrusch einige Wachholdersträucher unter die Garben gelegt, und auch diese geschlagen, so trifft jeder Schlag den Bilsenschnitter, der dann kläglich bittet, anders anzulegen. Noch andere Gegenmittel siehe in Grimm: D. M. 444., wo alles mythische wie sprachliche genügend erörtert ist.

Die Pestgeister treten vereinzelt auf, wie der lange Mann in Hof, der Pestmann zu Schleiz, und oft sind sie nur ein Dunst, aber daß man in diesem Lande die Pest mythisch personificirte, ist eigenthümlich, und bereichert die vaterländische Mythologie.

Hexensagen und Hexenwesen zeigen sich nur in der allgemeinen Färbung, und ungleich weniger in den Vordergrund tretend als die Welt dämonischer Elementargeister.

Unter den spukenden Erscheinungen ist es für den mythischen Standpunkt nicht unwichtig, neben andern Thieren auch Stiergestalten und Fischen zu begegnen.

Noch klingt außer alle diesen manches mythische in den Voigtländischen und Orlagausagen hindurch, was nur mit großer Vorsicht zu benutzen ist, obschon sehr ehrenwerthe Gewährsmänner es überlieferten. Dahin gehört die Frau Welle auf der Hohewart mit ihrem Namensanklang an Velleda, von der weiter unten die Rede ist.