Zum Inhalt springen

Wenn die Schakale feiern/Jewrejski Kozak

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Wenn die Schakale feiern Wenn die Schakale feiern
von Hermann Sternbach
Ich bin es dem Semen Andrejewitsch schuldig
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[27]


„Jewrejski Kozak.“

Vor der Wassilowa aus Lischnia möcht ich euch dringend warnen. Sie ist, seitdem die Russen bei uns hausen, groß und mächtig geworden und trägt einen Pfauenschweif im Gemüte. Sie hält zu den Russen und die „Saldaty“ rufen ihr „schtschedraja matiuschka“ zu, wenn sie sie die Landstraße heranfahren sehen. Sie zerschmilzt in den Liebesstrahlen der Soldatengrüße, ist eitel Rührung und erwidert so recht aus tiefem Herzen „bratschyki lubi“.

Laßt es euch nicht gar sehr zu Herzen gehen, wenn ihr sie in der glänzenden, braunpolierten Brytschka des Gutsherrn gefahren kommen seht. Es ist jetzt ihre Zeit, und sie tut dem noblen Gefährt mit dem stolzen Rappenpaar keine Schande an. Wie wenn’s ihr eigen wäre, lehnt sie im gepolsterten Obensitz weit zurück, einen hellen Triumph in den Gesichtsfurchen, und in einer feinen, gleißenden Sammetjoppe, die jedoch vorne auf der Brust und oben an den Schultern bauscht (die Wassilowa hat schmale Schultern und verkümmerte Brüste) und um die Hüften herum ein wenig zu kurz ist, denn die Wassilowa ist im Wuchs lang geraten. Als noch Österreich da war, fuhr sie in ihrem ärmlichen Bauernwagen, der hatte Strohsitze und keine Lehne und sie [28] hatte eine „Sorotschka“ aus schlichtem Linnen an. Heut trägt sie Sammet und Galoschen! Es ist ihre Zeit....

Denn es ist jetzt anders geworden, besser geworden! Sie wohnt nicht mehr in ihrer Hütte. Man hat ihr den Gutsherrnhof geschenkt, wo die Wände rot und blau und grün gemalt sind und Vorhänge drin weiß schimmern und Spiegel hangen. Und eine Uhr ist da, die jede Stunde kuckuckt. (Pater Zenobius, der Dorfgeistliche, hatte recht. Er hatte diesen Segen früher schon der Wassilowa zugewiesen.) Den Gutsherrn, heißt es, haben sie samt mit seinem Pächter durchgepeitscht und davongejagt. Manche behaupten, man hätte sie aufgehängt. Sicher ist das nicht. Man weiß nur, daß von beiden bis auf den heutigen Tag jede Spur verwischt und verschwunden ist. Sie waren Verräter an Rußlands Sache! Das steht einmal außer Zweifel, denn die Wassilowa hatte es so ausgesagt. Und sie mußte es ja wissen! Die Wassilowa wußte gar zu Vieles, und seitdem die Russen dank ihrer Aussagen einen Bauern und einen Juden öffentlich gehenkt hatten, war der Wassilowa vor Machtbewußtsein ein Kropf gewachsen.

Es ist wahr. Sie war mit Leschko, dem Stadtrat, verschwägert, mit Steckow, dem Pferdedieb, befreundet und mit der Richterswitwe Wanska fast auf du geworden und hielt gelegentlich, wenn sie in der Stadt war, vor Mendl Gaslens „Lager“, wohin man Bettzeug, Wäsche, Pelze, Gold, Silber und anderes aus verlassenen Wohnungen „rettete“. Mendl wohnte hinter dem Bordell und war der einzige, [29] der die Wassilowa nicht fürchtete, der sie in die Hüften kniff. Sie war sonst nirgends anzugreifen, die Wassilowa.

Den Kleinkrämern aber vom „Maly rynek“ war das Herz kopfüber in die Socken gefallen, wenn die Wassilowa an ihnen nur schon vorbeifuhr und zumal, wenn sie vor ihren Verkaufstischen anhielt.

Mit ihr gab’s keinen Spaß! Wenn sie etwas forderte, durfte man nicht sagen: „Wir haben’s nicht“ und wenn’s auch nicht vorhanden war. Die Wassilowa sagte: „Mussyt buty – es muß sein“. Und holte gleich einen Gendarmen herbei und der – hieb los mit der Nagaika auf Krämer oder Krämerin, daß all die Übrigen vom engen, von unzähligen Tischen dicht belegten Platz auseinanderstoben. Die Wassilowa brauchte nur zu sagen: „Bratschyku, die Jewrejs wollen kein russisches Geld annehmen.“ Und man hatte einen gebrochenen Rücken! Die Wassilowa wuchs und ward jünger, wenn sie jemand auf ihren Wink peitschen sah. Es war ein Genuß, sich so mächtig zu wissen....

Die Bäuerin kam in die Stadt jeden oder jeden zweiten Tag, denn sie hatte vieles zu erledigen und von Mendls Niederlage oder Frau Wanskas Filiale heimzuführen. Es gab dort in den letzten Wochen soviel Segen und dort hielt auch gewöhnlich ihre Brytschka.

Eines Tages aber blieb sie just auf dem Maly rynek stehen – länger als sonst. Um sie ein Häufchen Bauern und Bäuerinnen; Ratgeber und Mithelfer. Es ward damals in den Karpathen bitter gekämpft, [30] und die Russen, die blind und hart an die Wand anrannten, holten sich blutige Köpfe. Man sah von den unzählbaren Massen, die Tag für Tag durch die Stadt in das Karpathengrab zogen, nur wenige zurückkehren. Ruppig, jammrig und gebrochen. Die vom Maln rynek flüsterten einander zu und rieben sich die Hände. Sie sahen die Zarenmacht wanken und zusammenbrechen.

„Herrgott – dachten sie – wann wirds wieder so, wie es war? Daß uns vor der Wassilowa und ihresgleichen das Herz nicht zu versteinern braucht!“

Die Krämer hatten heut etwas losere Herzen und ein klein wenig von ihrem Hoffen war auch auf ihre Stirnen gekommen, aber so spärlich, wie ein einsamer Lichtstrahl, der sich durch die winzige Pore eines dichtgewirkten Gewebes hindurchringt. Die Wassilowa aber, deren Schlechtigkeit tief schürfte, hatte sie durchschaut. Sie stieg behäbig von der Brytschka und sah sich um. In der Kreuzung, wo man vom Maly rynek in die Judengasse einbiegt, gewahrte sie einen wachthabenden Soldaten. Er ging dem Krämerstand zu. War lang wie eine Dezembernacht und breit wie ein Gasthaustor. Und hatte eine Nagajka in der Hand.

„Der ist mir recht“ – dachte sich die Wassilowa und trat an Jentels Tisch heran, wo Rosinenkuchen und Zuckerstriezel im hellen Frost sich röteten. Und griff nach einem Stück und fragte nach dem Preis. Bissig und voller Hohn. Sechs Kopeken kostete ein Stück. Es sei jüdischer Wucher, Blutsaugerei – sagte die Wassilowa und legte einen Rubel auf den Tisch [31] und wollte den Rest in Kronenwährung haben, weil sie ja den Rubel auf drei Kronen dreiunddreißig gestellt hatten. Jentel aber wollte sich nicht rupfen lassen. Wer in russischer Währung zahlt, bekommt in russischer Währung Rest! Sie wußte, daß sie im Recht sei. Auch nach russischer Art. Unerhört! staunte die Bäuerin. Jentel aber beharrte bei ihrem „In Rubels gezahlt: in Kopeken Rest gegeben“. So war’s vom Gradonatschalnik gekommen.

Nun aber war die Wassilowa außer sich geraten. Und ob der Zar für Juden Rechte mache? Und ihr Mundwerk geriet in Schwung und drehte sich, daß es nur so ratterte. Sie regte sich dabei gar nicht auf. Es werde bald mit der Judenherrschaft und mit den Judenkaisern („Judenkaiser sind alle außer dem Zaren“ – sagte der Pope Zenobius) ein Ende nehmen. Heut oder morgen werde es geschehen, und in ihrem Hof – in ihrem Hof wetzten schon die Bauern Sensen und Sicheln, das Judenpack niederzumähen. Väterchen, der Zar, habe es anbefohlen und den Bauern von Lischnia und Babinia das Judengeld überlassen.

Die Bäuerin kam in lautes, überzeugendes Pathos – die wenigen ihresgleichen nickten dem Gesagten zu, und nickten immer tiefer, je näher der Soldat herankam. Jentel aber begann heftig und laut zu weinen. Der wachtuende Soldat ward aufmerksam und trat an die Weiber heran. Und fragte nach dem Grund des Weinens. Jentel konnte nur mit Mühe das Bischen Ruthenisch, das sie inne hatte, zusammenklauben. Aber der Soldat verstand sie. War einer tief aus der Ukraine.

[32] Er wandte sich hierauf zur Wassilowa und fragte, woher sie das so gut wisse, wer ihr das alles zugetragen hätte.

Zugetragen –? Die Bäuerin machte ein höchst beleidigendes Gesicht. Ihr, der Wassilowa, sollte das erst von jemand zugetragen werden? Und sie lachte breit und selbstbewußt. Was er wohl von ihr denke? Das verstehe sich doch von selbst. Und sie habe es aus erster Quelle.

„Ja, Brüderchen, wir wissen es alle –“ schloß sie. Und sie nickte mit dem Haupt zur Versicherung ein paarmal, biß abwechselnd in einen Apfel und in den gekauften Rosinenkuchen, schmatzte befriedigt mit den Lippen und nickte weiter.

„Tu, Brüderchen, einmal dreinbeißen –“ sie reichte dem Soldaten den angebissenen Apfel – und wähl dir ein paar Bäuche unter diesen da.“

Den Kosaken zwickte es. Das Weib war ihm zuwider und ihre Bosheit, die sie gar nicht aus dem Gleichgewicht brachte, empörte ihn.

Job twoja matj“ – spuckte er ihr ins Gesicht. „Bestie!“ und los mit der Nagajka, daß das Weib wie ein Bär auf Glüheisen hopste.

Nein! So was! Hören und Sehen vergingen ihr beinahe. Und die Bauern und Bäuerinnen ringsum standen still und wagten nicht zu mucken.

Jewrejski kozak – Judenkosak –“ flüsterten sie nur kleinlaut und zitterten wie jüdische Kleinhändler, wenn sie Kraschnicki, den Polizmeister, vorbeigehen sahen.